Emblematik

 

Das prototypische Emblem ist ein Proteus.
Deshalb hat der Verleger Ch. Wechel ihn 1542
wohl an den Schluss der Sammlung gesetzt:

Sag Proteus lieber alter greyß,
Was dich verkert in so vil gstalt?

Hinweis: Vgl. auch unsere Seite zur Allegorie !

 

 

Ein epochemachendes Buch

1531 erscheint die erste illustrierte Ausgabe des »Emblematum Liber« von Andrea ALCIATO (1492–1550) bei Heinrich Steyner in Augsburg. 

VIRI CLARISSIMI D. Andreę Alciati Iurisconsultis. Mediol. ad D. Chonradum Peutingerum Augustanum, Iurisconsultum Emblematum liber. M.C.XXXI.

online: http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/facsimile.php?id=sm18-A1r

Man liest in der Forschung oft auch ALCIATI – das ist aber der Genitiv seines Namens im Buchtitel;sein Landsmann Cesare Ripa nennt ihn in seiner »Iconologia« ALCIATO.

Man weiß aus Briefstellen, dass Alciato um 1522/23 ein publikationsreifes Manuskript einer Epigrammsammlung verfasst hatte. Diese nannte er ›Emblemata‹ (ursprl. ein Begriff des Kunsthandwerks: ›Intarsienwerk‹) und er dachte daran, dass man aus den darin vorkommenden Ideen Bildwerke schaffen könnte, etwa auf Schleifen von Kleidern oder auf Schildern an Hüten (vgl. dazu Fischart in seinem Kurtzen und Woldienlichen Vorbericht).

Vgl. (?) Selecta epigrammata Graeca Latine versa, ex septem Epigrammatum Graecorum libris. Accesserunt omnibus omnium prioribus editionibus ac versionibus plus quam quingenta Epigrammata / recens versa, ab Andrea Alciato, Ottomaro Luscinio, ac Iano Cornario Zviccaviensi, Basileae, ex aedibus Io. Bebelii 1529. > http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-584

Die Ausgabe von Steyner 1531 enthält neu Bilder; das Vorwort besagt, man habe gleichsam die Intention Alciatos  weiterverfolgt und so das Buch für ein breiteres Publikum attraktiv gemacht. – Alciato selbst war über diese Ausgabe not amused. In einem Brief  an Emilio Ferretti (1532) schreibt er, das ohne sein Einverständnis gedruckte Büchlein (editus est ille libellus me insciente) enthalte Fehler, und er spricht vom törichten Einfall (ineptia) der Bilder. Die von Wechel in 1534 Paris gedruckte Ausgabe hingegen hat er dann gebilligt.

Als Quellen benutzte Alciato Horapollo, Plinius, Apuleius, Ovid, Pausanias und andere Autoren. Viele seiner Epigramme stammen aus der »Anthologia Graeca«, die in Humanistenkreisen damals stark rezipiert wurde.

Dank der Zuweisung einzelner Embleme zu den Texten der »Anthologia Graeca«  durch das Projekt ›Alciato in Glasgow‹ (http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/index.php) und durch Andreas Bässler (2012; vgl. dort die Liste im Anhang S.193ff.) und aufgrund der deutschen Übersetzung durch Hermann Beckby (1890–1980; 4 Bände der Tusculum-Bücherei, München: Heimeran 1957–1958) sind wir in der Lage, den Weg vom Bild über den griechischen Text zu Alciatos Übersetzung und dann zum 1531er Druck nachzuvollziehen.

Ein Beispiel. (Leider handelt es sich um eine Personifikation, was die späteren Emblematiker nicht mögen.)

(i) Lysipp (von Sikyon; 4. Jahrhunderts BCE) hatte ein Bildwerk geschaffen, das den Gott des allmächtigen Moments (Kairos) zeigt.

(ii) Poseidippos verfasste im 3. Jh. v. Chr. eine in Dialogform abgefasste Beschreibung (›Ekphrasis‹) dieses Bildwerks: Kairos hat Flügel am Fuß, weil er flink ist wie der Wind; er trägt ein Messer in der Rechten, das zeigt, dass er kürzer dauert, als eine Messerklinge breit ist [Th.G.] : ›Warum trägst du in der Rechten ein Rasiermesser?‹ – ›Als Zeichen für die Menschen, dass ich scharftkantiger bin als jede Klinge‹. – Er hat Haare an der Stirn, hinten ist er kahl: ›Der Begegnende soll mich schnellstens erhaschen – Bin ich mit fliegendem Fuß einmal vorübergeglitten, hält mich keiner mehr fest.‹ (Anthologia Graeca XVI.275) (Bereits 1571 hat der Alciato-Kommentator Mignault darauf hingewiesen, dass das Emblem sumptum è Græco Posidippi Epigrammate sei, und dieses abgedruckt.)

(iii) Alciato übersetzt den Text, hier ein Ausschnitt:

[…] »Cur in fronte coma?« »occurrens ut prendar.« »at heus tu
    Dic cur pars calva est posterior capitis?«
»Me semel alipedem si quis permittat abire.
    Ne possim apprenso crine deinde rapi
[…]«

Jeremias Held übersetzt diese Verse 1567 so:

»Was thust an der Stirn mit dem Har?«
»Das man mich kommend greiffe zwar.«
»Warumb ist aber hinden sGnick
So kal? Und hast kein Haar zu rück?«
»So einer mich last also schnell
Wegfahren, und ficht nicht auff hell
Derselbs kan nachmal mich nit mehr
Greiffen und zu rück ziehen her.«

(iv) Der Verleger Steyner lässt 1531 einen Holzschnitt dazu anfertigen. Weil Alciato ›Kairos‹ als occasio (grammatikalisches Femininum) übersetzt, wird die Personifikation weiblich. (Im Bild der 1531er-Ausgabe fehlen die Flügel am Fuß, dafür steht die Gestalt auf einer Kugel.

In der Ausgabe Paris: Wechel 1534 sind dann korrekt nur die Flügel an den Füßen sichtbar. (In späteren Ausgaben steht Occasio auch auf einem Rad.)

Bild aus der Ausgabe Paris 1534
> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A34b016

Wolfgang Hunger übersetzt 1542:

XVI. Von der Gottin Bequemheyt.

Gottin Bequemheyt bin ich gnant,
Mich machtt also Lysippus hannd:
Die kugel rund macht mich unstet,
Ein yeder winnd mein flugel whet.
Das scharsach
[Schermesser] zaygt, das ich durchdring
Wo ich anklopff, mich helt kayn ding.
Das ich hab an der gstyren har,
Wan ich kum greyff und nim mein war:
Suechst mich umb sunst, lest mich ain mal
Furgan, dan ich im nach
[hinten] bin khal.
Der maister hat mich also gmacht,
Das yeder mein natur eracht:
Und denck wo im kumbt gluck mit fueg
Das er seiner schantz eben lueg.

> https://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A42b016

Literaturhinweis: Sibylle Appuhn-Radtke, Artikel »Occasio«, in: RDK (2014)
> http://www.rdklabor.de/w/?oldid=92163

Beim Transformationsprozess vom antiken Bild (i) bis zum Emblem (iv) kommt es zu allerlei Verschiebungen:

  • Durch die Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische (s.oben: kairos > occasio).
  • Alciato setzt Titel über die Epigramme, dadurch entsteht gelegentlich ein rätselhaftes Spannungsverhältnis. Bsp.: Während AG IX, 122 nur besagt, dass die Schwalbe die Grille jagt, obwohl beide im Frühling singen, setzt Alciato als Überschrift Doctos doctis obloqui nefas esse (Ausgabe 1534; Hunger: Ein gelerter solle dem andern nit ubelreden.) Das Bild zeigt nur die Schwalbe (in den späteren Auflagen deutlicher mit Grille im Schnabel). Erst am Ende des Epigramms folgt die Auflösung.
  • Alciato moralisiert oft. Bsp.: AG XVI, 254 besagt nur, dass die Herme (dem Hermes geweihter Steinhaufen an einer Weggabelung) als Wegweiser dient > Alciato Nr. LXXVII (Ausgabe 1534) expliziert (in der Übersetzung von Hunger): So lang wir wandelen in der welt, | Haben wir bald gfælt vnd geyrt, | Wo man sich nit zu Got geselt, | Der vnnß den weg zaygt, vnd regiert. — Während frühe Auflagen (1531, 1542) noch eine aus einem Steinhaufen herausragende halbe Hermes-Figur zeigen, haben spätere Bilder (z.B. Virgil Solis 1567; Lucas d’Here 1589) eine anthropomorphe Hermes-Gestalt.
  • Alciato deutet eine Zuschreibung um. Bsp.: AG IX, 291 besagt, dass das Vertrauen der Römer auf Cäsar so fest steht wie Eichen > Alciato Nr. LVI (Ausgabe 1534) deutet das um auf Kaiser Karl V., der 1529 vor Wien die Christenheit vor den Türken bewahrt. 

Genau genommen ist der Verleger Heinrich Steyner – indem er Bilder zu Alciatos Anthologie hinzugefügt hat – der Erfinder des Emblems in unserem modernen literaturwissenschaftlichen Sinne. Er war ein Spezialist für illustrierte Bücher:

  • 1530 Cronica, Abconterfayung und Entwerffung der Türckey;
  • 1531 Ciceros »Officia« (mit Holzschnitten des Petrarkameisters);
  • 1531 Des hochberuemptesten Geschicht Schreybers Justini warhafftige Hystorien;
  • 1532 Franciscus Petrarcha von der Artzney bayder Glück (vgl. unten);
  • 1533 Thucidides, der aller thewrest vnd dapfferest Historien schreiber;
  • 1531 Der teütsch Cicero / Memorial der Tugent (mit emblem-artigen Bild-Text-Verbünden).

Bald schon gibt es eine Ausgabe mit einer deutschen Übersetzung:

Clarissimi Viri D. Andreae Alciati Emblematum Libellus, Parisiis apud Ch. Wechelum 1542 [lat., mit der deutschen Übersetzung in Knittelversen von Wolfgang Hunger (1511–1555);
Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1967.]
Digitalisat > https://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/books.php?id=A42b

Das lat. Vorwort von Hunger (Epistola Nuncupatoria) hier in moderner deutscher Übersetzung (PDF)

Sodann wurden die Embleme kommentiert, u.a. durch Claude Mignault (auch Claudius Minois; 1536–1606), dessen Buch 18 Mal aufgelegt wurde:

Omnia And. Alciati. Emblemata, cum luculenta et facili enarratione per Claudium Minoem, Parisiis: ex typ. D. a Prato, 1571
> https://books.google.ch/books?id=WPjvfl4RkYgC&printsec=frontcover&hl=de
> Digitalisat der Ausgabe 1614 mit alphabetischer ›Table des matières‹ in der linken Randspalte (merci!)   http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k6298583n

Alciatos Büchlein hat von 1522 bis 1872 179 Auflagen erfahren (vgl. H.Green).

Literaturhinweise zur Entstehungsgeschichte:

Henry Green, Andrea Alciati and His Books of Emblems. A Biographical and Bibliographical Study, London: Trübner 1872; Reprint 1965;  — http://hdl.handle.net/2027/gri.ark:/13960/t2x37fz48

Denis L. Drysdall, »Andrea Alciato, Pater et Princeps«, in: Companion to emblem studies, ed. by Peter M. Daly, New York, N.Y.: AMS Press 2008 (AMS studies in the emblem No. 20), pp. 79–97.

The Memorial University of Newfoundland (Canada), insbesondere: http://www.mun.ca/alciato/bibl1.html

Andreas Bässler, Die Umkehrung der Ekphrasis. Zur Entstehung von Alciatos "Emblematum liber" (1531), Würzburg: Königshausen & Neumann 2012.

Peter Seiler, Phidias als moralischer Ratgeber […], in: Pegasus: Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike, hg. Horst Bredekamp / Arnold Nesselrath, Heft 14 (2012), Berlin 2013, bes. S. 63–73. – http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2015/3186

Von Denis Drysdall zusammengestelltes Register zu verschiedenen Alciato-Ausgaben 1531–1550
> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciatoeditions.html

›Grundtypus‹ ?

In der Forschungsgeschichte hatte sich seit dem Buch von Albrecht Schöne, Emblematik und Drama (1964) das Modell etabliert, die bei Alciato bereits 1534 ausgeprägte »dreiteilige Bauform« und die auf allegorischen Bezügen gründenden Konnexionen zwischen den Elementen bildeten einen Grundtypus, zu dem die historisch real vorkommenden Phänomene als Variationen beschrieben werden könnten.

Beispiel: ALCIATO, Ausgabe 1542, Nummer XXXIX = S. 94

 

Lemma (auch: Motto, Inscriptio, Beyschrifft, Beiwort, Deutspruch genannt): ein prägnanter Spruch; im Beispiel In der Übersetzung): Fruchtbarkeyt yer selbs schedlich.

Icon (auch: Pictura, Imago, … genannt): ein Gegenstand, das Verhalten eines Tiers, eine mythologische Figur usw. ist abgebildet; im Beispiel: Knaben schlagen von einem Baum die Früchte herunter.

Diese semantisch spannungsvolle Kombination von Text und Bild regt zum Nachdenken an:

Joannes Sambucus schreibt in seinen Emblemata (1564), S.3: Nam τὸ ἐμβάλλεσθαι iniicere, ac proponere aliquid obscurius, quod explicationem, atque cogitationem requirat, etiam Graecis significat. (Because to suggest symbols and set forth something rather obscure which requires clarification and cogitation, that had already a value to the Greeks. –  http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/othertext.php?id=FSAb&t=1 <10.4.2011>).  Im Hintergrund steht die Freude an Rätseln, vgl. das Concetto (scharfsinniges, geistreich zugespitztes Wortspiel) und das Acutezza- / Argutia-Ideal, das Spiel mit dunkeln Metaphern in der ›manieristischen‹ Literatur des 16. Jhs.

Die Erklärung folgt dann im

Epigramma (auch: Subscriptio, Aufschrifft, Auslegung … genannt); im Beispiel (in Hungers Knittelversen):

Wie ste ich Nußbaum hye so kalt
Mit steck vnnd stainn von allen plagt,
Fur wolthat gschicht mier schmach vnd gwalt,
Nicht ist an mier, das sich nit klagt:
Ein baum der gantz kayn frucht nit tragt
Stet vnverletzt in freyem veld,
Sih wie im
[= sich] mancher layd erjagt,
Der nutzt vnd frumbt der gantzen welt.

Etwas plakativ so:

Definitionsprobleme

An der Forschungsposition von A.Schöne und anderen ist oft herbe Kritik geübt worden (wobei die großen Verdienste von Albrecht Schöne nicht immer gebührend gewürdigt wurden).

Man gerät hier in schwierige Fragen der wissenschaftlichen Begriffsbildung. Klar ist: Der Terminus ›Emblem‹ lässt sich nicht mit einer Definition vom Typ ›genus proximum et differentia specifica‹ fassen, er ist aber auch nicht so porös wie etwa der Begriff ›Lyrik‹.

Ist es ein Idealtypus, so wie Max Weber den Begriff ›Der Geist des Kapitalismus‹ aus seinen einzelnen der geschichtlichen Wirklichkeit zu entnehmenden Bestandteilen allmählich komponiert hat?

Oder gehört ›Emblem‹ zu den Begriffen, die (wie z.B. ›Spiel‹) mit Ludwig Wittgensteins Modell der Familienähnlichkeit umschrieben werden können? (Vgl. die knappen Ausführungen hier .)

Es gibt Werke, die das Wort ›Emblem‹ nicht im Titel tragen, deren Kapitel aber dem ›Grundtypus‹ recht nahe kommen, nur zwei Beispiele:

••• Das sog. Ständebuch von Christoph Weigel trägt im Titel den Ausdruck ›Emblem‹ nicht; die verwendeten Kupfertafeln indessen sind durchaus Embleme.

Der Schlosser

Der klugen Lippen Schloß /  ligt in deß Geistes Schoß

Ein Schloß gehört vor ieden Mund [usw.]

Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Von denen Regenten Und ihren So in Friedens- als Kriegs-Zeiten zugeordneten Bedienten an/ biß auf alle Künstler Und Handwercker/ Nach Jedes Ambts- und Beruffs-Verrichtungen/ […] Regensburg 1698. S. 365.

 

••• Abraham a S. Clara: Huy! und Pfuy! der Welt. Huy, oder Anfrischung zu allen schönen Tugenden: Pfuy oder Abschreckung von allen schändlichen Lastern: durch underschiedliche sittliche Concept, Historien, und Fabeln vorgestellt, Würtzburg 1707 u.ö. —

> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/abraham1707/0283 

Umgekehrt: Das dreiteilige Aufbauprinzip wurde auch für illustrierte Bücher verwendet, die man kaum als Emblembücher im skizzierten Sinne bezeichnen wird:

••• La métamorphose d'Ovide figurée, Lyon: Jean de Tournes 1557 (Holzschnitte von Bernard Salomon).


> http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k71516d.r=bpt6k71516d.langFR
(Hier sind die Bildüberschriften und Verse darunter nur Inhaltsangaben.)

••• Tobias Stimmer, Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien, Basel: Thomas Gwarin 1576.

> http://www.e-rara.ch/bau_1/content/titleinfo/129209
Hier gehen die Bildüberschriften und erläuternden Verse gelegentlich über eine reine Inhaltsangabe hinaus: Der Sig des Gaists am Fleisch — Unschuld brachte Joseph durch sein Verhalten zur Herrlichkeit.

••• Der Zürcher Verleger Rudolf Wolff und Johann Heinrich Rordorff gestalteten aus Materialien eines Theaterstücks von Christoph Murer (1558–1614) 1622 ein ›Emblembuch‹. Dazu verwendeten sie nebst – durchaus emblemfähigen – Fabeln und Allegorien auch visualisierte Szenen aus Murers Schauspiel, bei denen keine scharfsinnige semantische Spannung zwischen Lemma – Icon – Epigramma entsteht.

Ein Beispiel: Im Drama (1. Akt, 4.Szene) streiten zwei Bäuerinnen mit einem Speisemeister auf dem Markt über die Geflügelpreise; daraus gestalten Wolff und Rordorff dieses ›Emblem‹:

XL EMBLEMATA miscella nova. Das ist: XL underschiedliche Außerlesene Newradierte Kunststuck: Durch Weiland den Kunstreichen und Weitberuempten Herrn Christoff Murern von Zürych inventiret unnd mit eygener handt zum Truck in Kupffer gerissen; An jetzo erstlich Zuo nutzlichem Gebrauch und Nachricht und allen Liebhabern der Malerey in Truck gefertiget/ vnd mit allerley dazu dienstlichen aufferbaulichen Reymen erkläret: durch Johann Heinrich Rordorffen/ auch Burgern daselbst. Gedruckt zuo Zürych bey Johann Ruodolff Wolffen. Anno M.DC.XXII. Digitalisat: http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-10598

Forschungsliteratur: Thea Vignau-Wilberg, Christoph Murer und die ›XL Emblemata miscella nova‹, Bern: Benteli 1982.

Hier wird versucht mit einem Fragekatalog an die konkreten Beispiele heranzugehen, wobei (für Systematiker schmerzlich) offenbleibt, was nun terminologisch genau als ›Emblem‹ gelten kann – und was mithin als ein konkretes Beispiel gelten darf. Zugegeben, es ist immer billig, eine Heuristik anzubieten, wenn man das Phänomen nicht präzis eingrenzen kann. Umgekehrt verstellt man sich den Blick auf die Phänomene, wenn man von einer rigiden Definiton ausgeht.

Zu den Definitionstechniken vgl. Werner Strube, Sprachanalytisch-philosophische Typologie literaturwiss. Begriffe, in: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft, hg. Christian Wagenknecht (Germanist. Symposien-Berichtsbände 9): Stuttgart: Metzler 1989, S. 35–49.

Bild- und Sinn-Bereiche

Die Emblematik ist ein Allesfresser, ist vielgestaltig und bedient auch alle erdenklichen Abnehmer. 

Signifiant-Quellen

Als Bildquelle kommt grundsätzlich alles, was irgendwie bildlich dargestellt werden kann, in Betracht. Es werden Gedanken aus Bestiarien, von heraldischen Devisen, aus Fabeln, aus der Bibel, aus Epigrammen und Sprichwörtern übernommen. Dabei wird ein zentrales konkretes Ding oder eine markante Szene herausgegriffen und ins Bild umgesetzt. – Vgl. das Bild-Register bei Henkel/Schöne, Sp. 1941–2028.

  • Makrokosmos, Gestirne
  • Alltagsphysik
  • Licht und Dunkel, die vier Elemente
  • Pflanzen
  • Tiere, ihr Bau und Verhalten
  • Soziales: Stände, Insignien, Spiele
  • der menschliche Leib
  • Artefakte: Bauwerke, Handwerk, Technik, Hausrat, Kriegsgerät
  • Mythologie: Menschen, Heroen, Götter
  • markante Taten historischer Personen
  • mit Phantasie ersonnene Gebilde
  • usw.

••• Ein Quellgebiet ist die antike bis mittelalterliche Enzyklopädistik, wo Naturdinge (res im Sinne der Dingbedeutungskunde): Tiere, Pflanzen, Steine allegorisch nach dem ›mehrfachen Schriftsinn‹ ausgelegt wurden. Etliche Embleme sind z.B. inspiriert durch den »Physiologus«. Die Wiederentdeckung dieser Auslegungstechnik in der mediävistischen Germanistik verdanken wir v.a.:

Friedrich Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 89 (1958), S. 1–23; (wiederabgedruckt in: F.O., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt: wbg 1977, S. 1-31.)

Ute Schwab, Zur Interpretation der geistlichen Bîspelrede, in AION = Annali dell’Istituto Universitario Orientale di Napoli, sezione germanica I (1958), S. 153–181.

Erstes Beispiel: Das Tier Enhydros bzw. Ichneumon

Der Enhydros hat die Gestalt eines Hundes. Er ist ein Feind des Krokodils. Wenn das Krokodil schläft, hält es den Mund offen. Nun geht der Enhydros hin und bestreicht seinen ganzen Leib mit Lehm. und wenn der Lehm trocken ist, springt er in das Maul des Krokodils und zerkratzt ihm den ganzen Schlund und frisst seine Eingeweide.

Also gleicht das Krokodil dem Teufel; der Enhydros aber ist zu nehmen als ein Bild für unseren Heiland. Indem unser Herr Jesus Christus den ›Lehm‹ des Fleisches angezogen hatte, fuhr er hinab zur Hölle und löste die Traurigkeit des Todes …

Der Physiologus, Übertragen und erläutert von Otto Seel, Zürich: Artemis 1960, Kap. 25.


Bild aus dem Bestiar der British Library, Royal MS 12 C. xix, Folio 12v > http://bestiary.ca/beasts/beast272.htm

Joachim Camerarius allegorisiert das biologische Faktum säkular auf die Unsicherheit der Tyrannei, die auch von kleinsten Wesen zum Untergang gebracht werden kann. Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, durch welche beygebracht und außgelegt werden die angeborne Eigenschafften, wie auch lustige Historien und Hochgelährter Männer weiße Sitten-Sprüch. … II. Von Vier-Füssigen Thieren, [Nr. 99], Maintz: Bourgeat 1671.
Digitalisat hier .

Zweites Beispiel: Der Kranich, der einen Stein in den Krallen hält, damit er wachsam bleibt:

Emblemata Nicolai Revsneri IC. Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica, & Hieroglyphica, sed ad virtutis, morumque doctrinam omnia ingeniose traducta: & in quatuor libros digesta, cum Symbolis & inscriptionibus illustrium & clarorum virorum, Francoforti: Impensis Sigismundi Feyerabendij, 1581; II, 34.

Genaueres und mehr dazu auf dieser Seite hier!

Drittes Beispiel: Der Paradiesvogel, der – ohne Füße – immer in der Luft schwebt:

De L'Art Des Devises : Avec Divers Recveils de Devises du mesme Autheur / Par le P. Le Moyne de la Compagnie de Iesvs Paris: Chez Cramoisy / Mabre-Cramoisy, 1666.

Genaueres und mehr dazu auf dieser Seite hier!

••• Alltägliche Tätigkeiten / Handlungen

Auch Kinderspiele können emblematisch gedeutet werden.

Unser leben ist äin krantz nur von kinder-spil gewunden;
Dann darinnen um und um lauter kindhäit wirdt gefunden:
Was wir in der jugend treiben, hangt uns nach im alter an,
Ausgenommen daß äin alter mehr der jaaren zälen kan.

Hier beispielsweise das Seilspringen:

Das sibende Bild:

In äiner jeden sach   Geh nur dem mittel nach:
Sonst fälet dier das spil,   Sonst triffstu nicht das Zil.

Begleittext:

Der Seilespringer zeigt den fund [den Kunstgriff]
wie man sol achten auf die stund
[den Moment]
wie man sol passen auf die zeit/
eh dann enwüsch gelegenheit.
Könt ihr nun springen daß gerath/
nicht gar zu früh/ nicht gar zu spaht/
nicht gar zu träg/ nicht gar zu schnell/
im Spiel bleibt euch die Meisterstell.

H. Jacob Catsen [1577–1660] Kinder-Lustspiele, durch Sinn- und Lehrbilder geleitet; zur Underweisung in guten Sitten. Auß dem Nider- in das Hochdeutsche gebracht durch H. Johann Heinrich Ammann [1607–1669]: und mit Kupferstükken geziert, vermehret und verlegt durch Conrad Meyern [1618–1689], Mahlern in Zürich. Getrukt im Jahr Christi 1657.
> http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-9837

••• Fabeln werden zu Emblemen umgenutzt. Hier ein Beispiel aus Avian, Fabel 11 = Perry 378 > http://www.thelatinlibrary.com/avianus.html (eripiens geminas ripis cedentibus ollas …) – Die Geschichte kommt zu einem Sprichwort komprimiert auch in der Bibel vor: Ecclesiasticus = Jesus Sirach 13.3: Was sol dir der jrdene Topff/ bey dem ehrnen Topff? Denn wo sie an einander stossen/ So zubricht er. (Luther 1545)

Ein böses umb der Nachbauwern willen.

In einem starcken Bach daher
   Rauschen zwen Häfen ongefer
Der ein auß Ertz der ander war
   Gemacht vom Häfner auß Thon klar.
Der auß Ertz den Irrdin ansprach
   Daß er wolt schwimmen bey im nach
Damit sie kündten dester baß
   Widerstandt thun dem Wasser graß.
Dem antwort wider der Irrdin
   »Deiner Nachbarschafft ich hab kein gwin
Und frag nit nach der gmeinschafft dein
   Damit sie mich nit bring in pein
Dann so das Wasser mich an dich
   Stieß, oder wider dich an mich
So bleibestu gantz unversert
   Ich aber würd gar zertrimmert.«

Übersetzung von Jeremias Held in Andrea Alciato’s Liber Emblematum / Kunstbuch, Frankfurt am Main: Sigismund Feyerabend 1567. > http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A67a121

Bei einigen Textzeugen in der Fabel von Avian folgt noch ein Epimythion, was Alciato nicht bringt:
Pauperior caveat sese sociare potenti
   Namque fides illi cum parili melior.

(Der Schwächere sei auf der Hut, sich mit dem Starken zu verbinden;
denn bessre Freundschaft bietet ihm, der mit ihm gleich. – Übers. Erika Dietl)

Literaturhinweis: Barbara Tiemann, Fabel und Emblem. Gilles Corrozet und die französische Renaissance-Fabel, München: Fink 1974. — Vgl. hierzu: Gilles Corrozet (1510-1568), Lesœ Fables du tresancien Esope Phrigien, Paris: Janot 1542 > http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k70299v

 

••• Jacob Cats (1577–1660) verwendet als Signifiant das technologische Gesetz: Wenn man kaltes Wasser über gelöschten Kalk gießt, wird er heiß.

Fomes virtutis calamitas ≈ Der Zunder der Tugend ist das Unglück.

Jacob Cats, Proteus ofte Minne-beelden verandert in sinne-beelden, Rotterdam: Waesberge 1627; darin im Teil Emblemata moralia et æconomica das Emblem XVIII
> https://archive.org/details/proteusofteminne01cats/page/n429/mode/2up

Die holländischen Verse erklären zunächst, wie das Löschen von Kalk mit kaltem Wasser Hitze erzeugt, das überraschende Ausbrechen einer verborgenen Kraft.

ALs de kallick wort begoten
    Met een kouden vvater ſtroom,
Dan vvort haere kracht ontſloten,
    Als ontſpronghen uyt een droom,
Dan vvort eerſt haer vier ontſteken
    Dat in haer verholen lagh,
Dan begintet uyt te breken,
    Datmen noyt te voren ſagh.

[…]

Die Deutung entnimmt Cats Silius Italicus, Buch 7 des Punischen Krieges:

Tanta adeo cum res trepidae reverentia Diuum | nascitur.
Derart grosse Furcht vor den Göttern kommt auf, wenn die Lage ernst wird.

Aufgrund ähnlicher Erscheinungen im botanischen Bereich wendet er das Gepeinigtwerden ins Positive:

Camerarius 58. cent I = Aus dem Emblembuch Joachimi Camerarii Symbolorum Et Emblematum Centuriae: I. Ex herbis et stirpibus. [Heidelberg]: Typis Voegelinianis 1605, LVIII:

Fortis ab aduersis animus praeclarior extat
      Pondere sic pressus surgit acanthus humo.

Ein starker Geist tritt aus Unglück strahlender hervor.
      So erhebt sich der Akanthus, durch ein Gewicht gedrückt, vom Boden.

Dann folgen auf S. 37 noch Verse Alio sensu [In einem andern Sinn; d.h, mit weiteren Signifiants – Rebe, Eiche – und mit religiös-erbaulichen Deutungen:]

Lebendig erhitzt sich der Kalk vom darübergegossenen Wasser.
     Es wächst das Feuer vom zugesetzten Wasser des Schmieds:
Oft beschnitten liefert die Rebe oft schwere Trauben.
      Vom Südwind bedrängt, verankert sich die Eiche besser im Boden.
Gequält von gewalttätigen Herrschern, wurde die Gemeinde Gottes
      immer strahlender und strahlender:
Je mehr sie bedrängt wird, desto mehr erhebt sie sich wieder –
     Es erglüht im Unglück die Liebe zum Glauben.

(Dank an Thomas Gehring für die Übersetzungen!)

 ••• Die antike Mythologie ist allgegenwärtig. Sie wird von den Bearbeitern gedeutet und auch umgedeutet. Zwei Beispiele:

• Die schnellfüßige Atalanta würde nur einen Mann akzeptieren, der sie im Wettlauf besiegt; wer verliert, wird getötet. Einige Werber kommen dabei um. Hippomenes wird von Venus beschützt, die ihm drei goldene Äpfel schenkt, die er nach und nach während des Wettlaufs fallen lässt. Atalanta hebt sie auf und verspätet sich dadurch. (Ovid, Metamorphosen X, 560–681). Jean Baudoin (1590–1650) entwickelt aus der mythologischen Geschichte eine Allegorie: Du combat de l’Art auec la Nature.

Cette feinte [Täuschungsmanöver] nous semble proposer vne Allégorie bien remarquable du contraste de l’Art auec la Nature. Car il est certain que l’Art signifié par Atalante, se rend par sa propre force beaucoup plus prompt & plus habile que la Nature, s’il ne treuue [trouve?] point d'empeschement [Verhinderung] ny d’obbstacle, & qu’ainsi par la grande vistesse de son cours, il atteint le premier au but.

Jean Baudoin, Recueil d’emblemes diuers; auec des discours moraux, philosophiques, et politiques, tirez de diuers autheurs, anciens & modernes, Paris: Villery 1638.
> https://archive.org/details/recueildemblemes00bau/page/n5/mode/2up
> http://diglib.hab.de/drucke/lb-6-1b/start.htm

• Seit der ersten Ausgabe von Alciato kommt Ganymed vor, 1531 noch nicht namentlich genannt, nur als trojanischer Knabe. Bereits in der Pariser Ausgabe 1534 ist der Knabe in der Pictura angeschrieben mit GANYMEDES und reitet auf einem Adler. Beigegeben ist eine  Inschrift ΓΑΝΗΥΣΘΑΙΜΗΔΕΣΙ (falsch geschrieben für ΓΑΝΥΣΘΑΙ ΜΗΔΕΣΙ = ganysthai mēdesi; der Fehler hält sich von Auflage zu Auflage). Der Gebildete mochte sich an Xenophons »Gastmahl« erinnern, wo (Kap. 8) Ganymeds Name etymologisiert wird als ›der Glanzfrohe‹, ›geistfroh‹ oder ›süßen Geistes‹, und präzisiert wird, G. sei bei den Göttern nicht deshalb beliebt gewesen, weil er süßen Leibes gewesen sei.

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A34b032

Der Gebildete wusste ferner, dass mit senex Maeonius Homer gemeint ist, der in der »Ilias« 20,232ff. berichtet, dass die Götter den schönen Jüngling zu Zeus empor brachten, um ihm Wein einzuschenken; von einem Adler ist nicht die Rede. Aber bei anderen Autoren kommt immerhin ein Raubvogel vor: Bei Vergil liest man in der »Aeneis« (5.Buch, 255f.), dass Aeneas den Sieger eines Schiffswettkampfs beschenkt mit einem Mantel (chlamys), in den das Bild des königlichen Knaben eingewoben ist, den Jupiters Waffenträger (armiger) mit seinen Krallen hoch in die Luft hob. In der ersten deutschen Aeneis-Übersetzung von Thomas Murner (1475–1537) (Straßburg 1515) wird der Knabe namentlich genannt und die Art des Vogels auch: 

Es war in mantel auch gestickt
    wie sich da Ganimedes schickt
Uff Ida hoch dem grienen berg
    die hirtzen jaget vberzwerg
Als er mit lauffen schiessen thet/
    da jhn der adler gzucket het/
Mit schnellem flug/ vnd krummen clogen
[Klauen]
    in die höhe mit im gezogen …
 
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00002565/image_131

In den Texten der klassischen Antike steht, dass Ganymed von einem Adler in die Höhe getragen wurde:

Vergil, Aeneis 5, 252 ff. (Beschreibung der Bilder auf dem Mantel; nur: rapuit Iovis armiger) — Ovid, Metamorphosen 10, 152 ff. (ein ales … abripit Iliaden) — Apollodorus, Bibliotheca 3,141 — Hygin, Astronomica 2,16 (AQUILA. Haec est quae dicitur Ganymedem rapuisse et amanti Iovi tradidisse …)

In der Antike wurde Ganymed so dargestellt, dass er vom Adler gepackt wird:

[restauriertes] Relief aus weißem Marmor, 2. Jahrhundert u.Z.; Florenz, Palazzo vecchio, Bild aus der italien. Wikipedia

Texte und Bilder sind hier zusammengestellt :
> http://www.theoi.com/Ouranios/Ganymedes.html
> http://www.iconos.it/le-metamorfosi-di-ovidio/libro-x/giove-e-ganimede/immagini/

Die Szene erscheint so auch auf dem Bronzerelief des Tors von Filarete (St.Peter in Rom, 1435/45).

Bei Vergil heißt es von den Kränkungen der Göttin Juno: Es sind u.a. ihrem Gedächtnis eingeprägt die Ehren des geraubten Ganymed (rapti Ganymedis honores; Aeneis I, 28); der Illustrator der Vergilausgabe 1502 stellt das so dar:

Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis … expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis … Straßburg: Grieninger 1502; fol. CXXI rect

Auch Baltassarre Peruzzi stellt 1511 Ganymed in einem Zwickel der »Loggia der Galatea« in der Villa Farnesina (Rom) so dar:

Auf dem auf 1505/1515 datierten Holzschnitt, der Giovan Battista Palumba zugeschrieben wird, sieht das gleich aus:

(Ausschnitt; ganzes Bild hier > https://www.metmuseum.org/art/collection/search/648115 )

Woher hat der Illustrator der Alciato-Ausgabe 1531 die Idee, Ganymed auf dem Adler reiten zu lassen wie Nils Holgersson auf der Gans?

Interessant ist die deutsche Übersetzung des Texts von Alciato von Hunger 1542 (hier Emblem XXXII):
http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A42b032

In Deo laudandum – Sich erfrewen in Gott

Sih wie Ganymedes der knab
Auff ainem Adler zhimel far:
Mainst du das in Iupiter hab
zu aim buelen geraicht? nayn zwar*
Wer sein sin, gmuet, hertz gantz vnd gar
Legt allayn auff gœttliche ding,
Der lebt recht in der haylgen schar,
Also glaub das Homerus sing.

Mæonius wird gleich übersetzt als Homerus; der Adler ist, woher auch immer, selbstverständlich. Interessant ist vor allem die im lat. Text angebahnte vollkommene Umdeutung: Der antike Ganymed wird von einem Gott entführt — der Leser des Alciato soll selbst aktiv sich auf Gott ausrichten (* zewâre im älteren Deutsch: sich gegen eine Behauptung wendend; vgl. Grimms Wörterbuch). (Dies, wobei es durchaus stimmige christliche Konzepte zur Deutung gäbe: Wer ›geistfroh‹ ist, wird zu Gott emporgehoben.)

Dass Ganymed im Bild bei Alciato nicht vom Adler gepackt und zum Olymp getragen wird, unterstützt die Auffassung einer aktiven Gottessuche. Vielleicht kann man auch den Handgestus so deuten: ›Ich will nach oben‹. Dann wäre das Bild neu konzipiert und stünde im Dienst dieser Deutung.

Ludovicus van Leuven zeit die Gottesliebe auf einem Adler stehendhimmelaufwärts fliegen:

Amor divinus.
Ie suis celuy qui seul peut hereux faire viure,
Ie suis l’Amour diuin, vienne qui ne veut suivre.

Ludovicus van Leuwen, Amoris divini et humani antipathia, sive effectus varii, e variis sacrae scripturae locis deprompti. Emblematis suis expressi... Editio II aucta et recognita. Les effects divers de l'amour divin et humain richement exprimez par petits emblemes, tirez des SS. Escritures et des SS. Pères et illustrez par vers françois, espagnols et flamends, (Antverpiae) 1629
> http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb39338349v

Jacob Bornitius († 1625) bringt die beiden Gedanken des Reitens und der göttlichen Entführung zusammen.

SIC PORTARE SUOS DEUS ADSOLET — Vff Adlers Flügeln dich Gott führt/ Daß dich kein Gfahr/ noch Leid berührt.

Jacobi Bornitii († 1625) emblemata ethico politica, ingenuâ atque eruditâ interpretatione nunc primùm illustrata per M. Nicolaum Meerfeldt, Moguntiae [Mainz]: Bourgeat 1669; Sylloge I, Nr. xi. > https://archive.org/stream/jacobibornitiiem00born#page/n27/mode/2up

Diese hübsche Theorie wird freilich falsifiziert durch die Beobachtung, dass bereits Giulio Campagnola (1482 – ca.1517) einen reitenden Ganymed darstellt:

(Ausschnitt; ganzes Bild bei British Museum > http://tinyurl.com/yca2lqos )

 

••• Die Bibel gibt mitunter Material für Embleme ab. – Das Lemma NON APTUS REGNO DEI ist ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium 9,61f: VND ein ander sprach / HErr / Jch wil dir nachfolgen / Aber erleube mir zu vor / das ich einen Abscheid mache mit denen / die in meinem Hause sind. Jhesus sprach zu jm / Wer seine hand an den Pflug leget / vnd sihet zurück / der ist nicht geschickt zum reich Gottes. (Luther 1545) – Übrigens hat bereits Sebastian Brant die Torheit des zurückschauenden Pflügers schon verwendet (»Narrenschiff« VIII > https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n008.html)

Emblèmes ou devises chrestiennes, composées par damoiselle Georgette de Montenay, Lyon J. Marcorelle 1571. > http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8609568n/f1.planchecontact

Es ist wohl müßig, sich über den ›Realitätsgehalt‹ des Signifiant Gedanken zu machen. Dass Falter zum Licht fliegen und in der Kerzenflamme verbrennen, kann man beobachten. – Ebenso, dass die Magnetnadel immer in dieselbe Richtung zeigt. –  Dass der Biber sich die Hoden abbeißt, weil er weiß, dass der Jäger ihm deswegen nachstellt, kennt man (aus dem »Physiologus«), und so gibt es das emblematische Argument ab, das Irdische preiszugeben, um das geistige Leben zu bewahren. – Ob es Seejungfrauen mit Fisch-Unterleib gebe, ist bereits im 17. Jh. kontrovers diskutiert worden; aber als emblematische Pictura taugen sie durchaus. – Ebenso wusste man, dass Paradiesvögel nicht fußlos sind, dennoch fliegen sie munter so in den Emblemen herum. – Dass antike Mythen keine Faktizität abbilden, war wohl allgemein anerkannt. So schreibt Holtzwart (Emblematum Tyrocina 1581 zu Nr. XXXIIII, wo Pygmalion das Signifiant ist): Diß ist zwar ein Poetisch dicht | Es gibt dir aber dan [davon] bericht. – Noch deutlicher bei Tierfabeln, die gelegentlich als emblematische Pictura verwendet werden. – Auch die Konstruiertheit hat das Funktionieren des Emblems nicht beeinträchtigt. 

Signifié-Felder

  • Religion: Geheimnisse Mariæ, die Passion, das Abendmahl, Theodizee-Problem …
  • Moral: Sünden, Tugenden, Modetorheiten. Occasio & Fortuna,  usw.
  • Politik: Fürstenklugheit, Umgang mit Herrschaft und Macht, Krieg, …
  • soziale Beziehungen: Leben am Hof, Ruhm, Liebe, Freundschaft, Ehe, Erotik
  • u.a.m.
Vgl. das Bedeutungs-Register bei Henkel/Schöne , Sp.2029–2110.

Aufbau von Emblembüchern

• Die frühen Ausgaben von Alciato machen bezüglich der Anordnung der Stoffe einen ungeordneten Eindruck (oder wir modernen Interpreten erkennen die Struktur nicht);  der Bearbeiter Bartholomé Aneau († 1565) hat dem Buch in der Ausgabe Lyon: Roville 1548  eine Struktur von 12 Gruppen gegeben.

Johannes Köhler, Der "Emblematum liber" von Andreas Alciatus. Eine Untersuchung zur Entstehung, Formung antiker Quellen und pädagogischen Wirkung im 16. Jahrhundert, Hildesheim: August Lax 1986, S. 61ff. und 123–132.

• Die oben erwähnten XL emblemata miscella nova, Zürich 1622 sind alphabetisch nach den deutschen Lemmata geordnet.

• Wolfgang Helmhard von Hohberg, hat für seinen Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Das ist Der gantze Psalter in teutsche Verse übersetzt, sammt anhangenden kurtzen Christlichen Gebetlein. Da zugleich jedem Psalm eine besondere neue Melodey, mit dem Basso Continuo, auch ein in Kupffer gestochenes Emblema, so wol eine liebliche Blumen oder Gewächse, sammt deren Erklärung und Erläuterung beygefügt worden (Regensburg 1675) die 150 Psalmen in der Anordnung der Bibel gewählt, aus denen er je einen Vers wählt und ein Emblem daraus macht.  > http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb11290964-3

• Gelegentlich werden ganze Traktate an einem Emblem (mit dem Fachausdruck des Journalismus) ›aufgehängt‹, so z.B. in Saavedras »Idea de un principe politico christiano« (1640) oder in Erasmus Franciscis »Das Unfehlbare Weh der Ewigkeit für die Verächter der Gnaden-Zeit« (1686), wo die Emblembilder zu Beginn der einzelnen erbaulichen Betrachtungen stehen und dann mittendrin kurz anzitiert werden. Man hat hier den Eindruck, die Bilder dienten als Eye catcher.

• Umgekehrt gibt es auch den Fall, dass Embleme erst spät in ein bereits etabliertes Buch an mehr oder weniger passender Stelle eingefügt werden, so z.B. in Johann Arndts Büchern vom Wahren Christentumb (zuerst vier Bücher 1619, dann sechs Bücher 1612), wo die Embleme erst 1678/79 hinzukamen. Vgl. Dietmar Peil, Zur Illustrationsgeschichte von Johann Arndts »Vom wahren Christentum«, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 18 (1977), S. 963–1066.

• Die »Pia Desideria« des Hermann Hugo S.J. (1588 – 1629; erster Druck Antwerpen 1624) enthalten drei Abteilungen, die dem mystischen Modell der sog. ›Via triplex‹ entsprechen (Läuterungs-, Erleuchtung- und Einungsweg: via purgativa, illuminativa, unitiva). In der deutschen Übersetzung des Johann Christoph Hainzmann (1683):

Erstes Buch: Der Gottseligen Begirden: Das Klagen Der Büessenden Seel  (H.Hugo: Gemitus animæ pœnitentis)

Zweytes Buch: Der Gottseligen Begirden: Das Verlangen Der Heiligen Seel  (Vota Animæ Sanctæ)

Drittes Buch: Der Gottseligen Begirden: Das Seuffzen Der Verliebten Seel (Suspiria Animæ amantis)

Die Mikrostruktur der Embleme besteht aus einem Bibelzitat (entsprechend dem Motto); einem Bild; die Subscriptio enthält eine Elegie in lateinischen Distichen und eine Prosa-Kompilation von (in Fußnoten nachgewiesenen) Zitaten aus der Bibel und aus Kirchenvätern. ---- Der lutherische Übersetzer und Bearbeiter Erasmus Francisci (»Die geistliche Gold-Kammer« 1668) verändert diese Struktur: Nach dem Bibelzitat bringt er eine predigtartige Auslegung wie Hugo, dann aber ein Gebet und dann ein Lied, zu dem er die Singweise angibt. Michael Schilling* stellte fest, dass dieser Aufbau dem evangelischen Gottesdienst entspricht.

*) Michael Schilling, Der rechte Teutsche Hugo. Deutschsprachige Übersetzungen und Bearbeitungen der Pia Desideria Hermann Hugos SJ. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 70 (1989), S. 283-300.

Zeitgenössische Überlegungen

Auch ohne metatheoretische Reflexionen anzustellen oder begriffsgeschichtliche Studien treiben zu wollen, ist es interessant zu lesen, was die Zeitgenossen für Vorstellungen hatten. Einige ihrer Überlegungen können für uns Heutige anregend sein.

¶ Das Wort ist bereits antik. Quintilian regt an, gewisse Gemeinplätze (loci communes) oder Thesen bereitzuhalten, um sie bei einer passenden Gelegenheit in die Rede wie kunstvolle Einlagen einzufügen (… ut his velut emblematis exornarentur; inst. or. II, iv, 27). Damit ist die ›angewandte Emblematik‹ vorweggenommen.

¶ [Paolo Giovio, 1483-1552] Dialogo dell’imprese militari et amorose di monsignor Giovio, vescouo di Nocera; Con vn ragionamento di messer Lodouico Domenichi nel medesimo soggetto, Lyon 1559 (EA 1555) --- Die Stelle bei A.Schöne (1964), S.44

Aber bevor ich zu den Einzelheiten komme, ist es notwendig, dass ich ich die allgemeinen Voraussetzungen nenne, die erforderlich sind, um eine vollkommene Imprese zu machen. […] Wisset also, dass die Erfindung einer Imprese […] fünf Voraussetzungen (conditioni) erfüllen muss.

Als erste ein gutes Verhältnis von Seele [Motto] und Körper [Bild];

als zweites, sie darf nicht zu dunkel sein, von der Art, dass sie das Geheimnis der Sibylle als Deuter braucht, wenn man sie verstehen will; sie darf aber auch nicht so klar sein, dass jeder Plebejer sie versteht;

als drittes, dass sie vor allem einen schönen Anblick bietet, den man dadurch sehr beleben kann, dass Sterne, Sonnen, Monde, Feuer, Wasser, grünende Bäume, mechanische Instrumente, seltsame Tiere und phantastische Vögel dazukommen;

zum vierten: sie suche keine menschliche Figur;

die fünfte verlangt nach einem Wahlspruch, der die Seele des Körpers ist, und der gewöhnlich in einer anderen Sprache als in der des Impresenträgers erscheinen soll, damit der Sinn etwas verdeckt ist; er soll auch kurz sein, aber nicht so kurz dass der zweifelhaft wird.

¶ Petrus Sambucus schreibt im Vorwort (1564):

Was ein Emblem ist, sehen deshalb diejenigen nicht richtig, die jede Sentenz, Geschichte, abgenutzte Fabel in Schattenrissen, welche diese Dinge darstellen, oder jeden Ausspruch der Heroen, der in ein Epigramm gefasst wurde, für ein Emblem halten. Denn wer hätte in dieser Weise nicht die Gedanken der Dichter, die Fabeln, alle Beispiele aus der Geschichte, die Sprichwörter und Denksprüche dargestellt? Wenn ich also einen zur Hälfte beschnittenen Weinstock für einen nachlässigen Familienvater anführte, eine Mücke, die gegen einen Elefanten kämpft, für die Verwegenheit, einen Ziegelstein, den man wäscht, für vergebliche Arbeit, den Schwur des Curtius oder die Tat des Horatius für die Tapferkeit, und was,in dieser Art sonst noch von Valerius [Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia] und anderen verbreitet wird, ohne dass ich es durch Ergänzungen verdunkelte und zu übertragener Bedeutung erhöbe, wer würde es bewundern oder loben?

Deshalb werden meine Embleme gewählt und verblümt [ὀγκώδη: griech. ogkôdês  schwülstig] sein, sie sollen den Geist nicht weniger beschäftigen als jene dunklen und einzigartigen Geheimschriften der Ägypter und Pythagoreer. Aber diese Dinge werden nicht nach der Menge der Figuren und weniger nach ihrer Wirkung als nach der Kunstfertigkeit des ausführenden Künstlers beurteilt. Deshalb muss derjenige, der etwas Paradoxes ersinnen will und dem es darum geht, gelesen zu werden und sich einen angemessenen Nachruhm zu sichern, in allen Dingen etwas bewandert sein und im Hinblick auf das Wesen der jeweiligen Dinge ihre Form, ihre Ursachen und Eigenschaften ebenso beherrschen wie die Kunst des Bildermachens selbst: denn wer nichts Wohlschmeckendes erfindet, wird kein Feinschmecker.

Petrus Sambucus, Emblemata, cum aliquot nummis antiqui operis, Ioannis Sambuci Tirnauiensis Pannonii ex officina Christophori Plantini, 1564 (digital: http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/othertext.php?id=FSAb&t=1 – Übersetzung H.Homann 1971)

¶ Der Übersetzer von Alciato, Jeremias Held, schreibt (1566) eine Vorrede an den Günstigen Leser

Kunstbuch Andree Alciato von Meyland, beyder Rechten Doctorn, allen liebhabern der freyen Künst, auch Malern, Goldschmiden, Seidenstickern und Bildhauwern, jetzund zu sonderm nutz und gebrauch verteutscht und an tag geben, durch Jeremiam Held von Nördlingen, mit schönen, lieblichen, neuwen, kunstreichen Figuren geziert und gebessert. Franckfurt am Mayn, M.D.LXVI.

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/othertext.php?id=A67a&t=1

http://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:8:2-2004011

http://data.onb.ac.at/ABO/%2BZ155505304  (ÖNB)

 

Claude Mignault, Vorrede an den Leser in der Alciato-Ausgabe und Aufsatz SYNTAGMA DE SYMBOLIS (nach einem Druck Antwerpen: Plantin 1577) mit paralleler englischer Übersetzung und Anmerkungen von Denis Drysdall

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/Mignault_letter.html

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/Mignault_syntagma.html

 

Matthäus Holtzwart, Emblematum Tyrocinia, sive picta poesis Latinogermanica, das ist eingeblümete Zierwerck oder Gemälpoesy innhaltend allerhand Geheymnußlehren durch kunstfündige Gemäl angepracht und poetisch erkläret, Nun erstmals inn Truck kommen, Straßburg: B.Jobin 1581 --- Darin hat Johann Fischart einen Kurtzen und Woldienlichen Vorbericht von Vrsprung/ Namen vnd Gebrauch der Emblematen geschrieben. --- In der Ausgabe von Peter von Düffel / Klaus Schmidt, (RUB 8555–57), Stuttgart 1968 ›woldienlich‹ kommentiert.

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00028624/image_15

 

¶  Bei Tommaso Garzoni (1549–1589), »Piazza universale«, Venedig 1585 handelt der 9. Diskurs De Professori d’Imprese, et d’Emblemi ancora. Der Text wird 1619 das erste Mal ins Deutsche übersetzt (weitere Drucke 1626, 1641, 1659): Piazza vniversale, das ist: Allgemeiner Schauwplatz/ oder Marckt/ vnd Zusammenkunfft aller Professionen/ Künsten/ Geschäfften/ Händlen vnd Handtwercken/ so in der gantzen Welt geübt werden  … Gedruckt zu Franckfurt am Mayn/ bey Nicolao Hoffman/ in Verlegung Lvcæ Iennis, 1619. Hier ist der Titel: Von denen/ so künstliche vnd etwas andeutende Gemählt/ welche man Empresas nennet/ deßgleichen auch Emblemata erfinden. (In diesem Zusammenhang interessant ist auch der 28. Diskurs zu den Hieroglyphen.)

http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11053776_00145.html

http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/12942/177/0/

 

¶ Justus Georg Schottel, Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache. Braunschweig: Zilliger, 1663; Seite 1108:

Quelle: http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=drucke/ko-306 (zu image 01150 gehen)

Zu Schottel ausführlich Ingrid Höpel (1987), S. 165–190.

 

¶ Wenig Neues sagt Balthasar Kindermann in »Der deutsche Poet«, Wittenberg 1664 (S.660–673 von den Sinnbildern) – http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10116394_00698.html

 

¶ Der Übersetzer von Camerarius (Symbola 1654) schreibt 1671 in der Vorrede An den geneigten Leser

Gleich wie die Fabeln Æsopi und anderer/ wegen ihrer Anmuthigkeit/ überaus bequem sind der zarten Jugend einige gute Lehren und Moralien beyzubringen/ dadurch sie als spielend/ was nützlich und erbaulich ist/ fassen: Also sind hingegen die Sinn=Bilder/ da unter der Figur belebter oder lebloser Geschöpffe/ und deren mancherley Qualitäten und Eygenschafften/ viele gute Sitten=Lehren den älteren und erwachsenen beygebracht werden/ und solches mit nicht weniger Belustigung/ als durch die Fabeln und Apologos bey der zarten Jugend:

Es ist in solchen Sinn=Bildern/ wo sie wohl erfunden und ausgesonnen/ eine sonderbahre Scharffsinnigkeit und Judicium, dabey ist das Bild/ dadurch die Sache vorgestellet wird/ welches das Gemüth belustiget/ mit Erkäntnus natürlicher Dinge ausgezieret/ und die Sache selbst dem Gedächtnus so viel tieffer eindrucket. Dahero nicht nur die scharffsinnigste Ingenia solche Symbola und kluge Sinn=Bilder zu ihrer Belustigung und Abwechselung von wichtigen Geschäfften/ vor die Hand genommen/ sondern auch wohl grosse Fürsten in dergleichen Erfindung oder Betrachtung eine recht Fürstliche Lust gesuchet/ wie man denn des Philothei Symbola Christiana einem grossen Potentaten/ dem Teutschen Salomoni seiner Zeit/ der An. 1680 in die Ewigkeit eingetretten/ als dem Auctori will zuscheiben. [Als Autor des 1677 erschienen Emblembuchs gilt Kurfürst Karl II. (1651-1685, reg. 1680-1685).]

Es liegt auch solche Belustigung der Sinnen=Bilder nicht nur in der Erkäntnus so wohl derer Dinge/ davon sie entlehnet/ und derer Tugenden/ die dadurch vorgestellet werden/ sondern hauptsächlich auch in der mannigfaltigen Abwechselung/ die denen Menschlichen Gemüthern sonderlich angenehm ist/ indeme man bald Dinge vom Himmel und denen Sternen von oben herab/ bald aus dem Grund des Meers von  unten herauff/ bald aus der Lufft/ bald von Bäumen und Früchten/ bald von zahmen oder wilden Thieren/ bald von Geflügel/ bald von Gewürm/ oder kriechenden und fliegenden Ungeziefer/ bald von Künsten und Handwerckern/ und was nur mag erdacht werden/ genommen sind.

Man findet auch/ daß die uhrälteste Völcker/ als die Egyptier und andere/ sich in ihrer Welt=Weißheit/ und sonderlich der Sitten=Lehre de gleichen Bilder bedienet/ denen es Pythagoras nachgeahmet/ und in H.Schrifft selbst finden wir einige Spuhren/ da Jacob den Stamm Juda einem Löwen/ Naphtali einem Hirsch/ Benjamin einem Wolff/ Dan einer Schlange und Isaschar einem Esel vergleichet/ auch David des umbgekommenen Sauls und Jonathans Tugenden durch die Löwen=Stärcke und Adler=Schnelligkeit abbildet.

[Joachim Camerarius] Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, durch welche beygebracht und außgelegt werden die angeborne Eigenschafften, wie auch lustige Historien und Hochgelährter Männer weiße Sitten-Sprüch. Und zwar Im 1. Hundert: Von Bäumen und allerhand Pflanzen. Im II. Von Vier-Füssigen Thieren. Im III. Von Vögeln und allerley kleinen so wol fliegenden als nit fliegenden Thierlien. Im IV. Von Fischen und kriechenden Thieren. Vormahls durch den Hochgelährten Hn. Ioachimum Camerarium In Lateinischer Sprach beschrieben: Und nach ihm durch einen Liebhaber seiner Nation / wegen dieses Buchs sonderbarer Nutzbarkeit allen denen die in vorgemelter Sprach unerfahren seyn/ zum besten ins Teutsch versetzet, Maintz: Bourgeat 1671.
Nicht das schlechte (und unvollständige) Digitalisat der BSB benutzen, sondern dasjenige der
ÖNB oder noch besser dasjenige der UB Erlangen

¶ Jacob Friedrich Reimmann (1668–1743):#)

1. In einem Emblemate muß man mit kleinem Gemählde aufgezogen kommen / daß nicht ex historia naturali vel artificiali genommen sey. Denn ein Emblema ist ein Gemählde / darinnen ein Orator denen Zuhörern zu erkennen giebet / wie die Moralia auch in der Natur und Kunst gegründet sind. Und dannenhero.

2. Muß kein Mensch / ausgenommen in solchen Stand / da die Natur über seine euserliche Actiones das Commando hat. Z. E. in Kranckheit / Kindheit / Schlaffe / Tode u. d. g. darinnen vorgestellt werden. Denn das Emblema gehet sonderlich dahin / daß der Auditor aus denen Bildern der Natur soll überzeiget werden. Und weil er sich erinnert daß ein gesunder Mensch viliberi arbitrii sich in allerhand Posituren verkleiden kan; so kömmet er dem Redner hinter die Geheimniße und mercket / daß er mehr als die Natur vor das Gemählde gesorget habe.

3. In der Pictura muß Veritas, Raritas & Claritas beysammen seyn / wenn sie den Zweck des Emblematis erreichen soll.

4. Die Umschrifft muß auf das Physicum so wohl als auf das Morale ein Auge haben. Denn darum wird sie hinzugefüget / daß der Auditor den Accord von beyden Theilen erkennen soll.

etc.: Im Lemma kein Imperativ; es muss sich auf die Ralität wie auf die Moral applicieren lassen.

Jacob Friderich Reimmanns Poesis Germanorum Canonica & Apocrypha. Bekandte und Unbekandte Poesie der Teutschen, Darinnen im I. Theile die bekandten und gemeinen Canones von der Deutschen Elocution, Metro und Rythmo, imgleichen von dem Genere Jambico, Trochaico und Dactylico kürtzlich entworffen und mit curieusen Exmpeln erleutert. In dem II. Theile die unbekandten und biß dato noch von niemand untersuchten Grund-Reguln von denen Carminibus Emblematicis, Symbolicis, Hieroglyphicis, Parabolicis, Mythicis und Paradigmaticis deutlich und leichte vorgetragen, und mit unterschiedlichen Exemplis bewehret worden, Leipzig: König 1703, S. 85ff.
> Digialisat der SLUB Dresden

Zedlers Grosses vollständiges Universal Lexikon (Bd. 37 [1743], Sp. 1690f.) bringt unter dem Stichwort »Sinnbild« eine Definition – ein Konglomerat aus den Theoretikern, das immerhin die wichtigsten Momente nennt:

Sinnbild, Latein. Emblema, Symbolum, Frantz. Embleme, Devise, ist ein Gemählde, welches in einem Bilde, und wenig beygesetzten Worten, einen verborgenen Sinn erweiset, welcher zu fernerem Nachdenken veranlasset. Das Bild wird für den Leib, die Schrifft für die Seele eines Sinnbildes geachtet, weil jedes mancherley und offt widerwärtige Deutungen haben kan, die aber durch die Überschrifft oder das Beywort unterschieden und beschräncket werden. Der Grund beruhet auf einer Gleichheit die zwischen dem Bilde und dem vorgebildeten Sinn gefunden wird, und werden die Sinn-Bilder vor die besten gehalten, da das Bild ohne die Abschrifft, und dieses ohne jenes nicht kan verstanden werden. Das Bild wird von Dingen der Natur und Kunst, aber selten aus einer Geschichte, es sey denn dieselbe durchgehends bekannt, genommen. Die Abschrifft soll kurtz und sinnreich seyn; wenn sie aus einem berühmten Poeten entlehnet, und geschickt angebracht wird, sie sie so viel angenehmer. Sinnbilder werden gebraucht, allerhand Tugend-Lehren, geheime Bedeutungen, tieffsinnige Gedancken, vornehmlich aber rühmliche und vortreffliche Thaten vorzustellen, daher sie nicht nur auf dem Papier, allwo sie zuweilen mit einer ausführlichen Rede, oder einem kurtzen Gedicht erkläret werde, sondern auch auf Müntzen, Ehren-Pforten, Denck- und Grabmahlen statt finden. […] Diese Kunst ist zu unsern Zeiten mächtig ausgearbeitet, und in gewisse Lehr-Sätze eingeschräncket worden, wovon unter andern zu lesen Harsdörffer in seinen Gespräch-Spielen […]. Was den Ursprung der Sinnbilder anbetrifft, so glauben einige, daß die Säulen, welche gleich nach der Sündfluth aufgerichtet worden, schon mit Thieren und andern Figuren bezeichnet gewesen. Sicherer aber ist es, daß die Sinn-Bilder bey den Egyptern gebräuchlich gewesen, daher Diodorus Siculus, Tacitus, Lucanus und andere, sie vor die Urheber bezeugen. […]

> zum Digitalisat.

Vorläufer / Parallelen

Die Gattung des Emblems ist aus verschiedenen Vorgängern zusammengewachsen, deren Züge stets latent sind und immer wieder hervortreten.

••• (Unbebilderte) Texte, die ein antikes Bild oder Ding oder eine narrative Szene oder eine mythologische Figur ... pointiert beschreiben oder so ein Bild-Potential enthalten, das re-aktualisiert (Bässler 2012) werden kann. Dabei handelt es sich um verschiedene Textsorten: Epigramme, Bibelzitate, Tierfabeln, Exempla, Anekdoten, mythographische Literatur, u.a.m. – Zu diesen Texten gibt es gelegentlich schon Illustrationen, die dann von den Emblematikern übernommen werden.


••• Ein wichtiger Vorläufer und Kon-Kurrent ist die Impresen-Literatur und die Heraldik im 16. Jahrhundert. Gelegentlich schimmern diese Ahnen noch durch.

Louis XII (1462–1514) hatte als Devise: Cominus et eminus (de près comme de loin – handgemein wie auch in Schussweite).

Das symbolische Vorbild für das Wappentier ist das Stachelschwein (lat. Hystrix; frz. Porc-épic, engl. Porcupine), das sich sowohl einigeln als auch seine Stacheln von sich zu schießen vermag (vgl. Plinius, hist. nat. VIII, lii, 125).

Das Wappen war sinnigerweise auf Kanonen des Königs angebracht – eben eine Fernwaffe, die im 16. Jh. entscheidend weiterentwickelt wurde. Vgl. die Foto by PHGCOM > https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9434845

Camerarius übernimmt das Stachelschwein in seine Emblemsammlung (II, 84); der Kupferstecher hat auch die Krone mit abgebildet, was Camerarius dann im Kommentar mit Bezug auf den französischen König erklärt. Camerarius zieht statt Plinius einen anderen antiken Autor bei: Claudius Claudianus (4. Jh.), Carmina minora, Carmen 9 De hystrice > http://penelope.uchicago.edu/Thayer/l/roman/texts/Claudian/Carmina_Minora*/animals.html (mit engl. Übersetzung)

In der deutschen Übersetzung 1671 lauten das Lemma und das Epigramm:

In der Näh’ und auch von Weiten/
Kan ich meinen Feind bestreiten.

Gleich wie das Stachel-Schwein von Nahem und von Weiten/
Mit seinen spitzen Pfeiln die Feinde kan bestreiten/
So sol ein Ober-Herr mit Raht und guten Waffen/
Gerüst und mächtig seyn dem Lande Hülff zu schaffen.


Joachim Camerarius, Symbola et emblemata (1590–1604), / deutsche Übersetzung 1671; II, lxxxiv. 

Literaturhinweis speziell zum Stachelschwein: Nicole Hochner, Louis XII and the porcupine: transformations of a royal emblem, in: Renaissance Studies Vol. 15, No. 1 (2001), S.17–36.

Eine Sammlung von Impresen europäischer Regenten hat angelegt Salomon Neugebauer (bezeugt 1611–1654), Selectorum Symbolorum Heroicorum Centuria Gemina, Francofurti: Iennis, 1619 > https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/58926/1

••• Die Emblematiker selbst bezogen sich gerne auf die Hieroglyphen-Deutung der Renaissance-Autoren seit der Publikation des sog. »Horapollo« (Erstausgabe des griech. Texts, ohne Bilder: Venedig: Aldus 1505.)

Willibald Pirckheimer (1470–1530) hat vor 1514 für Kaiser Maximilian I. (1459–1519) eine mit 70 Bildern versehene lat. Übersetzung des Horus Nylicus angefertigt: »Hieroglyphicon liber I et liber II introductio cum figuris«. — Die (teilweise im Original überlieferte) Handschrift der kk Hofbibliothek = jetzt ÖNB 3255 ist digitalisiert > http://data.onb.ac.at/rec/AL00167715

Wenn in der bebilderten Ausgabe De la signification des notes hiéroglyphiques des Aegyptiens, c'est à dire des figures par les quelles ilz escripvoient leurs mystères secretz et les choses sainctes et divines Orus Apollo, de Aegypte, nouvellement traduict de grec en francoys [par Jean Martin] et imprimé avec les figures chascun chapitre …, Paris: Jacques Kerver 1543  ein emblematischer Aufbau erkennbar ist, so ist dies möglicherweise schon ein Reflex von Alciatos Buch.
Digitalisat: http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb30895511v

Vgl. dann: Pierio Valeriano, (1477–1558): Hieroglyphica, Sive De Sacris Aegyptiorum Aliarumque Gentium Literis Commentarii libri LVIII. – Digitalisat der Ausgabe Basel 1556: http://www.e-rara.ch/bau_1/content/titleinfo/927158

Hier ein Beispiel, das eine dreiteilige Struktur hat.  Aus der frühen deutschen Übersetzung: Bildschrift Oder Entworffne Wharzeichen dero die uhralten Ägypter in ihrem Götzendienst  an statt der buochstäblichen schrifften gepraucht habend. Inn zwei bücher durch etwa Horum ein Heylig geachten Priester in Ägypten, vor dreytausent jaren verfaszt, und beschriben, in: [Johannes Herold], Heydenweldt vnd irer Götter anfängklicher vrsprung …, Basel: Henrich Petri 1554.
> http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?PPN=PPN83296350X&DMDID=DMDLOG_0043

Literaturhinweise:
http://www.emblematica.com/en/cd08-horapollo.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Horapollo

Karl Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance…, Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses XXXII, 1915, S. 1–218. –  http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/jbksak1915/0005

Ludwig Volkmann, Bilderschriften der Renaissance. Hieroglyphik und Emblematik in ihren Beziehungen und Fortwirkungen, Leipzig: Hiersemann 1923.

George Boas, The Hieroglyphics of Horapollo [englische Übersetzung], Princeton University Press 1950.

Horapollo, Zwei Bücher über die Hieroglyphen; in der latein. Übers. von Jean Mercier nach der Ausg. Paris 1548; bearb., mit einer dt. Übers. vers. und kommentiert von Helge Weingärtner; hrsg. von Thomas Specht (1997); 2. Aufl. Erlangen: Specht 2005.

••• Alciato – genaugenommen: der Illustrator der ersten bebilderten Ausgabe bei Steiner in Augsburg – hatte im Hinterkopf auch Druckersignete wie das von Aldus, Froben, Cratander, Wolff – bei den zuletzt genannten dreien sind diese bereits Bild-Text-Verbünde. Mehr dazu auf unserer Website hier.

Anja Wolkenhauer, in: Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.) Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik (Mikrokosmos Band 65),  Frankfurt/M.: P.Lang 2002, Band 2, S. 845–866.

Anja Wolkenhauer: Zu schwer für Apoll. Die Antike in humanistischen Druckerzeichen des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden, Otto Harrassowitz 2002.

Beispiel:
Die Occasio-Figur auf der Druckermarke von Andreas Cratander, Basel 1519:

http://www.e-rara.ch/bau_1/content/pageview/577935

ist früher als im Emblembuch von Alciato 1531:

https://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A31a017

 

••• Einer der ganz großen Spezialisten für Bild-Text-Verbünde war Sebastian Brant (1457–1521). Zu erinnern ist an seine illustrierten Ausgaben des Boethius, des Aesop, des Freidank und des Vergil:

• Boetius de Philosophico consolatu, siue de consolatio[n]e philosophiae cum figuris ornatissimis nouiter expolitus, Argentinae: Grüninger 1501.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00001880/images/?nav=1&viewmode=1

• Esopi appologi sive mythologi cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant [Impressi Basilee], [Anno 1501].
> http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-5600

• Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis … expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis … Straßburg:  Grieninger 1502. —
Digitalisate:
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/vergil1502
> http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00001879/images/?nav=1&viewmode=1

• Der Freydanck, Hrsg. v. Sebastian Brant, [Straßburg: Grüninger], [1508]
> http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00007937/images/

In Brants »Narrenschiff« (1494) sind die einzelnen Kapitel bereits ebenso dreiteilig aufgebaut wie in den Alciato-Emblemen 1531. Beispiel:

Vgl. http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n057.html

Digitalisat des NS: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00036978/image_5

Auch die satirischen Schriften von Thomas Murner (1475–1537) enthalten proto-emblematische Bild-Text-Verbünde: Die »Schelmenzunft (1513) wie die »Geuchmat« 1519:

 

Beachte den Kommentar hier und den auf das Bild folgenden Text : http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025698/image_62

••• Auch andere Layouter experimentieren mit mehrteiligen Bild-Text-Verbünden, so z.B. 1511 Adam Petri in Basel, der in einem Buch jedem Holzschnitt oben eine Kapitelüberschrift und unten ein vierzeiliges Epigramm beigibt.

Daniel Agricola, Vita Beati (Basel: Adam Petri 1511). Ein Emblembuch avant la lettre. Fotografischer Nachdruck des lateinischen Werks mit synoptischer Beigabe einer neuhochdeutschen Übersetzung sowie der Transkription des frühneuhochdeutschen Drucks, hg. von Seraina Plotke, Basel: Schwabe 2012.
Vgl. http://www.ub.unibas.ch/cmsdata/spezialkataloge/poeba/poeba-002710918.html

••• Im selben Jahr wie Alciatos Emblembuch, 1531, druckt der Verleger Steiner/Steyner in Augsburg eine deutsche Übersetzung von Ciceros »de officiis«:

Officia M. T. C. Ein Buoch/ So Marcus Tullius Cicero der Römer/ zuo seynem Sune Marco. Von den tugentsamen ämptern vnd zuogehörungen eynes wol vnd rechtlebenden Menschen/ in Latein geschriben/ Welchs auff begere Herren Johansen von Schwartzenbergs &c. verteütschet/ Vnd volgens/ Durch jne in zyerlicher Hochteütsch gebracht/ Mit vil Figuren vnnd Teütschen Reymen/ gemeynem nutz zuo guot in Druck gegeben worden. Augspurg: Heynrich Steyner MD.XXXI.

Das Buch ist mit Holzschnitten des sog. Petrarcameisters versehen (siehe unten bei 1532), denen oberhalb jeweils Verse beigegeben sind; unterhalb folgt dann der Prosatext Ciceros.

Ein Beispiel (Cic. off. I, 40, 143ff. / Fol. XXXIV verso): In der Lebensführung soll alles in einem ausgewogenen Verhältnis sein. Schickliches Benehmen beinhaltet, sich den Umständen gemäss aufzuführen, z.B. bei ernsten Gesprächsthemen nicht leichtfertig zu reden, auf dem Forum nicht zu tanzen, bei Gericht oder in einer Versammlung nicht zu singen etc. Nun folgt ein Vergleich: Wie beim Saiten- oder Flötenspiel der geringste Missklang vom Fachmann bemerkt wird, so muss man im Leben auf das Zusammenstimmen (sonorum concentus) der Handlungen achten.

Das Bild realisiert den Vergleich: das Zusammenspiel zweier Instrumentalisten; darüber stehen die Verse

Den falsch der sayten bald vernimpt/
Ein Harpffenschlaher/ den daz zimpt.
Solch gleichnis manchen menschen schent/
[≈ tadelt]
Der seyn gebrechen nit erkennt.

Ein Jahr später, 1532, druckt Steyner das gewichtige, lange vorbereitete, aus der Konkursmasse von Grimm und Wirsung übernommene Buch

Franciscus Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück/ des guten vnd widerwertigen […]. Augspurg: H. Steyner MDXXXII. Den Texten sind ebenfalls Holzschnitte des Petrarcameisters beigegeben. Die Bild-Text-Struktur ist: Kapiteltitel — Bild — Text. Vgl. die Analyse eines Kapitels hier: http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/petrarkameister.html

Bereits 1539 erfolgt eine neue Ausgabe (mit flüssigerer deutscher Übersetzung): Das Glückbůch, Beydes deß Gůten und Bösen: Darinn leere und trost, wess sich menigklich hierinn halten soll. Durch Franciscum Petrarcham vorm. im lateinisch beschriben und yetz grüntlich verteutscht und mit schönen Figuren gezieret, Augspurg: H. Steyner MDXXXIX. > Digitalisat hier

Hier wird zwischen Kapiteltitel und Holzschnitt ein lateinisches Distichon mit einer deutschen Übersetzung in Knittelversen eingeschoben, so dass ein dreiteiliger Aufbau entsteht (wenn man den Titel dazu nimmt: ein vierteiliger). Diese Verse stammen (genäß Vorrede) von Johann Pinicianus (1478–1542). Gelegentlich entsteht zwischen Text und Bild ein änigmatisches Spannungsverhältnis wie in der zeitgenössischen Emblemtheorie mitunter angedeutet.

1534 erscheint bei Steiner das »Büchle Memorial«, das verschiedene Teile enthält und mehrere Auflagen erfährt. Die Buchseiten sind öfters nach dem dreiteiligen Aufbau eingerichtet. Allegorische Bezüge zwischen Bild und Text kommen kaum vor.

Das Büchle Memorial, das ist ein angedänckung der Tugend/ von herren Johannsen vonn Schwartzenberg/ yetz säliger gedächtnuß, etwo mit Figuren und reümen gemacht [Augsburg: Heinrich Steiner, [Erstausgabe 1534]

Ein Beispiel hier: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00029340/image_259

Die Mächtigkeit der Tradition

Was ein Emblem ist, wissen heutzutage nur noch wenige Spezialisten der Frühneuzeit. Die Mächtigkeit der Tradition ist kaum vorstellbar. Die Blütezeit der Emblematik fällt in die Jahre 1580 bis 1730. Die Autoren stammen aus ganz Europa und aus beiden Konfessionen. Die Texte sind in der überwiegenden Zahl lateinisch.

Einen Eindruck vermitteln zeitgenössische enzyklopädische Sammelwerke, dicke Wälzer im Folioformat, z.B.

Filippo Picinelli (ca. 1604–1677) MUNDUS SYMBOLICUS, in Emblematum Universitate formatus, explicatus, et tam sacris, quam profanis eruditionibus ac sententiis illustratus: subministrans Oratoribus, Prædicatoribus, Academicis, Poetis &c. […] conscriptus a reverendissimo domino D. Philippo Picinello, Coloniæ Agrippinæ MDCLXXXI = 1681 (Erstausgabe 1653) – Reprint der Ausgabe Köln 1687 (Emblematisches Cabinet 8), Hildesheim:
> https://archive.org/stream/mundussymbolicus00pici#page/n7/mode/2up
> https://www.e-rara.ch/cgj/content/pageview/3305026

Jacobus Boschius S.J., Symbolographia, sive de Arte Symbolica, Augsburg / Dillingen 1701. –  Reprint  Graz: ADVA 1972.
> http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/boschius.html

Allein die  Münchener Datenbank – https://embleme.digitale-sammlungen.de/emblmaske.html – umfasst mehr als 2'000 Einheiten! Daly schätzt aufgrund von Recherchen in elektronischen Bibliothekskatalogen die Zahl auf 6’500 Bücher, wobei freilich Neuauflagen und dergl. wegzurechnen sind.

Um einen Eindruck dessen zu bekommen, was ein Gebildeter damals an Metaphern / Allegorien / Emblemen / Devisen – sei es um einen poetischen Text zu schreiben, sei es um einen zu verstehen – nachschlagen wollte und auch was an theoretischen Überlegungen angestellt wurde, muss man zur Kenntnis nehmen das mehr als tausend-seitige (bilderlose!) Buch von

Jacob Masen, SJ (1606-1681): »Speculum Imaginum Veritatis Occultae« (übers. ›Spiegel der Bilder verborgener Wahrheit‹; erste Ausgabe Köln 1650).
> http://books.google.ch/books?id=RDZOAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Sorgfältiges Digitalisat der Ausgabe 1681 bei MATEO:
> http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/masen.html

Bei Masen gibt es beispielsweise ein Kapitel De natura Emblematis eiusque a reliquis figuratis imaginibus, distinctione.  Dies ist EDV-lesbar bei
http://www.uni-mannheim.de/mateo/camena/masen6/books/masenspeculum_7.html
– Es wäre für die Kenntnis der Emblem-Theorie ein vorzügliches Erkenntnisinstrument. Allein die Frage: Wer liest das bei den rapide zunehmenden Latein-Kenntnissen an den sog. Philologischen Fakultäten heutzutage?

Emblematik als Auslaufmodell

Das Allegorische (und mit ihm die Emblematik) kommt im 18. Jahrhundert aus der Mode.

Der Rhetoriklehrbuchverfasser Friedrich Andreas Hallbauer:

Nachdem haben die emblemata dermassen überhand genommen, daß man ganze emblematische Reden zu halten angefangen, und also in der That einen Maler, nicht aber einen Redner abzugeben. Es ist ja wol keine Kunst, aus einer emblematischen Schatz=Cammer so viel emblemata zu schreiben, und durch die Formel, jener mahlete, zusammen zu hengen, als zu einer Rede nötig ist: allein desto grössere Schande ists vor dem Redner, wenn er nur spielet, pinselt, mahlet, fremde Schildereyen, nicht eigene gute und nützliche Gedancken vorbringt.

M. Friedrich Andreas Hallbauers Der Hochlöbl. Philosophischen Facultät zu Jena Adivncti Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie; Nebst einer Vorrede von Den Mängeln Der Schul-Oratorie, Jena: Verlegts Johann Bernhard Hartung, 1725
> http://digital.slub-dresden.de/id366303228
1728 > https://digital.lb-oldenburg.de/vd18/content/titleinfo/625517

Oder der Predigttheoretiker Rudolph Graser O.S.B. (1728–1787):

Mancher Prediger meint, mit gefirnißten Tandeleyen, ich weis nicht, was für einen Witz zu zeigen. Aber das ist der evangelischen Einfalt zuwider; und dienet zu nichts, als dem Zuhörer, schon im Eingange, den Kopf zu verwirren. Noch weiter verwerflich sind alle schematische oder alle allegorische Hauptsätze, die vor fünfzig, vor hundert und mehr Jahren allgemeine Mode gewesen sind; und das beste Zeugniß ablegen, was für eine Barbarey in der Beredsamkeit die Kanzeln der Kirche damals verwüstet hat. Einen schematischen oder allegorischen Hauptsatz aber heißt man einen solchen, darinnen die Sache, wovon unsre Predigt handlen soll, verblümt, gleichnißweise, oder unter einem Sinnbild, vorgetragen wird. Von dieser Art sind alle jene Hauptsätze, die ich in einem gewissen Prediger gefunden, der zu Anfang dieses Jahrhunderts […] und vielleicht dazu noch mit gutem Ruhme geprediget hat. [Er meint Ignaz Ertl, aus dessen Predigtsammlung »Sonn- und Feyer-Tägliches Tolle Lege« er nachher zitiert.] Dieser gute Mann war ein recht geschworener Liebhaber von solchen schematischen Kinderpossen; wie man sich durch den Augenschein selbst überzeugen kann, wenn man sich nur die Mühe geben will, folgende Hauptsätze zu lesen, die ich mich aus seinem Dominicale und Festivale heraus zu ziehen und hieher zu setzen überwunden habe. Ich liefere sie meinem Leser zu einer poßierlichen Aufmunterung. [Es folgen Beispiele.]

Vollständige Lehrart zu predigen oder wahre Beredsamheit der christlichen Kanzel nach der Vorschrift der berühmtesten Redner Frankreich und Deutschlands in gründlichen Regeln verfaßt von P. Rudolph Graser, Benedictiner zu Crembsmünster in Oberösterreich, und zur Zeit Seelsorger auf dem Lande. Augsburg, verlegts Matthäus Rieger und Söhne, 1768. S.133.


Einige Beispiele

Wir halten es nicht mit Mephistopheles, der zum Studenten sagt: »Zuerst Collegium Logicum. Da wird der Geist Euch wohl dressiert, In spanische Stiefeln eingeschnürt, …« Sondern bringen zuerst Anschauungsmaterial.

Zu beachten sind vorerst einmal die verschiedenen Darbietungsformen und Bedeutungen desselben Signifiants, sodann die ›longue durée‹. Weitere Dinge werden unten wieder aufgenommen.

(1) Kindererziehung

Matthias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, sive picta poesis Latinogermanica, das ist eingeblümete Zierwerck oder Gemälpoesy innhaltend allerhand Geheymnußlehren durch kunstfündige Gemäl angepracht und poetisch erkläret, Nun erstmals inn Truck kommen, Straßburg 1581. – Deutsche Texte von Johann Fischart --- Holzschnitte von Tobias Stimmer. [< tirocinium = Rekrutenschule; metaphorisch: Probestück, erstes Auftreten] -- Hg. Peter von Düffel / Klaus Schmidt, (RUB 8555–57), Stuttgart 1968. 

Digitalisat: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00028624/image_7

Emblema II. Liberos in iuuentute flectendos
Die Kinder soll man auß der wiegen her meistern.

Dein Sun solt jnn der Jugent ziehen
Wan du begerest zuentfliehen
Das er deim alter nicht sey schwer
An jhm villeicht erlangst vnehr.
Dan sich ein junger zweig last biegen
Wie du wilt nach all dem beniegen
[zu deiner vollen Zufriedenheit]
Wan aber er wachst zu eim baum
So magst ihn mehr gebiegen kaum.

Hier wird eine Gesetzmäßigkeit aus der Natur (junges Holz ist noch biegsam) bezogen auf die menschlichen Lebensalter; dabei kann das Wort ›jung‹ stehenbleiben, während ›biegsam‹ in der Bildempfängerwelt metaphorisch verstanden werden muss.

Das Emblem scheint beliebt gewesen zu sein.  Der Zürcher Conrad Meyer (1618–1689) verehrt einen Kupferstich Einer zartblühenden Jugend ab der Burgerbibliothek für das 1650 Jahr.

Lemma: Jung gebogen, recht gezogen. – Epigramm: Die lieben Kinderlein den Zweiglinen nacharten, weil sie zubiegen seind, eh sie zu alt erharten usw.

 

(2) Harmonie im Staatswesen

Diego de Saavedra Fajardo  (1584–1648), Idea de vn principe politico christiano rapresentada en cien empresas ... 1640. – Hier aus:  Ein Abriss eines Christlich-Politischen Prinzens In CI. Sinnbildern und mercklichen Symbolischen Sprüchen/ gestalt von A. Didaco Saavedra Faxardo […], Zu Amsterdam bey Johan Janßonio, dem Jüngeren 1655.

http://www.fondiantichi.unimo.it/fa/emblem01/elenchus.html

http://www.emblematica.com/es/cd01-saavedra.htm

MAIORA MINORIBVS CONSONANT

Symbolum LXI.

Eine Harpfe/ welches ein Musicalisches werck ist/ zeuget klärlich die Aristocratiam an/ welche<s> auß der Monarchischen herrschung und Democratica entstehet. Der verstandt hat den vorsitz/ unterschiedliche finger haben den befehl/ und die menge der seiten [Saiten] die gehorsamen; und scheinen wie Völcker zu sein/ welche vntereinander einig seind/ vnd vber ein stimmen nit zu eins jeder eigener wolfahrt/ sonder der gemeine wollergehen/ als<o> daß die größte mit der kleinesten/ vnd die kleinesten mit der grösten vber ein stimmen. Eine Gemeine ist ein solcher Harpfen gleich/ in welcher auß langer vbung vnd erfahrung wil das etzliche vorstehen/ andere gehorsamen [usw., es folgt ein längerer Traktat zum Thema].

Vgl. Dietmar Peil, Emblematische Fürstenspiegel im 17. und 18. Jahrhundert: Saavedra – Le Moyne – Wilhelm, in: Frühmittelalterliche Studien 20 (1986), S. 54–92.

Dietmar Peil, Concordia discors. Anmerkungen zu einem politischen Harmoniemodell von der Antike bis in die Neuzeit, in: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, hg. von Klaus Grubmüller / Ruth Schmidt-Wiegand / Klaus Speckenbach (Münstersche Mittelalter-Schriften 51), München 1985. S. 401–434.

Der Bildspender stammt aus einem technologischen Bereich. Es werden zwei Teilbereiche beigezogen: (1) Beim Musizieren ›regiert‹ der Verstand die Finger, ebenso gibt es im Staat Regierende und Gehorchende. (2) Bei der Harfe gibt es lange und kurze Saiten, die zusammen harmonieren; ebenso müssen im Staat unterschiedliche Volksgruppen ›harmonieren‹.

(3) Je niedriger – Je voller

Johann Arndt, »Vier Bücher vom Wahren Christentumb« [1605/09, 1612 zu 6 Büchern erweitert; viele Neuauflagen]; die Embleme zuerst in der Ausgabe Riga 1678/79.

Vorzüglich erschlossenes, gutes Digitalisat einer Ausgabe von 1702: http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/dms/werkansicht/?PPN=PPN665803222

Das Andre Buch, Cap. XXI.

(Das Kapitel ist dem Thema ›Von der Kraft der edlen Tugend der Demut‹ gewidmet. Bibelvers dazu: Judith 9,13: Es haben dir die Hoffärtigen noch nie gefallen; aber allezeit hat dir gefallen der elenden und Demüthigen Gebett. Das wird zunächst kurz erörtert, dann folgt [in den späteren Ausgaben] das Bild.)

Hier sind Korn-Aehren auf dem Feld, da die niedrigsten die völlesten sind, und das beste Korn haben; da hingegen die Aehren, die hoch und aufrichtig stehen, leer sind, oder taub Korn haben. Also je niedriger und demüthiger ein Mensch ist, je völler ist er von der Gnade Gottes: da hingegen die Stoltzen und Hochmüthigen gantz leer von der Göttlichen Gnade, und vielmehr dem Herrn ein Greuel sind.

Sirach Cap. III, Vers 10.

Der Herr ist der Allerhöchste, und thut doch grosse Dinge durch die Demüthigen.

Je mehr ein Gottes-Mensch sich mit dem Hertzen beuget,
Vor dem, aus welchem alles Gute quillt;
Je mehr er von sich zeuget,
Daß er mit Gnad und Segen angefüllt.
Ein Welt-mensch aber, der sein freches Haubt erhebet,
und allezeit
Gern oben schwebet,
Verräth die Grösse seiner Eitelkeit […]

Vgl. Dietmar Peil, Zur ›angewandten Emblematik‹ in protestantischen Erbauungsbüchern [Dilherr – Arndt – Francisci – Scriver], Beihefte zum Euphorion, Heft 11, Heidelberg: Winter 1978. 
> Zum Download: https://epub.ub.uni-muenchen.de/4900/1/4900.pdf

Die  Regularität, dass die Schwere der fruchttragenden Ähren den Halm beugt, wird zwei Mal mittels Metaphern in den geistigen/geistlichen Bereich übertragen: ›voller Gnaden sein‹ und ›gebeugt sein‹ (als somatischer Ausdruck der Demut). Dass die Ursache-Folge-Beziehung im Bildspenderbereich (volle Ähren > gebeugt sein) genau umgekehrt ist als im Bildempfängerbereich (Demut > voller Gnade), scheint nicht zu stören.

Die Bild-Idee ist älter:

Bereits Nicolaus Taurellus (1547–1606) schreibt im Vorwort seiner »Emblemata Physico-Ethica« (1595): Als ich einmal durch die Felder spazierte …, sah ich unter vielen Halmen, die herabhingen und zu Boden gebeugt waren, einen, der sich ganz empor aufreckte  und sich stolz (superbiens) erhob. Die Ursache dieses Unterschieds habe ich leicht erkannt, denn dieser war wegen seiner leeren (inanis) Hülsen leichter, jene aber wurden durch ihre volleren Ähren beschwert (aggraverentur). Wir sehen draus, dass nicht  gewichtiges (gravis) Wissen, sondern eingebildete Gelehrsamkeit (falsa eruditio) hochmütig (suberbus) macht. (Hinweis bei A.Schöne, 2.Aufl 1964, S.27). – Taurellus verwendet das Gleichnis dann im Inneren des Buches als Emblem > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00028629/image_66

Der Text im Vorwort tönt wie eine Gelegenheits-Andacht (s. unten). So ganz glaubt man Herrn Öchslin (Taurellus) die Geschichte, wie er durch allegorische Auslegung der Naturbeobachtung völlig spontan auf das Emblem gekommen sei, nicht …

Montaigne verwendet die Bild-Idee im Zusammenhang der ihn umtreibenden Problematik der Vielwisserei und des wahren Wissens in der »Apologie de Raimond de Sebonde« (Essais; Livre II, Chapitre XII, Erstausgabe 1580):

L’ignorance qui estoit naturellement en nous, nous l’avons par longue estude confirmée et averée. Il est advenu aux gens veritablement sçavans, ce qui advient aux espics de bled : ils vont s’eslevant et se haussant la teste droite et fiere, tant qu’ils sont vuides ; mais quand ils sont pleins et grossis de grain en leur maturité, ils commencent à s’humilier et baisser les cornes. — Texte en numérique: https://fr.wikisource.org/wiki/Page:Montaigne_-_Essais,_%C3%89d_de_Bordeaux,_2.djvu/162

Die Unwissenheit, die von Natur in uns ist, haben wir durch lange Forschung bestätigt und erwiesen. Es ist den wahrhaft gelehrten Menschen ergangen, wie es den Kornähren ergeht: Sie erheben sich und schießen mit stolz aufgerichtetem Kopf gerade in die Höhe, solange sie leer sind; doch sind sie in ihrer Reife voll und schwer von Körnern, so fangen sie an demütig zu werden und die Hörnchen zu senken. (Übersetzung von Herbert Lüthy, Zürich: Manesse 1953, S. 445)

Auch Montaigne hat das Bild nicht erfunden. Er hat es von einem seiner Lieblingsautoren: Plutarch (im Essay »Quomodo quis suos in virtute sentiat profectus« Wie man seinen Fortgang in der Tugend bemerken könne):

Die Ackerleute sehen die Ähren, die sich legen und zur Erde neigen, am liebsten; die aber wegen ihrer Leichtigkeit gerade in die Höhe stehen, halten sie für leer und täuschend. So besitzen auch unter den Jünglingen, die sich der Philosophie widmen, diejenigen die größte Frechheit, die noch leer sind und keine Schwere haben; ihr ganzes Betragen, ihr Gang, ihre Mienen sind voll Übermut und Verachtung, die keinen Menschen schont. Sobald sie aber anfangen, die Früchte der philosophischen Lehren einzuernten und davon angefüllt zu werden, legen sie allen Hochmut und Einbildung ab. (Buch I, Nr 5;  in Kaltwassers Übersetzung Band I, S. 244ff.)

Auch Florens Schoonhoven (1594–1648) verwendet das Emblem: Inscitia semper arrogans –  Der Unverstand ist immer anmaßend.

Emblemata Florentii Schoonhovii I.C. Goudani, partim moralia partim etiam civilia. Cum latiori eorundem ejusdem auctoris interpretatione, Gouda: A.Burier 1618; Nr. LXXXIII. > https://archive.org/details/schoonhoviigouda00scho 

(4) Actaeon biblisch kontextualisiert

Mirantische Maul-Trummel Oder Wohlbedenckliche Gegen-Säze böser, und guter Begirden … Mit schönen Sinnbilderen … durch F. LAURENTIUS von Schnüffis … Zu Costanz in Verlag Leonhard Parcus. Anno 1696.

Die Kapitel beginnen mit einem Lied (mit Noten), dann folgt ein Kupferstich mit Bild und Text, dann eine Elegia, die den Text des Lieds aufnimmt und weiter über mehrere Strophen hin ausführt, die mit Anmerkungen (Quellenverweise) versehen sind. Beispiel 2.Teil, Nr. 7:

Der Vorwurff/ wie bekant/ die Sinn
  Mit schlechter Mühe beweget/
Diß lehret täglich uns die Spinn/
  Die sich so lang nicht reget/
Biß sie in ihrem Gärnlein sicht
  Das Fliegen-wildbräth hangen/
Wie sie hervor dann eilends bricht/
  Gereizt von dem Verlangen.

Der Kupferstich zeigt die Szene, wo Actaeon, nachdem er auf der Jagd Diana gesehen hat, in einen Hirsch verwandelt und von seinen Hunden zerfleischt wird. (Ovid: Metamorphosen III, 137–252; Ovid nennt keine Schuld Actaeons). Bildunterschrift: Actæon vidit, sed amara sorte Dianam.  Actæon in dem sehen frech/ theür zahlen müest der augen zech. Text im Bild: Heu visa interimit (Weh, die Gesehene [i.e. Diana] bringt um!).

Die Elegia ist betitelt: Die Begierd deren augen ist under allen Sinnen der gefährlichste/ indeme er die meiste Menschen in das Verderben führt. Oculus meus depraedatus est animam meam. Mein Aug hat mir meine Seel geraubt. Thren.3.v.51. (Klagelieder 3,51)

In der 2./3. Strophe wird das Bild des Spinnennetzes nur noch knapp aufgenommen (Nez; Strick). Dann werden die Triebkräfte genannt: Gold, Geiz und weitere Exempla, biblische wie heidnisch-antike: der Dieb Achan (Josua 7); Sampson, der sich in Delila vergaffte (Richter 16); Eva, die die verbotene Frucht betrachtete; David, dessen Augen sein Herz zum Ehbruch angereizet (2Sam 11); Holofernes, der Judiths Schönheit bestaunt (Judith 10); die geilen Richter bei Susanna (Daniel 13). Es folgen Sprichwörter: Der Todt steigt in das Herz hinein nur durch die Augen-fenster (Jerem 9,21); si nescis, oculi sunt in amore duces (Properz, Elegien II,xv,12); Hermann Hugo, »Pia desideria« II,5 – ohne dass auf die Spinne oder Actaeon zurückgekommen würde.

(5) Der Winter und das Greisenalter

Franciscus Reinzer, S.J., Meteorologia philosophico-politica, in duodecim dissertationes per quaestiones divisa. Nunc Denuo Ad Multorum Desiderium In Lucem Correctior Edita, Augusta Vindelicorum 1709. – Meteorologia Philosophico-Politica, Das ist: Philosophische und Politische Beschreib= und Erklärung der Meteorischen / oder in der oberen Lufft erzeugten Dinge; In zwölff zerschiednen […] wie auch mit zugleich untermischten schönen Sinn=Bildern gezierten Abtheilungen sonderbahren Fleisses ehedem verfasst durch den Ehrw. P. Franciscum Reinzer, S.J. […]. Anjetzo […] in das Teutsche übersetzt. Augsburg: Jeremias Wolff 1712.

Digitalisat: http://archive.org/stream/philosphicopolit00rein#page/n4/mode/1up

Die Kapitel bei Reinzer haben folgenden Aufbau: Im Abschnitt Frage wird der naturkundliche Befund des Phänomens dargeboten; es geht um die in der obern Luft erzeugten Dinge (das meint griech. metéōros ›in der Höhe befindlich‹; freilich kommt Reinzer dann auch auf Erdbeben und Vulkanismus zu sprechen). Als Quelle dient oft der Ordensgenosse Athanasius Kircher. – In der Politischen Schluß=Rede (Conclusio politica) wird der Befund moralisch appliziert; wobei Autoritäten aus Antike und Neuzeit zitiert werden. Hier steht auch der Kupferstich mit gestochenem Lemma. – Am Ende des Kapitels werden die Text-Teile des Emblems wieder aufgenommen, und es wird ein versifiziertes Epigramm angefügt.

Siebende Abdeilung, Die V. Frage: Von dem Schnee. (S. 204–208; Emblem Nr. 43). Hier wird bei der Frage erklärt, wie der Schnee entsteht; woher die weiße Farbe des Schnees kommt (von untermischter Luft/ die leichtlich nachgibt/ verursacht); weshalb die Schneeflocken sechs Strahlen haben; welche Wirkungen der Schnee hat (er verschliesset die Lufft=Löcher der Erde/ und verhindert/ das die Wärme verschwinden kan; daß der Schnee der Fäulung und Verwesung trefflich widerstehet), wenn im Winter viel Schnee fällt, treiben die Pflanzen umso besser aus.

Das Bild zeigt eine Winterlandschaft; es schneit:

In der Politischen Schluß=Rede wird der Winter – buchstäblich etwas an den Haaren herbeigezogen – auf das Greisenalter bezogen. Der Text ist eine Anthologie von Zitaten zum Alter. Einige Beispiele: Das Alter ist der Lebens=Winter. Der ist ein Kind von hundert Jahren/ welcher auf dem weisen [weißen] Haupt den Winter träget/ und in Sitten sich als ein Kind erweiset. – Der Berg Ætna brennet/ ohngeachtet sein Gipfel mit Schnee bedecket ist. Im Alter blühen die in der Jugend gepflanzten Tugenden und tragen Früchte. Diejenige/ so reiff an Klugheit/ und geschmückt seynd mit Ernsthafftigkeit sind eine Zierde des gemeinen Wesens. Usw.

Lemma und Epigramm lauten:

Candore refloret – Deckt schon der Schnee | Grünt doch der Klee.

Hat schon der kalte Schnee die Erde überhüllet/
   Und einen weissen Rock den Feldern angelegt;
Bleibt sie mit Kräfften doch zum Wachsthum angefüllet/
   Wann alles wider bald in volle Blüth ausschlägt.
Je mehr die graue Haar um Kinn und Scheitel schweben;
Je mehr erneure du dein tugendhafftes Leben.

Literaturhinweis: Christoph Meinel, Natur als moralische Anstalt. Die Meteorologia philosophico-politica des Franz Reinzer, S. J.; ein naturwissenschaftliches Emblembuch aus d. Jahre 1698, in: Nuncius. Annali di Storia della Scienza 2 (Firenze: Olschki 1987), S.37–94. – http://epub.uni-regensburg.de/13333/ (PDF 19 MB)

(6) Das Sieb trennt Gutes von Schlechtem

Die Bildlichkeit ist alt, das Wort dafür: sieben, niederdt. sichten. Vgl. die Stellen in der Bibel: Ich wil das haus Israel unter allen heiden sichten lassen, gleich wie man mit einem sieb sichtet. Amos 9, 9 – Der Satanas hat ewer begert, das er euch möcht sichten, wie den weitzen. Luc. 22, 31. Der technisch ähnliche Vorgang zur Trennung von Korn und Spreu heißt worfeln Jes 27,12 – Ruth 3,2 – Matth 3,12.

Das beim Trennvorgang durch das Sieb Fallende ist das Wertlose (die Spreu, lat. palea), das im Sieb Bleibende das Wertvolle (das Korn, granum). Durch Sieben kann aber auch das Unerwünschte zurückgehalten werden, z.B. beim Sieben von Milch oder Tee. — Die Beispiele sind chronologisch angeordnet.

• Erstes Beispiel:

Ein Gedankengang bei Cicero (de officiis I, iii, 10 bis iv, 11) ist der: Um pflichtgemäß handeln zu können, muss man bei zwei zur Wahl gestellten ehrenhaften Möglichkeiten feststellen können, welche die ehrenhaftere ist. In der Übersetzung von Johann Freiherr von Schwarzenberg (1463–1528; vgl. die bibliograph. Angabe unten): so vns zwey erbare dinge fürgehalten werden/ sollenn wir bedencken/ welich das erbarst […] ist. – Jedes Lebewesen weicht naturgemäß dem aus, was ihm schadet. Im Unterschied zum Tier, das nur aufgrund sinnlicher Eindrücke (sensus) wählt, urteilt der Mensch mit Verstand (ratio). Schwarzenberg: Vnd ist zwyschen den menschen vnnd den thieren die höchst vnderscheyd/ das/ das thyer allein durch seyne synne/ zuo dem/ das jme bey vnd gegenwertig ist/ bewegt wirt […]/ Aber der mensch/ ist taylhafftig der vernunfft/ dadurch er alle vrsach beschawet.


Das Bild des Petrarkameisters (erschienen 1531) zeigt allerdings nicht einen Trennvorgang von mehr oder weniger ehrenhaften Handlungen, sondern eine Trennung von Mensch und Tier (repräsentiert in den Köpfen). Es scheinen die beiden Gedankengänge (Unterscheidung der mehr oder weniger ehrbaren Güter / Unterscheidung der Wahrnehmung bei Mensch und Tier) von Cicero vermengt worden zu sein.

Man kann ferner rügen, dass bei seinem Aussiebungsakt der ungleichen Köpfe die größeren, gröberen – nämlich die Tierköpfe – durchs Sieb fallen, während die feineren Menschenköpfe obenauf bleiben. Nun: Die gedachten mentalen Größen entsprechen halt nicht den visuell darstellbaren physischen. (Kleine Eselsköpfe wären ja irgendwie auch nicht denkbar.)

Die Überschrift (schon ganz emblem-artig) lautet:

Merck unser aller höchste zier/
Ist das vernunfft zwing böß begir.
Vnd scheidt allein dich mensch vom thier.

Officia M. T. C. Ein Buch So Marcus Tullius Cicero der Römer zu seynem Sune Marco. Von den tugentsamen ämptern vnd zugehörungen eynes wol vnd rechtlebenden Menschen in Latein geschriben, Welchs auff begere Herren Johansen von Schwartzenbergs etc. verteütschet Vnd volgens Durch jne in zyerlicher Hochteütsch gebracht. Mit vil Figuren vnnd Teütschen Reymen gemeynem nutz zu gut in Druck gegeben worden, Augspurg: Steyner 1531. Fol. IIIr
> http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00010109/images/

• Zweites Beispiel:

Die »Devises heroiques« von Claude Paradin (nach 1510–1573) erscheinen zuerst Lyon, De Tournes 1551. Hier ist das Sieb graphisch freigestellt: das Bild zeigt nur das Wesentliche.

(In der Ausgabe 1557 p. 145 > http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FPAb096 )

Der Text besagt, dass mit dem Sieb die ehrlichen Menschen gemeint sind, die es verstehen, das gute Wissen vom schlechten zu trennen:

Par le Crible, sont entendus les gens de bien, lesquelz, comme le Crible purge le bon blé des mauvaises greines, aussi savent ils bien discerner le bon savoir d’avec le mauvais, ce que ne font pas les mechans, qui le prennent sans cribler. 

Bild aus der der Ausgabe Devises heroiques et emblemes de M. Claude Paradin; Reveues & augmentees de moytie par Messire Francois d'Amboise. Paris: Rolet Boutonne, 1621 [Erstausgabe 1614] > https://archive.org/stream/devisesheroiques00parad#page/189/mode/1up

In der erweiterten (ampliata) Ausgabe von Cesare Ripas »Iconologia«, Siena 1613, erscheint die Distintione del Bene, et del Male (p. 194ff.) ausgerüstet mit einem Sieb. Die Idee stammt gemäß Text dem Emblembuch von Claude Paradin.

> https://archive.org/stream/iconologiadicesa00ripa#page/n209/mode/2up

• Drittes Beispiel:

Jean Jacques Boissard 1593:  Hier wird auf die Durchlässigkeit für Flüssigkeiten fokussiert: Der Undankbare ist wie ein Sieb: Durch die Maschen fließen ganze Flüsse, die man hineinleert, einfach hinweg.

XXXIII. INGRATITUDINE LANGUET AMICITIA.
Die Freundschaft ermattet durch Undankbarkeit.

 

OFficium ingratus nullo qui foenore pensat,
Orchomeni faciles non habet ille Deas.
Sed cribro similis: per aperta foramina cuius
Integra si fundas flumina, tota fluent.

The ungrateful man who repays a service without any interest [nullo faenore ≈ ohne Rückerstattung], does not have the favour of the goddesses of Orchomenus.* Rather he is like a sieve [similis cribro]: though the open holes of which if you pour entire rivers, they will flow right away. * The Charities or Graces, who had a cult at Orchomenus

Mit den drei weiblichen Gestalten links könnten die Grazien gemeint sein, welche Güter austeilen, vgl. den Artikel bei Hederich > http://www.zeno.org/Hederich-1770/A/Gratiae?hl=gratiae – Ist die Personifikation rechts mit dem Sieb die Ingratitudo (Undankbarkeit)?

Iani Iacobi Boissardi Emblematum liber, Francofurti ad Moenum: Theodore de Bry, 1593. > Scan und engl. Übersetzung > http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FBOb033

Hier die französische Übersetzung aus Jean Jacques Boissard, Emblemes ... mis de Latin en françois, 1595:

Qui des biens-faicts receus a gousté les merites,
Et ne les recognoit, au moins de volonté,
Il a le coeur ingrat, il se monstre eshonté,
Et rejette, taquin, la faveur des Charites.
Au crible comparé, dont les rondes limites
Qui estendent un fond deça delà persé,
Foibles ne pourroyent pas d’un grand fleuve versé
Retenir un moment les gouttes plus petites.

> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FBOc033

• Viertes Beispiel:

Johann Mannich (*1580) verfasst 1625 ein Emblembuch. Darin bringt er das Sieb im Zusammenhang mit Matthäus 3,12: Und er hat seine Wurfschaufel in der Hand: er wird seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheune sammeln; aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer. (Luthers Übersetzung 1545) – Der moralische Rat ist, sich selbst zu reinigen, bevor Gott es dann im Endgericht tut.

Prodesse in Tempore discas (Matth. III, V. 12)

So mach ich rein
Die Tennen mein.

Durch das Sieb das hie gmalt im Schildt
Der Jüngste Tag wird abgebildt/
Wie in dem dreschen gmeinglich gschicht/
Daß man gut vnd böß Träid da sicht:
Also gehts in der Welt gemein/
Daß gut vnd böß beysammen seyn.
[…]
Wer nun klug/ hie sein Tenn purgier/
Daß jhn dort Gott nicht reformier/
Vnd werffe in den Pful hinein/
Da ewig ach vnd klag wird seyn.

Sacra Emblemata LXXVI In Quibus Summa Unius Cuiusque Evangelii Rotunde Adumbratur. Das ist Sechsundsibentzig Geistliche Figürlein in welchen eines jeden Evangelii Summa Kürtzlichen wird abgebildet, Norimbergae: Sartorius 1625. > http://diglib.hab.de/drucke/389-1-theol-1s/start.htm


• Fünftes Beispiel:

Charles Musart (1582–1653) empfiehlt 1633 mit dem Sieb-Emblem den Studenten, die Kameraden sorgfältig auszuwählen. Hübsch ist das Wortspiel (eine Paronomasie) im Lemma: delige quos diligas (≈ wähle aus, die du schätzen kannst).***


Aus dem Epigramm-Text: Miscentur passim bonis mali, non est aliter hic Mundus; vt in areis grana & paleæ […]. Magnâ hic arte opus, vt deligas, quos diligere sine nocumento possis, sumasque tibi eos, quorum consortione euadas melior. Mercurius ipse, licet calliditate valeat, vix hîc valet satis; Salomone opus est. – 

Übersetzung: Es mischen sich überall mit den Guten die Schlechten, nicht anders ist diese Welt; wie auf den Tennen Korn und Spreu [...]. Grosse Sorgfalt ist hier nötig, dass man <solche> auswählt, die man ohne Schaden lieben kann, und sich die <zu Freunden> nimmt, durch deren Gesellschaft man besser herauskommt / wird. – Merkur* selbst, obwohl er mit Schlauheit Einfluss nimmt, wirkt hier kaum genügend; Salomon**  ist nötig.

 * der antike für seine Schlauheit berüchtigte Gott (mit Flügelhelm; seinen Stab Caduceus hat er niederlegen müssen, um das Sieb zu halten); 
** Salomon steht für die biblische Weisheit – vgl. den Titel des Buches
(Dank an Thomas Gehring für die Übersetzungshilfe!)
*** Das Wortspiel hat Musart nicht erfunden; vgl. Dilegere oportet, quem velis diligere (Rhetorica ad Herennium IV, xxi, 29: Es ist nötig, einen zu wählen, den du gern haben wirst.)

Zu Details des Bilds: Die auszusortierenden Kameraden werden allegorisch als Tierköpfe dargestellt. Die drei Tiere im Sieb sind die drei positiv bewerteten (Schaf, Schwan, Hirsch), die auf den Boden fallenden die drei negativ bewerteten (Pfau, Bock, Keiler):

Die Füße des Pfaus, der sich stolz zur Sonne dreht, berührt das bescheidene Schaf mit gesenktem Kopf. Der geile Bock stinkt in der Nähe des Ufers, wo der reine Schwan schneeweiß ist. Selbst der durch seinen Zahn bedrohliche Keiler schreckt in den Wäldern, in denen sich der Hirsch*, wenn er auch gehörnt ist, doch unschwer zähmen lässt.

        * Dem Kontext und dem Bild entsprechend: cervus statt corvus

Die gemeinsame Umgebung ([Bauernhof]; Ufer; Wald) entspricht der Mischung der guten und bösen Menschen in der Gesellschaft.

Die drei negativen Eigenschaften könnte man den drei Lastern Superbia (Pfau), Voluptas (Bock) und Ira (Keiler) zuordnen.

Wählt der Jüngling rechts aus der von Merkur vorsortierten Menge?

Quelle: Adolescens academicus sub institutione Salomonis. Autore R.P. Carolo Musart S.J., Duaci: Typis Baltazaris Belleri 1633 [Stecher Martin Baes]
> https://archive.org/details/adolescensacadem00musa

• Sechstes Beispiel:

In Johann Arndts »Büchern vom Wahren Christentumb« (zuerst vier Bücher 1619, dann sechs Bücher 1612), wo die Embleme erst 1678/79 hinzukamen, steht ein Sieb-Emblem im 2.Buch, 53.Capitel zum Thema Trost wider die hohen geistlichen Anfechtungen (Emblem Nr. 37):


Das Rüttelen säubert.

Hier ist ein Sieb, wodurch das Geträyde, wenn es gerüttelt, und geschüttelt wird, von dem Staub und anderm Unflath gesäubert wird; Also, obwohl ein Christ auf Gottes Zulassung von dem Satan, als wie der Wäitzen durch allerhand Anfechtungen gesichtet wird, so muß es ihm doch gut seyn, weil er dadurch nur desto mehr von den noch anklebenden Lastern gesäubert wird.
Hebr. Cap. XII. v.10.

Gott züchtiget uns zu Nutz, auf daß wir seine Heiligung erlangen
[folgt Gedicht]

Hier aus: Des hoch-erleuchteten Theologi, Herrn Johann Arndts, ... Samtliche Sechs Geistreiche Bücher Vom Wahren Christenthum. Das ist: Von heylsamer Busse, hertzlicher Reue über die Sünde, wahren Glauben, auch heiligen Leben und Wandel der rechten wahren Christen. Neue Auflag mit Kupferen, Samt Richtigen Anmerckungen, kräfftigen Gebätteren über alle Capitel, und einem sechsfachen Register, Zürich, in Bürcklischer Truckerey getruckt 1746.

In einer Auflage des 19.Jh. wird das ursrpünglich auf das emblematische Objekt konzentrierte Bild naturalistisch kontextualisiert:

Erbauliche Sinnbilder. 56 Bilder mit Reimdeutungen und Bibelsprüchen entnommen den alten Ausgaben von Johann Arndt’s wahrem Christenthum. Neu gezeichnet von J. Schnorr, Stuttgart: Steinkopf 1855.
> http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10269352_00007.html

• Siebentes Beispiel zum Sieb:

Abraham a Sancta Clara (1644–1709) findet in seinem von Berufen ausgehenden Buch »Etwas für Alle« Platz, eine Predigt aus einem Sieb-Emblem zu entwickeln:

Motto: Durchsiebung des Getreids.

Epigramm:
Fas[s]t mit dem Gedächtnis-Siebe
   reine Weißheit-Körner ein;
   so wird in dem Hertzen seÿn
Welt-Verachtung, Himmels-Liebe,
   und die Güte wird bewahren
   den, der lässt das Böse fahren.

Etwas für Alle/ Das ist: Eine kurtze Beschreibung allerley Stands- Ambts- Gewerbs-Persohnen/ Mit beygedruckter Sittlichen Lehre und Biblischen CONCEPTEN, Durch welche der Fromme mit gebührendem Lob hervor gestrichen/ der Tadelhaffte aber mit einer maässigen Ermahnung nicht verschonet wird; Anderer Theil/ Allen und Jeden heilsamb und leitsamb/ auch so gar nicht ohndienlich denen Predigern/ Definitiorem und Provincialem. Verlegt und mit Kupffern vermengt Durch Christoph Weigeln/ Kupfferstechern und Kunsthändlern in Nürnberg/ gegen der Kayserl. Reichs-Post über zu finden. Würzburg, Martin Frantz Hertz für Christoph Weigel, 1711; S. 193–200.

• Achtes Beispiel:

Hier geht es ebenfalls um die Distinctio boni et mali. Das Lemma besagt (übersetzt): Die Fruchtbarkeit eines reichbestellten Ackers bringt die Frucht samt Zinsen wieder. Schlechter Samen lässt, ausgestreut, auch Früchte vermissen. Das Epigramm schweift dann vom Gedanken des Siebens ab und bringt das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matth. 13,24f.) ins Spiel. (Der geflügelte säende Teufel ist im Hintergrund erkennbar.)

Unterscheidung deß Guten vom bösen.

Auf gute Saat folgt gleiche Frucht,
der Feind des Unkrauts Wachsthum sucht. 

Des berühmten Italiänischen Ritters, Cæsaris Ripæ, allerleÿ Künsten, und Wissenschafften, dienlicher Sinnbildern, und Gedancken, Welchen jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget. dermahlige Autor, und Verleger, Joh. Georg Hertel, in Augspurg [ca. 1760]; Nr. 49.

• Neuntes Beispiel:

Karikatur über die Kommissionsarbeiten an einer Bundesrevision in der Schweiz 1833. Das Sieb = die Verfassung von 1815 taugt offenbar für diese Aufgabe nicht.

Federzeichnung von Heinrich von Arx (1802-1858)
> https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kommissionsarbeiten_Bundesurkunde_1815_-_Heinrich_von_Arx.jpg

• Zehntes Beispiel:

Der bedeutende Karikaturist Fritz Boscovits (1871–1965) verwendet die Sieb-Symbolik noch ganz emblematisch im »Nebelspalter« zum 13. April 1913 zum Thema Proporzwahl:

Quelle: http://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=neb-001:1913:39#2534

Erläuterung: Im Proporzwahlsystem werden (im Gegensatz zum Majorzsystem) die Mandate unter die Parteien im Verhältnis der auf jede Partei entfallenden Stimmen verteilt. So erhalten auch kleine Parteien ein angemessenes politisches Mitwirkungsrecht, was der nach 1848 in der Schweiz dominierenden Freisinnigen Partei nicht passte. (Vgl. Peter Gilg in HLS > http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D26454.php) Eine Volksinitiative für die Proporzwahl des Nationalrates wurde in der eidgenössischen Abstimmung vom 23.10.1910 knapp abgelehnt.

Im Sinne der Befürworter des Majorzsystems formuliert der Text zur Karikatur:

Das neue Sieb wird allerseits gefallen,
Wenn just die Besten sind hindurchgefallen.

Hier fallen also paradoxerweise die Guten durch die Maschen und die Schlechten bleiben im Sieb. (Um welche Wahl es sich gehandelt hat, ist schwer festzustellen; vielleicht eine bernische Oberrichterwahl 1913.)

 

• Weitere Beispiele:

Rechtveerdighe Sifte [≈ Durchsiebung] / Verclaringhe van Ivstitia, Adriaen van de Venne Amsterdam 1618. Digitalisat des British Museum > https://tinyurl.com/haj6cad

Cribratio amoris (8) in Ludovicus van Leuven, Amoris divini et humani antipathia (1629) > http://emblems.let.uu.nl/ad1629_1_008.html

Typus mundi (1627) > http://emblems.let.uu.nl/tm1627020.html

 

Ein ganz andere Bedeutung hat das Sieb hier:

Cesare Ripa, Nova iconologia. Paduva: Paolo Tozzi 1618
> https://archive.org/details/novaiconologia00ripa

Die Vestalin Tuccia, des Inzests angeklagt, trägt Wasser in einem Sieb als Beweis ihrer castitas (Valerius Maximus VIII, i, abs.5; Augustinus de civitate Dei X,16)

(7) Wie Motten um das Licht

Anhand der Regularität ›Die Motte / Mücke / der Schmetterling fliegt ins Licht und versengt sich dabei‹ lässt sich schön die Tradition eines Bildspenders zeigen. – Vgl. Henkel / Schöne (1967) Sp. 910f.

(a) Konrad von Megenberg, Buch der Natur III F, 9

Isidorus spricht, daz der prem daz lieht liep hab, alsô daz er sich pei weilen verprenn an ainem prinnenden lieht. aber daz tuot ain ander vögäll, daz haizt man ain fewrsteln und ist sam ain veivalter gestalt. – Vgl.
Isidor, Etym XV,x,3: Papiliones … haec sunt aviculae quae lumine accenso conveniunt, et circa volitantes ab igne proxime interire coguntur.

(b) Der Minnesänger Graf Rudolf von Fenis  (Ende 12. Jh.), MF 82,19:

Ir schœnen lîp hân ich dâ vor erkennet,
er tuot mir als der viurstelîn daz lieht.
diu vliuget dâr an, unze sî sich gar verbrennet.
ir grôziu güete mich alsô verriet.

(c) Francesco Petrarca (1304 – 1374), Sonett Nr. 19:

Son animali […] et altri, col desio folle che spera gioir forse nel foco perché splende, provan l’altra vertú, quella ch’encende.

(d)  Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611; unter dem Titel: Sinn-Bilder, (Bibliophile Taschenbücher 378), Dortmund 1983. – I, 40 vgl. I, 64.

Motto: Cosi vivo piacer conduce a morte – So lebe ich vom Vergnügen zum Tode geführt.  – Digitalisat: https://archive.org/stream/nucleusemblematu00roll#page/n5/mode/2up

Der Hintergrund der Pictura (besser: eine zweite Bildebene, die tut, als wäre sie Hintergrund) zeigt links ein Paar bei Lautenmusik und Wein, rechts eine Duellszene.

(_) Lux Evangelica sub velum sacrorvm emblematvm recondita in anni Dominicas : selecta historia & morali doctrina varie advmbrata / per Henricvm Engelgrave Societatis Iesu, 1648 --- Pars I, Emblem Nr. XLI

A longe (Luc 17,12): auf weitem Abstand (bleiben)

Tetigisse, perisse est. ≈ dem Ort nahe gekommen sein bedeutet ins Verderben geraten sein (vgl. Job 4,9)

https://archive.org/details/JSH.31962001408883Images/page/n4/mode/1up

(e) Johann Arndt, »Vier Bücher vom Wahren Christentumb« [1605/09]; die Embleme zuerst in der Ausgabe Riga 1678/79. Emblem Nr. 10 zum 1.Buch, Cap. 16

Hier ist zusehen ein brennend Licht auf einem Leuchter, um welches ein paar Nachtfalter oder Licht=Mücken herum fliegen, welche, wenn sie dem Licht zu nahe kommen, sich verbrennen; wie unten am Leuchter schon eine liegt, die sich, weil sie dem Licht zu nahe kommen, verbrandt hat. Hiemit wird abgebildet, daß gläubige Christen der Welt zwar gebrauchen können, aber ihr nicht zu nahe kommen müssen; das ist, sie nicht mißbrauchen noch lieben sollen, also wodurch man das ewige Leben wieder verschertzen kan. (Text nach der Ausgabe Zürich 1746)

(f) Erasmus Francisci, Erinnerung der Morgenröte/ Oder Geistliches Hanen-Geschrey. An die vertieffte Hertzen im Schatten deß Todes: vermittelst drey und sechtzig Aufmunterungen menschlicher Seelen/ zu wahrer ernstlicher Bekehrung/ von der Sünden-Nacht/ zum Aufgang aus der Höhe ... / angestimmet durch Erasmum Francisci, Nürnberg: Endter 1672. – I. Buch, Nr. 10:

Ezech. 33.v. 11. Warum wollet ihr sterben?
Die Mucke bringt sich selbst in grosse Todes=Pein/
Indem sie an das Liecht/ betrogen durch den Schein/
ach langem Spielen/ fleugt. So stürtzt sich ins Verderben
Der Mensch; da GOtt nicht will/ daß Jemand solle sterben.

In den darauf folgenden 20 Oktavseiten langen Expektorationen findet sich der einigermaßen passende Satz: Höre doch/ du eitler Mensch/ der sich in Lüsten verdirbt/ warum wilt du sterben/ von deinem süssen Gifft der vergänglich-schnöden Wollust? welche dich nur deswegen umfänget/ daß sie dich möge zuletzt erwürgen/ dir eine ewige Unlust und Pein auf den Hals seilen? (S.222) – Die unten auf dem Bild dargestellte Szene mit dem Hund geht zurück auf einen Satz der langen Subscriptio: Die Sünder, die vor der Hölle nicht erschrecken, erweisen sich den tollen Hunden und wütenden Bestien/ als Menschen/ gleich: beissen in die Spitze/ und spiessen sich selber: lauffen blind der Höllen zu (S.230). 

(g) Daniel Casper von Lohenstein [1635–1683], »Sophonisbe« (1680); 2. Abhandelung, Verse 159ff. 

Der Feldherr Masinissa, der eben in die belagerte Stadt der Königin Sophonisbe eingedrungen ist, ist bei ihrem ersten Anblick von ihrer Schönheit überwältigt. In einem Monolog gibt er seine Emotionen zu erkennen:

Wie / Masinissa / was beginnst du? geh’ in dich!
Stürtzst du vorsetzlich dich wie Mutten in die Glut?

(h) Daniel Casper von Lohenstein, »Cleopatra« (1661; 2. Fassung 1680); 1. Abhandelung, Verse 945ff.

Antonius ist in Cleopatra verliebt; seine Ratgeber versuchen ihn vor der Vermengung politischer und amouröser Ansprüche zu warnen; er indessen:

Die Liebe läßt ihr Reich durch Klugheit nicht verwirren;
Der Vogel sieht den Leim / und läßt sich dennoch kirren /
Die Mutte schaut das Licht / in dem sie sich versängt/
Das schnelle Reh das Garn / in dem es sich fängt /
[…]
So rennt auch / der da liebt / selbst sichtbahr in die Noth.

(i) Casper von Lohenstein verwendet das Motiv als Basis für eine Hyperbel. Ein Verliebter lässt die folgenden Verse auf eine Marmel=Taffel am Rande eines römischen Badebeckens setzen (die Handlung ist unendlich kompliziert, was hier nicht irritieren soll.)

Jhr Motten/ die ihr blind in heisse Fackeln flüget/
Die Flügel euch sengt weg/ vergleicht euch ja nicht mir.
Weil ihr vom ersten Straal bald eingeäschert lieget;
Mein Brand und Leiden geht dem eurigen weit für.
Jch brenn’ in dieser Fluth/ wormit ich mich offt kühle/
Und meine Liebes-Brunst nur so viel länger fühle.

»Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann …«, Leipzig: Gleditsch 1689. Theil 1, Vierdtes Buch, S. 388.

(j) Das Emblem wird neu gedeutet im Sinne der zu vermeidenden ›curiositas‹ (d.h. falscher Wissbegierde im Bereich göttlicher Geheimnisse) im Emblembuch Fünff und zwanzig Bedenkliche figuren mit Erbaulichen Erinnerungen. Dem Tugend und Kunstliebenden Zu gutter gedechtnus in Kupffer gebracht, Durch Conrad Meyer Mahler in Zürich, Ao. 1674.

http://diglib.hab.de/drucke/xb-4f-344/start.htm

[Motto] Nichts wüssen, ist vil wüssen.
Wer sein Nichtswüssen kënt. Wird bilich klůg genënt.

[Umschriften auf dem Rahmen*]
Christum lieb haben ist vil beßer dann alles wüssen. Ephes 3. v.19

2. Cor. 4. v.4 Der Gott diser Welt verblendet die sinn der ungläubigen auf daß ihnen nicht scheine Christus.

[Inschrift auf dem Sockel*] Psalm 119. v.105. Dein Wort ist ein kertzen meinem fůß, und ein Liecht auff meinem wäg.

[Subscriptio]
Wer, was ihm Gott verdekt, auß fürwitz, wil ergründen,
der blendet sich im Liecht, und mag nicht růhe finden:
Wer ausser Christo dich, vermeßner weise, führt
[ausser: wer dich von Chr. wegführt?],
sich selb und dich verstürtzt [bringt zu Fall]: kein hülf eüch mehr berührt.

Auf einer gegenüberliegenden Druckseite folgen weitere Ermahnungen und Zitate, unter anderem  die oft in diesem Zusammenhang zitierte Stelle Jesus Sirach 3,19.20 [Ecclesiasticus 3,22] Denen Dingen/ die dir zuschwer sind/ frage nicht nach: und das dir zu gewaltig ist/ das wollest du nicht ergründen: sonder was Er dir fürgibet/ dem trachte nach. Dann du bedarffest nicht verborgener Dingen.

*) Die Bibelzitate stammen, leicht modifiziert aus der revidierten Zürcher Übersetzung: Biblia. Das ist, Alle Bücher der heiligen Schrift. Auss den Grundsprachen treulich und wol verteutschet, aufs neue, und mit fleiss widerum übersehen[… ] Getrukt zu Zürich: Bey Johann Jacob und Heinrich Bodmer 1667.

Mit der Szene links im Hintergrund ist das Gleichnis Jesu illustriert »Und wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen.« (Matth 15,14 || Luk 6,39).

Das Bild von Pieter Brueghel (1568) vom Blindensturz war in Kupferstichen verbreitet.
> http://kk.haum-bs.de/?id=jode-g-d-exc-ab3-0152

Darüber fliegen Eulen und Fledermäuse, beides Allegorien der Ignorantia (im Sinne des Nicht-wissen-Wollens). Cesare Ripa schreibt 1603: Si dipinge presso il Pipistrello, overo Nottola, perché, come dice Pierio Valeriano lib. 25., alla luce simiglia la sapienza et alle tenebre, dalle quali non esce mai la Nottola, ignoranza. Die als tagblind geltende Eule ist Allegorie der Unbelehrbarkeit. In der Ripa-Bearbeitung des Joh. Georg Hertel (Augsburg vor 1761, Tafel 142) sind dann der Ignorantia auch im Bild eine Eule und eine Feldermaus beigegeben. – Vgl.: Peter Luh, Artikel »Fledermaus«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IX (1995), Sp. 980–1043 > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89024 und Heinrich Schwarz / Volker Plagemann, Artikel »Eule« , in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI (1970), Sp. 267–322 > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=88725 

Rechts im Bildhintergrund die Szene aus der Legende von Augustin und dem Knaben am Meeresstrand:

Man erzählt von Augustinus, dass er einmal während eines Spaziergangs am Meeresufer in großer Ratlosigkeit nach einer Erklärung für die Lehre von der Trinität suchte. Da bemerkte Augustinus, wie ein kleiner Junge mit einer Muschel Wasser aus dem Meer schöpfte und es dann in ein Loch goss, das er im Sand gegraben hatte. "Was machst du denn da, mein Kind?", fragte er ihn. Darauf sagte der Bub: "Ich schöpfe das Meer aus und gieße es in dieses Loch!"
Variante I: Augustinus lächelte und musste sich sagen: "Das ist eine Lektion, die der Herr mich lehrt. Versuche ich nicht dasselbe?"
Variante II: Augustinus schalt den Jungen einen Narren, der aber stand auf und sagte: "Du glaubst klüger zu sein; Du meinst mit deinem Verstand die Ewigkeit begreifen zu können".

Mehr dazu hier: http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/gottesbilder.html#Augustinus

Angeregt mag Conrad Meyer gewesen sein durch den – Lukas 11,33 und Matthäus 15,14|| – kombiniert visualisierenden – Holzschnitt von Hans Holbein d.J.: Christus als das wahre Licht, wo indessen der Papst und altgläubige Kleriker sowie einige Philosophen in die Grube fallen (publiziert von Froschauer 1627 [?]).
> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1895-0122-839
> https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Christ_as_the_True_Light,_by_Hans_Holbein_the_Younger.jpg

 

(k) Johann Sigmund Stoy (1745–1808) bringt in seinem Jugendbuch das Emblem zugeschnitten für die jungen Leser; hier geht es nicht um die Verführung durch das andere Geschlecht, sondern um den bloßen Übermut.

Leichtsinn und Sicherheit tödten

Ein Nachtinsekt, das dreiste war,
Flog um das Licht, sich zu vergnügen;
Die augenscheinlichste Gefahr
Gab ihm nur Muth recht nah zu fliegen.
Es flatterte bald hoch, bald tief,
Und flatterte so lang, bis es die Flamm’ ergrief:
Und so, wie alle sichre Herzen
Die nur mit dem Verderben scherzen,
In sein Verderben lief.

Ihr Menschen, immer reif zum Sterben,
seyd doch für eure Seele wach!
Der Sicherheit schleicht das Verderben
Stets auf dem Fuße nach!

(Achte Tafel, Nr. 2 = Textband I,122)

Bilder-Akademie für die Jugend. Abbildung und Beschreibung der vornehmsten Gegenstände der iugendlichen Aufmerksamkeit – aus der biblischen und Profangeschichte, aus dem gemeinen Leben, dem Naturreiche und den Berufsgeschäften, aus der heidnischen Götter- und Alterthums-Lehre, aus den besten Sammlungen guter Fabeln und moralischer Erzählungen – nebst einem Auszuge aus Herrn Basedows Elementarwerke. In vier und fünfzig Kupfertafeln und zweyen Bänden Erklärung herausgegeben von J. S. Stoy, Prof. der Pädagogik in Nürnberg, Nürnberg 1784.

 

(l) Lorenzo da Ponte, Libretto zu »Così fan tutte« (26. Januar 1790) 1. Akt, 11. Szene, Rezitativ

GUGLIELMO
...Vista appena la luce Di vostre fulgidissime pupille...

FERRANDO
...Che alle vive faville...

GUGLIELMO
...Farfallette amorose e agonizzanti...

FERRANDO
... vi voliamo davanti ...


Kaum haben wir das Licht Eurer strahlenden Augen erblickt, dass bei den hellen Funken verliebte Falter, kurz vor dem Tode vor Euch flattern 

Schwärmen die beiden Verliebten naiv in einer barocken Sprache, vorgeprägte Bilder verwendend? Parodiert da Ponte solches Wortgeklingel?

(m) Goethe hat 1814 die Liedersammlung des persischen Dichters Hafis (gest. um 1389; in der deutschen Übersetzung von Joseph von Hammer-Purgstall 1812) kennengelernt und war begeistert, beglückt, einen Geistesverwandten kennenzulernen. Die Gedichte inspirierten ihn zu eigenen in einem neuen Charakter, die er als neuen »Divan« sammelte. Mit dem zweitletzten im »Buch des Sängers« hat sich die Literaturwissenschaft schwergetan. Er gab dem Text verschiedene Titel: 

- 31. Juli 1814 (Handschrift) Titel: »Buch Sad, Gasele 1«
- 1815 »Selbstopfer«
- im Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1817 »Vollendung«
- West-östlicher Divan, 1819, S. 30f. »Selige Sehnsucht«

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebend’ge will ich preisen
Das nach Flammentod* sich sehnet.
[* aus Flammenschein geändert]

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Ueberfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsterniß Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt,

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Zwei Motivstränge sind prima vista schwer durchschaubar verwoben: Zeugung und Geburt / Schmetterling und Licht (dieses Motiv auch bei Hafis, im erotischen Sinne). Die einleuchtendste Deutung ist die von M.Böhler und G.Schwieder vorgeschlagene poetologische: Goethe erlebt eine Wiedergeburt gesteigerter schöpferischer Kraft; in Moment der Inspiration erfährt er auch eine Selbstpreisgabe.

Michael Böhler / Gabriele Schwieder: Schöpferischer Augenblick. In: Gedichte von Johann Wolfgang Goethe. Hg. v. Bernd Witte. Stuttgart 1998 (Reclams UB 17504), S. 202–216.

(n)  Marlene Dietrich singt als Lola Lola im Film »Der Blaue Engel« (1930) zur Musik von Friedrich Hollaender das Lied

Ich bin von Kopf bis Fuß
Auf Liebe eingestellt, […]
Männer umschwirr'n mich,
Wie Motten um das Licht.
Und wenn sie verbrennen,
Ja dafür kann ich nicht.


https://www.youtube.com/watch?v=4pDjmBy03z8
http://www.youtube.com/watch?v=ahyLLX0tmD8

(o) Nachtrag: Anders verwendet das Motiv Gilles Corrozet (1510–1568). Die Insekten werden verglichen mit jenen, die in die Schlacht ziehen wollen und nicht wissen, wie schädlich der Krieg ist. Das Motto ist eine französische Übersetzung von dulce bellum inexpertis.

 

Hecatomgraphie. C’est-à-dire les descriptions de cent figures & hystoires, contenans plusieurs appopthegmes, Sentences & dictz, tant des Anciens que les modernes. Paris: Denys Janot 1543.
> http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb30274118g

(p) Nachtrag: Jean Jacques Boissard, Emblemes latins... (1588): Temerité dangereuse
> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FBOa025

(8) Adler und Schildkröte

Julius Zincgref (1591–1635) ist ein Sammler von treffenden prudentiales Wissen enthaltenden Aussprüchen gewesen, das zeigt die Kollektion Der Teutschen scharpfsinnige kluge Sprüch, Apophthegmata genant / durch Julium Wilhelm Zincgrefen, Straßburg: Rihel 1628. – Digitalisat: http://diglib.hab.de/drucke/36-1-eth-1/start.htm


Eine andere Sammlung hat er emblematisch aufgebaut. In die Zusammenstellung gehen mitunter auch nur oberflächlich passende Elemente ein, wie das folgende Beispiel zeigt.

Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria Julii Guilielmi Zincgrefii [Kupferstecher: Matthaeus Merian der Ältere], [Frankfurt am Main]: de Bry 1619.

Digitalisate:  http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/zincgref1619 und http://books.google.ch/books?id=8k0TAAAAQAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=twopage&q&f=false

Faksimile der Ausgabe Heidelberg 1664 u.d.T. Hundert ethisch-politische Embleme, hg. Arthur Henkel / Wolfgang Wiemann, Heidelberg: Winter 1986 (Band 2: Übersetzungen [nicht aller Texte] und Kommentare).

Motto: Ut lapsu graviore ruat. (Um einen tieferen Fall zu tun)

Bild: ein Adler hält eine Schildkröte in den Klauen, darunter befindet sich ein felsiger Berg.

Deutsche Übersetzung des französischen Epigramms (in der Ausgabe 1664):

Hoch gestiegen / tieff gefallen.

Der Adler führt die Schildkrot von der Erden/
Daß durch den fall sie kan zerbrochen werden:
Den Bösen führt das Glücke von der Erden/
Daß durch den fall er kan zerschmettert werden. 

Die erläuternden lat. Texte berichten

• vom Verhalten des Adlers nach antiken Naturkundigen (Aelian, Varro, Plinius). Plinius schreibt (naturalis historia X, iii,7) von einer besonderen Art Adler: Er hat den Instinkt, Schildkröten, die er erbeutet hat, zu zerbrechen, indem er sie aus der Höhe herabfallen lässt. Ein solcher Zufall hat den Dichter Aeschylus getötet, als er sich, wie man überliefert, gegen den für diesen Tag vom Schicksal verkündeten Einsturz in sicherem Vertrauen auf den Himmel vorsehen wollte. –  Die Pointe ist hier, dass man dem prophezeiten Unglück nicht entfliehen kann. – Bereits der Petrarcameister illustriert Kapitel II,123, das dem schnellen und gähen Tod gewidmet ist, mit dieser Szene (die in Petrarcas Text nicht vorkommt, also wohl Zugabe S. Brants ist). Ferner verwendet es van Veen in den »Moralia Horatiana«, Anderer Theil, Nr. 33. – Dieser Verweis passt nicht zur Moral des Emblems.

Petrarcameister, hier aus der Ausgabe Franckfort am Meyn: Egenolff 1572 (Ausschnitt)

• Nur erwähnt wird eine aesopische Fabel (Nr. 61 = Perry 230), in der die Schildkröte den Adler bittet, sie fliegen zu lehren, worauf der Adler entgegnet, dies sei gegen ihre Natur; er nimmt sie dennoch in die Lüfte, und wie er sie über einem Felsen fallen lässt, zerbricht sie. – Insofern als hier die törichte Schildkröte willentlich den ›Höhenflug‹ unternehmen will, passt die Moral des Emblems bei Zincgref.

Holzschnitt des Virgil Solis (1514-1562) aus: Aesopi Phrygis fabulae, elegantissimis iconibus veras animalium species ad vivum adumbrantes. Francofurti ad Moenum: Corvinus, Feyrabend & Gallus 1566.

• Sodann folgen Exempla aus der Geschichte (aus Tacitus und Livius, Laktanz und anderen), die das Debakel hochmütigen Verhaltens demonstrieren.

• Zwei Zitate fassen die Moral sentenzartig zusammen: Aus der Tragödie »Agamemnon« (102) von Seneca: Quidquid in altum fortuna tulit, ruitura levat. – Was auch immer das Schicksal emporhebt, das erhöht es, um es wieder zu stürzen. Aus dem Schmähgedicht gegen Rufin des spätantiken Dichters Claudian (I,iii,22ff) : Ich beklage nicht den Aufstieg der Ungerechten, sie steigen nur empor, um desto tiefer zu fallen.


(9) Vesal und Nachfolger

Ein Skelett in Vesals (1514–1564) bahnbrechendem Anatomie-Buch von 1543 stützt sich auf einen altar-ähnlichen Steintisch oder einen Sarkophag, auf dem die Inschrift zu lesen ist:

Vivitur ingenio caetera mortis erunt.
Man lebt durch den Geist; das andere fällt dem Tode anheim.

 

Andreas Vesalius, De humani corporis fabrica libri septem, Basel: Johannes Oporinus 1543; pag. 164 – http://www.e-rara.ch/bau_1/content/pageview/6299213

Dieter Wuttke konnte das Zitat nachweisen; es stammt aus der »Appendix Virgiliana« und wurde 1524 auf Dürers Kupferstich-Porträt von Willibald Pirckheimer verwendet. Dieter Wuttke, Porträt des Willibald Pirckheimer, in: Caritas Pirckheimer 1467–1532. Katalog hrsg. von Lotte Kurras und Franz Machilek in Zusammenarbeit mit Brun Appel, München 1982, S. 57f.
Text > http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lsante01/Vergilius/ver_apem.html
Bild auf wikimedia

Die Gebärden der an jener Stelle im Buch abgebildeten skelettierten Menschen gehen über das für die anatomische Visualisierung Notwendige hinaus: Das von vorn gezeigte Skelett scheint einen verzweifelten Gestus zu haben; das von hinten gezeigte beugt sich und ringt die Hände oder betet; das von der Seite gezeigte (unsere Abbildung) stützt sich auf den Ellbogen ab, die Wange haltend – in der klassischen Pose des Melancholikers. Hier hat Vesal eine Imprese neben das anatomische Bild gesetzt. Es ist das einzige Mal im Werk, dass so etwas vorkommt.

1611 brauchen Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe den Vers im »Nucleus Emblematum« (Emblem Nr. 1) – http://diglib.hab.de/wdb.php?pointer=7&dir=drucke%2F21-2-eth-1 

Hier wird dem Pentameter ein Hexameter vorangesetzt, wodurch sich ein Distichon ergibt. Er lautet:

Disce bonas artes, et opes contemne caducas.
Studiere die Wissenschaften und verachte die vergänglichen Güter!

Die Pictura unterstützt durch ihren symmetrischen Aufbau der Bildhälften auch die inhaltliche Zweiteilung beider Zeilen des Spruchs:

Der Gelehrte, unter dem belaubten Teil des Baumes sitzend, Buch und Armillarsphäre (astronomisches Gerät zur Darstellung der Bewegung von Himmelskörpern) in der Hand Der Tod unter dem abgestorbenen Teil des Baumes zeigt die zusammengerafften weltlichen Güter (Szepter, Krone, Wappen, Schmuck- oder Geldstücke)

 

Das Bild selbst wird ein Jahrhundert später nochmals entkontextualisiert als Frontispiz verwendet:

 

Melissantes (d. i. Gregorii, Johann Gottfried). Das jetzt lebende Europa. Oder genealogische Beschreibung aller jetzt lebenden durchlauchtigsten Häupter in demselben, in auserlesenen Fragen vorgestellet, und mit den neuesten historischen Remarquen, nebst nöthigem Register versehen. Frankfurt und Leipzig: Ernst Ludwig Niedt, 1715.
http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-139188 --- Gehe zu Seite [17].

Literaturhinweis: Bruno Weber, Vivitur ingenio, in: LIBRARIVM I (2019), S. 40–59 mit vielen weiterführenden Hinweisen.

(10) Anreicherungen

Eine interessante Koppelung der Emblematik mit buntschriftstellerei-artigem naturkundlichem und vulgärmedizinischem Wissen stellt das Werk von Stanislaus Reinhard Acxtelmeier (geb. ca. 1649) dar: Ebenbild der Natur/ in Dem Entwurff dero Gewächsen/ Unzieffern und einigen Thieren von vermischter Arth/ mit Lehr- und Sinnreichen Sprüchen ...: Zur Lust und zum Nutzen allerhand Gattungen Menschen/ so wol in Schrifft verfasset/ als mit schönen Kupffern auf jede Materie gezieret/ … Augspurg: Brechenmacher 1699.

Erschienen sind offenbar nur zwei von vier geplanten Bänden; der erste 1699; der 2.Band Augsburg 1713 trägt den Namen Axtelmaier. Digitalisate

I: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10919699_00007.html

II: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10919700_00009.html

Das Vorwort (1699) ist bestimmt von einem physikotheologischen Grundtenor: Alle Kreaturen zeugen von Gottes Allmacht und Weisheit; sie dienen dem Wohl des Menschen. Ferner enthalte das Buch viele sittenreiche Lehren/ Fabeln/ Gleichnusse / Sprüchwörter und Geschichtenalso daß diese Beschreibung eine rechte Sitten= und politische Lebens=Schul kan genennet werden; Jn welcher der Mensch sich spiegeln/ den Welt=Lauf erkennen/ was zuthun oder zulassen ist unterscheiden kan. Auch finden in dem Büchlein die Redner/ Poeten/ Mahler und andere Künstler Materie und Substanz/ um sich deren in allerhand Begebenheiten zubedienen (vgl. angewandte Emblematik). Ausserdem haben auch die Aertze/ Apothecker/ Weinhändler/ Bierbräuer und Färber aus demselben nutzliche Sachen zu nehmen (ähnlich wie in der Hausväterliteratur). Nochmals zusammengefasst: Der Liebhaber lernt durch das Buch 1. Die Natur kennen. 2. Einer jeden Gattung der beschriebenen Erd= oder Wasserwürmen Ursprung/ Eigenschafft und Nahrung/ Feindschafft und Untergang. 3. Deren Application zu Sinnreichen Lehren/ Reden/ Poesien/ Mahlereyen/ Sinn=sprüchen und Sprüchwörtern. 4. Deren Nutzen zu herrlichen Artzneyen und Haußmitteln. 5. Zu vielen schönen Wirthschafften und Künsten.

Jedes Kapitel ist eingeleitet durch einen Kupferstich, auf dem mehrere Lebewesen – ungeachtet, ob sie in der Natur wirklich nebeneinander existieren – dargestellt sind: i.d.R. ein Vierfüßler, ein in der Luft lebendes Tier (Vogel oder Insekt), ein im Wasser lebendes Tier, ein Ungeziefer, eine Pflanze, auch Fabelwesen (die Sphinx) kommen vor. Im Kupfer eingebunden sind zwei Banderolen mit einem lateinischen und einem deutschen Lemma. Im Gegensatz zu den »mehrständigen« Emblemen (Dilherr und Harsdörffer 1660) ist zwischen den einzelnen emblematisch gedeuteten Lebewesen kein Bezug erkennbar, obwohl es in der Vor=Ansprach zum zweyten Theil heißt: dem Philosophischen Spruch gemäß: Contraria contrariis opposita magis elucescunt, die einander widerstrebende Dinge/ wann sie gegeneinander gehalten oder gesetzt werden/ erscheinen heller und begreifflicher.

Als Beispiel diene Band II (1713), Außlegung deß sechszehnten Kupfer=Blats. [29 Oktavseiten umfassend]

 

No. 1. Ist der Elephant mit dem Sinn=Spruch: Manet altâ mente repostum, lang geborget ist nicht geschencket. Das bezieht sich auf das gute Erinnerungsvermögen bezüglich Guttaten und Beleidigungen. Ferner wird die Fürsichtigkeit erwähnt: Der Elefant gräbt immer mit dem einen Zahn Wurzeln aus, damit er den anderen für den Streit bereit hält – Also sollen in der Regierung solche zwey Zähne der Weißheit und Fürsichtigkeit seyn: Mit dem einen deß Landes Wohlfahrt zu suchen/ mit dem andern die Vorsorge wider alle Feinde zu verschafffen/ umb nicht Wehr=loß gefunden zu werden. (Hier findet sich also eine Moralisatio wie im Standard-Emblem.)

Weitere Eigenschaften werden aus den üblichen antiken Zoologen beigezogen: die Geschicklichkeit; die Keuschheit nachdem das Weibchen empfangen hat; Fürsorge für Alte und Kranke. Der Elefant fürchtet die Maus und kämpft gegen das Rhinoceros. In Indien dient er als Reitpferd und zum Ackerbau. – Zur Speise ist der Elefant kaum zu gebrauchen; es werden aber zehn medizinische Verwendungen genannt, u.a.: Gebranntes Helffen=Bein mit Wegerich=Safft getruncken/ stillet die rothe Ruhr und das Blutspeyen/ weil es austrocknet.

No. 2 ist der Vogel Immen-Fraß/ Merops mit dem Sinn=Spruch [nicht auf dem Kupferstich]: Capiendo capior, im Fangen werde ich gefangen. Man ködert ihn mit Heuschrecken, die an einer gekrümmten Nadel stecken und an einem Faden fliegen: Also geht es auch den Menschen/ wann sie durch ein süsses Laster=Aaß sich locken und verführen lassen/ daß sie nach demselbigen schnappen und es verschlingen/ und indeme sie fangen wollen, durch den verborgenen Angel/ welchen der Sathan darunter versteckt hat/ offt mit Leib und Seel gefangen werden … folgen wiederum weitere Eigenschaften und Rezepte.

No. 3. ist die Meer=Krotte Rana Marina mit dem Sinnspruch Man siht es ihm an der gestalt an/ was für ein feiner Vogel er sey.
No. 4. ist eine ungiftige Hauß=Schlange. Wiederum Moralisation und Ausbreitung von Wissen über Schlangen.
No. 5. ist die Meer=Zwiebel/ Scylla oder Squilla
No. 6. Das Süß=Holtz mit dem Sinn=Spruch Süß getrunken/ saur bezahlt
No. 7. Der Erlen=Baum
No. 8. Der Eßrösel, Sorbus trominalis

(11) Up to date

Man soll nicht glauben, die Emblematiker zögen nur jahrhundertealte Traditionen für die Signifiants bei. Mitunter dienen ihnen die neuesten Erkenntnisse als Material für die Moralisationen. Zwei Beispiele:

(1)

Erasmus Francisci (1627–1694), Das Unfehlbare Weh der Ewigkeit für die Verächter der Gnaden-Zeit. Mit Grund-erwiesenem Bericht von der Hellen/ und ihrer Gewißheit/ von der verzweifelten Hinfahrt verfluchter Seelen an den Ort der Quaal/ von der abscheulichen Gestalt und Ungelegenheit selbiges Orts/ von derer/ so im Tode entschlaffen sind/ verächtlichen Auferstehung/ schmählichem Gerichts-Stande/ Verstossung zur Hellen/ und ewig-grausamen Marter-Wesen, Nürnberg: Endter 1686.
https://books.google.ch/books?id=2KleAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Das XLV. Bedencken
Wie erschrecklich das Göttliche Gericht den Bösen seyn werde indem es ihnen alle und jede Fehler/ in ihrer rechten Grösse vorstellen wird
. (S. 972–996)

Um zu verdeutlichen, wie groß die begangenen Sünden am Jüngsten Tag – ohne dass die Selbst=Schmeichely sie dann beschönigen kann – erscheinen, zieht E.Francisci die neuesten Errungenschaften der Biologie/Mikroskopiertechnik heran:

Die Pictura zeigt die Arbeit mit dem Mikroskop (im Hintergrund ein anderer ›tubus opticus‹: das Fernrohr); der Gelehrte zeigt das Bild der Laus aus R.Hooke.

Aus der Subscriptio:  An manchen kleinen und subtilen Sachen bleiben die rechte Beschaffenheit und Begliederung derselben unsren natürlichen Augen unsichtbar, im Fall ihnen nicht das Kunst=Auge/ verstehe ein Grösserungs=Glas/ das Gesicht verstärkt. […] Daher man mit dergleichen Kunst=Augen an manchen subtilen Würmlein solche wunderbare Zusammenfügung und Eigenschafften erkennet/ die das natürliche Auge für sich allein niemals begriffen noch vermutet hätte.

Wer sollte meynen /daß das allerlindeste/ beste und zarteste Papier doch noch voller Faseln/ Zoten/ unzehlbaren Grübelein und Puckeln befindlich wäre? […] In dem faulen Holtze ersihet man/ duch das Schau=Rohr/ eine unzehlbare Menge Würmlein/ deren etliche subtile Hörnlein/ etliche aber gleichsam kleine Flügel und Augen haben/ wie schwartze Tipffel/ mit samt einem Rüssel. […]

Ein anderer [hier wird Hooke angemerkt] hat durch sein scharffes Seh=Röhrlein eine/ auf dem Rücken liegende/ Laus besichtigt/ und ihre wunderbare Leibes=Beschaffenheit beschrieben. Die Augen sassen hinter zweyen zu beyden Seiten hervorgehenden Hörnern [folgt eine detaillierte Schilderung: Darauf beschreibt er die Käsemilben:] Der Staub/ so sich in dem Käse eräugnet/ präsentiert/ durch das Perspectiv/ ein abentheuerliches Thier [usw.]

Die moralische Application lautet dann: Diß erweckt billig in uns mehr als einerley Nachdencken/ von der Sünd=Entdeckung am Letzten Gericht. Denn wie die […] weisseste Papier=Bögen durch das Kunst=Auge dennoch hie und da etwas uneben befunden werden; so finden die Göttliche Augen auch an dem besten und richtigsten Wandel deß Menschen was Ungleiches/ das nicht so gar eben und vollkommen wie sein Wort und Gebet erfordert. […] Wie man  mit dem Augen=Glase die subtile Würmlein dem Gesichte vergrössert/ und viel Dinges dadurch sichtbar macht/ […] so wird auch dort Alles/ was dem Gottlosen nur ein klein=wintziger und leichter Fehler scheinet/ eine Gestalt grosser Sünden gewinnen/ wann es durch das Auge deß Göttlichen Gerichts beschauet wird. [usw. usf. &c.]

Ersamus Francisci zitiert nebst anderen folgende naturwissenschaftliche Publikationen:

  • Pierre Borel, Observationum microscopicarum centuria, 1656
  • Honoré Fabri, Synopsis Optica, 1667
  • Athanasius Kircher, Scrutinium physico-medicum contagiosae Luis seu pestis, 1659
  • Francesco Fontana, Novae coelestium terrestriumque rerum observationes, et fortasse hactenus non vulgatae, 1646 (Tractatus primus: de tubo optico)
  • Robert Hooke (1635–1703), Micrographia: or some physiological descriptions of minute bodies made by magnifying glasses, with observations and inquiries thereupon, Printed for John Martyn, printer to the Royal Society MDCLXVII [allerdings nach einer anderen Quelle]
    http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/HistSciTech.HookeMicro

 

Aus Hooke das Bild der Laus: Observ. LIV. Of a louse, pp. 211-213

Erasmus Francisci, einer der frühesten Publizisten, die von ihrem Beruf lebten, verfasste viele Bücher im Format der Buntschriftstellerei; er muss eine gute Bibliothek zur Verfügung gehabt haben, die er ausbeutete. Man vergleiche etwa seine »Lustige Schau-Bühne von allerhand Curiositäten« (1663) (›curios‹: des Interesses würdig).

Die Faszination des Mikroskopierens bezeugt übrigens auch – aber ohne Moralisationen –  Eberhard G. Happel, der bereits in Heft 9 seiner »Grösten Denkwürdigkeiten der Welt« (Hamburg 1683) die Kupfer aus Hooke als Holzschnitte wiedergibt, mit erläuterndem Text. – Noch in der »Encyclopédie« (Planches, 5e Livraison; 6e Volume, 1768; Histoire naturelle, Pl. LXXXIV) wird der Stich von Hooke in riesigem Format abgekupfert.

Dieser Abschnitt als Ergänzung des meisterhaften Buchs von Ulrich Stadler, Der technisierte Blick. Optische Instrumente und der Status von Literatur. Ein kulturhistorisches Museum, Würzburg: Königshausen & Neumann 2003.

Joachim Camerarius, selbst naturkundlich gebildet und mit Naturwissenschaftlern vernetzt, hat in seinen Emblemen die neuesten Erkenntnisse einfließen lassen: Die Pfingstrose (I, 62); den Helmkokko (III, 4); die Saiga-Antilope (II, 44); den ägyptischen Lotus (I, 70) kennt er aus dem Buch von Prosperus Alpinus, De Plantis Aegypti, Frankfurt 1592, fol. 40 [ohne Bild] (was übrigens den terminus post quem für das Erscheinen der ersten Centurie abgibt, die vom Verleger auf dem Kupfertitel auf 1590 vordatiert wurde!). — Joachim Camerarius, Symbola et Emblemata, mit Einführung und Registern hrsg. von Wolfgang Harms und Ulla-Britta Kuechen, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1986/1988, Teil 2, S. 14*–17*. – Digitalisat der ÖNB:  https://books.google.ch/books?id=IxNRAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

(2)

Wie aktuell die bildgebenden Realitäten sein können, dafür gibt es auch ein schönes Beispiel bei Pierre Le Moyne S.J. (1602–1671):

De L'Art Des Devises. Par le P. Le Moyne de la Compagnie de Iesvs. Avec Divers Recveils de Devises du mesme Autheur, Paris: Chez Sebastien Cramoisy / Mabre-Cramoisy 1666.
> http://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:8:2-1338142 444444

Das Motto stammt aus (Aulus) Persius (Flaccus), Satura I, Vers 1: <O curas hominum> o quantum est in rebus inane ≈ Wie groß ist die Leerheit der Dinge! ≈ Wie eitel ist doch die Welt!

Epigramm:

Cette machine est singuliere & curieuse; mais nouvelle & connuë de peu de personnes. Elle est faite à la maniere d’vne Pompe; & son vsage est de tirer l’aire des Corps, & de faire du vuide.
Le Mot de Perse qui l’explique, fait entendre, qu’en dépit de la Nature & de la Philosophie, il y à bien die vuide dans le Monde.

Otto von Guericke (1602–1686) hatte 1649 die Kolbenvakuumluftpumpe erfunden; 1657 wurde sein Buch dazu publiziert. Der Jesuit Gaspar Schott (1608–1666) zeigt in seinem Buch Technica curiosa, sive, Mirabilia artis, libris XII comprehensa, Norimbergae: Sumptibus Johannis Andreae Endteri & Wolfgangi Junioris haeredum 1664 eine sehr ähnlich konstruierte Machina pneumatica anglicana (Iconismus XXXVI)

https://archive.org/details/gri_pgasparissch00scho/page/n158/mode/1up

Literaturhinweise:

Fritz Krafft (Hg.): Otto von Guerickes neue (sogenannte) Magdeburger Versuche über den leeren Raum, Düsseldorf 1988.

Annemarie Geissler-Kuhn: »Nach dem Probier-Stein der Vernunfft examiniret«. Popularisierung realkundlichen Wissens in der Buntschriftstellerei der Frühen Neuzeit. Hamburg: Dr. Kovac 2018; darin: Die Vakuum-Debatte im 17. Jahrhundert, S. 395–436.

(12) Verschiebungen

In der »Hypnerotomachia Poliphili« (1499) des Francesco Colonna (1433–1527) erscheint folgendes Bild:

Der Held erkennt eine reliefierte Bildhauerarbeit von Hieroglyphen: Una matrona duno serpente instrophiolata, Solum cum una nate sedente, & cum laltra gamba in acto de leuarse, Cun la mano dilla sua sessione, uno paro di ale, & nel altro dl leuar se una testudine teniua.Eine mit einer Schlange umkränzte Dame. Bloß mit einer Backe sitzend war sie mit dem andern Bein im Begriff, sich zu erheben, während sie mit der Hand auf der Sitzseite ein Paar Flügel hielt, und in der andern des Erhebens eine Schildkröte. Logistica erklärt: »Poliphilo, ich weiß, du verstehst die Hieroglypen nicht. [Das Bild besage:] Die Geschwindigkeit mäßige beim Sitzen, die Trägheit beim Aufstehen (Velocitatem sedendo, Tarditatem tempra surgendo).«  (Von Reiser eingerichtete Seite 134) Hypnerotomachia Poliphili; übersetzt und kommentiert von Thomas Reiser, Wunsiedel, OT Breitenbrunn: Th. Reiser 2014. – Digitalisat der H.A.B. Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/inkunabeln/13-1-eth-2f/start.htm?image=00137

Bei Alciato gibt es seit 1531 ein Emblem, das einen nackten Knaben zeigt, dessen eine Hand mit Flügeln zum Himmel gezogen wird, während die andere mit einem daran gebundenen Stein beschwert ist. Lemma: PAVPERTATEM SVMMIS ingenijs obesse ne prouehatur auf deutsch: Armut verhindert viel gute Köpff daß sie nicht hinfür kommen.

Hier die Fassung im Druck Paris 1542 mit der Übersetzung von Wolfgang Hunger.

Vgl. die Fassung 1531 hier: http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A31a016

Joannes  Sambucus verwendet 1546 die Bild-Idee ganz anders in seinem Emblem mit dem Motto »Physicæ ac Metphysicæ differentia«. Bild-Zentrum ist die Natur, die als vielbrüstige Artemis von Ephesos gezeichnet ist. Die beiden Apsekte von Physik und Metaphysik werden veranschaulicht durch die hinfälligen Grundstoffe (elementa caduca; visualisiert als eine Rosenblüte) in der einen Hand und die Falkenflügel an der anderen Hand, welche auf die Urbilder (effigies) zeigt. Dazu kommt, dass der Tempel zur Linken der Figur mit einem Globus auf der Kuppel auf dem Boden steht, während der zur Rechten mit einem Astrolabium auf dem Giebel über den Wolken schwebt. Die Stellung der Arme unterstreicht, dass der geistige Aspekt der Natur höher eingeschätzt wird als der stoffliche. – Aus dem Text geht nicht hervor, was der Vogel auf der Schulter (auf der Seite des Stofflichen) und die Mondsichel (auf der Seite der Ideen) bedeutet. – Hier als PDF die kommentierende Übersetzung von Thomas Gehring (Okt. 2015). – Mehr zur Symbolik der Artemis von Ephesos hier.

Emblemata, cum aliquot nummis antiqui operis, Ioannis Sambuci Tirnauiensis Pannonii ex officina Christophori Plantini, 1564.  – http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FSAb053

 

Cesare Ripa verwendet die Bild-Idee von Alciato in der Iconologia Overo Descrittione Di Diverse Imagini cavate dall'antichità, & di propria inuentione, Roma 1603, p. 409/410:

POVERTÀ.
In uno ch'habbia bell'ingegno. Donna mal vestita, che tenga la mano destra legata ad un gran sasso posato in terra et la sinistra alzata, con un paro d'ali aperte, attaccate fra la mano et il braccio. Povertà è mancamento delle cose necessarie all'huomo per sostegno della vita et acquisto della virtù. L'ali nella mano sinistra significano il desiderio d'alcuni poveri ingegnosi, i quali aspirano alle difficultà della virtù, ma oppressi dalle proprie necessità, sono sforzati a starsi nell'abiettioni et nelle viltà della plebe et si attribuisce a' Greci la lode dell'inventione di questa figura.

Die Seite hier digitalisiert: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ripa1603/0431

Schöner ist das winzige Bild (ø 4 cm) in Viel nutzende und erfindungen reichende Sinnbild-Kunst, oder Hieroglÿphische Bildervorstellung der Tugenden, Laster, Gemüts-bewegungen, Künste und Wissenschafften, wodurch Rednern, Poeten, Mahlern, Bauverständigen, Bildhauern, durch Zeichnungen, und einer kurtzen beschreibung Anlasz jhre Gedancken aus zu üben gegeben oder beij gäh vorfallenden Gelegenheiten ihnen gnugsame Materi vor Augen gelegt wird damit Sie sich nicht lang besinnen dörffen, Nürnberg verlegt und zu finden beij Johann Christoph Weigel Kunsthändlern [s.d., nach 1691]; Tafel XVII:

Bei Matthias Holtzwart in den »Emblematum Tyrocinia« (1581) wird die Pointe umgedreht: Statt des Steins (für die Armut) hängt hier ein Geldsack an den Füßen der Figur und hindert sie daran, mit beflügelten Händen aufwärts zu streben.

Emblema. XLVII. Male quaesitum male dilabitur. – Besser arm vnd from dan Reich vnd böß.

Was ist es nutz eim Man auff erden
Wan jhm schon thut die gantz Welt werden
Durch vil gefahr/ angst arbeit noth
Vnd aber jhm hernacher Gott
Nicht gibt die Ewig säligkeit
Darumb jsts besser yeder zeit
Das man vil mehr das Ewig such
Dan in dem zeitlichen verruoch.
[sich um das Zeitliche kümmere; vgl. Matth 16,26]

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00028624/image_117

Hermann Hugo wendet das Bild in den »Pia Desideria« (1. Ausgabe 1624) so: Die Anima möchte zum Himmel streben, wird aber vom Irdischen zurückgehalten; dies wird in Gestalt einer Weltkugel dargestellt. Die Anima ist (ausnahmsweise, wie in III,13 = Emblem 43) geflügelt. 

Wie soll ich dann nun stellen an
   Mein zwey begirigs Leben?
Soll ich mein Wort/ der Himmels-Port/
   Oder der Erden geben?
Die Erd mich halt/ der Himmel schalt/
   Um mich hart beyde kriegen/
Der Glider-Gwicht den Geist doch nicht/
   Wann er schon will/ laßt fligen.

(Dass die Erdkugel ein Kreuz trägt, stammt vom astronomischen/-logischen Symbol für ›Erde‹ (U+2641):

Im Hintergrund ein Vogel an einer Schnur. Dazu der Text aus der zugehörigen Prosa-Kompilation von Zitaten aus der Bibel und aus Kirchenvätern

Gleich aber wie ein Vogler den spatzen so er mit Vogelleym oder im Netz gefangen hat/ an einem körnlein gefangen/ auffhelt/ vnd mit seiner Hand an einem subtilen faden angebunden anhelt/ vnnd gleichsam ließ er denselben von seiner Handt/ Laßt er ihn frey fliegen; Er aber gantz begürig zum fliegen/ vermeinet er sey entrunnen/ begibt sich frey ledig in die Höhe; diser aber hebt vnden den faden/ helt jhn vnder dem fliegen an/ vnd zeucht jhn zu sich/ welcher nun also der hoffnung deß fliegens vnd des Lebens beraubet wirdt; Also auch der Teuffel als ein arglistiger Jäger/ betrieget den Menschen […] Chrys serm de poen [= Chrysostomus († 407), Homilien über die Buße (De paenitentia homiliae)]

Pia Desideria III,9 = Emblem XXXIX.

• Pictura hier aus der Ausgabe Köln: Metternich 1741;

• Verse = 1.Strophe des 21-strophigen Lieds aus: Himmlische Nachtigall, singend gottseelige Begirden, der büssend- heilig- und verliebten Seel, […], übers.von Johann Christoph Hainzmann, Augsburg: Kroniger u. Göbel 1699.

• Prosa-Zitat aus der Übersetzung von Karl Stengel OSB (1581–1663), Augsburg 1627, S. 599.

Die Figur erscheint schon 1548 auf einem Holzschnitt in der Vitruv-Übersetzung von Ryff:

Vitruvius Teutsch: Nemlichen des aller namhafftigisten vnd hocherfarnesten, Römischen Architecti, und Kunstreichen Werck oder Bawmeisters, Marci Vitruuij Pollionis, Zehen Bücher von der Architectur vnd künstlichem Bawend, Nürnberg: Petreius 1548. Blatt XI r —
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/vitruvius1548/0056

Man könnte interpretieren: Das Bild passt zu Vitruvs 1. Kapitel, wo er sagt, dass die Baukunde begründet ist auf der technisch-gewerblichen Fachkenntnis (fabrica) und der ästhetisch-theoretischen Befähigung (ratiocinatio): Opera ea nascitur et fabrica et ratiocinatione (Übersetzung von Jakob Prestel 1912). Mit der einen Hand symbolisiert der Knabe die handwerkliche Beherrschung der steinernen Materie, mit der andern die Beflügelung durch die Theorie. — Irrtum.

Auf Fol. XCIIII kommentiert Ryff die Vorrede Vitruvs zum dritten Buch, wo dieser sagt, es gebe Künstler, die bei aller Begabung mangels Geld sich keinen Namen erringen könnten. Ryff: besser es verhindert jn die armuth/ wann das er mit vntrew vnd poßheit reich werd. Noch heutzutage würden arme Künstler zurückgesetzt. Dann erklärt er die Figur auf Blatt XI mit Alciatus:

Mein rechte handt ein stein beschwert/
   Die linck ziehet ein federring/
Der stein zeucht doch so vast zur erdt/
   Das ich mich nit in die höch erschwing/
Was zeigt vns an ein solch ding?
   Mancher ist vol geborn zu kunst/
Die jn zu hohnen ehren bring/
   Doch so er arm/ ist alls vm sunst.

Die Paupertas auch als Druckermarke von Bathélemy Breton in La Rochelle um 1570 mit der Aufschrift Povreté empeche les bonz espritz de parvenir:

Silvestre, Marques typographiques, Nr. 864

Anders deutet Rollenhagen die Figur, nämlich: PAVPERTATE PREMOR SUBLEVOR INGENIO, d.h. Durch Armut werde ich niedergehalten, durch Begabung werde ich in die Höhe gehoben:

Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611/1613; unter dem Titel: Sinn-Bilder, hg. Carsten-Peter Warncke (Bibliophile Taschenbücher 378), Dortmund 1983; Centuria secunda (1613), Nr.42.
> https://archive.org/stream/gabrielisrollenh00roll#page/n110/mode/1up

Seltsam ist das Motto bei Anton Francesco Doni (1513–1574). O quantum cogit egestas (Oh, wieviel erzwingt Armut) passt zum Bild mit dem Stein und der beflügelten Hand. Der Vers wird als Martial-Zitat nachgewiesen. Dessen Epigramm XI, 87 spricht freilich von der Karriere eines Reichen, der es sich nicht mehr leisten kann, ein pedico zu sein, und nun leider zu einem fututor wird. Beziehen sich die beiden Knaben und die ältliche Frau auf dieses Ungeschick?

I marmi del Doni, academico peregrino, cioè, Ragionamenti introdotti a farsi da varie conditioni d'huomini, à luoghi di honesto piacere in Firenze. Ripieno di discorsi in varie scienze & discipline …, Venedig: Bertoni 1609. (Am Schluss des ersten Teils pag.66)

Literaturhinweise:
Thomas Althaus, Differenzgewinn, in: Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.) Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik (Mikrokosmos Band 65), Frankfurt/M.: P.Lang 2002; Band I, S. 91–109. —
Zur Bildlichkeit der Gefangenschaft Michael Schilling, Imagines Mundi (1979), S. 197–211.

(13) Bild-Korrektur

Bei Alciato kommt schon in der ersten Ausgabe die Sphinx vor, die allegorisch als Unwissenheit ausgelegt wird – ob die Zeitgenossen annahmen, bei dem Kompositwesen handle es sich um ein reales Lebewesen oder ob sie es für eine poetische Fiktion hielten, sei dahingestellt.

Hier die Seite aus einer Ausgabe Leiden 1551 – sie steht für viele ganz ähnliche. Was die umgestürzte Säule bedeutet, geht aus der Subscriptio nicht hervor; sie ist in den frühen Ausgaben nicht abgebildet..

Wolfgang Hunger übersetzt 1542 (die allegorischen Pendants sind von uns farbig markiert):

Vnwissenheyt ist zu vermeiden.

Sphinx ein thier stehnd auff lewen pain,
gfidert, vnd von gsicht weybs gestalt.
Vnwissenheyt das laster gmain
B e d e u t , wœlchs sonder vberfalt 
[welches insbesondere überfällt]
Die so leben in wollusts gwalt,
In leichtigkeyt, in stoltz vnd pracht.
Vnd sich nur diß lasters enthalt,
Der sich selbs kent vnd wol betracht.
[…]

Das Bild der Ausgabe Leiden 1551 zeigt die Löwenfüße und einen weiblichen Oberkörper; aber Federn sind nicht erkennbar. – Der Illustrator der Ausgabe Padua 1621 hat das Bild (doch wohl aus Kenntnis des Texts) korrigiert. Im Profil sieht man die Flügel deutlich:

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A21a188

 

(14) Animieren – Freistellen – Konkretisieren

Das folgende Emblem von Daniel Cramer († 1637; Erstausgabe 1617; 2. Aufl. 1622; 3. Aufl. 1624) soll genetisch  hergeleitet werden.

Emblemata Sacra, Das ist: Fünfftzig Geistliche in Kupffer gestochene Emblemata, oder Deutungsbilder/ aus der Heiligen Schrifft/ von dem süssen Namen und Creutz Jesu Christi. Erstlichen inventiert vnd angegeben durch den Ehrwürdigen und Hochgelehrten Herrn Daniel Cramern …, Franckfurt am Mayn: L. Jennis 1622.
Digitalisat: http://diglib.hab.de/drucke/th-469/start.htm
Reprint der Ausgabe 1624 mit Nachwort von Sabine Mödersheim, Hildesheim: Olms 1994.

Motto des Emblems ist ein Zitat aus Matthäus 24,28 (vgl. Lukas 17,37), wo Jesus davon spricht, dass seine Wiederkunft sofort offenbar werden wird: Wo ein Aaß/ da samblen sich die Adler. Die Aussage basiert auf einem Naturphänomen.

Wenn man eine moderne Bibelausgabe aufschlägt, z.Bsp. Luther 1984 / Einheitsübersetzung / Jersualemer Bibel / Wilckens / Zürcher Bibel (erst seit der Revision 1987/2007), so findet man dort: Geier.

Im griech. neuen Testament steht bei Mt 24,28 und Luk 17,37 ἀετός = Adler. Die Vulgata übersetzt mit aquilae. Die deutschen Bibeln (Luther 1545 / Piscator / Zürich 1531 bis 1931 und Neuauflagen) übersetzen mit: Adler.

Dass Durcheinander bei den verschiedenen Raubvögeln, die alle unter »Adler« firmierten, worunter auch Geier im modernen Verstand, zeigt Plinius hist. nat. X,iii,8.

Schon bei den Kirchenvätern (Ambrosius, Hieronymus) wird der Spruch so ausgelegt: Die Adler bedeuten die Gläubigen; das Aas (cadaver) bedeutet Christus in der Passion; das Sich-Versammeln geschieht bei der Eucharistiefeier. Die Tradition lebt im protestantischen 16.Jh. (vgl. Hermann Frey, Biblisch Vogelbuch, Leipzig 1595; fol. 110).

Diese Vorstellung leitet Pastor Cramer; er wendet sie indessen ins Persönliche, wie er ja im ganzen Buch immer vom persönlichen Gottes-Begehren spricht, was er mit der biblischen Herzmetaphorik fasst. Der zentrale Gedanke ist mithin: Wo der Gekreuzigte ist, dorthin strebt mein Herz – ebenso wie die Adler zum Aas. Das wird im Epigramm verdeutlicht: […] nach deinem Verdienste ist mir jach [begehre ich vehement]/ Dein Güte mich erfüll.

Das Herz wird in der Pictura folglich mit Adlerflügeln und Adlerkopf animiert, und dieses Mischwesen fliegt im Sturzflug auf das Aas hin.

Um die auf dem Boden liegenden Gliedmaßen zu verstehen, muss man wissen, dass bei die Passionsandacht anregenden Bildern gelegentlich nicht der ganze Gekreuzigte dargestellt wird, sondern nur die verwundeten fünf Gliedmaßen Hände, Füße, Herz (in der Graphik-Branche heißt das: ›freistellen‹ = Separieren des interessierenden Motivs von seinem Hintergrund).

Beispiele: Das Gebetbuch Georgs II. von Waldburg (Handschrift von 1476); und hier gezeigt: »Gebet und betrachtungen des Lebens des mitlers gottes und des mentschen unsers herrens Jesu christi«, Augsburg 1521; in einem späteren Druck:
> https://books.google.ch/books?id=5bLemXYb-LMC&hl=de&source=gbs_navlinks_s

 

Der besondere Clou bei Cramer ist nun, dass diese Gliedmaßen konkretisiert sind und wie Teile eines Kadavers auf dem Boden liegen. (Die Landschaft im Hintergrund ist nicht bedeutsam, unterstreicht aber diese Konkretisierung.)

 

(15) Bild und Text amalgamiert


Sanduhren kommen – wie zu erwarten ist – häufig in der Ikonographie des Barockzeitalters vor, so auch in der Emblematik (v.a. bei Rollenhagen / de Passe).

Johann Helwig (auch Hellwig; 1609–1674), unter dem Namen ›Montano‹ seit 1645 Mitglied des Pegnesischen Blumenordens, gestaltet in seiner »Nymphe Noris«, Nürnberg: Dümler 1650 auf S. 90 ein Figurengedicht in Form einer Sanduhr. Kann man sagen, dass hier ein Emblem vorliegt, bei dem Bild und Text verschmolzen sind?

Literaturhinweise: Jeremy Adler / Ulrich Ernst: Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike zur Moderne, Weinheim 1987 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 56). — Seraina Plotke [1972–2020], Gereimte Bilder. Visuelle Poesie im 17. Jahrhundert, München 2009. — Ulrich Ernst (Hg.): Visuelle Poesie. Historische Dokumentation theoretischer Zeugnisse. Bd. 1: Von der Antike bis zum Barock, Berlin 2012.

(16) Satire

Die Technik der Satire ist bei den Emblematikern eher selten anzutreffen. Liebhaber davon sind Johann Theodor de Bry und seine Söhne. Zum Thema der Schmeichelei (lat. Fachwort: ›adulatio‹)  – eine Plage am Hofleben – zeigen sie Nates hiantes (auseinanderklaffende Hinterbacken), in die die Schmeichler hineinkriechen:

Dem die andere ins Loch kriechen

Welchem am Gelt gebristet noch/
   derselbig kriech mit hie ins Loch/
So müntz ich ihm auff alle Ziel/
   So viel Gelt als er haben wil.

[Theodor de Bry] Emblemata Secularia, Mira Et Iucunda Varietate Seculi Huius Mores Ita experimentia, ut Sodalitatum Symbolis Insigniisque conscribendis & depingendis peraccommoda sint […] Weltliche lustige newe Kunststück/ der jetzigen Welt lauff fürbildende/ mit artlichen Lateinischen/ Teutschen/ Frantzösischen und Niderländischen Carminibus und Reimen geziert/ fast dienstlich zu einem zierlichen Stamm und Wapenbüchlein / per Jo. Theodorum De Bry, Oppenhemii: Gallerus 1611, Nr. LXXII
Digitalisat der Ausgabe 1627: https://archive.org/details/proscenivmvith01bryj

(17) Kerzen schneuzen

Wenn der Docht einer brennenden Kerze zu lang wird, sich umbiegt und am Ende glüht und die Flamme russig wird, dann schneidet man ihn kürzer mit einer Lichtputzschere oder Lichtschneuze. (Vgl. den Artikel in Krünitz, »Oeconomische Enzyklopädie«, Band 78 [1800], S.382f.) An der einen Klinge der Schere ist ein metallenes Kästchen angebracht, an der anderen ein exakt ins Kästchen passendes Plättchen. Damit wird der überstehende und abgeschnittene Teil des Dochts in das Kästchen geschoben, feuersicher und ohne Schmutz zu verursachen.

(a) Jacob Cats (1577–1660) verwendet diese Technik allegorisch in seinen Emblemata Moralia et Æconomica, Bij Pieter van Waesberge boecvercooper 1627.

> https://archive.org/stream/proteusofteminne00cats#page/n433/mode/2up

> http://www.dbnl.org/tekst/cats001jvan02_01/cats001jvan02_01_0113.php

Der Text des niederländischen Epigramms hier aus der deutschen Fassung: Des ... Poëten, Jacob Cats, ... Sinnreiche Wercke und Gedichte, Hamburg: Wiering 1710; Anderer Theil, Nr. XXXV = S. 122 — https://books.google.ch/books?id=wlteAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false

Wer ein Licht gedenckt zu schneutzen* / Greiff und schneide nicht zu weit/ Sondern mit Bescheidenheit/ sonst wird er nur Zorn erreitzen/ Wann das Licht den Schein verliert und man einen Stanck verspührt.
Wann man Schoß**  und Zinß eintreibet/ Greiffe man es also an/ Daß ein arm geringer Mann Noch bey Hauß und Hoffe bleibet/ Dann des Volckes Untergang Bringet einem wenig Danck.

(*schneutzen: emungere ›die Nase schneuzen‹, vgl. lat. Emunctorium — **Schoß: Abgabe, Steuer vgl. DRWB)

Die beigegebenen lateinischen Zitatfetzen sind so zu kontextualisieren:

Sit caeca futuri
mens hominum fati; liceat sperare timenti.

Möge der menschliche Geist für das kommende Verhängnis blind sein; muss er schon fürchten, so sei ihm doch erlaubt zu hoffen. (Lucan, Pharasalia II,14f.)

Boni pastoris est tondere pecus, non deglubere.
Äußerung des römischen Kaisers Tiberius über seine Statthalter: Ein guter Hirte schert sein Vieh, er zieht ihm nicht das Fell ab. (Sueton, Vita divi Tiberii 32,2)

Qui nimis emungit, elicit sanguinem.
Qui autem fortiter premit ubera ad eliciendum lac exprimit butyrum; et qui vehementer emungit elicit sanguinem; et qui provocat iras producit discordias.
(Proverbia Salomonis 30, 33) — Wer die Zitzen stark drückt, um Milch herauszubringen, drückt Butter heraus; und wer sich stark schneuzt, treibt Blut hervor; und wer zum Zorn reizt, bringt Zank hervor.

Odi hortulanum qui a radice olera exscindit.
Ich hasse den Gärtner, der das Gemüse mit der Wurzel abschneidet (Alexander apud Plutarch; in der Vita Alexanders?)

Odi principem qui pennas ita incidit, vt renasci nequeant.
illi qui mihi pinnas inciderant nolunt easdem renasci.
(Cicero, ad Atticum epist. IV,ii,5)  … jene, die meine Flügel stutzten, wollen, dass sie nicht wieder wachsen.

Die moralische Applikation ist sehr allgemein gehalten, beim Sueton-Zitat mit einem Stich ins Thema der politischen Klugheit des Regenten.

(b) Der selbe Jacob Cats hat das Emblem bereits – anders – verwendet in seiner Maegden-plicht ofte Ampt der Ionghvrouwen, in Eerbaer Liefde, aengewesen door Sinne-Beelden. = Officivm puellarum, in castis Amoribus, Emblemate expressum, [1600?] —  https://archive.org/details/ned-kbn-all-00002308-001 — Vgl. die Ausgabe 1618: http://www.dbnl.org/tekst/cats001maec01_01/


Wir zitieren nach der deutschen Übersetzung Neu-eröffnete Schule/ vor das noch ledige Frauenzimmer; Worinnen durch 45. schön-erfundene Sinn-Bilder, aufs Beste angewiesen wird: Wie sich selbe in ehrbarer Liebe zu verhalten/ und auch alle ungebührliche Neigungen zu meiden haben. Zu finden: Auf denen Franckfurter und Leipziger Messen [o. J., ca. 1700] —  http://diglib.hab.de/drucke/lp-20/start.html

Das Buch ist dialogisch aufgebaut: Anna und Phillis diskutieren miteinander über Fragen der vor-ehelichen Liebe.  Anna rät in Emblem 18 und 19:

Es wird dein kühler Sinn in ihm die Lieb’ erwecken, […]
wann die Sonn ein zeitlang nicht geschienen […]
Wann sie nun bricht hervor, wie hoch man selbe schätzt,
Mach du es auch also mit deinem Gunst-Bezeugen
[…]
Bestraffe deinen Schatz, hat ers gleich nicht verdient,
Hält er doch lieb und werth, so wird er nicht ermüden,
Und machen, daß du wirst bald wiederum versühnt.

 Darauf entgegnet Phillis in Emblem 20:

 

In der »Maegden-plicht« steht:

SI NIMIS EMVNGAS, EXTINGVITVR

Proverb. Salom. Cap. 30. Qui nimis emungit, elicit sanguinem
Ovidius. Sed miscenda tamen Venus est secura timori.
ne tanti 
d o t e s  non putet esse tuas.

Das Ovid-Zitat stammt aus der Ars amatoria III, 608, wo es aber lautet: Ne tanti  n o c t e s non putet esse tuas. Das Mädchen soll dem Liebhaber beim nächtlichen Stelldichein etwas Angst einjagen. Doch ein sorgloser Genuss versüße zuweilen die Schrecken, dass er nicht denkt ›Soviel sind die Nächte nicht wert!‹ — Cats hat das Wort noctes (Nächte) geändert zu dotes (Mitgift, Heiratsgut); die Änderung hat der Setzer typographisch hervorgehoben.

Und so rät denn Phillis

Das Liecht zu harte putzen,
Was bringt es vor Nutzen?

[…] Cupido hält ein helles Fackel-Licht,
Doch nicht von solcher Art, daß es nicht könt vergehen.
[…]
Drum ist der Rath nicht gut, den du mir erst gegeben.
Nur mit Bescheidenheit muß seyn ein Licht geputzt,
Auf solche Art möcht ich das buhlen nicht anheben,
weil ich nicht sehen kan was solche Strengheit nutzt.

(c) Dasselbe Ding, die Lichtputzschere, kann auch in religiösem Sinne emblematisch verwendet werden. In Philothei Symbola Christiana, quibus idea hominis Christiani exprimitur. Frankfurt/Main: Zubrod 1677; deutsch Christliche Sinne-Bilder 1679 steht als Emblem XXXIV:

> http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/symbol/seite43.html

Im ersten Prosa-Epigramm steht:

Darum ist es rathsamer bey Zeit den bösen Begierden zu begegnen/ und dieselbe bey erster Gelegenheit zu unterdrucken/ damit sie nicht wann sie einmahl die Herrschafft unsers Gemüths besessen/ Leib und Seele mit feuriger Brunst zu der Wollust anreitzen und verführen.
   Unser Gemüth ist gleichsam ein brennendes Licht/ welches, wenn ein abfallender Tocht dran hengt/ zwar heller brennt; Aber indem der unnütze Schein zunimmt und sich vermehret/ wird es viel eher abnehmen und verzehrt werden/ als wenn es bey seinem gewöhnlichen Glantz mit grösserm Nutzen scheinet.
   Derhalben damit es nicht allzugeschwind abgehe/ muß man dem brennenden Tocht/ der daran hengt/ hinweg nehmen/ und wenn der hinweg ist/ und das Licht gleich ein Theil seines Scheins verliehret/ so überwindet es doch darinn/ daß es nicht unnützlich und allzugeschwind verzehret wird.
   Im Anfang muß man alsobald die bösen Begierden unterdrucken
  […]

> https://archive.org/stream/philotheipseudch00karl#page/30/mode/2up

(d) Sehr seltsam wird die Lichtputzschere verwendet von Paolo Aresi (1574–1644) in Delle Sacre Imprese Di Monsigr. Paolo Aresi Vescovo Di Tortona Libro ... : In cui le fatte in lode di Chro. Signor N. e di altri Santi, e Beati si contengono, da singolari Discorsi ... ; Con le solite Tavole, Delle Imprese ... ; 4,1, Tortona 1630; p. 44 sq. —
http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10899702-0

VT LVCEAT OMNIBVS – Lampade smoccolata – per la Circumcisione del Salvatore. Die Sache wird auf die Beschneidung Jesu (Lukas 2,21) bezogen und mit dem dekontextualisierten Bibelzitat ut luceat omnibus (damit es allen leuchte; Matth. 5,15) verbunden. Bei Allegorien wird normalerweise ein Konkretum (Lichtputzschre) auf ein Abstraktum (z.B. Verhalten des Gläubigen) bezogen; hier seltsamerweise auf ein anderes Konkretum (Beschneidung) und dann notdürftig noch auf ein Abstraktum (leuchten metaphorisch für Gnade bringen).

In Hergiswald (Nord 2; Bitterli 1997, S. 48) ist das Emblem marianisch verwendet.

(a – d) Dasselbe Ding (res) wird ganz verschieden gedeutet: Bei Cats: Vorsicht, nicht zu viel des Dochts abschneiden! (a) allgemein, politisch; (b) amurös. Bei Philotheus (c) moralisch: Den glimmenden Docht rechtzeitig stutzen. Bei Aresi (d) heilsgeschichtlich.

Literaturhinweise: Johann-Christian Klamt, Ut Magis Luceat. Eine Miszelle zu Rembrandts »Anslo«, in: Jahrbuch der Berliner Museen 17. Bd. (1975), S. 155–165. — Im Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte ist ein Artikel »Lichtputzschere« vorgesehen. (Wenn Sie sich für die Bearbeitung des Artikels interessieren, wenden Sie sich bitte an rdklabor@zikg.eu)

 

(18) Allerlei Hände

(Die hier skizzierten Kategorien können sich überlagern. Vgl. auch die Seite zur Handsymbolik hier!)

(a) Wirkliche Hände; die Hand ist als solche wichtig:

Eine ausgestreckte Hand misst eine Spanne ab: So kurz ist das Leben — Joannes de Boria, Moralische Sinn-Bilder (1698), Nr. XIX 

Zwei Hände sind abgebildet: eine mit ausgestreckten Fingern (bedeutend das Glück) und eine zur Faust geschlossene (bedeutend die Widerwärtigkeit). Deutung: Das Leben ist stets dasselbe, mal so, mal so. Joannes de Boria, Moralische Sinn-Bilder (1698), Nr. XXIII

Hand für eine symbolische Geste — Dise Trew sol nichts scheyden: Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria (1619); Nr. LXXXV.

(b) Abbildung einer konkreten Hand, aber nicht einer anatomisch echten:

Eine Hand, die auf einem Stab aufgesteckt ist, ein römisches Feldzeichen (nach Paradin, Symbola heroica, 1583, S.79 designat signum hoc vetus beneficium ceu manum Concordiæ ...)  — Rollenhagen / de Passe (1613)  II,86

(c) Eine Hand als graphisches Hilfsmittel, weil der symbolisch gemeinte Gegenstand nicht schwebend gezeichnet werden soll und der Blick nicht auf eine Szene abgelenkt werden soll.

Es lässt sich eine (nicht historische) Reihe der graphischen Darstellungen bilden:

••• Der auf einen Diamanten Schlagende, der ihn aber nicht zerstören kann, wird als Schmied in einer Werkstatt dargestellt: Dionysius Lebeus Batillius (1596) Nr. 29

Übernommen in: Philipp Ehrenreich Wider, Evangelische Sinn-Bilder/ Auf alle Sonn- hohe Fest- und Apostel-Täg/ vollkommenlich durch das gantze Jahr, Nürnberg: Tauber 1662 > http://diglib.hab.de/drucke/th-2821/start.htm?image=01025

••• Es wird nur die Hand des Schlagenden dargestellt: Rollenhagen / de Passe (1613)  II,37

••• Es wird nur der schlagende Hammer dargestellt: Hieroglyphica sive de sacris Aegyptiorum literis commentarii, Ioannis Pierii Valeriani Bolzanii Bellunensis, Basel 1556; fol. 306recto

Weitere Beispiele:

Eine Hand hält eine Lupe, durch die hindurch Sonnenstrahlen Pulver entzünden: Auch wenn Gott (symbolisiert durch die Sonne) fern ist, ist seine Kraft nah. — Philothei Christliche Sinne-Bilder (1677), Symbolum XL

Eine Hand hält Palette und Pinsel, um eine Leinwand zu bemalen  — Saavedra, Idea de un principe politico christiano (1640) Symbolum II

(d) Die Hand – wie der Text besagt – meint auf der Signifié-Ebene Gott (oder eine andere mythologische Größe).

Schon in Brants Narrenschiff (1494) (Nr. 37 und Nr. 56 ) bewegt eine Hand das Glücksrad mit der Kurbel – es ist die Hand der Fortuna.

Eine Hand aus Wolken, die mit einer Schere den Lebensfaden abschneidet:

Zesen, Moralia Horatiana (1656), II,30 — Antike Stellen für die den Faden abschneidende Parze sind nicht leicht zu finden. Isidor, Etymol. VIII,xi,93: Quas tres esse voluerunt: unam, quae vitam hominis ordiatur; alteram, quae contexat; tertiam, quae rumpat. Ein Sprichwort kursiert: Clotho fert fusum, Lachesis rotat, Atropos occat.

(e) Die Hand ist auf der Signifiant-Ebene die Hand eines Menschen; auf der Signifié-Ebene ist eine numinose Macht mitgemeint:

Eine Hand spannt einen Pfeilbogen:

Je höher der Boge gespannt/ und je weiter die Senne gezogen wird/ desto stärcker und tieffer geht der Pfeil-Schuß: also dringt der Göttliche Zorn-Pfeil/ nemlich die hellische Pein/ desto schärffer und tieffer in Leib und Seele/ je weiter die Göttliche Langmut ausgedehnt worden. Erasmus Francisci, Das Unfehlbare Weh der Ewigkeit für die Verächter der Gnaden-Zeit (1686) Nr. XV und S. 390.

Eine Hand aus Wolken schwingt einen Dreschflegel, der auf die Ähren einschlägt und so das kostbare Korn hervorbringt: das Schicksal, das bzw. Gott, der durch Drangsale die Menschen bereichert — Rollenhagen / de Passe (1611)  I, 96 — Camerarius (lat.1590 / dt.1654) I, 84:

Lemma: Tribulatio ditat

Wo der Flegel nicht wird zur Hand genommen/
Wird uns vom Getraid kleiner Nutzen kommen.


Epigramm: Der liebe Körner=Schatz müst in der Spreu verbleiben/
Wann ihn der Drescher=Schlag nicht würde von ihr treiben/
So klopfet auch das Creutz/ dem uns Gott unterstellt/
Von unsren Hertzen ab die eitle Spreu der Welt.

(f) (d) und (e) kombiniert zu einem doppelstöckigen Hand-Emblem:

Eine Hand aus Wolken (für Gott) hält ein Szepter, an dem zuoberst eine Hand angebracht ist, die ein Schwert führt (für den Fürsten) — Rollenhagen / de Passe (1613)  II, 3.

(g) Die Hand ist einzig diejenige des impliziten Lesers:

 

Ein Frommer erwartet allen glücklichen Fortgang auß dem Himmel/ und fanget nichts an auß unzeitigen Begierden …

  Diesen Degen seh ich wohl
Auß den hohen Wolcken hangen/
   Doch ich weiß nicht ob ich soll
Ihn mit meiner Hand empfangen/
   Ich will warten sanfft und still/
   Biß mein GOtt vom Himmel will.

Philothei Symbola Christiana, quibus idea hominis Christiani exprimitur. Frankfurt/Main: Zubrod 1677; Nr. LXXXIII.

(h) Kombination mit anderen Körperteilen:

Eine Hand, in der ein Auge angebracht ist (manus oculata). Ausgesagt werden soll die Warnung, nicht zu schnell zu glauben (Rollenhagen: fide, sed cui vide); wobei der Gestus der Hand für fides = ›Zutrauen, guter Glaube‹ steht und das Auge für die Vor-Sicht. Die Idee geht zurück auf die Komödie »Asinaria « des Plautus, wo es 1.Akt, 3.Szene, 50 heißt: semper oculatae manus sunt nostrae, credunt quod vident. (Vgl. Erasmus, Adagia # 731 I, VIII, 31).

Bei Alciato mindestens seit 1546 (vgl. http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A46a052) — Rollenhagen / de Passe (1611)  I, 72 — Saavedra, Idea de un principe politico christiano (1640) Symbolum LI (fide et diffide) — Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria  1619, Nr. 88.

Literatur: Anna Maranini: »Col senno e con la mano«: Eyes, Reason and Hand in Symbolic Transmission, in: Donato Mansueto / Elena Laura Calogero (Eds.), The Italian Emblem. A Collection of Essays, Glasgow: University of Glasgow 2007, pp.145ff.

(i) Konkretisierte Metapher / Redewendung:

Eine Frau und ein Mann reichen sich die Hand, über die vereinigten Hände fließt Wasser aus einem Gefäß. Dazu das Lemma Manus manum lavat (Eine Hand wäscht die andere; sprichwörtlich für gegenseitige Unterstützung, hier in der Ehe) Rollenhagen / de Passe (1613) II, 28.

(j) Die Finger der Hand Gottes werden gedeutet:

Das zerbrochene Gefäß (vgl. Ps. 31,13; Jer. 19,11) bedeutet die Sünden, die Gott allein flicken (rectificirn) kann. Die Hand Gottes wird nun Finger für Finger gedeutet:

Deß HERREN Händ   [ältere Nebenform für Hand]
Alln schaden wend.
[…] Fünff Finger sihst du an der Händ/
Der erst der wird der Grecht genennt/
Vnwandelbar der ander heist/
Sein Weißheit dir der dritte weist/
Sein Wunder der vierdt zeiget an/
Der Fünfft sein Stärck/ weist was der kan.
Wenn du nun Creutz vnd Trübsal hast/
Vnd dein Gott dir aufflegt ein Last/
Denck an die rechte Hand allezeit/
Er ist zu helffen mit bereit.

[Johann Mannich (*1580)] Sacra Emblemata LXXVI In Quibus Summa Unius Cuiusque Evangelii Rotunde Adumbratur. Das ist Sechsundsibentzig Geistliche Figürlein in welchen eines jeden Evangelii Summa Kürtzlichen wird abgebildet, Norimbergae: Sartorius 1625. > http://diglib.hab.de/drucke/389-1-theol-1s/start.htm

(k) ---- Weitere Beispiele bei  Henkel /  Schöne, Emblemata, im Bild-Register Sp.1970/71

(l)  Das Wappen des Franziskanerordens zeigt zwei (reale) Hände aus Wolken. Es ist eine Abbreviatur der Stigmatisation des hl. Franziskus: die eine Hand ist die von Jesus mit dem Wundmal; die andere die stigmatisierte Hand des Franziskus. Vgl. die »Drei-Gefährten-Legende«, in: Franz von Assisi, Legenden und Laude, hg. Otto Karrer, Zürich: Manesse-Verlag 1945, S. 128. – Übersetzung und Anmerkungen von Engelbert Grau OFM.

St.Lucius in Lain (Graubünden); Foto PM

(19) Der Lahme reitet auf dem Blinden

In einer rabbinischen Auslegung von Leviticus 4,2 (»Wenn jemand aus Versehen gegen irgendein Gebot des Herrn sündigte …«) aus dem 5. Jh. u.Z. findet sich eine Gleichniserzählung (Maschal), die darlegen soll, dass weder die Seele noch der Leib sich auf den anderen wird ausreden können, wenn sie dermaleinst der Richter der Sünde bezichtigen wird:

R. Ismael hat gelehrt: Gleich einem König, welcher einen Obstgarten hatte und darin schöne Frühfrüchte. Er setzte als Wächter hinein einen Blinden und einen Lahmen. Er sprach zu ihnen: ›Habt Acht auf diese schönen Früchte!‹ Nach einiger Zeit sprach der Lahme zum Blinden: ›Ich sehe schöne Früchte im Garten.‹ Der Blinde antwortete: ›Wohlan, wir wollen essen!‹ Der Lahme entgegnete: ›Kann ich denn gehen?‹ Der Blinde sagte: ›Kann ich denn sehen?‹ Da ritt der Lahme auf dem Blinden und sie aßen und jeder begab sich wieder an seinen Ort. Nach einiger Zeit kam der König in den Garten. Er sagte zu ihnen: ›Wo sind denn die schönen Früchte?‹ Da sagte der Blinde: ›Mein Herr König! Kann ich denn sehen?‹ Und der Lahme: ›Mein Herr König! Kann ich denn gehen?‹ Der König war aber klug. Was machte er mit ihnen? Er setzte den Lahmen auf den Blinden und sie begannen zu gehen. […] So spricht Gott dereinst zur Seele: ›Warum hast du vor mir gesündigt?‹ ›Herr der Welten!‹ spricht sie, ›ich habe nicht gesündigt, sondern der Leib ist es, welcher gesündigt hat.‹ […]

Midrasch wajikra rabba 107c zur Stelle; August Wünsche, Bibliotheca Rabbinica. Eine Sammlung alter Midraschim, zum ersten Male ins Deutsche übertragen von A.W., 22./24./26. Lieferung: Der Midrasch wajikra rabba, Leipzig 1883–84.

Das Emblem bei Alciato geht zurück auf die »Anthologia Graeca« 9.12 (und 13, 13b), wo es heißt:

War da ein blinder Bettler, der trug einen Lahmen und schenkte
     für des anderen Aug diesem den nötigen Dienst.
Beide waren nur Halbe, ergänzten sich aber zum Ganzen,
     da sie, was jedem gebrach, wechselnd einander sich liehn
(Übersetzung Hermann Beckby).

Das ist ein Exempel für kluges Verhalten, das verallgemeinert und auf einen analogen Casus bezogen werden kann. Im rabbinischen Gleichnis dagegen wird dieses Verhalten explizit allegorisch übertragen in die religiöse Sphäre, wo es eine hamartologische Frage beantwortet. Der besondre narrative Pfiff dort ist, dass die beiden Wächter meinen, sie seien schlau, der König diesen Trick aber durchschaut.

In der ersten illustrierten Alciato-Ausgabe (1531) führt ein (gehender!) Einbeiniger den Blinden; so ist die Idee verpatzt:

Ab der Ausgabe Paris 1534 sitzt der Lahme auf dem Buckel des Blinden; so ist das Defizit beider bezeichnet, und das Motto Mutuum auxilium (gegenseitige Hilfe) kommt zum Tragen:

Hier der Holzschnitt (von Virgil Solis?) aus der Ausgabe Frankfurt am Main, 1566/67; Emblema XLVII. Vgl. das Digitalisat > http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/facsimile.php?emb=A67a047

Das Emblem findet sich 1596 und 1627 wieder bei Johann Theodor de Bry mit den Versen

Der Blindt den Lamen vbern Steg
   Hinträgt/ der Lam zeigt jhm den Weg/
Als/ wo man zuſammen thut/
   Vnd hilfft einander/ thut es gut.

Proscenium vitæ humanæ, sive Emblematvm Secvlarivm, Ivcvndissima, & artificiosissima varietate Vitæ Hvmanæ & seculi huius deprauati mores, ac studia peruersissima. Versibvs Latinis, Germanicis, Gallicis & Belgicis ita adumbrantium […] Weltliche lustige newe Kunststück/ der jetzigen WeltLauff fürbildende […] Durch Joan. Theodorum de Bry, Franckfurt: Fitzer 1627
> http://diglib.hab.de/drucke/xb-6550/start.htm

Niklaus Bluntschli (* vor 1525 Zürich, † 1605 Zürich) hat 1555 das Motiv HILF VM HILF verwendet in einer Glasscheibe für Hans und Heinrich Peyer in Schaffhausen (heute in der Peyerschen Tobias Stimmer-Stiftung).

Fritz Graf, Emblemata helvetica. Zu einer Sammlung angewandter Embleme der deutschsprachigen Schweizer Kantone, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Band 31 (1974), S.145–170. > http://dx.doi.org/10.5169/seals-166162


Rolf Hasler, Die Schaffhauser Glasmalerei des 16. bis 18. Jahrhunderts, Bern: P.Lang 2010 (Corpus vitrearum. Schweiz. Reihe Neuzeit; Band 5),  S. 321f. (mit farbiger Abbildung)

Johann Bernhard Basedow bringt das Motiv in seinem Elementarwerk. Ein geordneter Vorrath aller nöthigen Erkenntniß. Zum Unterrichte der Jugend, von Anfang, bis ins academische Alter. Zur Belehrung der Eltern, Schullehrer und Hofmeister. …  In Verbindung mit einer Sammlung von Kupferstichen […], Dessau 1774.


Tafel XXX: Nutzen der Geselligkeit. a) Exempel an einem Lahmen, der von einem Blinden getragen wird; an einem mit Gefahr Schlafenden, den ein anderer beschützt. Vgl. den ausführlichen Text im 6.Buch, Kap. XVIII.: Höret aus einer Geschichte, wie ein Mensch des anderen bedürfe. [………]
> https://commons.wikimedia.org/wiki/Elementarwerk,_Kupfersammlung

Arthur Schopenhauer verwendet das Modell für das Verhältnis von Willen und Intellekt:

In Wahrheit aber ist das treffendeste Gleichniß für das Verhältniß Beider der starke Blinde, der den sehenden Gelähmten auf den Schultern trägt.

Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band (1844), Ergänzungen zum zweiten Buch, Kapitel 19. Vom Primat des Willens im Selbstbewußtseyn (ed. P.Deussen 1911, S.233).

 



Analyse-Raster

Es ließe sich denken, dass man ein Emblem so interpretiert, dass man sich in einen zeitgenössischen Rezipienten versetzt und der Reihe nach liest: Motto: ist elegant formuliert, aber rätselhaft – Pictura: schön gezeichnet, aber das Rätsel wird nicht gelöst, eher noch enigmatischer – Epigramm: aha, jetzt wird es klar: So soll man leben und handeln!

Hier wird indessen eine andere Vorgehensweise vorgeschlagen. Es handelt sich nicht um eine ›Methode‹ in dem Sinne, dass einzelne Verfahrensschritte nacheinander abgearbeitet würden. Sondern um eine Topik, d.h. eine Handvoll meist aufschließender Fragen, die man an das Emblem stellt, und zwar so wie man ein Kreuzworträtsel löst: einige Wörter errät man bald einmal, und allmählich, wenn man schon einige Buchstaben hat, kommt man auf die Idee, ...

Man verwechsle diese Topik nicht mit einem Bestimmungsbuch für Pflanzen nach dem linnéschen System!

Der Approach ist zunächst ahistorisch, aber möglicherweise hilft der Fragekatalog, dermaleinst eine historische Entwicklung der Emblematik von 1531 bis ca. 1720 aufzuzeigen.

Den Fragekatalog erläutern wir zunächst im Überblick an diesem Emblem:

Motto: Die Last machts leicht

Subscriptio: Hier ist eine Schlag-Uhr, die durch die schwehren Gewichte und Last in rechten Gang gebracht wird, daß sie fein leicht fortgehet, und eine Stunde nach der anderen richtig hält: Also ist auch gläubigen Christen nicht hinderlich, wenn ihnen Gott nach seinem allweisen Rath ein schweres Creutz-Gewicht anhänget: dann dadurch werden sie nur aufgemuntert, desto hurtiger und besser in ihrem Christentum fortzugehen.

Quelle: Des hoch-erleuchteten Theologi, Herrn Johann Arndts, ... Samtliche Sechs Geistreiche Bücher Vom Wahren Christenthum : Das ist: Von heylsamer Busse, hertzlicher Reue über die Sünde, wahren Glauben, auch heiligen Leben und Wandel der rechten wahren Christen. […], Zürich, in Bürcklischer Truckerey getruckt 1746. — Zum 2. Buch, 47. Kapitel.

<A> Worin besteht die formale Logik der Kernaussage, die dem Signifiant und dem Signifié gemeinsam ist?  Im Beispiel: Nur wenn p, dann q = Nur wenn Gewichte an der Uhr hängen, läuft sie. ≈ Nur wenn der Mensch eine Last trägt ist, lebt er wirklich.

Die Erfassung der Embleme mit Registern – wie bei Picinelli, Boschius oder Henkel/Schöne – ist praktisch, um ein bestimmtes Emblem aufgrund erkennbarer Gegenstände (mit dem Index rerum notabilium) oder aufgrund eines moralischen Begriffs (mit dem Index applicationum, z.B. um eine Predigt auszuschmücken) zu finden. Diese Erschließungstechnik leistet aber nichts für die Interpretation eines Emblems. Dazu eruiert man seine Logik.

Es gibt verschiedene logische Strukturen. Vgl. die Details  hier

<B> Jedes Lebewesen, jedes Artefakt, jede Handlung einer historischen Person usw. (in der patristisch-mittelalterlichen Theorie der Bibel-Auslegung: lat. res) lässt sich mittels Allegorese* zu einer erbaulichen Botschaft wandeln.

*) Die Technik der allegorischen Inbezugsetzung kann verwendet werden, um rhetorisch-produktiv einen abstrakten Sachverhalt ›einzukleiden‹ oder umgekehrt, um aus einer realistischen Beschreibung etwas Geistiges herauszuinterpretieren (das nennt man in der germanistischen Mediaevistik mit einem Kunstwort oft »Allegorese« [< allegorische Exegese]).  Genaueres hier.

Mit welchen ›Brücken‹, werden Elemente des Signifiant-Bereichs (res) auf den Signifié-Bereich bezogen? Im Beispiel: Gewicht --- Metapher der Depression (vgl.  Ausdrücke wie ›beschwert sein mit‹, ›bedrückt sein durch‹) --- Drangsal // die Uhr tickt --- Metapher oder nur eine gemeinsame abstrakte Vorstellung? --- der Mensch ist munter.

Es gibt verschiedene solcher Brücken: abstrakte Vorstellung; Metonymie; Metapher; arbiträre Bezüge — mehr dazu hier

<C> Design der Pictura

Welche Elemente können bildlich realisiert werden, welche sind nicht darstellbar? Genaueres hier

Werden Hilfsfiguren verwendet (z.B. Hand aus Wolken; kleines Mädchen als Anima = Leser)?  Genaueres hier

Gibt es überschüssige, evtl. bedeutsame Bild-Überschüsse / welche Bildteile sind nur ornamental? Im Beispiel: das Ticken ist nicht umsetzbar ins Bild; diese Kenntnis muss beim Betrachter vorausgesetzt werden. Genaueres hier

Welche Bild-Ideen lagen den Graphikern vor und steuerten ggf. die Darstellung? Genaueres hier

Konstruierte Bilder. Genaueres hier

<D> Kommunikative Leistung

Die Embleme sollen den Leser/Betrachter instruieren, ihn psychisch beeinflussen und insbesondere ihn zu einem Verhalten bewegen. (In der Sprachtheorie von K. Bühler ausgedrückt: es geht hier um die »Appellfunktion«.) Dass der Mensch nur ›tickt‹, wenn ihm nur schwere Lasten angehängt werden, ist ein Trost.  Mehr dazu hier.

<E> Hilfestellungen bei der Deutung

Das Epigramm, das sie explizit austextet. … wenn ihnen Gott nach seinem allweisen Rath ein schweres Creutz-Gewicht anhänget

Weitere Elemente innerhalb der Pictura. Vgl. beim Emblem des ins Licht fliegenden Falters (Rollenhagen I,40) links das Paar bei Lautenmusik und Wein, rechts die Duellszene. Mehr dazu hier.

Stellung im Werkganzen? Im Beispiel: Das Emblem ist eingefügt in das Kapitel Sprüche und Exempel der Gedult, und Trost.

Man würde erwarten, dass die über das Epigramm hinaus beigegebenen Texte das Emblem zu deuten vermögen. Teilweise sind sie hilfreich, etwa wenn das Verhalten eines Tiers mit Bezug auf Plinius oder Aelian genauer beschrieben wird. In diesen Textzusätzen stehen indessen meist weitere ähnliche Beispiele (Sprichwörter, Sentenzen, Exempla, Kirchenväterstellen), die vermutlich aus dem enzyklopädischen Schrifttum zusammengetragen sind. Dadurch wird das Thema angereichert, meist auch verkompliziert. Das Ausbreiten humanistischer Gelehrsamkeit ist nicht immer klärend. — Beispiele: Joachim Camerarius, Symbola et emblemata (1590–1604) – O. van Veen, Moralia Horatiana (1607).

<F> Der ›implizite Leser‹


Wie schafft es das Emblem, den Leser auf eine Weise anzusprechen, ihn zu involvieren, so dass er sich gepackt fühlt, der moralischen Anweisung zu folgen? Es gibt bessere und wohl eher weniger gelungene Techniken:

• Das Epigramm spricht den Leser in irgendeiner Form direkt an:  Also ist auch gläubigen Christen nicht hinderlich, wenn...

Mehr dazu hier.

<G> Was ist primär: das Bild oder der Text?

Metaphern, Gleichnisse, idiomatische Redewendungen, auch narrative Texte (Exempla, Fabeln) enthalten Bild-Potentiale. Zu erinnern ist daran, dass Alciatos Sammlung zunächst nur Texte enthielt, aber zur Herstellung von Intarsien und dergl. anregen sollte; der Verleger Steiner hat 1531 dann Bilder dazugesetzt. Genaueres hier.

Bei den Gelegenheitsandachten kann man annehmen, dass der optische Eindruck primär ist, der dann aufgrund von Kenntnissen allegorisch moralisiert wird. Im Beispiel ist zu vermuten, dass die bildliche (und akustische) Vorstellung der Uhr primär war.

<H> Innere Struktur der Bild- und Texteile

Im Beispiel ist das Motto Die Last machts leicht ein Paradox; das Bild der Uhr erklärt es keineswegs, sondern verunklärt noch mehr. Erst die Subscriptio mit der allegorischen Deutung des Gewichts bringt eine Auflösung des Rätsels. Genaueres hier .

<I> Qualität

Wie kommt die prudentiale / moralische Aussage zustande? Hat das Emblem ein Überzeugungspotential? Im Beispiel: die nur-dann-wenn-Struktur enthält etwas Zwingendes, die Depressions-Metapher ist gebräuchlich.

Entsteht durch das besondere Arrangement von Motto – Pictura – Subscriptio oder durch den oft schrägen Bezug von Signifiant–Signifié eine besondere Pointe? Was leistet sie ästhetisch / rhetorisch / didaktisch? Oder ist die möglich Pointe verpatzt?  Im Beispiel: Überraschungsmoment, dadurch dass etwas Mechanisches auf Psychisches bezogen wird; Spannung, wie das im Lemma formulierte Paradoxon Die Last machts leicht aufgelöst wird.

Genaueres hier .

<Q> ?

Man kann sich überlegen, ob eine Rubrik ›Typ der Quelle‹ für eine Analyse ertragreich ist. Zu unterscheiden wären Typen wie

  • Naturkundliches Wissen (z.B. aus Plinius’ historia animalium; Physiologus)
  • Geschichtliche Ereignisse (z.B. aus Valerius Maximus)
  • Mythologisches (z.B. Vergil, Ovid, Boccaccios Genealogie Deorum gentilium)
  • Handwerk, Technik, Landwirtschaft
  • Sprichwörtliches (vor allem die Epigramme aus der Anthologia Graeca; erste Ausgabe 1494)
  • u.a.m.

Man bemerkt aber bald, dass diese Kategorien nicht trennscharf sind: Ein logischer Typ wie das Exemplum kann bei den geschichtlichen Ereignissen wie bei der Mythologie oder bei den Epigrammen vorkommen; umgekehrt enthält eine Kategorie wie das Mythologische verschiedene logische Typen.
 



Details und Exkurse zu <A> bis <I>:

Zu <A> : Logik der Kernaussage

Mit P sind Einzel-Dinge, Tiere, Artefakte, mythologische Gestalten u.ä. gemeint;  p und q sind Aussagen im Sinne der formalen Logik. (Die formale Logik in einem strikten Verstand vermag die Phänomen-Vielfalt freilich nicht zu erfassen.)

 

(1) P hat die Eigenschaften x, y, z

• Cupido führt zwei dem Wagen eingespannte Löwen am Zügel. — Die Liebe ist die stärkste Gemütsbewegung (Potentissimus affectus amor). (Alciato, 1542, Nr. VII)

• Die Magnetnadel richtet sich nach Norden. — Ein Gott liebendes Gemüt sucht Gott allein. (Philotheus, Christliche Sinne-Bilder 1679; LXIV.)

• Der Mond empfängt sein Licht von der Sonne — das ›Licht‹ ist bei den Menschen nicht zu finden; es kommt allein von Gott. (Philotheus, Christliche Sinne-Bilder 1679; XXVII.)

 

(2)  P verrichtet / führt aus / vollbringt x

 • Der Papagey spricht alles (gute Lehre wie üppige Worte) dem Meister nach — so ahmt das Volk die guten wie die ehrenhaften Sitten des Herrschers nach (Holtzwart XIX)

Komplikation:

Das Ausgangsprodukt und das Erzeugte stehen in einem Wert-Gegensatz:

• Mercur erschafft aus dem Schildkröten-Panzer die Lyra —  Industria naturam corrigit (energische Tätigkeit verbessert die rohe Natur; Sambucus)

Das Rüttelen säubert. – Hier ist ein Sieb, wodurch das Geträyde, wenn es gerüttelt und geschüttelt wird, von dem Staub und anderm Unflath gesäubert wird. — So wird der Christ von Satan durch allerhand Anfechtung gesichtet und gesäubert. (Arndt, Sechs Bücher vom Wahren Christentum [1746], zu Buch II, Kap. LIV)

 

(3) Voraussetzungen und Konsequenzen

Logik: Immer wenn p, dann q  — Nur wenn p, dann q — Ohne p kein q

• Wenn der Hirsch brünstig ist, achtet er nicht auf Feinde. – Wenn die Seele Gott liebt, erträgt sie alle Qualen (Philotheus LXII)

• Die Lampe brennt nicht, wenn sie kein Öl enthält — man soll die treuen Diner entschädigen (Zincgref  XLII)

• Die Trommel, wenn sie nicht gerührt wird, ermuntert die Gemüter nicht. — Wir Menschen sind an sich stumm, solange wir nicht von Gott zu guten Taten angetrieben werden. (Philotheus XLV)

• Venus beseelt die Statue des Pygmalion. — Nur wenn Gott wirkt, gibt es eine gute Heirat. (Holtzwart XXXXIIII)

Komplikation:

Voraussetzung und Konsequenz stehen in einem besonderen inhaltlichen Verhältnis- So kann die besondere Pointe  darin bestehen, dass die handelnde Größe auch die Konsequenz erdulden muss:

• Nussbaum: fertilitas sibi ipsa damnosa (Alciato s. oben)

• Wenn die Holzscheiter brennen, dann verzehren sie sich — Aufopferung im pflichtgemäß verrichteten Dienst (Rollenhagen / de Passe 1611, I,15)

• Der Walfisch wird infolge seines eigenen Gewichts ans Land gespült und so ins Verderben gebracht. — Der Mensch, der sich auf seine Gewaltherrschaft verlässt, kommt zuletzt um. (Camerarius IV,5)

 

(4) Je – desto

• Der Wassersüchtige will immer mehr von dem, worunter er leidet (Moralia Horatiana I,54)

 

(5) Finales Verhältnis

P tut p, um q zu erreichen

• Der Storch ernährt die Jungen, damit sie ihn dann später im Alter pflegen. — Also hat wolthat iren danck. (Alciato 1542, Nr. 5)

• Der Polyp ändert seine Farbe, um zu täuschen — so die Schmeichler. (Holtzwart LXIIII)

• Das Gras wird abgehauen, damit es nachher besser wächst. — Die Frommen werden (von Gott) gepeinigt, damit ... (Philotheus XX)

• Ein Bär lässt sich vor einem angreifenden Büffel auf den Rücken fallen (Zincgref Nr. XIV). Das Verhalten des Bären aus Aristoteles, hist. an.; im Kommentar: Manchmal weicht man eher aus Klugheit (astu) denn aus Furcht, um den Feind zu verderben. Usw.

(6) Güterabwägung

Logik: P ist {oder gilt} als wertvoller als Q

• Kerzenlicht ist im Vergleich mit der Sonne minderwertig. — Des Menschen Vermögen ist im Verhältnis zu Gottes Macht gering.  (Philotheus LIV)

• Die Vögel auf dem Feld singen nur, was die Natur ihnen eingegeben hat; die gefangenen Vögel müssen fremde Weisen lernen. (Pictura: Der Vogel im Käfig hält ein Spruchband im Schnabel, worauf steht χαιρε [sei gegrüßt!])  — Freiheit ist mehr wert als Knechtschaft (Holtzwart Nr. XXVIII)

• Camerarius zitiert Aelian (de natura animalium I,3), der schreibt die Egyptische Frösche seyen für andern/ mit wunderbahrer Klugheit von der Natur begabet/ also daß/ wann sie ihren Feind/ die Wasser-Schlang/ die auf sie zurücket und sie verschlingen wil/ erblicken/ derjenige/ welcher in Gefahr ist/ also bald zu einem Rohr hüpfe/ eines abbeisse und überzwerg ins Maul nehme/ daß ihn also die Schlang mit diesem Balcken keines Wegs freßen und verschlucken könne/ sondern zufrieden lassen müsse. 

Motto: Virtute, non vi (Mit Klugheit, nicht mit Gewalt; man beachte, wie hübsch die Tiere in das Nildelta samt Pyramiden gesetzt sind!)  (Camerarius IV Nr. 72)

(7) Zwar p, aber q

Beliebt ist die logische Struktur ›zwar äußerlich p / aber innerlich q‹, mit beiden Wert-Besetzungen:

• Der Granatapfel ist zwar von außen gesehen verächtlich / innen ergetzt er. — Mancher Mensch schaut verächtlich und albern aus, wird aber sein Geist erweckt, so erkennt man, dass viel Gutes in ihm steckt. (Philotheus LXXV)

• Das Ruder erscheint im Wasser wie gebrochen / in Wirklichkeit ist es gerade. — (Aus der Sicht des Fürsten:) Auch wenn das Volk über mich lästert, so habe ich doch ein gutes Gewissen über meinen Wandel. (Zincgref LIX)

(8) p, obwohl q

• Isselburg / Rem veranschaulichen anhand des Eisen verdauenden Strauß’ (vgl. Plinius, nat. hist. X,1 und andere) die Aussage

Deß Eisens Natur/ ob es schon
So hart/ daß mans kaum bändign kan/
Thut doch solchs der Strauß vertragn/
Vnd verdaut es in seinem Magn:
   Obwohl der Lästrer Wort sehr schneidn/
   Kans doch der Grecht mit Gdult leicht leidn.

Petrus Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica. In aula magna Curiæ Noribergensis depicta, Nürnberg 1617. Nachdruck der Ausgabe 1640 hg. W. Harms, Bern / Frankfurt: Lang 1982. Nr. 16.

• Hier könnte man auch einordnen den interessanten Spezialfall ›kleine Ursache – große Wirkung‹. Beispiel: ein kleiner Funke entzündet eine Kanone — Gottes ›Funken‹ treibt den Menschen oft zu großen Taten an. (Philotheus XXVIII

 

(9) p erkennt man {nicht} an q 

• L’habit ne fait le moine – die Pictura zeigt einen Affen in prächtigem Gewand, der ein Szepter hält (Zincgref XLVII)

 • Am Schatten des Drachen erkennt man ihn:

Niemand zweifel/ daß ein würcklicher Körper vorhanden sey/ wenn er den Schatten eines Körpers erblickt. Wo man einen […] Drachen-Schatten von fernen lauffen sihet: da muß nothwendig ein solches böses Unthier selbst seyn. Wo solche Hellen-Bilder im Traum erscheinen; da müssen sie eine Vorschattierung warhafftiger Hellen-Pein werffen. (Erasmus Francisci, Das Unfehlbare Weh der Ewigkeit für die Verächter der Gnaden-Zeit, Nürnberg: Endter, 1686; Das XIV. Bedencken: Wie Gott der Herr etlichen Leuten/ durch Gesichter/ die Helle vorgebildet habe; insbes. S.379f)

(10) Exemplum

(10.1.) Exempla funktionieren so:

Es wird (fakultativ: eine Ausgangssituation S) – eine (darauf reagierende) Handlung H – eine (positive oder missliche) Folge F erzählt. Die Moral von der Geschicht: Wenn Du F erreichen bzw. vermeiden möchtest, dann handle (in einer ähnlichen Situation wie S) so: H!– Dabei können S, H, F mutatis mutandis aufgefasst werden.

(Die Bibelwissenschaft spricht von einem https://de.wikipedia.org/wiki/Tun-Ergehen-Zusammenhang.) Zur Gattungsdefinition gehört auch, dass es sich bei H um ein einmaliges historisches Ereignis handelt (was im Deutschen im Präteritum erzählt wird). Ob es sich bei den Handelnden um wirkliche historische Personen oder mythische Heroen handelt, spielt keine Rolle. Wenn ein Tier als ein Mal in bestimmter Weise handelnd geschildert wird, so fällt auch die Tierfabel unter den Begriff des Exemplums (im Gegensatz zu den Physiologus-Tieren, die als Art ein bestimmtes Verhalten zeigen).

Die ideale Visualisierungstechnik wäre der Cartoon (la bande dessinée); zur Zeit von Hans Sachs durchaus schon erfunden (vgl. Erhard Schön [zugeschrieben; auf einen Text von Hans Sachs], »Der Waldbruder und der Esel«, 1531). Aber die Emblematiker begnügen sich mit éinem Bild, das einen prägnanten Moment zeigt.

Beispiele:

• Das Exempel für die Elterntreue (Pietas filiorum in parentes) gibt Aeneas ab, der seinen Vater Anchises aus dem brennenden Troja trägt. (Alciato seit 1531).

 

Bellerophon wollte zum Himmel reiten, fiel aber herunter. Moral: Ne nimis alta petas – Steig nitt zuo hoch.Matthias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, Straßburg 1581 Nr. XXXVII

• Nicht immer sind alle Elemente S – H – F explizit ausgetextet. Oft ist das Exemplum verdichtet, wie hier in den Ablativ Assiduitate (›durch Ausdauer‹):

Da Milo, noch von Jahren jung/
Ein Kalb zu tragn sich vnterfung/
solchs auch von Tag fort thät
[H]
Biß er ein Ochssen getragn hät. [F]
   Wer vnverdrossen vnd embsig ist/
   Erlangt viel Ehr zu aller Frist.

Isselburg / Rem, Emblemata Politica, 1617, Nr. 6; (Quelle: Quintilian, Institutio oratoria I, ix, 5: Milo trug den Stier, den er schon als Kalb zu tragen sich gewöhnt hatte.)

• Im Bildhintergrund angebrachte Exempla dienen gelegentlich zur Verdeutlichung. Rollenhagen / de Passe (Nucleus Emblematum, 1613, II,31) bringen im Hauptteil des Emblems die Kerze, die für andere leuchtet, sich dabei aber selber verzehrt; die Kerze steht auf einem Sockel in einer Landschaft; gemeint ist Rom, was man am Pantheon erkennen mag. Hier stürzt sich Marcus Curtius – Exempel für die Selbstaufopferung – in den Erdspalt:

 

Quellen: Valerius Maximus 5.6.2 – Peter Lauremberg , Acerra Philologica I,20 – Lucas Cranach (Holzschnitt um 1507)

(10.2.) Man kann den Begriff des Exemplum auch umgekehrt verwenden, statt wie bei 10.1. von einem historischen Fall auf eine allgemeine Regularität zu schließen, eine Regularität anhand eines besondern Falls ›exemplarisch‹ veranschaulichen. (Die Richtung ist nicht immer eindeutig zu bestimmen.)

 • Den Gedanken ›Heutzutage gibt es nirgends sichere Treue, alle sehen nur auf ihren Vorteil‹ veranschaulichen Holtzwart/Stimmer mit einem Mann, der einen Grenzstein versetzt (Nr. LVIII)

(11) Abstrakter Begriff

Ist die Kernaussage ein abstrakter Begriff (meist eine Tugend oder ein Laster, eine Gefühlsregung), so liegt logisch gesprochen ein Prädikator vor (also keine Aussage), der versinnfälligt wird.

Ein abstrakter Begriff kann durch eine mythologische Figur (keine Personifikation i.e.S.) versinnbildet werden:

  • Die Trunksucht wird selbstverständlich durch Bacchus visualisiert – Alciato 1531Holtzwart Nr. XVI
  • für die tragische Liebe sind Pyramus und Thisbe zuständig – Rollenhagen / de Passe I,33
  • für das Streben nach Gott Ganymed – AlciatoRollenhagen / de Passe II,22
  • die Eintracht (concordia) wird symbolisiert durch den vielarmigen Riesen Geryon – AlciatoRollenhagen / de Passe II,27
  • die medizinische Kunst wird versinnfälligt mit Aesculap – Holtzwart Nr. XLVIII.

Gewisse Abstrakta können durch eine prototypische Figur repräsentiert werden,

  • Der Geizige charakterisiert sich selbst so: er trinkt lieber schalen Wein oder Wasser, damit er den guten Wein behält; auch wenn er die ganze Welt besäße, würde er nur Knochen abnagen. – Das Bild zeigt ihn, wie er, auf einem Fass sitzend, an einem Knochen nagt, während um ihn herum Früchte, ein erlegter Hase und ein gebratenes Huhn am Spieß sich befinden (Holtzwart Nr. LIII; das nächste Emblem zeigt den Verschwender). 
  • Die drei Alter der Welt werden repräsentiert durch typische Vertreter. Vor dem Gesetz: Abraham und Isaak / unter dem Gesetz: Moses / unter der Gnade: Christus (Holtzwart Nr. LXIX)

In Emblembüchern kommen auch Personifikationen vor, obwohl die zeitgenössischen Theoretiker davon abraten.

  • Die Temperantia mit Zaumzeug und Winkelmaß erscheint bei Rollenhagen / de Passe (1613) II, 35. — Mehr zu diesem Motiv hier: https://www.uzh.ch/ds/wiki/Allegorieseminar/index.php?n=Main.Temperantia
  • Die Gula (Schlemmerei) wird in späteren Auflagen des Alciato gezeichnet als dicker Mann, der in der einen Hand ein gebratenes Schenkelbein, in der anderen die (als gefräßig) geltende Seemöwe hält.
  • Guillaume de La Perrière stellt den Fleiß (französisch diligence; evtl. auch Vorsorge) dar als eine Frauengestalt mit Ähren und einem Füllhorn in der Hand, zu Füßen der (überwundene) Hunger, auf einem Wagen, der von Ameisen (vgl. Proverbia 6,6 und 30,25)  gezogen wird:

Le théâtre des bons engins, Paris 1539, Nr. CI —
> http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb30738329p
> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/facsimile.php?id=sm686-o1v

In den Hieroglyphica werden – basierend auf der Annahme, dass die ägyptischen Schriftzeichen Wörter bezeichnen – Begriffe allegorisch repräsentiert bwz. Signifiants begrifflich gedeutet. (Der dreitelige Aufbau ähnelt den Emblemen im engeren Sinn.)

Comment ilz [die Ägypter] signifioient science & doctrine

Gelehrsamkeit wird durch den Tau (la rosée) allegorisiert, der, vom Himmel traufend, die empfänglichen Pflanzen erweicht; nicht aber die harten.

❧ORVS APOLLO DE ÆGYPTE De la signification des notes hieroglyphiques des Aegyptiens, c'est à dire des figures par les quelles ilz escripvoient leurs mystères secretz, et les choses sainctes et divines / Nouvellement traduict ... [par Jean Martin] Paris: Jacques Kerver 1543.
> https://archive.org/details/hin-wel-all-00001232-001/page/n10/mode/2up

(12) … und so weiter

Die Auflistung der <A>-Typen ist nicht erschöpfend. Es lassen sich auch speziellere denken, beispielsweise: ›p schützt nicht vor q‹ oder ›p ist der Grund {die Quelle, die Wurzel} von q‹; oder ›p erzeugt q‹.

Zu <B> : Brücken 

Zeitgenössische Theoretiker kommen auf das Thema des Bezugs zwischen Text und Bild zu sprechen; ihre Bemerkungen sind aber wenig hilfreich:

Harsdörffer (50 Lehrsätze 1656) ¶ 23: Die besten Sinnbilder sind also geartet/ daß man das Bild ohne die Obschrifft/ und die Obschrifft ohne das Bild nicht verstehen kan; massen solche beede zu einem Zweck unauflößlich abzielen sollen.

Goldene Äpfel in silbernen Schalen. So betitelt Johann Andreas Pfeffel sein mit 400 Emblemen ausgestattetes Buch (Augspurg 1746) (Digitalisat: http://digital.slub-dresden.de/id32794031X). In der Vorrede an den Geehrtesten Leser sagt er, was er damit meint: Es sei der Ausspruch eines der weisesten Männer [gemeint ist Salomo; vgl. Proverbia = Sprüche 25,11]. Pfeffel bezieht den Ausspruch auf die Embleme: die beygefügten Sinnbilder mögen billig silberne Schalen heissen, welche diese güldene Aepfel [i.e. die geistlichen Lehren] angenehmer und appetitlicher machen.

Schlagwörter der modernen Forschung wie ›Gattungssynkretismus‹ oder ›Synmedialität‹ helfen ebenso wenig  weiter, um das Bild-Text-Verhältnis zu bestimmen. Es gibt bei diesen Deutungsgemähl oder Gemäldeutnussen (J. Fischart) ein ganzes Set von Techniken der Bezugnahme zwischen Bild und Text.

Hier folgt ein Versuch, die Bezüge formal-logisch zu erfassen.

(1) Die Zuordnung von Elementen der Signifiant- zu solchen der Signifié-Ebene kann mittels Metonymien erfolgen. Dies ist namentlich der Fall, wenn das Signifié ein Abstraktum ist.

Metonymie: Mit dem eigentlich Gemeinten und dem Ersatzwort kann ein normaler Satz gebildet werden, ohne Partikel wie ›ähnelt‹, ›ist vergleichbar mit‹ zu gebrauchen.

Beispiel: Der Blinddarm (Ersatzwort) befindet sich in Zimmer 153. Ersatzwort und eigentlich Gemeintes lassen sich in folgendem Satz verknüpfen: Der Patient NN. leidet an Blinddarm[entzündung] – Der Blinddarm ist nicht mit NN vergleichbar, sondern ein Teil von N.N.

Die Leistung der Metonymie liegt darin, dass sie den Blick auf einen besonderen, aktuell interessierenden Aspekt des Gemeinten lenkt.

Es gibt eine ganze Reihe von Typen der Metonymie: zB Autor für sein Werk: Vergil lesen – Ganzes (pars pro toto): Ich habe mich in einen Blondschopf verliebt – Besonderes/Allgemeines: wir müssen unser Brot verdienen usw.

Beispiele:

• Der Herrscher regiert durch Wissen und Macht. — Das Wissen wird durch ein Buch, die Macht durch ein Schwert dargestellt. (Rollenhagen / de Passe, Nucleus Emblematum, 1611, I, 32) Ähnlich bei Isselburg / Rem, Emblemata Politica, Nr. 14: ein Helm steht auf einem Buch.

 

(2) Metapher als Brücke

Metaphern: Das metaphorisch verwendete Wort und das zu erwartende verhalten sich wie ein Modell zu seinem Explanandum (das, was damit erläutert werden soll). Gelegentlich helfen Signale wie die Wörtchen ›wie‹, ›gleichsam als ob‹, um den Leser/Hörer nicht zu verwirren.

Wenn man länger im Spiel bleibt, entsteht aus der Metapher eine Allegorie (in der antiken Rhetorik ›metaphora continuata‹).

Literaturhinweise:

Max BLACK, Metaphor, in: Proceedings of the Aristotelian Society 55 (1954/55), S. 273-294 — web.stanford.edu/~eckert/PDF/Black1954.pdf

Gerhard KURZ, Metapher, Allegorie, Symbol. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1486), Göttingen 1982.

Beispiele:

• Der Fürst soll das Volk regieren, wie man ein Pferd mit dem Zaumzeug lenkt. Die zentrale Metapher ist das Verb ›lenken‹.

Diego de Saavedra Fajardo, Idea de un principe politico christiano, 1640 – Ein Abriss Eines Christlich-Politischen Printzens, In CI. Sinn-bildern …, Amsterdam 1655 , Nr. XXI – Alle Bilder digital bei http://www.fondiantichi.unimo.it/fa/emblem01/elenchus.html (Università di Modena e Reggio Emilia)

• Die Weisen sollen den Schnecken gleichen:

Cunctandum Sapienti Wie die Schnecken mit vorsichtig tastendem Schritt dahinschleichen und mit ihren Hörnern die Sicherheit des Weges vorher erforschen, so prüft der Weise alle Fälle und pflegt erst eifrig zu sein, nachdem er jedes Hindernis zuvor untersucht hat.  (Dionysii Lebei-Batillii Emblemata, Francofurti ad Moenum 1596, Nr. 58) — Übersetzung bei Henkel/Schöne Sp. 617 — http://diglib.hab.de/drucke/uk-35/start.htm

• Die Metapher Licht für die göttliche Gnade ist biblisch verbreitet, v.a. in den johanneischen Schriften im NT: 1 Joh 1,5. 2,8. Namentlich der Unterschied Licht/Finsternis ist bedeutsam, vgl. Epheser 5,8, Röm 13,12; vgl. Joh 3,19–21.

Diese Macht vertreibt die Nacht.
Ich werd nicht übel thun, wenn ich die Göttliche Gnade bey einem Licht vergleiche/ welches wenn es bey Nacht in ein Gemach getragen wird/ alles erleuchtet/ und hell macht die Decken und Tapeten von den Händen der Künstler mit Gold und Silber gesticket/ welche die Wände zieren und bekleiden. Wenn das Licht aber nicht da ist/ ob gleich alles mit köstlichem Silber und Gold überzogen und bedecket/ so ist doch in der Finsternuß aller Glantz verborgen/ und man kan nicht erkennen/ was zum Zierath deß Gemachs gebraucht und angewendet worden. Eben so wenn die Gnade GOttes uns anscheinet/ so hat alles was wir thun ein feines Ansehen/ und wir empfinden durch dieselbe in allem unsern Fürhaben Ehr und Freude. Aber wenn GOtt das Angesicht seiner Gnaden für uns zudeckt/ dann sind wir gleichsam in der Nacht/ und in der Finsternuß begraben […]

(Philothei Symbola Christiana, quibus idea hominis Christiani exprimitur. Frankfurt/Main: Zubrodt 1677; deutsch Christliche Sinne-Bilder 1679; Nr. VII) > https://archive.org/stream/philotheipseudch00karl#page/30/mode/2up

Es ist eine Ermessensfrage, ob man sagt, es liege ein metaphorischer Bezug mit mehreren Ähnlichkeiten vor, oder ob man den Fall als Allegorie auffasst:

Wider die Bauchdiener verwendet Alciato die Allegorie des Krebses: Er ist geschwollen; zwickt mit den Scheren; er hat einen unsteten tridt (d.h. geht rückwärts) – so der Parasit: er hat einen feisten Wanst; seine Worte sind stechend-hämisch; er wendet seine Rede alle Augenblicke um. (Alciato, Emblemata, 1542; Übersetzung W.Hunger)

• Der Frosch liegt zur Winterszeit unter der Erde verborgen, im Frühling empfängt er jedoch das Leben wieder und schwimmt freudig durch den klaren Teich — so sterben wir und werden begraben, bis Gott uns wieder erweckt und wir den Frieden genießen. (Holtzwart, Emblematum Tyrocinia 1581, Nr. LXX)

(3) Abstrakter Satz als Brücke

Alciato kennt die limax Remora, ein kleines Wasserlebewesen, das ein großes Schiff an der Fahrt hemmen kann. Hunger übersetzt  (Alciato Emblemata 1542, Nr. XLIX):

Wie das fischle Remora gnent
In Latein, offt ein schiff erfast
So starck, das es sic  mindert wennt,
Wie hart der wind inn segel blast:
Also mancher durch kleinen last,
Als buelschafft, oder sach vor gricht,
Kunst, witz, vnd tugent gar verlast,
Vnd was er glernt wird gar zu nicht.

Es gibt keine metonymischen oder metaphorischen Bezüge zwischen dem Schiffshalter und dem Gerichtshändel, ebensowenig zwischen dem Schiff und der Tugend. Der Bezug zwischen Signifiant und Signifié läuft über den abstrakten Satz ›Oft hemmt Kleines Großes‹.

(4) Habitualisierte Metaphern und Metonymien

Viele der Bezüge werden kaum mehr in der ursprünglichen Bild-Mächtigkeit verwendet; sie gleichen eher den modernen Pictogrammen.

  • Gloria mundi — Krone
  • Hoffnung — Anker 
  • Macht — Szepter
  • Reichtum — Geldbeutel
  • Festigkeit — Säule
  • Schutz — Schild
  • Weisheit — Buch
  • Liebe — brennendes Herz
  • der Tod — Skelett

(5) Arbiträrer Bezug zwischen Signifiant und  Signifié

• Alciato bringt Wider die liebhaber der hueren den Fisch Sargus (aus Aelian, De natura animalium 1.23), der sich fangen lässt, wenn sich der Fischer in ein Geißfell verkleidet. Das Sich-einfangen-Lassen passt in beiden Ebenen, dass die Hure mit einem in ein Ziegenfell Verkleideten verglichen wird, ist eher willkürlich. (Alciato, Emblematum liber, 1531, in amatores meretricum)

• Holtzwart sagt: Wen ein schuldbewusstes Gewissen beunruhigt, der hat niemals Ruhe; das schlechte Gewissen  peinigt ihn unablässig. Umgesetzt wird der Gedanke so: Ein Hund, dem man eine Blase mit trockenen Erbsen an den Schwanz bindet, flieht ständig, ohne zu wissen wovor. Der Vergleich stimmt strukturell, aber die scheppernden Erbsen in der Blase sind keine Metapher für das Gewissen. (Holtzwart,  Emblematum Tyrocinia, 1581, Nr. LIX)

(6) Szenenhafte / gestische Brücken

Besteht das Signifiant aus einer Szene (vgl. Exemplum – nicht zu verwechseln mit handwerklichen Tätigkeiten, wo der Bezug gern über ein metaphorisch gedeutetes Instrument, z.B. Pflug, Dreschflegel, Fischernetz, Pfeilbogen usw. hergestellt wird), so kann die Brücke in einem prägnanten Gestus bestehen.

Beispiel: Die »Emblemata Politica« von Isselburg und Rem gehen auf die 1613 entstandene Innendekoration des Nürnberger Ratshaussaals zurück; dementsprechend ist das Programm.

 

Manet altera Reo (… man soll die Part verhören beed.)

König Alexander im Brauch hätt/
Wann einer bey ihm klagen thät/
Daß er zuhielt das eine ohr/
Vnd behielt’s dem Beklagten vor.
   Mit Vrhteil fällen niemand eil/
   Biß abgehört sind beede Theil.

Pictura: König Alexander hält sich das Ohr zu. In der Vita des Alexander bei Plutarch wird das Verhalten geschildert. — Vgl. die sprichwörtliche (unbildliche) Redewendung »Audiatur et altera pars«. (Ob das Mönsterchen unten eine Dekoration an der Wange des Throns ist oder die Calumnia darstellt?) Petrus Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica. In aula magna Curiæ Noribergensis depicta, Nürnberg 1617.  Nr. 28 — Ausgabe 1640 digital: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN807277312

Zu <C> : Grenzen des Visualisierbaren

Im Medium Bild können einige Dinge nicht oder nur über Umwege ausgedrückt werden: akustische, olfaktorische, thermische, taktile Sinneseindrücke; Bewegungs- / Handlungs-Abläufe (seit Anfang 18.Jh. als ›bande dessinée‹); logische Operatoren wie alle, einige, wenn — dann, weil, um zu; die Negation; deontische Aussagen (es ist erlaubt, du darfst nicht); insbesondere auch abstrakte Konzepte wie ›A bewirkt B‹, ›das schlechte Gewissen‹, ›das gute Regiment› --- was ein besonderes Anliegen der Emblematiker wäre.

Camerarius / de Passe (II, 32) möchten aussagen, dass bewahrte Treue reich macht (Ditat servata fides). Die Treue wird durch einen Handschlag visualisiert; der Wohlstand durch ein Füllhorn dahinter. Die beiden Bildelemente können indessen nur simultan präsentiert werden, der verbale Teil der Aussage (ditat: macht reich) kann nicht bildlich dargestellt werden.

• Sambucus sagt: Du wirst immer arm bleiben, wenn du soviel ausgibst, wie du einnimmst und mit freigiebiger Hand jedermann beschenkst. Das Bild zeigt einen reich gekleideten Herrn, der mit der einen Hand in die Geldbörse greift, mit der anderen auf einem Tisch Münzen zwei Männern darreicht. Die Anweisung, dabei klug vorzugehen, kann das Bild nicht zeigen. (Sambucus, Emblemata, Ausgabe 1564, S. 96)

• Ein trivialer Fall: Bei Plinius (nat. hist. VII, xxi, 85) und Aelian (Bunte Geschichten I,17) wird von einem Mikrotechniker Myrmekides berichtet, der  z.B. einen vierspännigen Wagen verfertigt habe, den eine Fliege mit ihren Flügeln bedecken konnte. Sambucus bringt dies als Beispiel für eine fehlgeleitete Kunst, die nichts Brauchbares zustande bringe (Sambucus, Emblemata, Ausgabe 1564, S. 27). Der Zeichner – offenbar in Verlegenheit, etwas so Kleines darstellen zu können – zeigt einen Schiffbauer und einen Wagner, die im Gegensatz dazu sinnvolle Geräte verfertigen. – http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FSAb016

Zu <C> : Hilfsfiguren

Die barocken Theoretiker mögen keine menschlichen Figuren in den Emblemen – vielleicht um sie von den Personifikationen nach der Façon von Cesare Ripa abzugrenzen. G.Ph.Harsdörffer (50 Lehrsätze 1656, ¶ 14): Die Menschliche Gestalt/ soll in den Sinnbildern mehr zu einer Zier/ als verborgner Deutung gebraucht werden; doch werden hierinnen die Kindlein ausgenommen.

Die Genese eines solchen Kindlein kann man anhand von Alciato verfolgen: In einem Emblem spendet der Mailänder Jurist Aurelius Albutius dem (gelegentlich Mailand verlassenden) Alciato den Trost, dass man in der Fremde höher geschätzt werde als zuhause. Er versinnfälligt das mit dem Bild des Pfirsichs, der in seinem Heimatland Persien unwert erscheint; wenn er aber in fremdes Erdreich versetzt wird (translatu [Ablativ von translatus ≈ durch das Verpflanzen] facta est melior), erfreuen seine Früchte.

In der Fassung 1531 (die erste mit Bildern) zeigt die Pictura einfach einen Baum mit Früchten.
http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A31a031

In der Ausgabe 1542 trägt ein nackter (das Signal dafür, dass es sich um einen piktorialen Notbehelf handelt?) Knabe (Harsdörffers Kindlein!) einen Zweig vom Baum weg (ergänze: in ein anderes Land). Damit wird das transferre = verpflanzen bildlich ausgedrückt.
http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/facsimile.php?id=sm26-E6v

Im Holzschnitt des Virgil Solis (Alciato-Ausgabe Frankfurt am Main 1567) sind es dann zwei realistisch ausgestaltete Gärtnerinnen, die den Baum verpflanzen. Der Betrachter könnte prima vista glauben, es handle sich um Personifikationen.

---

Einen Spezialfall stellen die Figuren des AMOR DIVINUS und der ANIMA (als Verbildlichung des Rezipienten, vgl. dazu das zum ›impliziten Leser‹ Gesagte) dar in: Pia Desideria Emblematis Elegiis & affectibus SS. Patrvm, illustrata, Authore Hermanno Hvgone Societatis Iesu, Antverpiæ: Aertssenius 1624. > http://emblems.let.uu.nl/hu1624.html

Diese beiden Gestalten hat bereits Otto Vaenius (van Veen, 1556–1629) in seinem Emblembuch »Amoris divini emblemata« 1615 kreiert:
http://emblems.let.uu.nl/v161502.html


Der Illustrator der »Pia desideria«, Boëtius a Bolswert (ca. 1580–1633), übernimmt diese Personifikationen der göttlichen Liebe und der Seele offensichtlich.

Beispiel: Das erste Emblem der Sammlung mit dem Motto Meine Seel hat nach dir Verlangen gehabt beÿ der Nacht. (Jsaias XXVI: v.9).

Aus der Anthologie der Väterzitate (hier Augustinus, Soliloquia); die Seele spricht zu Gott: Wann es war die Zeit/ zu der ich dich nicht erkante. Wehe jener Blindheit! bey der ich dich nicht sahe. Du hast mich erleuchtet/ O Liecht der Welt/ und ich hab dich gesehen. — Gar spat hab ich dich erkant/ O du wahres Liecht/ gar spat hab ich dich erkant. Es war aber ein grosse und finstere Wolcken vor den Augen meiner Eitelkeit: also/ daß ich nicht sehen kunte die Sonne der Gerechtigkeit/ und das Liecht der Warheit. […] Ich liebte meine Finsternisssen/ weil ich das Liecht nicht erkannte. […].

Hier aus: R.P. Hermanni Hugonis, Societatis Jesu, Gottseelige Begierden Der Büssenden, Heiligen und in Gott verliebten Seelen. Jetzo zum ersten mal in Teutscher Sprach in dieses Format eingerichtet/ und mit dergleichen Kupfern gezieret, Sultzbach: Abraham Lichtenthaler 1669.

Zu <C> : Ornament oder Bild-Überschuss?

Erster Fall: Ein Emblem zeigt als Pictura zwei Tauchervögel, einen eben untertauchenden und einen auf der Wasseroberfläche; im Hintergrund eine Uferlandschaft und ein Schloss. Das Lemma Mersus ut emergam (untergetaucht möge ich auftauchen) gibt der deutsche Übersetzer so wieder: Drumb hat mich der Trübsals=Bach gäntzlich überschwommen/ Daß ich freudiger empor wieder möge kommen.

 

Joachim Camerarius, Symbolorum et Emblematum ex Volatibilibus et Insectis desumptorum Centuria tertia, Nürnberg 1596. – Dritte Centurie, Nr. LVI

[deutsche Übersetzung:] Vier Hundert Wahl-Sprüche Und Sinnen-Bilder/ Durch welche beygebracht und ausgelegt werden Die angeborne Eigenschafften, Wie auch Lustige Historien/ und Hochgelährter Männer Weiße Sitten-Sprüch […]; Mayntz 1671. Drittes Hundert, LVI

Das Epigramm besagt: Offtmahls wird ein tapffrer Mann von den tieffen Unglücks Wasser/ unversehens überschwemmt/ und von vielen grimmen Hassern/ Angefeindet und verfolgt/ doch wird er nicht unterdrückt/ weil der güt’ge Himmel ihn mitten in der Flut beglückt. Die rhetorische Funktion ist mithin die des Trostes. Das wird dann mit weiteren Texten bestätigt.

Den Hintergrund nimmt man zunächst als malerisches Kolorit wahr. – Nimmt man ihn indessen ernst, so erkennt man am Ufer Schilf und einen gebrochenen Baum. Das erinnert an die Fabel von Eiche und Schilfrohr (de quercu et harundine bei Avianus und Babrius; Perry 70), die schon 1566 von Virgil Solis illustriert wurde:

 

Hier geht es um die Schlauheit des sich beugenden Schilfs, das wartet, bis der Sturm vorbei ist, während die stramme Eiche widerstehen will und bricht. La Fontaine hat die Fabel auf das Leben am Hof bezogen. – Bei Camerarius selbst wird auf die Fabel angespielt in Cent. I, Nr. XCX: FLECTIMUR NON FRANGIMUR; in der Pictura ist indessen nur das Schilfrohr wiedergegeben.

Das Emblem enthält also zwei einander stützende Aussagen, obwohl nur die eine (mit den Tauchervögeln) in den Texten vorkommt.

Zweiter Fall: Bei Alciato gibt es das Emblem, dessen Lemma besagt: Foedera (Bundsgenossen), dessen Pictura eine Laute zeigt, und dessen Auslegung besagt:

So du Furst yetz zu diser zeyt
Machst newe bundnuß, schenck ich dier
Ein lautten, merck was die bedeyt,
Vnd nim sy genediklich von mier.
Ein lautte hallt mit grosser zier,
soll nicht wo nur ein saytt abschnolt:
Ein steter bund schreckt alle thier,
Gilt nicht, wo nur ein bundsgnos folt.

(Übersetzung von Wolfgang Hunger 1542. – Vgl. die näher beim lat. Original bleibende Übersetzung von Jeremias Held: http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A67a023 )

   

Alciato ermahnt also die italienischen Fürsten einhellig zusammenzuhalten. – Und warum liegt die Laute  auf einem Himmel-Bett mit prächtig geschnitzten Füßen und inmitten von Büchern? Das Möbel und die Bücher werden von Auflage zu Auflage mitgezeichnet. Bedeuten sie etwas oder ist das bloß Garnitur, Dekoration, Zierat?

Bis man dann die erste illustrierte Ausgabe von 1531 aufschlägt und sieht:

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/facsimile.php?id=sm18-A2v

Bei Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria (Ausgabe Heidelberg 1664) wird das Saiteninstrument dann kontextualisiert: Man beachte das befestigte Städtchen im Hintergrund!

Die Subscriptio lautet:

Sich dieses Lautenspiel mit grob und kleine Säytten
Vnd gleich wol/ stimmt man sie/ stimmt die der anderen ein:
Sol eine Stadt in Ruhe und Recht erhalten seyn/
So muß sie seyn besetzt mit groß und kleinen Leuthen.

Wolf Helmhardt von Hohberg verwendet die wohlgestimmte Laute anders. Hier steht sie in Zusammenhang mit Psalm 104, in dem die Weisheit des Schöpfers in ihrer Vielfalt und Harmonie gepriesen wird:

Die Subscriptio zum Motto HARMONIA SUAVIS lautet hier:

Ut se suavisono diffundit Musica tactu /
pulsat quando fides ingeniosa manus: /
Sic tam perfecti formata animantia Mundi
dulce Creatoris nomen in astra vehunt.

Der Herr hat wolgefallen an seinen wercken. V.31. /
Von einer maisterhand gerührt fürtrefflich klinget /
die Laute; wan wol sind die saiten eingestimmt: /
Von Gottes weisheit so die ganze welt entspringet /
u. der geschöpffe kunst den Schöpffer macht berühmt.

Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Das ist Der gantze Psalter in teutsche Verse übersetzt, sammt anhangenden kurtzen Christlichen Gebetlein. Da zugleich jedem Psalm eine besondere neue Melodey, mit dem Basso Continuo, auch ein in Kupffer gestochenes Emblems, so wol eine liebliche Blumen oder Gewächse, samt deren Erklärung und Erläuterung beygefügt worden, Regensburg: Georg Sigmund Freysinger 1675. — Reprint, hg. Grete Lesky, Graz: ADVA 1969

Zu <C> : Das Bilder-Reservoir der Emblematiker

Wir bewegen uns in einer Epoche, wo man nicht ›ganz von innen heraus‹ Bilder zu Papier brachte, sondern sich in der Regel nach Vor-Bildern orientierte.

(1) Bei Alltagsgegenständen mag gelegentlich eine direkte Anschauung vorgelegen haben. Wie ein Ochse schreitet, Schritt-für-Schritt, kann man auf dem Lande mit eigenen Augen sehen; vgl. Rollenhagen / de Passe (1613) II,39, wie man mit einem Hammer Eisen schmiedet, in jedem Dorf; vgl. Rollenhagen / de Passe (1611) I,17; wie eine Laute aussieht, kann man im Studio eines/r Gebildeten sehen.

(2) Für exotischere Vorstellungen kann man sich in der seit den Entdeckungsreisen allmählich anwachsenden Literatur kundig machen. So zeigt Erasmus Francisci einen Meer=Würbel im Norwegischen Meer, der alle Schiffe im Umkreis von 13 Meilen verschlingt, und deutet: Unser hiesiger Wandel schwebet ja auch gleichsam auf lauter Meer-Wellen/ darunter viel blinde Klippen verborgen […]. Welcher Meer=Würbel ist so tieff und breit/ als der Höllen=Schlund; er verschlingt alle, die nicht fürsichtig wandeln. usw. Das Bild ist möglicherweise inspiriert von der Seekarte des Olaus Magnus oder deren Kopien.

Erasmus Francisci, Das Unfehlbare Weh der Ewigkeit für die Verächter der Gnaden-Zeit, Nürnberg: Endter, 1686, Das I. Bedencken.

Olaus Magnus, Carta Marina (Ausschnitt)

(3) Nicht-einheimische Pflanzen und Tiere konnte man in illustrierten Werken der botanischen und zoologischen Literatur finden, in Bestiaren und Enzyklopädien (Dioscurides, Konrad von Megenberg und Hortus Sanitatis seit der Inkunabelzeit; Conrad Gessner seit den 1550er Jahren). Die vier Centurien von Camerarius sind voll solcher Bilder, zum Beispiel die türkische Pflanze Tusei (I, lxxi), der Camelopard (II,xviii), der Strauß (III, xvii), der Fisch Anthiæ (IV, xiii). Das bereits bei Alciato verwendete Chamäleon (In adulatores, gegen die Heuchler, die sich verstellen) erscheint in recht unterschiedlichen Gestalten.

(4) Für die Illustration biblischer Geschichten konnte man sich in Bilderbibeln bedienen, die seit der Inkunabelzeit verbreitet sind. Christoph Murer, der ja selbst eine Bilderbibel gezeichnet hat (Novae Sacrorum Bibliorum figurae … Das ist, Newe Biblische Figuren mit Latinischen und Teutschen versen außgelegt … an tag gegeben durch M. Samuelem Glonerum, Straßburg 1625 [postum]) zeichnet z.B. den Sämann (Markus 4,1 parr.), was dann in den XL emblemata miscella nova (1622 postum) als Radierung verwendet wird.

(5) Für heidnisch-antike Mythologien stehen Bildquellen erst spät zur Verfügung. Ein geflügelter nackter Knabe lässt sich aufgrund der drei genannten Wörter leicht visualisieren; aber wie hat man sich Pan oder Triton oder eine antike Herme (Mercurij tumulus) vorzustellen, die im Text nur genannt werden?

Alciato 1531

Einige Stichworte mögen vergegenwärtigen, was zur Zeit der frühen Emblembücher an Bildern vorliegt: 1497 erscheint in Venedig die illustrierte italienische Ovid-Übersetzung des Zoane Rosso; weitere illustrierte Ovidausgaben folgen; 1502 erscheint Sebastian Brants Vergil-Ausgabe mit Holzschnitten (wobei die antiken Gestalten hier noch sehr spätmittelalterlich daherkommen); die erste illustrierte Ausgabe von Vincenzo Cartari, »Imagini delli 'Dei de gl’Antichi« erscheint erst 1571. (Die frühen sind Bilder aus den Beschreibungen der Mythographen entwickelt; auf archäologischen Funden basieren erst diejenigen in Sandrart 1680.) – Vgl. das entsprechende Register bei Henkel/Schöne, Spalten 1711–1836 (Mythologie / Götter).

(6) Sodann ist zu berücksichtigen, dass für viele Begriffe/Vorstellungen Bildmuster verfügbar sind: blasende Engel für den Wind, ein Skelett für den Tod, eine Hand aus Wolken für das Eingreifen Gottes u.a.m.

(7) Schließlich ist dann doch die Phantasie der Künstler bei der Visualisierung von Konstrukten nicht zu unterschätzen. Wenn der Text die Sphinx beschreibt als zusammengesetzt aus Löwenfüßen, einem weiblichen Oberkörper und Flügeln, so lässt sich das zeichnen.

Zu <C> : Konstruierte Picturae

Gelegentlich werden Aussagen mit konstruierten Picturae visualisiert. Einige Beispiele:

••• Der Satz ›Aus mühevoller Arbeit entsteht ewiger Ruhm‹ wird bildlich umgesetzt durch folgendes Ensemble: ein Spaten (für die Arbeit), der umfasst ist mit einem Lorbeerkranz (für den Ruhm) und einer Ouroboros-Schlange (für die Ewigkeit); warum der Spaten in eine Weltkugel sticht, bleibt unklar (Rollenhagen / de Passe, 1611, I,80)

••• Der Satz Festina lente (›Eile mit Weile‹) wird bildlich umgesetzt als eine Schildkröte, auf der ein Segel aufgerichtet ist. Petrus Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica. In aula magna Curiæ Noribergensis depicta, Nürnberg 1617. — http://diglib.hab.de/drucke/uk-40/start.htm

••• Die Geschwätzigkeit (garrulitas) wird dargestellt als eine geflügelte und schlangenschwänzige Zunge; möglicherweise ist das Adjektiv garrula (sc. lingua) der Link, das auch für den Vogelgesang (Elster, Krähe, Nachtigall) verwendet wird. Das Bild erscheint zuerst in Claude Paradin (nach 1510–1573), Devises héroiques (EA 1551); hier in der erweiterten Ausgabe 1621:

 

> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/emblem.php?id=FPAb070

Der das Buch textlich erweiternde François d’Amboise verweist auf den Jakobusbrief, Kapitel 3: alle natur/ der Thier vnd der Vogel/ vnd der Schlangen vnd der Meerwunder / werden gezemet/ vnd sind gezemet von der menschlichen Natur. Aber die Zungen kan kein Mensch zemen … (Luthers Übersetzung 1545 > http://www.zeno.org/nid/20005334071)

Sodann auf den Wettstreit zwischen Bias und dem Pharao Amasis. Dieser hatte dem Weisen Bias ein Opfertier geschickt mit dem Auftrag, das schlechteste Fleisch daraus zu entnehmen und ihm zu schicken; darauf schnitt Bias die Zunge heraus und schickte sie dem Amasis. (Plutarch, Convivium Septem Sapientium [in der Stephanus-Numerierung II, 13; ¶ 2 = 146F])

Schließlich wird hingewiesen auf den Traktat von Erasmus: De Lingua, sive, de linguae usu atque abusu liber utilissimus, 1525.

Das Emblem kommt auch vor bei Rollenhagen / de Passe, 1611, I,42. > http://diglib.hab.de/drucke/21-2-eth-1/start.htm?image=00090

Als Exemplum wird die Geschichte von Amasis und Bias verwendet in μικροκόσμος. Parvus Mundus > https://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/mikro/seite49.html


••• Viele konstruierte Picturae enthält die Sammlung von Andreas Friedrich (ca. 1560 bis nach 1617): Emblemata Nova; das ist/ New Bilderbuch: Darinnen durch sonderliche Figuren der jetzigen Welt Lauff und Wesen verdeckter Weise abgemahlet/ und mit zugehörigen Reymen erkläret wirt: Den Ehrliebenden vnd Frommen zu mehrerer Anreitzung der Gottseligkeit vnd Tugend: Den Bösen aber vnd Ruchlosen zu trewer Lehr vnd Warnung. Mit sonderm Fleiß gestellt durch den Wohlgelehrten Andreas Friedrichen. [Francoforti: Iennis] 1617 > http://diglib.hab.de/drucke/231-noviss-8f/start.htm

Eine unrealistische Vorstellung kann auch bedeuten: die Welt ist verkehrt (mundus inversus). In der erweiterten Neuauflage von Joh. Theodor de Brys »Emblemata secularia« (1611; Nr. XLI) steht ein Emblem, das zeigt: Das Hew laufft dem Pferd nach.

Anders sind mythologische Kompositwesen zu beurteilen, weil hier das Konstrukt schon vorliegt, nicht erst ersonnen wird. Beispiel der Kentaur Chiron, der den Satz verbildlicht Viribus iungenda sapientia ›Kraft muss mit Weisheit verbunden sein‹, wobei der Pferde-Leib für die Kraft steht, der Menschen-Oberteil für die Weisheit; überdies hält der Kentaur einen Bogen und eine Schlange in Händen. (Rollenhagen / de Passe 1611, I,91; vgl. Zincgref Nr. LXVIII)

Zu <D> : Kommunikative Leistung   

Im Gegensatz zu den ›schönen Künsten‹ (etwa seit der Romantik) geht es bei der Emblematik nicht um Ausdruck eines Gefühls; nicht darum, emotionale Betroffenheit auslösen zu wollen; Embleme haben keine »Anmutungsqualität« (›anmuthen‹ goethezeitlich ›animum afficere, das Gemüth auf den Gegenstand des Verlangens ziehen‹); sie sind keine ›Visionen‹, die die Dinge der Welt neu sehen lassen oder gegen die triviale Erklärbarkeit der Welt ankämpfen, umdenken lehren.

Die Leistung der Embleme ist vor allem eine rhetorische, didaktische. Dazu operieren sie mit Tricks, die wir auch in der modernen Pädagogik und Homiletik kennen: Bekanntes (bereits x-mal Gesagtes und deshalb Langweiliges) und Unangenehmes (moralinsaure Belehrung) interessant und akzeptierbar machen durch eine Verrätselung, mit dem Mittel des Um-eine-Ecke-herum-neu-Sagens.

Insofern das Signifiant eine natürliche oder technologische Regularität oder einen exemplarischen historischen Fall darstellt und man grundsätzlich der Übertragung in die geistige Welt traut, können Embleme dienen als  Beweismittel (im Sinne der rhetor. Überzeugung), zum Trost (Kontingenzbewältigung), zur Begründung für eine Ermahnung (z.B. Fürstenspiegel), zur Einschätzung einer Lage, eines Verhaltens, als Selbstbestätigung, als Grundlage einer Lobpreisung.

Jeremias Held schreibt 1566:

[Es] ist diß Büchlin gleich wie ein Speiß oder Rüstkammer/ darauß man allerley Speiß oder Waffen nemmen kan/ nemlich solche Speiß die die traurigen erfreuwen/ die frölichen bey derselben erhalten/ die lassen [die Matten] stercken/ die starcken bekrefftigen/ den schwermütigen die weil kürtzen: in summa darauß man Lehr/ Vermanung/ Zucht/ Tugend/ gute Sitten und alle Bürgerliche ehrlichheit lehrnen und nemmen kan: darauß auch ein jeder sein Haußraht/ Gewand/ Teppich/ Schilt/ Wappen/ Helm/ Bitschier [Petschier, Siegelstempel]/ Wend/ Pfosten, Küssin und ander ding mehr zeichen und zieren kan.

Zu dieser argumentativen Funktion kommt – weil Bilder besser im Gedächtnis bleiben als Texte – die mnemotechnische (gelegentlich ist diese allein bestimmend). Jeremias Held schreibt a.a.O.: […] so ist diß Büchlin bey uns Teutschen nit allein neuw, sonder es hat neuwe und sehr schöne Figuren und Bildnussen, darinnen sich die Augen zu sampt dem nutz weiden künden, und weil sie schön, offter besehen und der gedechtnuß fleissiger befohlen werden.

Literaturhinweise zur Mnemotechnik:

Ludwig Volkmann, Ars memorativa, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Neue Folge, Band 3, Wien 1929

Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber u.a., Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400–1700, (Frühe Neuzeit 15), Tübingen: Niemeyer 1993.

Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber (Hgg.), Documenta Mnemonica. Text- und Bildzeugnisse zu Gedächtnislehren und Gedächtniskünsten von der Antike bis zum Ende der Frühen Neuzeit, Band II: Das enzyklopädische Gedächtnis der Frühen Neuzeit. Enzyklopädie und Lexikonartikel zur Mnemonik, (Frühe Neuzeit 43), Tübingen: Niemeyer 1998.

Der (von den zeitgenössischen Theoretikern erwähnte) Aspekt des Behagens genügt sich nicht selbst; die durch Acutezza erreichte Verrätselung und die Lust am Auflösen des Rätsels stehn im Dienst der unten (a) – (d) genannten Funktionen. Die Warnungen vor Sünde usw. kennen alle aus dem katechetischen Unterricht oder aus den antiken Skribenten – aber sie werden neu präsentiert und bleiben deshalb möglicherweise besser im Gedächtnis. Philotheus fasst in 100 Sinnbildern aus Natur, Technik, Alltag immer dieselbe Wahrheit: Gottes Gnade hilft dem Gläubigen.

Für die Signifié-Bereiche lassen sich verschiedene inhaltliche Felder ausmachen: das Gebiet der Religion, das versteht sich – dann aber auch v.a. im 16.Jh.: weltlich-praktische Lebensklugheit in einer politisch und oekonomisch sich stark wandelnden Welt (dafür wäre Alciato ein Beispiel) –  immer wieder der Bezirk der Liebe (vgl. Otto van Veen, Amorum Emblemata 1608). 

Es lassen sich folgende funktionalen Gruppen herausschälen:

(a) Trost, Ermunterung

(b) Warnung, Tadel

(c) Aufforderung zu einem moralischen / religiösen / politischen Verhalten oder Handeln

(d) Lob Gottes.

Zu fragen ist insbesondere, wie diese Leistungen durch die verbalen und piktorialen Vorgaben zustandekommen. Die formale Logik an sich kann diese Leistung (die deontische Pointe) nicht erbringen; sie kann gleichsam nur zudienen. Es müssen Wert-Prädikate wie ›gut‹/›übel‹, ›schön‹/›hässlich‹, ›klug›/›dumm‹ oder ›gefährlich‹ ins Spiel kommen. Trivialerweise werden diese im Epigramm explizit genannt; raffinierter sind die Embleme, die solche Werte über eine Konnotation (der Affe oder Esel ist dumm) oder einen einleuchtenden Witz einbringen.

(a) Trost entsteht durch Aussagen mit der Logik ›q nur wenn p‹ oder ›Es muss sein, dass p, damit q‹ oder ›immer wenn {p etwas Übles}, folgt {q etwas Gutes)‹.

• Nur wenn der Eisenstab viele harte Schläge ›erduldet‹, wird er brauchbar  – so der Mensch … (Rollenhagen / de Passe, 1611, I, 17)

Es kann auch die Logik ›p, obwohl q‹ zugrunde liegen:

• Obwohl die Säulen (der verschiedenen Säulenordnungen) verschieden aussehen, sind sie alle des Lobens werthIn jedem Stand ist keine Schand (Philotheus LXXXIV) 

 Trost kann auch herbeigeführt werden, indem man das göttliche Handeln beschreibt.

• Holtzwart beschreibt – angeregt durch eine Stelle bei Homer (Ilias 24, 527ff.) – dass vor Jupiter zwei Fässer stehen, von denen das eine die den Menschen zum Wohl gereichenden Dinge enthält, dieses ist gut verschlossen; das andere enthält die widrigen Dinge, die ständig daraus entweichen. Das Lemma setzt diesen Gedanken so um: Plus Aloes quam Mellis habet vita humana. – Die Pictura von Tobias Stimmer scheint hinsichtlich der über den Fässern fliegenden Wesen nicht so logisch. (Holtzwart, Emblematum Tyrocinia, 1581, XXXII)

(b) Warnungen basieren gerne auf der logischen Struktur ›zwar p, aber q‹

• Die Zitrone hat außen einen lieblichen Geruch – innen aber schmeckt sie herb — So der falsche Freund (Holtzwart XXI)

• Die Seejungfer scheint oberhalb des Wasserspiegels schön / unterhalb ist sie indessen scheußlich — Ach wie oft führen die menschen waß löbliches vnd anmuthiges in dem mund/ mit welchem sie die nechsten betriegen […] Ach wie oft stellet sich das gesicht freündtlich vnd löblich/ im gmüth aber ist lauter zorngift vnd gall? (Ein Abriss Eines Christlich-Politischen Printzens, In CI. Sinn-bildern und mercklichen Symbolischen Sprüchen gestelt / von A. Didaco Saavedra Faxardo ... Zu vor auß dem Spanischen ins Lateinisch; nun ins Deutsch versetzt, Zu Amsterdam, Bey Johann Janßonio, dem Jüngern, 1655 . LXXVIII)

Eine Warnung kann auch evoziert werden dadurch, dass im Signifiant eine Handlung gezeigt wird, die zu üblen Folgen führt (vgl. das zum Exemplum Gesagte) oder sonstwie als dumm einzuschätzen ist.

• Eine Fabel Aesops (Chambry Nr. 266; Perry 182) erzählt, dass ein Esel das Bild der Göttin Isis trug; alles Volk verneigte sich vor diesem, aber der Esel bezog die Huldigungen auf sich. Ein Esel trueg eins haylgen bild, | Vor dem sich nayget yederman, | Des [darüber] ward der Esel stoltz vnd wild, | Maint im selbs wurd die ehr gethan, … (Alciato Ausgabe 1542; Nr. XXXV; Übersetzung von Hunger; vgl. Liber emblematum / Kunstbuch, Franckfurt/M., 1567, Nr. CL)

Hier die Radierung von Christoph Murer in XL emblemata miscella nova, 1622, Nr. VIII.

Der Tadel (in der antiken Rhetorik ›vituperatio‹) kann auch durch die Beschreibung der widernatürlichen Anlage des im Signifiant Beschriebenen erfolgen:

• Beispiel: Das Tier Camelopard (die Giraffe) wird beschrieben: es ist von vielerlei Gestalt, hat einen Halß wie ein Roß/ Schenckel wie die Ochßen/ und einen Kopf gleich Cameelen/ an der Farb roht/ mit weissen Flecken untersprenget. (Verweise auf Plinius, nat. hist. VII,xxvii,69 und Horaz, epist. II,1, Vers 195) – Dieses Sinn-Bild zielet auf die/ welche alles widersinnisch/ tölpisch/ und ungeschickt handeln/ reden und thun/ und also ihnen selbst wiederspenstig sind. (Camerarius, Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, 1671; II,18)

(c) Aufforderungen basieren auf konsekutiver (naturgesetzartiger) Logik: ›nur wenn p, dann q‹ oder auf einem finalen Verhältnis.

 • Die Orgel tönt nur, wenn der Blasbalg Luft bläst. — Ein ungebildeter Fürst wird wehrlos, wenn ihm die Gelehrten entzogen sind. Widme dich also den Musen, Fürst […], so dass du deine Angelegenheiten gut besorgen kannst! (Holtzwart XI)

• Reddit coniunctio tutos (Einmüthig macht ruehig) – Pictura: ein Adler schwebt über Enten, die sich zu einem Pulk zusammengeschlossen haben (Zincgref, 1664, Nr. XXXIII) Der Kommentartext verweist u.a. auf Plinius, hist. animal. X, iii, 9: deshalb schwimmen die Wasservögel scharenweise, weil mehrere zugleich nicht angegriffen werden.

Oft wird die deontische Dimension willkürlich eingebracht.

• Die Pictura zeigt einen Hammel mit Glocke; hinter ihm folgt die Herde. Epigramm: Ainsi doit le subject en toute esjouyssance | aux mandemens du Roy prester obeissance (So muss der Untertan in voller Freude den Geboten des Königs Gehorsam leisten.) Das deontische Wort doit (muss) ist aus dem Signifiant nicht abzuleiten; die Schafe tun’s einfach.  (Zincgref 1664, LV)

• Die Sonne erleuchtet mit ihren Strahlen alles (logischer Typ: ›p ist der Fall‹). – Der König kann von überall seine Majestät bekannt machen. Das ist zunächst eine bloße Feststellung. Sie wird aber im ersten Satz des Kommentars zur Aufforderung geformt: Veri principis est, velocissimi sideris more, omnia invisere, omnia audire, … Der wahre Fürst soll, nach Art des schnellsten Gestirns, alles beaufsichtigen, alles hören … (Zincgref 1664, XXXVIII)

(d) Lob Gottes. Seltener macht die Deutung vor einer adhortativen Applikation Halt.

Superfluum inutile. Überflüssiges ist unnütz. […] Sieh, welch eine große Zunge das von seiner Last erschöpfte Rind herausstreckt, doch dir, Krokodil, ist keine Zunge gegeben. […] Der die mannigfaltige Welt schuf, gab jedem das Seine, und der alles gab, konnte es nicht an irgendeinem Teil fehlen lassen. (J. Sambucus,  Emblemata, Tertia editio, Antwerpen, Ch Plantin, 1569; S.18; dt. übers. bei Henkel / Schöne Sp. 669)

Abgesehen von der Logik, die einigermaßen zwingend sein sollte, muss die Übertragbarkeit vom Signifiant aufs Signifié gewährleistet sein, damit die kommunikative Funktion gelingt. Vgl. hier unter <B> Brücken.

Zu <E> : Bild-Hintergrund

Der Hintergrund, vor dem die eigentliche Pictura steht, und auch die Rahmeneinfassung kann zusätzliche Informationen enthalten. Manchmal sind diese hilfreich für die Deutung; oft sind sie redundant.

• Rollenhagen / de Passe lieben es, die emblematisch bedeutsamen Dinge / Tiere / Ensembles gleichsam in eine Landschaft zu stellen, in deren Hintergrund Szenen dargestellt sind, die sie zusätzlich erhellen.

Das Lemma Virtus inexpugnabilis hat als Pictura einen Hammer, der auf einen Diamanten schlägt (ihn aber nicht zu zerbrechen vermag).  Im Hintergrund die Szene, wo Judith den Holofernes enthauptet hat. (Nucleus Emblematum II 1613, Nr. 37)

• Holtzwart spricht von der ehelichen Liebe, in der ein gmüt vnd hertz sein soll. In der Pictura sieht man hinter einem sich eng umarmenden Paar einen von einer Weinrebe umschlungenen Baum, ohne dass in den Texten darauf verwiesen würde. (Holtzwart: Emblematum Tyrocinia 1581, Nr. XXXV)

• Im Vordergrund des hier gezeigten Emblems ist dargestellt, wie der kluge Gärtner die fauligen oder verdörrten Äste abschneidet, damit sie das Fruchtholz nicht schädigen. In Hintergrund die Szene einer Enthauptung. Das Epigramm besagt (vgl. die französische Übersetzung hinten im Buch): Ebenso ist es klug, einen bösen Menschen zu entleiben (ôter), damit er nicht die Gemeinschaft verdirbt. Das Lemma besagt zweideutig: Noxam noxa parit – Böses bringt Böses hervor (noxa, vgl. das Verb noceo, ›Schaden‹, bedeutet auch ›Verbrechen‹ und ›Strafe‹).

Ein fauler Ast den frischn verderbt/
   Böses vom bösen wird geerbt.
Drumb man das böse zeitlich soll
   Abschneiden/ eh es wurtzelt wol.
Damit den fromm an Gut vmd Ehr/
   Die bösen bringen kein beschwehr.

Iacobi â Bruck Angermundt cogn. Sil. Emblemata moralia & bellica, nunc recens in lucem edita 1615; Emblem 18 > https://archive.org/details/iacobiabruckange00bruc34567890 — Das deutsche Epigramm nach einem von Henkel/Schöne, Sp.164 benutzten Exemplar der HAB.

• Das Verfahren beherrschen dann perfekt der späte Bearbeiter von Cesare Ripas »Iconologia« (die freilich nicht zum Kernbestand der Emblematik gehört), Joh. Georg Hertel und seine Stecher. Den Personifikationen sind biblische und heidnische Szenen beigegeben, die denselben Begriff als Exemplum wiedergeben. Hier als Beispiel die von ihren Messgeräten umgebene Geometria = Feldmeßer-Kunst (Blatt 194):

 

Des berühmten Italiänischen Ritters, Cæsaris Ripæ, allerleÿ Künsten, und Wissenschafften, dienlicher Sinnbildern, und Gedancken, Welchen jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget. dermahlige Autor, und Verleger, Joh. Georg Hertel, in Augspurg [vor 1761].  > http://archive.org/details/parsidesberuhmte00ripa

Im Hintergrund diese Szene mit dem erläuternden Text: Archimedes war ein großer Geometer. Verschiedene Beispiele seiner Kunst beweisen das zur Genüge. Bei der Eroberung von Syrakus tötete ihn ein Soldat, während er mit seinen Arbeiten beschäftigt war. (Übersetzung im von Ilse Wirth herausgegebenen Reprint 1970). Hier vergrößert:

Die Szene bei der Eroberung von Syrakus 212 v.Chr. wird überliefert von Livius, Römische Geschichte, XXV, xxxi, 9–10 und Plutarch, Βίοι Παράλληλοι ; Μάρκελλος 19,4–5 . Das Dictum »Störe meine Kreise nicht« ist entwickelt aus der Kurzfassung von Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia, VIII,7; ext. 7 : noli, obsecro, istum disturbare. (> Hinweis auf Quellen) — Zum Vergleich:

Romische Historie / Uß Tito Livio gezogen. Mentz: Schoffer, 6. März 1505; fol. CXXXXrecto; Ausschnitt.

Der Text Plutarchs liegt 1541 schon in deutscher Übersetzung vor:

Es hat aber Marcellum nichts als hefftig bekümmert/ als der todt Archimedis/ wann der selbig was inn seinem gemach/ vnd het so grossen fleiß vnd ernst mit außrichtung seiner kunst circklen vnd linieren/ das er wenig war nam/ wie die Rhömer inn erobrung der stat so vngestüm daraffter lieffen / biß das ein kriegsman schnel ob jm gestanden/ vnd jne von seiner arbeit für den Römischen hauptman jlends zekommen eruordert/ der hat aber nit eh von seinem werck wichen wöllen/ biß das ehr söllichs gantz zamen gericht vnd absoluiert/ dauon der kriegsman so gantz erzürnt/ das ehr jn mit auß gezugtem schwert durstochen […]. Plutarchus von Cheronea der allernamhafftigst Griechisch geschichtschreiber/ von den Leben und Ritterlichen thaten der aller durchleüchtigsten männer […]. Namlich durch den Fürnemen vnd weisen Herren Hieronymum Boner derzeit Stettmeister der löblichen Reichstatt Colmar/ imm Elsas/ auß latein inn das nachvolgend Teutsch/ gemeinem nutz zuo guot verwendt. Zuo Colmar bey Barptolome Grüninger  M.D.X.L.I.; fol. CLIII recto

Es gibt auch Emblembücher, wo der Hintergrund kaum etwas mit dem Emblem zu tun hat. 

• So stehen die bedeutsamen Dinge bei Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria 1619 mitunter vor dem Heidelberger Schloss (Nr. XII, XVI, LIX, LXVII, LXXI, LXXXVIII, u.ö.) auch vor der Stadtvedute von Zürich (XXVIII) oder Basel (LXXXV) oder Stuttgart (LXIX).

• Im »Politischen Schatzkästlein« (1623–1631) der geschäftstüchtigen Herren Daniel Meis<s>ner und Eberhard Kieser stehen alle Embleme vor dem Hintergrund einer Stadtansicht. Meissner betonte, dass zwischen Emblem und Ort kein gewollter Zusammenhang besteht: In der Vorrede der ersten Lieferung 1623 schreibt er:

Schließlich will ich auch solenniter protestando, in bester Maß und Form/ mich hiermit klärlich veroffenbaret haben/ im fall jemand gefunden würde/ der mir solche meine Emblemata oder vielmehr Inventiones vbel deutten oder dahin verstehen wolte/ als wann eins oder das andere/ dieser oder jener Statt oder Herren verkleinerlich vnd nachtheilig sein solte/ auch als ob es mit fleiß von mir dahin gerichtet were/ daß ich solches von mir mit nichten also gemeinet oder gedeutet/ sondern einige vnd allein dahin gesehen sey/ daß zu einer jeden Emblematischen Figur ein Statt […] geordnet werde. Daniel Meissner (1585–1625), Politisches Schatzkästlein / Das ist: Außerlesene schöne Emblemata vnnd Moralia/ so wol Kunst: vnnd Christliebenden/ als Kriegsvbenden/ auch andern Politischen Personen zu Ehren/ Beliebung/ vnd Wohlgefallen … fürgebildet, Franckfurt am Main: Eberhard Kieser 1623–1631. — http://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_00024637

 

Zu <F> : Der Implizite Leser 

Wie schafft es das Emblem, den Leser auf eine Weise anzusprechen, ihn zu involvieren, so dass er sich gepackt fühlt, der moralischen Anweisung zu folgen? Es gibt bessere und wohl eher weniger gelungene Techniken:

• Das Epigramm spricht den Leser in irgendeiner Form direkt an: Also ist auch gläubigen Christen nicht hinderlich, wenn...

• Ein handelnder Mensch ist – mutatis mutandis – das Identifikationsangebot:

Ein Schiffer, der sowohl auf seine Fähigkeit zu steuern als auch auf die von Gott gesandten guten Winde vertraut (Rollenhagen & de Passe I,3 und I,37)

• Die Pictura enthält ein kleines Kind, das die anima des Lesers / der Leserin darstellt (Hermann Hugo, Pia Desideria, durchgehend)

• Der Leser soll sich mit einer prestigeträchtigen antiken mythischen Figur identifizieren

Wie Herkules, so auch ich!

• Eine Pflanze / ein Tier mit bestimmten Eigenschaften / Verhaltensweisen soll die Identifikationsfigur abgeben:

Der Tauchervogel, der untertaucht um wieder aufzutauchen (vgl. oben)

Die Schnecke, die langsam aber sicher vorankommt (Rollenhagen & de Passe I,11)

Der Biber, der sich die Hoden abbeißt (positiv zu deuten: werde Deine Geilheit los!)

Der Falter, der ins Licht fliegt, sagt im Motto in der 1. Person Cosi vivo (Rollenhagen & de Passe I,40) bzw. Cosi de ben amar porto tormento (I,64)

Es gibt auch abschreckende Figuren, mit denen man sich gerade nicht identifizieren will. Beispiel: Das einen Blasbalg betätigende Monster bei Daniel Cramer, Emblemata Sacra (1622)  Nr. XLVI

• Ein Gegenstand, ein Artefakt

Die Uhr, die nur tickt, wenn Gewichte an den Antriebsketten hängen

Brennende Holzscheiter, die Wärme spenden, sich dabei aber verzehren (Rollenhagen & de Passe I,25)

Ein eiserner Stab, der vom Schmied mit einem Hammer geschlagen wird, damit er nützt (Rollenhagen & de Passe I,17)

• Eine Figur im Bild tritt als Lehrmeister auf, der den Leser anspricht.

 • Eine nur im Bild realisierbare Technik, den Betrachter zu involvieren, ist die: Die Identifikations-Figur schaut mit dem Betrachter ins Bild hinein. Holtzwart (Nr. XXVI) erzählt die Geschichte, wie Odysseus Kirke bezwang und so seine Gesellen wieder aus der Tiergestalt erlöste. Dem selben soltu [Sollst Du] volgen […] und d’huren auß deim hauß verjagen. Odysseus schaut ins Bild hinein und packt Kirke am Kinn, das Schwert in der Rechten. Tobias Stimmer, der Zeichner / Holzschneider, hat solche Rückenansichten geliebt.

 

Zu <G> : Bild oder Text zuerst?

Für diesen Punkt wechseln wir zur produktionsseitigen Perspektive. Das Bild (oder ein Bildteil) kann aus der traditionellen Ikonographie stammen (z.B. eine Waage), kann aus einem naturkundlichen Werk oder aus der Bibelillustration kommen usw., und statt eines Bildes kann auch eine Sache Anlass sein (vgl. Gelegenheitsandachten). Bei den Texten wäre zu differenzieren, ob der Ausgangspunkt ein antikes Epigramm oder ein Bibelzitat oder ein Exemplum usw. ist.

Im folgendem Fall wird man wohl von der Priorität der alltäglichen Anschauung, mithin des Bildes ausgehen können:

Philothei Symbola Christiana, quibus idea hominis Christiani exprimitur. Frankfurt/Main: Zubrod 1677; deutsch 1669; Nr. XCVI.

Es gelingt den Fliegen übel/ welche sich unvvorsichtig in die Spinnenwebe begeben; Dann sie verwickeln sich darinn/ und werden wegen ihrer Curiosität gestrafft …

Text primär: Die Metapher ›Höflinge sind wie Rechensteine auf einem Brett; nicht ihr Wert an sich, sondern die Stellung auf dem Brett / die Position am Hof macht ihre Geltung aus‹ lässt sich teilweise in ein Bild umsetzen: ein Rechnender vor dem Tisch, auf dem das Liniensystem angebracht ist und Calculi ausgelegt sind. (Holtzwart, Nr. XXX)

Wenn das Emblem seine Basis in einem Sprichwort hat, wie z.B. »Die Wälder haben Ohren, und das Feld Augen«, dann ist das Bild sicherlich sekundär, und die Visualisierung oft eine schwierige Aufgabe (siehe Holtzwart Nr. XVIII). — Vgl. dazu: Dietmar Peil, Das Sprichwort in den »Emblematum Tyrocinia« des Mathias Holtzwart (1581), in: Walter Haug / Burghart Wachinger (Hg.), Kleinstformen der Literatur, Tübingen 1994, S.132–164.

Was primär ist, lässt sich nicht immer leicht feststellen. Bei Isselburg / Rem (1617) wird eine Henne mit Jungen gezeigt; dazu das Epigramm: DIe Gluckhenne jhr Küchlein klein | Versamlet vnd bedecket fein | mit ihren Fittigen/ damit | Sie einign Schaden nemen nit. || Ein Christlichr Fürst vnd Obrigkeit | Sein Vnderthanen schützt alzeit. – Man könnte meinen, die Vorstellung beruhe auf der alltäglichen Anschauung; die Randglosse nennt Matthäus 23,27: »Wie offt habe ich deine Kinder versamlen wöllen / wie eine Henne versamlet jre Küchlin / vnter jre flügel« (Lutherbibel 1545). – Ist das nur gelehrte Ausstaffierung oder war dieser Vers der Anlass für das Emblem?

Aus der rezeptionsseitigen Perspektive ist die Frage der Priorität anders zu beurteilen. Waren die Betrachter so instruiert, dass sie genau der Abfolge von Motto – Pictura – Subscriptio auf der Buchseite von oben nach unten entlang folgten? Oder ließen sie ihre Eyes nicht zuerst vom Bild catchen?

Zu <H> : Struktur im Inneren

Es gibt eine ganze Reihe von Emblemsammlungen mit dreiteiligem Aufbau auf je einer Druckseite. Von hier hat A.Schöne seine Idee eines Grundtypus abgeleitet. Um nur einige zu nennen:

  • Alciato (1534 u.ö.)
  • Guillaume de La Perrière, Le Theatre Des Bons Engins (in der Ausgabe 1545 alle drei Teile auf je einer Seite)
  • Barptolemaeus Anulus [Barthélemy/Bartholomé Aneau]. Picta poesis, Lyon 1552.
  • Ioan. Sambucus, Emblemata (Erstausgabe 1564)
  • Hadrianus Junius (Erstausgabe 1565)
  • Mathias Holtzwart, Emblematum Tyrocinia (1581) zusätzlich mit dt. Übersetzung, was man aber nicht als 4.Teil zählen sollte
  • Nicolaus Taurellus, Emblemata physico-ethica (1595); wobei die Embleme hier jeweils noch einem Mann gewidmet sind; aber das sind Paratexte.
  • Gabriel Rollenhagen / Grispin van de Passe, Nucleus Emblematum (1611/15)
  • Peter Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica (1617; 2.Auflage 1640)
  • Emblematvm Ethico-Politicorvm Centvria Ivlii Gvilelmi Zincgrefii (1619)
  • Christoph Murer, XL emblemata miscella nova (1622)
  • Wolfgang Helmhard von Hohberg, Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids (1675).

Es gibt aber auch emblematische Bild-Text-Kombinationen mit mehreren Texten (in verschiedenen Gattungen: Prosakommentar, Spruch, Lied, Gebet, Predigt). Nur wenige Beispiele:

  • Joachim Camerarius, Symbola et emblemata (1590–1604) – jedes Emblem mit  antiken Zitaten angereichert
  • O. van Veen, Moralia Horatiana (1607) –  jedes Emblem mit  antiken Zitaten angereichert
  • Iacobi â Bruck Emblemata Politica (1618)
  • Heinrich Engelgrave, Lux Evangelica sub velum Sacrorvm Emblematvm Recondita in Anni Dominicas (1648) – jedes Emblem mit einer Predigt versehen
  • Philothei Symbola Christiana (1677; deutsche Übers. 1679) – zu jedem Emblem zwei Gedichte in versch. Versmaßen
  • Erasmus Francisci, Das Unfehlbare Weh der Ewigkeit (1686) – jedes Emblem in einen erbaulichen Traktat eingebettet

Bei  einigen Büchern hat man das Gefühl, die Embleme seien eher ein Eye catcher in einem Traktat:

  • Saavedra, Idea de un principe politico christiano (1640) – politische Lehrschrift in 101 Kapiteln, jedes durch ein Emblem eingeführt
  • Franciscus Reinzer, Meteorologia Philosophico-Politica (1697; dt. 1712) – eine Mischform aus gelehrt-naturwissenschaftlichem Kompendium der Meteorologie, didaktischem Emblembuch, moralisierendem Fürstenspiegel und akademischer Disputationsschrift

Es können auch mehrere sich ergänzende Picturae in ein Bild-Ensemble zusammengebracht sein (›mehrständiges Emblem‹).

Als  Beispiel ist hier zu nennen Johann Michael Dilherrs »Heilige Sonn- und Festtags-Arbeit« (1660), in welcher Dreiständig-nachdenckliche Sinnbilder vorangesetzet/ hernach Die Wort gründlich erwogen […]. Davon gibt es einen Auszug : [Johann M. Dilherr / Georg Ph. Harsdörffer], Drei-ständige Sonn- und Festtag-Emblemata, oder Sinne-Bilder, [Nürnberg]: [Endter], [1669]
http://diglib.hab.de/drucke/tb-158-1/start.htm?image=00005
Reprint Hildesheim: Olms 1994 mit Nachwort von D. Peil

Die Dreiergruppen der Picturae können eine chronologische Abfolge zeigen oder unterschiedliche Aspekte des Bildgegenstandes.

Eine literarische Parallele zu den mehrständigen Emblemen besteht in der Zusammenstellung der drei Gleichnisse vom Verlieren und Wiederfinden beim Evangelisten Lukas (Kapitel 15: vom verlorenen Schaf 4-7; von der verlorenen Drachme 8–10; vom verlorenen Sohn 11–32); die Verschiedenartigkeit des je Verlorenen zeigt, dass es darum nicht geht, sondern um das allen drei Gleichnissen Gemeinsame: die Freude (Gottes) über das Wiederfinden des Verlorengeglaubten. Möglicherweise haben solche literarische Stellen die Emblematiker angeregt. 

Polysemie; mehrfache Deutung desselben Emblems:

Jacob Cats (auch Catz, 1577–1660) hat sein Werk Silenus Alcibiadis, sive Proteus, vitae humanae ideam, emblemate trifariàm variato, oculis subijciens, Middelburgi, ex officina typographica Iohannis Hellenij 1618 – https://archive.org/details/silenusalcibiadi00cats so angelegt, dass die 51 Embleme in drei Bänden verschieden ausgelegt werden; das erinnert an den mehrfachen Schriftsinn der patristischen und mittelalterlichen Bibelausleger:

(1) Amores Moresque spectantia; (2) in Moralis Doctrinae sensum magis serium spectantia; (3) in Sacras Meditationes transfusa.

In seinem Proteus, ofte, Minne-beelden verandert in sinne-beelden 1627 — https://archive.org/details/proteusofteminne00cats  folgen die drei Deutungen jedem Emblem aufeinander. Diese Anlage hat dann auch die deutsche Übersetzung Des ... Poeten, Jacob Cats, ... Sinnreiche Wercke und Gedichte, gedruckt und verlegt bey seel. Thomas von Wierings Erben 1710 — https://books.google.ch/books?id=wlteAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false

 

Zu <I> : Qualität

Darf man als Historiker überhaupt ein überliefertes Dokument hinsichtlich seiner Qualität beurteilen, so wie ein moderner Rezensent einen eben erschienenen Roman lobt oder einen Verriss schreibt? Nach dem Abhandenkommen von klassischen Vorstellungen von Harmonie in Kunstwerken und bei der Betrachtung von solchen aus dem Manierismus sind wir vorsichtig bei der Vergabe von Urteilen wie: ein Text sei ›schräg‹, engl. whimsical, in sich nicht stimmig usw.

Literarische Qualitäten:

  • Die Verfasser werden von den zeitgenössischen Theoretikern angehalten, ein knackiges Lemma zu formulieren. Beispiele:  Rollenhagen / de Passe veranschaulichen die wichtigsten Herrschertugenden mit den Göttern Venus (für die Wissenschaft, ars) und Mars (für den Krieg stehend); das Lemma lautet ARTE ET MARTE (Ablativ: ›mittels Krieg und Wissenschaft‹ I,68). — Holtzwart (Nr. XXV) möchte ausdrücken, dass die Qualität nit alein am aussern ansehenn liegt – die Pictura zeigt die venusgleiche Pandora, aus deren Büchse die Übel entwichen; Lemma: Non ex aspectu, sed ex effectu. — Sambucus liebt Paradoxa wie Sapientia insipiens.
  • Prosopopoiie (eine Figur der Pictura spricht selbst): Alciato lässt den Delphin selbst sein Schicksal beklagen: Delphinem invitum me in littora compulit aestus – Die deutschen Übersetzer übernehmen das (Emblematum libellus, 1542, Nr. LXXV); Mich Delphin hat mit gwalt an rand | die Meeres Wellen gstossen zLand | Bin also ein Exempel und Bild | der grossen gfar deß Meeres wild (W. Held in: Liber emblematum ... Kunstbuch, 1567, Nr. CXXII).
  • Dialog: Statt einfach herunterzuleiern, welche Eigenschaften Bacchus alle hat, formuliert Alciato einen Dialog: 
    »Sag Bacchus, wer erkant dich ye,
    Der dich so kunstlich gschnitzet hye?«
    [B.:] »Praxiteles sah mich den tag,
    So ich bey Minos tochter lag.«
    »Warumb schnitzt er dich jung gestalt,
    So du nun bist von jaren alt?«
    [B:] »Wer meßig braucht den reben safft,
    Lebt alweg jung in gueter krafft.«
    »Warzu tregst du ein pauck, und horn?
    [usw.] (Übersetzung von Hunger 1542 ; vgl. Held 1566)
    Die Technik könnte bei gebildeten Humanisten zurückgehen auf eine Anregung bei Quintilian, institutiones oratoriae II,iv,26: »was es bedeute, dass Cupido, ein Knabe, geflügelt und mit Pfeilen und Fackeln ausgerüstet ist, und ähnliches.«

Bildkünstlerische Qualitäten:

Die Holzschnitte / Kupfer der Picturae stammen von herausragenden Künstlern:

  • Virgil Solis (1514–1562): Alciati Liber Emblematum/Kunstbuch, Frankfurt am Main 1566.
  • Otto van Veen (1556-1629): Horatii Flacci emblemata. Imaginibus in æs incisis, notisque illustrata, studio Othonis Væni, Batauolugdunensis. Antverpiæ ex officina Hieronymi Verdussen 1607 — wieder in: Zesen Moralia Horatiana 1656.
  • Crispijn van de Passe (1564–1637): G.Rollenhagen, Nucleus Emblematum, Arnheim 1611 / 1613.
  • Tobias Stimmer (1539–1584): Matthias Holtzwart: Emblematum Tyrocinia, Straßburg 1581.
  • Matthaeus Merian d. Ä. (1593–1650): Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum ..., Frankfurt 1619.
  • Christoph Murer (1558–1614): XL emblemata miscella nova, Zürich 1622.
  • Boetius à Bolswert (1585–1633): Hermann Hugo, Pia desideria, Antwerpen 1624.
  • Melchior Küsel (1626–1683): Hermann Hugo, Himmlische Nachtigall, singend gottseelige Begirden, Augsburg 1699.
  • Jan und Caspar Luyken, Christoph Weigel (1654–1725): Abraham a Sancta Clara, Huy! und Pfuy! der Welt, Nürnberg 1707.
Wie einflussreich die zeitgenössischen ästhetischen Vorstellungen auf die Bildgestaltung sind, ermisst man, wenn man Überarbeitungen desselben Bilds in späteren Zeiten betrachtet; vgl. dazu oben die späte Ausgabe Erbauliche Sinnbilder. 56 Bilder mit Reimdeutungen und Bibelsprüchen entnommen den alten Ausgaben von Johann Arndt’s wahrem Christenthum. Neu gezeichnet von J. Schnorr, Stuttgart: Steinkopf 1855.

Gezwungenes, Misslungenes

• Die Aussage kann nicht im Medium Bild realisiert werden; vgl. <C> Grenzen.

• Nichtssagende Picturae:

Allein die Übung macht den Meister. Wird erläutert am Dictum nulla dies sine linea. Das Bild zeigt eine Hand, die mit einem Federkiel eine Linie zieht. (Rollenhagen / de Passe, 1613, II, 24)
Literaturhinweis: Oleg Nikitinski (1967–2015), Zum Ursprung des Spruches nulla dies sine linea. in:  Rheinisches Museum für Philologie, Neue Folge, 142. Bd., H. 3/4 (1999), pp. 430-431.

Böses wird mit Bösem vergolten. Wird so erläutert: Wenn man den Skorpion bedrängt, so spritzt er Gift. Das Bild zeigt einen winzigen Skorpion, allein, in einer Palastarchitektur (Holtzwart / Stimmer, Emblematum Tyrocinia 1581, Nr. XLI)

• Schräger Bezug zwischen einem Element des Signifié und einem des Signifiant:

Warum malt man Venus nackt? Weil die Liebhaber mentis egeni / gantz bloß von witz sind – im Bild rennt (auch) ein nackter Mann herum (Holtzwart / Stimmer, Emblematum Tyrocinia 1581, Nr. LVI)

• Fehlende Logik zwischen Signifiant und Signifié

Nach dem Krieg folgt der Friede – Bienen haben sich in einem Helm eingenistet. Insinuiert wird die Logik des ›post hoc ergo propter hoc‹ (Alciato 1542, XLV und andere)

Ein Junge versucht, sich mit einem Sieb vor einem Platzregen zu schützen. Das wäre brauchbar als Warnung vor unnützem Handeln. Das Lemma besagt aber: Transeat. Halte aus, es wird vorübergehn (Rollenhagen / de Passe, 1611, I,20)

• Pointe wird im Emblem nicht expliziert

Lieb ist die gewaltigest anfechtung;  Cupido schlägt mit einer Peitsche auf die Löwen, die seinen Wagen ziehen. Die Pointe soll indessen sein: der Weise kann seine Triebe mäßigen; das erscheint nicht in der Signifiant-Welt (Alciato 1542, Nr. 7)

• Lemma erfasst nicht die Pointe des Signifiant

Beispiel kommt noch

• Fehlendes Überzeugungspotential

Überzeugungspotential kommt u.a. dadurch zustande, dass das Signifiant eine logische Stringenz enthält (was v.a. bei <A> beispielsweise im Muster ›nur wenn p, dann q‹ der Fall ist). Dazu kommen muss, dass die Brücken zwischen Signifiant und Signifié einleuchtend sind.

Beständige Freundschaft wird symbolisiert dadurch, dass die Rebe noch treu bei der Weide hängen bleibt, wenn diese bereits alt ist. Frage: Hätte sie (in der Natur, d.h. der Signifiant-Sphäre) eine Alternative? (Alciato 1542, Nr. 12)

• An den Haaren herbeigezogenes (far fetched) Signifiant

Wer einen Meineid schwört, den soll Gott strafen – es gab einen römischen Eides-Ritus, bei dem ein Opfertier mit einem Stein erschlagen wurde, dabei wurde Jupiter angerufen, das römische Volk ebenso zu behandeln, wenn es eidbrüchig würde. (Rollenhagen / de Passe 161, I, 38)

• Um der Bedeutung willen konstruierte, un-natürliche Pictura

 

Die Pictura zeigt zwei Füße ohne zugehörigen Leib, sie tragen ein Balkengerüst.

[Johann Mannich (*1580)] Sacra Emblemata LXXVI In Quibus Summa Unius Cuiusque Evangelii Rotunde Adumbratur. Das ist Sechsundsibentzig Geistliche Figürlein in welchen eines jeden Evangelii Summa Kürtzlichen wird abgebildet, Norimbergae: Sartorius 1625. > http://diglib.hab.de/drucke/389-1-theol-1s/start.htm

Zum Bibeltext »Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten« (Jes 52,7) heißt es:

Deß Friedens Füß/
Lieblich vnd süß

Zween bloß Füß sihst du allhie stahn/
Die das Predigampt zeigen an/
[…]
Der ein Fuß den du allhie sihst/
Mit eim Oelzweig vmbwunden ist/
Der Fried wird hierdurch angedeut/
Den sie predigen allezeit.
Jn eim Berg steht der eine Fuß/
Welches dir diß anzeigen muß/
Daß die so doch den Frieden lehrn/
Jm Fried von dir sich sollen nehrn.
Vrsach zeigen die Balcken an/
Daß sie vil müh müssen außstahn/

[usw.] Vom andern Fuß im Waschbecken ist nicht die Rede …

Freigestellte Körperteile (Hand, Auge, Ohr, Zunge, Finger, Tierköpfe) kennt man aus dem »Horapollo« und aus den »Hieroglyphica«; hier allerdings als Erklärung der Hieroglyphen, wo solche Bilder zu finden waren. Daher mag die Anregung kommen.

Ori Apollonis Niliaci, de sacris notis & sculpturis libri duo, Paris 1551, pag. 100 > https://archive.org/details/oriapollonisnili00hora

Vnmöglichs. – Zwen Mentschen füß so im wasser gond/ oder das wasser trättend/ maalen sie [die Ägypter]/ ein sach die zethuon vnmöglich/ darmit zuo verzeichnen/ dz nit sein mag. – Aus: Bildschrift Oder Entworffne Wharzeichen dero die uhralten Ägypter in ihrem Götzendienst  an statt der buochstäblichen schrifften gepraucht habend. Inn zwei bücher durch etwa Horum ein Heylig geachten Priester in Ägypten, vor dreytausent jaren verfaszt, und beschriben, in: [Johannes Herold], Heydenweldt vnd irer Götter anfängklicher vrsprung …, Basel: Henrich Petri 1554. 


Angewandte Emblematik

Die Emblembücher (das von Alciato selbst zunächst, dann Werke wie die von Picinelli, Boschius) dienten einerseits bildenden Künstlern (oder ihren Auftraggebern im Hintergrund) und Dichtern, Predigern oder Verfertigern von Reden als Inspirationsquelle, anderseits den Rezipienten als Hilfsmittel zum Verständnis. Es sind Thesauri, Inventare, in denen Embleme wie Wörter in einem Wörterbuch bereitstehen. (Freilich können diese auch zur Erbauung gelesen werden, dann gelangen sie in die Kategorie der ›angewandten Emblematik).

Die Sammlungen selbst verweisen von Anbeginn darauf, dass die in ihnen enthaltenen Emblemata zwecks Applikation dargeboten werden. Einige Beispiele:

• Der Titel des Buchs von Gottfried Rogg:  Encyclopædia, Oder: Schau-Bühne Curieuser Vorstellungen Von vilerlei Art außgebildeter Kupffer-Figuren. Sehr dienlich Zu allerhand Erfindungen/ Besonders vor Mahler/ Kupffer- Silber- und Siegel-stecher/ Goldschmiede/ Glaßschneider/ Schmöltz- und Stahl-Arbeiter; Nicht nur allein mit Ovidischen/ sondern auch historisch- und emblematischen Vorstellungen/ vielen veränderlichen Einfassungen/ Laub- und Bandel-Werck/ samt allem nach Vergnügen angefüllet … Augspurg, 1726.
> http://diglib.hab.de/drucke/uk-65-1s/start.htm

Georg Philipp Harsdörffer, Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656:

Nothwendige Vorrede an den Neugierigen Leser. ¶ 19. Ferners ist dieser dritte Druck mit 100. ein-zwey-drey-vier-fünff- und sechsständigē Sinnbildern /wie auch einem Vorbericht von derselben kunstrichtigen Verfassung / und allen Rednern / Poeten / Mahlern / Bildhauern / Glasschneidern / Goldschmieden /etc. zu Behuf / gemehret worden / sich nach belieben solcher Erfindungen zu bedienen / oder nach derselben Veranlassung andre zu ersinnen.

Neue Zugabe: Bestehend in C. Sinnbildern, ¶ 50: Der vielfältige Gebrauch dieser Sinnbildkunst stehet bey der nach und nach eingeführten Beliebung/ und ist solche von etlichen Jahren hero nicht nur auff den Büchertitulen/ in Auffzügen/ Siegesprachten/ Zuschrifften/ Tapeten/ Tischen/ Trinckgeschirren &c. sondern auch zu Hochzeiten und Leichgedichten fast gemein worden; gestalt dann den Rednern/ Poeten/ Bildhauern/ Mahlern/ Tapetenwürckern/ Glaßschneidern und Glaßmahlern sothane Erfindungen sehr dienlich/ und geben wir ihnen derselben hundert zu gefälliger Waal/ der ungezweiffelten Hoffnung sie hierdurch zu dergleichen mehr nachsinnigen Erfindungen zu veranlassen/ &c.

Als ›angewandte Emblematik‹ (das Wort ist in der Forschung umstritten) versteht man die kontextuelle Einbindung von Emblemen in: Gedichten, Dramen, Reden, Predigt, Andachtsbuch, Trauerspiel, Münzen und Medaillen, Glocken, Festdekorationen, Grabmälern, Castrum doloris , Kirchen, Schlössern, Bibliotheken, Bürgerhäusern, usw.

Ein Emblem in einem Emblembuch verhält sich zu einem ›angewandten‹ Emblem wie ein Wort im Wörterbuch (linguistisch gesprochen auf der Ebene der ›langue‹) zu einem Wort in einem Satz (Ebene der ›parole‹). Bei der Einbindung in den Text bestimmt das Wort die Satzbedeutung, wird aber von dieser auch monosemiert und semantisch beeinflusst. Ganz ähnlich, wenn Embleme in ein Programm (z.B. als Wandtäferung in in einer Bibliothek) eingebunden werden. Es muss jeweils untersucht werden, welche Transformationen bei der ›Anwendung‹ stattfinden.

Bei der Verwendung in (sakralen wie profanen) Bauten, auf Münzen usw. wird in der Regel das Epigramm weggelassen und nur Pictura und Lemma gezeigt. Diese beiden Teile sollen aber gemäß einigen zeitgenössischen Theoretikern enigmatisch zusammenwirken; wie kamen Betrachter dann zu einem Verständnis? Hat ihnen der ortsansässige Pastor oder Bibliothekar das Emblem mündlich gedeutet? Bei der nur anspielenden Verwendung im Gedicht/Drama kann man damit rechnen, dass die Stelle im gymnasialen Unterricht erklärt wurde (vgl. Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen: Niemeyer 1970; bes. S. 302–366ff.)

Bereits 1962 hat Grete Lesky (1898–1982) die Quellen von Emblemen in Österreichischen Kirchen aus zehn Emblembüchern nachgewiesen.

Albrecht Schöne hat 1964/68 deutlich auf die Verwendung im Barockdrama hingewiesen.

Forschungsbericht: Michael Schilling, Emblematik außerhalb des Buchs, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 11 (1986), S. 149–174.

Dietmar Peil, Emblematik und Rhetorik [1993/1995], in: ders., Ausgewählte Beiträge zur Emblematik, Hamburg: Kovač 2014 (Schriften zur Kunstgeschichte 45), S.25–42.

Eine reichhaltige Website zum Thema hat Dieter Bitterli zusammengestellt: An Inventory of Applied Emblems in Switzerland.

114 Darstellungen auf ihre emblematischen Vorbilder zurückgeführt hat Hans Westphal, Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem. Das Emblemprogramm der Stettener Schlosskapelle (1682), Stuttgart: Kohlhammer 2017.

Gelegenheits=Andachten

Jedes Lebewesen, jedes Artefakt, jede Handlung einer historischen Person usw. lässt sich mittels Allegorese (sieh oben) zu einer erbaulichen Botschaft wandeln.

Dieses Prinzip liegt den sog. Gelegenheits-Andachten zugrunde. Zu einem Buch ausgearbeitet hat es Joseph Hall (1574–1656) in seinen »Occasionall Meditations« (1630); diese wurden rezipiert von Harsdörffer in seinem »Nathan und Jotham« (1650) u.d.T. »Gottholds Tagraise«. Der evangelische Pastor Christian Scriver (1629–1693) hat es dann in seinen »Gottholds zufällige Andachten« (EA: Magdeburg 1663; in mehreren Neuauflagen ausgebaut) verwendet. Er fand einen Nachfolger in Ahasver Fritsch mit  »Gottlobs Hundert sonderbare Zufällige Andachten« (1684 und ebenfalls in mehreren Neuauflagen ausgebaut).

In der ersten Vorrede an den wohlmeinenden Leser schreibt Scriver:

Ich wolte gern/ mein Christ/ alle Creaturen mit dir reden machen/ oder vielmehr/ ich wolte dir gern der Geschöpffe Gottes Rede außlegen und verdolmetschen/ und dir/ nach meiner Einfalt/ zeigen/ wie du dir allerhand Fügniß und Begebenheit/ zum Andencken deines Gottes und Besserung deines Christenthums/ zu nutz machen kannst. Es wird mit Verwunderung gelesen/ daß Bileams Eselin geredet hat/ nemlich/ mit vernehmlicher Stimm: Mich aber düncket, daß täglich und stündlich auch die unvernünfftige und stumme Geschöpff mit uns reden/ wenn wir nur Ohren hätten/ ihre Sprache zu hören/ und Hertzen/ dieselbe zu verstehen: Was ists sonst/ daß Hiob sagt: »Frage doch das Vieh/ das wird dichs lehren […]« (Cap. XII.7.8.) und David: »Die Himmel erzehlen die Ehre GOttes/ und die Feste [sc. das Firmament] verkündigen seiner Hände Werk (Psalm XIX.2.) […] Das Buch der Natur hat viel 1000. Blätter/ darauf der Finger Gottes seine Liebe beschrieben […]. Wohl dem, der dieses Buch mit gottseligen Nachdencken lieset! [Als Autorität führt er an Augustin, de libero arbitrio III, 23 [70.237]: Warlich/ so man […] darauff acht hat/ aller Geschöpff Gestalt und Bewegung/ welche dem menschlichen Gemüth zu betrachten vorkommen/ sind zu dessen Erbauung angesehen/ ihre mancherley Verrichtungen und eigenschafften sind mancherley Zungen/ damit sie uns anschreyen und ernstlich anmanhnen/ ihren Schöpffer zu erkennen.

Scriver regt an:

Vielleicht wird mancher Prediger/ wenn er mit seinen Zuhörern in Gesellschaften/ Gastmählern/ Spatzieren und Reisen sich befindet/ Gelegenheit nehmen sie auf solche oder dergleichen Weise/ mit ergetzlichen doch nützlichen Gesprächen zu unterhalten und ihr Christentum zu erbauen. Massen denn er seine Cantzel alltenhalten aufschlagen muß/ wo es die Nothdurft und seine Pflicht erfordert.

Freilich stammen nicht alle Allegoresen aus direkter Anschauung, wie das hier suggeriert wird; Scriver kennt die Emblembücher (ohne sie zu nennen) und verwendet sie.

Ein Beispiel von hunderten. Die Pictura [P] ist hier nicht als Bild, sondern als Text realisiert. (Im anderen Vorbericht schreibt Scriver: und hätte ich mögen wünschen/ daß dieses gantze Wercklein hin und wieder mit Kupffer-Bildern/ die was die Andacht behertziget/ denen Augen als gegenwärtig/ hätten dargestellet/ und zu mehrer  Beliebung und Nachsinnen Anleitung gethan/ hätte versehen werden können […]; allein um der Unkosten willen hat man vor dißmahl es nicht rathsam befunden.)

Die Ruder=Knechte.

[P] Gotthold sahe etliche Schiff-Leuthe in einen Both treten/ um über einen schiffreichen Fluß zusetzen/ da denn ihr zween sich an die Ruder machten/ und gewohnter Art nach/ den Rücken nach dem Ufer wandten/ da sie hingedachten/ einer aber blieb am Steuer stehen/ und hatte das Angesicht auff den Ort/ da sie anländen wollten/ unverwandt gerichtet/ und also schifften sie geschwind dahin. Sehet hie/ sprach er zu denen/ die um ihn waren/ eine gute Erinnerung von unser Arbeit und Geschäfften.

Dis Leben ist ein schneller und gewaltiger Strohm/ der von Zeit zu Zeit in das Meer der Ewigkeit verfleust/ und nicht wieder kehret; Auff diesem Strohm hat jedweder das Schifflein seines Beruffs/ welches mit den Rudern fleißiger Arbeit fortgebracht wird. Da sollen wir nun/ wie diese Leute/ den Rücken dem Zukünfftigen zuwenden/ und in gutem Vertrauen zu GOtt/ der am Ruder stehet/ und das Schifflein dahin krafftiglich lencket/ wo es uns nütz und selig ist/ nur fleißig arbeiten/ und im übrigen unbekümmert seyn: Wir würdens lachen/ wenn wir sehen würden/ diese Leute sich umwenden/ mit Vorgeben/ sie könten so blinderlings nicht fahren/ sie müsten auch sehen/ wo sie hinkämen: Was ists denn vor eine Thorheit/ daß wir alles Zukünfftige/ und was vorhanden ist / mit unsern Sorgen und Gedancken wollen erreichen? – Laßt uns rudern und arbeiten und beten; GOtt aber lasset steuren/ gesegnen und regieren. Mein GOtt! bleibe ja bey mir in meinem Schifflein/ und lencke es nach deinem Wolgefallen/ ich will mein Angesicht auf dich wenden/ und nach dem Vermögen/ das du darreichest/ fleißig und getreulich arbeiten/ das übrige wirst du wohl machen.

Hier nach: Christian Scriver. Gottholds zufälliger Andachten Vier Hundert. Bey Betrachtung mancherley Dinge der Kunst und Natur / in unterschiedenen Veranlassungen zur Ehre Gottes / Besserung des Gemüths / und Ubung der Gottseligkeit geschöpffet / Auffgefasset und entworffen / auch ietzo abermahl übersehen / hin und wieder verbessert / mit einem reichern Register / auch einer neuen Anweisung / wie sie in Erklärung der Sonn- und Festtäglichen Evangelien und Episteln zu gebrauchen /versehen / Und zum fünfften mahl ausgefertiget von M. Christian Scriver / Pfarrern bey der S.Jacobs-Kirchen in der Alten Stadt Magdeburg. Mit Chur-Fürstlicher Sächsischer Freyheit. Leipzig, Verlegt durch Johann und Friedrich Lüderwald 1683. Das andere Hundert, XI.

Ausgabe 1701 digital: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/structure/2626107

Literatur: Dietmar Peil, Zur ›angewandten Emblematik‹ in protestantischen Erbauungsbüchern [Dilherr – Arndt – Francisci – Scriver], Beihefte zum Euphorion, Heft 11, Heidelberg: Winter 1978, S. 77–85.

Buchdruckerzeichen / Verlagssignete

Ein Tummelfeld für Embleme sind die Buchdruckerzeichen. Die Emblematiker profitieren zunächst von den Buchdruckern, umgekehrt übernehmen Buchdrucker Embleme. (Vgl. die spezielle Seite hier.)

Anja Wolkenhauer: Zu schwer für Apoll. Die Antike in humanistischen Druckerzeichen des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden, Otto Harrassowitz 2002. --- Die Verfasserin zeigt in ihrem gründlichen Buch z.Bsp. anhand von G.Rollenhagen, dass dieser Emblematiker sehr oft ältere Druckermarken in Embleme umsetzt.

Nur ein Beispiel, ein (hinten im Buch) mehrfach verwendetes Druckerzeichen von Adam Berg:

Erster Theil Der guldenen Sendtschreiben Weilandt deß Hochwürdigen vnnd Wolgebornen Herrn Antonij de Gueuara, Parfüsser-Ordens, Bischoffens zu Mondonedo, Keysers Caroli des V. Hoffpredigers vnd Chronisten/ darinn vil schöne Tractätl, subtile Discursen, artliche Historien, herrliche Antiquiteten, vnd lauter gute Exemplarische sachen begriffen/ so allen und jedlichen hohen und nidern Geistlichen und Weltlichen Standts Personen/ fast kurtzweilig/ annemblich und nutzlich zulesen. Durch … Aegidium Albertinum auß der Hispanischen in die Teutsche Sprach auffs fleissigst verwendt, München: Adam Berg M.D.C.

• Die Figur, die an der einen Hand mit einem Stein belastet ist und an der anderen Hand beflügelt, kennen wir aus Alciato (1531ff.), siehe oben.

Im Textband steht:

PAVPERIES VIRTVS STVDIA IN CONTRARIA TENDVNT. ILLA PREMIT SVRSVM, ISTA PETIT. SPES SVSTINET ÆGRVM ≈ Armut (und) Tatkraft ziehen die Beschäftigung in gegensätzliche Richtung, jene drückt nach unten, diese strebt in die Höhe; die Hoffnung hält den Leidenden aufrecht.

• Eine mit Kreuzstab versehene weibliche Gestalt hält der genannten Figur die geflügelte Hand empor. Darauf bezieht sich das Motto: CONATVS DII FORTVNANT ≈ Die Götter begünstigen das Bemühen.

• Unter dem Emblem nimmt ein Vierzeiler bezug auf ein weiteres Bild-Element:

Veracht nicht den alten Stammen/
     Daruon vns gut Frücht herkamen.
Weil Dienstbarkeit in dieser Welt/
     Zu jederzeit das Lob erhelt.

Es ist das Emblem, das zeigt, wie eine Weinrebe sich um einen verdorrenden Baum rankt.

> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A34b012

• Auf weitere Details sowie auf die Frage, in welchem Zusammenhang das alles mit der Biographie des Drucker/Verlegers steht, sei hier nicht eingegangen vgl. dazu den Aufsatz von Dietmar Peil, Early Modern Munich Printer’s Marks (and Related Issues), in: Typographorum Emblemata. The printer’s mark in the context of early modern culture, edited by Anja Wolkenhauer and Bernhard F. Scholz, Berlin / Boston: De Gruyter / Saur 2018, pp. 197–225.

Münzen und Medaillen

Die Numismatik ist mit der Emblematik selbstverständlich verkoppelt. Ein Beispiel:

Jean-Jacques Luck (1574–1653), Sylloge numismatum elegantiorum, quae diversi impp., reges, principes, comites, respublicae, diversas ob causas, ab anno 1500 ad annum usque 1600 cudi fecerunt... opera et studio Joannis Jacobi Luckii, Argentinae [Straßburg]: typis reppianis 1620

> https://doi.org/10.11588/diglit.9320#0001
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lucke1620

Ein Fall: Jeronimo Scotto = Hieronymus Scotus, ein Abenteurer aus Piacenza, (floruit 1569–1610), der durch allerlei Künste und Gaukeleien sich den Ruf eines Zauberers erworben hatte und auf diese Weise üble Dinge an Höfen anrichtete, hat sich diese Medaille anfertigen lassen (datiert 1580):

[Christian August Vulpius Ed.], Curiositäten der physisch- literarisch- artistisch- historischen Vor- und Mitwelt; zur angenehmen Unterhaltung für gebildete Leser, Weimar I (1811) S. 107ff. und Tafel I, Fig. 1
> http://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpjournal_00000039

Das Bild auf dem Revers mit dem Motto Utcumque stammt aus

Jacobus Typotius [1540–1601], Symbola divina et humana pontificum, imperatorum, regum / Ex musaeo Octavii de Strada. Sculptor Egidius Sadeler. [3 Bände], Prag 1601–1603. Tomus Primus, Tafel 37; Hierographia XXIII
> https://archive.org/details/symboladiuinahum13typo/page/n89/mode/2up

Hier bedeuten die Schlangen die invidia (Missgunst, auch: üble Nachrede, gehässige Anfeindung)

Die Allgorie wird dann wieder – mit neuer Deutung – aufgenommen von Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611/1613; Band II, Nr.89

So wie man, wie man es kann, eine Schlange festhält, so muss man "auf jede mögliche Weise" das fliehende Schicksal packen.
> https://archive.org/stream/gabrielisrollenh00roll#page/n207/mode/2up

Man erkennt das Wandern der Motive zwischen Impresen-Literatur – Numismatik – Emblematik.

Einen Überblick bietet SinnBilderWelten (1999), Nr. 55 – 160 passim; jeweils mit Zuordnung der Embleme zu den Münzbildern.

Frederick John Stopp, The emblems of the Altdorf Academy. Medals and medal orations 1577–1626, London 1974 (Publications of the Modern Humanities Research Association; Vol. 6).

Stammbücher

Immer wieder stößt man in Titeln und Vorworten auf solche Hinweise:

So auch zu einem stamm oder Wappen Büchlein füglich zugebrauchen. ([Julius Wilhelm Zincgref], Sapientia Picta. Das ist/ Künstliche Sinnreiche Bildnussen und Figuren/ darinnen denckwürdige Sprüch und nützliche Lehren im Politischen und gemeinen Wesen durch hundert schöne newe Kupfferstück vorgebildet/ entworffen/ und durch teutsche Reymen […], Franckfurt 1624)

... vnd zu einem Gottseeligen Stamm= vnd GesellenBuch angeordnet. (Emblemata Sacra, Das ist: Fünfftzig Geistliche in Kupffer gestochene Emblemata, oder Deutungsbilder … durch … Herrn Daniel Cramern …, Ff/M 1624)

Gelegentlich wurden von Emblembüchern durchschossene Exemplare hergestellt, auf deren leeren Seiten sich Besucher oder Freunde zur Erinnerung eintrugen und sich ihrer Freundschaft versicherten. Umgekehrt wurden auch Embleme in unbedruckte als ›Album amicorum‹ dienende Bücher gezeichnet.

Doppelseite in einem durchschossenen Exemplar von Emblemata Andreae Alciati ... : postremo ac ultimo ab ipso authore recognita, imaginibusque, vivis ac lepidis denuo artificiosissime illustrata. […], Francofvrti ad Moenvm, apvd Georgivm Corninum, sumptibus Sigismundi Feyerabendt & Simonis Huteri 1567.

Johann Theodor de Bry hat 1592 ein eigens als Stammbuch eingerichtetes Emblembuch gedruckt: Emblemata nobilitati; im Untertitel: Stam vnd Wapenbuchlein. Eine zweite, durch seine Söhne vermehrte Ausgabe erschien 1611. In das Buch sind leere Wappenschilde eingestreut, wo Freunde, Studienkollegen sich verewigen konnten. — Digitalisat des Drucks 1593: http://diglib.hab.de/drucke/uk-sbd-2-1s/start.htm —  Nur die Bilder: http://de.calameo.com/read/002576040038e2aef8bef <Zugriff 08.07.2015>

Hinweise:

Cornelia Kemp, Nachwort zu J. T de Bry, Emblemata Secularia [1611], Hildesheim: Olms 1994 (Emblematisches Cabinet) [Bilder leider unbrauchbar]

Christiane Schwarz, Das Album amicorum als Ort für Produktion und Rezeption von Emblemen, in:  Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.) Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik (Mikrokosmos Band 65), Frankfurt/M.: P.Lang 2002, Band 2, S. 907–919.

REPERTORIVM ALBORVM AMICORVM – http://www.raa.phil.uni-erlangen.de/inhalt/#stbwas

Ein sehr hübsches handschriftliches Stammbuch mit Emblemen hat die Herzogin Anna Amalia Bibliothek digitalisiert. Link

Beispiel: Kloster Magdenau

Eine einfache Form der Anwendung ist die Anbringung eines Emblems in einem Bauwerk, an einer Wand, als Ofenkachel usw. Dabei muss fast immer die Subscriptio entfallen, deren Kenntnis dem gebildeten Betrachter anheimgestellt ist oder von einem Sachverständigen vor Ort ad hoc beigebracht wird. Hier ein auf Camerarius (I, 95) zurückgehendes Emblem flectimur, sed non frangimur (wir werden gebeugt, aber nicht gebrochen) aus der Zisterzienserinnenabtei Magdenau (Aufnahme des Verf.):

 

Bernhard Anderes, Kloster Magdenau 1244–1994. Festschrift, Wolfertswil: Zisterzienserinnenkloster Magdenau 1994; darin: Werner Vogler, Der Emblemzyklus, S. 133–154.

Vgl. auch die Embleme in der Kirche Hergiswald in der Nähe von Luzern, vgl.: http://bilderhimmel-hergiswald.ch/die-embleme/ {Juli 2018} --- und hierzu das Buch von Dieter Bitterli, Der Bilderhimmel von Hergiswald (1997; 2.Aufl. 2018).

Beispiel: Gryphius, »Papinian«

Im Emblembuch von Camerarius (I, 37) wird dargelegt, dass der Lorbeerbaum nicht vom Blitz getroffen werden kann (vgl. dazu Schöne 1968, S. 91–102).

Joachim Camerarius, Symbolorvm et Emblematvm Ex Re Herbaria Desvmtorvm Centuria Vna : In quibus variores stirpium proprietates historiæ ac Sententiæ memorabiles non paucæ breuiter exponuntur, Francofurti Impensis Ioh. Ammonij 1654. – Nachdruck mit Einf. u. Reg. hrsg. von Wolfgang Harms .... Graz: ADVA 1986-1988. – Digitalisat der ÖNB: https://books.google.ch/books?id=IxNRAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Motto: Intacta Virtus  ≈  unverletzte Tugend

Subscriptio: Sic illaesa malis constat pulcherrima virtus | Laurus ut est diris integra fulminibus  ≈  So wie der Lorbeer auch von den grauenvollsten Blitzen unversehrt bleibt, so bleibt gewiss die vollkommene Tugend durch Übel unverletzt.

Interessant ist, dass Andreas Gryphius in seinem Trauerspiel »Grossmütiger Rechtsgelehrter oder sterbender Aemilius Paulus Papinianus« – den Chor der wehklagenden Frauen sprechen lässt (2. Abhandelung, Vers 287ff):

Hat der unverhoffte Blitz / dein belorbert Haupt getroffen!
O daß Ich Zeugin bin!
Dises schrecklichen Beginnens /
O deß herben Threnen-rinnens!

Und nochmals (5. Abhandelung, Vers 476f.):

Welch Höllen-Donner hat den Lorber-Baum zerschlagen?
Baum unter dessen Zweig man Schutz und Ruhe fand?

Dazu schreibt Gryphius in einer Anmerkung: Man glaubet daß die Lorber-Bäume von keinem Ungewitter getroffen werden. Besihe Plinium XV.30. Solte es ja etwa geschehen / so wil es vor eine Vorbedeutung grossen Unglücks gehalten werden. Und er bringt einen Fall, wo dieses unnatürliche Geschehen eine üble Vorbedeutung hatte. Die Inversion des Emblems besagt also: wenn Papinian umgebracht wird, so ist die Weltordnung verkehrt. Online: http://www.zeno.org/Literatur/M/Gryphius,+Andreas/Dramen/Papinianus/Inhalt

Beispiel: Tapisseries du Roy

Embleme sind angebracht am Rand von Gobelins, die Charles Le Brun (1619–1690) für König Ludwig XIV. entworfen hat. Der Augsburger Johann Ulrich Krauß (1655–1719) hat französische Vorlagen in Kupfer gestochen. Die französischen Begleittexte sind übersetzt.

Tapisseries du Roy, ou sont representez les quatre elemens et les quatre saisons; avec les devises qui les accompagnent et leur explication = Königliche französische Tapezereyen, oder überaus schöne Sinn-Bilder, in welchen die vier Element, samt den vier Jahr-Zeiten, neben den Dencksprüchen und ihren Ausslegungen, vorgestellet werden. Aus den Original-Kupffern nachgezeichnet, und den Kunstliebenden zu Nutzen und Ergötzen an den Tag gegeben und verlegt durch Johann Ulrich Krauß, Gedruckt [in Augsburg] durch Jacob Koppmayer 1690.

Aus der Vorrede: NAch dem die Menschen die Poesi erfunden/ haben sie Solche Art zu reden/ allein gebraucht/ wann Sie von den Göttern handelten/ der Meinung/ wie die Poesi eine Göttliche Sprache/ solte man deren sich allein zu ihrem Lob und Preiß bedienen.
   Diesem Exempel zu folgen/ sucht man heut zu Tag andere Wort/ als sonsten bißhero gebräuchlich waren/ von der hohen Person Seiner Majestät zu reden/ und gebrauchet sich einer gantz neuen Art/ die grosse Thaten deß grossen Königs zu beschreiben.
   So wollen wir nun durch dise sinnreiche Bildungen die Herrlichkeit seines Namens der Nachkommenschafft bekandt machen/ und durch die allegorische Bilder zu erkennen geben/ was wir mit Worten uns nicht gnugsam außzutrucken getrauen.

Im ersten Teil werden die Vier Elemente auf einzelne Tugenden von Louis XIV bezogen; im zweiten Teil die Vier Jahreszeiten ebenso:

Auf den Sommer. Eine Korn-Garbe/ mit disem Denck-Spruch: Zum bessern Nutz und Frommen/ deß Lebens bin ich kommen. […] Also kan man auch sagen/ daß der König der Französischen Nation gegeben wurde/ die Unterthanen dises Königreichs glückseelig zu machen. (Die Drachen in der Umrandung sind wohl rein ornamental.)

> https://archive.org/details/tapisseriesduroy00kraus
> http://diglib.hab.de/drucke/xb-4f-354/start.htm

Zur komplizierten Publikationsgeschichte vgl. Peil (2014), S.196f.

Beispiel: Die klugen Ziegen und die Eheleute

Plinius zitiert im Kapitel über die Ziege eine Beobachtung, welche die Klugheit (sollertia) dieser Tiere beweisen soll: Auf einem schmalen Steg seien sich zwei Ziegen von verschiedenen Seiten begegnet. Da der enge Raum kein Ausweichen und die schwer zu überblickende Länge des schmalen Stegs, unter dem ein reißender Wildbach drohend dahinfloss, keine Umkehr erlaubte, habe sich die eine Ziege niedergelegt und die andere sei, während jene am Boden lag, über sie hinweggestiegen (naturalis historiae VIII, lxxvi, 201; Übersetzung von Roderich König).

Das haben sich die Emblematiker nicht entgehen lassen. Bereits N. Reusner verwendet die Allegorie, aber noch mit einem (irgendwoher entnommenen) Bild einer einzigen Ziege: Emblemata Nicolai Revsneri IC. Partim Ethica, Et Physica: Partim verò Historica, & Hieroglyphica, Frankfurt: Feyerabendt 1581, II,xxv > http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/reusner1581/0180

Eigens für das Emblem passend angefertigte Zeichnungen sodann bei Isselburg/Rem, Emblem Nr. 11:

 

Sic cedere juvat (So ausweichen ist nützlich)

Damit nicht beids der Bock und Geiß

Ins Wassr fallen/ wie klug vnd weiß/
Buckt die Geiß sich/ daß nüber kan
Der Bock/ vnd kommen beid davon:
   Einer den andern gerne weich/
   Damit’s erhalten werden z’gleich.

Petrus Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica. In aula magna Curiæ Noribergensis depicta, Nürnberg 1617. > http://diglib.hab.de/drucke/uk-40/start.htm

Zincgref, Emblem XXXIV:

Sic pergimus ambæ (So kommen wir beide weiter)

Die Geissen sichstu wol/ wie sie einander weichen/
Damit sie kommen fort auff schmalem engen Pfadt/
Gib nach in Strittigkeit/ vnd weich/ das ist mein Raht/
Zwo Parteyen thun wol/ wann sie sich baldt vergleichen.

Julius Wilhelm Zincgref, Sapientia Picta. Das ist/ Künstliche Sinnreiche Bildnussen und Figuren […] , Franckfurt 1624. > http://diglib.hab.de/drucke/li-6643-2/start.htm

Dann entdeckt man die beiden Ziegen im Hintergrund eines älteren (!) Bildes in einem Kontext, wo sie sehr gut passen, obwohl ihr Verhalten im Text nicht vorkommt: Johann Fischart, Das philosophische Ehezuchtbüchlein, zweite Auflage Straßburg 1591 mit dem Anhang des spanischen Bischofs Guevara Sendbrief an Eheleute. (Die Holzschnitte stammen von Tobias Stimmer, 1539–1584).

Das 5. Capitel. Das der Mann/ sonderlich so er erst kürtzlich in die Ehe kommen/ nicht zu vnleidenlich oder hart sein soll.

Von den Böcken/ Widern vnd Gaisen [sagt man] wann zwey einander auf eim schmalen steg bekommen [entgegenkommen]/ vnd keins meh hindersich kan/ so leget sich das ein nider/ daß daß ander vber es hinaus springe.

Es kommt noch eine weitere Allegorie ins Spiel: Das Zaumzeug der Temperantia. Das Bild zeigt ein Paar Eheleute, deren der Man ein zaum vnd gebiß inn der einen faust halt/ anzuzeygen/ das er mit bescheydenheit sein Weib bändigen vnd regiren solle; das Weib aber helt den apfel der Holdselikeyt/ oder eine süse Küttten inn der einen hand: anzudeuten/ das sie lieblich/ schertzlich / vnd freundlich … sein solle. Vnd doch greift der Mann zugleich an den Apfel/ vnd die Frau zugleich an den Zaum/ anzuweisen/ das es zu beyden theylen gutwillig soll zugehn.

> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00033531/image_343

Literaturhinweis: Pia Holenstein, Der Ehediskurs der Renaissance in Fischarts Geschichtklitterung. Kritische Lektüre des fünften Kapitels, Bern: Lang 1990 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700, Band 10).

Wenn die Ziegen einander nicht so ausweichen, kommt es übel heraus. Jean de la Fontaine (1621–1695) hat diese Fabel ersonnen: Zwei Ziegen begegnen einander an zwei Enden einer schmalen Brücke. Sie möchten diese überschreiten, aber dem Gegenüber nicht weichen. In der Mitte stürzen sie beide ins Wasser. La Fontaine bezieht dies auf die Unterzeichnung des sog. Pyrenäenfriedens zwischen Ludig dem XIV. und Philipp IV. von Spanien 1659, der den seit 1635 andauernden Krieg beendete. — Grandville (1803–1847) illustriert das so – im Hintergund die beiden Ziegen:

Fables des La Fontaine. Illustrations par Grandville, Paris: Garnier 1839; Livre XII, Fable 4. — Les deux Chèvres > http://www.lesfables.fr/livre-12/les-deux-chevres.

Zu Beginn des 1.Weltkriegs bekommt das Emblem erneut eine schauerliche Dimension, Hier das Titelbild des »Nebelspalter« vom 5. Dezember 1914:

Zeichnung von J. F. Boscovits. Frei nach G. Doré

Wie die beiden Geißen hier
auf der schmalen, schwachen Brücke,
machen es die Völker auch
auf den Weg nach ihrem Glücke ...
Jede Geiß steht wie ein Bock
und vermeint am End’ zu siegen,
bis sie alle beide dann
zappelnd in dem Wasser liegen.

Quelle > https://www.e-periodica.ch/digbib/volumes?UID=neb-001

Beispiel: Hochzeit Holzhalb und Hirzel

Am 26. Februar 1644 heirateten in Zürich Johann Bernhard Holzhalb und Elisabeth Hirzel, beide angesehenen Familien der Stadt entsprossen. Johann Lavater (ebenfalls Sohn der Stadt, 1615–1660) zündet dazu eine »Hochzeitsfackel« an: »Tædæ Emblematico-Ænigmaticæ in Nuptias […]«, ein Heft von 8 Druckseiten, Texte griechisch – lateinisch – deutsch, illustriert mit drei Kupfern von Conrad Meyer (Zürich, 1618–1689).
http://www.e-rara.ch/doi/10.3931/e-rara-12008
http://www.e-rara.ch/zuz/content/pageview/2959089

Das erste Bild zeigt einen musizierenden jungen Mann, der mit seiner Musik einen Hirsch (oder besser wohl: eine Hinde) angelockt hat:

     Der Jäger/ mit Music von allerley klang/
     Den flüchtigen Hirschen bestellet ohn zwang.
Er fahet denselben ohn einiges springen:
         Ohn einiges ringen:
Ohn einiges schiessen/ ohn einiges wärffen
         Ohn einig wehr-schärffen:
Ohn einige garne/ wie sonsten man pfläget
         In ihrem Gejäget
[bei der Jagd auf H.]:
Worinnen vil Hirschen vilmalen entgehen
         Ohn einig still stehen:
Bißweilen hart wider die Jäger sich setzen
         Sie tödtlich verletzen.
     Den flüchtigen Hirschen bestellet ohn zwang
     Der Jäger mit Music von allerley zwang.

Dazu wird zitiert: Cervos cantu & sibilo venantium sine ullo fere negotio capi testantur Aristot. Hist. Animal. lib. 9. c. 5. Plin. lib. 8, c.32 Aelian de Animal. lib. 12 c.4. &c.

Der Name der Braut, Hirtzel, wird auf ›Hirsch‹ bezogen (das Familienwappen zeigt einen ruhenden roten Hirsch unter einem weißen Zelt auf grünem Rasen); der Musikant sitzt vor einem gespaltenen Baum (sein Name ist ja Holtzhalb). Dass in der Familie des Bräutigams Musik gepflegt wurde war, geht aus dem Dokument nicht hervor; immerhin war Musik in der Stadt nicht unbekannt: Um 1600 wurde die Musikgesellschaft »zum Chorherrensaal« gegründet und 1613 die Musikgesellschaft »ab dem Musiksaal beim Kornhaus«.

Beispiel: Heinrich von Kleist

In Kleists »Penthesilea« (1808), 9. Auftritt, Verse 1349ff., sagt die Vertraute Prothoe zur rasend in Achill verliebten Penthesilea:

Steh, stehe fest, wie das Gewölbe steht,
weil seiner Blöcke jeder stürzen will!
Beut deine Scheitel, einem Schlußstein gleich,
der Götter Blitzen dar und rufe: Trefft!

Kleist verwendete diese Vorstellung bereits in einem Brief an Wilhelmine von Zenge vom 16./18. November 1800:

Als die Sonne herabsank war es mir als ob mein Glück unterginge. Mich schauerte wenn ich dachte, daß ich vielleicht von allem scheiden müßte, von allem, was mir teuer ist.

Da ging ich, in mich gekehrt, durch das gewölbte Tor, sinnend zurück in die Stadt [Würzburg]. Warum, dachte ich, sinkt wohl das Gewölbe nicht ein, da es doch keine Stütze hat? Es steht, antwortete ich, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen – und ich zog aus diesem Gedanken einen unbeschreiblich erquickenden Trost, der mir bis zu dem entscheidenden Augenblicke immer mit der Hoffnung zur Seite stand, daß auch ich mich halten würde, wenn alles mich sinken läßt.

Das, mein liebes Minchen, würde mir kein Buch gesagt haben, und das nenne ich recht eigentlich lernen von der Natur. […] O es gibt Augenblicke, wo uns solche Winke der Natur, wie die freundliche Rede eines Lehrers, entzücken können.

Das Gleichnis von den Blöcken, deren jeder stürzen will, ist antik:

Seien wir solidarisch (cohaereamus): für eine Gemeinschaft sind wir geboren; unsere Gemeinschaft gleicht einem Bogen aus Steinen (lapidum fornicatio) , der zusammenbräche, wenn die Steine einander nicht stützten, und eben dadurch gehalten wird. (Seneca, Brief 95, ¶ 53)

Und es findet sich  in der Emblematik im 16. Jahrhunderts: Juan de Borja (* 1533), Empresas morales, Praga: Jorge Nigrin 1581; hier in der Übersetzung: Joannes de Boria, Moralische Sinn-Bilder/ Von Jhme vor diesem in Spanisch geschrieben/ nachmahls in Lateinisch/ nunmehro aber wegen seiner Vortrefflichkeit in die Hoch-Teutsche Sprache übersetzet von Georg Friedrich Scharffen, Berlin: Rüdiger 1698, S. 70/71:

 

Der Steine Fug und Band macht daß der Bogen hält/
Man sehe hier ein Bild gleichsinniger Gemüther/
Denn Einigkeit erhält und mehret Ruh und Güter/
Und wahre Freundschafft ist die Stütze dieser Welt.

In der Auslegung steht, dass der Bogen bloß von der Freundschafft und Vereinigung der andern miteingefugten Steine erhalten wird. 

Digitalisat: http://diglib.hab.de/drucke/xb-2/start.htm?image=00082

Literaturhinweis: Lothar Jordan, Torbögen bei Goethe und Kleist (2010) – http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/goethe/Jordan_torboegen.pdf <24.03.2015>

Hat Kleist dieses Emblem gekannt? Was bedeutet der Ausspruch der Prothoe genau? (Um das Thema der Freundschaft geht es hier ja nicht.) Wohl viel allgemeiner so:

Es gibt keine Sicherheit (der Erkenntnis), aber die Summe aller Unsicherheiten lässt eine Art von Festigkeit entstehen, mit der man leben kann. Also: Tröstung in einer hoffnungslosen Lage. (Vielen Dank, Ulrich Stadler)

Beispiel: Goethe über Schweizer Kachelöfen

Goethe, Briefe aus der Schweiz, Erste Abtheilung:

Es ist was Schönes und Erbauliches um die Sinnbilder und Sittensprüche, die man hier auf den Öfen antrifft. Hier hast Du die Zeichnung von einem solchen Lehrbild, das mich besonders ansprach. Ein Pferd, mit dem Hinterfuße an einen Pfahl gebunden, gras’t umher, so weit es ihm der Strick zuläßt; unten steht geschrieben: »Laß mich mein bescheiden Teil Speise dahinnehmen.« So wird es ja wohl auch bald mit mir werden, wenn ich nach Hause komme und nach eurem Willen, wie das Pferd in der Mühle, meine Pflicht tue und dafür, wie das Pferd hier am Ofen, einen wohl abgemessenen Unterhalt empfahe*.

(Gedruckt erst 1808; Zur Editionsgeschichte der Briefe: Klaus-Detlef Müller, in: Goethe-Handbuch Band 3 [1997], S.271–278.) Ganzer Text digital hier > http://www.zeno.org/nid/20004855418

Der Ofen aus dem Jahr 1648 mit dem entsprechenden Bild und den Inschriften

Woll dem der kan zuofriden sein/
   Vnd sich genüegen lassen/
Das thuot diß Pferdt/ vnd nimpt speiß ein/
   So weit es kan was fassen.

Und: Laß mich aber mein bescheiden theil Speiß/ Dahin nehmen/ PROV. 30. CAP

– den Goethe im Oktober 1779 auf seiner Wanderung durch den Jura (zweite Schweizer Reise) gesehen haben muss – befindet sich auf Schloss Brunegg.

Dessen berühmter Bewohner Jean Rodolphe von Salis (1901–1996) erwähnt ihn in seinen »Notizen eines Müßiggängers« (1983), S. 290. (Hinweis im Nachlass von Urs Herzog. Die Photographie der Ofenkachel hat freundlicherweise die Familie von Salis zur Verfügung gestellt; besten Dank!)

Die Vorlage ist D. Cramers Emblem XIII zu Proverbia 30,8: Laß mich aber mein bescheiden Theil Speiß dahin nehmen (tribue tantum victui meo necessaria):

Daniel Cramer, Octoginta Emblemata Moralia Nova, E Sacris Literis Petita, formandis ad veram pietatem accommodata, & elegantibus picturis aeri incisis repraesentata, Francofurti: Jennisius 1630.
> http://www.archive.org/details/octogintaemblema00cra
> http://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:8:2-2040525

*) Wenn Goethe 1779 schreibt: So wird es ja wohl auch bald mit mir werden, wenn ich nach Hause komme und nach eurem Willen, wie das Pferd in der Mühle, meine Pflicht tue… dann bezieht sich das autobiographisch darauf, dass er 1776 von Herzog Carl August als Geheimer Legationsrat in die Zentrale der Landesregierung berufen wurde und drei Jahre später die Weimarer Kriegskommission und die Direktion des Wegebaus übernahm.

Wahrscheinlich parodiert er dieses Emblem, wenn er Mephisto sagen lässt:

[…] Ein Kerl, der speculirt,
ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
und ringsumher liegt schöne grüne Weide.

(Faust I, zweite Studierzimmer-Szene, Verse 1830ff.)

(Danke, Karin M.-W. für den Hinweis!)

Beispiel: Conrad Ferdinand Meyer

Conrad Ferdinand Meyer: »Der römische Brunnen« [letzte Fassung 1882]

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

(Die Verben nehmen und geben, die normalerweise für menschliche Tätigkeiten verwendet werden, geben einen Hinweis auf eine symbolische Bedeutung, ohne dass diese explizit wie in einem allegorisch ausgetexteten Emblem genannt würde.)

Meyer wurde zu dem Gedicht – an dem er seit 1860 viele Jahre gefeilt hat – inspiriert auf seiner Romreise im Jahre 1858. Im Park der Villa Borghese in Rom befinden sich zwei Brunnen der beschriebenen Art: die Fontana rotunda und die Fontana ovale.

Giovanni Battista Falda (1643–1678), in: Le fontane di Roma nelle piazze e luoghi publici della città, 1691.
> https://archive.org/details/fontanediRomane00Fald/page/n5/mode/2up?view=theater

Der Brunnen ist aber auch ein Grundmotiv der pietistischen Emblematik, möglicherweise eine zweite Quelle der Inspiration. (Vgl. Hans Zeller / Alfred Zäch, C.F.Meyer, Histor.-krit. Ausgabe, Band 3, S. 250 ff. Kommentar zum Gedicht Nr. 111).

Hier und immer wieder wird verwiesen auf einen Traktat von Mme. de Guyon (mehrere deutsche Ausgaben u.d.T. »Die geistlichen Ströhme«). Wenn man den Text genau liest, so meint die Springbrunnen-Symbolik etwas anders, als was im Gedicht von C.F.Meyer geschildert (und evtl. symbolisch gemeint) ist:

Mme. de Guyon macht in auf ein Fehlverhalten von Menschen auf einer unteren Stufe des mystischen Wegs aufmerksam: Sie betrachten sich als Eigentümer der göttlichen Gaben, sie haben aber erst einen gewissen Grad an Begnadigung erreicht. Da sie Gnade in ihrem Inneren fühlen, so erkühnen sie sich zu reden, ohne dass Gott sie schon dazu berufen hat.

[…] so ist zu bedenken daß, da ihre Gnaden noch nicht in der Fülle sind, sie von ihrem Nothwendigen geben und nicht von ihrem Ueberfluß, [die Metapher aufnehmend und weiterführend:] woraus entsteht, daß sie am Ende gar vertrocknen gleich den Schalen oder Becken, die unter einem Springbrunn stehn; der Brunn nur gibt aus seiner Fülle; die Schalen aber ergießen sich nur aus der Fülle des Brunnen; so nun jemand den Brunn verstopft oder ableitet und die Schalen gleichwohl nicht ablassen, sich zu ergießen, so werden sie bald austrocknen aus Mangel neuer Zuflüsse. Das ist’s, was den Seelen dieses Grades begegnet. Sie wollen nicht ablassen, ihre Wasser auszuschütten und zu spät erst werden sie inne, daß das Wasser, was sie haben nur für sie selbst hinreichte, und daß sie keineswegs auf der Stufe der Mittheilung stehn, sintemalen sie nicht in der Quelle stehn.

Jeanne Marie Bouvier de la Motte Guyon, Die Ströme, Stralsund, in der Königl. Regierungs-Buchhandlung, 1817 (S.43f.)
> https://books.google.ch/books?id=T9k8AAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Ferner wird verwiesen auf das Emblem in Johann Arndts »Büchern vom Wahren Christentum« (davon gibt es bebilderte Drucke seit 1678). Die allegorische Deutung zeigt, wie ein Springbrunnen moralisiert werden konnte:

Des hocherleuchteten […] Johann Arnd […] Sechs Bücher vom wahren Christenthum nebst dessen Paradies-Gärtlein, Zürich: Franz Hanke 1844. (zum 3. Buch, Cap.5)

Erhöhet durch den Fall

Das Mindern mehrt.

Hier ist ein Springwasser oder Springborn, mit welchem es also bewandt, daß das Wasser erst so tief fallen muß, als es hoch steigen und springen soll: Also, will der Mensch erhöhet werden, so muß er erst niedrig werden und sich demüthigen, so wird ihn der Herr erhöhen. (1.Pet.5,6)

Die Erklärung daß das Wasser erst so tief fallen muß, als es hoch steigen und springen soll ist unverständlich. Natürlicherweise ist es eher umgekehrt: Das Wasser muss zuerst steigen, damit es fallen kann. – Da war wohl die Moralisation der Vater des Gedankens.

Adam Struensee (1708–1791) gibt in seiner Arndt-Ausgabe (Halle: J. J. Gebauer 1760; hier Emblem Nr. 48) eine physikalische Erklärung mit dem Prinzip der kommunizirenden Röhren: Ein Springbrunnen, welcher das Wasser so hoch treibet, als tief dasselbe vorher von einem Berg, oder von einer Wasserkunst, in die unter der Erde verborgenen Röhren gefallen ist.

Das Motto auf dem Bild bleibt: Erhöhet durch den Fall. Es wird nun – wenn man Fall als Druck versteht – erklärt. Struensee lässt die auf dem 1.Petrusbrief beruhende Deutung weg!

Das Motiv kommt in der Emblematik schon früher vor:

Wann du mich demütigest/ so machst du mich groß/ Psalm 18, 36

Das Wasser läuft wol vntersich/
    Vnd kan doch sehr hoch kommen:
Also wenn Gott demütigt mich/
    Hab ich drauß grossen Frommen.

Daniel Cramer, Octoginta Emblemata Moralia Nova, E Sacris Literis Petita, formandis ad veram pietatem accommodata, & elegantibus picturis aeri incisis repraesentata, Francofurti: Jennisius 1630.
> http://www.archive.org/details/octogintaemblema00cra
> http://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:8:2-2040525

Auch in einem mariologischen Werk gibt der Springbrunnen ein Emblem ab; hier im Hintergrund ebenfalls das Prinzip der kommunizierenden Röhren:

(Ausschnitt)

Fons ex montibus scaturiens --- Der auß dem Gebürg entspringende Brunn.

Oriens ex alto --- Auffgehend auß der Höhe

Vom Springbrunnen heisst es: daß sie nicht alldorten gebohren wo sie gesehen werden/ und herfür brechen: dann offt/ da sie durch die Ebene/ und Thäler fliessen/ haben sie die Ader und den Ursprung auß denen höchsten Bergen.

So möge man den Ursprung Marias nicht in der (adamitischen) Natur suchen, sondern an höherem Ort.

Innocentia Vindicata, in Qua Gravissimis Argumentis Ex S. Thoma petitis ostenditur, Angelicum Doctorem, Pro Immaculato Conceptu Deiparae Sensisse & Scripsisse. Pars Prior Theologica. Authore […] Celestino Sfondrati, St.Gallen: Jacobus Müller 1695. (Pars posterior Symbolica)

Die Erledigte Unschuld, In welcher Mit Uberschwäresten Beweißthumben Auß dem H. Thoma Erwiesen wird, Der Englische Lehrer habe beschlossen und geschrieben Für die Unbefleckte Empfängnuß Der Mutter Gottes// Coelestinus Sfondrati. Wienn: Schwendimann 1717.

Eine wiederum andere Deutung hat der Springbrunnen in einem Emblem von Carlo Bovio, S.J. († 1646), das C.F. Meyer sicherlich nicht bekannt war:

Den an tödlicher Krankheit leidenden Ignaz greift der Teufel an mit Versuchungen leeren Ruhms.

Das Wasser verbreitet sich in mehrfachem Fall niederspringend, so dass es mit aufbrausendem Schaum im Fallen Schwellung (→ moralisch: Stolz) an sich hat (= habeat cadendo tumorem).

Durch die Erinnerung an das früher verbrachte Leben verführt der böse Geist <die Gedanken des> Ignatius, um ihn, (aufschwellend →) sich brüstend mit dem leeren Ruhm seiner Tugenden, also betrogen, in sein Lebensende (abzurollen →) fallen zu lassen.

(Danke für die Übersetzung des vertrackten lat. Texts an Thomas G. in W.!)

Ignatius insignium, epigrammatum et elegiorum centuriis expressus. Romae: Typis Ignatij de Lazeris, 1655.
> https://archive.org/details/ignatiusinsigniu01bovi

Der Springbrunnen kommt auch in einem Emblem bei Abraham a Sancta Clara vor; man beachte die Verszeilen: Je änger mans [das Wasser] gefasst/ je freyer tringt es fort; Je tiefer mans getrückt/ je höher springt es dort — Und die Moralisation: Quod premit, elevat — Dieses Martern/ dieses Trücken/ dient zum Heben und Erquicken.

Huy! und Pfuy! Der Welt. Huy/ Oder Anfrischung Zu allen schönen Tugenden: Pfuy Oder Abschreckung Von allen schändlichen Lastern, Nürnberg: Weigel, 1707
> http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:23-drucke/xb-4f-5051

Auch Rainer Maria Rilke (1875–1926) hat so ein Gedicht zu schreiben versucht....

Römische Fontäne (Villa Borghese)

Zwei Becken, eins das andere übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis

sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Beispiel: Reklame für Fotografen

Fritz Franz Vogel hat eine Sammlung von über 500 auf Fotografien aufgeklebten Rückseiten aus der 2. Hälfte des 19.Jhs. prächtig ediert und sachkundig beschrieben: »Nichts ohne meine Sonne«. Erschienen im Verlag ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ — ISBN: 9 783038 584131.

Die fotografische Kunst wird gleichsam als eine zehnte Muse gefeiert. Neben den Fotoapparaten sind immer wieder Maler-Paletten abgebildet; es scheint, dass die neue Technik mit der herkömmlichen parallelisiert wird.



Emblematische Struktur im Sonett


Das Sonett (nicht der englische Typ) ist gegliedert in zwei Vierzeiler (›Quartette‹) und zwei Dreizeiler (›Terzette‹); die Quartette haben Reime, die sie zusammenschließen, ebenso die Terzette.

Diese Struktur kann verwendet werden für Texte, die ähnlich wie ein ›typisches‹ Emblem aufgebaut sind:

Titel ≈ Motto

Quartette ≈ Pictura

Terzette ≈ Epigramm

 Beispiel: Andreas Gryphius (1616–1664), »Sonnette«. Das dritte Buch, 16.

Auff den Sontag deß wachsenden Wortes/ oder den VI. nach dem Fest der Weisen. Math. 13.

Kein Körnlein ist so klein/ als Senff vor vns zu schätzen/
Doch/ wenn es in die Schoß der feuchten Erden fällt
So wurtzelts eilend eyn/ vnd keimet in die Welt
Vnd wird ein hoher Baum/ der rund vmb allen Plätzen

Deß Schattens Lust außtheilt. Denn eylet sich zu setzen
Manch Vogel umb den Ast/ der sich da sicher hält
Alsbald der Himmel plitzt alsbald man nach ihm stelt.
Ihn kan kein Wind/ kein Sturm/ kein Jägergarn verletzen.

So scheint deß Höchsten Wort in Menschen Augen klein
Doch komt’s einmal ins Hertz/ so nimt’s die Sinnen eyn
Vnd läßt bald Stock vnd Zweig/ vnd Blütt’ vnd Früchte schauen.

Der vnter diesem Baum bey trüber Wetters-Zeit
Ihm Zuflucht außerkiest/ dem wird vors Windes Streit/
Vors Teuffels Vogel-Netz/ vor's Todes Pfeyl nicht grauen.

> http://www.zeno.org/nid/20004918819

Grundlage ist das Gleichnis von Jesus (Matthäus 13,31f.): Ein ander Gleichnis leget er jnen fur/ vnd sprach. Das Himelreich ist gleich einem Senffkorn /das ein Mensch nam/ vnd seet auff seinen Acker/ Welches das kleinest ist vnter allem Samen/ Wenn es aber erwechst/ so ist es das grössest vnter dem Kol/ vnd wird ein Bawm/ das die Vögel vnter dem Himel komen/ vnd wonen vnter seinen zweigen. Luthers Übersetzung 1545 > http://www.zeno.org/nid/20005331447

Die Sonette, die Jean Pierre Joly zur Ausgabe von Jean Jacques Boissards Emblematum liber […] avec l’interpretation Françoise, Metz 1588 beigesteuert hat, haben oft auch diese Struktur (das erste Terzett beginnt mit Ainsi) > http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/books.php?id=FBOa&o=

Literatur hierzu:

Dietrich Walter Jöns, Das ›Sinnen-Bild‹. Studien zur allegorischen Bildlichkeit bei Andreas Gryphius, (Germanistische Abhandlungen 13), Stuttgart 1966; S. 102ff.

Peter M. Daly, Literature in the light of the emblem. Structural parallels between the emblem and literature in the sixteenth and seventeenth centuries, University of Toronto Press 1979; 2nd ed. 1998. 

 



Wir waren im Kapitel ›Einige Beispiele‹ recht großzügig mit der Aufnahme von Beispielen:

Actaeon bei Laurentius von Schnüffis, wo das Motto in den Kupferstich eingeschrieben und die Text-Anlage kompliziert ist – die Erweiterungen ins Physikotheologische bei Acxtelmeier – die Nates hiantes bei Theodor de Bry, unüblicherweise ein Phantasiebild – das Figurengedicht aus der Nymphe Noris.

Aber hierbei handelt es sich um Variationen. Was als ›wirkliches‹ Emblem gelten soll, lässt sich aufgrund der zeitgenössischen Theorien nicht klar entscheiden. Aufgrund der Beispiele und des Fragekatalogs erkennt man zunächst, wie weitverzeigt die ›Verwandtschaft‹ derer ist, die zur ›Familie‹ der Embleme gehören.

Es gibt Bild-Text-Ensembles, die aus semiotischen Gründen eher nicht als ›Emblem‹ bezeichnet werden sollten, weil hier

  • das Bild (die Pictura) nicht in einem allegorischen Verhältnis zur Sache steht (kein Sprung von einem Weltausschnitt zu einem anderen) oder – wiewohl es in Emblemsammlungen durchaus den Typ der metonymischen Brücken <B> (1) gibt;
  • keine Aussage mit der Struktur eines ganzen Satzes intendiert ist – wiewohl es in Emblemsammlungen den Typ mit abstraktem Begriff <A> (11) gibt.

Comenius

Die Bild-Text-Verbünde bei Johann Amos Comenius (1592–1670) sind keine Embleme. Hier geht es darum zu zeigen, wie gewisse Dinge sprachlich benannt sind, bzw. wie das aussieht, was bestimmte Ausdrücke benennen; vgl. hierzu > http://www.enzyklopaedie.ch/dokumente/Bildwoerterbuecher.html

Abgesehen von wenigen Tafeln (zu den Tugenden) besteht keinerlei allegorisches oder metonymisches Verhältnis von Bild und Text.

Es mag sein, dass sich Comenius bei der Einrichtung der Tafeln von Emblembüchern formal hat anregen lassen, im Vorwort nennt er die Dreigliederung:
I. Die Bildungen (lat. Picturæ)… aller sehbaren Dinge …
II. Die Benahmungen
(lat. Nomenclaturæ) sind die über jede Figur gesetzte Oberschrifften oder Titel/ welche die ganze Bildung durch ein allgemeynes Wort ausdrucken.
III. Die Beschreibungen
(lat. Descriptiones) sind die Auslegungen der unterschiedlichen Stücke des Gemähls mit ihren eigenen Nahmen …

Johann Amos Comenius, Orbis sensualium pictus, Hoc est, Omnium fundamentalium in Mundo Rerum & in Vitam Actionum Pictura & Nomenclatura – Die sichtbare Welt/ Das ist/ Aller vornemsten Welt-Dinge und Lebens-Verrichtungen Vorbildung und Benahmung, Nürnberg: Endter 1658.

Wort-Bild-Ersetzung

In den »Geistlichen Herzens-Einbildungen« sind einzelne Substantive durch die Bilder der Dinge ersetzt, die mit ihnen bezeichnet werden, also das Wort Hirsch durch das Bild eines Hirschs, Krone durch eine Krone usw. Im Vorwort 1685 schreibt der Verfasser, er habe alle Bilder gemieden, die Räthsel-mässig sind; die Hieroglyphischen Figuren-Sprüche überlasse er den Gelehrten. Die beabsichtigte Leistung des Vorgehens erhellt allein schon aus dem Titel:

Melchior Mattsperger / Hanns Georg Bodenehr [Kupferstecher]: Geistliche Herzens-Einbildungen Inn zweihundert und Fünfzig Biblischen Figur-Sprüchen angedeutet, Allen andächtigen Herzen, u. der Tugent-Liebenden Jugent, zu einer Gottseligen Belustigung, Auch denen Einfältigen, zu einer anmuthigen Vorstellung, unschweren Ergreiffung, und nuzlichen Fassung, auß allen Canonischen Büchern der H:Schrifft, Augstburg 1688 / Band 2: 1692.

Reprint der Ausgabe 1685 (nur Band 1): Hildesheim: Olms 1965

Digitalisat: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00001240/image_10

   

Rebus

Beim Rebus (rebus lat. Ablativ, also: ›mittels Dingen‹ – nämlich: schreiben) verweisen die Bilder nicht auf das normalerweise mit ihnen gemeinte Ding (also das Bild eines Wagens nicht auf einen Wagen), sondern auf die phonetische oder graphematische Repräsentation des gemeinten Dinges. (Deshalb funktionieren diese Rätsel auch immer nur in einer bestimmten Sprache.) – Weitere verrätselnde Komplikationen ergeben sich dadurch, dass auch die Lage auf dem Papier berücksichtigt werden soll, hier in unserem Beispiel die drei D in [dem Buchstaben] G.

Auflösung:

{x} = Abbreviaturen = zu tilgende Buchstaben, sie sind im Rebus mit Apostroph markiert;  <x> = einzufügende Buchstaben

Drei D{e} in Ge — <W>Achsen — A{a}l<l>e — <T>{W}age{n} — Scha{tt}<d>en — <S>Orge{l} — <K>-Lage{r}

Drei Dinge wachsen alle Tage: Schaden, Sorge, Klage.


Quelle: Ulrike Bessler, Alte Bilderrätsel, Dortmund: Harenberg Kommunikation 1978 (Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 22), S. 39f.

Literaturhinweis: Jean Céard / Jean-Claude Margolin, Rébus de la Renaissance, Paris: Maisonneuve et Larose 1986.

Bebildertes Geschichtswerk

Der Verfasser der »Welt in einer Nuß« verwendet Bilder und Verse, wie er im Kurtzen Bericht von Einrichtung und Gebrauch seines Buchs darlegt, als Gedächtnis=Hülfen by Kindern. Die Bilder und Sprüche auf den Kupfertafeln erklären einander nicht wie bei den Emblemen, sondern repräsentieren dasselbe einzuprägende Ereignis in den Medien Bild und Text parallel. Die Bildunterschriften einer Tafel kann man hintereinander als Gedicht lesen, die Zeilen reimen sich. (Wir greifen ein Beispiel heraus.)

Das Bild oben in der Mitte zeigt Reiter- und Fußtruppen, die eine Stadt in Brand stecken. Dazu der Text: Carha[go] et Corinthus deletæ – Das C.C. muß nun dran. Im Begleittext wird die Geschichte der Zerstörung der beiden Städte im selben Jahr (mit Quellenangaben) berichtet.

Das Bild darunter zeigt den ägypt. König Ptolemäus Physicon, der der Dick-Wanst genannt wurde, wie er seinen mit der Ex-Frau gezeugten Sohn in Stücke zerhauen und einwickeln lässt, um ihn ihr  zu einem erschrecklichen Geschencke zukommen zu lassen, weil sie nach seiner Verjagung aus Ägypten dort die Herrschaft übernommen hatte. Die Bildunterschrift: Ptolemæus Physicon pulsus (der vertriebene P.) – Der Wanst frisst seine Glieder.

Johann David Köhler, [1684–1755], Orbis terrarvm in nuce, sive Compendium Historiae Civilis Chronologicum in sculptura memoriali = Die Welt in einer Nuß oder kurtzer Begriff der merckwürdigsten Welt-Geschichte in einer Gedächtnis-hülfflichen Bilder-Lust / ausgefertigt Durch Christoph Weigeln, Nürnberg 1722.

1733 erscheint: Geistlicher Seelen-Spiegel, in welchem ein jeder seines Heyls begieriger Christen-Mensch sich ersehen, den Stand seiner Seelen erkennen, und seinen Lebenswandel, zu seinem Heyl nützlich darnach einrichten kan […] http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00077544/image_1

Das Werklein mit den 12 Kupferstichen ist ein Longseller: 1812 wird es von Johannes Gossner (1773–1858) dem neuen Geschmack angepasst und trägt den Titel »Das Herz des Menschen ein Tempel Gottes« – eine 50. Auflage ist noch 1996 erschienen.

(Zur Druckgeschichte vgl. Peter M. Daly, The Emblem in Early Modern Europe, Farnham: Ashgate Publishing 2014; S.217ff.)

Hier aus: Das Herz des Menschen ein Tempel Gottes, oder, eine Werkstätte des Satans, in zehn Figuren sinnbildlich dargestellt. Zur Erweckung und Beförderung des christlichen Sinnes, 6., durchaus verbesserte Auflage,  Wien / Prag: [s.n.] 1821. 

Die I. Figur zeigt Das Bild des Innern eines Menschen, der der Sünde dient, und den Teufel in sich herrschen läßt.

Die Erklärung des Kupfers besagt (hier gekürzt):

Das Angesicht drückt den Leichtsinn aus, der keine Sünde achtet, sich alles erlaubt, was das böse Herz gelüstet …

Im Herzen wohnt der Teufel mit seinem Anhange – den sieben Todsünden, die durch die sieben Thiere vorgebildet sind.

Es stehen Pfau für Hoffart; Bock für Unkeuschheit; Schwein für Fraß u. Völlerey; Kröte für Geitz; Schlange für Neid; Tiger für Zorn; Schildkröte für Trägheit.

Der heilige Geist ist aus dem Herzen vertrieben und weicht; und dennoch unterläßt Er nicht, dem Sünder seine Gaben und Gnaden, welche die Feuerflammen, die um das Herz herumschweben, bedeuten, anzubiethen. … Der gute Engel bemüht sich auch, den Sünder durch’s Wort Gottes oder andere Mittel zu erwecken; aber er hört nicht, weil er ganz betäubt und berauscht ist von den Lüsten und Freuden der Sünde.

Das Bild ist ein Ensemble von traditionell als Tieren personifizierten Lastern (›Theriofikationen‹), die in dem Herzraum wie in einem Gehege unter der Aufsicht des teuflischen Hirten herumspazieren; das leichtsinnige Angesicht ist daran angeklebt. Eine satz-artige Aussage kommt so nicht zustande, es bleibt beim Sündenkatalog.

Jungfrauen seynd nix wert

Viele Werke des Abraham a Sancta Clara (1644–1709) sind mit Bildern versehen und haben äußerlich gesehen den Aufbau eines Emblems: ein Titel – ein Bild – ein längerer Text. Die logische Struktur ist indessen oft eine trivialere als in den Emblemen.

Hier wird zum Titel Die Jungfrauen seynd Nix werth gezeigt, wie eine junge Frau mit dem Schwert geköpft wird. Ein Hingucker. (Nur dem aufmerksamen Betrachter fällt auf, dass die Frau ein Gefäß in Händen hält, für diese Szene eher seltsam.)

Wohl angefüllter Wein-Keller in welchem manche durstige Seel sich mit einem geistlichen Geseng-Gott erquicken kan ... Würtzburg: Hertz 1710; S. 329ff.
> https://archive.org/stream/wohlangefllterwe00abra#page/338:

Man beginnt zu lesen und liest weiter, um etwas zu erfahren. Nach acht Seiten erbaulicher Texte – die man sonst kaum gelesen hätte – wird man bei einer Heiligenlegende fündig: Euphrasia ist auf Befehl des Tyrannen, weil sie den wahren Glauben nicht ablegen wollte, einem unzüchtigen Soldaten ausgehändigt worden. Um nicht geschändet zu werden, denkt sie sich eine List aus: Wenn er ihre Unschuld verschone, werde sie ihm nach einem Geheimrezept eine Salbe zubereiten, die ihn gegen Schwertstreiche schütze. Sie sammelt Kräuter und, um dann zu zeigen, dass sie ihn nicht betrüge, lässt sie die Salbe an sich selbst ausprobieren.

Hierauf schmierte sie damit starck ihren Hals/ fällt auf ihre Knye nieder und sagte: wohlan/ führe dermahl mit dem entblösten Schwerdt einen Streich/ so wirst du alsdann das Wunder sehen der Krafft diser Salben. Dem Soldaten war alles gar recht/ hauet mit aller Macht darein/ aber [der] Kopf fliegte glückselig vom Leib/ und Euphrasia als ein lobwürdigste Jungfrau und Martyrin gegen Himmel.

Das Bild ist also eine Illustration des narrativen Texts ohne allegorische Spannung. Aber es erzeugt beim Betrachter eine Spannung, erläutert zu werden. Der die Spannung erhöhende Titel erweist sich zuletzt als irreführend.

Die XII. Monat

Harsdörffer bringt in den »Frauenzimmer-Gesprächspielen« eine Reihe von dreyständigen Sinnbildern über die XII. Monat. Den Jenner/ das Eys= oder Wintermonat bildet er ab durch

 

I. ein Par Schrittschuhe*: Gefriert die Flut.

II. Eine Kohlpfannen: So such ich Glut/

III. Eine Flasche mit Wein/ Kösten** und ein Glaß: Nechst Traubenblut.

Als mit welchem die innerliche Hitze zu kalter Winterszeit erhalten werden kan.

* alte Form für Schlittschuhe, vgl. DWB — ** Kösten: Kastanien

[Georg Philipp Harsdörffer], [Frauenzimmer] Gesprächspiele. Achter und Letzter Theil … Gedrukkt bey Wolfgang Endtern/ Im Jahr 1649; S.108.

Obwohl der Autor den einschlägigen Terminus dreyständige Sinnbilder verwendet, kann man diese Bild-Text-Verbünde kaum als Emblem bezeichnen: Es fehlt jedwelche metaphorische bzw. allegorische Beziehung; es handelt sich eher um Wort-Bild-Ersetzungen (im Winter heize ich mit Kohlen und so sieht das aus).

Samson und Christus

Der Aufbau der Seite in Tobias Stimmers Bilderbibel ähnelt demjenigen eines Emblems; gelegentlich stehen Überschrift und Bild sogar in einer enigmatischen Beziehung, wie hier: Also eröffnet Christus die Gefängnus – dazu das Bild eines Mannes, der zwei Türflügel trägt.

Tobias Stimmer, Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien, Basel: Thomas Gwarin 1576. > http://www.e-rara.ch/bau_1/content/titleinfo/129209

Der Bezug zwischen Text und Bild ist kein allegorischer, sondern ein typologischer*. 

Samson/Simson übernachtet in der Stadt Gaza. Die feindlichen Philister lauern ihm am Stadttor auf. Da stand er auf um Mitternacht und ergriff beide Torflügel am Stadttor samt den beiden Pfosten, hob sie aus mit den Riegeln und legte sie auf seine Schultern und trug sie hinauf auf die Höhe des Berges vor Hebron. (Buch der Richter 16,1–3); das wird im Bild gezeigt. Das Ereignis gilt als Präfiguration** des Ereignisses, wo Christus die Tore der Hölle zerbricht (im apokryphen Nicodemus-Evangelium, Kap. 21,3); hierzu steht der Text Also eröffnet Christus die Gefängnus.

*Typologie: Ein Ereignis aus dem Alten Testament (typus) gilt als Prophetie / **Präfiguration eines analogen Ereignisses im Neuen Testament; im neutestamentlichen Ereignis (antitypus) wird die alttestamentliche Verheißung erfüllt.  Mehr dazu hier.

• 1594 erscheint eine Bibel, in der ebenfalls die Bilder ähnlich wie in Emblembüchern mit (moralisierenden) Überschriften und dem Bibeltext darunter präsentiert werden:

Amanda castitas in nobis & alijs ist die Szene überschrieben, wo das Weib des Potiphar Joseph zu #verführen versucht (Genesis 39,7ff.):

Tableaus sacrez de Paul Perrot, sieur de La Sale, qui sont tovtes les Histoires du viel Testament representees et exposees selon leur sens en poesie Francoise. Frankfurt: de Bry / Feyerabend 1594.
> http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k1040480p
> http://dx.doi.org/10.25673/opendata2-7534

Der vom Wolf aufgefressene König

Der alchimistische Traktat »Atalanta fugiens« (1618) von Michael Maier (ca. 1568 – 1622) trägt das Wort Emblem markant im Titel, und die Kapitel sind ähnlich wie ein Emblembuch der Zeit strukturiert: Titel — Bild — versifiziertes Epigramma — zwei Druckseiten Text — Lied mit Noten (fehlt in der deutschen Übersetzung 1708). Hier ein Beispiel: Den König hat der Wolff gefressen/ und als er verbrennet wurde/ bekam er das Leben wieder.

 

Michaelis Majeri […] Chymisches Cabinet, derer grossen Geheimnussen der Natur durch wohl ersonnene sinnreiche Kupfferstiche und EMBLEMATA, auch zu mehrerer Erleuchterung und Verstand derselben […] ausgezieret. […] Der Chymischen Republic und dero Liebhabern […]  zum ersten mahl in das Hochteutsche übersetzet […], Franckfurt/ Verlegts Georg Heinrich Oehrling, 1708. > https://archive.org/details/michaelismajerii00maie

Lat. Erstausgabe: Atalanta Fugiens, hoc est, EMBLEMATA Nova De Secretis Naturae Chymica,  Accommodata partim oculis & intellectui, figuris cupro incisis, adiectisque sententiis, Epigrammatis & notis, partim auribus &; recreationi animi plus minus 50 Fugis […] Authore Michaele Majero […], Oppenheimii: Joh. Theodori de Bry 1618.
> http://diglib.hab.de/drucke/196-quod-1s/start.htm 
> http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-7300

Kommentar: Helena Maria Elisabeth de Jong, Michael Maier’s Atalanta Fugiens. Sources of an alchemical book of emblems,  Leiden: Brill 1969; pp. 186–190.

Eine Deutung eines modernen Chemikers: »Das gezeigte Bild kann wie folgt in eine chemische Sprache übersetzt werden: Der tote König (mit Kupfer oder anderen Metallen verunreinigtes Gold) wird vom Wolf (Antimon respektive hier Antimonsulfid) gefressen. Der Wolf wird im Feuer verbrannt, d.h. das Antimonsulfid gibt seinen Schwefel an Kupfer oder die anderen Metalle ab und wird selbst zu elementarem Antimon, welches mit Gold legiert. Die Sulfide der anderen Metalle werden dann leicht abgetrennt, und unter weiterem Erhitzen verflüchtigt sich das Antimon als Oxid. Zurück bleibt der König, der wiederauferstanden, das Feuer verlässt (reines Gold).« Roger Alberto, ›Wie men ein Kupffer Ertz auff Kupfferstein probirn soll‹. Die chemische Probierkunst und ihre Sprache, Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich auf das Jahr 2013
> http://www.ngzh.ch/media/njb/Neujahrsblatt_NGZH_2013.pdf

Frage: Kann man das als Emblem im skizzierten Sinne bezeichnen? Formal passt es; eine Allegorie ist es auch – sei es für einen chemischen Vorgang, sei es für einen psychischen (im Sinne von Herbert Silberer und dann C.G.Jung); allerdings: das Anwendungsgebiet ist unüblich.

 


Anregungen und Fragen

••• Nicolaus Reusner (1545–1602)

Reusner, Nikolaus / Jeremias Reusner: Emblemata Nicolai Revsneri IC. Partim Ethica, Et Physica: Partim vero Historica, & Hieroglyphica, sed ad virtutis, morumq[ue] doctrinam omnia ingeniose traducta: & in quatuor libros digesta, cum Symbolis & inscriptionibus illustrium & clarorum virorum, Francoforti, 1581
> http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0008/bsb00087671/images/

Das Buch enthält im Gegensatz zu anderen Emblembüchern keine eigens dafür angefertigten Holzschnitte. Es ist beim Verleger J. Feyerabend gedruckt, der eine Reihe von illustrierten Ausgaben in seinem Verlag zur Verfügung hatte, die hier rezykliert werden. Leicht erkennbar sind:

  • Ovid, Metamorphosen = Posthius, Johannes. Tetrasticha in Ovidii metam. lib. XV ... Schöne Figuren, auß dem fürtrefflichen Poeten Ovidio, allen Malern, Goldschmiden, und Bildhauwern, zu nutz ... unnd mit Teutschen Reimen kürtzlich erkläret, 1563 mit Holzschnitten von Virgil Solis
  • Emblemata Andreae Alciati 1567 mit Holzschnitten von Virgil Solis
  • Newe biblische Figuren, künstlich unnd artig gerissen durch ... Joss Ammann von Zürych; mit schönen teutschen Reimen, welche den gantzen Innhalt einer jeden Figur und Capitel kurtz begreiffen ... gestellt durch Herr Heinrich Peter Rebenstock, 1579
  • Ein neuw Thierbuch: Eigentliche vnd auch gründliche beschreibung allerley vier vnd zweyfüssigen Thieren, vom grossen biß zum kleinsten, sampt derer Art, Wesen, Natur vnd Eigenschafft / Erstlich Durch den weitberhümbten Hansen Bocksperger den jüngern von Saltzburg in visirung gestellt, Folgendts gerissen durch den Kunstreichen Joß Amman von Zürich, 1569.
  • vielleicht noch andere ...

Es scheint, dass Reusner sich durch Szenen aus Ovid und Bibel und anderen bei Feyerabend lagernden Werken / Druckstöcken hat anregen lassen und diese ver-emblematisiert hat. Wie hat er dabei die Gedanken verändert? Beispiel: Andromeda (Ovid, met. IV, 670ff.) mit dem Bild von Virgil Solis (Andromeda, am Felsen angeschmiedet; von hinten naht der den Meer-Drachen tötende Perseus) – dazu der Text: quae nympha? Ecclesia sancta [!].

Übrigens: Reusner hat in seinem »Aureolorum Emblematum liber« (Erstausgabe Straßburg: Jobin 1587) alle 1581 ebenfalls bei Jobin erschienenen Holzschnitte von Tobias Stimmer (aus Holtzwart, Emblematum Tyrocinia) verwendet. (Wann Holtzwart gestorben ist, weiß man nicht genau, nach 1589.)

 

••• Das Schiftmusterbuch, geschaffen von Georg Bocskay († 1575; Kalligraphie) und Joris Hoefnagel (1542–1600; Zeichnungen)

Wir betrachten Fol. 20 (siehe Thea Vignau-Wilberg § 388–390 und Abb. 26. Die Abhandlung von Thea Vignau-Wilberg 1969 [vgl. Literaturhinweis unten], die auch andere Werke von Hoefnagel interpretiert, ist äußerst präzis und zieht viele Emblembücher zur Deutung bei. Einige Ergänzungen hier von P.Michel)

Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer, Inv.-Nr. 975
> https://www.khm.at/objektdb/detail/87174/

Texte:

In der Kartusche oben steht: invidia virtute parta gloria non invidia est (aus Cicero, Oratio in Catilinam III,12) ≈ Missgunst, die durch Tugend hervorgebracht wird, ist Ruhm/Ehre, und keine Missgunst.

Der (kalligraphische) Text ist entnommen Matthaeus 22,35–36, wo ein Schriftgelehrter/Pharisäer Jesus auf die Probe stellend fragt, was das größte Gebot im Gesetz sei: et interrogavit eum unus ex eis legis doctor, tentans eum: »Magister, quod est mandatum magnum in lege?« (Beigefügt sind Erklärungen aus einer Homilie: simplicissimus interrogator et malignissimus insidiator…) Die auf die Reinheitsgesetze konzentrierten Pharisäer waren bekanntlich die Hauptgegner von Jesus.

Bild:

Die Eule (das ›Wappentier‹ von Minerva) trägt einen Caduceus (den Stab Merkurs); Minerva, aus dem Haupt Jupiters entsprungen, steht für die Weisheit; Merkur unter anderem für die Redkunst/Dichtung (vgl. hier). Solche Kompositwesen kommen selten vor: Hermathena.

Die Vereinigung im Bild deutet nach Th.Vignau auf den von den holländischen Humanisten bezeugten Wunsch nach Vereinigung von Wissenschaft und Kunst.

Die beiden Götter begegnen auch (in menschlicher Gestalt) auf den Titelblättern von gelehrten Werken, z.B. Claude Clément, Mvsei sive bibliothecae tam priuatae quam publicae extructio, instructio, cura, vsus libri IV, Lugduni: sumptibus Iacobi Prost, 1635 > https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/clement1635/0009/image

Die Eule (Nocticorax) wird in den Auslegungen der alten Zoologie wegen der Licht-Scheu und des Gekrächzts als übel beurteilt, vgl. etwa: Konrad von Megenberg, »Buch der Natur«, III, B, Kap. 53 (ed. Pfeiffer S. 208f.): Von der Äulen: […] Pei der äuln verstê wir all pœs übeltætig läut, sam diep, schâcher, êprecher, die hazzent daz lieht der wârhait, als unser herr spricht: wer übel würkt, der hazzet daz lieht. – Hier indessen liegt eine andere Symbolik vor:

Die auf der (mit einem Lorbeerkranz versehenen) Stange sitzende Eule wird von anderen Vögeln gemobbt (in der Jagdterminologie: gehasst). Seltsamerweise auch von zwei Schlangen; dies würde allerdings passen zu Matth. 23,33 über die Schriftgelehrten: »Ihr Schlangen und Otterngezücht! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?« – Das Hassen der Singvögel auf Eulen wurde bei der Jagd ausgenutzt: Man fesselte eine Eule auf einer Stange. Flogen die hassenden Vögel herbei, so fingen sie sich an versteckten Leimruten oder in Fallen, oder sie wurden von einem Jäger geschossen. Die Technik wurde in der Emblematik allegorisiert. Hier indessen führt die Anfeindung (invidia) der dummen Vögel, anders als im Motto bei Bocskay/Hoefnagel, nicht zu ihrer Ehre, sondern zu ihrem Untergang.

Aus Sambucus, Emblemata 1569; hier mehr zur Eulenfang-Technik

Im Missale ÖNB 1784 Fol. 332 am unteren Rand (Th. Vignau Abb. 12) zeichnet Hoefnagel eine Eule auf einem Caduceus sitzend in einer Landschaft mit vielen verschiedenen Tieren; zum Text Vocabo non plebem meam plebem meam … (Römerbrief 9,25 aus Hosea 2,25: Ich will die, die nicht mein Volk sind, zu meinem Volk berufen …). Somit würde die Eule hier Gott bedeuten?

> https://onb.digital/result/1115D987 (Mit besten Dank an die ÖNB)

Es stellt sich die Frage: Wie passt das alles zusammen? Das Bibelzitat über die Schriftgelehrten — das Cicero-Zitat zur invidia (Basiert die Anfeindung der Pharisäer letztlich auf virtus / Tugend?) — die Attribute für die beiden antiken (Wissenschaft und Kunst repräsentierenden) Gottheiten — die Eule als Köder für die (dummen) Vögel – die Eule, die auch die Heidenvölker zum Volk Gottes beruft – die angriffigen Schlangen ...?

Und am Schluss des Schriftmusterbuchs Mira Calligraphiae Monumenta (J. Paul Getty Museum) verewigt sich Hoefnagel (vgl. das Hufeisen mit dem Nagel und dem G für Georg) zusammen mit zwei den Caduceus tragenden Eulen:

Joris Hoefnagel / Georg Bocskay. Mira Calligraphiae Monumenta. Kommentiert von Lee Hendrix und Thea Vignau-Wilberg. Berlin: Fröhlich und Kaufmann 2020.
> https://www.getty.edu/art/collection/object/105TQE

 


Emblembücher und Emblemforschung online


• Digitalisierung von ausgewählten Emblembüchern der frühen Neuzeit (Münchener Datenbank)

https://embleme.digitale-sammlungen.de/emblmaske.html

• University of Illinois at Urbana-Champaign

 http://emblematica.grainger.illinois.edu

Die Such-Sprache lässt sich in der Eingabezeile unter "keywords" einstellen:  englisch / deutsch / französisch / italienisch. – Wenn man dort "motto" wählt, auch lateinisch.

• French Emblems at Glasgow. Mit den originalen Texten (frz., lat.) und englischer Übersetzung, vorzüglich mit Stichwörtern erschlossen:

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/french/books.php

• Alciato at Glasgow (dito)

http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/index.php  

• 22 editions of Alciato from 1531 to 1621 > Alciato (Memorial University of Newfoundland):

http://www.mun.ca/alciato/

• Dutch Love Emblems of the Seventeenth Century (Utrecht); Suche auch systematisch mit IconClass möglich:

http://emblems.let.uu.nl

• Society for Emblem Studies:

http://www.emblemstudies.org/

• Antonio Bernat Vistarini und Mitarbeiter:

http://www.studiolum.com/en/colophon.htm

• Stirling Maxwell Collection (University of Glasgow)

 https://www.gla.ac.uk/myglasgow/specialcollections/collectionsa-z/stirlingmaxwellcollection/

• Sagrario López Poza y Nieves Pena Sueiro : DEBOW (Digital Emblem Books on Web):

http://debow.bidiso.es

• Dieter Bitterli, »An Inventory of Swiss Applied Emblems«:

http://www.emblemata.ch/emblemata.ch/Home.html

<Diese Links überprüft im Mai 2019>


Die Bibliotheken haben mittlerweile viele Emblembücher digitalisiert. Die Suche führt zu den besten Treffern mit der Meta-Suchmaschine KVK = https://kvk.bibliothek.kit.edu/ oder EROMM

Heutzutage sind die Bibliotheken stolz drauf, wie viele Bücher sie als Digitalisat online gestellt und so ›für die Wissenschaft bereitgestellt‹ haben. Wohlan, das erspart die Recherche in Nationalbibliographien, briefliche Bitten um Mikrofilme oder gar Bibliotheksreisen. Aber sonst ist nicht mehr geleistet. Man vergleiche dagegen das von Arthur Henkel (1915–2005) und Albrecht Schöne (*1925) herausgegebene Werk, in dem von den (im Vorwort genannten) Mitarbeitern hunderte von schwierigen lateinischen Texten ins Deutsche übersetzt wurden. Sehr hilfreich ist ferner die erwähnte Homepage ›French Emblems at Glasgow‹. Das nenne ich ›bereitstellen‹ im wahren Sinne. (PM 7.7.15)


Hinweise auf Forschungsliteratur

Minimale Auswahl, ± chronologisch geordnet. – Die mit * bezeichneten Publikationen sind lexikon-artige Sammlungen von Emblemen mit Beschreibungen. – Ohne kurze Artikel in lit.-wiss. Handbüchern. – Nebenbei bemerkt: Der Katalog der Herzog-August-Bibliothek zeigte Ende September 2015 unter der Suchabfrage "Emblembuch" 2'296 Einträge.

 

Henry Green, Shakespeare and the emblem writers. An exposition of their similarities of thought and expression. Preceded by a view of emblem-literature down to A.D. 1616, London: Trübner & Co. 1870.
> https://books.google.ch/books?id=G6YFAAAAQAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s
> https://www.gutenberg.org/files/50006/50006-h/50006-h.htm

Ludwig Volkmann, Bilderschriften der Renaissance. Hieroglyphik und Emblematik in ihren Beziehungen und Fortwirkungen, Leipzig: Hiersemann 1923.

William S. Heckscher / Karl-August Wirth, Artikel »Emblem, Emblembuch« in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Band 5, Stuttgart 1959, 85–228. > http://www.rdklabor.de/wiki/Emblem,_Emblembuch

Grete Lesky, Barocke Embleme in Vorau und anderen Stiften Österreichs, Graz: Styria 1962.

Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, 1964; 2. überarb. Aufl. München: Beck 1968.

*Arthur Henkel / Albrecht Schöne (Hgg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1967; Supplement 1976. 

Theodora Alida G. Wilberg Vignau-Schuurman, Die Emblematischen Elemente im Werke Joris Hoefnagels [1542–1600], Universitaire Pers Leiden 1969 (2 Bände; 130 Abb.).

Zentrale Quellen sind: das von Hoefnagel illustrierte Schriftmusterbuch von Georg Bocskay (Wien, Kunsthistor. Mus., Inv.-Nr. 975) und das Missale Romanum der ÖNB Cod. 1784). Die in den Hss. oft nicht mit Text versehenen Bilder werden insbes. anhand der zeitgenöss. Emblembücher gedeutet.

Holger Homann, Studien zur Emblematik des 16. Jahrhunderts: Sebastian Brandt, Andrea Alciati, Johannes Sambucus, Mathias Holtzwart, Nicolaus Taurellus, Utrecht: Haentjens Dekker & Gumbert 1971.

John Landwehr, German Emblem Books 1531–1888. A Bibliography, Utrecht 1972.

Grete Lesky, Frühe Embleme aus der Steiermark, Graz 1973.

Barbara Tiemann, »Sebastian Brant und das frühe Emblem in Frankreich«, in: Deutsche Vierteljahresschrift 47 (1973), S. 598–644. 

Barbara Tiemann, Fabel und Emblem. Gilles Corrozet und die französische Renaissance-Fabel, München: Fink 1974 (Humanistische Bibliothek, Reihe 1, Abhandlungen Bd. 18)

Außerliterarische Wirkungen barocker Emblembücher. Emblematik in Ludwigsburg, Gaarz und Pommersfelden, hg. von Wolfgang Harms / Hartmut Freytag, München: Fink 1975.

Dietmar Peil, Zur Illustrationsgeschichte von Johann Arndts »Vom wahren Christentum«. Mit einer Bibliographie. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Vol. 18 (1977), S. 963-1066. Als PDF hier > https://epub.ub.uni-muenchen.de/5112/index.html

Sibylle Penkert (Hg.), Emblem und Emblematikrezeption. Vergleichende Studien zur Wirkungsgeschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1978.

Sammelband mit Aufsätzen zu Sebastian Brant, »Narrenschiff« – zur »Atalanta Fugiens« — Johann Arndt — Grimmelshausens Titelkupfer — emblematische Vorlagen bei Goya — Rubens — u.a.m.

Dieter Sulzer, Traktate zur Emblematik. Studien zu einer Geschichte der Emblemtheorien, hrsg. von Gerhard Sauder, St.Ingbert: Röhrig 1992 (Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft 22) [Diss. Univ. Heidelberg 1977].

Dietmar Peil, Zur ›angewandten Emblematik‹ in protestantischen Erbauungsbüchern [Dilherr – Arndt – Francisci – Scriver], Beihefte zum Euphorion, Heft 11, Heidelberg: Winter 1978.

Michael Schilling, Imagines mundi. Metaphorische Darstellungen der Welt in der Emblematik, Frankfurt am Main: Lang 1979 (Mikrokosmos Bd. 4). — u.a. zu den Themen Spiegel, Leiter, Buch, Frau Welt, Fortuna, Spiel, Theater, Jagd, Meer, Schiffahrt, Fischfang, Gefangenschaft, Labyrinth

Emblematica. An interdisciplinary journal for emblem studies, New York, N.Y.: AMS Press, 1986ff. – http://www.amspressinc.com/emblematica_vols.html

Ingrid Höpel, Emblem und Sinnbild. Vom Kunstbuch zum Erbauungsbuch, Frankfurt am Main: Athenäum 1987.

Gabriele Dorothea Rödter, Via piæ animæ. Grundlagenuntersuchung zur emblematischen Verknüpfung von Bild und Wort in den »Pia Desideria« des Hermann Hugo, (Mikrokosmos 32), Frankfurt/M. usw.: Lang 1992.

Detaillierte Studien (und Übersetzungen!) zu Kapitel III,4 (Sonnenblume); II,14 (Baum-Kreuz); I,1 (Laterne/Milchstraße); III,11 (Hirsch/Quelle); Einleitung (Pfeile auf Gott).

Sabine Mödersheim, Artikel "Emblem, Emblematik", in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Hg. Gert Ueding [et al.], Tübingen [heute: de Gruyter]: Niemeyer 1992–2014, Band 2 (1994), Spalten: 1098-1108.

Glasgow emblem studies; Buchreihe erscheint seit 1996.

Dieter Bitterli, Der Bilderhimmel von Hergiswald. Der barocke Emblemzyklus der Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau in Hergiswald bei Luzern, seine Quellen, sein mariologisches Programm und seine Bedeutung, Basel: Wiese Verlag 1997. – Vollständig überarbeitete Neuausgabe Benteli 2018.

*SinnBilderWelten. Emblematische Medien in der Frühen Neuzeit. Katalog der Ausstellung in der Bayerischen Staatsbibliothek München, 11.8.–1.10.1999, hg. von Wolfgang Harms u.a., München: Institut für Neuere Deutsche Literatur der Ludwig-Maximilians-Universität 1999.

The Jesuits and the emblem tradition. Selected papers of the Leuven International Emblem Conference, ed. by John Manning and Marc van Vaeck, Turnhout : Brepols 1999.

Anja Hofmann, Sakrale Emblematik in St. Michael zu Bamberg: "Lavabo hortum meum" / "Ich werde meinen Garten begießen", Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (GRATIA = Bamberger Schriften Zur Renaissanceforschung 36).

Wolfgang Harms / Dietmar Peil (Hgg.), Polyvalenz und Multifunktionalität der Emblematik (Mikrokosmos Band 65), 2 Teilbände, Frankfurt/M.: P.Lang 2002.

Bernhard F. Scholz, Emblem und Emblempoetik. Historische und systematische Studien, Berlin: Erich Schmidt 2002.

John Manning, The emblem, London: Reaktion Books 2002.

Gerhard F. Strasser / Mara R. Wade (Hgg.), Die Domänen des Emblems. Außerliterarische Anwendungen der Emblematik, Wiesbaden: Harrassowitz 2004 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, Band 39). 

Arnoud S. Q. Visser, Joannes Sambucus And The Learned Image: The Use Of The Emblem In Late-renaissance Humanism (Brill's studies in intellectual history 128), Leiden: Brill 2005. 

Carsten-Peter Warncke, Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder, Köln: Deubner Verlag 2005.— Vgl. bereits das Kapitel zur Emblematik in seinem Buch: Sprechende Bilder – sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit, Wiesbaden: Harrassowitz 1987, S. 161–192.

The Italian emblem. A collection of essays, ed. by Donato Mansueto in collab. with Elena Laura Calogero, Glasgow 2007 (Glasgow emblem studies; vol. 12)

Bettina Bannasch, Zwischen Jakobsleiter und Eselsbrücke. Das ›bildende Bild‹ im Emblem- und Kinderbilderbuch des 17. und 18. Jahrhunderts, Göttingen: V & R Unipress 2007 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung Band 3).

Johannes Köhler / Wolfgang Christian Schneider (Hgg.), Das Emblem im Widerspiel von Intermedialität und Synmedialität. Symposium an der Universität Hildesheim (30. April – 1. Mai 2004), Hildesheim: Olms 2007.

Joachim Camerarius: Symbola et emblemata tam moralia quam sacra. Die handschriftlichen Embleme von 1587 [Stadtbibliothek Mainz, Handschrift II/366], hg. und kommentiert von Wolfgang Harms und Gilbert Hess, Niemeyer 2009 (Neudrucke deutscher Literaturwerke NF, Bd. 54).

Andrea Alciato, Il libro degli Emblemi, secondo le edizioni del 1531 e del 1534. Introduzione, traduzione e commento di Mino Gabriele, Milano: Adelphi 2009 (lxxvi + 731 S.)

Vgl. die mit vielen Hinweisen weiterführende Rezension von Stéphane Rolet in: FABULA (mai/juin 2012 = volume 13, numéro 5) > http://www.fabula.org/acta/document7014.php

Valérie Hayaert,  Mens emblematica et humanisme juridique. Le cas du Pegma cum narrationibus philosophicis de Pierre Coustau (1555), Genève: Droz 2008 (Travaux d'humanisme et Renaissance 438).

Andreas Bässler, Die Umkehrung der Ekphrasis. Zur Entstehung von Alciatos "Emblematum liber" (1531), Würzburg: Königshausen & Neumann 2012.

Dietmar Peil, Ausgewählte Beiträge zur Emblematik, Hamburg: Kovač 2014 (Schriften zur Kunstgeschichte 45).

Peter M. Daly, The Emblem in Early Modern Europe: Contributions to the Theory of the Emblem, Farnham: Ashgate Publishing 2014.

Anne-Katrin Sors, Allegorische Andachtsbücher in Antwerpen, Universitätsverlag Göttingen 2015; online verfügbar.

Ingrid Hoepel / Simon McKeown (Eds.), Emblems and Impact: Von Zentrum und Peripherie der Emblematik, Cambridge Scholars Publishing 2017.

Karl E. Enenkel / Paul J. Smith, Emblems and the Natural World, Leiden: Brill 2017.

Karl A. E. Enenkel, The invention of the emblem book and the transmission of knowledge, ca. 1510–1610, Leiden/Boston: Brill 2018.

Hans Westphal, Sehnsucht nach dem himmlischen Jerusalem. Das Emblemprogramm der Stettener Schlosskapelle (1682), Stuttgart: Kohlhammer 2017.

 

Freundliche Grüße auch von Herrn Alciato:

aus: Jean Jacques Boissard, Icones Virorvm Illvstrivm doctrina & eruditione præstantium contines, quorum alij inter vivos esse desierunt. II.Pars, Francfordii: Bry 1598, pag. 134.

Auf den folgenden Seiten auch der Text dazu
> http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001875D00020000

 

Diese Website zur Emblematik wurde von Paul Michel erstellt als Arbeitsunterlage für den 7. Sommerkurs der »Zürcher Mediävistik« zum Thema »Text und Bild« (31. August – 4. September 2015).

Letztes Update im Agust 2023.