Typologie

Ereignisse des Neuen Testaments als Erfüllungen von Prophetien im Alten Testament

Inhaltsübersicht:

 

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 Einleitung

◈◈ Wortprophetien und Realprophetien

◈◈ Beispiele mit genauen biblischen Text-Bezügen

◈◈ Bedingungen für diese Denkform

◈◈ Metaphern – Personifikationen – sprachl. Ausdrücke für das Verhältnis

◈◈ Wie wird der Bezug hergestellt?

◈◈ Funktionen

◈◈ Bild-Programme (Biblia Pauperum; Heilsspiegel; Concordantia Caritatis u.a.)

◈◈ Ausserbiblische Parallelen

◈◈ Typologischer Hinweis in einer zweiten Bild-Ebene

◈◈ Auf den Schultern der Propheten

◈◈ Gesetz und Gnade gegenübergestellt

◈◈ Synagoge und Ecclesia

◈◈ Verwandte Formen

◈◈ Applikation auf profane Herrscher

◈◈ Literaturhinweise

 

 

Einleitung

Typologie‹ ist ein moderner (aus dem 18.Jh. stammender) Terminus. Er bezeichnet eine Denkform (mit dem Terminus von Hans Leisegang) bei der Betrachtung von Ereignissen der Heilsgeschichte. Die Typologie nimmt historische Ereignisse / Personen / Einrichtungen zum Ausgangspunkt der Betrachtung. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen zwei zeitlich auseinanderliegenden, aber in der Figuration ähnlichen Ereignissen usw. her, welche durch die entscheidende christliche Zeitenwende, die Inkarnation getrennt sind.

Beim typologischen Verfahren handelt es sich um eine Art des Umgangs mit einem Vorgängertext aus der Sicht einer Religionsstufe, welche diesen überwunden glaubt, aber doch benötigt. Die Offenbarung sowohl zu bewahren, sie aber für die Gegenwart zu transformieren, das ist grundsätzlich der ständige Anspruch an die biblische Hermeneutik.

Das Ereignis aus dem Alten Testament*, der typos oder die figura, gilt als Prophetie des analogen Ereignisses im Neuen Testament, des antitypos. Im NT Ereignis wird die AT Verheißung erfüllt. Die Erfüllung im christlichen Äon wird heilsgeschichtlich als höher bewertet, was indessen nicht heißt, daß dem AT Geschehnis etwas an seiner Historizität abginge. So werden die beiden Testamente einerseits aufeinander bezogen, anderseits voneinander abgehoben – man könnte schlagwortartig von ›gesteigerter Rekapitulation‹ sprechen. (Zu unterscheiden von ›Renaissance‹!)

*) Es heisst gelegentlich, den Ausdruck ›Altes Testament‹ dürfe man nicht mehr verwenden, das sei christozentrisch oder gar antisemitisch; man spreche korrekter vom ›Tenak / Tanach‹. (Ein nicht besonders aufschlussreiches Akronym: Tora [5 Bücher Moses] – Nebiim [die Prophenten] – Ketubim [›Schriften‹, d.h alles andere in der Bibel...]) — Die Bezeichnung "übrige Schriften" erscheint das erste Mal bei Rabban Gamaliel II. (um 90 u.Z.), vgl. Hermann Strack / Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 6 Bde., München 1922ff; 16. Exkurs = Band IV/1 (1928), S.417.

Immerhin spricht der Prophet Jeremia (31,31) selbst von einem neuen Bund und setzt damit voraus, dass er selbst im alten lebt. (Siehe unten)

Man muss dieses Geschichtsbild dialektisch denken. Einerseits gilt, dass die Heilsgeschichte keine Sprünge macht; das Heil ereignet sich in einem Zeitkontinuum; Gottes Gnadengaben sind unkündbar (Röm 11,29). Anderseits gilt, daß die Situation qualitativ umgeschlagen ist; die Inkarnation bedeutet eine Diskontinuität.

Die Vorstellung eines sinnhaft gerichteten Ablaufs lässt es verständlich werden, dass sich der göttliche Plan zu Zeiten prophetisch offenbart und dann solche Verheissungen als Geschehen manifest werden. Das geschichtsmächtige Wirksamsein Gottes macht aber auch alleswendende Zeitenbrüche denkbar.

Typologie meint gleichzeitig: Parallelisierung und polare Entgegensetzung. Wenn Matthäus Jesus sagen läßt: Ich bin nicht gekommen, [das Gesetz oder die Propheten] außer Kraft zu setzen, sondern zu erfüllen (Mt 5,17), so enthält dieser lapidare Satz dialektisch beide Aspekte.

Die Überbietung des Alten durch das Neue kann – das ergibt sich zwingend aus dem Geschichtsdreischritt im Überlagerungsmodell – zwei Aspekte haben:

  • Einerseits steht das Alte zum Neuen wie der Positiv zum Superlativ — so zum Beispiel Gottes Heilstaten in der Wüste (Durchzug durchs Meer: Exodus 14,21f.; Manna: Exodus 16,4.; 14–18; Wasser aus dem Felsen: Numeri 20,7–13) und jetzt nach dem Erscheinen Christi (1. Kor. 10,1ff.).
  • Anderseits gibt es das Umkippen in die Antithese, wie zum Beispiel bei der Gestalt Adams, der die Sünde in die Welt gebracht hat zu derjenigen Christi, der sie getilgt hat (Röm. 5,12ff.).

Anhang: Spezialfälle im Umgang mit dem AT:

Markion (Mitte des 2.Jahrhunderts) verwarf das AT gänzlich. Im AT glaubte er den Gott der unbarmherzigen Gerechtigkeit mit seinen Launen, seinem Zorn, seinen Selbstwidersprüchen und seiner Parteilichkeit dokumentiert, der durch das Kommen des guten Gottes endgültig ausser Kraft gesetzt worden ist. So hat er das ganze AT en bloc durch Athetese getilgt. — Vgl. Adolf Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott, 2. Aufl. Leipzig 1924.

Im Barnabasbrief (erstes Drittel des 1. Jahrhunderts) werden die AT Gebote allegorisch ausgelegt. Beispie:l Schweinefleisch nicht essen dürfen (Leviticus 11) meint: nicht mit Leuten verkehren, die den Schweinen ähnlich sind;

Brief des Clemens von Rom an die Korinther (um 96 verfasst) verwendet das AT zu moralischer Unterweisung; so ist z.B. die Dirne Raab wegen der Beherbergung der Kundschafter (Jes 2) ein Beispiel für Gastfreundschaft.

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Wortprophetien und Realprophetien

Tertullian schreibt: Scimus autem sicut et vocibus ita et rebus prophetatum, tam dictis quam et factis praedicatur resurrectio (»De carnis resurrectione« 28; Patrologia Latina Bd. 2, Sp.835): Wir wissen, dass prophezeit wird mittels Sprache wie mittels Ereignissen. Sowohl in Worten als auch durch Geschehenes wird die Auferstehung verkündigt.

Wortprophetien:

••• Sacharja 9,9 heißt es, das der Friedenskönig auf einer Eselin reiten werde — das tut Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem (Matthäus 21,5), damit das Schriftwort in Erfüllung geht. 

Johann Jakob von Sandrart (Zeichner) und Elias Porcelius (Holzschneider) zeigen in Gantz neue Biblische Bilder-Ergötzung, Nürnberg, Endter, [ca.1700]  den Propheten, der auf die Szene des Einzugs hinweist; diese ist in einer Wolke extradiegetisch (nach der Terminologie von G.Genette) dargestellt.

Und so sieht der Einzug Jesu in Jerusalem dann aus:

Holzschnitt von Virgil Solis (1514–1562), zuerst in der Lutherbibel Frankfurt 1560.

Realprophetien:

Als Praefigurationen werden auch Ereignisse / Personen / Einrichtungen ohne explizite Vorausdeutung in Betracht gezogen. Matthäus 12,40 wird die dreitägige Grabesruhe Christi mit dem dreitägigen Aufenthalt von Jona im Bauch des Fisches (Jona 2,1) parallelisiert:

Konrad von Würzburg († 1287), »Goldene Schmiede«, Verse 1616ff.

Ein visch genant ist cete, [Wal]
der sunder alle mâsen
[~ ohne ihn zu verwunden]
in sich verslant Jonasen:
bi dem ist uns bezeichenheit
von Jesu Cristo für geleit,
wand er verslicket wart alsam.
[ebenso]
in slant daz ertrich unde nam
mit libe und ouch mit herzen,
so daz deheinen
[keinen] smerzen
die gotheit davon nie gewan.
alsam der groze visch den man
dri tage in sinem libe dans,
[< dinsen = gewaltsam tragen]
daz in verserte nie sin grans:
[Rüssel, Maul]
sich frouwe
[Maria ist angesprochen], also beleip [blieb] din kint
zwo nahte an allez underbint
[~ ohne Pause]
in dem ertrich und gesunt…

Die Salzburger ›Armenbibel‹ (ca. 1360/70) visualisiert die beiden Szenen (nebst anderen) nebeneinander:

Sepultura domini — Nautę . Jonas [Grablegung des Herren — Seeleute . Jonas]

Resurrectio domini – Jonas [Auferstehung — Jonas]

[Ausschnitte, mehr dazu unten]

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Beispiele mit genauen biblischen Text-Bezügen

typos, figura antitypos

Genesis 2,7: Der erste Mensch (Adam) ist aus Erde geformt.

Der zweite Mensch (Christus) stammt aus dem Himmel (1. Kor. 45ff.) und hebt die Sünden auf (Röm.5, 12ff.).

Genesis 6–8: Die Arche Noahs rettet wenige vor der Flut.

Das Gegenbild der Arche ist die Taufe (1. Petr. 3,20f.): Das Untertauchen des Täuflings im Wasser rettet diesen jetzt, so wie Noah damals gerettet wurde

Genesis 14,18: Melchisedek bringt Brot und Wein.

Jesus ist Priester nach der Ordnung des M. (Hebr. 5,6 und 7,1ff.); Abendmahl (1.Kor. 11,23–25)

Genesis 17,11: Die Beschneidung als Zeichen des Bundes

Die wahre Beschneidung ist die des Herzens im Geist (Römer 2, 29) Ø

Genesis 22,6: Abraham soll seinen einzigen Sohn Isaak opfern; dieser trägt das Holz. (hebr. aqeda ≈ Bindung)

Kreuztragung Jesu (Joh. 19,17 || Matth. 27,31f. || Mark. 15,20f. || Luk. 23,26–32)
Exodus 12,7.13: Die mit dem Blut des Passah-Lamms bestrichenen Türpfosten beschützen die Israeliten. Christus ist das Passah-Lamm (1.Kor. 5,7); das Lamm, das die Sünden der Welt tilgt (Joh. 1,2)
den ungesäuerten Teig wegtun (Exodus 12,15) die menschliche Seele mit ihrem Sollen (1. Kor. 5,7) Ø
Exodus 16,4ff. Manna in der Wüste Das Brot des Lebens für die Gläubigen (Joh. 6,31 und 51)
Exodus 17,6: Moses schlägt Wasser aus dem Felsen; vgl. Numeri 20,8. sie tranken aus einem geistlichen Felsen der Fels war Christus (1.Kor. 10,4)
Exodus 17,9ff.: Moses betet mit ausgebreiteten Armen und rettet so das Volk. Jesus am Kreuz
Exodus 34,33ff.: Moses legt eine Decke auf sein strahlendes Angesicht Die Decke ist abgenommen worden (2.Kor. 3,16)
Numeri 21,8f.: Moses richtet die eherne Schlange auf; wer sie anschaut, bleibt am Leben Jesus am Kreuz (die AT Stelle wird Joh. 3,14 zitiert: Wie Moses die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben erhält.)
1. Könige 10: Die Königin von Saba kommt zu König Salomo Hier ist mehr als Salomo! (Matth.12,42)
Psalm 22 [MT],19: ›Sie teilen meine Kleider unter sich.‹ Die Soldaten teilen die Kleider Jesu unter sich auf (Joh. 19,23f.)
Psalm 69 [MT],22: ›Für den Durst reichten sie mir Essig.‹ Jesus wird ein Schwamm mit Essig gereicht (Matth. 27,48 || Jo. 19,29).
Jesaia 61,1f. Gefangene befreien usw. Heute ist diese Schriftstelle in Erfüllung gegangen (Luk. 16,21)
Jesaia 71,4: Jungfrau gebiert Immanuel Jungfrau gebiert Immanuel (Matth. 1,22f.)
Jesaia 53,7: Der Gottesknecht wird wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt und tut seinen Mund nicht auf. Apostelgesch. 8,30ff. (vgl. unten); Joh. 1,29.
Joel 3,1–5: Die Prophetie der Ausgießung des Geistes Pfingstwunder (Apostelgesch. 2,14ff.)
Hosea 11,1: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. Das Wort geht in Erfüllung: Flucht nach Ägypten (Matth. 2,14f.)
Jona 2,1: Jona wird vom Fisch verschlungen und ist drei Tage und Nächte im Bauch. Matth. 12,40: So wird der Menschensohn drei Tage und Nächte im Schoß der Erde sein (mit Zitat der AT Stelle)
Micha 5,2ff.: Aus Betlehem soll hervorgehen der Herrscher Israels.

Luk. 2,4: Geburt Jesu in Betlehem (vgl. unten)

Sacharia 9,9: Der Friedenskönig wird auf einer Eselin reiten.

Matth. 21,ff. Jesus reitet auf einer Eselin in Jerusalem ein (mit Zitat der AT Stelle)

(das ganze AT) Es muss alles zur Erfüllung kommen, was im mosaischen Gesetz und in den Propheten und Psalmen über mich geschrieben ist. (Lukas 24,44; vgl. Joh. 5,46)

Ø Spirituelle Größen: Es kommen nicht nur konkrete Aussprüche oder faktische Ereignisse in Betracht. Origenes schreibt einmal: Man darf nicht meinen, Historisches sei Typ für andere Ereignisse historischer Ordnung, und körperhafte (sinnenhafte) Vorgänge seien Typ für wiederum Körperhaftes. Sondern das Körperhafte ist Typ für Pneumatisches und das Historische ist Typ für Geistiges (Johanneskommentar X 18).

In der Tabelle oben sind nur Typologien aufgelistet, bei denen der NT Text den Verweis expizit benennt. In der Exegese, Predigt, Erbauungsliteratur wie auch in Rechtfertigungsstrategien für pragmatisches Handeln wurden von den Kirchenvätern und den mittelalterlichen bis barocken Theologen viele typologische Parallelen gefunden (und auch kreiert) und ausgedeutet.

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Bedingungen für diese Denkform

Geschichtskonzept: Treue Gottes / Zeitenwende

Basis ist ein teleologisches Geschichtskonzept. Der Geschichtsverlauf wird durch fortgesetzt einfallendes Gotteswort in Bewegung gehalten und einem gottgesetzten Ziel zugeführt. Das Heil ereignet sich in einem Zeitkontinuum, Gottes Gnadengaben sind unkündbar (Röm. 11,29).

Anderseits gilt, daß die Situation qualitativ umgeschlagen ist; die Inkarnation bedeutet eine Diskontinuität. Typologie meint sowohl Parallelisierung als auch polare Entgegensetzung.

Die Bergpredigt (Matthäus 5,21–48), in der Jesus die AT Gesetzesüberlieferung (teils verschärfend, teils aufhebend) auslegt, beginnt er mit dem Satz: Ich bin nicht gekommen, [das Gesetz oder die Propheten] ausser Kraft zu setzen, sondern zu erfüllen (Matth. 5,17).

Hier je ein Beispiel. Genaueres bei Hans Weder, Die ›Rede der Reden‹. Zürich: TVZ 1985, S. 98–155.

• 5,38: Ihr habt gehört, dass geboten ist: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹ (Exodus 21,24 u.a.) – Ich aber sage euch: Leistet dem Bösen keinen Widerstand!

• 5,27: Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: ›Du sollst nicht ehebrechen.‹ (Exodus 20,13 u.a.) – Ich aber sage euch: jeder, der eine Frau mit begehrlichen Augen ansieht, hat die Ehe schon gebrochen …

Der Ausdruck "Das AT ist im NT "aufgehoben" kann in der deutschen Sprache verstanden werden als: "aufbewahrt", "emporgehoben", aber auch "abgeschafft". Alle diese Aspekte schwingen bei der Typologie mit.

Das AT ist nicht bloß eine Folie, vor dem das NT verstanden werden kann, sondern der reale, heilsnotwendige Grund für das Kommen Christi. Sein Tod und seine Auferweckung ereignet sich nach den Schriften (1.Kor. 15,3–4). Paulus sucht die Juden vom Mosesgesetz und von den Propehten für die Sache Jesu zu gewinnen (Apg.28,23)

Der Auferstandene selbst öffnet den Jüngern die Augen zur Erkenntnis seiner Person: Und angefangen von Mose und allen Propheten legte er ihnen aus, was in allen Schriften über ihn geschrieben ist. (Lukas 24,27) — »Alles muss erfüllt werden, was im Mosesgesetz und in den Propheten und Psalmen über mich geschrieben ist.« (24,44)

Verkündigung eines neuen Bundes

Jeremia 31,31: Sihe / es kompt die zeit spricht der HERR / da wil ich mit dem hause Jsrael / vnd mit dem hause Juda einen newen Bund (hebr: bərit ḥadaša) machen / 32 Nicht wie der Bund gewesen ist / den ich mit jren Vetern machte / da ich sie bey der hand nam / das ich sie aus Egypten land fürete / welchen Bund sie nicht gehalten haben / vnd ich sie zwingen muste / spricht der HERR. 33 Sondern / das sol der Bund sein / den ich mit dem hause Jsrael machen wil / nach dieser zeit / spricht der HERR / Jch wil mein Gesetz in jr Hertz geben / vnd in jren Sinn schreiben / Vnd sie sollen mein Volck sein / so wil ich jr Gott sein.  (Luther-Bibel 1545)

> http://www.qbible.com/hebrew-old-testament/jeremiah/31.html#31
> http://lexiconcordance.com/hebrew/1285.html

Die Stelle wird zitiert in Hebräerbrief 8,10:

Denn dies ist der Bund, den ich dem Haus Israel errichten werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Indem ich meine Gesetze in ihren Sinn gebe, werde ich sie auch auf ihre Herzen schreiben; und ich werde ihnen zum Gott und sie werden mir zum Volk sein. –
Freilich heisst es dann auch 8,13: Indem er sagt ›einen neuen Bund‹ hat er den ersten ausser Kraft gesetzt …

Paulus will im Römerbrief die Heilsbotschaft Gottes verkünden, die er durch seine Propheten in Heiligen Schriften hat vorauskündigen lassen. (Röm. 1,2)

Der neue Bund (griech NT: diatheke; lat. testamentum) hat die Sünden überwunden:

›Denn dies ist mein Blut, das des neuen Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.‹ (Matth. 26,28; vgl. Röm. 11,27 mit Zitat aus Jes. 59,20)

Es gab im frühen Christentum auch Polemik gegen den Umgang mit dem im AT Festgelegten. Beispiel: Der Barnabasbrief 2,5f.:

»Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer? spricht der Herr; … In meinem Vorhof gehet nicht länger einher. Wenn ihr Speiseopfer bringet, ist es umsonst. Rauchopfer ist mir ein Greuel, eure Neumonde und Sabbate ertrage ich nicht.« (Jesaias 1,11–13). Das also hat er abgeschafft, damit das neue Gesetz unseres Herrn Jesus Christus, das kein Zwangsjoch (Gal. 5,1) ist, nicht ein Opfer habe, das Menschenwerk ist.

Der Text belegt die Wertlosigkeit der AT Opfer mit einem AT Zitat; das heisst: Es geht ihm nicht um die Bedeutung des Alten Testaments (das mittels allegorischer Exegese ausgelegt werden kann), sondern um die Juden, die es missverstehen. Der Text wurde bekanntlich nicht in den Kanon der christlichen Texte aufgenommen.
> https://bkv.unifr.ch/de/works?authorName=Barnabasbrief
> https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/49957/

Dritte Phase: Die künftige Endzeit

Die apokalyptische Wende mit dem Gerichtstag und der Ankunft des Menschensohns steht noch aus. Diese Vorstellung führt zu einem dreistufigen Geschichtsmodell.

Bei Paulus erscheint die Jetztzeit als böse Weltzeit, die von der künftigen Heilszeit überwunden werden wird: Ich halte dafür, dass die Leiden der jetzigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll. (Röm 8,18; vgl. Galater 1,4)

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Metaphern – allegorischer Ausdruck für das Verhältnis

Typos

Das dem Terminus zugrundeliegende Wort typos (τύπος) stammt aus dem Römerbrief 5,14 (Adam ist das Gegenbild, die auf den Kommenden hinweist; in der Vulgata mit forma futuri übersetzt). Vgl. ferner 1. Kor. 10,6. — Der Gegenbegriff ist dann antítypos (Hebr. 9,24; 1.Petr. 3,21)

Im Hintergrund steht die Metaphorik des Prägestempels, der die Münze prägt. Ohne den Prägestempel (AT) gibt es keine gültige Münze; aber mit der Münze (NT) bezahlt man.

> http://lexiconcordance.com/greek/5179.html

Bild einer Münzprägung aus der Spiezer Chronik von D. Schilling, fol. 266

Vgl. Friedrích Ohly, Signaturenlehre S. 19ff. ++++++

Schatten

Das alles sind doch nur Schatten der zukünftigen Dinge – Ihre Wirklichkeit dagegen ist der Leib Christi (Kolosser 2,17; vgl. Hebr 10,1; 8,5) – Das Bild beruht auf der Vorstellung dass man bei einer schreitenden Person, die von hinten beleuchtet ist, zuerst den Schatten bemerkt.

Verborgen / offenliegend

Augustinus hat das Verhältnis prägnant so formuliert: Novum Testamentum in vetere latet; vetus in novo patet.

Sara und Hagar

Paulus kann im Galaterbrief 4, 21–32 den Mehrwert des NT über das AT im AT selbst begründen. > https://www.bibleserver.com/ELB/galater%204

Das typologische Verhältnis der beiden Testamente wird mittels einer Allegorese der beiden Frauen Abrahams (die Freie Sara und die Sklavin Hagar; vgl. Genesis 16) biblisch abgestützt: Die beiden Frauen nämlich bedeuten zwei Bundesschlüsse.

Der paulinische Text enthält darüber hinaus weitere Implikationen für das Leben "unter dem Gesetz" und die Verfolgung der Christen, was wir hier ausblenden können.

Hartmut Freytag, Quae sunt per allegoriam dicta. Das theologische Verständnis der Allegorie in der frühchristlichen und mittelalterlichen Exegese von Gal 4,21–31, in: Verbum et Signum, Festschrift Friedrich Ohly, hg. von Hans Fromm u.a., München 1975, Bd.1, S. 27–43.

Hans-Josef Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten, (Neutestamentliche Abhandlungen NF 13), Münster 1978, S. 116–123.

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Wie wird der Bezug hergestellt?

In der Rhetorik würde man nach dem ›tertium comparationis‹ fragen.

Bei allen modell-artigen Bezugnahmen (Exemplum, Allegorie, Symbol) gibt es zwischen Signifiant und Signifié übereinstimmende Züge und solche, die ausgeblendet werden müssen. So auch beim Verhältnis Typus / Antitypus.

Es lassen sich mithin hinsichtlich der Genauigkeit der Zuordnung verschiedene Grade unterscheiden. Es gibt solche mit strengem Bezug der AT/NT Texte und der theologischen Grundgedanken – aber auch äusserliche, flache, sogar schiefe Bezüge.

(a) Die Analogie zwischen den beiden typologisch aufeinander bezogenen Szenen besteht in einem einzigen, sehr spezifischen Merkmal.

Erstes Beispiel: Moses betet mit der Gebärde von in Kreuzesweise ausgestreckten Armen und verhilft so den Israeliten zum Sieg in der Schlacht (Exodus 17,9ff.) — So verhilft Christus der Menschheit zum Heil.

Zweites Beispiel: Durch das Holz sind wir vor Gott zu Schuldnern geworden – durch das Holz empfangen wir die Vergebung unserer Schuld (Irenaeus, Adv. haereses V, 17, 3f.; gemeint sind der Baum im Paradies und das Kreuz Christi.) In der Kreuzholzlegende (Legenda Aurea zum 3.Mai) heisst es, dass das Kreuz aus demselben Holz errichtet wurde...

Drittes Beispiel:

• Jerusalem zur Zeit der Belagerung durch das Heer von Nebukadnezar (vor dem Jahr 597). Der Prophet Ezechiel erfährt das als Strafgericht über die Stadt. Es erscheinen sechs Männer (Engelsgestalten) mit Mordwerkzeugen, darunter einer, an dessen Gürtel ein Schreibzeug hängt. Der HErr sagt zu diesem: »Geh mitten durch die Stadt Jerusalem und schreib ein Zeichen [hebr. taw] auf die Stirn aller Männer, die über die in der Stadt begangenen Greueltaten seufzen und stöhnen.« (Ezechiel 9,4). Die anderen Männer sollen schonungslos die nicht damit Bezeichneten umbringen.

• Die Septuaginta schreibt ebenfalls neutral "Zeichen". Im lat. Bibeltext bleibt das Wort stehen: et signa thau super frontes virorum …!. Das Wort taw ist gleichzeitig der Name des letzten Buchstabens im Alphabet, das in der alten hebr. Schrift aussah wie ein + oder x und in der griech. Schrift wie ein T. Wenn dieses Zeichen gerechte Menschen rettet, so liegt es nahe, es als figura crucis, d.h. des Kreuzes Christi (mit dem alten Problem, ob es drei oder vier Arme gehabt habe) zu deuten.

• Die Ezechielstelle wird in der Exegese oft mit Exodus 12,7–13 zusammengesehen: Die Israeliten bestreichen vor dem Auszug aus Ägypten die Türpfosten mit Blut, und das ist ein Zeichen für ihren Schutz.

> https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Fichier:Panneau_de_vitrail,_signe_de_Tau.jpg

Dieter Kartschoke, Signum Tau, in: Euphorion 61 (1967), S. 245–266.

(b) Ganze Konstellationen werden soweit möglich mittels mehrere Vergleichselemente aufeinander bezogen.

Beispiel: Isaak wie Christus sind einziger Sohn, beide tragen das Holz selbst, Ort der Opferung ist ein Berg, der Tod wird abgewendet, der Opferwille des Vaters ist segensreich. — Auszublendende Züge: die Elternvorgeschichten, die Umstände der Reise, das Eingreifen des Engels bei Isaak, Gefangennahme, Gericht, Verspottung, u.a.m. — Gegensätzliches: die Unfruchtbarkeit der Mutter Isaaks – die Jungfrauengeburt; Zweck des Isaak-Opfers ist, den Gehorsam Abrahams zu prüfen – Zweck des Christus-Opfers ist, die Menschheit zu erlösen; das Isaak-Opfer wird nicht vollzogen – Christus vollbringt das Opfer

(c) Die Bezugnahme geschieht mittels einer starken Abstraktion.

Beispiel: Justin (»Dialogus cum Trypho« 42,1): Es war Brauch, an das lange Gewand des Hohepriesters zwölf Klingeln zu hängen [Exod. 28,33ff.], ein symbolischer Hinweis auf die zwölf Apostel, welche von der Macht Christi, des ewigen Priesters, abhängen, und durch deren Worte die ganze Erde sich anfüllte mit der Herrlichkeit und Gnade Gottes. Darum sagt auch David: ›Über die ganze Erde strömte ihr Schall und bis zu den Grenzen des Erdkreises ihre Worte‹ [Psalm 18,4].

(d) Eines der Vergleichselemente ist eine Metapher. |||||

(e) Es gibt auch eher willkürliche Bezugnahmen.

Beispiel aus dem Speculum humanae salvationis der Bibliothèque Nationale de France, Lat. 512 (frühes 15.Jh.). Hier wird wundertätiges Wasser als Bezugselement verwendet, um verschiedene biblische Ereignisse in Beziehung zu setzen:


> Speculum_humanae_salvationis__btv1b60002575

(1) Johannes tauft Jesus im Jordan (Matthäus 3,13–17)

(2) Mare aeneum ≈ das eherne Meer im Tempel (1Kön. 7,23ff.) [in dessen Wasser die Eintretenden die Hände waschen]

(3) Der aussätzige Naaman wird im Jordan rein gewaschen (2.Könige 5,14)

(4) Die von den 12 Männern getragene Bundeslade staut das Wasser des Jordans, so dass ganz Israel trockenen Fußes hindurch gehen kann (Josua 3,1–17).

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Funktionen

Vorbemerkung:

(I) Der Inhalt der einander zugeordneten Bilder bildet die Basis. Mit welchen bildnerischen Mitteln eine biblische Szene (und das steht hier im Zentrum) dargestellt wird bzw. welche Textstelle vom Betrachter anhand des Bildes erkannt wird (in der Kunstgeschichte die Dimension der "Ikonographie"), ist eine Problematik, die hier nicht behandelt werden soll.

(II) Im Zentrum steht hier die Funktion (in der Kunstgeschichte die Dimension der "Ikonologie"). Während Bilder in Bibeln (oder auf Wandmalereien usw.) die Funktion haben, die sie Betrachtenden auf die Aussage des Texts hinzuführen oder die damit visualisierte Lehre im Gedächtnis zu behalten, haben typologische Bildgruppen weitaus komplexere Funktionen. Dazu dieses Kapitel.

(III) Die Dimension des Stilistischen / Ästhetischen wird in dieser Studie ausgeklammert.

Bestätigung der Einheitlichkeit der Offenbarung

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Apologetische Funktion. Rechtfertigung der Christen

Die frühen Christen mussten,

(a) um Heiden zu gewinnen, die Messianität von Christus in den Schriften verankern;

(b) anderseits mussten sie gegenüber der judenchristlichen Partei — die den Erwähltheitsanspruch in Gefahr und die Tora entwertet sah — die Preisgabe der mosaischen Riten rechtfertigen.

Sowohl das AT als Beweisgrund beibehalten, als auch es außer Kraft setzen — das ist wegen der der Typologie innewohnenden Dialektik möglich.

(a) Die AT Prophetie erlaubte es dem Christentum, seine eigene Geschichte nach rückwärts zu verlängern. Wenn zum Beispiel Tertullian (»Apologeticum« 19) das hohe Alter der mosaischen Schriften geltend macht, so kann er sogar die heidnisch-philosophische Tradition überbieten. Das AT übte eine große Anziehungskraft auf die Heiden aus.

(b) Die Bezüge auf das AT lassen sich verstehen als ›missionarisches‹ Ausdrucksmittel, um sich in einer jüdischen Umwelt verständlich zu machen; wie Paulus sagt: den Juden ein Jude werden, um sie zu gewinnen (1. Kor. 9,20). — Beispiele:

Stephanus verteidigt sich gegen den Vorwurf der Gotteslästerung mit dem Argument aus der Schrift: Jesus, zu dem ich mich bekenne, ist der in Euren Schriften Angekündigte, also bin ich einer der Euren (Apostelgeschichte 7,2–53; bes. 35ff.)

Paulus verwendet alttestamentliche Begriffe zur Deutung des christlichen Heils (Passa: 1. Kor. 5,7; Bund: 1. Kor. 11,25; Opfer: Röm. 12,1; Tempel: 1. Ko.r 3,16f.; 6,19; 2. Kor. 6,16) — aber auch neutestamentliche Begriffe zur Deutung der alttestamentlichen Geschichte (Taufe: 1. Kor. 10,2–4).

Ergänzung von narrativen Texten

Die Evangelien erzählen nicht, auf welche Weise Christus an das Kreuz geheftet wurde. (Ein Hinweis findet sich in der Rede des ›ungläubigen‹ Thomas, der die Finger in die Nägelmale [Vg. fixura clavorum] des Auferstandenen legen will, vgl. Johannesevg. 20,25) — Der typologische Beizug einer AT Stelle kann diese Lücke füllen.

ULB Darmstadt Hs 2505 > http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Hs-2505

Im »Speculum humanae salvationis« sind unter der Darstellung der Annagelung Christi ans Kreuz dargestellt: Tubal und Thubalkaym – nach Genesis 4,21f.: Von Jubal sind hergekommen die Geiger und Pfeifer; Tubalkain ist Meister in Erz- und Eisenwerk. — Tubal (Gen. 10,3) wurde immer wieder mit Jubal verwechselt. Das Schlagen des Eisens erzeugt verschiedene Töne, das soll diesen auf die Idee der Musik gebracht haben.

Der die Bilder erläuternde Text (hier als PDF in Transliteration und dt. Übersetzung von Darko S. in Z.) besagt, dass ein Gebet, das Christus während der Kreuzigung sprach, in Tubal präfiguriert (prolata fuit) war:

Mit solchem Gesang und dem Hämmern der Hämmer
vergleichen wir das Gebet Christi und das Hämmern der Kreuziger.

Verständnis der Passionsereignisse

Die Anstößigkeit des Kreuzestods wird behoben, wenn er als nach Gottes ewigem Ratschluss geschehen verstanden werden kann. Er wird als Vollzug geweissagten Heils ausgewiesen. Bereits Paulus redet vom Tod Jesu nach den Schriften (1.Kor. 15,3)

In der Predigt und der Erbauungsliteratur wurde die Vita Jesu mittels typologischer Bezüge legendarisch ausgestaltet.

Eine der Techniken ist das Verständnis des Psalmverses 56 [Vg.],9 Exsurge psalterium et cithara (57,9: Wacht auf, Psalter und Harfe!) als Aufforderung Gottvaters an Christus, die Passion zu erleiden. Beides sind Instrumente (die dann in der Exegese auf die zwei Naturen bezogen werden), deren Saiten man spannen muss, damit sie tönen — so sei Christus auf das Kreuz gespannt worden, und der so entstandene Klang hat die Welt erlöst. In einem die Heilsgeschichte nacherzählenden und ausdeutenden Text aus dem Beginn des 14.Jh. tönt das so:

Ja der werde godes vrünt
in dem psalter aber sprach
jubilirende und jach:
»Surge mea cythera.«
Nu hörent wie man daz verstâ
dief von sinne scharpfe
[…]
daz dütet Jhesum Cristum.
[…]
nu sult ir hören sunder wân,
[gewisslich]
wie sich doch daz selbe spil
unserm herren glîchen wil:
die harpfe und daz psalterium
sint beide ungespannen tum,
[stumm]
si sint ungeslagen doup,
[wertlos]
rehte als ein dunnez loup,
daz von dem boume vellet.
swer si gespannen stellet,
und sleht
[schlägt] dar und aber dar,
ir süzikeit wirt man gewar,
des ordenlichen sanges,
des süzen seiten clanges.
in aller der wîs alsus
unser herre Cristus,
jâ sô der herre heilant
an daz crüze sâ zuhant
[sobald als]
gezwicket und geslagen wart
gespannen und sêre gespart,
[gespreizt]
geslagen dar und aber dar.
dô wurden si zuhant gewar
der gotlichen süzikeit,
die gotes fründen ist bereit.
zuhant der süzen harpfen sanc
hin abe zue der hellen clanc
und in die welt uber al
der harpfen süzikeit erschal.

Die Erlösung, hg. Karl Bartsch, Quedlinburg/Leipzig 1858; Verse 5201–5239

Verinnerlichung von Kulthandlungen

Die Beschneidung wird bereits im AT geistlich als Beschneidung des Herzens verstanden (Lev. 26,41; Deut. 10,16; Jer, 4,4 . 9,25f.; Ez, 44,7). Paulus bezieht die Vorstellung des Bundeszeichens nun auf das Bekenntnis zu Christus, wenn er schreibt (Koloserbrief 2,11):

In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen vollzogen worden ist. Denn durch diese Christus-Beschneidung habt ihr euer ganzes irdisches Leibesleben <wie ein Kleid> ausgezogen.

Exegese ›dunkler‹ Schriftstellen — Meditative Durchdringung des Bibeltexts

Die Typologie hat ein exegetisches Potential, und zwar vermag sie Schriftstellen zu erhellen ohne Beizug externer Quellen. Durch den Beizug der AT Prophetien werden Schriftstellen im NT erhellt und umgekehrt. Man ist versucht zu sagen, die Bibel sei per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres, omnium omnia probans, iudicans et illuminans. (Luther gegen die scholastische Exegese, in Weimarer Ausgabe 7,97)

Eine gleichsam prototypische Szene aus der Apostelgeschichte 8,26–35. Der hohe Staatsbeamte der nubischen Königin liest unterwegs zum Tempel in Jerusalem auf dem Wagen im Propheten Jesaias. Dem Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird (Jes. 53,7), kann er keinen deutlichen Sinn zuordnen. Philippus legt die Schriftstelle typologisch aus auf Tod und Auferweckung Jesu:

Ausschnitt aus dem Titelbild zu Athanasii episcopi Alexandrini opera, studiosius quam antea fuerint a situ vindicata, quorum catalogus sequitur […], Straßburg: Joh. Knobloch 1522.
> http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb445875238

Aber der engel des Herren redt zuo Philippo/ unnd sprach: Stand auf/ und gang gegen Mittag auff die straaß die von Jerusalem hinab gadt gen Gaza/ die da wüest ist. Und er stuond auf/ und gieng hin.
     Unnd sihe/ ein mann auß Morenland/ ein verschnittner
[Eunuch] und gewaltiger der künigin Candaces in Morenland/ welcher was über alle jre schätzkammer/ der was kommen gen Jerusalem anzebätten. Und zoch wider heym/ und saß auf seinen wagen/ und laß den propheten Esaiam.
     Der geyst aber sprach zuo Philippo: Gang hinzuo/ und mach dich zuo disem wagen. Do lieff Philippus hinzuo/ unnd hort das er den propheten Esaiam laß/ und sprach: Verstaast du auch was du lisest?
     Er aber sprach: Wie kan ichs/ so michs niemants underweyßt? Und er batt Philippon dz er auffhärstige
[heraufsteige auf den Wagen] / und satzte sich zuo jnen.
     Der innhalt aber der gschrifft/ die er laß/ was dise. »Er ist wie ein schaaff zur schlachtung gefüert/ und wie ein lamb vor sinem schärer stimmloß/ also hatt er nit aufgethon seinen mund. Jn der nidrigkeit ist sein gericht erhaben. Wär wirt aber sein geburt erzellen? dann sein läben ist von der erden genommen«.
     Do antwortet der verschnitten/ und sprach: Jch bitt dich von welchem redt der prophet sölichs? von jm selber/ oder von yemants anders?
     Philippus aber thett seinen mund auf/ und fieng von der gschrifft an/ und prediget jm das Euangelion von Jesu
. (Übersetzung der Zürcher Bibel 1531)

Typologisches Denken hat exegetische Kraft. Mittels typologischer Inbezugsetzung können dunkle Stellen erhellt werden, Absurditäten können erklärt werden, scheinbar belanglose Stellen bekommen mit ihrer Hilfe einen Sinn. Beispiele:

Ambrosius (Lukaskommentar II 10,86) bekennt, daß er die Erzählungen um Adam und Eva als merkwürdig empfunden habe, bis eine Epheserbrief-Stelle (5,32) ihm Klarheit gebracht habe, indem sie diese typologisch auf Christus und die Kirche bezieht. Er baut nun die Typologie Adam — Christus (1. Kor. 15,45–49) systematisch aus: So wie Eva aus der Rippe des schlafenden Adam entstand – so entstand die Kirche aus der Seitenwunde des toten Christus (vgl. Joh. 19,34); von Eva wird gesagt, sie sei von Adams Fleisch und Gebein – ebenso sind die Glieder des mystischen Leibes von Christi Fleisch und Gebein; Adam wurde aus dem Paradies in die Wüste verstoßen – der zweite Adam kehrte aus der Wüste (vgl. Luk 4,1f.) zum Paradies zurück (IV 1,7) und so weiter.

Justin der Märtyrer (100–165) schreibt in seinem »Dialog mit dem Juden Trypho« (¶ 90),

dass die Propheten alles, was sie sprachen und wirkten, in Gleichnissen und Typen verhüllten, so dass das meiste nicht von jedem leicht erkannt wird. Die darin liegende Wahrheit haben sie verborgen, damit der, welcher sie finden und wissen will, sich anstrenge.

Als Beispiel dient das Ausstrecken der Arme von Moses in Kreuzgestalt (Exod. 17,9ff.):

Wenn das Volk stark war, war es stark durch das Kreuz. Denn nicht deshalb, weil Moses so betete, wurde das Volk Sieger, sondern deshalb, weil der Name Jesus die Schlacht leitete, und zugleich Moses sich die Gestalt des Kreuzes gab.

Integration von nicht im engeren Sinn biblischen Vorstellungen

••• Das Maria gekrönt und als Königin in den Himmel aufgenommen wurde, steht so nicht im Bibeltext.

Biblia Pauperum. Die Bilderhandschrift des Codex Palatinus latinus 871, Einführung und Kommenar von Christoph Wetzel; Transkription und Übersetung Heike Drechsler, Stuttgart/Zürich: Belser 1995. (mustergültig alle Texte transliteriert und übersetzt) Fol. 19v.

  Psalm 45,13 — Cantica 8,5  
Salomon seczet syn muder [Batseba] bij sich … (1.Kön. = 3.Reg 2,19) Herre du erest die milden marien zu dir nemende Hester get in vnd aswerus budet ir ere (Ester 2,16f.)
  Jes 35,2 — Sapientia 4,1  

 

••• Auch die Vorstellung, dass Christus die Gerechten aus der Vorhölle erlöst (ist apokryph, aus dem Nikodemus-Evg.) kann mittels typologischer Bezüge gleichsam kanonisiert werden.

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Bild-Programme

Vorbemerkung

Insofern als typlogische Verweise in der Regel auf Szenen im AT und NT beruhen, lassen sich die ent-sprechenden Stellen visualisieren. Eine Bilderfülle entsteht.

Gemeinhin werden unterschieden: Heilsspiegel (Speculum Humanae Salvationis) — Biblia pauperum — Concordantia Caritatis. Dabei sind die Seiten-Dispositionen verschieden.

Nikolaus von Verdun, Klosterneuburger Altar

Das Werk (Grubenschmelz-Email) wurde von Nikolaus von Verdun 1181 vollendet und im 14. Jh. mit sechs Tafeln im alten Stil ergänzt.

Die Widmungsinschrift:

Qualiter Etatum sacra consona sint peraratum
  Cernis in hoc opere mundi primordia quere
     Limite sub primo sunt umbre legis in imo
Inter utrumque situm dat tempus gracia tritum
  Que prius obscura vates cecinere figura
      Esse dedit pura nova factoris genitura
Vim per divinam veniens reparare ruinam
  Que per serpentem dejecit utrumque parentem
      Si pensas juste legis mandata vetuste
Ostentata foris retinent nil pene decoris
   Unde patet vere quia legis forma fuere
      Quam tribuit mundo pietas divina secundo

Wie die Heilsgeschichte der Zeitalter übereinstimmen, siehst du an diesem Werk dargestellt. • Die Anfänge der Welt suche in der ersten Zone; • die Schattenbilder des Gesetzes sind in der unteren; • in der Zwischenzone gibt die Gnade den noch andauernden Zeitabschnitt. Was früher die Propheten in dunklem Vorbilde sangen, das macht klar die neue Zeugung des Schöpfers, die in göttlicher Kraft kam, den Fall zu heilen, der durch die Schlange die beiden Stammeltern vertreiben hat. Wenn du die Vorschriften des alten Gesetzes recht überdenkst, so enthalten sie in ihrer äußeren Gestalt fast nichts von der Herrlichkeit (decor). Daraus wird offenbar, dass sie wahrhaftig nur das Vorbild jenes Gesetzes gewesen sind, das die göttliche Liebe der zweiten Schöpfung schenkte. (Übersetzung von Fl. Röhrig, S. 18)

Jeweils drei Bilder übereinander bilden eine typologische Gruppe; auf dem Altarmittelteil (nach der Ergänzung im 14.Jh.:) 9 Gruppen; auf den Seitenflügeln je 4;
• oben und unten AT Begebenheiten (ante / post legem meint: vor / nach der Übergabe der Zehn Gebote an Moses);
• in der Mitte das NT Pendant.

> https://www.wga.hu/html_m/n/nicolas/index.html

Ein Beispiel:

Ante legem:

Joseph in lacu (≈ in der Zisterne; Genesis 37,18–24):

Hunc intrare lacum
feritas facit emula fratrum

(≈ Die neidische Wildheit der Brüder befördert diesen in die Zisterne)

Sub gratia:

Sepulchrum Domini (≈ Grab des Herrn; Matth. 27,59 und Parallelen):

Terre vita datur
cui terra polus famulatur

(≈ Der Erde wird übergeben, dem Erde und Himmel unterworfen sind.)

 

Sub lege:

Jonas in ventre ceti (im Bauch des Fischs)

Quem capit unda freti
concludunt viscera ceti

(≈ Den die Woge des Meers erfasste, umschließen die Eingeweide des Seeungeheuers.)

 

Das Niello-Antipendium zu Klosterneuburg in Oesterreich, verfertiget im zwölften Jahrhunderte von Nicolaus aus Verdun: In der Originalgrösse lithographirt und ... hgg. von Albert Camesina. Beschrieben und erläutert von Joseph Arneth, Band 2, Wien 1844.
> http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/154296/1/

Floridus Röhrig, Der Verduner Altar, Wien: Herold 1955 und Neuauflagen. (Mit Erklärung der Bildtafeln und Fotos aller Tafeln)

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Biblia Pauperum

In diesem ›Format‹ sind Wortprophetien (jeweils mit einem ›Portrait‹ des Propheten) und Realpophetien (mit szenischer Darstellung) kombiniert. – Woher die Bezeichnung ›Armenbibel‹ kommt, ist unklar.

NT Hauptbild — 2 AT Typen — 4 Propheten — 3 Tituli — 2 Lektionen

••• Erstes Beispiel:

Elisabeth Soltész, Biblia Pauperum. Die vierzigblättrige Armenbibel in der Bibliothek der Erzdiözese Esztergom, Berlin (DDR) 1967.

Die NT Szene in der Mitte (hier apokryph) wird flankiert von zwei AT Präfigurationen; in den vier Ecken Wortprophetien:

David: Quia contrivit portas æreas, et vectes ferreos confregit. (Ps. 106,16)
Hosea: Ero mors tua, o mors ! morsus tuus ero, inferne! (Osee 13,14)
 Christus erlöst die Gerechten aus der Vorhölle*
David tötet Goliath (1.Sam = 2.Reg 17,50f.)
Simson zerreißt den Löwen (Richter  14,5f.)
Zacharias: Tu quoque in sanguine testamenti tui emisisti vinctos tuos … (Sach 9,11)
[Jakob:] ad prædam, fili mi, ascendisti (Genesis 49,9)

*) apokrypher Text; vgl. Nikodemusevangelium Kap. XVII–XXVII
> https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/46908/

••• Zweites Beispiel:

Biblia pauperum, [Bamberg, ca. 1462/63]
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00026399/image_1

David: Psalm [Vg] 77,25: Menschen aßen Engelbrot
Proverbia 9,5: Esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein…

Jes. 55,2: Hört auf mich, so bekommt ihr Gutes zu essen!
Sapientia 16,20: Speise der Engel; Brot vom Himmel
 Das Abendmahl (Markus 14,16ff.; Matth. 26,20ff. u.a.)
Melchisedek bringt Brot und Wein (Genesis 14,18)
Manna vom Himmel (Exodus 16,15ff.)

••• Drittes Beispiel:

Mitte oben vier Prophetien in Spruchbändern

  Wort-Prophetien: Zacharias 9,9 — Psalm 149,2 — Cantica 3,11 — Zach 9,9: Siehe dein König kommt!  
David hat Goliath überwunden und wird von Saul empfangen (1.Samuel = 1.Reg. 17,57) Der in Jerusalem einziehende Jesus wird gepriesen: Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt! (Markus 11,9 ||) Elisäus wird von den Prophetenjüngern geehrt (2.Kön. = 4.Reg. 2,15f.)

Die Salzburger Armenbibel. Codex a IX 12 aus der Erzabtei St. Peter zu Salzburg / Einführung, Übertragung, Übersetzung von Karl Forstner, Salzburg/München: Pustet, o.J. (mustergültig alle Texte transliteriert und übersetzt)

••• Viertes Beispiel:

oben: Enochs Entrückung (Genesis 5,24): Henoch ging mit Gott, dann war er nicht mehr da; denn Gott hatte ihn genommen. Vgl. Hebeäerbrief 11,5.

Mitte: Christi Himmelfahrt (Lukas 24,51; Apostelgeschichte 1,9)

unten: Elias fährt im feurigen Wagen zum Himmel (2.Könige 2,11)

umgeben von vier Wortprophetien.

Aus BSB Cgm 341
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00152183?page=1


Hans Engelhardt, Der theologische Gehalt der Biblia Pauperum, Straßburg: Heitz 1927 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte Heft 243) [mit Synopsen der aufeinander bezogenen Bibelstellen].
> https://archive.org/details/dertheologischeg0000enge

Hildegard Zimmermann, Artikel "Armenbibel (Biblia pauperum, Biblia picta"), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1936), Sp. 1072–1084. [mit Liste der Bildgruppen]
> https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89657

Gerhard Schmidt, Die Armenbibeln des 14.Jhs., Graz: Böhlau 1959.

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Heilsspiegel (»Speculum humanæ salvationis«)

Das ist ein Text-Bild-Verbund ursprl. aus dem Anfang dem ersten Viertel des 14.Jhs.; es gibt über 280 lat. Handschriften! Dazu deutsche und niederländische Bearbeitungen in Vers oder Prosa.

Im Kern: 42 Kapitel zu je 100 (4 x 25) Reimzeilen und 4 Bildern; 3 präfigurierende AT Szenen | eine NT; idealerweise auf einer Doppelseite.

 

••• Beispiel aus der Handschrift BNF Lat 512 (15.Jh; 55 ff. à deux colonnes; 415 x 295 mm)

Linke Seite links: Hic tres magi adorant puerum cum muneribus (Die Magi aus dem Osten beten das Jesuskind an; Matth. 2,11; dass es drei Magi sind, ist nicht biblisch, wurde traditionell aus den drei Gaben Gold Weihrauch und Myrrhe Matth. 2,11 hergeleitet. Möglicherweise hat der typologische Bezug zu David und den drei Helden die Vorstellung gestärkt.)

linke Seite rechts: Tres magi viderunt novam stellam in oriente (Die Magi sahen den Stern aufgehen; Matth. 2,2; hier im Bild ist im Stern das Kind mit Nimbus zu sehen; legendarisches Motiv)

rechte Seite links: Tres fortes atulerunt regi david aquam de cisterna betlehen (Drei Helden bringen David Wasser aus einer Zisterne; II Reg. = 2. Samuel 23, 15–16)

rechte Seite links: Thronus saolomonis (Die Königin von Saba besucht König Salomon, dieser auf dem Thron, der auf den sechs Stufen je zwei Löwen hat, sie bringt ihm Geschenke; III Reg. = 1.Könige 10)

> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b60002575/f11.item
   http://archivesetmanuscrits.bnf.fr/ark:/12148/cc8859s

••• Beispiel aus der Hs. der Hess. Landesbibliothek Darmstadt 2505; um 1360:

Heilsspiegel. Die Bilder des mittelalterlichen Erbauungsbuches Speculum humanæ salvationis, mit Nachwort und Erläuterungen von Horst Appuhn, (Die bibliophilen Taschenbücher 267), Dortmund 1981. (Nur die Bilder sind reproduziert.)
> http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Hs-2505/0031 (mit dem lat. Text)

Links oben die NT Szene; die anderen drei Bildteile enthalten AT Praefigurationen:

Der Verrat des Judas (Matthäus 26,48–51): »Sei gegrüßt, Rabbi!«
Saul wirft den Speer auf seinen Schwiegersohn David (1 Samuel = 1 Reg. 18,10–11)
Joab tötet Amasa (2.Samuel = 1 Reg. 20,8–10): »Sei gegrüßt, mein Bruder!«
Kain erschlägt seinen Bruder Abel (Genesis 4,1f.)

Es gibt mehrere Drucke, u.a.:

• Speculum humanae salvationis, deutsch, Reutlingen, 1. Januar 1492.
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00666500

• Speculum humanae salvationis [mit deutscher Übersetzung]: Spiegel menschlicher behaltnis [Raum Elsass], [1436]
> http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/speculum1436

J. Lutz / P. Perdrizet, SPECULUM HUMANAE SALVATIONIS, Mülhausen: Meininerger 1907/1909.

Band I, S.1–99: der lat. Text und S. 177–240 Kommentar dazu / Band II: Faksimile der 140 Tafeln der Schlettburger Handschrift Clm 146 plus weitere Bilder von Glasfenstern, Teppichen usw. — Die Planches und die Chapitres sind nicht gleich numeriert!
> https://archive.org/details/SpeculumHumanaeSalvationisLutz1/page/n13/mode/2up

••• Beispiel aus der Handschrift Einsiedeln Cod. 206 (ca. 1430/50); Fol. 13 verso /14 recto

Linke Seite links: die drei Versuchungen Jesu (Matth. 4,1ff. || Lukas 4,1ff.): Ductus est Jhesus in desertum ut temptaretur a Dyabolo — Veritas que Christus fuit a demone temptatus — In eo enim quo passus est ipse est temptatus (Hebr. 2,18)

linke Seite rechts: Daniel und das Standbild Baals (Daniel 14,1–26): Daniel beel destruxit et draconem interfecit — Prima figura quod Christus temptatus vixit. — Frustra iacitur rethe [das Netz] ante oculos penatorum (Sprüche 1,17)

rechte Seite links: David tötet Goliath (1.Sam. 17,50): Praevaluit David in philisteum in funda et lapide interfecit eum — 2a figura quod Christus dyabolum devicit. — Sathan stabat a dextris ut adversaretur ei. (Sach. 3,1)

rechte Seite rechts: David tötet den Bären und Löwen (1.Sam. 17,34ff.): Ad nichilum deductus est in conspectu eius malignus (Psalm 14 [Vg.],4) 3a figura quod Christus dyabolum superavit. — Perversa est hec vestra cogitatio quasi si et lutum contra figulum cogitet. (Jes. 29,16)

Den Bibelstellen sind kommentierende Texte aus der Bibel beigestellt.

> https://e-codices.unifr.ch/en/searchresult/list/one/sbe/0260

Hans-Walter Stork / Gregory Clark, Der Heilsspiegel aus Kloster Einsiedeln Cod. 206. Ein Bilderreigen aus 176 Miniaturen zur biblischen Geschichte, Luzern: Quaternio Verlag 2014. (nur die lat. Texte um die Bilder herum transkribiert und übersetzt)

••• Beispiel aus der Handschrift St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, VadSlg Ms. 352/1-2 (um 1440); Fol. 40/41:


Von links nach rechts:
Hiob wird von seiner Frau und dem Teufel misshandelt
Christus erhält die Dornenkrone (Matth. 27,29 ||)
Apamene nimmt Darius die Krone weg (3.Esra [apokryph] 4, 29f.) ***
Semei (Simei, Schimi) vertreibt König David mit Steinen (2. Samuel = II Reg. [Vg] 16,5-13)

***) Text: https://de.wikisource.org/wiki/Esdras_drittes_Buchhttps://www.bibelbuch.de/apokryphe-schriften/3-esra/ — vgl. Wolfgang J. Müller, Artikel "Darius", in: RDK III (1954), Sp. 1076–1083

Quelle > https://www.e-codices.unifr.ch/de/vad/0352-1-2
Bilderliste, in der die typologisch zusammengehörigen Bilder abgetrennt sind > https://stadtarchiv.ch/inhalt/VadSlg-Ms.352.1-2-Bilder.pdf

••• In Frühdrucken des ›Heilsspiegels‹ sind die Bilder typographisch nicht immer genau gegenübergestellt.

Im folgenden Beispiel aus dem Spiegel menschlicher Behaltnis (1476) folgen auf eine Seite mit der Verkündigung an Maria zwei AT Ereignisse:

Überschrift zum Bild links oben (auf der vorhergehenden Seite):
Exodi am .iii. capitel
Gott erscheÿn
[dem Moses] in dem bürnnenden busche der doch grüene bleip

Überschrift zum Bild rechts:
Judicum am .vi.
Gedeons vel wart des hÿmmel douwes fol vnd bleip das erteriche do bÿ trucken

Speculum humanae salvationis Basel: Bernhard Richel 1476. (nach moderner Zählung: Fol. 11v)
> https://mdz-nbn-resolving.de/bsb00031709
> https://doi.org/10.3931/e-rara-8656
> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz492295905

Überblick bei

H.-W. Stork / B. Wachinger, Artikel "Speculum humanae salvationis" in: Verfasserlexikon, Band 9 (1995) Sp. 52–65.

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Ulrich von Lilienfeld, Concordantia Caritatis (nach 1351)

Siehe den Aufsatz von Rudolf Suntrup hier.

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Augustin Hirschvogel, »Concordantz Alt vnd News Testament«

1550 erarbeitet der Nürnberger Augustin Hirschvogel (1503–1553) ein umfangreiches typologisches Bildwerk. In einer Folio-Ausgabe stellt er jeweils zwei AT Szenen (links) zwei NT Pendants (rechts) gegenüber. Hier ein Beispiel:

links: Absaloms Tod (2. Samuel 18)

rechts: Judas bringt die Silberlinge zurück und erhängt sich (Matth. 27,3–10)

Vorredt vnd eingang der Concordantzen alt und news Testaments, durch Pereny Petri eins tails, vnd nachuolgents durch Augustin Hirszfogel, sampt mer Figuren vnd Schrifften erweytert, Wien: Aegidius Adler 1550.

Die Buchausgabe (104 Radierungen) wurde von K. Falkenau rekonstruiert und präzis beschrieben:

Karsten Falkenau, Die "Concordantz Alt vnd News Testament" von 1550. Ein Hauptwerk biblischer Typologie des 16. Jahrhunderts illustriert von Augustin Hirschvogel, Regensburg: Schnell + Steiner 1999 (Studien zur christlichen Kunst 2).

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Ähnliche Bücher mit typologischen Bezügen

••• Der Peterborough-Psalter enthält typologische Passagen.

Hier stehen indessen nicht auf jeder Seite die typologisch genau zusammengehörige Bilder.

So gehört das Bild links oben auf auf Fol. 24verso (vgl. unten) des im Tempel predigenden zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lukas 2,41ff.; unter ihm Maria und Joseph; aussen Pharisäer mit dem Text Sic responsa dei sensumque stupent pharisei.) zu den beiden Bildern unten auf der vorausgehenden Seite Fol. 24recto, wo als Antitypen stehen: Moses erzählt Jethro, wie der Herr die Israeliten gerettet hat (Exodus 18,8) und Daniel, der beiden Ältesten ins Verhör nimmt (Daniel 13,48ff.).

Fol. 24 verso

 

Die weisse Taube verkündigt Noah auf der Arche das Ende der Sinflut. (Genesis 8,11)

Fluxu cuncta uago
submergens prima uorago.

Moses teilt das Wasser des Roten Meers. (Exodus 14,21)

Unda maris rubri
spacio diuisa salubri
.

Johannes tauft Jesus; daneben ein Engel (Matth. 3,13–17 und ||)

Mundum purgauit
baptismaque significauit


Unten wird der typologische Zusammenhang formuliert:
Que mentem mundam facit a vicio : notat undam
.
≈ [Das Wasser der Sintflut / des Roten Meers] bedeutet das Wasser (undam), das den Geist von der Sünde rein macht [d.h. das Wasser der Taufe].

Das Brüsseler Exemplar (erstes Viertel des 14.Jhs.) = Psautier de Peterborough; Koninklijke Bibliotheek van België, ms. 9961-62
> https://opac.kbr.be/LIBRARY/doc/SYRACUSE/16428696

Der Peterborough-Psalter, Faksimile-Edition mit einem Kommentar von Lucy Freeman Sandler und Bernard Bousmanne, Luzern: Quaternio Verlag 2015.

Lucy Freeman Sandler, Peterborough Abbey and the Peterborough Psalter in Brussels, in: Journal of the British Archaeological Association 33, 1 (1970), 36–49.

•••• Thomas Hopffer 1678

Der lutherische Pastor Thomas Hopffer (1618–1678) entwickelt neun Predigten ausgehend von typologischen Paaren. Hier ist das Thema: Der starke Glaube überwindet den HErrn.

oben: Jakobs Kampf mit dem Engel (1.Mos. 32,25–30: Ich lasse dich nicht, du segenst mich denn.)

unten: Die kanaanäische Frau (Matthäus 15,21–29: Es essen doch die Hündlein von den Brosamen, die von des Herrn Tisch fallen.)

Neun schöne Fürbilder deß A.T. Mit Ihren Gegenbildern deß N.T. Vor 24. Jahren ... in Augspurg/ In Neun underschiedlichen Predigten erkläret/ Jetzo aber Auffs Newe übersehen/ und weiter außgeführet Von ... Thoma Hopffern/ Augustano, damals Pfarrern derselbigen Kirchen in Augspurg ... Tübingen: Hein, 1678.
> http://diglib.hab.de/drucke/th-1301/start.htm
> http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:23-drucke/th-13012

••• Zwei AT-Szenen ›typologisch‹ parallelisiert:

Die Schlange verführt Eva und Adam zum Sündenfall (Gen. 3,6) Wer die die eherne Schlange anschaut, wird gerettet (Num. 21,8f.); Moses mit den Gesetzestafeln


Titelblatt von: Afbeeldingen der voornaamste historien, soo van het Oude als Nieuwe Testament door verscheide van de geestrykste en vermaardste tekenaars en plaatsnyders seer kunstig afgebeeld: […] Tot Amsteldam, uitgegeven door Nicolaus Visscher, met privilegie [um 1700].

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Ausserbiblische Parallelen

Es wurden nicht nur biblische Texte als Präfigurationen verwendet, sondern auch heidnisch-antike.

Erstes Beispiel:

Speculum humanae salvationis, Cod. Karlsruhe 3378
> https://digital.blb-karlsruhe.de/blbhs/content/pageview/29232

Das obere Bild zeigt den sagenhaften griechischen König Codrus, der von Apoll erfuhr, dass Athen vor der Einnahme durch die Feinde gerettet werde, wenn er durch Feindeshand umkomme. Das wurde aber auch bei den Feinden bekannt, die anordneten, dass niemand Codrus verwunden dürfe. Daraufhin legte Codrus die königlichen Insignien ab und zog einfache Kleider an (depositis insigniis imperii famularem cultum induit: Parallele zur Menschengestalt des Gottessohns), begab sich in den Kampf, wurde erschlagen und so die Stadt gerettet. Quelle: Valerius Maximus, »Facta et dicta memorabilia«, V,vi, ext.1

Das untere Bild zeigt die Szene aus 1. Makkabäer 6,44–46: Eleazar läuft unter einen Kriegselefanten aus dem Heer der Seleukiden, ersticht diesen und kommt dabei selbst ums Leben.
Vgl. K.-A.Wirth in RDK IV (1957), Sp.1215–1221
> https://www.rdklabor.de/wiki/Eleasar

Zweites Beispiel, aus einer Handschrift des Ovide moralisé (um 1400):

Paris, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Français 871
> https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9009482b

Gottvater erschafft alles aus dem Chaos Die Schöpfung (Land und Wasser, Pflanzen, Tiere, ein Haus)
Prometheus reicht dem von ihm aus Lehm geschaffenen Menschen* das Feuer**, um ihn zu beleben. Gott baut Eva aus der Seite des von ihm aus Erde erschaffenen Adams, diesem zur Hilfe. (Genesis 2,20f.)


* ) Ovid, Metamorphosen I,80ff. — **) Die Geschichte, dass Prometheus den Lehm mit Feuer belebt, steht freilich bei Apollodor, Biblotheke I,45 und Fulgentius, Mythologiae II,vi

Hinweis bei Friedrich Ohly, Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung, Schiftenreihe der Westfaälischen Wilhelms-Universität Münster, Heft 7 (1982/83).

Argumentationen auf der Basis naturkundlicher Parallelen basieren auf dem Gedanken, dass die Schöpfung ein ›zweites Buch‹ neben der Bibel ist.

Franz von Retz, »Defensorium«

Franz von Retz, O.P. († 1427) verfasste das »Defensorium inviolatae virginitatis Beatae Mariae«.

Thema ist, dass Maria ohne Verlust der Jungfrauschaft Jesus empfangen und geboren habe. Der Satz steht seit alters in den christlichen Glaubensbekenntissen, wurde indessen immer wieder angezweifelt.

(Es geht nicht um die "unbefleckte Empfängnis von Maria", die bei der Zeugung durch ihre Eltern von der Erbsünde frei (immaculata) blieb. Dieser Glaubenssatz wurde – nachdem er bereits 1439 und öfters erwogen wurde – erst 1854 als Dogma fixiert.)

Wunderbare, aber bezeugte Begebenheiten, bzw. Gesetzlichkeiten aus der
∆ Naturkunde,
∆ Szenen der heidnischen Mythologie und der
∆ Profan-Geschichte und aus dem
∆ Alten Testament
dienen als Beweisgründe für diesen Glaubenssatz nach dem Muster ›si x,cur non M?‹ ≈ »Wenn das möglich ist, warum sollte nicht auch eine Jungfrau empfangen und gebären?‹.— Je nach Handschrift / Druck werden bis 60 solche Beweisgründe vorgebracht.

Die Gedankenfigur der Typologie wird mithin über die biblische Geschichte hinaus ausgeweitet.

Faksimile des undatierten Blockbuchs, Saragossa, hg. Wilhelm L. Schreiber, Weimar 1910. Blatt 6.

AT: Si retro gradiente sole vita regis [Hiskia] apparet cur alio opere naturae virgo non generaret? (4 Reg = 2. Kön. 20, 10f)
Myth.: Si Diana [richtig: Danaë] aureae pluviae igne praegnans claret cur spiritu sancto gravida virgo non generaret. (Augustinus, de civitate Dei, II,vii)
AT: Der grünende Stab Aarons: Germinabit virga eius quam elegero (Num. = 4. Mos. 17 [nicht 11!]) Natur: Si concha rore desuper perlis fecunda claret .  cur rorante pneumate virgo non generaret? in libro animalium. ysidorus libro xvij. capitulo xxxiiij.  *

 
*) Über die Conchae margaritiferae scheibt Isidor [richtig: Etym. XII, vi, 49]: De quibus tradunt hi qui de animantium scripsere naturis [eo] quod nocturno tempore litora appetant, et ex caelesti rore margaritum concipiunt.

Schreiber teilt »kuriose gereimte Übersetzungen« anderer Ausgaben mit:

Mochte Dana in eynem gulden regen
entfahen von eynem apgot in eynem thorne
[Turm]
So mag auch maria geberen
jr liebes kindt ane windes sturme.

Kan des clares luftes tauwe
perlin swanger sachen [verursachen oder verschrieben für machen?]
So mag got mit tugent auwe [hinwieder, ebenso]
berhafft [fruchtbar] sine mutter machen.

#############

Defensorium immaculatae virginitatis. Mit 59 kolorierten Holzschnitten. Faksimileausgabe der Ausgabe des in der Bayerischen Nationalbibliothek München befindlichen Originals um 1470. Mit Beiheft von Kurt Pfister, Leipzig: Insel-Verlag 1925.

Spezielle Literaturhinweise:

Klaus Grubmüller, Artikel "Franz v.Retz" in Verfasserlexikon Band 2 (####), Sp.834–837.

Friedrich Zoepfl, Defensorium, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954), Sp. 1206–1218  > http://www.rdklabor.de/wiki/Defensorium (mit Aufzählung der Präfigurationen)

Engelbert Kirschbaum / Wolfgang Braunfels u.a. (Hgg.), Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg 1968–1976; s.v. Defensorium ####

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Typologischer Hinweis in einer zweiten Bild- (oder Text-) Ebene

Immer wieder entdeckt man in Bildern Elemente, die nicht in den Kontext zu passen scheinen, weil sie eine zweite – typologische – Bildebene repräsentieren.

••• Erstes Beispiel:

Der Prophet Micha prohezeit (Kapitel 5,2), das aus Betlehem der Herrscher über Israel hervorgehen wird; das wurde auf Christus hin ausgelegt; diese Szene der Geburt Jesu in Betlehem ist ganz realistisch in der Landschaft zu sehen, als ereigne sich das Geschehen gerade dort.

Detail:

Matthaeus Merian (1593–1650) Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen/ zu Nutz und Belustigung Gottsförchtiger und Kunstverständiger Personen artig vorgebildet / an Tag gegeben durch Matthaeum Merian von Basel. Mit Versen vnd Reymen in dreyen Sprachen gezieret vnd erkläret, Franckfurt am Mayn 1625–1629.

••• Zweites Beispiel:

Der Prophet Hosea sagt (Hos. 13,14): Tod / Jch wil dir eine Gifft sein. Helle / Jch wil dir eine Pestilentz sein. Die Stelle wird im Bild von Lucas Cranach in der (ersten vollständigen Luther-Bibel) 1534 auf Kreuzigung und Auferstehung bezogen:

Biblia/ das ist die gantze Heilige SChrifft Deutsch, Wittenberg: Hans Lufft 1534.

••• Drittes Beispiel:

 

Biblia germanica. Das ander teyl der Bibel, Augsburg: Johann Schönsperger, 9. November 1490; Beginn des Markus-Evangeliums

Der am Pult schreibende Evangelist Markus hat als Attribut wie üblich den Löwen (in der Väterzeit aus dem Tetramorph Ez. 1,5–10 und Apc 4, 7–6 entwickelt).

Rechts ist die Auferstehungsszene dargestellt, wozu die Evangelium nur Anspielungen machen (Matth 27.62–66 und 28,7 parr.), szenisch aber die Anordnung der Bewachung des Grabs und die Entdeckung des leeren Grabs schildern (Mark 15,42–47 und 16,1–7).

Im Hintergrund erkennt man Samson/Simson, der die ausgehängten Tore der Stadt Gaza trägt (Richter 16,2–3):

Aus der Froschauerbibel 1525

Der Bibelkommentar des Cornelius a Lapide S.J. (1567–1637) stellt den typologischen Bezug her: Samson media nocte tollens portas Gazae repraesentat Christum post mediam noctem e sepulcro resurgentem ac lapidem sepulcri removentem insuper portas mortis et gehennae auferentem indeque patri archas et prophetas sanctosque omnes cum triumpho educentem. (zu Jud 16,1ff. mit Beizug von Stellen der Kirchenväter)

••• Drittes Beispiel:

In der Bilderbibel von Johann Fischart und Tobias Stimmer werden Szenen des AT gelegentlich mit einem schriftlichen Verweis auf das typologische Pendant versehen. Hier ist der Kampf Simsons gegen den Löwen (Richter 14,8f.) ein Vorbild Christi Todeskampfs:

Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien / grüntlich von Tobia Stimmer gerissen: Und zu Gotsförchtiger ergetzung andachtiger Hertzen mit artigen Reimen begriffen durch J. F. G. M / grüntlich von Tobia Stimmer gerissen, Zu Basel bei Thoma Gwarin, Anno 1576.
> https://www.e-rara.ch/bau_1/doi/10.3931/e-rara-431

••• Viertes Beispiel

Mitunter werden Szenen in einem Buch typologisch korreliert. Hier die Auffahrt Christi (vgl. Lukas 24,50–53 und Apg. 1,11–11 u.a. Stellen) parallelisiert mit der Himmelfahrt des Elia (2.Könige 2,1–18):

Zum Auffahrts-Tag: In die Ascensionis domini; links dargestellt.

Missale von Abt Dietlelm Blarer (1530–1564) aus dem Jahre 1555; St.Gallen, Stiftsbibliothek, Cod Sang 357 (Ausschnitt)
> http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0357/163

••• Fünftes Beispiel:

Warum stellt der Stuttgarter Psalter die Szene der Verkündigung an Maria durch den Engel (Lukas 1,26–38) dar im Kontext von:

Psalm 71 (Vulgata),6: Descendet sicut pluvia in vellus, et sicut stillicidia stillantia super terram. (Er wird  herabkommen wie Regen auf das Fell, und wie tröpfelnde Regenträufel auf die Erde.)

Stuttgarter Psalter, Württembergische Landesbibliothek. Cod.bibl.fol.23; fol 83 verso
>  http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz307047059

Der Psalmvers (wie Regen auf das Fell) wird offenbar zunächst mit dem Wunder Gideons zusammengebracht: Gideon bittet Gott, den Auftrag, die Midianiter zu bekämpfen, mit einem Zeichen zu bestätigen. Er legt ein Vlies (Schaf-Fell, lat. vellus) auf den Boden der Tenne und verlangt, dass es andern Tags vom Tau (lat. ros) benetzt sei; so ist es dann. (Richter 6,36–38)

Der Kommentar des Cornelius a Lapide zur Stelle zeigt sodann die typologische Bezugnahme des Gideonwunders auf die Jungfrauengeburt: Ros in vellere est Christus in virgine. Ros enim significat Verbi in Virginem illapsum et incarnationem instar roris fore secretum, tranquillum, castum, suavem, spiritalem, fæcundum, sine virginitatis corruptione et sine partus dolore. Vellus enim est tam uterus Virginis quam humanitas Christi Virginis utero concepta, in quam divinitas se ut ros cælestis insinuavit.

••• Sechstes Beispiel:

Eine typologische Beziehung wird (eventuell) rein zeichnerisch angedeutet.

Die St.Galler Handschrift der Weltchronik des Rudolf von Ems (entstanden um 1300) zeigt auf Fol. 16 verso diese Szene:

> https://www.e-codices.unifr.ch/de/vad/0302/16v

(oberes Bild: Die Vertreibung Hagars und Ismaels in die Wüste (Genesis 21,8–21) In der Bibel ist es nicht Sara, die die Vertreibung direkt gegenüber Hagar ausspricht, sondern sie fordert Abraham dazu auf: »Da sprach sie zu Abraham: Treibe diese Magd aus mit ihrem Sohn!«)

Das untere Bild zeigt die Szene: Gottes Engel erhört den in der Wüste weinenden Knaben Ismael, ermutigt die Mutter Hagar und verheisst, dass der Sohn zu einem großen Volk gemacht werde. — Die Illustration ähnelt auffällig der unzählig oft vorkommenden Darstellung der Verkündigung an Maria durch den Engel (Lukasevangelium 1,26–38).

Es scheint ohne Textgrundlage einzig durch das Bild ein typologischer Bezug nahegelegt. <> Freilich muss man auch erwägen, dass der Illustrator für die Szene mit dem Engel und Hagar sich von Bildern der Verkündigungsszene hat anregen lassen, ohne dass Typologisches intendiert ist ! — (Es wäre in der exetischen Literatur abzuklären, ob es Belege gibt.)

Zum Vergleich: Liutoldevangliar (um 1170) © ÖNB

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Auf den Schultern der Propheten

Die Vorstellung, dass Zwerge auf den Schultern von Riesen weiter sehen als diese, hat eine lange Tradition:

Fruitur tamen aetas nostra beneficio praecedentis, et saepe plura novit, non suo quidem praecedens ingenio, sed innitens viribus alienis et opulenta prudentia patrum. — Dicebat Bernardus Carnotensis nos esse quasi nanos gigantium humeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non utique proprii visus acumine aut eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur et tollimur magnitudine gigantea.
Johannes von Salisbury (*ca. 1115, † 1180) »Metalogicon« III, 4 (PL 199,900C = ed. Webb p. 136)

≈ Unser Zeitalter zieht Nutzen aus der Wohltat des vorangegangenen und weiss oft mehr, nicht wegen des eigenen trefflichen Scharfsinns, sondern weil es sich stützt auf fremde Mittel und die reichlich vorhandene Weisheit der Väter. — Bernhard von Chartres († nach 1124) sagte: »Wir sind wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, so dass wir mehr und weiter Entferntes sehen können, nicht wegen der Schärfe unseres eigenen Sehvermögens oder der Größe des Körpers, sondern weil wir durch die Riesengröße in die Höhe gehoben werden.«

Robert K. Merton, Auf den Schultern von Riesen [engl. 1965], (stw 426), Frankfurt / M. 1983.

Auf diesem genialen Gleichnis beruht möglicherweise die ›typologische‹ Darstellung der auf den Schultern der (etwa 12 im NT genannten AT) Propheten stehenden 12 Apostel, wie hier in Bamberg:

oder hier in den Glasfenstern der Kathedrale von Chartres:

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Gesetz versus Gnade

••• Auf dem Titelblatt mehrerer Luther-Bibeln sowie auf Kanzeln, Epitaphien u.a.m. findet sich diese Darstellung. Hier ist kein typologisches Verhältnis gemeint, sondern die beiden Epochen (unter dem Gesetz | unter der Gnade) werden einander gegenübergestellt. Hier ein Holzschnitt von Erhard Altdorfer:

De Biblie uth der uthlegginge D. Martini Luthers yn dyth düdesche ulitich uthgesettet ... Lübeck: Dietz 1533/1534
> http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn

Moses empfängt die Gesetzestafeln

Sündenfall

Skelett auf einem Sarg

der Baum auf dieser Seite ist dürr

der Engel Maria; die Geburt Jesu

der Gekreuzigte

die Auferstehung

der Baum auf dieser Seite ist belaubt

Der Mensch in der Mitte soll sich der Gnade zuwenden.


Auf der Seite des AT ist der Aspekt Gottes als eines fordernden und strafenden dargestellt; auf der Seite des NT der Aspekt des schenkenden, gnädigen. Das ist gemäß Luthers Lehre keine Alternative. Gesetz und Evangelium gehen zusammen. Das Gesetz zeigt die grundsätzliche Sündhaftigkeit auf, es rüttelt auf, treibt zu Christus hin, der die Sünden gnadenhaft vergibt und der im gläubigen Menschen das vom Gesetz geforderte Gute tut. Das Evangelium tröstet nur den, der durch das Gesetz seine Sünde kennen gelernt hat. (Vgl. Reinhold Seeberg, Die Lehre Luthers, Leipzig 1917, S.201ff.; Erich Seeberg, Luthers Theologie, Band II, Stuttgart 1937, S.411ff.)

••• Berühmt sind die leicht anders gearteten Tafeln von Lukas Cranach d.Ä. (1472–1553); hier diejenige aus dem Jahr 1529:

> https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Cranach_Gesetz_und_Gnade

••• Die Gegenüberstellung zweier Lebensformen unter einem Y-förmigen Baum ähnelt der Ikonographie von "Herakles am Scheideweg". Diese Darstellung ist indessen anders zu lesen, insofern als das Gesetz zum Heiland führt: Lex ad Christum ducit.

links: Moses mit den Gesetzestafeln und der rettenden Schlange im Hintergrund;

rechts: Johannes der Täufer mit dem Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird und dabei schweigt (Jes. 53,7; vgl. Apg. 8,32); im Hintergrund der Gekreuzigte.

Theatrum vitae humanæ. / A I.I. Boissardo Vesuntino conscriptum, et à Theodoro Bryio artificiosissimis historiis illustratum. [Metz: Excussum typis Abrahami Fabri, Mediomatricorum Typographi 1596]
> https://hdl.handle.net/2027/uiuo.ark:/13960/t8mc9gs3b

Vgl. die umfassenden Forschungen zu diesem Motiv: Heimo Reinitzer, Gesetz und Evangelium. Über ein reformatorisches Bildthema, seine Tradition, Funktion und Wirkungsgeschichte, Hamburg: Christians 2006 (2 Bände, 535 + 415 Seiten; 285 Abb.)

Ähnlich angelegt sind die (glücklicherweise erhalten gebliebenen) Glasfenster der Pilgerspitalkirche St. Martha in Nürnberg, vgl. die exzellente Website von corpusvitrearum.de

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Synagoge und Ecclesia

Werden Präfiguration und Erfüllung ohne genauen biblischen Bezug personifiziert, so verschwindet die im engeren Sinn typologische Beziehung zugunsten einer Gegenüber-Stellung.

Die beiden Gestalten (Synagoge für die ›Gemeinschaft‹ der Menschen im AT / Ecclesia für die Gemeinschaft der Christen im NT) werden mit Attributen ausgestattet

Beispiel: Eine Bildtafel der Kreuzigung aus dem »Hortus deliciarum« der Herrad von Landsberg (1125–1195) mit den üblichen Personen (Maria und Johannes; guter und böser Schächer an den Kreuzen; Longinus mit der Lanze; +++) und Ereignissen (oben: Tempelvorhang; Sonne und Mond verfinstern sich; unten ein Auferstehender):

Herrade de Landsberg, HORTVS DELICIARVM, ed. A. Straub & G. Keller, Strasbourg 1899. — Vgl. »Hortus deliciarum«, ed. Rosalie Green / M. Evans / C. Bischoff, M. Curschmann, (Studies of the Warburg Institute 36), 2 vols., London / Leiden 1979, Band I, Fol. 150r (Pl. 93) Bild Nr. 212; Band II S.263 keine Texte zu Synagoge und Ecclesia.

Ecclesia (auf der rechten Seite Christi, auf der Seite des guten Schächers) reitet gekrönt auf einem Tier mit vier Köpfen und Pfoten, die aus den Evangelistensymbolen abgeleitet sind; sie hält eine Fahne mit Kreuz und fängt mit einem Kelch das Blut aus der Seitenwunde Christi auf. — Synagoge reitet auf der Seite des bösen Schächers, vom Kreuz abgewandt, das Kopftuch über den Augen, auf einem Esel, hält ihre Fahne nicht mehr, in der rechten Hand ein Beschneidungsmesser (?), auf dem Schoß ein Opfertier (evtl. der fehllose Ziegenbock aus Ezechiel 43,22).

Glasfenster im Münster in Freiburg/Breisgau:

    

Zu den Bilddarstellungen vgl.

W.Greisenegger, "Ecclesia und Synagoge" in: LCI Band I (1968), Sp. 569–578.

Otto Gillen, "Bund, alter und neuer", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1950), Sp. 90–112. > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=92472

Adolf Weis, "Ekklesia und Synagoge", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IV (1957), Sp. 1189–1215. > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=93171

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Verwandte Formen

AT — NT auf 2 Zeilen komprimiert

Hugo Primas (erste Hälfte des 12. Jahrhunderts) fasst die beiden Testamente in einem prägnanten Zweizeiler so zusammen:

Quos anguis tristi virus mulcedine pavit
Hos sanguis Christi mirus dulcedine lavit.

≈ Diejenigen, die das Gift der Schlange mit verdrussbringender ›Erquickung‹ fütterte, die hat das wunderbare Blut Christi mit Süße gewaschen.

Die beiden Hexameter reimen sich Wort-für-Wort — dabei ist ihre Aussage vollkommen gegensätzlich.
Bereits zitiert von Jacob Grimm in: Kleinere Schriften von Jacob Grimm: Abhandlungen zur Litteratur und Grammatik Band 3 (1866), S.99.

Hinweis
> https://christophwurm.de/portfolio-item/hugo-primas-von-orleans/

Paradigmengebet

Dabei handelt es sich um einen Gebetstyp, bei dem sich der Gläubige auf eine analoge historische Situation beruft, in der sich Gott bereits als gnädig erwiesen hatte, wobei die Konstanz von Gottes Barmherzigkeit angenommen wird (vgl. Psalm 25,6). Wie bei der Typologie wird Bezug genommen auf eine ähnliche Figuration, aber es handelt sich nicht um Steigerungsverhältnis. 

••• Während des seleukidischen Feldzugs gegen die Makkabäer unter Gorgias sind die Israeiten schlecht ausgerüstet. Judas Makkabäus sagt zu seinen Männern:

Denkt daran, wie unsere Väter im Roten Meer gerettet wurden, als der Pharao sie mit seinem Heer verfolgte. Lasst uns den Himmel anrufen, dass er uns gewogen ist … (1. Makkabäer 4,9) vgl. Flavius Josephus Antiquitates XII, vii, 3–4

••• Mit diesem Gebet wird – cum in agone sui exitûs anima anxiatur – die Seele des Sterbenden der Barmherzigkeit Gottes anbefohlen (›commendatio animae‹):

Libera, Domine, Servum tuum, sicut liberasti Noe de diluvio. Amen. – Befreie, Herr, deinen Diener, wie Du Noach aus der Flut befreit hast.

Libera, Domine, Servum tuum, sicut liberasti Abraham de Ur Chaldaeorum. Amen.– Befreie, Herr, deinen Diener, wie Du Abraham aus Ur in Chaldäa befreit hast.

Libera, Domine, Servum tuum, sicut liberasti Moysen de manu Pharaonis. Amen. – Befreie, Herr, deinen Diener, wie Du Mose aus der Hand des Pharao befreit hast.

Libera, Domine, Servum tuum, sicut liberasti Danielem de lacu leonum. Amen. – Befreie, Herr, deinen Diener, wie Du Daniel aus der Löwengrube befreit hast.

Libera, Domine, Servum tuum, sicut liberasti Tres pueros de camino ignis ardentis et de manu regnis iniqui. Amen.– Befreie, Herr, deinen Diener, wie Du die drei Jünglinge aus dem Feuerofen und aus der Hand des ungerechten Königs befreit has.

Libera, Domine, Servum tuum, sicut liberasti Petrum et Paulum de carceribus. Amen. – Befreie, Herr, deinen Diener, wie Du Petrus und Paulus aus dem Gefängnis befreit hast.

> http://www.preces-latinae.org/thesaurus/Varia/CommendatioAnimae.html

Typologisches in der Predigt

Einer Predigt fügt der lutherische Pastor Johann Michael Dilherr (1604–1669) pseudo-emblematisch das Bild des vom großen Fisch ausgespienen Jonas bei (vgl. Matthäus 12,40):

Der Wallfisch Jonam wiedergibt;
Die Erd den HERRN: sey unbetrübt!

Jonas JEsu Fürbild.

Gleichwie Jonas kommen must/
aus deß Wallfischs Bauches Wust:
    Also muste wiederkommen/
    aus dem Grab/ das Haubt der Frommen.

Johann Michael Dilherr, Augen- und Hertzens-Lust. Das ist/ Emblematische Fürstellung der Sonn- und Festtäglichen Evangelien : In welcher zu finden Erstlich/ der Inhalt der Evangelien; Zum Andern/ die fürnehmste darinnen enthaltene Lehren; Zum Dritten/ ein darauf gerichtetes Gebethlein; Zum Vierdten ein Lied/ so auf das Evangelium/ und auf das Emblema/ oder Sinnbild/ gerichtet, [Nürnberg]: Endter, 1661.
> http://digital.slub-dresden.de/id379774372/1

Buchtitel

Hier links die Gesetzestafeln, garniert mit Totenkopf usw. — rechts das aufgeschlagene Neue Testament mit dem Kreuz Christi usw.:

Pieter van der Borcht, Emblemata Sacra, e præcipuis utriusque Testamenti Historiis concinnata, ed. Jan Philipszoon Schabaelje 1653.

Conrad Meÿer (Zürich 1618–1689) zeigt auf dem Titel seiner Radierungen zur Bibel links Moses mit der rettenden ehernen ehernen Schlange — rechts den Gekreuzigten:

Uber unsers H. Jesu Christi Leiden, Tod und Aufferstehung etc. Geschichtmässige Figuren, durch Conrad Meÿer von Zürich [o.D.]
> https://doi.org/10.3931/e-rara-11846

Zwei Schlangen: die verderbenbringende und die heilbringende (Wiederholung von oben):

Titelblatt von: Afbeeldingen der voornaamste historien, soo van het Oude als Nieuwe Testament [um 1700].

Wie gut sie zusammenpassen

Engel mit aufgeschlagener Bibel, darunter der Text: QVAM BENE CONVENIVNT (Wie gut sie zusammenpassen)

Rosa Micus, Das Bildprogramm in Regensburg, St. Oswald. Ein katechetischer Bildzyklus regensburgisch-lutherischer Prägung, in: das münster, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft, 63. Jahrgang/3/2010, Abb 6.

... und doch sind sie verschieden

Zwei Glasfenster im nördlichen Steinschiff der Lutherkirche »Temple Madeleine« in Genf (vermutlich von Alexandre Mairet, vor 1930):

     

Die Taube bringt Noah den Ölzweig

Der Abendmahlskelch
Die Gesetzes-Tafeln von Moses Die beim NT aufgeschlagene Bibel
Der Siebenarmige Leuchter Ährenlesen am Sabbat (Joh. 12,24)?


(Foto von P.M.; Dank an Rosa Micus für die Hinweise!)

••• Moses – Messias

Jakob Böhme (1575–1624) verfasste 1623 eine Auslegung der Schöpfungsgeschichte; der erste Druck ist dieser:

Mysterium Magnum, Oder Erklärung über das Erste Buch Mosis, Von der Offenbahrung Göttlichen Worts durch die drey Principia Göttliches Wesens, auch vom Ursprung der Welt und der Schöpffung: Darinnen Das Reich der Natur, und Das Reich der Gnaden erkläret wird. Zu mehrerm Verstande des Alten und Neuen Testaments, was Adam und Christus sey ... / Beschrieben durch Jacob Böhme, sonst genant Teutonicus Philosophus, Amsterdam 1682. [805 Seiten]

Titelbild: Einer der apokalyptischen Engel enthüllt mit seiner Posaune das strahlende Antlitz (vgl. Exodus 34,33) von Moses, der eine Himmelssphäre mit den Tierkreiszeichen hält, und verweist ihn mit der rechten Hand auf Jesus (mit Lilie in der Hand, vgl. Matth 6,28ff.), der in einem Zodiac-Kreis (ohne Tierkreiszeichen) steht. Die Typologie wird unterstützt durch die Wörter Moses – Messias.

> https://www.jacob-boehme.org/de/Mysterium-Magnum-1.html

> http://www.boehme.pushpak.de/mysterium-magnum/ (Mit deutscher Übersetzung des Texts und dem Titelbild der Ausgabe Amsterdam 1682)

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Applikation auf profane Herrscher

Vossianische Antonomasie

Der Eigenname einer hinsichtlich einer Eigenschaft besonders hervorragenden Person wird als Appellativ verwendet: Unser Nachbar ist ein zweiter Krösus. Es besteht kein Steigerungsverhältnis zur jüngeren Figur hin: Croeso ditior; Lynceo perspicatior; Oreste insanior; Ulysse dolosior. (Vgl. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 1960, §§ 580ff.)

Beispiel aus dem »Rolandslied« (um 1170; Verse 9040ff.):

Nune mugen wir in disem zite
dem chunige Davite
niemen so wol gelichen
so den herzogen Hainrichen.

 

David auf der Reichskrone:

> www.reichskrone.de/glanz.htm

Kapitel wird noch bearbeitet

Literatur speziell hierzu:

(Chronologisch geordnet)

Julius Schwietering, Typologisches in mittelalterlicher Dichtung (1925),wieder in: J.Sch., Philologische Schriften, München 1969, S.269–281.

Erich Auerbach, Typologische Motive in der mittelalterlichen Literatur, Krefeld 1953.

Walther [!] Ohly, Die heilsgeschichtliche Struktur der Epen Hartmanns von Aue, Diss. Berlin 1958.

Albrecht Schöne, Postfigurale Gestaltung — Andreas Gryphius, in: A.Sch., Säkularisation als sprachbildende Kraft, (Palaestra 226), Göttingen 1958, 2.Aufl. 1968, S.37–91.

Hugo Steger, David Rex et Propheta: König David als vorbildliche Verkörperung des Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften Jahrhunderts (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 6) Nürnberg 1961.

Eberhard Nellmann, Karl der Große und König David im Epilog des deutschen Rolandsliedes, in: Zs für dt Altertum 94 (1965), S.268–279.

Ute Schwab, Lex et Gratia. Der literarische Exkurs Gottfrieds von Straßburgs und Hartmanns Gregorius, Messina 1967.

Petrus W. Tax, Der »Erek« Hartmanns von Aue: Ein Antitypus zu der »Eneit« Heinrichs von Veldeke? in: Festschrift Helen Adolf, New York 1968, S.47–62.

Hartmut Hoefer, Typologie im Mittelalter. Zur Übersetzbarkeit typologischer Interpretation auf weltliche Dichtung, (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 54), Göppingen 1971.

Alois Wolf, "Diu wâre wirtinne — der wâre Elicôn". Zur Frage des typologischen Denkens in volksspr. Dichtung des Hochmittelalters, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 6 (1971), S.93–131.

R. Keuchen, Typologische Strukturen im »Tristan«. Ein Beitrag zur Erzähltechnik Gottfrieds von Straßburg, Diss. Köln 1975.

Friedrich Ohly, Halbbiblische und außerbiblische Typologie [zuerst 1975], in: F.O., Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1977, S.361–400.

Friedrich Ohly, Typologische Figuren aus Natur und Mythos, in: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978, hg. Walter Haug, Stuttgart: Metzler 1979, S.126–166.

Hartmut Freytag, Die Theorie der allegorischen Schriftdeutung und die Allegorie in deutschen Texten besonders des 11. und 12. Jahrhunderts, (Bibliotheca Germanica 24), Bern / München 1982.

Ueli Zahnd, Novus David. Zur Frage nach byzantinischen Vorläufern eines abendländischen Topos, in: Frühmittelalterliche Studien 42 (2008), S.71–85.

 

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Literaturhinweise zur Typologie

(Einiges aus dem Text oben ist hier wiederholt.)

Editionen:

Das Niello-Antipendium zu Klosterneuburg in Oesterreich, verfertiget im zwölften Jahrhunderte von Nicolaus aus Verdun: In der Originalgrösse lithographirt und... hgg. von Albert Camesina. Beschrieben und erläutert von Joseph Arneth, Band 2 Wien, 1844

Jules Lutz / Paul Perdrizet, Speculum humanæ salvationis. 2Bde., Mühlhausen 1907/09.

[W.L. Schreiber, Faksimileausgabe von:] Franz von Retz, O.P. († 1427), Defensorium inviolatæ virginitatis beatæ Mariæ, Weimar 1910.

Axel Lindqvist (Hrsg.): Konrad von Helmsdorf: Aus der St. Gallener Handschrift (Deutsche Texte des Mittelalters 31), Berlin 1924. [mit Erklärung der Bilder S. XXII ff., ohne dieselben; Edition des mhd. Texts: 4774 Verse]
> https://archive.org/details/derspiegeldesmenschlindq
Handschrift: St. Gallen, Kantonsbibliothek, VadSlg Ms. 352/1-2
> http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/vad/0352-1-2

Floridus Röhrig, Der Verduner Altar, 4.Auflage Wien 1955.

Speculum humanæ salvationis. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Cremifanensis 243 des Benediktinerstifts Kremsmünster. Kommentar von Willibrord Neumüller, (Codices Selecti phototypice impressi 32/32*), Graz 1972.

Heilsspiegel. Die Bilder des mitterlalterlichen Erbauungsbuches Speculum humanæ salvationis, mit Nachwort und Erläuterungen von Horst Appuhn, (Die bibliophilen Taschenbücher 267), Dortmund 1981.

Biblia Pauperum. Die Bilderhandschrift des Codex Palatinus latinus 871, Einführung und Kommenar von Christoph Wetzel; Transkription und Übersetung Heike Drechsler, Stuttgart/Zürich: Belser 1995.

Karsten Falkenau, Die "Concordantz Alt vnd News Testament" von 1550. Ein Hauptwerk biblischer Typologie des 16. Jahrhunderts illustriert von Augustin Hirschvogel, Regensburg: Schnell + Steiner 1999 (Studien zur christlichen Kunst 2).

Pictor in carmine. Ein Handbuch der Typologie aus der Zeit um 1200 nach MS 300 des Corpus Christi College in Cambridge; hrsg. von Karl-August Wirth, Berlin: Gebr. Mann 2006.

 

Neuerdings sind mehrere Handschriften und Frühdrucke digitalisiert; einige Hinweise:

BSB Cgm 155
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00096308?page=1

Heidelberg, Cod. Pal. germ. 59
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg59

ULB Darmstadt Hs 2505
> http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Hs-2505

Biblia pauperum, [Bamberg, ca. 1462/63]
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00026399/image_1

Heidelberg, Cod. Pal. germ. 59 > https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg59

Speculum humanae salvationis, deutsch, Reutlingen, 1. Januar 1492.
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/is00666500

Speculum humanae salvationis [mit deutscher Übersetzung]: Spiegel menschlicher behaltnis [Raum Elsass, 1436]
> http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/speculum1436

Speculum humanae salvationis Basel: Bernhard Richel 1476
> https://doi.org/10.3931/e-rara-8656

Cod. Karlsruhe 3378
> https://digital.blb-karlsruhe.de/urn/urn:nbn:de:bsz:31-1732

StB Mainz, Hs II 10
> https://www.dilibri.de/stbmz/content/titleinfo/1905688

 

Forschungsliteratur:

Es gibt bereits viele Forschungen zu diesem Thema. Hier ist im Sinne eines forschungsgeschichtlichen Abrisses eine Auswahl in chronologischer Reihenfolge aufgelistet:

 

Hans Engelhardt, Der theologische Gehalt der Biblia Pauperum, Straßburg: Heitz 1927 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte Heft 243) [mit Synopsen der aufeinander bezogenen Bibelstellen].

Hildegard Zimmermann, Artikel "Armenbibel (Biblia pauperum, Biblia picta"), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1936), Sp. 1072–1084. [mit Liste der Bildgruppen]
> https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89657

Erich Auerbach, Figura, in: Archivum Romanicum XXII (1938); wieder abgedruckt in: E.A., Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern 1967, S.55–92.

Leonhard Goppelt, Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen, 1939; Reprint Gütersloh 1969.

Richard Bultmann, Ursprung und Sinn der Typologie als hermeneutischer Methode, in: Theologische Literaturzeitung LXXV (1950), S.205–212.

Jean Daniélou, Sacramentum futuri. Etudes sur les origines de la typologie biblique, Paris 1950.

Otto Gillen, "Bund, alter und neuer", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1950), Sp. 90–112 > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=92472

Gerhard Schmidt, Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts, (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Band XIX), Graz: Böhlau 1959

Henri de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l'Ecriture. 4 Bände, Paris: Aubier 1959–1960; darin Band I/1: "L'unité des deux testaments".

Wolfang Seiferth, Synagoge und Kirche im Mittelalter, München 1964.

Leonhard Goppelt, Artikel "typos, antitypos", in: Theolog. Wörterbuch zum Neuen Testament, hg. G.Friedrich, Bd.8, Stuttgart 1969, S.246–260.

John Samuel Preuss, From Shadow to Promise. Old Testament Interpretation from Augustine to the young Luther, Cambridge / Mass. 1969.

Friedrich Ohly, Synagoge und Ecclesia. Typologisches in mittelalterlicher Dichtung, in: Miscellanea Mediaevalia 4 (»Judentum im Mittelalter«), Berlin 1966. S.350–369; wieder abgedruckt in Ohly, Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1977, S. 312–337.

P. Bloch, Artikel "Typologie" in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. E.Kirschbaum u.a., Bd.4 (1972), Spalte 395–404.

Peter Jentzmik, Zu Möglichkeiten und Grenzen typologischer Exegese in mittelalterlicher Predigt und Dichtung, (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 112), Göppingen 1973.

Werner Schröder, Zum Typologie-Begriff und Typologie-Verständnis in der mediävistischen Literaturwissenschaft, in: H. Scholler (Hg.), The Epic in Medieval Society, Tübingen 1977, S.64–85.

Friedrich Ohly, Skizzen zur Typologie im späten Mittelalter, in: Medium Aevum deutsch, = Festschrift Kurt Ruh zum 65. Geburtstag, hg. D. Huschenbett u.a., Tübingen 1979, S.251-310

Friedrich Ohly, Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung, Schiftenreihe der Westfaälischen Wilhelms-Universität Münster, Heft 7 (1982/83).

Rudolf Suntrup, Zur sprachlichen Form der Typologie, in: K. Grubmüller / R. Schmidt-Wiegand / K. Speckenbach (Hgg.), Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, (Münstersche Mittelalter-Schriften 51), München 1984, S.23-68

Volker Bohn (Hg.), Typologie. Internationale Beiträge zur Poetik, (edition suhrkamp, NF 451), Fft/M. 1988. (Mit Aufsätzen von Friedrich Ohly, Northrop Frye, Jean Pépin, Jean Daniélou, Hans Blumenberg, Hans Holländer, Paul J. Korshin, Thomas Borgstedt, Thomas M. Davis, Sacvan Bercovitch, Henri de Lubac, Karl Keller, Marcel Muller)

Paul Michel, Übergangsformen zwischen Typologie und anderen Gestalten des Textbezugs, in: Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion, hg. Wolfgang Harms / Klaus Speckenbach, Tübingen: Niemeyer 1992, S. 43–71.

H.-W. Stork / B. Wachinger, Artikel "Speculum humanae salvationis" in: Verfasserlexikon, Band 9 (1995) Sp. 52–65.

Rudolf Suntrup, Typologische Heilsgeschichts-Konzepte in mittelalterlicher geistlicher Literatur, in: Germanistische Mediävistik, hg. von Volker Honemann / Tomas Tomasek (Münsteraner Einführungen: Germanistik 4), Münster 1999, 2. Aufl. Münster 2000, S. 277–308.

Bernd Mohnhaupt, Beziehungsgeflechte. Typologische Kunst des Mittelalters. (Vestigia Bibliae Band 22) Peter Lang-Verlag Bern usw. 2000.

Heimo Reinitzer, Gesetz und Evangelium. Über ein reformatorisches Bildthema, seine Tradition, Funktion und Wirkungsgeschichte, Hamburg: Christians-Verlag 2006 (2 Bände).

Hanna Wimmer / Malena Ratzke / Bruno Reudenbach, Studien zur Biblia pauperum, Berlin usw.: Lang 2016 (Vestigia Bibliae Band 34).

 

Bibelstellen in der lat. Fassung / in einer deutschen Übersetzung
> http://www.bibel-verse.de/

 

zur Inhaltsübersicht

Coda

 

G. E. Lessing, »Nathan der Weise (1779); 4. Akt. 7. Auftritt:

Klosterbruder: Und ist den nicht das ganze Christentum aufs Judentum gebaut?

Friedrich Nietzsche, »Jenseits von Gut und Böse«, Nr. 52

Dieses Neue Testament, […] mit dem Alten zu  einem Buch zusammengeleimt zu haben, […] das ist vielleicht die größte Verwegenheit und ›Sünde wider den Geist‹, welche das literarische Europa auf dem Gewissen hat.