Realistische — symbolische — dekorative Bilder / Bild-Elemente
Einleitung❖ Es gibt Bilder, die Wissenselemente (Dinge, Personen, Szenen, usw.) visualisieren, sog. mimetische Abbildungen (vgl. dazu das Projekt (zu den Funktionen hier).
❖ Es gibt Bilder, die etwas Realistisches oder etwas deutlich Imaginäres darstellen, das ›noch eine weitere Bedeutung hat‹: Symbole, Allegorien, Embleme, Personifikationen, Exempla usw.
❖ Es gibt Ornamente
❖ Semiotisch betrachtet muss man "Colorit" in Bild-Elementen abgrenzen, sieh dazu den eigenen Abschnitt. ❖ ❖ ❖ Und es gibt die Mixtur aus alledem. ❖ Ein Ding oder eine Szene erscheint uns gegenwärtigen Betrachtern fälschlicherweise als unrealistisch – weil wir den historischen Kontext vernachlässigen. (Jonas wurde wirklich vom Fisch ausgespien, lies die Bibel!) ❖ Eventuell findet sich in einem durchaus realistisch daherkommenden Ensemble ein Detail, dem eine zusätzliche Bedeutung zugeschrieben oder unterstellt werden kann: ›Disguised symbolism‹ ❖ Mitunter wird man den Verdacht nicht los, ein ein Teil eines Bildes sei nur dekoratives Accessoire, das hinzukommt, nicht intrinsisch zum Dargestellten gehört (griech. parergon ≈ ›Neben-Werk‹) (vgl. die Untersuchung von Anna Degler 2015). Wenn man mit allen ikonographischen Hilfsmitteln (siehe unten) keine Deutung findet, deutet man dieses Element als ›Ornament‹. Also: ❖ Welche Bild-Elemente erläutern das Vorgetragene? — ❖ Welche implizieren versteckt Anspielungen? — ❖ Welche sind ornamental? — Und vor allem: Woran erkennt man das? (Insbesondere wenn das Bild oder ein Element davon nicht explizit mit ausformulierten Deutungen korreliert ist.) ▲ Es geht hier darum, was zeitgenössische Gestalter / Betrachter intendiert hatten / assoziieren mussten, und nicht darum, was wir Heutigen in einem Bilddetail ›als symbolisch empfinden‹ mögen und ›uns einbringen‹ wollen. Das ›Bild als Denkanstoß‹ ist eine Erfindung des Abstrakten Expressionismus und dann der Junk Art und ähnlicher Bewegungen ... (Ähnliches gilt natürlich auch für literarische Texte.)
Nicht erkannte Symbolik — Überinterpretation
Nicht erkannte Symbolik eines Bildteils Oft aber merken wir gar nicht, dass z.B. mit einem Element in einer Zeichnung ›etwas gemeint ist‹; man glaubt es handle sich um ein pittoreskes Detail. Ein Emblem zeigt als Pictura zwei Tauchervögel, einen eben untertauchenden und einen auf der Wasseroberfläche; im Hintergrund eine Uferlandschaft und ein Schloss. Das Lemma Mersus ut emergam (untergetaucht möge ich auftauchen) gibt der deutsche Übersetzer so wieder: Drumb hat mich der Trübsals=Bach gäntzlich überschwommen/ Daß ich freudiger empor wieder möge kommen.
Den landschaftlichen Hintergrund nimmt man zunächst wahr als als malerisches Kolorit. Bei genauer Betrachtung erkennt man am Ufer Schilf und einen gebrochenen Baum. Das erinnert an die Fabel von Eiche und Schilfrohr (de quercu et harundine bei Avianus und Babrius; Perry 70), die schon 1566 von Virgil Solis illustriert wurde:
Das Emblem enthält also zwei Aussagen, eine explizite und eine verborgene, nur dem Verständigen erkennbare. Überinterpretation Mitunter deuten wir Dinge als Zeichen, weil wir von der Erwartung ausgehen, es müsse hier etwas Bedeutsames vorliegen, oder weil wir durch ein bekanntes Bild-Muster verführt werden. Beispiel. Bei aller Hochschätzung von Erwin Panofsky (1892–1968) – bei der Deutung von Albrecht Dürers Kupferstich zu Adam und Eva 1504 sieht er zu viel ins Bild hinein. Erwin Panofsky, The life and art of Albrecht Dürer (1943); deutsche Übersetzung: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers, München: Rogner & Bernhard 1977 und Neuauflagen, S. 113f. (a) Panofsky spricht vom »Gegensatz zwischen dem klugen und wohlwollenden Papageien und der diabolischen Schlange«. Aber die Schlange ist in der hier visualisierten Bibelstelle (Genesis 3,4) explizit genannt, währenddem der Papagei zu einer ganz anderen Bildlogik gehört.
(b) Panofsky schreibt a.a.O.: »Ein gebildeter Betrachter des sechzehnten Jahrhunderts hätte leicht die vier Arten von Tieren in Dürers Stich als Vertreter der ‘vier Säfte‘ und ihrer moralischen Beziehungen erkannt, den Elch als Vertreter melancholischen Trübsinns, das Kaninchen als Vertreter sanguinischer Sinnlichkeit, die Katze als Vertreterin cholerischer Grausamkeit und den Ochsen als Vertreter phlegmatischer Schwerfälligkeit.« In der Temperamentenlehre wurden tasächlich Tierallegorien verwendet, es sind aber andere Tiere:
(Das Bild von 1491 – also beinahe zeitgenössisch mit dem Stich von Dürer – spricht von der phizionomie des bergiers und von ihrer inclination.) Die allegorisch zugeordneten Tiere (von links nach rechts):
Vgl. die Zusammenstellung von Attributen auf Die Tiere im Umfeld von Adam und Eva sind wohl keine Allegorien, sondern zeigen, dass sich die beiden Ureltern noch im Paradies unter ihren Mitbewohnern befinden. Auf dem Holzschnitt in der »Kleinen Passion« von Dürer 1511 ist es ein Dachs, eine Kuh und noch ein finster blickendes Raub-Tier. — Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553) stellt das 1509 so dar:
Wir konzentrieren uns auf Kunstdenkmäler des Mittelalters und der frühen Neuzeit.
✖ Rahmen / Kartuschen / Bordüren
✖ Bilder am Rand ✖ Titelbilder ✖ Initialen – u.a.: Book of Kells ✖ Zeilenfüller ✖ Ikonographisch präzis bestimmbare (nur scheinbar ornamentale) Details
✖ "Colorit" bei Bildelementen ✖ Ornamentales im Bild-Inneren – oder doch bedeutsam?
✖ Ästhetische Eigendynamik ✖ Mittelalterliche Bauplastik ✖ Drolerien – Aquamanile, Gargouille, Miserikordien, Songes drolatiques ✖ Formales ✖ Versteckte Symbolik bei scheinbar Ornamentalem ✖ Mittelalterliche Polemik gegen ornamentale bildliche Darstellungen ✖ Symbol — Ornament — Zeugnis des göttlichen Schöpfers (Joris Hoefnagel) ✖ Hinweise zur Suche ✖ Literaturhinweise
Rahmen / Kartuschen / Bordüren von (inhaltlichen) BildernIn Drucken v.a. des 16. Jahrhunderts werden Bilder oft mit Randleisten versehen. Die Verzierungen – rein ornamental oder floral oder wie im Beispiel hier mit Blattmasken und Karyatiden – haben mit dem Bild in der Regel überhaupt keinen inhaltlichen Bezug zum Bild, dem sie als Rahmen dienen: Emblemata D. A. Alciati, denuo ab ipso Autore recognita, ac, quæ desiderabantur, imaginibus locupletata; Accesserunt noua aliquot ab Autore Emblemata suis quoque eiconibus insignita, Lugduni Batavorum: Rovilius 1551. ❑ Davon zu unterscheiden sind die typographischen Verlegenheitslösungen, die dadurch bedingt sind, dass ein Bild nicht in den Satzspiegel passt und mit mit Zierleisten randbündig gemacht wird; Weißraum ist offenbar verpönt. ••• Der Basler Verleger Thomas Gwarin (1529–1592) verwendet die Bilder von Tobias Stimmer (vgl. unten) wieder in einer Vollbibel. Die Holzschnitte sind 8,5 cm breit; der Satzspiegel 10cm. Nichtssagende ornamentale Randleisten gleichen aus: Biblia sacra veteris et novi testamenti, secundum editionem vulgatam. Baslilaeae M.D.L.XXVIII ••• In der ersten illustrierten Ausgabe der »Iconologia« von Cesare Ripa (1603) sind alle Bilder der Personifikationen selbstverständlich hochformatig; den Ausgleich zum Satzspiegel schaffen ornamentale, oft wiederholte Randleisten. — PERSECVTIONE hier schießt nicht mit den Pfeilen auf die als Hermen dienenden nackten Frauengestalten...! Iconologia. Overo descrittione di diverse imagini cavate dall'antichità, e di propria inventione trovate et dichiarate da Cesare Ripa […] Di nuovo revista. Roma: Lepido Faci 1603. ••• Schon der Drucker von Sebastian Brants »Narrenschiff« füllte den Weißraum der hochformatigen Bilder und des in strengen Knittelversen (8 bis 9 Silben umfassend) verfassten Texts mit Randleisten. Das narren schyff (EA 1494) hier nach der 2.Auflage Basel: Olpe 3.3.1495; Kap. 18 (Von dienst zweyer herren). Die Randleisten sind oft wiederholt. Die 2.Auflage hat bei Kap. 18 nur rechts dieselbe Leiste wie die erste Auflage. – Das Bild wird für Kap. 74 (Von vnnutzem jagen) wiederholt, beide Leisten sind hier andere. Dass (vgl. hier rechts) darin Narren herumklettern, versteht sich. Die Eulen (sieh oben in der Leiste) könnten bedeutungsvoll sein; sie werden in den Auslegungen der alten Zoologie als übel beurteilt, vgl. etwa: Konrad von Megenberg, »Buch der Natur«, III, B, Kap. 53 (ed. Pfeiffer S. 208f.): Von der Äulen (Nocticorax): […] Pei der äuln verstê wir all pœs übeltætig läut, sam diep, schâcher, êprecher, die hazzent daz lieht der wârhait, als unser herr spricht: wer übel würkt, der hazzet daz lieht.
❑ In der Bilderbibel von Tobias Stimmer (1539–1584) glaubt man mitunter Bezüge zwischen dem Thema des Bilds und Elementen des Rahmens zu erkennen. — Das brennende Herz und die beiden Putten im unteren Rand könnten ja symbolisieren, dass Salomo in Sulamit (die Braut des Hohenlieds) verliebt ist: Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien/ grüntlich von Tobia Stimmer gerissen: Und zu Gotsförchtiger ergetzung andachtiger Hertzen mit artigen Reimen begriffen durch J. F. G. M . Zu Basel bei Thoma Gwarin, Anno 1576. Im Reprint München: Hirth 1881 (Neuauflage 1923) sind die Rahmen den Bildern anders zugeordnet. Es wäre interessant zu wissen, ob dem Nachdruck ein anderes Exemplar aus dem 16. Jh. vorlag; das würde die These der Auswechselbarkeit der Rahmen bestätigen. Paul Tanner in New Hollstein Vol. LXXX, p.219 kennt nur die eine Ausgabe a.d.J. 1576. Derselbe Rahmen umgibt das Bild der Erschaffung Evas aus Adams Rippe (Genesis II); da könnte ein brennendes Herz ja auch passen: Stutzig wird man, wenn man erkennt, dass es für das ganze Buch acht stets wiederholte unterschiedliche Randleisten gibt und die Leiste mit dem brennenden Herz 21 mal vorkommt. So auch in diesen Szenen: Samsons Kampf mit dem Löwen (Iud XIIII); Absalom, der im Baum hängenbleibt (II Reg XVIII); Daniel im Feuerofen (Danielis III); Paulus vor Damaskus (Actorum IX). Ganz unpassend scheint das Motiv hier (Steinigung des Gotteslästerers (Leviticus 23,24): Oder hier, wo in der Apokalypse (18,21) dargestellt ist, wie ein Engel einen Stein, schwer wie ein Mühlstein, ins Meer wirft: Da erhält man doch den Eindruck, die Rahmen seien recht zufällig um die Bilder gelegt.
❑ In einer frühen gedruckten Bilderbibel sind die meisten Szenen aus dem Leben Jesu mit ornamentalen Randleisten versehen; pro Bild gibt es eine spezielle. Die Holzschnitte sind dem Petrarcameister zuzuschreiben (Musper 1927 L 63). Der (lateinische) Text besagt, welche Szenen mit dem zentralen Bild gemeint sind. Deuotissime meditationes de vita beneficiis et passione saluatoris Iesu Christi cum gratiarum actione, Augsburg: Grimm & Wirsung 1520. Vergleicht man dieses Digitalisat der Boston Public Library mit dem Reprint München 1903 (was diente als Vorlage?), so erkennt man, dass die Bilder in verschienenen Drucken mit wechslenden Randleisten versehen wurde, was gegen eine symbolische Bedeutung spricht. Ein Bild kommt doppelt vor, mit verschiedenen Umrandungen: Zur Szene: Jesu Gefangennahme (Lukasevangelium 22,54: duxerunt ad domum principis sacerdotum) Die Pflanzen und das Insekt rechts oben kann man als ornamental gelten lassen; aber passt der Storch, der einen Frosch packt, eventuell zur Szene der Gefangennahme Jesu? Dann aber das katzen- oder affenartige Tier (mit Gürtel!) daneben? Zur Szene: Jesus wird von Herodes zu Pilatus zurückgesandt (Lukas 23,11: Sprevit autem illum Herodes cum exercitu suo: et illusit indutum veste alba, et remisit ad Pilatum.) Die Pflanzen, das Insekt oben rechts, die Körner pickenden Vögel kann man wiederum als ornamental hinnehmen. Aber passt der Pfau nicht recht gut zum Text des Evangeliums, wo es heißt, Herodes habe Jesus (um ihn als Pseudo-König zu verspotten) ein Prachtgewand umgelegt? — Der Pfau wird allegorisch breit ausgelegt bei Konrad von Megenberg (Buch der Natur III B 57), aber ohne Bezug auf Christus. — Und was bedeutet der kleine Putto, der den Pfauen-Schwanz mit einer Schere (?) attackiert?
❑ Johann Ulrich Kraus (1655–1719) hat die in der unteren Hälfte der Folio-Seiten seiner Bilderbibel dargestellten Szenen mit üppig verzierten Rahmen versehen. Manchmal scheinen sie zum Bild-Inhalt zu passen, oft aber nicht. • Thema hier ist: Den [an Aussatz erkrankten] Syrischen Hauptmann Naeman reinigt Elisa mit dem Wasser des Jordans (2. Könige 5, 10–14). – Die wie Neptun und die Personifikationen der vier Paradiesesflüsse aussehenden Gestalten im Rahmen passen einigermaßen dazu.
• Hier ist das Thema: Der Prophet Habacuc grämt sich/ daß Er sein Volkh nicht kan zur Busse bringen/ trohet mit starkhen Schrökhlichen Feinden (gemeint ist Habakuk 1,6ff., wo gesagt ist, dass JHWH als Werkzeug seiner Gerechtigkeit die Babylonier über das Volk Israel geschickt hat). – Die marine Szenerie im Ornament passt nicht zum Thema.
• Thema ist hier: Der belägerten Stadt Samaria weissaget Elisa und es geschiht das in einer Nacht grosse Theurung in grosse Wohlfeile sich verkehret. (2. Könige 7) Gezeigt wird das von den Aramäern in Zelten vor der Stadt belagerte Samaria; darüber die dunkle Wolken vertreibende Sonne. – Was sollen die Delphine und Indianer im Rahmen? Historische Bilder-Bibel, welche besteht in Fünff Theil/ Als: Erster Theil/ der Patriarchen. Ander Theil/ der Richter in Israel. Dritter Theil/ der Könige in Jerusalem. Vierdter Theil/ der Propheten. Fünffter Theil/ der Apostel / [gezeichnet und in Kupffer gestochen von Johann Ulrich Kraussen], Augspurg 1705.
❑ Die Bilder in Johann Michael Dilherrs (1604–1669) Emblembuch hat Melchior Küsel (1612–1683) mit bildlichen Rahmen versehen. • Die Predigt zu Philipperbrief 3,17–21 (Viele leben als Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist das Verderben, ihr Gott ist der Bauch) ist einzig diesem Thema gewidmet: Wer nur nach der Welt-lust trachtet und zeigt einen Bauch-Diener inmitten von kulinarischen Köstlichkeiten; von unten steigt bereits der Höllenrauch auf. Das Motto im Balken oben ist passend gerahmt von zwei fetten Schweinen. Aber was sollen die beiden in Blattwerk auslaufenden, als groteske Halbfiguren gezeichneten barbusigen Damen? Heilig-Epistolischer Bericht/ Licht/ Geleit und Freud. Das ist: Emblematische Fürstellung/ Der Heiligen Sonn- und Festtäglichen Episteln: In welcher Gründlicher Bericht/ von dem rechten Wort-Verstand/ ertheilet; Dem wahren Christenthum ein helles Licht furgetragen; Und ein sicheres Geleit/ mit beigefügten Gebethen und Gesängen/ zu der himmelischen Freude/ gezeiget wird,/ von Johann Michael Dilherrn […], Nürnberg: Endter 1663. S. 390 • Die Predigt zur wunderbaren Befreiung von Petrus aus dem Kerker (Apostelgeschichte 12,1–12: Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen) fasst verallgemeinernd zusammen: Schau doch/ was das Gebet verricht: Das Bild (S.571) zeigt das Innere des Gefängnisses mit den gelösten Ketten. Und wiederum zwei eher unpassende Figuren als Rahmen.
❑ Randleisten, die genaue Zitate von Fabel-Illustrationen enthalten, stehen in diesem Totentanz – Zusammenhang? Ein Beispiel (S.55): Zu: O HErr/ Ich leide Noth und Gewalt Die eine Maus packende Katze oben rechts könnte zur Szene passen, wo der Tod den Straßen-Räuber ergreift. — Aber die Szene aus dem Gastmahl von Fuchs und Storch unten rechts? (Bei der Einladung setzt der Fuchs dem Storch die Speisen in einer flachen Schüssel vor, so dass dieser sie nicht essen kann. Bei der Einladung des Storchs setzt dieser dem Fuchs die Speisen in einem halsigen Gefäß vor; Phaedrus I,26): Theatrum mortis humanæ tripartitum: I. pars. Saltum mortis. II. pars. Varia genera mortis. III. pars. Pœnas damnatorum continens. Figuris æneis illustratum. Das ist: Schau-Bühne deß Menschlichen Todts in drey Theil … mit schönen Kupffer-Stichen geziehrt und an Tag gegeben durch Johannem Weichardum Valvasor, Saltzburg: Johann Baptista Mayr 1682. Darauf hat aufmerksam gemacht: Martin Germ, Aesop’s Fables in Disguise: a Creative Interpretation of Gheeraerts’s Illustrations for De warachtighe fabulen der dieren in Two Early Publications by Johann Weichard Valvasor, in: Etudes Epistémè 31/2017
❑ Das Book of Hours ›The Dunois Hours‹ (ca. 1439/1450) ist prächtig mit pflanzlich-ornamentalen Randleisten verziert. Auf dieser Seite stehen mitten drin Szenen, die sich auf das Hauptbild beziehen: Den Hirten auf dem Feld (Lukas 2, 8–16) erscheinen Engel am Himmel, dann ziehen sie zur Krippe mit dem Jesuskind: British Library Yates Thompson MS 3, Fol. 81 verso
❑ In der »Physica Sacra« von Johann Jacob Scheuchzer (1672–1733) dienen die Randleisten oft dazu, die naturwissenschaftlichen (auch technologischen oder numismatischen) Details darzustellen, die der Text entwickelt, während die Bildtafel das biblische Geschehen darstellt, von dem er ausgeht. Beispiel: Bei der Besprechung der Ägyptischen Plagen (Exodus 8,2–14) kommt Scheuchzer auf die Frösche zu sprechen, die auf den Wink Aarons erscheinen. Anlässlich dieser Stelle zeigt er die Entwicklung des Froschs vom Ei über die Kaulquappe zum adulten Tier; er legt dar, dass dies zu den übernatürlichen Wundern gehört. In der Randleiste stellt er die Entwicklungsstadien des Amphibs dar. Der Text verweist mittels Ziffern auf die Bilder. Tab. CXXV: Ranarum Forma et metamorphosis – Frösch-gestalt und Verwandlung Bilder auf der Tafel und im Rahmen von Johann Melchior Füssli; Zierrat im Rahmen von Johann Daniel Preissler; Kupfer von I[ohann] G[eorg] Pinz. Kupfer-Bibel, in welcher die physica sacra, oder geheiligte Natur-Wissenschafft derer in Heil. Schrifft vorkommenden natürlichen Sachen, Deutlich erklärt und bewährt von Joh. Jacob Scheuchzer […]. Anbey zur Erläuterung und Zierde des Wercks in künstlichen Kupfer-Tafeln ausgegeben und verlegt durch Johann Andreas Pfeffel; Augsburg und Ulm: Ch. U. Wagner, 1731–1735. Literaturhinweise: Paul Michel, Batrachotheologia. Über Frösche und Wunder bei Johann Jakob Scheuchzer, in: LIBRARIVM, Zeitschrift der schweizerischen bibliophilen Gesellschaft II 1996, S. 129–145. Jochen Hesse, «Zur Erlaeuterung und Zierde des Wercks»: Die Illustrationen der Kupferbibel «Physica Sacra», in: Urs B. Leu (Hg.), Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer, Zug: Achius 2012, S. 105–128. Bilder am Rand(Das lässt sich selbstverständlich nicht exakt trennen vom vorherigen Abschnitt.)
❑ Bereits die Tapisserie (genauer: Embroidery) von Bayeux (2. Hälfte des 11.Jhs.) ist mit Rändern ausgeschmückt, in denen sich viele phantastische Tiere tummeln. > https://de.wikipedia.org/wiki/Teppich_von_Bayeux#Der_vollständige_Teppich (hier als Beispiel # 19 – die #-Zahlen beziehen sich auf am Teppich angebrachten) Sehr häufig sind in den Randzonen (nebst anderen Gestalten) einem Greifen gleichende ›Fabelwesen‹ gestickt, die zeitgenössisch bereits in der Bauplastik vorkommen: Der Greif hat durchaus symbolische Bedeutungen, vgl. Géza Jászai, Artikel »Greif«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte (2015) > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=93556 — aber wenn er in Scharen am Rand auftritt? Sodann gibt es aber auch realistische Szenen, z.Bsp. Hunde, die Vieh treiben (#7); pflügende Bauern (#10); Aal-Fang (#17); Pfeile schießende und gefallene Krieger (#56 – #58); der Komet über und eine Vision der feindlichen Schiffe unter der Szene mit der Krönung Harolds (# 33). Kommentiert die Szene aus der Fabel (Phaedrus I,4), wo der Fuchs dem Raben den Käse ablistet (zwischen #4 und #5, vor: hic Harold mare navigavit) die Geste eines Mannes, der Harald Godwinson zum Besteigen der Schiffe in Richtung Normandie auffordert – wo er dann in Gefangenschaft gerät ? Hinweis: Simone Bertrand, La Tapisserie de Bayeux…, Zodiaque 1966.
❑ Das Book of Hours of Engelbert of Nassau (ca. 1470–1490) ist am Rand reich verziert mit realistisch genau dargestellten Blumen und Insekten. Bodleian Library, Oxford. Ms. douce 219, Folio 57 recto ❑ Alphonso Psalter, formerly known as ›The Tenison Psalter‹ (circa 1284–1316) Passt das Bild zum Kontext? Psalm 6: Miserere mei domine quoniam infirmus sum, sana me, Domine, quoniam conturbata sunt ossa mea. Et anima mea turbata est valde; sed tu, Domine, usquequo ? convertere, Domine, et eripe animam meam ; salvum me fac propter misericordiam tuam. — Erbarme mich meiner, oh Herr, denn ich bin schwach; heile mich, Herr, denn meine Gebeine zittern, und meine Seele ist sehr bestürzt, aber wie lange? Wende dich, Herr, und errette meine Seele, hilf mir um deiner Barmherzigkeit willen! ❑ «Les Epistres et les Euvangiles de tout l'an,... translatées de latin en françois selon l'ordonnance du Messel à l'usage de Paris». (XIVe siècle) ❑ Lutrell Psalter (1325–1340) British Museum Add MS 42130 Text auf der Seite = Psalm 106 (Vulgata) / 107 (MT) 28–33, ein Danklied für die übers Meer Reisenden: 29 Et statuit procellam ejus in auram, et siluerunt fluctus ejus ... — 28 Sie schrien zum HERRN in ihrer Bedrängnis und er führte sie heraus aus ihren Nöten, 29 er machte aus dem Sturm ein Säuseln und es schwiegen die Wogen des Meeres. … Man blättere das Digitalisat durch! (Ikonograph. Beschreibung auf der Startseite)
❑ Die Randzeichnungen im Gebetbuch Maximilians I. sind diesbezüglich besonders problematisch. Einige passen genau zum Kontext, andere sind der reichen Phantasie von Albrecht Dürer entsprungen. Hier ist das Gebet Psalm 91 (Vg. 90) Qui habitat, u.a mit dem Text: Er beschirmt dich mit seinen Flügeln. … Fallen auch tausend zu deiner Seite, … so wird es doch dich nicht treffen … Dazu passend die brutale Kampfszene: Das Gebetbuch Kaiser Maximilians; der Münchner Teil mit den Randzeichnungen von Albrecht Dürer und Lucas Cranach d. Ae.; Einführung von Hinrich Sieveking, München: Prestel 1987. Magdalena Bushart, Die Randzeichnungen im Gebetbuch Kaiser Maximilians I., in: Franz Nikolasch (Hg.),Symposium zur Geschichte von Millstatt und Kärnten Millstatt 2006, S.99–114. Bernhard Seidler, Kühlen Kopf bewahren! Albrecht Dürers Darstellungen der Versuchung des Heiligen Antonius und ihre medizinischen Implikationen (2018) https://doi.org/10.1515/9783110605389-010
❑ Johann Arndt spricht im IV. Buch seiner »Bücher vom wahren Christenthum« von den sechs Tagwerken der Schöpfung; in IV,5 von er Erschaffung vom Meer und Wassern und von den Früchten des Meers. In der späten, von Adam Struensee 1708–1791 überarbeiteten Ausgabe wird das Kapitel mit einem Emblem (Nr.42) versehen: Das Motto Es redet mit furchtbarer Macht | Von dem, der es in Schranken gebracht bezieht sich auf den erbaulichen Text: Betrachte, kleiner Mensch, wie unbegreiflich groß, der dann aber auf die unzählbaren Wallfischheere und andere Nahrungsmittel fokussiert, welche die Netze füllen und wofür der Mensch dem Schöpfer dankbar sein soll. Interessant in unserem Zusammenhang ist der einleitende Text: Das wallende und brausende Meer. Am Rande sind verschiedene Seemuscheln, um den Reichtum der Wasser, so wie ein Schiff auf dem Meer, um die Schiffahrt anzuzeigen. Johann Arndts […] Sechs Bücher vom wahren Christenthum nebst desselben Paradisgärtlein. Mit neuinventirten Kupfern und Erklärungen derselben, wie auch neu dazu verfertigten Gebetern und einer Vorrede herausgegeben von D. Adam Struensee, Königl. Dänischem Oberconsistorialrath und Generalsuperintendenten der Kirchen und Schulen in den Herzogthümern Schleswig und Holstein […], Halle: J. J. Gebauer 1760.
❑ Hier scheint der ornamentale Rahmen mit den Wasser-Motiven gut zum Thema des Bildinneren zu passen: Le Déluge – Der Sündflusz – De Sonvloet: Derselbe Rahmen wird auch verwendet für • Hero und Leander (Tafel XXXVII): hero durchschwimmt allnächlich den Hellespont, bis er irregeführt ertrinkt • Die Danaiden, die vergeblich ein Fass mit Wasser füllen (Tafel LIX) Neueröfneter Musen-Tempel mit 60 auserlesenen Bildern/ welche das Allermerkwürdigste aus den Fabeln der Alten vorstellen/ ausgezieret: gezeichnet und in Kupfer gestochen durch Herrn Bernard Picart le Romain, und andere Kunstreiche Männer; Mit Deutlichen Erklärungen und Anmerkungen...: nebst einer Vorrede [von] Christoph Gottlieb Stockmans, Amsterdam: Zacharias Chatelain, 1733.
❑ Auch Bild-Elemente, die sich ikonographisch genau bestimmen lassen, können Ornament sein. Die Szene, da Regulus einen Drachen tötet (vgl. http://www.symbolforschung.ch/Drachen Livius.html) ist von einem Rahmen umgeben, in dem mythologische Figuren aufscheinen, die mit dem Bildinhalt keinerlei Zusammenhang haben (Darstellungen davon findet man im Web x-mal.): links: Um den Riesen Antaios zu besiegen, der mit dem Kontakt zur Erde (seine Mutter Gaia) immer wieder neue Kraft schöpft, hebt Herakles ihn empor und kann ihn so erwürgen. Quelle: Apollodor II,v,11 ≈ 2,115 rechts: Die von Apollo verfolgte Nymphe Daphne lässt sich von ihrem Vater (den Flussgott Penëus) in einen Lorbeerbaum verwandeln. Quelle: Ovid, Metamorphosen I, 545ff. Titus Livius/ Vnd Lucius Florus/ Von Ankunfft und Ursprung des Römischen Reichs/ der alten Römer herkommen/ Sitten/ Weißheit/ Ehrbarkeit/ löblichem Regiment/ Ritterlichen Thaten/ Victori vnnd Sieg/ gegen jhren Feinden […], Straßburg: Rihel 1574. – In späteren Auflagen andere Rahmung! TitelbilderAls zu Beginn des 15.Jhs. ein Bücher-Markt entstand, und damit Konkurrenz und das Bedürfnis, die eigenen Erzeugnisse als solche hervorzuheben, wurden einprägsame Titelblätter kreiert, die als Blickfang dienten. Unübersehbar viele... ••• Lorenz Fries, Synonima vnd gerecht vßlegu[n]g der wörter so man dan in der artzny Allen krütern Wurtzlen, ... zů schreibe[n] ist Strassburg 1519. ••• Hier ein Blatt zu einem Buch von Johann Eck, das in Augsburg 1519 bei Grimm & Wirsung erschien (Quelle: wikicommons): Der Rahmen wurde von den Verlegern – für die der Petrarcameister gearbeitet hatte ! – um 1519 bis 1522 für verschiedene Bücher verwendet. ••• Reductorii moralis fratris Petri Berchorii libri quatuordecim ; perfectam officiorum atque morum rationem ac pene totam nature complectentes historiam nusquam hactenus excusi gentium: summa fide ac diligentia ad vetera exemplaria castivati || Parrisijs: apud Claudium Cheuallon […] mensis Martij die .xij. Anno dni Millesimo quingenetsimo vigesimoprimo [1521]
••• Historiæ Naturalis De Auibus Libri VI : Cum æneis figuris / Iohannes Ionstonus ... concinnauit Francofvrti Ad Moenvm: Matthæi Meriani 1650. > https://doi.org/10.3931/e-rara-52094 Für ein Buch zum Thema "Vögel" recht passend. Aber der Storch unten ist aber ein heraldischer (mit Merians Motto Pietas contenta lucratur ≈ eifrige Frömmigkeit zahlt sich aus) — und die beiden gefiederten Damen sind ornamental. ••• Ob Montaigne (1533–1592) an diesem Titelblatt Freude gehabt hätte? Que sais-je. Les essais de Michel, seigneur de Montaigne, nouvelle édition, exactement purgée des défauts, Paris 1657. ••• Aber aufgepasst: Nicht alle ornamental so ähnlich aussehenden Illustrationen sind Dekor: Paolo Giovio, Le vite dei dodeci Visconti Prencipi di Milano. Tradotte per M Lodovico Domenichi. In Milano: Gio. Battista Bidelli 1626 u.ö. Es sind hier keine ornamental drapierten Schlangen, die Menschen verschlingen; im Gegenteil: Sie speien sie aus. Es handelt sich um das heraldische Motiv der Sforza / Visconti - Familie:
Andrea Alciato, Emblemata, Ausgabe Paris 1534 ••• Einen Scherz erlaubt sich der Gestalter eines Zwischentitels im Buch von Filippo Buonanni [1638–1725], Ricreatione Dell'Occhio E Della Mente Nell'Osservation' delle Chiocciole, Proposta a'Curiosi delle Opere della Natura, Roma: Varese 1681. Die anthropo-(besser: gynaiko-)morph wirkende Figura auf dem Titelblatt zum vierten Teil: Si esprimono i Cusci de' Testacci, nella Parte seconda descritti ist zusammengesetzt aus Muschelschalen, die das Thema der Bildtafeln sind. ••• Und selbstverständlich sind die Tiere auf dem Titel einer Aesop-Ausgabe auch nicht reines Ornament. Sie warten nur darauf, im Buch ‘in action’ wieder gefunden zu werden. Æsop’s Fables with his life: in English, French and Latin. Newly translated. Illustrated with one hundred and twelve sculptures […] by Francis Barlow. London: Printed by H. Hills jun. […] 1687.
Literaturhinweis: Albert Fidelis Butsch, Bücher-Ornamentik der Renaissance. Eine Auswahl stylvoller Titeleinfassungen, Initialen, Leisten, Vignetten und Druckerzeichen hervorragender italienischer, deutscher u. französischer Officinen ... nach der eigenen Sammlung, 2 Bände Leipzig 1878/1881. InitialenHaben die eingefügten Bilder einen Zusammenhang mit dem sie umgebenden Text? ❑ ≠ Beginn des Psalters. Initiale B des Texts Beatus vir qui non abiit in consilio impiorum, et in via peccatorum non stetit, et in cathedra pestilentiae non sedit; sed in lege Domini voluntas ejus, et in lege ejus meditabitur die ac nocte. — Glückselig der Mann, der nicht nach dem Rat der Bösen geht und nicht auf dem Weg der Sünder steht und nicht auf dem Stuhl der Pestilenz sitzt, sondern am Gesetz des Herrn seine Lust hat und über seinem Gesetz Tag und Nacht sinnt. Tripartitum Psalterium Eadwini (The Eadwine Psalter) Fol. 6 recto ❑ ≠ Paulus Diaconus (vor 800), »Historia Langobardorum«. British Library, Royal MS 13 A XXII; (4th quarter of the 11th century; Mont Saint-Michel, Western France) Initiale S zum Text: Septemtrionalis plaga quanto magis ab aestu solis remota est et nivali frigore gelida, tanto salubrior corporibus hominum et propagandis est gentibus coaptata; sicut econtra omnis meridiana regio, quo solis est fervori vicinior, eo semper morbis habundat et educandis minus est apta mortalibus. Je weiter der nördliche Himmelsstrich von der Hitze der Sonne entfernt und von Eis und Schnee kalt ist, um so gesunder ist er für die Körper der Menschen und begünstigt die Völkervermehrung, wie umgekehrt alles mittägliche Land je näher es der Glut der Sonne liegt, immer voll Krankheiten und zur Hervorbringung eines tüchtigen Menschenschlages weniger geeignet ist. Daher kommt es, dass so große Völkermassen im Norden geboren werden und nicht mit Unrecht wird jener ganze Landstrich vom Tanais bis zum Sonnenuntergang mit dem allgemeinen Namen Germania bezeichnet … ❑ ≠ Gregor, »Moralia in Job«; Dijon, Bibliothèque municipale, Ms. 173 (Cîteaux, 1.Drittel des 12.Jhs.), Fol. 29 recto Quamvis omnem scientiam atque doctrinam scriptura sacra sine aliqua comparatione transcendat … (Lib XX, 1): Die heilige Schrift übertrifft alle Wissenschaft und Lehre nicht nur durch den Inhalt, sondern auch durch die Darstellungsweise …
❑ ≠ The ›Second Winchester Bible‹ Bodleian Library MS. Auct. E. inf. 1 (12th century, middle to end); Folio 304 recto: Beginn des Buchs Hiob: Vir erat in terra Hus nomine Iob et erat vir ille simplex et rectus ac timens Deum et recedens a malo
❑ ≠ Cotton MS Tiberius C VI (3rd quarter of the 11th century – 2nd half of the 12th century) Fol. 60recto Initiale D zum Text Psalm 38 (MT 39): Dixi custodiam vias meas ne peccem in lingua mea custodiam os meum silentio donec est impius contra me – Ich habe mir vorgenommen: Ich will mich hüten,dass ich nicht sündige mit meiner Zunge; ich will meinem Mund einen Zaum anlegen…
❑ ≠ Das Passionale von Weissenau (Fondation Martin Bodmer; Cod. Bodmer 127) enthlt viele augestaltete Initialen, z.B. > https://www.e-codices.unifr.ch/en/list/one/fmb/cb-0127 Vgl. den Aufsatz von Solange Michon, Le bestiaire enluminé du Passionaire de Weissenau, in: Unsere Kunstdenkmäler 1989/4, S. 384–392.
❑ + In Psalm 21 (Vulgata) ruft der Betende, ein unschuldig Verfolgter, den Herrn um Hilfe an und beschreibt seine böswilligen Widersacher als Tiere (= Ps 22; deutsch hier in der Einheitsübersetzung):
Im Albani-Psalter (12. Jahrhundert; Dombibliothek Hildesheim) wird Vers 13 (Mich umgeben mächtige Stiere, Büffel umringen mich) in die Initiale D des Beginns des Psaltertexts (Deus, Deus meus respice in me: quare me dereliquisti?) integriert: https://de.wikipedia.org/wiki/Buch_der_Psalmen#/media/Datei:Psalm_21_Initial_D.jpg
❑ + Hier könnte die Zügelung des Monstrums in der Initiale Q einen Bezug zum Text haben: Psautier de Corbie (Angfang 9.Jh.) BM Amiens Ms18 Fol. 46 recto Quid gloriaris in malitia potens misericordia Dei tota est die (Psalm 51,3 [Vg]) — Was rühmst du dich der Bosheit, der du mächtig bis in der Ungerechtigkeit? Vers 7: sed Deus destruet te in sempiternum terrebit – Doch wird dich Gott verderben auf immer …
❑ + Beginn der (lat./dt.) Benediktinerregel Engelberg, Stiftsbibliothek, Cod. 72 (1250–1276). Die Initiale A des ersten Worts der Regel: Ausculta, o fili praecepta … ist interpretierbar: Engelberg, Stiftsbibliothek, Cod. 72 > https://www.e-codices.unifr.ch/de/bke/0072/1v Links außen kniet ein Mönch, angeschrieben mit Chuono, vermutlich der Übersetzer / Schreiber des Codex. Der unter dem A stehende Abt Waltherus abbas zeigt den Codex einem Engel zur Bestätigung. Rechts steht eine Nonne (Engelberg angeschlossen war das Frauenkloster St.Andreas). Einzig die das A tragenden nackten Gestalten sind nicht klar interpretierbar; dass die eine vom Abtsstab gepiekt wird, deutet darauf, dass es zu überwindende Sünden sein könnten. Nach: Richard Fasching in: Christian Kiening / Martina Stercken (Hg.), SchriftRäume. Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, Zürich: Chronos 2008, S.288.
❑ ≠ / + Bei diesem Beispiel scheint der bildliche Bezug zum Text und das Ornamentale (wieder so ein Q-Schwanz!) miteinander verquickt: Passionale (ca. 1125/1130), pars aestivalis; Württembergische Landesbibliothek Cod.bibl.fol.56; Folio 101 recto: Martyrium des Matthäus.
❑ Das Book of Kells (Dublin, Trinity College, Cod. 58) strotzt von solchen Initialen sowie Füllseln am Zeilenanfang und Zeilenende; man blättere das vorzügliche Digitalisat durch! ••• Beispiel: Fol. 45 recto mit dem Beginn des Paternoster ••• Ein Spezialfall ist der Beginn des Matthäusevangeliums (Fol. 34 recto) mit dem Text zu Matthäus 1,18: Christi autem generatio sic erat: … (übers.: Mit der Abstammung Christi verhielt es sich so: …) wobei in Anlehnung an den griechischen Evangelien-Text Τοῦ δὲ Ἰησοῦ Χριστοῦ ἡ γένεσις οὕτως ἦν drei — aus den griechischen Buchstaben Chi (Χ) und Rho (ρ) und (grammatikalisch unmöglich) dem lateinischen Genitiv-i gebildete — Initialen stehen.
Albert Fidelis Butsch hat in seinem Buch Bücher-Ornamentik der Renaissance (1878/81) viele solche aus dem 16. und 17.Jh. zusammengestellt. Ein Beispiel:
Suzanne Lewis, Sacred Callygraphy. The Chi Rho Page in the Book of Kells, in: Traditio 36 (1980), pp. 139–159. The Book of Kells. Reproductons … With a Study of the Manuscript by Françoise Henry, London: Thames and Hudcon 1974. ZeilenfüllerBeliebt sind kleine schmale Mönsterchen, die am Zeilenende dafür sorgen, dass ein ›Blocksatz‹ zustande kommt:
Ikonographisch präzis bestimmbare (nur scheinbar ornamentale) DetailsHier würde Panofskys Begriff ›disguised symbolism‹ passen. Man spricht auch von ›hidden symbolism‹.
••• Beispiel: Susanna im Bade wird von den beiden Alten belästigt (Daniel Kapitel 13) Der (deuterokanonische) Bibeltext spricht deutlich von der Liebesbrunst der beiden:
Das Bild hier zeigt die Szene – der pfeilschießende Amor als Brunnenfigur ist kein Ornament, sondern drückt die Begierden der beiden Alten aus: Johann von Schwartzenberg, Das Buochle Memorial/ das ist ain angedänckung der Tugent, Augsburg 1534, Fol. CXII. Auch auf diesem Bild schießt Amor einen Pfeil ab – und der geht gewaltig daneben, wie die Geschichte dann darlegt: Tobias Stimmer (1539–1584) und Christoph Murer (1558–1614) (vgl. das ligierte kombinierte Monogramm unten links, für beide typisch am Ende des 16.Jh.) in: D. Martinus Luther. Aus dem Exemplar / welches bey lebzeiten D. Luthers seligen/ zu Wittemberg / Anno etc. 45 außgangen / getrewlich nachgetruckt. Getruckt zu Tübingen / bey Georgen Gruppenbach / Anno 1591. Matthias Scheits (a. 1630 – ca. 1700) gestaltet dann den Wasserspeier üppig aus, so dass er beinah zu einem selbständigen Bildteil wird, der mit der zu illustrierenden Szene nichts zu tun hat; er wird zum Ornament: Luther-Bibel Lüneburg: Sterne 1672 https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd17/content/titleinfo/12189849
••• Beispiel: Die Geschichte von David und Bathseba (II. Reg. = 2.Samuel, Kapitel 11), ist häufig dargestellt, v.a. in bebilderten Bibeln. ❑ Bathseba im Bade; König David, sie betrachtend. David trägt als König eine Krone. Er schaut vom Balkon seines Palasts herunter, das entspricht der Bibel (Vers 2). Hans Sebald Beham, Bibla Germanica, Egenolff 1534. ❑ Hier der Holzschnitt, geschnitten von Christoph van Sichem d.Ä.: aus: Flauij Josephi / des Hochberühmten Jüdischen Geschichtschreibers / Historien vnd Bücher Von alten Jüdischen Geschichten […] Straßburg: Theodosius Rihel 1611. Neben David steht eine Harfe; das übliche Attribut Davids, der König Saul mit Saitenspeil ermuntert hat (1. Samuel 16, 14ff.) und als Dichter und Sängers des Psalters gilt, vgl. das Bild in der Zürcher Bibel 1531: Der Brunnen bei der badenden Bathseba ist mit einem ••• Eroten geziert, ein Hinweis auf den verliebten Blick Davids; hier vergrößert: ❑ Dass David sündigte, als er Bathseba begehrte und ihren Ehemann Uria in den Tod schickte, wird von Tobias Stimmer (1539–1584) möglicherweise dadurch herausgestellt, dass er (rechts unten) einen ••• Affen bei der Szene zuschauen lässt. Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien, Basel 1576. Der Affe kommt in der Bibel in dieser Szene nicht vor. Ist er ein amüsantes Detail? Der Affe gilt als töricht, auch als Sünder, und das könnte ein Hinweis auf David sein.
❑ Matthäus Merian (1593–1650) baut die Szene dekorativ aus. Der Garten des Palastes ist prächtig dekorativ ausgestattet. Was soll die alte Frau, die Bathseba ein ••• Kästchen mit Münzen (?) anbietet? Im Bibeltext heißt es nur, dass David Boten zu Bathseba schickt. Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen […] Straßburg/ In verlegung Lazari Zetzners Seligen Erben 1625ff. ❑ Melchior Küsel gestaltet die Szene 1679 ebenfalls üppig. Zwei gigantische Säulen, die einen Himmels- und einem Erdglobus tragen, stehen im Hof des Palasts. Ein Konglomerat verschiedener Vorstellungen: Icones Biblicae Veteris et Novi Testamenti. Figuren Biblischer Historien Alten und Neuen Testaments – Proprio aere aeri incisae, et venales expositae a Melchiore Kysel, Augustano. Impressum: Augustae Vind. anno Christiano MDCLXXIX.
••• Moses vor dem brennenden Dornbusch – mit einer Schlange am Boden
Das Bild zeigt Moses vor dem brennenden Dornbusch, in dem sich der Bote Gottes (Exodus 3,1–6) zeigt. Der die Schafe weidende Moses hat wie befohlen die Schuhe ausgezogen, und er verhüllt sein Gesicht. Die Darstellung ist häufig, Seltsamerweise kriecht vor Moses hier eine Schlange. Die kommt in der erwähnten Bibelstelle nicht vor. Ein Parergon? – Moses ist auch sonst mit Schlangen beschäftigt: Bald nach dieser Episode fragt er den Herrn, wie er den Ägyptern zu verstehen geben kann, dass er ihm erschienen sei; dieser lässt ihn den (Hirten-)Stab auf die Erde fallen, worauf er zu einer Schlange wird usw. (Exodus 4,1–5) – das tut Moses dann vor dem Pharao zur Beglaubigung (Exodus 7,8–13); und auch dazu hat diese Bibel zwei Seiten weiter das entsprechende Bild: Sodann ist die auf einer Stange angebrachte eherne Schlange das Heilmittel für diejenigen, die sie anschauen (Numeri 21,6–9). Die scheinbar unpassend im Bild zu Exodus 3,1–6 placierte Schlange verweist demnach auf andere Taten von Moses. ••• Der Hirsch im Wald bei Elias Elias/Elija prophezeit eine Dürre, weil Israel den Baalen huldigt. Er selbst verzieht sich in an den Bach Chrith, wo der Herr ihm Raben schickt: Unnd die Rappen brachtend jm brot und fleisch des morgens und des abents/ und er tranck des bachs. (1.Könige [Vulgata: 3 Reg.] 17 hier nach dem Text der Zürcher Bibel 1531) Chistoph Murer (1558–1614) verwendet die Szene zur Veranschaulichung der Aussage, dass Gott die Seinen nicht in Not lässt. Die späteren Verwender der Radierung setzten dazu den Titel Exempel der fürsehung Gottes. Providentia Dei:
Im Hintergrund im Wald erkennbar: ein Hirsch und auf dem Baum ein Eichhörnchen. Ornamentale Zugabe?
••• Zerbrechende Statuen am Wegrand – ein Parergon? Es gibt mehrere Bilder der Flucht von Maria mit dem Jesuskind und Joseph nach Ägypten – als Erfinder scheint jeweils Marten de Vos (1532–1603):
Die Flucht nach Ägypten erwähnt Matthäus 2,13 — Aber was bedeuten die am Baum montierten herunterfallenden Statuen? Im Pseudo-Matthäusevangelium heisst es – aber erst bei der Ankunft in Ägypten – Als die seligste Maria mit ihrem Kindlein den Tempel betreten hatte, geschah es, dass sämtliche Götterbilder zur Erde stürzten, so dass sie alle gänzlich umgestürzt und zerbrochen auf ihrem Angesicht lagen. Konrad von Fußesbrunnen [1182 urkundl. erwähnt], »Die Kindheit Jesu«, (Ausgabe von Hans Fromm und Klaus Grubmüller, Berlin: de Gruyter 1973) Vers 1978ff.:
Im Stundenbuch des Herzogs von Bedford (ÖNB) ereignet sich der Götzensturz wie im Text erwähnt in einer Tempelarchitektur: Eine andere Deutung findet man auf dem Bild von Jacob Jordaens (1593–1678) pinxit / Paulus Pontius (1603–1658 ) sculpsit. Die herunterfallende Statue hält eine auffallend große Kugel in der Hand:
Ob der Pastor im Religionsunterricht damals das Detail im Bild erklärt hat?
Vgl. den Artikel von Wolfgang Augustyn, "Flucht nach Ägypten", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IX (2001), Sp. 1352–1432 (dort auch Abb.28)
••• Eine muntere Gesellschaft bei einem Imbiss – sonst nichts?
Aber die Bildunterschrift weist darauf hin, dass hier die Fünf Sinne personifiziert sind, die wir als Geschenk annehmen dürfen (ohne sie im einzelnen zu charakterisieren): Accipe homo quœ quinque ferunt tibi munera sensus ..... Die Tätigkeiten und Attribute weisen die 5 Sinne aus:
"Colorit"Weder als Ornament noch als Symbol im engeren Sinne kann man diese Erscheinung bezeichnen: Ein Bild-Element wird mit für das von ihm Dargestellte charakteristischen (z.B. zeittypischen) Attributen ausgestattet. Dabei erfolgt aber kein "semantischer Sprung" (Ausdruck von H.Lausberg) in eine andere Welt-Sphäre. In der semiotischen Terminologie (nach Ch. S. Peirce) handelt sich um einen "Index". Man könnte auch sagen: die bildnerischen Elemente sind für das Dargestellte symptomatisch, sie geben das "Colorit" ab. Ohne die Philosophie von E.Husserl oder R.Carnap zu bemühen könnte man auch im landläufigen Sinn von der "Gegebenheitsweise" in der dargestellten Lebenswelt sprechen. Ein Beispiel-Paar soll dies anhand der Elemente Gebäudeformen; Kleidung/Rüstung erläutern.
Wie antike Kostüme, Rüstungen usw. aussahen, lernte man bei Bernard de Montfaucon (1655–1741), L’antiquité expliquée et représentée en figures, Paris: Delaulne 1719ff.
Ornamentales im Bild-Inneren – oder doch bedeutsam?
Das erste Bild der deutschen Übersetzung von Ciceros »Cato major de senectute« = Büchlein von dem Alter (Erstausgabe 1522; Neudruck 1531) zeigt die drei Diskussionsteilnehmer Scipio, Laelius, Cato; letzterer auf einem Sessel, der mit einer skulptierten Wange – ein phantastisches Mischwesen darstellend – versehen ist. – Ein hübsches Ornament.
In der Übersetzung von Petrarcas »de remediis« II,28 wird gezeigt, wie ein Patrizier vom König den Amtsstab entgegennehmen darf. Die schneckenförmige, in ein Phantasiewesen auslaufende Thronwange ziemt sich für einen Herrscher als Möbel-Ornament nicht übel.
In »de remediis« I,92 ist das Thema die Nichtswürdigkeit von Ehren und Glorie. Obwohl der Papst in Petrarcas Text nicht genannt wird, zeigt das Bild den mit der Tiara gekrönten Papst inmitten von Kardinälen, Bischöfen und anderen Würdenträgern. Merkwürdig ist in diesem Kontext die Thronwange: die Skulptur einer Sphinx.
Hier fragt sich, ob diese Figur eine symbolische Bedeutung hat. Sinnstiftend wäre
Allerdings auf einem nur zwei Jahre später erschienenen nicht signierten Holzschnitt: Hier wird ein vor dem Papst um Dispens Bittender gewarnt, er möge nicht lügen. Da kann nicht eine symbolische Verunglimpfung des auf dem Sphinxen-Thron Sitzenden gemeint sein:
Exkurs: • Tatsächlich sind ähnliche Throne später ausgegraben worden; allerdings sind die Thronwangen eher Darstellungen von (ähnlich aussehenden) Chreubim (vgl. auch die Ausstattung des Tempels 1 Könige 6,23–28):
• Bei Abraham Kyburz (1704-1765) sitzt der hochgeehrte König Salomon auf einem solchen Thron. Hier die Szene, wo David (1.Chronik 28,11ff.) seinen Vater Salomo den Plan für den Tempel vorlegt:
• Jesus wird von Pilatus geführt und angeklagt. (Bilddeutung gemäß Kontext in deiser Bibel) Pilatus befindet Jesus zunächst für unschuldig, möchte in freilassen (Paschafest-Amnestie: der Statthalter hatte die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben (Mt 27,15ff; Mk 15,6ff: Joh 18,38ff). — Dann aber verurteilt Pilatus Jesus zum Tod, um dem Volk Genüge zu leisten und um des Kaisers Freund zu bleiben (Joh 19,12ff)
• Auf diesem Kupferstich von Maarten de Vos (invent.; 1532–1603) & Iacob de By (sculp.) ist (gemäß Bildlegende) König Herodes dargestellt. Herodes befragt Jesus, aber dieser antwortet nicht, worauf Herodes ihn verspottet (Luk 23,8ff.)
• Jost Amman setzt Scipio in seiner Livius-Illustration auf einen solchen Thron in der Szene, wo er die Braut des Allucius freigibt:
Livius: Scipio war nach der Eroberung von Neukarthago eine schöne Frau als Gefangene zugefallen. Als Scipio sie nach ihrer Herkunft fragte, erfuhr er, dass sie mit Allucius, … verlobt sei. Darauf ließ der Feldherr ihre Eltern und ihren Bräutigam zu sich kommen, versicherte ihnen, dass … er ihr die Freiheit schenken wolle. Als Gegenleistung forderte er von Allucius, ein Freund des römischen Staates zu werden. Die kostbaren Geschenke, die ihm die Eltern des Mädchens angeboten hatten, wies er zurück und übergab sie dem jungen Paar als Brautgeschenk. Aulus Gellius, »Noctes atticae« VII, viii, 6 zitiert freilich einen Geschichtsschreiber, der über die Sittenhaftigkeit Scipios anders urteilt und berichtet, dass er die gefangene Jungfrau ihrem Vater nicht zurückgegeben, sondern sie für sich zu ergötzlichem Liebesspiel bei sich behalten habe. Kaum vorstellbar, dass Jost Amman diese zwei Aspekte von Scipio kannte und deshalb seinen Thron mit der zweilichtigen Gestalt der Sphinx ausstattete …
• In dieser bebilderten Bibel sitzt Saul auf einem solchen Thron; seltsamerweise die Skulptur zwischen den Beinen! Saul ist zwar Israels erster König, wird aber (1.Samuel 15) verworfen und dann auch von einen bösen Geist verstört; also auch eine etwas zwielichtige Figur.
• Hier sitzt der Bösewicht Eglon auf einem ähnlichen Thron; man könnte – weil die Graphiker dieser Bibel öfters historische Elemente verwenden – von Colorit sprechen:
Vgl. Karl-August Wirth, Artikel "Ehud und Eglon" in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IV (1956), Sp. 885–893 > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88799 Vgl. Heinz-Dieter Neef, Artikel "Eglon" > https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/16884/ • Seit der Barockzeit werden die Sphinxe gern als Ornament verwendet:
• Auf dem Titelkupfer eines ägyptologischen Buchs prangt eine Sphinx – die dann freilich im Buch selbst gar nicht vorkommt:
Richard Pococke (1704–1756) hat auf seinen Reisen in Ägypten wohl keine solche Sphinx gefunden. Sie dürfte von einer spätantiken Münze abstammen, vgl. https://ikmk.smb.museum/object?lang=de&id=18202449&view=rs Also keine mimetische Abbildung, sondern ein Ornament. • Umgekehrt: "Ent-ornamentalisierung" Hendrik Goltzius (1558–1617): Portrait des Malers Hans Bol (1534–1593)
••• Landschaft im Hintergrund – verschiedene Varianten In der mittelalterlichen Tafelmalerei gab es den Goldgrund; die Figuren waren mithin freigestellt. Dann (vgl. Giotto, Simone Martini) kamen naturalistische Ausblicke auf. ❑ Hintergrundlose Bilder findet man nur selten in Holzschnitten vor 1500.
Die Graphiker hatten einen horror vacui und füllten den Raum aus: ❑ ornamental, z.B. auf dem Zwischentitel zum Buch der Vögel im Ortus Sanitatis, Mainz: Jacob Meydenbach 1491: http://daten.digitale-sammlungen.de
❑ realistisch-bedeutsam, z.B. wenn die Heilige Ursula in Köln eintrifft. Die Stadvedute mit dem im Bau befindlichen Dom wird im Buch auch sonst präsentiert:
❑ symbolisch: In dieser Bilderbibel zeigt Jost Amman (1539–1591) den Apostel Petrus, der einem Boten einen seiner Briefe übergibt.
❑ ❑ Hier ein Beispiel für eine Minimalopposition: Das Emblem Mutuum auxilium zeigt, wie sich ein Blinder und ein Lahmer wechselseitig helfen, indem der Blinde den Lahmen auf den Rücken nimmt und dieser beiden den Weg zeigt:
Spätere Ausgaben von Alciatos Emblembuch haben diese Variante:
In demselben Emblembuch eine ähnliche Szene, wo ein Jugendlicher einen alten Mann auf dem Rücken trägt:
• Ergänzung: Die Bepflanzung am Rand im folgenden Emblem mit demselben Thema ›der Blinde und der Lahme‹ ist nicht ornamental, kein Parergon:
Das Motiv kommt in der Emblematik auch gesondert vor. Der Weinstock wird vom Lorbeerbaum gehalten; der Lorbeer bringt zwar den Menschen keine Nahrung, aber durch diese Hilfeleistung vermag der Weinstock seine Früchte hervorzubringen:
Auch hier ist die fruchttragnde Weinrebe, die sich um einen Baum rankt, kein Ornament, sondern besagt allegorisch, dass im Ehestand gegenseitige Hilfe herrschen soll:
❑ Bedeutsame Landschaft im Hintergrund einer biblischen Szene 1. Beispiel: Der Wunderbare Fischzug Petri (Luk. 5,1–11 und Joh. 21, 1–11) wird beispielsweise im 1. Drittel des 12. Jhs. so dargestellt:
In einem Plenar 1488 sieht die Szene so aus:
Konrad Witz verlegt die Szene auf dem Bild des Petrusaltars (1444) an den Genfer See: Im Hintergrund ist das Panorama erkennbar, das man vom Ufer der Stadt Genf aus sieht: Les Voirons – Le Môle – Mont Blanc – Salève. Die Landschaft ist hier nicht einfach ein beliebiger Bild-Hintergrund, sondern will vermutlich sagen: Die Wunder Jesu sind nicht historische einmalige Begebenheiten in Palästina, sondern ereignen sich immer wieder in der Gegenwart und ganz in der Nähe, hic et nunc. Wolfgang Augustyn, Fischzug, wunderbarer […], in RDK IX (1990), Sp. 305–396 Anhang: Und was bedeuten die drei Fischreiher auf dem Bild zu diesem Thema bei Raffael?
2. Beispiel: Maria und Joseph mit dem kleinen Jesus auf der Flucht nach Ägpyten (Matthäus 2,13f.) ist eine häufig dargestellte Szene. (Vgl. Wolfgang Augustyn, Flucht nach Ägypten, in: RDK
Auf dem Altarbild in der Chapelle Sainte-Apolline in Villars-sur-Glâne (Kanton Freiburg/ Schweiz) wandern die drei biblischen Gestalten an der Chapelle Sainte-Apolline vorbei:
❑ Umgekehrt: Bedeutsame biblische Szene im Vordergund eines Landschaftsbilds Von den Augsburger Künstlern Johann Wilhelm Baur und Melchior Küsel gibt es eine Reihe von Stadt(-Teil-)Ansichten aus Italien; darunter diesen Prospect der Burgen, Wasserfahl, und Vestung, eine Meyl v. Lucca:
Die Vedute zeigt den Ponte della Maddalena, auch genannt Ponte del Diavolo (Teufelsbrücke), die mittelalterliche Brücke über den Serchio. Vorne ein nebensächliches Detail, das das Landschaftsbild etwas belebt? Dann hätten die Zeichner auch zwei menschliche Fischer mit einem Hund darstellen können. Mit den Figuren vorne wird angespielt auf die Geschichte im Buch Tobie 6,1ff. : VND Tobias zoch hin / vnd ein Hündlin lieff mit jm. Vnd die erste Tagereise bleib er bey dem wasser Tygris. Vnd gieng hin / das er seine Füsse wüssche / Vnd sihe / ein grosser Fisch fuhr eraus / jn zu verschlingen. Fur dem erschrack Tobias / vnd schrey mit lauter stimme / vnd sprach / O Herr / er wil mich fressen. Vnd der Engel sprach zu jm / Ergreiff jn bey den Flosfeddern / vnd zeuch jn heraus. Vnd er zog jn auffs land / da zappelt er fur seinen füssen usw. (Lutherbibel 1545). — Hier sind die drei bereits unterwegs zum erblindeten Vater von Tobias, der dann mit der Fischgalle geheilt werden wird. Detail: Macht die Szene eventuell eine Sinn-Offerte: ›So heilt der HErr uns überall und noch heute!‹ ? ••• Bildimmanente Weiterführung eines Motivs? Dass bei der Szene von Noah und seinen drei Söhnen (Genesis 9,18–29) ein Weinstock dargestellt ist, versteht sich; das ist kein Ornament (auch kein Symbol):
Ästhetische EigendynamikMitunter ›feiert‹ die ästhetische Produktivität über das vom Bildinhalt hinaus Verlangte. Am besten wird das speziell Artifizielle erkennbar, wenn der Bildinhalt durch Text und Tradition bestimmt ist. Erstes Beispiel: Melchior Küsel illustriert 1679 die Szene aus Matthäus 9,9ff.: Jesus ist in seinem Haus (!) beim Essen; da kommen viele Zöllner und Sünder und essen zusammen mit ihm und den Jüngern:
Zweites Beispiel: Johann Ulrich Kraus illustriert die Geschichte von Susanna und den beiden Alten (Daniel Kapitel 13):
Drittes Beispiel: FALSITAS – Die Falschheit (Gottfried Eichler 1715–1770 del.)
Personifikation: Eine alte Frau mit der Maske einer jungen; mit Fischerrute (um die Fische im Wasser zu überlisten) in der Hand; begleitet von einem Panther (der mit seinem schönen Fell vortäuscht, dass er ein Raubtier ist; nach Cesare Ripa, s.v. Inganno); auch die beiden Krüge im Vordergrund werden eine Bedeutung haben. Im Hintergrund – wie immer in diesem Buch – eine exemplarische Szene. Hier: Ein Mann ersticht einen anderen.
Und die prächtige Portal-Architektur? Die Szene ist in der Bibel lokalisiert beim großen Stein in Gibeon. (Das zeichnen mehrere Illustratoren so.) G.Eichler dagegen bevorzugt immer üppige – aber bedeutungslose – architektonische Elemente.
Viertes Beispiel: • Im (zuerst in der Ausgabe Riga 1679) mit Emblemen angereicherten Buch von Johann Arndt steht dieses Bild:
• In einer späteren Ausgabe wird dem Glas mit dem Holzstab unsinnigerweise eine volle Flasche beigesellt, was die zentrale Aussage verwischt und falsche Assoziationen wecken kann. Auch die Aussicht aus dem geöffneten Vorhang ist reines Parergon:
Mittelalterliche Bauplastik
Von der ästhetischen Leistung über Ornament zum Symbol: Das Kapitell hat die ästhetische Aufgabe, nach unten zum runden Pfeilerschaft hin das Lasten, und nach oben – über den viereckigen Kämpfer – zum Gewölbe hin das Sich-Entfalten auszudrücken. Die primitivste Form ist das sog. Würfelkapitell: Im korinthischen Kapitell wächst der Akanthus aus dem runden Säulenschaft; die ›Helix‹ betont den Knauf / die Ecke oben unter dem quadratischen Kämpfer; und die Rose betont die Mitte. Solche Kapitelle wurden auch (ohne antike Vorlage?) im Mittellalter gemeisselt:
Mit dem Bild einer doppelschwänzigen Sirene gelingt es, den Kopf an die Stelle des Knaufs und die beiden Schwänze in die Fläche zu legen; die ästhetische Aufgabe ist perfekt erfüllt:
Derselbe Effekt entsteht auch, wenn der Kopf an der Stelle der korinthischen Rose steht und die Schwänze quasi die Helix bilden:
Ein zeitgenössischer Betrachter konnte freilich die aus dem »Physiologus« bekannte Symbolik der Sirenen assoziieren:
Auch diese Figur eines Löwen mit éinem Kopf und zwei Leibern (Großmünster Zürich, Portal) ist wohl kein ›Symbol für die Überwindung der Gegensätze‹, sondern dient der Ästhetik: Bernhard von Clairvaux († 1153) ärgert sich in seinem Brief »Apologia ad Guillelmum Abbatem« ¶ 29, über solche entstellte Gestalten (wie sie die Cluniazenser in ihren Kirchen haben), ohne ihnen indessen eine symbolische Deutung zu unterstellen: Videas sub uno capite multa corpora, et rursus in uno corpore capita multa. ≈ Hier kann man unter einem Kopf viele Leiber sehen, dort wieder auf einem Körper viele Köpfe. Darstellungen am Rand: • Beispiel: Kapitelle im Kreuzgang des Zürcher Großmünsters (um 1200). Aquatintablätter von Franz Hegi (1774–1850) in: Anton Salomon Vögelin, Der Kreuzgang beim Großen Münster in Zürich in: Mittheilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Erster Band Zürich, in Commission bei Meyer und Zeller [1841]. Im unteren Teil ist dargestellt: Delila schneidet dem Simson die 7 Locken ab (Richter 16, 4–20).
Aber was ist oben dargestellt? Wie bei den Buchseiten steht das phantasievolle Bild am Rand. Und auf anderen Kapitellen wie hier ? Hier sind wir schon bei den Drôlerien.
Vom Symbolbild zum (Pseudo-)Ornament Beim mittelalterlichen Kunstbetrieb ist stets mit Depravierungen* einer ursprünglich formal gut ausgebildeten Gestalt zu rechnen; Umformungen ins stilistisch Schlichtere, vom Realistischen ins Ornamentale über mehrere Stufen hinweg können weit vom urspünglichen Original fortführen. Schön hat das Zygmunt Swiechowski (1920–2015) aufgezeigt an einer Reihe von Darstellungen des letzten Abendmahls auf Kapitellen. *) Damit soll keinesweges die unselige ›Theorie des gesunkenen Kulturguts‹ von Hans Naumann (1886–1951) repristiniert werden.
Ornamentale DrôlerienIn vielen Fällen kann man kaum eine Symbolik zuordnen: AquamanileAquamanile bereits aus ottonischer Zeit, hier ein Beispiel aus dem Louvre: GargouilleDie spätgotischen Wasserspeier (frz. gargouille) an den Außenwänden von Kathedralen Hier aufgenommen von Eugène Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle (1854–68): Wasserkännelan Brunnen, hier aus Vitruvius, Des aller namhafftigisten unnd hocherfahrnesten/ Römischen Architecti/ unnd kunstreichen Werck oder Bawmeisters/ Marci Vitruvij Pollionis/ Zehen Bücher von der Architectur und künstlichem Bawen. ... Erstmals verteutscht/ unnd in Truck verordnet. Durch/ D. Gualtherum H. Rivium .... - Basel: Henricpetri [1614] MiserikordienAn den aufklappbaren Sitzbrettern in (bes. gotischen) Chorgestühlen waren kleine Stützen angebracht, die den während der Messe lange Zeit zum Stehen verpflichteten Mönchen eine behelfsmäßige Sitzgelegenheit boten. — Auf der Unterseite finden sich aus Holz gefertigte Plastiken, nur selten erbaulichen, eher humorvollen Inhalts. Aus St Laurence’s Church in Ludlow (Shropshire) Christa Grössinger, The World Upside Down: English misericords. London: Harvey Miller 1997. Songes drolatiques – pour la recreation des bons espritsDie Zeichnungen von François Desprez (1525–1580) in: Les Songes drolatiques de Pantagruel, ou sont contenues plusieurs figures de l’invention de maistre François Rabelais: & derniere oeuvre d’iceluy, pour la recreation des bons esprits. A Paris : Par Richard Breton 1565. Digitalisat des ganzen Buchs > http://diglib.hab.de/drucke/39-geom/start.htm Der Verleger Breton überließ in seinem Vorwort die Erklärung (declarer le sens mistique ou allegorique) der Holzschnitte dem Leser: celuy qui sera resuer de son naturel y trouuera dequoy resuer [rêver] … pour les bigaretez [Buntscheckigkeiten] qui y sont contenues. Die Inventionen würden sich auch für Maskeraden eignen … – Die gelehrten Kommentatoren im 19.Jh. versuchten diese Phantasiegestalten dann ernsthaft zu identifizieren, teils mit Figuren in Rabelais’ Text, teils mit zeitgenössischen lebenden Personen (z.B. Papst Julius II.) GroteskenEs gibt Publikationen, in denen die Bilder explizit als rein ornamental verstanden werden wollen, gleichsam autopoietisch erzeugt. Sie blühen in der Epoche des sog. ›Manierismus‹. Ein Meister war Hans Sebald Beham (1500–1550):
Ein ProblemfallVon Antonio Lombardo († 1516) stammen die Entwürfe für ein Grab (eine Tumba = freistehendes Hochgrab) des Kardinaldiakons Giovanni Battista Zen[o] († 1501) in San Marco in Venedig. (Es soll 1519 fertiggestellt worden sein.)
Auf den viereckigen Schilden sind eindeutig Ornamente angebracht: weibliche Gestalten, die aus Blattranken herauswachsen, frontal gezeigt, mit symmetrisch ausgebreiteten Armen usw., wie wir sie aus der zeitgenössischen Kunst kennen. Die Tumba ist umgeben von sechs weiblichen Figuren, die mit ihren erhobenen Armen nichts stützen, in der anderen Hand das Gewand halten. (Die nordöstlichen Figur hält ein undefinierbares Gebilde). In den Kunstführern werden diese Gestalten meistens als "Allegorien der Tugenden" bezeichnet. Das kann aber nicht stimmen, denn die Tugenden treten immer zu siebent auf, und sie halten entsprechende Attribute in der Hand. Beispiel:
Bertrand Jestaz, La chapelle Zen à Saint-Marc de Venise, d'Antonio à Tullio Lombardo, Wiesbaden/Stuttgart: Steiner 1986, (S. 142–160) kommt zum Schluss: C'est par pure convention qu'on en parle comme de "Vertus". (S.143) FormalesKünstlerisch wertvolle unsymbolische Ornamente erscheinen vom 15. Jh. an, besonders üppig in der Spätantike, im Manierismus, Rokoko, im Jugendstil – auf Schmuckstücken, Gewändern, Vasen, Pokalen, Tafelaufsätzen, Bucheinbänden, Waffen, Möbeln, Friesen, Portalen, Säulen, Gewölben, Chorgittern, usw. Ornamente zeigen gerne den Trägergrund flächenfüllend; sie erzeugen i.d.R. keinen tiefenräumlichen Eindruck. Sie tendieren zu rhythmischer Wiederholung und Symmetrie. (Dies sind aber keine Definitionsmerkmale.)
Auffallend ist, dass in der Ornamentik viele Kompositwesen vorkommen – die man aber unterscheiden muss von (a) für realistisch gehaltenen ›Monstren‹ (z.B. bei Conrad Lycosthenes) und von (b) mythologisch-/symbolischen Wesen (z.B. äygptische Gottheiten). – Kompositwesen sind künstlerisch attraktiv und haben immer auch ein bisschen das Flair des Marginalen und Interessanten...
Versteckte Symbolik bei scheinbar OrnamentalemDie ›Zickzack-Linie‹ scheint rein ornamental zu sein, hat aber wahrscheinlich eine Bedeutung. Vgl. hier zu den ausfürhlichen Aufsatz von Andreas Hebestreit: »Ursprünge des Ornaments. Zur Genealogie einer Symbolform« auf der Subsite hier ! Mittelalterliche Polemik gegen (ornamentale) bildliche Darstellungen
❑ Bernhard von Clairvaux (* um 1090; † 1153, »Apologia ad Guillelmum Abbatem« (nach 1117)
in: Sämtliche Werke, lateinisch/deutsch, [aufgrund der Ausgabe von Jean Leclercq und H. Rochais, Rom 1957–1977], hg. Gerhard B. Winkler u.a., Innsbruck: Tyrolia 1990ff, Band 11, S. 137–204 (auch in Patrologia Latina 182, 526–540)
❑ »Pictor in Carmine« (um 1200)
Lat. Text aus: Pictor in Carmine. Ein typologisches Handbuch aus dem 12. Jahrhundert. Nach der Handschrift des Corpus Christi College in Cambridge, Ms 300; hg. von Karl-August Wirth, Gebrüder Mann Verlag 2006 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, Band 17). Der englische Text aus: M. R. James, ed. in: Archaeologia, Volume 94 (1951), pp. 141–166. Symbol — Ornament — Zeugnis des göttlichen SchöpfersIm Focus steht hier das Werk von Joris Hoefnagel (1542–1600), der – teils zusammen mit seinem Sohn Jacob (1573 – ca. 1632/35) – viele Bildwerke schuf; teils als Unikate (in Aquarellmalerei), teils als Kupferstich ediert. Im aktuellen Zusammenhang ist das Werk von Interesse, weil es • teils rein ornamentale Elemente enthält, • teils ikonographisch / emblematisch verweisende, und • teils solche, die rein abbildende Funktion haben. (Diese ••• Typen entsprechen nicht den im folgenden mit (a) – (d) gennannten Werke, sondern lassen sich querdurch finden.) Eine wunderbare ›Gemenge-Lage‹. Darstellung mit Nachweis von Quellen und Interpretationen: Thea Wilberg Vignau-Schuurman, Die Emblematischen Elemente im Werke Joris Hoefnagels, Leiden: Universitaire Pers 1969 (2 Bände). — Eine umfassende Würdigung der Werke: Thea Vignau-Wilberg, Joris and Jacob Hoefnagel. Kunst und Wissenschaft um 166, Berlin: Hatje Cantz 2017. — Vgl. die unten ad hoc genannten Studien.
(a) Missale Romanum, ÖNB Codex 1784 (entstanden 1581–1588; einzelne Blätter sind datiert, z.B. 1586)
(b) Georg Bocskay (1510–1575) gestaltete zwei Schriftmusterbücher, die dann von Joris Hoefnagel illustriert wurden: — Schiftmusterbuch im Kunsthistorischen Museum Wien, Kunstkammer, Inv.-Nr. 975 (illustriert 1591–1594) • Als Beispiel daraus Fol. 85 (Ausschnitt; Kommentar a.a.O. 1969, Band I, § 395)
• Aus demselben Codex Fol. 14 (vgl. 1969, Band I, § 309ff.): Eine Gemengelage von zum Inhalt passender Illustration und Ornament. Der von Bocskay vorgegebene Text beginnt mit einem Zitat aus Augustinus, »De doctrina Christiana« IV,5: Sicut sumenda sunt amara salubria, ita semper uitanda est perniciosa dulcedo. ≈ Wie man aber oft auch ein bitteres Heilmittel nehmen muß, so muß man auch immer eine verderbliche Süßigkeit meiden. (Die Fortsetzung stammt wahrscheinlich aus einem Predigttext.) — Der Text endet mit einem Zitat von Hieronymus (in Josue præfatio): hoc idem litteris flagitet, et nos ad patriam festinantes, mortiferos sirenarum cantus surda debeamus aure transire. Hier sind todbringenden Gesänge der Sirenen genannt, vor denen wir zum Vaterland Eilende mit tauben Ohren vorbeigehen sollen. In der Bandrole oben: homo <in der Vorlage: vir> fugiens non moratur lyrae strepitum ≈ Ein Mann, der zu entgehen sucht, achtet nicht auf das Klingen einer Lyra (Erasmus Adagia I, x, 38) Erasmus, Adagia heutzutage bequem zugänglich in der lateinisch-deutschen Gesamtübersetzung von Claude-Eric Descœudres, Basel: Schwabe Verlag 2012. Unten: Johannes 11, 25 Ego sum resurrectio et vita: qui credit in me, etiam si mortuus fuerit, vivet. et omnis qui vivit et credit in me, non morietur in aeternum. 1. Korinther 10,32 (in Erasmus’ Übersetzung 1516?) Tales estote, ut nullum praebeatis offendiculum. neque iudeis neque grecis ecclesiae dei. * In der Kartusche prägnent ein Leier spielendes Meerweib und ein an einer Klippe zerborstenes Schiff (sowie weitere dazu passende realistisch dargestellte Details). Das erinnert an Odysseus, der sich die Ohren verstopft, um vom Gesang der Sirenen nicht betört zu werden und Schiffbruch zu erleiden usw. (Homer, Odyssee, 12. Buch). Das Vorbeifahren an den Sirenes voluptatis wurde oft allegorisch ausgelegt (a.a.O .§ 312ff.). * Die Umrahmung: zwei phantastische Figuren, halb Fisch, halb Frau, mit Attributen (Tamburin, Spiegel, Haarsträhnen): ins Smbolische übergehendes Ornament.
— »Mira Calligraphiae Monumenta« (1561/62; von Hoefnagel 1592–1596 illustiert) mit einem Anhang: das Alphabet; aufbewahrt im J. Paul Getty Museum
(c) Joris Hoefnagel fertigte (1591–1599; Vorläufer bereits 1575?) eine Serie von nach den vier Elementen gegliederten Tierdarstellungen an: Ignis: Animalia rationalia et insecta Online-Edition > National Gallery of Art Washington; Gift of Mrs. Lessing J. Rosenwald Hier als Beispiel aus Animalia aquatilia et cochiliata, Tafel 13:
Das Entscheidende ist indessen nicht, woher Hoefnagel die Vorlagen hat, sondern (wie bei Gessner; in der Quellenangabe fett hervorgehoben), dass hier ein physikotheologisches Interesse an der präzisen Darstellung erkennbar ist. Diese Bewegung (wiederum Gessner:) – den schöpffer durch die geschöpfft lernen erkennen – beginnt in der zweiten Hälfte des 16.Jhs. die Naturwissenschaft zu beflügeln: Je präziser ein Geschöpf erkundet wird, desto mehr erkennt man die Weisheit seines Schöpfers. Genaue Naturbeobachtung und realistische Darstellung ist nicht (nur) ein stilgeschichtliches Phänomen ("trompe l’œil"), sondern beruht auf dem Konzept, dass "die lebendige Natur als Manifestation der Allmacht und Güte Gottes betrachtet wird." (Thea Vignau-Wilberg a.a.O. 1994, S.32). Das Verhältnis von Geschöpf zum Schöpfer ist kein symbolisches, sondern zeichentheoretisch als "symptom-haft" zu charakterisieren (in der Terminologie von Ch.S.Peirce: Index). Im Missale (a) = ÖNB Codex 1784 Fol. 402recte sind illusionistisch gemalt: zwei Pflanzen und fünf Insekten und eine Schnecke; in der Kartusche steht, dass alle Kreaturen den Namen des HErrn loben:
Derselbe Text in (d) = Archetypa, Tafel IV,12 Literatur: Marjorie Lee Hendrix, Joris Hoefnagel and the Four Elements: A Study in Sixteenth-century Nature Painting, Diss. Princeton University, 1984. (d) Joris und Jacob Hoefnagel publizieren 1592 eine Kupferstich-Folge von vier mal 12 Bildtafeln mit sehr präzisen Darstellungen von Pflanzen, Insekten und auch einigen Weich- und Wirbeltieren. Seltsamerweise sind diese nicht mit ihren Namen angeschrieben, sondern die Tafeln enthalten jeweils ein Motto und eine Subscriptio wie ein Emblem.
Hier als Beispiel die Tafel IV,3:
Auch in dieser Publikation stehen viele Texte, die den Schöpfer in den kleinsten Kreaturen loben, beispielsweise bei Tafel I,1: Sprechet zu Gott: Wie wunderbar sind Deine Werke! (Psalm 65 [Vg.],3). — Bei Tafel III,9: […] ex operibus manducti admiremur artificem (lasst uns, durch die Werke geleitet, den Werkmeister bewundern!) Hermeneutischer ExkursDas hier Skizzierte hat eine philosophische Dimension in der Erkenntistheorie, die – im Gegensatz zu einem naiven Sensualismus – das Zusammenwirken von sinnlichen und kategorialen (in der Terminologie von Husserl) oder hyletischen und noetischen (Cassirer, Symbol. Formen III, 232ff.) Komponenten postuliert. Je nach der Vorgabe des Betrachtenden wird derselbe Linienzug (nicht zufällig wählen wir den von W. Hogarth in »Analysis of Beauty«) aufgefasst als Ausdruck von etwas • Ornamentalem • Physiognomischem (z.B. eine Körperform) • Mathematisch-Gesetzlichen (Relationen in zweidimensionaler Darstellung z.B. Sinuskurve der Tageslängen im Lauf des Jahrs). So wird ›die Bedeutung‹ erzeugt einerseits durch formale Angebote des Bilds, anderseits durch Vorgaben des Verfertigenden / Betrachtenden und deren Wissen. Hinweise zur Suche
Eine Deutung sollte immer auf einer möglichst zeitgenössischen Quelle beruhen, nicht auf vagen Vermutungen. Zur Deutung von Bildern, bei denen man eine Symbolik vermutet, denen aber keine Erklärung beigegeben ist, … • zieht man ähnliche Bilder aus dem zeitgenössischen Umfeld bei, die eine Beschreibung enthalten (z.B. aus Emblembüchern, Bilderbibeln); • versucht man – wenn man durch Erkunden des einschlägigen Wortfelds ein erfolgverheißendes Such-Wort errät – in damaligen Lexika oder Kommentarwerken Deutungen aufzutreiben: Beizug von Bild-Text-Verbünden in Enzyklopädien, Bestiarien, illustrierten Bibeln, mythologischen Handbüchern, Emblembüchern usw. (vgl. die Quellenübersicht hier und hier und hier: RDK). • Dabei gibt es nähere oder weitere Bezüge (sind klassisch-antike Quellen denkbar oder christliche mit dem Hintergrund der patristisch-mittelalterlichen Bibelauslegung?) • Dabei ist der Kontext des zu deutenden Bilds einzubeziehen (Ort, wo das Bild angebracht ist, Verwendungszusammenhang, soziale Funktion). • Schwer herauszufinden ist, ob der Auftraggeber die symbolische Deutung kannte; man kann aber unterstellen, dass ›gebildete‹ Betrachter eine solche assoziierten. • Mitunter ist nicht offensichtlich, dass ein realistisch dargestelltes Bildelement symbolisch gemeint ist; die Bedeutung kann aber auch verdeckt oder versteckt sein: »Concealed or disguised symbolism«. (Panofsky). • Je mehr man als Interpret weiss und in Quellen findet, desto wahrscheinlicher wird die Deutung eines (vorderhand als Ornament angenommenen) Details als bedeutungstragend, symbolisch.... Freilich ist immer zu bedenken, was Albrecht Dürer schrieb:
Generelle Literaturhinweise(in chronologischer Folge) • Owen Jones (1809–1874) Grammar of Ornament. Illustrated by Examples from Various Styles of Ornament. One Hundred Folio Plates. London: Day & Son (1856) ders., Grammatik der Ornamente, illustriert mit Mustern von den verschiedenen Stylarten der Ornamente in hundert und zwölf Tafeln, 4°, London: Day & Son / Leipzig [o.J.]. • Albert Fidelis Butsch, Die Bücherornamentik der Renaissance. Eine Auswahl stylvoller Titeleinfassungen, Initialen, Leisten, Vignetten und Druckerzeichen hervorragender italienischer, deutscher u. französischer Officinen aus der Zeit der Frührenaissance, Leipzig: Hirth 1878. • Alfred Lichtwark, Der Ornamentstich der deutschen Frührenaissance nach seinem sachlichen Inhalt, Berlin: Weidmann 1888. • Hans Wolff, Die Buchornamentik im 15. und 16. Jahrhundert (= Monographien des Buchgewerbes 5). 2 Bände, Verlag des Deutschen Buchgewerbevereins, Leipzig 1911/13. • Erwin Panofsky, Early Netherlandish Painting, 2. Auflage, Cambridge / Mass. 1964, darin S. 140ff.: »Concealed or disguised symbolism« • Rudolf Berliner, Ornamentale Vorlageblätter des 15. bis 18. Jahrhunderts [Textband plus 22 Mappen], Leipzig: Klinkhardt & Biermann Verlag 1925/26. – 2., wesentl. erw. Aufl. zusammen mit Gerhart Egger 1981. — 1710 Illustrationen bis zum Jugendstil ! • Peter Meyer, Das Ornament in der Kunstgeschichte. Seine Bedeutung und Entwicklung, Zürich: Schweizer Spiegel Verlag 1944. [85 Seiten] • Rosy Schilling (1888–1971), Artikel "Drolerie" in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IV (1955), Sp. 567–588 > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89042 • Günter Bandmann, Ikonologie des Ornaments und der Dekoration, in: Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 4/1958–1959, S. 232–258. Jurgis Baltrušaitis, Réveils et Prodiges. Le Gothique Fantastique, Paris: Colin 1960. • Lilian M. C. Randall, Images in the Margins of Gothic Manuscripts, Berkeley 1966. — Ca. 250 Handschriften verschiedener Thematik gesichtet; 739 Bilder abgedruckt; Motiv-Register auf 190 Folioseiten. — Nur fehlen leider die Kontextualisierungen der Bilder auf den Seiten der Handschriften. • Carsten-Peter Warncke, Die ornamentale Groteske in Deutschland 1500–1650, Berlin: V.Spiess 1979 (Quellen und Schriften zur bildenden Kunst Band 6); 2 Bände. — Vorzügliche Einleitung; 1’301 Bildbeispiele. • Janet S. Byrne, Renaissance Ornament Prints and Drawings, Metropolitan Museum of Arts 1981. • Christine Jakobi-Mirwald, Text – Buchstabe – Bild. Studien zur historisierten Initiale im 8. und 9. Jahrhundert, Berlin: Reimer 1998. • Isabelle Frank / Freia Hartung (Hgg.), Die Rhetorik des Ornaments, München 2001. (14 Aufsätze; Digitalisat hier) • Christof Metzger, Daniel Hopfer – ein Augsburger Meister der Renaissance: Eisenradierungen, Holzschnitte, Zeichnungen, Waffenätzungen, München 2009. • Anna Degler, Parergon. Attribut, Material und Fragment in der Bildästhetik des Quattrocento, Brill / Fink 2015. (324 S.; mit ausführlicher Diskussion des Theoriediskurses seit der Antike)
• Ein weiterer Fall ist auf unserer Website besprochen. Erste Fassung online im Juni 2020; letzte Ergänzungen November 2023 — PM Dank an Andreas M. in. B. für viele Hinweise!
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