Personifikationen
Mehr dazu im Buch »Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen«
Strebungen, Gefühle (Hass, Angst, Neid), natürliche Bedürfnisse (Hunger, Schlaf), unserer Willkür entzogene Mächte (Sünde, Tod, Gnade) werden gerne metaphorisch ausgedrückt: die Wut hat mich gepackt, die Sünde fesselt mich, das Gewissen plagt mich. – Das etwas blasse handelnde Abstraktum (die Wut) kann nun etwas Körper bekommen. Zum Beispiel ist der Geiz mager und blass, ärmlich gekleidet, in der Hand hält er einen zugeknöpften Geldbeutel; d.h. die Personifikation wird ausgestattet mit Attributen eines Geizigen. Statt menschlichen Figuren sind oft auch Tiere die Träger der Personifikation. – Solche Attribute kann man der Figur in die Hand drücken oder neben sie auf den Boden stellen. Man kann die Figur aber auch aus diesen Attributen komponieren, und so wird die Personifikation ein Kompositwesen. Vergil, FamaVergil (70 – 19) erzählt in der »Aeneis«, wie der Protagonist Aeneas von Troja kommend nach langer Reise durchs Mittelmeer in Karthago landet, wo die verwitwete Königin Dido ihn gastfreundlich aufnimmt. Aeneas’ Mutter, die Göttin Venus, möchte weitere Irrfahrten verhindern und sorgt deshalb dafür, dass sich Dido in den Gast verliebt. Mit einem Zauber-Trick gelingt ihr das. Allmählich erkennt Dido ihr Gefühl – und gesteht dies ihrer Schwester Anna – doch sie möchte die Gattentreue wahren. Anna rät ihr, nicht den Rest des Lebens als Witwe gramvoll zuzubringen; ferner erinnert sie an die bedrohlichen umliegenden Völker. Gewiss habe das Geschick der Götter Aeneas’ Flotte nach Karthago gelenkt. Diese Worte entzünden Didos Gefühl erst recht. Dido zeigt alle Symptome der Liebeskrankheit und sie vernachlässigt die Staatsgeschäfte. Juno (die Göttin der Ehe) und Venus einigen sich nach einem Geplänkel auf den Plan, die beiden Verliebten während einer Jagd beim Gewitter in einer Höhle zusammenzugesellen. Dies geschieht. Dido und Aeneas kümmern sich nicht mehr um Anstand, die Liebe wird offenbar. Dieses Offenbarwerden gestaltet Vergil in der Personifikation der Fama (das Gerücht): Das Gerücht verbreitet sich schnell – die Fama ist gefiedert. Das Gerücht nimmt alles auf – sie hat viele wachsame Augen. Es schwatz alles gleich weiter – Fama hat viele Zungen und Münder. Der unbekannte Illustrator der Vergilausgabe 1502 hat vor allem die Federn und Flügel realisiert, immerhin hat das Wesen vier Ohren und zwei Augen auf dem Bauch:
Bildquelle: Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis Seruii Mauri honorati gram[m]atici: Aelii Donati: Christofori Landini: Antonii Mancinelli & Domicii Calderini, expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis, exactissimeque revisis atque elimatis, Straßburg: Grieninger 1502. Die Stelle Vergil, Aeneis IV, 173ff., die man in jeder Ausgabe und im Internet leicht findet, geben wir hier in der Übersetzung von Thomas Murner wieder: »Vergilii maronis dryzehen Aeneadische Büecher von Trojanischer zerstörung vnd vffgang des Römischen Reichs», Straßburg: Johann Grüninger 1515; (hier nach der Ausgabe Jena 1606):
Vgl. Edith und Gerhard Binder (Übers.): Aeneis. Latein/Deutsch (= Reclam Bibliothek)
Hans Weigel d. Ä. hat in seinem Holzschnitt (mit Versen von Hans Sachs, veröffentlicht um 1546) auch die Augen visualisiert; und vielleicht darf man die Federn auch als Zungen interpretieren.
Von Jost Amman und Tobias Stimmer gibt es Holzschnitte der Fama A. Paul Weber (1893–1980), »Das Gerücht« (1943) mit politisch brisanter Aussage
Mehr zur Fama hier: https://www.uzh.ch/ds/wiki/Allegorieseminar/index.php?n=Main.Fama
Cesare Ripa, TerroreCesare Ripa (um 1555 – 1622?) bringt in seiner »Iconologia« (Erstausgabe 1593; seit der Ausgabe von 1603 mit Bildern ausgestattet) eine Personifikation des Schreckens (TERRORE). Es ist ein Mann mit einem Löwenkopf, denn die Eigenschaft des Löwen sei es, denjenigen Angst einzujagen, die ihn anfassen. – Das Charakteristikum wird mit einem Tiergleichnis ausgedrückt, und das Haupt des Tier wird – ähnlich wie bei den ägyptischen Gottheiten (vgl. den Beitrag von Eric Hornung) – auf die sonst eher undeutliche Personifikation verpflanzt. Iconologia. Overo descrittione di diverse imagini cavate dall'antichità, e di propria inventione trovate et dichiarate da Cesare Ripa […]. Di nuovo revista. Roma: Lepido Faci, 1603, p.485. Mehr zu Cesare Ripa hier: https://www.uzh.ch/ds/wiki/Allegorieseminar/index.php?n=Main.CesareRipa und hier http://www.symbolforschung.ch/Cesare%20Ripa.html |