»Präsenz ohne Substanz« – Beiträge zur Symbolik des Spiegels
(Die Idee für diesen Titel stammt von Max Nänny).
Das waren die Tagungen am 1. Juni 2000 und am 31. August / 1. September 2001.
Sie sind 2003 als Buch publiziert worden.
Literaturhinweise hier.
Einleitender Aufsatz zum Buch hier.
Insbesondre ist hinzuweisen auf das Projekt beim Schweizerischen Nationalfonds
»Spiegel und Licht – Erkenntnis und Erleuchtung. Zur Praxis analogischer Bedeutungsbildung in volksprachigen Texten des 12. bis 16. Jahrhunderts« (vgl. hier auf der Website)
Das Spiegelkabinett – Einsichten und Reflexionen
(aus Eduard Gerhard, Etruskische Spiegel, Band 1, Berlin, 1843)
Übersicht
♀ Insofern als der Spiegel die Wirklichkeit genau abbildet, kann er auch als Allegorie des Sehsinns verwendet werden.
> der Sehsinn
♀ Der Spiegel zeigt das Antlitz, wie es wirklich ist, im Gegensatz zur Vorstellung, die sich der Betrachter / die Betrachterin von sich selbst macht; z.Bsp. wie das Gesicht im Alter aussieht oder aussehen wird. Der Betrachter / die Betrachterin ist erstaunt (und ändert sich) oder will diese Wahrheit nicht sehen.
> Memorial der Tugend
♀ Der Spiegel symbolisiert die Flüchtigkeit des Augen-Blicks.
> Tempus bei Ripa/Hertel
> Aus den Augen – aus dem Sinn bei O.v.Veen
♀ Der Betrachter / die Betrachterin sieht im Spiegel statt das eigene Antlitz das Bild eines Narren, des Teufels oder des Todes, der hinter ihm / ihr steht. Optisch ist das möglich, insofern man im Spiegel um eine Ecke herum sehen kann. Wir als Zuschauer der Szene sehen dieses Bild ebenfalls.
> Hinten: Sebastian Brant – Freidanck — Geoffroy de la Tour Landry — Totentanz und andere — H.v.Doderer
♀ Der Betrachter / die Betrachterin sieht im Spiegelbild nicht sein/ihr Selbstportrait, sondern das Bild eines Narren oder eines Lasterhaften. Im Hintergrund steht die Vorstellung, der Spiegel zeige das ›wahre‹ Bild; wobei ›wahr‹ hier nicht im optischen Sinne gemeint ist.
> Murner, Albertinus
> Narrenschiff Kap. 60
> Speculum bestialitatis
♀ Das Bild-Publikum sieht die/den sich im Spiegel sich Betrachtende/n, während diese/r im Spiegel die (beschönigende) Vorstellung sieht, die sie/er sich von sich selbst macht. Im Hintergrund die Vorstellung: der Spiegel täuscht.
> Grandville
♀ Der Spiegel in der Hand einer Figur ist Allegorie der
> Prudentia
> Superbia
> Sapientia
> Geschichte
♀ Eigenliebe führt ins Verderben
Narziss
♀ Spiegel in der Liebeslyrik
♀ Spiegel / speculum / miroir als Buchtitel
♀ Der Blick der Medusa oder des Basilisken tötet; wenn man ihr/ihm einen Spiegel vorhält, tötet sie/er sich selbst.
♀ Ein Spezialfall sind die Brennspiegel
∆ Vorsicht; Nicht alles, was Spiegel heisst, ist einer!
♀ Zuletzt: Schaun wir doch selber in den Spiegel!
Einige Leit-Gedanken
Bedeutungsträger (Signifiants) sind – weil sie verschiedene ausdeutbare Eigenschaften haben – in aller Regel vieldeutig (polysem): Der Berg, der Löwe, die Sonnenblume, das Schiff, das Echo, das Zaumzeug, die Jagd usw.
Beim Spiegel ergibt sich eine Komplikation. ¶ Die Eigenschaften des Dings "Spiegel" können ausgedeutet werden: Er reflektiert das Objekt genau / er täuscht immer auch – wenn er zerbricht, so reflektieren die Scherben sogar mehrfach – man kann mit ihm um eine Ecke herum sehen – wenn das Objekt entfernt wird, verschwindet auch dessen Spiegelbild; u.a.m. ¶ Hinzu kommt hier die sich bespiegelnde Person, deren Verhalten, deren Vorstellungen und Phantasien, Ängste und Freuden ebenfalls zur Bedeutsamkeit beitragen: Wer sich ›unreflektiert‹ im Spiegel beschaut, ist eitel – wer mittels des Spiegels zurückschaut, ist klug – der Spiegel zeigt das wahre Bild, auch wenn du das nicht willst. usw. ¶ Dazu kommt noch der Betrachter der Spiegelszene, der unter Umständen mehr oder etwas anderes im Spiegel sieht als die sich darin bespiegelnde Person: Du meinst, du sehest A, dabei sehe ich (als Außenstehender) Z.
(Zusammengestellt von P.Michel seit 2019)
Materialien in bunter Folge
Plinius d. Ä. (23/24 – 79), naturalis historia XXXIII, xlv, 128–130: Merkwürdig ist die Eigenschaft der Spiegel, die Bilder wieder zu geben, was unbezweifelt von der zurückprallenden und wieder ins Auge gelangenden Luft herrührt. Aus demselben Grunde vergrössern Spiegel, welche erhaben und vertieft polirt sind, das Bild ins Unendliche. So viel kommt darauf an, ob der Spiegel die anprallende Luft zurückstösst oder aufnimmt! Selbst Trinkbechern ertheilt man diese Eigenschaft dadurch, dass man gleichsam viele Spiegelflächen darin anbringt; sieht nun Jemand hinein, so nimmt er eine Menge Bilder wahr. Man macht auch Spiegel, wie z. B. die in einem Tempel zu Smyrna befindlichen, worin wunderliche Gestalten zum Vorschein kommen. Die Ursache hievon liegt in der Gestalt des Spiegels, denn es kommt sehr viel darauf an, ob sie concav wie ein Becher oder wie ein thraecidischer Schild, in der Mitte vertieft oder erhöhet, schräg oder schief, liegend oder aufrecht sind, denn nach der Beschaffenheit der auffangenden Fläche werden die Schatten zurückgeworfen. Das Bild ist nämlich nichts anderes, als die Repräsentation des von der klaren Fläche aufgenommenen Schattens. Um endlich alles auf die Spiegel bezügliche hier zusammen zu fassen, so füge ich hinzu, dass bei unsern Vorfahren die brundisischen, aus einer Legirung von Kupfer und Zinn dargestellten die besten waren. Die silbernen sind vortrefflich; die ersten machte Pasiteles zur Zeit des grossen Pompejus. Seit Kurzem ist man der Meinung, das Bild falle richtiger aus, wenn die Rückseite des Spiegels mit Gold überzogen sei. Plinius, Die Naturgeschichte. Ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Georg Christoph Wittstein, Gressner & Schramm, Leipzig 1881–1882. ☰☰☰
••• Im Ständebuch von Hans Sachs mit Holzschnitten von Jost Amman 1568 tritt auch der Spiegelmacher auf:
Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden, hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln. Durch d. weitberümpten Hans Sachsen gantz fleissig beschrieben u. in teutsche Reimen gefasset, Frankfurt am Main: Sigmund Feyerabend 1568.
>
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00105474/image_177
Der Spiegler
Ich mach das helle Spiegelglaß/
Mit Bley ichs vnderziehen laß/
Vnd drehe darnach die Hültzen Scheib /
Darinn die Spiegelgläßer bleibn/
Die Mal ich denn mit Farben frey/
FeuwerSpiegel mach ich darbey/
Darinn das Angsicht groß erschein/
Daß mans sicht eigentlich vnd fein.
••• Enzyklopädisch zum Spiegel (Moral, Geschichte, Herstellungstechnik) ist Tommaso Garzoni in seiner »Piazza universale« (erste italien. Ausgabe Venedig 1585, deutsche Übersetzung 1619) Piazza universale, Das ist: Allgemeiner Schawplatz / Marckt / vnd Zusammenkunfft aller Professionen / Künsten / Geschäfften / Händeln vnd Handtwercken/ &c. Wann / vnd vom wem sie erfunden: auch welcher massen dieselbige von Tag zu Tag zugenommen: Sampt außführlicher Beschreibung alles dessen / so darzu gehörig […] Eerstmaln durch Thomam Garzonum, Italianisch zusammen getragen: anjetzo auffs trewlichste verteutscht […] Franckfurt am Mayn / In Verlag Matthæi Merians Sel. Erben MDCLIX.
Man lese selbst das Kapitel 144 auf > http://diglib.hab.de/drucke/16-2-geom/start.htm?image=01055
••• Auch hier ist die Beschreibung des technischen Verfahrens der Herstellung eines Quecksilberspiegels eingebettet in die Symbolik des Spiegels, wundersame Geschichten von Spiegeln und versehen mit Moral:
Der Spiegler
Das Glaubens-Aug übe, Dort stehet die Liebe.
Im Spiegel-Glas der kurtzen Zeit
zeigt sich das Bild der Ewigkeit:
Mein Hertz, verlieb dich nicht in Schatten,
Wend aber Augen, Mut und Sinn
genäuer zu dem Himmel hin,
Dich mit dem Wesen Selbst zu gatten.
Chistoph Weigel, Abbildung und Beschreibung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände […], Regensburg 1698; S. 402–405: Der Spiegler. (Reprint Nördlingen: Uhl 1987; Text und Bild digital in der > SLUB)
••• Siebzig Jahre später fehlt jegliche Moralisation; die Darstellung konzentriert sich aufs Technologische:
Encyclopédie, Recueil de Planches, Huitieme Volume (Paris 1771), s.v. Miroitier, Pl. I.
Der Umgang mit Quecksilber ist heutzutage nicht mehr so ungiftig wie damals! LE haut de cette Planche présente un attelier où plusieurs ouvriers sont occupés à mettre des glaces au teint. Un en a à dégraisser le teint; un en b à verser le vif-argent sur la feuille d'étain; un en c à poser la glace sur la même feuille d'étain; d'autres en d à poser les glaces sur l'égouttoir; un autre en e à ranger des glaces mises & à mettre au teint au fond de l'attelier. En f est une table où sont plusieurs glaces chargées que l'on vient de mettre au teint. A l'opposite en g est un égouttoir où sont posées les glaces. Sur le devant en h est une trémie à séparer le vif-argent des ordures.
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Eine allegorische Auslegung des Herstellungsprozesses findet sich bei Johannes Rothe (1360–1434), »Ritterspiegel«, Verse 77ff.; vgl. die Edition / Übersetzung / und den Kommentar von Christoph Huber und Pamela Kalning, de Gruyter 2009.
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Katoptrik, hier aus der »Magia Naturalis« des Giambattista Della Porta (1535–1615): Von allerhand Brand- und andern Spiegeln/ und was man damit vor wunderliche Sachen vorstellen kan. Joh. Baptistæ Portae Nobilis Neapolis Magia Naturalis, Oder: Hauß-, Kunst- und Wunder-Buch, nach dem vermehrten in 20 Büchern bestehenden lateinischen Exemplar ins Hochdeutsche übersetzt . […] Mit dem Zweyten Theil von neuen vermehret. Erster Theil, Die Zweyte Auflage, verbessert, Nürnberg, 1715. Das siebenzehende Buch, S. 940–994. Vgl. > http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10927356_00982.html
Literaturhinweis: Aufsatz von Marie Theres Stauffer zu Evokationen katoptrischer Maschinen im Modell (2016); online hier.
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Emblem XCII: [Motto] MONSTRATUR IN UNDIS [Sie zeigt sich im Wasser] — Cognoissance reflexe — So kann man sie besser sehen [Übers. des frz. Epigramms]
Der unsichtbare Gott kehrt ein in unsere Augen nur in der Widerspiegelung seiner sichtbaren Werke, nur in ihr sind seine Geheimnisse begreiflich, die er aufs sinnreichste verbirgt. Julius Wilhelm Zincgref, Emblematum ethico-politicorum centuria Julii Guilielmi Zincgrefii, [Frankfurt am Main]: de Bry 1619. — [Kupferstecher: Matthaeus Merian der Ältere] Faksimile der Ausgabe Heidelberg 1664 u.d.T. »Hundert ethisch-politische Embleme«, hg. Arthur Henkel / Wolfgang Wiemann, Heidelberg: Winter 1986 (Band 2: Übersetzungen [nicht aller Texte] und Kommentare) Digitalisat > http://diglib.hab.de/drucke/li-10083/00205.jpg ☰☰☰ Johann Arndt, »Vier Bücher vom Wahren Christentumb« [1605/09, 1612 zu 6 Büchern erweitert; viele Neuauflagen]; die Embleme zuerst in der Ausgabe Riga 1678/79.
Bild hier aus: Des hoch-erleuchteten Theologi, Herrn Johann Arndts, ... Samtliche Sechs Geistreiche Bücher Vom Wahren Christenthum. Das ist: Von heylsamer Busse, hertzlicher Reue über die Sünde, wahren Glauben, auch heiligen Leben und Wandel der rechten wahren Christen. Neue Auflag mit Kupferen, Samt Richtigen Anmerckungen, kräfftigen Gebätteren über alle Capitel, und einem sechsfachen Register, Zürich, in Bürcklischer Truckerey getruckt 1746.
[Erstes Buch, 1. Kap.] Hier ist ein heller Spiegel auf einem Tisch, in welchem sich die Sonne helle spiegelt; Also spiegelt sich auch in einer gläubigen Seele die Klarheit des HErrn oder das Bild GOttes mit aufgedecktem Angesicht
2 Corinth. Cap. 3. v. 18. Es spiegelt sich in uns allen des HErrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verkläret in dasselbige Bilde von einer Klarheit zu der andern.
So spiegelt sich das Leben wirckend Licht In einer Laster-freyen Seelen, Darinn man keine Hölen Noch Höcker spürt, mit offnem Angesicht. Der ganz vollkommne Schönheits-Blick, Gebildet ab im Willen und Verstande, Prellt Winckel-recht in GOtt zurück Und hängt an Ihm durch gar verborgne Bande. Der Schöpffer stehet und beschauet sich, O Mensch, in dir mit solchem Wohlgefallen, Daß ihm Gemüth und Sinn vor heisser Liebe wallen; Er zielt mit aller seiner Huld auf dich, Läst seiner Güte Strahlen schiessen Bis in dein Innerstes, und giebt sich dir Mit sehnlicher Begier Zu schmecken und geniessen. O höchstes Gut! O wahre Seligkeit! O stete Ruh! O lautre Freuden! Von welchen uns des Teufels Neid Und unsre Sünden scheiden! Doch Christus hat es alles wiederbracht, Und, was der Feind und Sünden Fall vernichtet, (Indem ihn GOtt für uns zur Sünde hat gemacht,) Erneurt und wieder aufgerichtet. ☰
Mechthild von Magdeburg († 1282)
Wenne die minnende sele sihet in den ewigen spiegel, so sprichet si: ›Herre, zwúschend dir und mir sind alle dinge schöne.‹ (III,11)
Text: Mechthild von Magdeburg, »Das fließende Licht der Gottheit«, nach der Einsiedler Handschrift in kritischem Vergleich mit der gesamten Überlieferung hg. von Hans Neumann, Band I: Text, besorgt von Gisela Vollmann-Profe, (MTU 100), München / Zürich: Artemis 1990.
Burkhard Hasebrink, Spiegel und Spiegelung im »Fließenden Licht der Gottheit«, in: Walter Haug / Wolfram Schneider-Lastin (Hgg.), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang (Kolloquium Kloster Fischingen 1998), Tübingen: Niemeyer 2000, S. 157–174.
Michael Egerding, Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik, Paderborn: Schönigh 1997; Band II, S. 530–537.
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Symb. Conscia mens recti famæ mendacia ridet.
[Ovid Fasti 4,311: Ein Sinn, der sich des Rechten bewusst ist, lacht über Lügen/Vorspiegelungen der üblen Nachrede. – Gehört dieses Zitat zum Bild?]
Außlegung des Kupffer-Tituls:
Der Spiegel deut die Seel/ wann Gott dieselb bestrahlet/
So sieht der Mensch darinn/ sich selbsten abgemahlet/
Wann aber die Vernunfft die Seel bestrahlen will/
So ist es mißlich/ und steht öffters gäntzlich still.
Zweyte Edition/ Von dem Authore selbsten übersehen/ corrigirt und in vielem verbessert, Franckfurt: Schiele 1683. (daraus das Bild)
>
https://www.dilibri.de/rlbdfg/content/pageview/461422
> http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/becher_psychosophia_1683
Johann Joachim Bechers Psychosophia Oder Seelen-Weißheit: Wie nemlich ein jeder Mensch aus Betrachtung seiner Seelen selbst allein alle Wissenschafft und Weißheit gründlich und beständig erlangen könne, Verlegts Christian Liebezeit 1705.
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10042711-5
>
https://books.google.ch/books?id=-Fy1Hz4k5foC&hl=de&source=gbs_navlinks_s
(Die drei hebräischen Buchstaben in der göttlichen Wolke sind seltsam. Ist es ein Fehler im Tetragramm JHWH? Das Waw im Tetragramm wird häufig von Künstlern sehr breit geschrieben, so dass es aussieht wie das Resch; und der Kupferstecher von Johann Joachim Bechers Psychosophia hätte zudem das beginnende Jod vergessen. Seltsam ist, dass der Kupferstich in der Auflage 1705 genau so gefertigt ist. Das bringt einen auf die Idee, dass es keine Fehler sind, sondern das Wort so geschrieben einen Sinn hat. — Möglicherweise ist gemeint HaJaH (2.Mos. 3,14, die Stelle die oft mit "Ich bin, der ich bin" ins Deutsche übersetzt wird.) — Angefragte Hebraisten sind indessen noch ratlos.
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Barthold Heinrich Brockes (1680–1747), »Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten«
Spiegel des Geistes.
Wie die Augen alle Dinge, doch sich selber anders nicht,
Als im Spiegel, sehen können; also kann der Geist, allein
In der Kreaturen Spiegel, seine Kraft und wahres Sein
Sehn, begreifen und erkennen: Ja wie wir, nicht nur durchs Licht,
Sondern selbst das Licht im Spiegel sehen; also werden wir
Nicht nur, daß wir durch den Schöpfer alles sehen; sondern gar
In der Werke Spiegel, Seiner, als der Licht-Quell selbst, gewahr.
(Vierter Theil, 2. Aufl. Hamburg, 1735)
Die Augen als Spiegel
Des reinen Wassers klare Flut
Stellt nicht nur Kräuter, Büsch’ und Hügel
Als wie ein glatt-polirter Spiegel
In noch vermehrter Schönheit für:
Sie zeigt uns nebst der Sonnen Glut
Des ganzen Himmels helle Zier.
Ach mögte gleichfals dir und mir
Das Wasser so in unsern Augen,
Bey dem so schönen Schmuck des Himmels und der Erden
Zum Welt-und Himmels Spiegel werden!
Ach mögt auch dieß die Welt zu bilden taugen!
Ach drückte doch der wunderschöne Schein
Von aller Creaturen Pracht
Zu dessen Ruhm, der sie gemacht,
Durch ihre klare Fluth sich unsern Seelen ein!
So würden sie dadurch, wie uns das Wasser, schön
Auch andern Geistern anzusehn,
Und, lieblich ausgeschmückt, mit Lust betrachtet seyn.
( Fünfter Theil, 1739)
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Das Bild zeigt eine Meeresoberfläche bei bewegtem Seegang und darüber eine Sonne, die sich in jeder einzelnen Welle spiegelt; das Motto lautet OMNIS AB UNO; und das Epigramm formuliert: Von einer Schönheit kömt | was Schönes sich hier spiegelt. Johann Albert Fabricius (1668–1736), Hydrotheologie Oder Versuch, durch aufmerksame Betrachtung der Eigenschaften, reichen Austheilung und Bewegung der Wasser, die Menschen zur Liebe und Bewunderung Ihres ... Gütigsten, Weisesten, Mächtigsten Schöpfers zu ermuntern ... : Nebst einem Verzeichniß von alten und neuen See- und Wasser-Rechten ... Hamburg: König & Richter 1734. (Titelkupfer) ☰☰☰
Die Gottheit ist (nur) im Spiegel erkennbar
Alanus ab Insulis († 1202/3), »Anticlaudianus«, Buch VI, 113ff. Prudencia / Fronesis ist durch die verschiedenen Himmel und Sphären hoch in den Himmel gefahren, erblickt dort die Engelschäre usw. Im Empyreum schwinden ihr die Sinne. Fides stärkt sie und überreicht ihr einen Spiegel.
Hier der Textabschnitt als PDF aus: Alanus ab Insulis, Der Anticlaudian oder die Bücher von der himmlischen Erschaffung des Neuen Menschen, Übers. u. eingel. von Wilhelm Rath, Stuttgart: Mellinger 1966.
Strukturübersicht bei Peter Ochsenbein, Studien zum Anticlaudianus des Alanus ab Insulis, Frankfurt/M. und Bern: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1; Band 114) S. 66–68.
Lat. Text der Editon von Bossuat 1955 > https://www.thelatinlibrary.com/alanus/alanus2.html
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Ein an die Physikotheologie erinnerndes Beispiel:
Dvodecim Specula Devm Aliqvando Videre Desideranti concinnata. Auctore P. Ioanne David S.J. Antverpiae, ex officina Plantiniana apud Ioannem Moretum 1610.
> https://mdz-nbn-resolving.de/bsb00007223
>
https://archive.org/details/duodecimspeculad00da
Der Spiegel der Kreaturen. So viele Gestalten der Dinge [es gibt] – in so vielen Spiegeln wird der eine Schöpfer erkannt …
A.B.C. Invisibilium per visibilia contemplatio
H. Respicite lilia agri, et volucres cæli (zusammengezogen aus Matthäus 6, 26–28)
Aus Darstellungsgründen ist der der Spiegel so gedreht, dass sowohl die in ihn Blickenden als auch wir das Bild Betrachtenden sowoehl die Oberfläche des Spiegels und das darin augenschelnlich Sichtbare (B) als auch das (A) wirklich darin Gespiegelte sehen. — Das Buch enthält 12 derartige Meditationstafeln zum Thema Spiegel.
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Barthold Hinrich Brockes (1680–1747) widmet dem Gedanken, die Kreatur sei ein Spiegel des Schöpfers, ein Gedicht im »Irdischen Vergnügen in Gott« (V [1736], 165–167); hier ein Ausschnitt: Sind die erschaffnen Creaturen, wenn man’s erweget, anders was Als ein des Schöpfers wahres Wesen vor Augen stellend Spiegel-Glas? In welchem, durch die, zu dem Zweck allein, erschaffne Sonnen-Strahlen, Sich Weisheit, Lieb’ und Macht uns allen überzeuglich mahlen, Und, durch die Sinnen, unsren Seelen empfindlich vorgestellet werden? … Die Seel’ erblicket von der GOttheit, in der Geschöpfe Wunder Pracht Ein gleichsam dreyfach-einigs Wesen, in seiner Weisheit, Liebe, Macht. Erfordert es denn wenigstens vernünft’ger Menschen Seelen-Pflicht, In seines namens Preis’ und Ruhme, Lob, Herrlichkeit und Ehre, nicht, Daß unsre Seel’ ie mehr und mehr sich durch Betrachtung angewehn’, Im schönen Creaturen-Spiegel die wahre GOttheit anzusehen? …
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Brennspiegel
Otto van Veen (1556–1629): Amoris divini emblemata 1615:
De spiegel vergroot het licht uit dat hij van de zon opneemt en ontvangt; op dezelfde manier en met een volkomen overeenkomstige uitwerking voedt onze ziel zo gelovig de vlammen die haar God haar geeft, dat ze andere zielen warmte geeft en ze met hetzelfde vuur hartstochtelijk liefheeft.
Le miroir accroist la lumiere Qu’il prend & reçoit du soleil, Nostre ame en la mesme maniere, Et par vn effect tout pareil, Nourrit si sainctement les flammes, Que luy communique son Dieu; Qu’elle eschauffe des autres ames, Et les esprend au mesme feu.
Das Engelchen mit dem Strahlennimbus ist Amor divinus; das Engelchen, das den Spiegel hält, ist die Anima. (Genau genommen sollte es ein Brennspiegel sein.) Amoris divini emblemata, Studio et ære Othonis Væni concinnata, Antwerpen: Plantin 1660. > https://archive.org/stream/amorisdiuiniembl00veen_0#page/40/mode/2up > http://emblems.let.uu.nl/v161517.html ☰ Motti:
Ignem veni immittere in terram – Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden (Lukas 12,49) Solis inardescit radiis, longeque refulget (Aeneis VIII, 623: das Schwert des Aeneas gleicht einer Wolke, die von der Sonne erglüht, weithin leuchtet) Die emblematische Predigt ist dem hl. Ignatius von Loyola gewidmet. Er hat mit dem göttlichen Feuer die erkalteten und erloschenen Seelen wieder angezündet. Der archimedische Hohlspiegel regte Feuersbrünste an.* Ähnlich hat der überaus klare (limpidissimus) Geist des Ignatius die göttlichen Strahlen tief in sich versammelt und mit seiner glühenden Rede (ignito suo eloquio) den ganzen Erdkreis angezündet. *) Die Geschichte, Archimedes habe die feindliche römische Flotte vor Syrakus (214–212 v. Chr.) mittels eines Brennspiegels angezündet, beruht im Kern auf einer kurzen Stelle bei Galen (130–200), »De temperamentis«.
[Heinrich Engelgrave, S.J. (1610–1670)], Lucis Euangelicæ sub velum sacrorum emblematum reconditæ, Pars tertia. Hoc Est Caeleste Pantheon, Sive Caelum Novum, In Festa Et Gesta Sanctorum Totius Anni, Selecta Historia, et Morali Doctrina Varie Illustrum per R.R. Henricum Engelgrave S.J., Pars posterior, Coloniae Agrippinae: Busaeus 1659. S. 72–116. ☰
Wie man mit einem flachen Spiegel in die Ferne auf 100 Schuhe brennen könne?
Delitiæ Philosophicæ Et Mathematicæ. Der Philosophischen und Mathematischen Erquickstunden/ Dritter Theil [verfasst von Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658)] ; Bestehend in fünffhundert nutzlichen und lustigen Kunstfragen/ und deroselben gründlichen Erklärung: Mit vielen nothwendigen Figuren/ so wol in Kupffer als Holtz/ gezieret. Und Auß allen neuen berühmten Philosophis und Mathematicis, mit grossem Fleiß zusammen getragen. Nürnberg: Endter 1653; Dritter Theil. Die XXXVIII. Frage.
Die Sonne G bestrahlt fünf flache Spiegel A – E, deren Gegenstralung im Spiegel F zusammentreffen.
So ein Gerät – freilich mit 100 oder 1000 Spiegeln, Kircher/Harsdörffer geben nur ein Gedankenexperiment mit 5 Spiegeln – soll (nach dem Geschichtsschreiber Johannes Zonaras) Proclus bei der Belagerung von Konstantinopel anno 514 zur Zerstörung der byzantinischen Flotte verwendet haben.
Harsdörffer exzerpiert wie oft Athanasius Kircher (1602–1680), hier: Ars Magna Lvcis Et Vmbrae, Rom 1646.
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Text aus der deutschen Ausgabe 1655:
Die Sonne wirft jhre Stralen in einem außgehölten glaß/ vnd solche schlagen gantz fewrig wider zurück […] welches dan bedeutet/ daß auß der guten oder bosen zuneigung der bedienten fridd oder krieg entstehe; sehr gefählich ist das widerhallen der geboht/ welche sie empfangen. Wan sie ein gantz ebenes/ klares/ reines Christallenes gemüth hetten/ so würden sie eben mit solcher reinigkeit die befehl von sich geben/ wie sie solche empfangen/ ja auch wol reiner; wo aber solches von Staal ist/ so werden sie die gantze Weldt in kriegsbrandt stecken. …
Bild aus: Idea principis christiano-politici, centum symbolis expressa a Didaco Saavedra Faxardo hier aus der Ausgabe Brüssel 1649. Emblem Nr.LXXVI
> http://www.fondiantichi.unimo.it/fa/emblem01/saav076.html
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Archimedes-Emblem im Pfarrhaus von St. Jost in Blatten (Kanton Luzern), erbaut 1654–57; auf der Website von Dieter Bitterli. ☰ Daniel Casper von Lohenstein (1635–1683), »Die Augen«: Last Archimeden viel von seinen Spiegeln sagen … (Sonett, 1680) ☰☰☰
Der Spiegel wird mit seinen verschiedenen Aspekten als Mariensymbol verwendet:
Jacobus de Voragine († 1298), Sermones aurei:
Sicut enim radius solaris speculum intrat et exit sine speculi corruptione; sic et Christus, qui est uerus Sol, istud speculum intrauit in conceptu, et exiuit in partu sine Uirginis uiolatione.
http://sermones.net/thesaurus/document.php?id=jvor_808&plan=0
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In Parvo Totus Das grosse Sonnen-Liecht Mit ihrer runden Scheiben/ In ein klein Spiegel sich thut völlig einverleiben; Deß Spiegels Gleichheit thut MARIA auch besteiffen/ [bestätigen] Der Spiegel d’Sonn in sich/ Sie thut GOtt selbst begreiffen. Abraham [a Sancta Clara], Stern, So auß Jacob aufgangen Maria: Deren Heilige Lauretanische Litaney mit so viel Sinn-Bilderen, als Titulen, Mit so viel Lobsprüchen, als Buchstaben in jedem Titul seynd, Vermehrt und geziehret worden, [o.O.] 1686. > https://books.google.ch/books?id=Rvw-AAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s ☰ Mater inviolata Das Bild stellt für die Sonn in der Jungfrau, das ist Christum, die Sonn der Gerechtigkeit; dardurch aber wird angedeutet, daß, gleichwie der Glanz aus der Sonn geht ohne Verletzung der Sonn, also seye Christus das Liecht u. Glanz der Welt aus Maria gebohren worden ohne Verletzung ihrer Jungfrauschafft. Es steht geschrieben: Der Gerechte wird in die Welt kommen wie der Glantz, wohl gemerckt: nit wie das Feuer, so verbrennt und verzehret, sondern wie der Glanz so noch schöner machet; also hat Christus durch seine Geburt die Jungfrauschafft Mariæ nit verletzt, sondern gezieret. Weiters, gleichwie die Sonn die Strahlen auf einen Spiegel würfft, oder Brenn-Glaß, und von dortaus ein Liecht anzündet ohne Verletzung des Spiegels, also hat der Heil. Geist auf Mariam den Spiegel der Reinigkeit die Gnaden Strahlen der Uberschattung geworffen, und durch disen Spiegel Christum das Liecht der Welt angezunden, ohne daß der Spiegel verletzt worden, will sagen, ohne daß Mariæ Jungfrauschafft befleckt worden; und dises billich, weilen nach Zeugnuß Augustini Christus kommen ist, das Verderbte gut zu machen, nit das Gute zu schwächen. Der vom Engel gehaltene Spiegel (in dem sich Maria nicht anschaut, sondern der ein Symbol für sie ist) ist angeschrieben mit Speculum sine macula Sap. 7 (Spiegel ohne Makel, Weisheit 7,26) Franciscus Xaverius Dornn, Lauretanische Litaney, So Zu Lob, und Ehr Der Ohne Mackel empfangenen, Von aller Sünd befreyten, unbefleckten Jungfrauen, und Glorwürdigsten Himmels-Königin Mariæ; Das erste mahl In dem wunderthätigen Hauß Loreto von denen heiligen Engeln ist abgesungen, […] nunmehro aber Fast auf allen Chören mit Freuden vollen Jubel angestimmet, und von wahren Dienern, und Marianischen Liebhabern nicht ohne grösten Trost vil tausendmahl gebetten wird, Dritte vermehrte Auflag, Augspurg: Burckhart 1763. > http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000058E400000086 ☰ Der Brennspiegel für Maria ist auch auf der 1654 bemalten Holzdecke der Wallfahrtskirche Hergiswald bei Luzern dargestellt. Das Motto EXARDESCET IGNIS (Ein Feuer wird sich entzünden) meint, dass Maria die Strahlen der göttlichen Sonne der Gerechtigkeit (Prophet Maleachi 3,20 [Vulgata-Zählung 4,2]) auffängt und an die Gläubigen weiterleitet.
Dieter Bitterli, Der Bilderhimmel von Hergiswald. Der barocke Emblemzyklus der Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau in Hergiswald bei Luzern, seine Quellen, sein mariologisches Programm und seine Bedeutung, Basel: Wiese-Verlag 1997 (Neuauflage 2017). (West 2; Text dazu S. 146); vgl. Nord 46; Süd 37 (sine macula); Süd 78.
☰ Erklärung des Sinnbildes.
Das klare Spiegel-Eis empfängt der Sonne Glut/ und wird doch nicht zerschmelzt; gebiehrt auch ihre Stralen ohn allen Schaden gar der hellen Sonne-Flut. Ihr Wesen kan in sie/ aus ihrem jendes fallen/
Unmängbar/ unverletzt. Die Sonn wird nicht getrübt/ wann sie geht durch das Glas; und dieses nicht zerbrochen/ wann jene komt aus ihr/ wird nur dadurch geübt die Unverletzlichkeit/ und klärlich ausgesprochen
die heilge Christ-Geburt. Die Keuschheit GOtt empfangt und wiederum gebiert/ ihm und ihr unverletzlich. Er kein Verkleinerung klein werdend nicht erlangt/ und bleibt an Kraft und Wehrt gleich ewig unerschätzlich.
Auf Geist-subtile Weis sie einen Leib gebiert aus ihrem keuschen Leib/ der Sonn-durchdringlich strahlet aus ihrer Reinigkeit. Die Keuschhet nichts verliert; vielmehr der Höchste selbst mit ihrem Glanz sich mahlet.
Der Allerheiligsten Menschwerdung/ Geburt und Jugend Jesu Christi/ Zwölf Andächtige Betrachtungen; durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina Frau von Greiffenberg/ gebohrne Freyherrin auf Seysenegg/ Zu Verehrung der Ehre GOttes/ und Erweckung wahrer Andacht/ verfasset/ und ausgefärtigt. Nürnberg: Johann Hoffmann 1678. [S.303]
> http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10861783-6
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Johann Michael Dilherr [1604–1669] stellt Maria dar in der Verkündigungsszene (Lukas 1,26–38); drei Spiegel-Embleme sind gerahmt mit Lilien.
Erklärung:
Der Jungfer reine Schos kan einem Spiegel gleichen/
die sich selbst dünket klein; mit güldnen Sonnen-Zeichen.
Das grosse Himmels-Liecht erhellt mit vollem Schein:
wie solte denn/ bey Gott/ ein Ding unmöglich sein.
Heilige Sonn- und Festtags-Arbeit/ Das ist: Deutliche Erklärung Der jährlichen Sonn- und Festtäglichen Evangelien : in welcher Dreyständig-nachdenckliche Sinnbilder vorangesetzet; Hernach Die Wort gründlich erwogen/ nützliche Lehren herausgezogen/ […], Zum andern mal aufgelegt, Nürnberg: Endter 1674.
> http://diglib.hab.de/drucke/c-321-2f-helmst/start.htm
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Mundus Marianus, Sive Maria Speculum Mundi Sublunaris Auctore R. P. Laurentio Chrysogono, Augustae Vindelicorum: Veith, 1712
>
https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11053860?page=9
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Literaturhinweise: Leo Scheffczyk / Remigius Bäumer, Marienlexikon, St.Ottilien: Eos-Verlag 1988–1994; s.v. ›Spiegel‹.
Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters, mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie, (1886–1894); Nachdruck: Darmstadt: wbg 1967; im Register unter ›Spiegel‹, insbes. S. 337–339.
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Origine d’Amore. Donna che tenga uno specchio trasparente rotondo, grosso & corpulento, incontro all’occhio del Sole, il quale con i suoi raggi trapassando per mezzo dello specchio accenda una facella posta nella mano sinistra, dal manico dello specchio penda una cartella, nella quale sia scritto questo motto: ›Sic in corde facit amor incendium‹. Das Kapitel erscheint erst in der von Castellini erweiterten Ausgabe von Cesare Ripas »Iconologia« 1618: La novissima ICONOLOGIA del Sig. Cavalier Cesare RIPA. [……] Ampliata in quest’ ultima editione non solo dallo stesso auttore di trecento, e cinquantadue imagini, con molti discorsi peini di varia eruditione, & con molti indici copiosi, ma ancora arrichita d'altre imagini, discorsi, & esquisita corretione dal Sig. Gio. Zaratino Castellini, Padova: Pietro Paolo Tozzi 1618.
> https://archive.org/stream/novaiconologia00ripa#page/385/mode/1up
Was kann mit dem specchio trasparente gemeint sein, der wie die Liebe im Herzen einen Feuerbrand anfacht? Der Ausdruck fehlt in alten Wörterbüchern. • Das Bild zeigt ein die Strahlen beim Durchgang sammelndes Vergrösserungsglas, das eine Fackel entzündet; ein solches ist trasparente oder traslucido, wird aber nie als ›Spiegel‹ bezeichnet, sondern als lente (fem.). • Aber ein Brennspiegel kann nicht durchlässig sein, sonst reflektiert er die Strahlen nicht. Brennspiegel heissen, auch schon in älteren Texten, specchio ustorio oder specchio ardente (Dizionario della lingua italiana von Tommaseo-Bellini, Torino 1835) Petrarca im Sonett 74: Come raggio di sol traluce in vetro meint, dass die Strahlen der Augen der Geliebten ungehindert wie durch transparentes Glas in sein Herz dringen. (Besten Dank an Georges Güntert für die italianistische Hilfe!)
Aus dem Bereich der katoptrischen Instrumente kann angemerkt werden, dass Mario Bettini (1582–1657) so etwas wie ein durch-leuchtendes Brennglas entwarf: eine Kombination von zwei ineinander verschachtelten, außerhalb des Brennpunkts abgeschnittenen Parabolspiegeln (Auf der Zeichnung: B muss man sich in A enthalten vorstellen, vgl. die Rekonstruktion bei Baltrušaitis S. 127). Apiaria universae philosophiae mathematicae, in quibus paradoxa et nova pleraque machinamenta ad usu eximios traducta, & facillimis demonstrationibus confirmata, Bononiae 1642. > http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb11199743-8
Bei der Darstellung der Entzündung der feindlichen Flotte mittels der Erfindung von Archimedes zeigt Athanasius Kircher ebenfalls ein solches Gerät (bei D):
Athanasii Kircheri Ars Magna Lvcis Et Vmbrae […], 1646; Iconismus XXX / Fol. 883
>
http://diglib.hab.de/drucke/94-2-quod-2f/start.htm?image=00994a
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Publij Virgilij maronis opera cum quinque vulgatis commentariis […] expolitissimisque figuris atque imaginibus nuper per Sebastianum Brant superadditis, exactissimeque revisis atque elimatis, Straßburg: Grieninger 1502; fol Xr.
Unter den Vergil später zugeschriebenen Texten findet sich ein Cento (ein Flicken-Gedicht), betitelt »de unda et speculo«. Die 12 Distichen sind recht banal: Wer sich im klaren unbewegten Wasser beschaut, sieht sich wie in einem Spiegel; der klare, bewegungslose Wasserspiegel (unda) gibt das Bild genau, aber umgedreht wieder; das Spiegelbild lügt (mendax). Nur ein Beispiel: Redditur effigies liquida cernentis in unda, Qualis in aduerso speculorum cernitur orbe. usw. Der Text mit Hinweisen auch zu Übersetzungen hier als PDF .
Der Illustrator der Vergil-Ausgabe von Sebastian Brant, wo das Gedicht im Anhang abgedruckt ist, zeigt Frauen, die ihre Spiegelbilder beschauen, aber nicht nur im klaren Wasser, wovon der Text spricht. Eine Frau sieht Ihr Gesicht im Wasser des Eimers, den sie bei der täglichen Arbeit aus dem Zieh-Brunnen ›vor dem Tore‹ hochgezogen hat. Zwei Frauen besehen sich in echten, schön gerahmten Spiegeln. Drei der Frauen tragen Hauben, wie es damals geziemend war; eine sich im Spiegel betrachtende, modisch gekleidete Frau trägt ihr Haar offen.
»Vielleicht spiegeln die Frauenfiguren verschiedene Lebens-Stadien: • Die junge Verführerin, die alles daran setzt, sich schön zu machen, zu verführen, zu erobern und erobert zu werden, die auf Zukünftiges, auf ›Möglichkeiten‹ bezogen ist und ihre Locken als Lockmittel einsetzt. • Die Alltagsfrauen, die in der Mitte des Lebens stehen, die sich nicht sich selbst, vielmehr basaler Arbeit zuwenden (Wasser heben). • Die Frau (links), die sich allenfalls in der Vergangenheit spiegelt, was die Melancholie des Alters symbolisieren könnte.« (Zitat von Doris Lier, die weitere Hinweise beigesteuert hat und meint: Die Frauen als Bild der Eitelkeit »kommen da haarsträubend weg«.)
Kleiner Exkurs zur Frisur:
Die Haare wird man wie den Spiegel spontan als Symbol für Schönheit, für Müßiggang, für wilde Erotik deuten wollen. Gibt es zeitgenössische Belege dafür? ("Zeitgenössisch" meint: Es ist zwar interessant, welche Haartrachten die Ägypter*innen hatten oder bei einer Kore aus der archaischen griechischen Welt gezeigt werden. Aber das erklärt nicht, was das offene Haar um 1500 bedeutet hat. Näher liegen die literarischen Zeugnisse der römischen Antike, die damals bekannt waren.)
Schaut man sich im selben Buch (1502) nach ähnlichen Darstellungen um, so ergibt sich kein klares Bild. Venus wie Juno tragen die Haare offen:
Links: Bild aus dem 8. Gesang der »Aeneis«, Verse 370ff., wo Venus den Volcanus umflirtet, um Waffen für Aeneas zu erhalten (fol. CCCXIX verso, Ausschnitt) — Rechts: Genau so frisiert ist auch ihre Antagonistin, die Göttin Juno auf mehreren Bildern. Und ebenso die Vergil inspirierende Muse (fol. CXXI recto).
Für die ›große Sünderin‹ Maria Magdalena sind die langen Haare typisch, mit denen sie nach ihrer Bekehrung die Füße Jesu trocknet. Vgl. das Bild in Der Heiligen Leben, Sommer- und Winterteil, Nürnberg, 1488 > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00027260/image_151
Aber auch vollkommen heilige Frauen werden in der Gotik mit langem offenem Haar dargestellt, vgl. hier: Meister E.S., Die betende Maria (1467)
https://www.europeana.eu/portal/de/record/15508/DG1926_697.html
Offenes Haar trugen in der Antike anständige Frauen nicht: Ovid sagt (Epistulae ex Ponto III,ii,51f.), er habe mit seinen Liebesgedichten niemals eine legitime Ehe bedroht: Ich schrieb es für Frauen, deren Haar keine Binde in Zucht hält, denen kein langes Gewand auf die Füße herabfällt: scripsimus haec illis, quarum nec vitta pudicos | contingit crines nec stola longa pedes.
Ovid sagt (Metamorphosen II, 412f.) von der Nymphe Callisto, dass ihr Kleid mit einer Spange zusammengehalten wird, und ein weißes Band lässig geknotete Haar-Locken bändigt: ubi fibula vestem, vitta coercuerat neglectos alba capillos.
In der antiken Literatur finden sich indessen auch Textstellen, wo ehrenhafte Frauen offenes Haar tragen:
Beim Begräbnis der Polydorus (Vergil, Aeneis, III, 65) tragen Trojas Frauen dem Brauch gemäß offenes Haar: stant … Iliades crinem de more solutae.
Von Daphne sagt Ovid (Met. I, 529): Et levis inpulsos {Lesart: impexos ≈ ungekämmt} retro dabat aura capillos : Es flatterten vom Hauche des Winds im Nacken die Haare.
Bei Vergil heißt es von Venus (Aneis I,319): Dederatque comas diffundere ventis : Sie ließ ihr Haar im Wind flattern.
Petrarca schwärmt im »Canzoniere« von den Haaren seiner innig verehrten Laura:
Sonett XC
Erano i capei d’oro a l’aura [homonym mit Laura!] sparsi
che ’n mille dolci nodi gli avolgea, …
Es flatterten die goldnen Haare in der Luft, welche sie in tausend anmutige Locken wand.
Sonett CLIX
Qual ninfa in fonti, in selve mai qual dea,
chiome d’oro sì fino a l’aura sciolse?
Welche Nymphe bei den Quellen, welche Göttin in den Wäldern hat je so feines goldenes Haar in der Luft wehen lassen?
Literaturhinweise:
Geraldine Biddle-Perry (general editor), A cultural history of hair, London: Bloomsbury Academic 2019 (6 vols.)
Speziell zur Antike: Rudolph Steiniger, Artikel »Haartracht« in: Pauly/Wissowa, Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 14. Band (1912), Sp. 2109–2150. — Aber um 1500 waren Vasenbilder und Spiegel-Rückseiten aus jener Epoche unbekannt.
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Jesaias 3,16ff (Einheitsübersetzung 2016; Thema ist der Zusammenbruch der Lebensordnungen in Jersualem im 8.Jh.)
Der Herr sprach: Weil die Töchter Zions hoffärtig sind, ihre Hälse recken und mit verführerischen Blicken daherkommen, immerzu trippelnd umherlaufen und mit ihren Fußspangen klirren, 17 wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions mit Schorf bedecken und der HERR wird ihre Schläfen kahl werden lassen. 18 An jenem Tag wird der Herr den Schmuck wegnehmen: die Fußspangen, die kleinen Sonnen und Monde, 19 die Ohrgehänge und Armkettchen, die Schleier 20 und Turbane, die Fußkettchen und die Prachtgürtel, die Riechfläschchen und die Amulette, 21 die Fingerringe und Nasenringe, 22 die Festkleider und Umhänge, die Umschlagtücher und Täschchen 23 und die Spiegel, die feinen Schleier, die Schals und Kopftücher. 24 So wird es sein: Statt Balsam wird Moder sein, statt eines Gürtels ein Strick, statt kunstvoller Locken eine Glatze, statt eines Festkleides ein gegürteter Sack, Brandmal statt Schönheit. [Vers 16 in der Vulgata: elevatæ sunt filiæ Sion, et ambulaverunt extento collo (der Begriff superbia kommt nicht vor).]
Belzalel verwendet bei der Errichtung des Brandopferaltars das Metall von Spiegeln: Und er machte das Becken aus Bronze und sein Gestell auch aus Bronze von den Spiegeln der Frauen, die vor dem Eingang der Stiftshütte Dienst taten. (Exodus = 2.Mos. 38,8). – Interessanterweise wird hier dasselbe Wort mar'ah verwendet wie an anderen Stellen für ›Vision‹, vgl. z.B.: …so gebe ich mich ihm in einer Vision als der Herr zu erkennen (Numeri = 4.Mos. 12,6)
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›Reflexion‹
Die Überlegung … hält einen Spiegel, an welchen sich ein Lichtstrahl bricht, der vom Herzen ausgeht, und an die Stirn zurück prallt. Dies Sinnbild deutet an, daß die Überlegung des Geistes die Gedanken des Herzens verbessere.
Christian Sambach, Iconologie oder Ideen aus dem Gebiete der Leidenschaften und Allegorien. Wien: Sammer 1801 (es gibt auch Ausgaben 1798 und 1807).
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Im Himmel werden die guten / üblen Handlungen des Menschen gespiegelt:
Johann Michael Dilherr, Augen- und Hertzens-Lust. Das ist: Emblematische Fürstellung der Sonn- und Festtäglichen Evangelien, Nürnberg: Endter 1661. Zum 22. Sonntag nach Trinitatis = S.208–213. > http://digital.slub-dresden.de/id379774372/238
Bild: Georg Strauch (1613–1675) delineavit / Melchior Küsell (1612–1683/4?) sculpsit
Bild: Auf der Erde naht sich ein mit einem Stecken und einer Steinschleuder bewaffneter Mann einem Unbewaffneten.
Im Rahmen des Bilds oben:
Was du hier thust, ist dort bekannt:
Da von du lob krigst, oder schand.
Unter dem Bild:
Der menschlichen Händel erkundigung im Himmel.
Der Himmel einem Spiegel gleicht:
Was du verübst/ wird dort gezeigt.
Und wie Du gegen andre lebst:
Dergleichen Lohn Du auch erhebst.
Am Rand ein Hinweis zur Erklärung deß Sinnbildes: Job 37,18: »Ja du wirst mit jm [Gott] die wolcken ausbreiten/ die fest stehen/ wie ein gegossen Spiegel.« (Luther-Übersetzung 1545)
Aus dem Gesänglein S.213:
Der Himmel ist sein Spiegelglas/
darinn all deine Thaten/
die du begehst ohn Unterlaß/
sich selbst bei Ihm verrathen.
Wie man dem armen Nächsten thut/
schaut GOtt/ aus seiner Höhe. …
Denk oft an diesen Wiederschein/
der nichts lässt unverborgen …
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Sowohl die Prudentia als auch die Superbia sind mit Spiegeln ausgestattet, aus verschiedenen Gründen.
Giotto (ca. 1267 – 1337) stellt – in einer Reihe der Tugenden und Laster – ca. 1306 auf einem Fresko der Cappella degli Scrovegni in Padova (auch: Arenakapelle) die Prudentia dar: Auf dem Pult liegt ein Buch; in der einen Hand hält die Figur einen Zirkel (?); in der anderen Hand einen Spiegel.
Quelle > https://it.wikipedia.org/wiki/Prudenza_(Giotto)
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In älteren Quellen finden sich verschiedene Deutungen für den Spiegel der Prudentia:
- Das Sich-Spiegeln bedeutet die Selbsterkenntnis (cognitio sui).
- Seneca (gest. 65 u.Z.) schreibt in den »naturales quastiones« I, xvii,4: Inuenta sunt specula, ut homo ipse se nosset, multa ex hoc consecuturus, primum sui notitiam, deinde ad quaedam consilium: formosus, ut uitaret infamiam; deformis, ut sciret redimendum esse uirtutibus quicquid corpori deesset; […] ≈ Spiegel sind erfunden worden, damit der Mensch sich selbst erkennt und dadurch viel erreichen kann; erstens die Erkenntnis seiner selbst, zweitens gewisse Entscheidungen: Der Schöne [ergänze: beschaut sich im Spiegel], damit er Schmach vermeidet; der Hässliche, damit er einsieht, dass tugendhafter Wandel ein Heilmittel gegen körperliche Mängel darstellt.
- Im Christentum dieselbe Vorstellung: Mechthild von Magedeburg († 1282): Hienach nime ich in mîn hant einen spiegel der waren bekanntnisse, so besihe ich mich darinne, wer ich selber bin […] (»Fliessendes Licht der Gottheit« VI,1)
- Der Konvex-Spiegel (speculum cylindricum, ein Begriff der Katoptrik) verwandelt alle darin gesehenen Gestalten in schöne Bilder. Ebenso ist es dem klugen Menschen (homo prudens) eigen, auch die verwickelsten Dinge zu einem glücklichen Erfolg zu ent-wickeln: Corporis humani aliarumve quarumvis rerum figuræ ac imagines se ipsis deformisimæ, si intra speculum cylindricum colligantur, formam venustisimam induunt Unde lemma: INFORMIA FORMAT. Hominis prudentis est proprium res quasvis intricatissimas felici successu evolvere ac in formam exoptatam contrahere. MUNDUS SYMBOLICUS, in Emblematum Universitate formatus […] conscriptus reverendissimo domino D. Philippo Picinello, Coloniæ Agrippinæ MCLXXXI; Liber XIX, ¶ 183.
- Prudentia blickt auch zurück nach hinten. Vgl. unten bei Comenius; dort ist sie auch deutlich zweigesichtig wie Janus.
- Prudentia blickt weise voraus in die Zukunft; Prudens, quasi porro videns ≈ weise, weil voraus schauend, Isidor, Etymologien X, 201 (ohne Erwähnung des Spiegels, aber thematisch belangvoll). Der Satz wird zitiert von Thomas von Aquin, Summa Theologiae, IIª-IIae q. 47 art 1, corp.
Ein ähnliches Bild von Lucas von Leyden (1494 – ca. 1534) PRVDENCIA 1530 (mit Spiegel) > http://www.zeno.org/nid/20004133773
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Ein weiteres Attribut der Prudentia ist die Schlange (Bezug nehmend auf Matthäus 10,16: »Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!«)
Tobias Lohner S.J. (1619–1697) begründet dies in seiner Predigthilfe zusätzlich: Sicut serpens cognoscens, quod in capite suo tota vita consistat, reliquum corpus exponit periculo, ut caput defendat; ita verus prudens caput suum, id est Christum ac ejus fidem et caritatem ut defendat, alis omnia libenter jacturæ periculo exponit. Instructissima Bibliotheca Manualis Concionatoria, […] Augustæ Vindelicorum & Dilingæ 1732; s.v. Prudentia, § VIII, Similitudines. iv.
Andreas Spanner S.J. zitiert im Artikel Prudentia das Verhalten der schlauen Schlange (das man aus den Bestiaren zum Tier Aspis kennt): Sie verschließt, um dem sie mit Singen verlockenden Jäger zu entkommen, das eine Ohr mit dem Schwanz, das andere, indem es dieses auf die Erde presst: Prudentia comparatur astutiaæ serpentis, Deludit enim icantatorem obturando unam aurem cum terra, & aliam cum cauda. Sic viri Sancti, & prudentes deludunt incantatorem, idest tentationem diaboli … Polyanthea Sacra: […], Venedig: Balleoni 1741 [EA 1701] Titulus XXXVI, ¶ 1.
Piero del Pollaiuolo (1441–1496) stellt die Prudenza mit Spiegel und Schlange dar: https://it.wikipedia.org/wiki/Prudenza_(Pollaiolo)
Stukkatur aus der ›Sala terrena‹ im Freulerpalast in Näfels (Kanton Glarus; 1642 bis 1647): die Prudentia mit Spiegel und Schlange. (Die anderen drei Kardinal-Tugenden sind dort in den Ecknischen auch präsent.)
Detail aus dem Zürcher Neujahrsblatt: Der Kunst- und Tugend Liebenden Jugend ab der Bürgerlichen Bibliothec am Neüen JahrsTag verehrt Anno 1700.
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Auf dem Bild der Voorzichtigheid von Jacob Matham (1571–1631), nach Hendrick Goltzius (1601–1652) hat die Prudentia ein Janusgesicht und schaut mit dem Spiegel rückwärts (Pæterita ancipiti vultû videoque futura). Sie hält hier zwei Schlangen, die sich wie auf dem Caduceus-Stab von Hermes/Mercur am Hals umwickeln; auch Hermes Trismegistos hat dieses Attribut. Bezieht sich der Text Arcanas rerum scrutor causas (Ich, die Prudentia, erforsche die verborgenen Ursachen der Dinge) darauf?
Rijksmuseum > http://hdl.handle.net/10934/RM0001.collect.150583
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Cesare Ripa (* um 1555 in Perugia; † 1622 in Rom), »Iconologia« (1603):
Cesare Ripa, Iconologia Overo Descrittione Di Diverse Imagini cavate dall'antichità, & di propria inuentione, Roma 1603.
Zur Prudenza steht der Text:
Donna con due faccie, simile a Giano et che si specchi …. Le due faccie significano che la prudenza è una cognitione vera et certa, la quale ordina ciò che si deve fare et nasce dalla consideratione delle cose passate et delle future insieme. […]
Lo specchiarsi significa la cognitione di se medesimo, non potendo alcuno regolare le sue attioni se i proprii difetti non conosce. […]
Lo specchio significa la cognitione del prudente non poter regolar le sue attioni, se i proprii suoi difetti non conosce e corregge. Et questo intendeva Socrate quando esortava i suoi Scolari a riguardar se medesimi ogni mattina nello specchio. […]
Mehr Text von Ripa hier
Anmerkung:
Auf dem Bild handelt es sich nicht um eine Schlange, sondern um den Fisch Remora, der sich um einen Pfeil schlängelt (C.Ripa: Il Pesce avvolto alla frezza), was das Bonmot Festina lente (Eile mit Weile) illustriert, wodurch sich die Klugheit auszeichnet. (Noch im modernen Italienisch: la remora = das Zögern, Skrupel, ciò che ritarda o ostacola qualcosa)
Clarissimi viri D. Andreae Alciati Emblematum libellus, Parisiis: Wechel 1542. (Mit der deutschen Übersetzung von Wolfgang Hunger)
> http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10206910-6
Vgl. auch
Andrea Alciato, Emblematum libellus, Paris 1534.
http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A34b052
Jean Baudoin, Recveil D'Emblemes Divers, Paris 1639.
http://diglib.hab.de/drucke/lb-6-2b/start.htm?image=00116
Literaturhinweis: Alice Thaler, Die Signatur der Iconologia des Cesare Ripa: Fragmentierung, Sampling und Ambivalenz. Eine hermeneutische Studie, Basel: Schwabe-Verlag 2018; zur Prudenza: S. 178–193 (mit dt. Übersetzungen der wichtigen Passagen).
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Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) ersinnt in seinem »Frauenzimmer-Gesprächspielen« einen Aufzug der VII Tugenden, die er korreliert mit den sieben Planeten und sieben Stimmen der Musik. Jede der Tugenden fährt auf einem von bestimmten Tieren gezogenen Wagen, dessen Räder jeweils das der Tugend entsprechende Laster bedeuten (warum?), und hält ein entsprechendes Attribut in der Hand. (Sternbild-Götter auf von Tieren gezogenen Wagen kennt man z.B. aus Hygins Poeticon astronomicon. – Sehr ähnlich ist dann die Allegorie des Geizes in J.Ebermeier, New poetisch Hoffnungs-Gärtlein, 1653, Anders Hundert, Nr. 69: Avaritiæ Quadriga)
Gesprechspiele Fünfter Theil, Nürnberg: Endter 1645; S. 300ff. (Reprint Tübingen 1969, S. 424ff.)
Dem Merkur (man beachte das Zeichen ☿ auf dem Stern hinten am Wagen) ist die Weissheit oder Vorsichtigkeit zugeordnet. Die Personifikation hält einen Spiegel in der einen und ein Schlange in der anderen Hand. Der Wagen wird von Schwänen gezogen; das Rad ist angeschrieben mit Unverstand.
Dieser Spiegel/ diese Schlangen
deuten/ daß fast nie geglükkt/
was nicht vorbedacht erblikkt/
und ist weißlich angefangen.
Der Kommentar besagt: Man solle unbeflekket seyn wie die Schwaanen/ welcher Federn/ auch in dem Schlamm und Unflat weiß verbleiben. – Mercur ist der Gott der Künste/ führet einen Schlangenstab. (Hier bezieht sich die Schlange also auf den Caduceus [auf dem sich genau genommen zwei Schlangen ringeln], nicht auf das Bibelzitat.)
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Johann Amos Comenius kennt im »Orbis Pictus« (Erstausgabe 1658) eine Abteilung zur Sittenlehre. Die Prudentia / Klugheit hat folgende Attribute: Doppelgesichtigkeit, Spiegel (Sie sihet zurück/ als in einem Spiegel/ auf das Vergangene), Fernrohr (und sihet vor sich/ als durch ein Perspectiv auff das Künftige oder auf das Ende). (Das mag seinerzeit die Gebildeten an den Satz aus des Terenz, Adelphi, III. iii. 32.erinnert haben: Istuc est sapere, non quod ante pedes modo est videre, sed etiam illa, quæ futura sunt prospicere. – Das heißt wissen: nicht zu sehen, was gerade vor den Füßen ist, sondern auch das, was in Zukunft ist, vorauszusehen.)
Joh. Amos Comenii Orbis Sensualium Pictus: Hoc est: Omnium fundamentalium in mondo rerum, & in vita actionum, Pictura & Nomenclatura, Noribergæ 1698.
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/comenius1698/0188
Prudenza mit den zwei Gesichtern des Janus finden sich schon in Raffaels Bild in der Stanza della Signatura:
> https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Raffael_054.jpg
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Philips Galle (1537–1612) hat nach einer Zeichnung von Pieter Brueghel dem Älteren (um 1525/1530 – 1569) eine Serie der Sieben Tugenden in Kupfer gestochen, darunter 1559 die PRVDENTIA, hier als Ausschnitt:
Das ganze Bild hier > https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brueghel_-_Sieben_Tugenden_-_Prudentia.jpg (Dort auch die anderen Tugenden der Serie durch Anklicken von <<< und >>> einsehbar.) Bessere Reproduktion beim British Museum > http://tinyurl.com/yardqg2d
Die Personifikationsallegorie der Prudentia hält einen Spiegel in der rechten Hand; in der linken einen Sarg; auf dem Kopf balanciert sie ein Sieb. Das Sieb steht symbolisch für den Trennvorgang zwischen Wertvollem und Wertlosem > hier. Was die die auf dem Boden liegenden Leitern bedeuten? Dass man stufenweise emporsteigen muss, ohne eine Sache zu übereilen? (vgl. das spätere Emblem hier)
Text unter dem Bild: Si prudens esse cupis, in futurum prospectum ostende, et quae possunt contingere, animo tuo cuncta propone. ≈ Wenn du klug sein willst, so richte den Blick auf die Zukunft und stell dir (im Geist) alles vor, was geschieht (geschehen könnte). (Wird in älteren Werken Seneca zugeschrieben.) – Spiegel gelten im Aberglauben als die Zukunft verkündend.
Um sie herum sind verschiedene Personen mit häuslichen Arbeiten beschäftigt, die alle die Vorsorge für die Zukunft illustrieren (prudentia von providentia ≈ Sehen in die Zukunft): Einpökeln von geschlachtetem Fleisch; Einbringen von Reisigwellen; Harnschau durch einen Arzt; Füllen einer Truhe mit Geld; u.a.m. Im Gegensatz zu Bruegehls Bild der Superbia (> hier) sind hier keine surrealistischen Wesen dargestellt, sondern ganz konkrete.
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CONSCIENCE: Elle considere attentivement dans la glace d’un miroir qu’elle tient, son cœur qui y paroît à découvert.
Iconologie tirée de divers auteurs. Ouvrage utile aux gens de lettres, aux poëtes, aux artistes, & généralement à tous les amateurs des beaux-arts. Par J.B. [Jean-Baptiste] Boudard, Vienne [Wien]: Jean-Thomas de Trattner 1766; Band I, Nr.112.
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Woher rührt der Zusammenhang von Superbia und Spiegel?
Vgl. Sibylle Appuhn-Radtke, Artikel "Superbia", in: Reallexikon für Deutsche Kunstgeschichte RDK (2021) > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=106797
Als Beispiel zunächst ein Jacques Callot (1592–1635) zugeschriebenes Kupferblatt (7 x 5,3 cm, dat. ca. 1618/1625)
Es zeigt Superbia als elegant gekleidete Frau mit einem Spiegel in der Hand, begleitet von einem Pfau; über ihr schwebt ein dämonisches Wesen (als Einbläser?)
British Museum > http://tinyurl.com/yafc9u9m
Frühe Darstellungen finden sich in:
••• Guillaume de Digulleville, Pèlerinage de vie humaine (Handschrift von ca. 1400/1410)
Digitalisat der Bibliothèque Nationale > http://tinyurl.com/yamel78p
••• Psalterium aus Flandern, 1500/1535 > http://www.kb.dk/permalink/2006/manus/30/eng/24+recto/?var=1
Weitere Darstellungen aus dem 17.Jh., oft stehen sie in Serien der sieben Hauptlaster:
••• Hendrik Goltzius, Hoffaert (ca. 1600) > http://tinyurl.com/y95a9v83
••• Hendrik Goltzius / Jacob Matham, Superbia (1587) > http://tinyurl.com/y7m5ufj9
Die Superbia (der Stolz, die Hoffart < mhd. hôchvart) besteht darin, dass man den Sinn auf sich selbst richtet (verwandt mit philautia, Selbstverliebtheit) statt auf Gott und den Mitmenschen. Das wird mit dem Spiegel symbolisiert.
Dass man sich nicht selber loben soll, steht an verschiedenen Orten der Bibel , z.B.: Rühmen soll dich ein anderer, nicht dein eigener Mund, ein Fremder, nicht deine eigenen Lippen. (Proverbia = Sprüche 27,2)) Die moralisch angebrachte Selbstbetrachtung wäre, dass der Mensch sich seiner Schöpfung aus dem Lehm (Genesis 2,7) und seiner Vergänglichkeit vergewissert. Die Warnung lautet: Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt … werden. (Lukas 14,11)
In der heidnischen Antike kann superbia durchaus auch das stolze Selbstgefühl bedeuten. Horaz prophezeit seinem Werk stolz ewigen Ruhm und sagt zur Muse des Gesangs Melpomene: sume superbiam: sei stolz! (Horaz, Carm. III, xxx, 14)
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Superbia auf dem Boot der dummen Einbildung, das zum Narrenschiff hinfährt:
Stultiferae naves sensus animosque trahentes mortis in exitium, [Paris]: Thielman Kerver für Enguilbert [Jean und Geoffrey] de Marnef, 1500.
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https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00070312?page=1
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Einige Quellentexte:
• Die Superbia ist die Wurzel aller anderen Sünden: initium omnis peccati superbia (Ecclesiasticus = Jesus Sirach 10,15)
• Superbus dictus quia super vult videri quam est; qui enim vult supergredi quod es, superbus est. (Isidor, Etymologiae X, 248)
• Die Superbia entfernt Gott vom Menschen: Superbia aufert homini Deum. (Hugo von Sankt Viktor, De quinque septenis)
• Die Superbia ist ein unkontrolliertes Begehren nach eigener Vortrefflichkeit … Sie verursacht eine willentliche Verachtung Gottes: superbia significat inordinatum appetitum propriae excellentiae. … importat quendam actualem contemptum Dei. (Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Iª-IIae, qu. 84, art. 2, corpus > http://www.unifr.ch/bkv/summa/kapitel205-2.htm)
• Dante kennt im »Purgatorio« (XII, 1–72) drei Vierergruppen von gestürzten Hoffärtigen.
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»Der Seelen Wurzgart« ist eine entlang der Heilsgeschichte organisierte Exempla-Sammlung aus den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts. Darin gibt es auch eine Passage über die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies.
••• Es ist – sehr vereinfacht – zu unterscheiden zwischen
• den ewigen Höllenstrafen, die ausdrücklich mit Feuer assoziiert sind. Eine freiwillige Abkehr von Gott (eine ›Todsünde‹), in der man bis zum Ende verharrt, führt dazu. Matthäus 25,41: Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist! . – Der Übeltäter im Gleichnis »Vom reichen Mann und armen Lazarus« (Lukas 16,23–24) leidet im Totenreich Pein in der Flamme (quia crucior in hac flamma) – Vgl. Dantes Inferno;
• und der Läuterung im Fegefeuer 1.Korinther 3,13: Und wie das Werk eines jeden beschaffen ist, wird das Feuer prüfen. Hält das Werk stand, das er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. – Vgl. Dantes Purgatorio.
Das Fegefeuer ist keine biblische Vorstellung; eine schwache Stütze ist der Satz im 1.Korintherbrief 3,13: Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Die Idee wurde von den Kirchenvätern und mittelalterlichen Autoren allmählich entwickelt, um zu erklären, was mit den (nicht direkt zur Hölle verdammten) Sündern zwischen ihrem leiblichen Tod und dem Endgericht geschieht. Die Protestanten anerkennen kein Fegefeuer. Das Konzil von Trient definiert 1547 und nochmals 1563 einen Reinigungsort (purgatorium; vgl. Denzinger 1580 und 1820).
••• Seit Gregor dem Großen (590–604) gibt es einen kontinuierlich überlieferten Katalog von sieben Hauptsünden: Septem principalia vitia (»Moralia in Iob«, 31, xlv, 87). Dass die Hauptlaster oft als weibliche Personifikationen visualisiert werden, rührt daher, dass die Laster im Lateinischen feminine Substantive sind: Superbia, Avaritia, Ira, Luxuria, usw.
••• Die Seelen der Abgeschiedenen erleiden ›Genugtuungsleiden‹, die ihre Sünden widerspiegeln (Spiegelstrafen).
Dantes »Inferno« ist durchwaltet von dieser Idee. Beispiel: Die Wahrsager und falschen Propheten tragen hier die Gesichter zum Rücken hin gewandt und müssen rückwärts gehen (Inf. XX) — Der Trobador Bertran de Born, der im englischen Königshaus Vater und Sohn entzweit hatte, trägt sein abgetrenntes Haupt in der Hand. Er sagt zu Dante: »Così s’osserva in me lo contrapasso.« (Inf. XXIX, 142). (Hier fällt das von Dante geprägte Wort, abgeleitet von lat. contra und patior ≈ das Gegenteil erleiden.)
Thomas von Aquin, Summe der Theologie, IIª-IIae, q. 61, Art. 4: ›Wiedervergoltenes‹ besagt Gleichheit im Leiden mit Rücksicht auf die vorausgegangene Tätigkeit (contrapassum importat aequalem recompensationem passionis ad actionem praecedentem)
Es gibt zwei Arten der ›Abgeltung mit Gleichem‹: durch gesteigerte Analogie mit dem zugefügten Schaden bzw. der begangenen Sünde (die Fresser und Schwelger müssen weiter und noch mehr in sich hinein fressen) oder durch Kontrast damit (die Wahrsager vgl. oben).
Literaturhinweise:
• Jacques Le Goff, La Naissance du Purgatoire, Gallimard 1981. – Die Geburt des Fegefeuers, Stuttgart: Klett-Cotta 1984.
• Werner Williams-Krapp, Exempla im heilsgeschichtlichen Kontext. Zum »Seelenwurzgarten«, in: Exempel- und Exempelsammlungen, hg. von W. Haug und B. Wachinger, Tübingen 1990, (Fortuna Vitrea 2), S. 208–222.
• Herbert Vorgrimler, Geschichte der Hölle, München/Zürich 1993.
• Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Tractatus_de_Purgatorio_Sancti_Patricii
Der Holzschnitt ist im Buch nicht einer Textpassage präzis zugeordnet:
Hie volget nach ein lieplich vnd nützliche materi. vnd wirt genant der selen wurczgart, Ulm: Conrad Dinckmut 1483.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00031609/image_306
Den personifizierten Seelen fügen Teufel die der begangenen Sünde entsprechende Pein zu:
• der Geiz (avaritia) wird mit einem Sack voll Gold gefüttert;
• der Neid, die Missgunst (indvidia) wird von einem Hund gebissen (evtl. bezogen auf die äsopische Fabel von Hund mit dem Fleisch im Maul, der im Spiegel eines Flusses einen andern zu sehen glaubt, dem er das Fleisch wegnehmen will und darüber seines verliert > unten);
• die Trägheit (acedia) wird auf einen Rost gezerrt (der seinerzeit faul auf dem Bett Liegende erhält so seine Strafe);
• der Zorn (ira) wird von einem Teufel mit einer Machete erschlagen;
• die Unkeuschheit (luxuria) betastet ihren Partner, dessen Penis zu einer Schlange ausgewachsen ist und …;
• die Völlerei (gula) wird mit Speis und Trank vollgestopft;
• der Superbia (Stolz, Hoffart) hält ein Teufel einen Spiegel vor und schrubbt ihr einst glamuröses Haar mit einer struppigen Bürste. (Der Spiegel ist hier das Zeichen des Stolzes / der Hoffart, kein Straf-Instrument.)
Literaturhinweis: Peter Jezler (Hg.), Himmel – Hölle – Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter [Katalog zur Ausstellung des Schweizerischen Landesmuseums], Zürich: Verlag NZZ 1994; Kat. 149 (S. 363) mit Kommentar von U.S. = Ueli Suter.
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In seinem Buch »De remediis utriusque Fortunae« (Von den Heilmitteln der beiden Arten von Glück) lässt Petrarca (1304–1374) im ersten Teil die Personifikationen Fortuna, Gaudium und Spes (Freude, Hoffnung) auftreten, die allerlei Arten des Glücks preisen, wonach Ratio (die Vernunft) jeweils mahnt, diese Glücksgüter seien letzten Endes eitel; im zweiten Teil grämen sich Dolor und Metus (Schmerz und Furcht) über allerhand Arten von Drangsalen und werden von Ratio getröstet. Was den Menschen erfreut, erweist sich als nichtig, und wovor er sich fürchtet, erweist sich bei genauerem Zusehen als Segnung.
Die erste deutsche Übersetzung enthält großartige Holzschnitte eines unbekannten Meisters (ein Zeitgenosse Dürers), die gemäß Vorwort nach visierlicher angebung des Hochgelerten Doctors Sebastiani Brandt seligen angefertigt worden sind.
Freud: Ich hab ein fürtreffenlich gestalt des leibs. Vernunnfft: Dise ist mit nichten bestendiger dann die zeit.
Ratio mahnt, bald werde das blonde Haar dem weißen weichen, Runzeln werden die zarten Wangen durchfurchen, die fröhlichen Fackeln der Augen werden von Wolken getrübt, die elfenbeinernen Zähne werden von Unflat überzogen, usw.; der Redeschwall gipfelt im Satz: Veniet dies quo te in speculo non agnoscas (in der Übersetzung von 1532: Künfftig ist der tag/ an dem du dich in einem spiegel nit erkennnen kanst.) Das hat die Anregung zum Bild abgegeben: Eine in einem umhegten Garten stehende, prächtig gekleidete Frau mit offenem Haar beschaut sich in einem Spiegel..
Holzschnitt des Petrarkameisters, aus: Franciscus Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück / des guten vnd widerwertigen […]. Augspurg: H. Steyner 1532; Buch I, Kapitel 2.
Der Verleger Steiner verwendet den Druckstock 1537 nochmals zur Illustration des Kapitels über die Erfindung des Spiegels in Polydorus Vergilius Urbinas, Von den erfyndern der dingen. WIe und durch wölche alle ding / nämlichen alle Künsten / handtwercker / auch all andere händel / Geystliche und Weltliche sachen […] von anfang der Wellt her / biß auff dise unsere zeit geübt und gepraucht […] Augspurg: Heynrich Steyner MDXXXVII.(2.Buch, 20.Kapitel, Fol. LX verso) > http://diglib.hab.de/drucke/q-49-2f-helmst/start.htm?image=00158)
Steiner druckt sodann 1544 eine deutsche Übersetzung des Erziehungsbuchs von Juan Luis Vives (1492–1540) in der Übersetzung von Christoph Bruno (1541–1566), illustriert mit Bildern des Trostbuchs. Das Kapitel I,7 behandelt hier das Thema Wie ein Junckfraw jrs leibs pflegen soll und enthält dieses Bild. Von Körperpflege oder Kosmetik ist dort freilich nicht die Rede. Ioannis Lodovici Vivis Von vnderweysung ayner Christlichen Frauwen : Drey Bücher, Zu lob und preisz der ... Frawen Jacoba Pfaltzgräffin bey Rhein ... erklärt vnnd verteütscht / Durch Christophorum Brunonem, Augspurg: Stainer, 1544; Fol. XVrecto
Zum offenen Haar vgl. hier oben.
Exkurs zum Pfau:
In der heidnischen Antike ist der Pfau der Vogel der Juno; ihr Wagen wird von zwei Pfauen gezogen (Ovid, Metamorphosen II, 531).
Aber bereits in der Antike werden auch andere Stimmen laut: Plinius (d.Ä., 23 – 79) schreibt über den Pfau (»Naturalis historia« X, xxii, 443f), dass er, wenn er gelobt wird, seine wie Edelsteine glänzenden Farben ausbreitet, und dass gewisse Schriftsteller ihn als nicht nur hoffärtig, sondern auch als boshaft schildern: ab auctoribus non gloriosum tantum animal hoc traditur, sed et malivolum.
Aelian in seiner »Tierkunde« V,21: Der Pfau weiß, dass er der schönste Vogel ist und worin seine Schönheit liegt, und prunkt damit, und ist stolz, und vertraut auf sein Gefieder, womit er sich zum Schmuck umgibt. […] Er fühlt es, wenn er gelobt wird; und wie ein schöner Knabe oder eine reizende Frau dasjenige sehen lässt, was sich am meisten bei ihm/ihr auszeichnet, so richtet auch der Pfau sein Gefieder in vollem Schmuck und reihenweise auf. usw.
Aesop (nach der Numerierung von Perry Nr. 219) erzählt die Fabel von Pfau und Dohle: der Pfau verlangt, wegen seiner Schönheit zum König der Vögel gemacht zu werden; die Dohle entgegnet, er könne die Vögel ja nicht gegen den Adler verteidigen.
Im Mittelalter wird er sowohl positiv wie negativ beurteilt. Dieser Göttin [Juno] ist der Pfau geheiliget worden. Daher Pausanias vom Tempel Junonis in Gratiæ meldet/ daß darinnen ein güldener Pfau gewesen/ mit Edelsteinen gezieret […] Die Ursach aber ist/ weilen der Reichtum die Menschen also verblendet/ wie den Pfauen seine glänzende Federn. Buccatius [Boccaccio!] meldet im 9. Buch von der Götter Genealog. daß unter den Pfauen und Reichen große Gleichheit seye/ dann beyerseits erzeigen sie einen grossen Hoffart.
Vincentii Chartarii Rhegiensis Neu-eröffneter Götzen-Tempel/ Darinnen Durch erklärte Darstellung deroselben erdichtete Gestalt/ die bey dem Heydnischen Götter-Dienst/ vor alten Zeiten gewöhnliche Verehrung/ Anbettung/ […] vorgestellet […] Franckfurt: Bourgeat 1692. [italien. Erstausgabe von Vincenzo Cartari: 1571] (S.68 und Bild Nr. 25)
Tatsächlich hat der Pfau in der »Genealogia Deorum« von Boccaccio (nach 1360 verfasst) negative Bedeutungen: … inanis gloria, et futilis pompa, aures adulationibus patulę designantur.
In der christlichen Tradtition wird der Pfau zunächst positiv gewürdigt:
Augustinus (354–430) schreibt in »De Civitate Dei« XXI,4, Gott habe dem Fleisch des toten Pfauen die Eigenschaft verliehen, nicht in Verwesung überzugehen, und er macht ein Experiment, das diese Vorstellung bewahrheitet. Wohl deshalb begegnen Pfauen als Skulpturen auf antiken Sarkophagen.
Bei Ps.-Hugo von Sankt Viktor (12.Jh.?) ist der Pfau – abgesehen von seiner horriblen Stimme – durchaus positiv symbolisiert; so bedeutet der vielfarbige Schwanz die mannigfachen Tugenden: Varietas colorum designat diversitatem virtutum. (»de bestiis«, Cap. LV = PL 177,53)
Bei Freidank (»Bescheidenheit«, erstes Drittel des 13.Jhs.) scheint der Pfau eine Allegorie des Schmeichlers zu sein. Er schreitet leise wie ein Dieb, hat die Stimme des Teufels und ein Gewand wie ein Engel: Der pfâwe diebes sliche hât, tiuvels stimme und engels wât. (142,13)
Missverständich ist die Fabel in Hugos von Trimberg (nach 1300) »Renner«: Ein Rabe (mhd. ruoch) findet Pfauenfedern und steckt sie sich in den Schwanz; dann bewegt er sich unter Pfauen: er gienc stolzieren hin und her rechte als er ein phâwe wêr [wäre]. In der Auslegung bedeutet der Rabe einen Mann, der mit geringen Dingen gegenüber edlen Leuten prunkt; die pfâwen bediutent edel liute und rîche burger, die noch hiute grôziu dinc volbringen mügen.
Hugo von Trimberg, Der Renner, hg. Gustav Ehrismann, (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, Bde. 247/248/252/256), 1908–1911; Verse 1733ff. und 1744ffff.
Text
digital > http://users.ox.ac.uk/~fmml2152/renner/Teil12.html
Im Spätmittelalter wird der Pfau zum Attribut der Eitelkeit und der Hoffart (superbia als eines der 7 Hauptlaster).
Im »Speculum sapientiæ« eines Autors des 14. Jahrhunderts (›Cyrillus‹) erscheint der üppige Pfau im zweiten Buch, das die Hoffart thematisiert (II, 21). Hier das Bild zur Fabel von Pfau und Igel aus einer Handschrift mit dem Text des deutschen Übersetzers Ulrich von Pottenstein (ca. 1430)
British Library, Egerton 1121 > http://tinyurl.com/yc4hjn88
Weitere Hinweise bei Romy Günthart, Sebastian Münster. Spiegel der wyßheit. Einführung, Edition und Kommentar, München: Fink (2 Bde.) 1996; Band I, S. 95; Band II, S.77f.
Hans Sachs schreibt eine Fabel »Die füchsisch gsellschaft« (20. November 1557) Einen alten Fuchs reuen seine Sünden und er möchte eine Wallfahrt unternehmen. Verschiedene Tiere begehren, seine Gefährten zu sein. Er weist sie alle zurück wegen ihrer negativen Eigenschaften: die Katze ist schmeichlerisch; der Bär rumort grimmig; usw.
Nach dem kam der gespiegelt pfab [Pfau]
Wolt auch mit ihm die walfart than [tun]
Der fuchs sprach: ich nemb dich nit an,
Weil du durch dein vergulten schwantz
Dich stelst rumreich und prechtig gantz,
Hoffart und hochmut stäts nach-trachst,
All ander neben dir verachst […]
Drum weich von mir, du stoltzer pfab!
Hans Sachs, hg. A. von Keller, Fünfter Band, (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart, Band CVI), Tübingen 1870, S.66ff.
Öfters wird dieses Verhalten erwähnt: Der Pfau schlägt stolz das Rad, aber wenn er seine hässlichen Füße sieht, vergeht sein Stolz. (So im »Physiologus«, übertragen und erläutert von Otto Seel, Zürich: Artemis 1960; ¶ 53.) Wenn der pfâw seinen zagel [Schwanz] gestreckt hât gegen der sunnen und sein ungestalt füez ansiht, sô senket er den zagel wider auf die erden. Konrad von Megenberg († 1374,) Buch der Natur III, B, 57 (Ausgabe F.Pfeiffer S.212–215).
Sebastian Brant, der dem Petrarcameister visierliche Anweisungen gegeben hat, erzählt die Fabel des selbstgefälligen Pfaus, der sich wegen seiner Federpracht rühmt und dem Kranich dessen Schmucklosigkeit vorwirft:
Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, Basel: Wolff 1501.
>
https://www2.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/esop/seite199.html
Im Emblembuch von Petrus Isselburg / Georg Rem, Emblemata Politica. In aula magna Curiæ Noribergensis depicta, Nürnberg 1617; Ausgabe 1640 :
Nosce teipsum.
Der stoltz Pfaw an der Sonnen Glantz/
Ubermütig auffwirfft sein Schwantz:
So bald’r sein Füß anschawen thut/
Läst er solchn fallen für Unmut.
Wann der Mensch sein Schwachhit erkent/
Nimbt ihm Stoltz vnd Pracht ein End.
Bild > http://diglib.hab.de/drucke/uk-40/start.htm?image=00026
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Hans Burgkmair d.Ä. (1473–1531) kennt bereits 1516 die Kombination von Spiegel und Pfau für die Hofart:
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Ein Kupfer von Pieter van der Heyden nach Pieter Brueghel d.Ä. (um 1525/1530 – 1569) aus dem Jahre 1558 zeigt ebenfalls eine sich bespiegelnde Dame mit einem Pfau:
Das ganze Bild hier > https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Brueghel_-_Sieben_Laster_-_Superbia.jpg (Dort auch die anderen Laster der Serie durch Anklicken von <<< und >>> einsehbar.)
Superbia in einen Spiegel blickend und von einem Pfau begleitet steht zentral im Vordergrund; im Umfeld seltsame dämonische Wesen. Wir sind als Betrachter etwas ratlos und lassen den Blick in dem Wimmelbild herumschweifen. Es sind keine allegorischen Bezüge oder eine Gemeinsamkeit bei diesen phantastischen Wesen und Gebilden auszumachen, die an Bilder von Hieronymus Bosch (um 1450–1516) erinnern, vgl. insbesondere seinen ›Garten der Lüste‹.
Text unter dem Bild (mit Wortspiel): Nemi superbus amat superos, nec amatur ab illis ≈ Kein Hoffärtiger liebt die ihn übertreffen, und wird von diesen ebenso wenig geliebt.
Vielleicht lässt sich das Bild so deuten: Die Superbia betrachtet allein sich selbst und negiert, was sich in ihrer Umgebung alles regt, so bizarr dies für uns Betrachter auch sein mag.
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Laurentius von Schnüffis (1633–1702) kennt dieselbe Komposition mit Pfau und Frauen, die sich im Spiegel besehen:
Der Pfau meint: Non ego vanior istis (≈ Ich bin nicht eitler als die da.)
Futer über die Mirantische Maul-Trummel/ Oder Begriff/ In welchem der jetzigen Welt thorechtes/ von ihr aber gar schön vermeintes Beginnen in Lateinisch- und Teutschen Elegien/ samt schönen Sinnbildern/ und neuen Melodeyen mit sonderbarem deß Lesers Lust/ und Vergnügung an den Tag gegeben wird/ durch P.F. Laurentium von Schnüffis/ Vorder-Oesterreichischen Provintz Capucinern/ und Predigern […]. Costantz: Leonhard Parcus 1699; Elegia VII.
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Georg Pencz (ca. 1541) geht weiter: die in den Spiegel blickende Dame SVPERBIA hat nicht einfach einen Pfau neben sich, sondern hat selbst Pfauenflügel – mit Mutation des Schwanzes zu Schwingen. Wenn sie sagt: OMNES DESPICIO (≈ alles verachte ich), dann ist das wohl ein Wortwitz mit speculum.
Digitalisat: British Museum > http://tinyurl.com/y7mdkqn4
☰ Ne quid dedeceat, facto caveamus in omni Apta rei caput est, tempora nosse, suæ.
(Bei allen Taten müssen wir uns hüten, dass nichts Unziemliches dabei sei. Das Wichtigste ist, die passende Zeit für seine Sache zu kennen. Übers. Warncke) Die Frau prüft Ihr Aussehen im Spiegel – im Hintergrund beschaut Narziss sein Antlitz im Wasserspiegel. Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611/1613; unter dem Titel: Sinn-Bilder, hg. Carsten-Peter Warncke (Bibliophile Taschenbücher 378), Dortmund 1983; Centuria secunda (1613), Nr. 91. > https://archive.org/stream/gabrielisrollenh00roll#page/n208/mode/1up
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Cesare Ripa verfasste 1593 ein Buch, in dem er Dichtern und Malern darlegte, wie sie abstrakte Begriffe (Tugenden, Laster, Affekte) in anschauliche Gestalten umsetzen können: die »Iconologia«. Zur Darstellung der Superbia schlägt er vor:
Donna bella et altera, vestita nobilmente di rosso, coronata d'oro, di gemme in gran copia, nella destra mano tiene un pavone et nella sinistra un specchio, nel quale miri et contempli se stessa.
In der (vor 1761 erschienenen) Ripa-Adaptation zeichnen Gottfried Eichler d. J. (1715–1770) und Johann Georg Hertel (gest. 1775) die Superbia / den Hochmuth dann im Rokoko-Stil vor dem Spiegel und mit dem Pfau; im Hintergrund am Himmel als übles Beispiel für den Stolz: den Sturz Luzifers (siehe Anm.):
Text unter dem Bild:
Der Hochmuth.
Lucifer mit Hocheit pranget,
und dadurch den Sturtz erlanget.
Des berühmten Italiänischen Ritters, Cæsaris Ripæ, allerleÿ Künsten, und Wissenschafften, dienlicher Sinnbildern, und Gedancken, Welchen jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget dermahliger Autor und Verleger, Joh. Georg Hertel [gest. 1775], in Augspurg. Tafel 126.
> https://archive.org/stream/parsidesberuhmte00ripa#page/n282/mode/1up
Anmerkung zu Luzifers Sturz vom Himmel:
Der Engel Luzifer ist der Prototyp dessen, der sich in Vermessenheit gegenüber Gott empört hat und deshalb (zusammen mit einer Schar von anderen Engeln, die sich ihm angeschlossen hatten) vom Himmel in die Hölle gestürzt wurde; der Inbegriff der Superbia.
Jesaja 14,12ff. steht (historisch verstanden) ein Spottlied auf einen gefallenen babylonischen Tyrannen: Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! (Quomodo cecidisti de cælo, Lucifer?) Du dachtest in deinem Sinn: ›In den Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über den Sternen Gottes meinen Thron aufrichten, […] Ich will über die Wolkenhöhen hinauffahren, will mich dem Höchsten gleich machen!‹ Nun aber bist du ins Totenreich hinabgestürzt, […] Die Stelle wurde kombiniert mit Lukasevangelium 10,18 Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen. und Apokalypse 8,20 Da fiel ein großer Stern vom Himmel. Vgl. dazu Karl-August Wirth, Artikel »Engelsturz«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. V (1960), Sp. 621–674; > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=93201
Warum auf dem Bild von Ripa/Hertel der vom Himmel stürzende Luzifer einen weiblichen Busen hat? Unter der Lupe:
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Was zunächst wie eine Personifikation der Sapientia aussieht (mit Spiegel und der Schlange aus Matthäus 10,16), wird durch den Text dementiert: Es ist die Superbia. (Symbole und Allegorien sind ohne Kontext immer mehrdeutig.)
Die aufgeblasene (vgl. das Gewand!) Superbia verehrt bewundernd das eigene Antlitz; sie ist am Verstand krank und kotzt wie eine Schlange schwarzes Gift.
Holzschnitt von Jost Amman (1539–1591) in: Insignia sacrae caesareae maiestatis, principvm electorvm, ac aliqvot illvstrissimarvm, illvstrium, nobilium, & aliarum familiarum, formis artificiosissimis expressa: addito cuique peculiari symbolo […], Frankfurt: Corvinus und Feyerabend 1579.
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Auch Phlilautia (die Eigenliebe) hält einen Spiegel und eine Schlange in Händen.
What meanes that poisonous Serpent in thy hand? Philaut: My bane I breed (in der lat. Übers.: Serpens quid sinuosa manu? Philaut: Pectore virus alo) ≈ In der Brust erzeuge / ernähre ich mein Gift / Verderben. Zum Spiegel befragt, sagt Philautia: inde cætera dedignor, dum mea sola placent. ≈ Damit verschmähe ich die anderen [Leute], während mir das Eigene gut gefällt.
Minerva Britanna Or A Garden Of Heroical Deuises, furnished, and adorned with Emblemes and Impresa's of sundry natures, newly devised, moralized, and published by Henry Peacham, London 1612.
> https://archive.org/details/minervabritannao00peac
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Umgekehrt: Nicht immer ist die Frau mit dem Spiegel in der Hand eine Allegorie der Superbia!
Die Treue. Ein annehmliches/ auf einem Grund-Stein stehendes Weibs-Bild tritt einen Büschel Masquen mit Füssen und hat einen Spiegel in der Hand/ neben dem Stein liegen Ketten und Fesseln anzuzeigen daß die Treue mit ihrem Freund/ frölich und traurig/ wie der Spiegel/ der lustige und melancholische Gestalten annimmt/ auch keine Gefahr scheuet/ sich in selbige um ihres Freundes willen zu geben. Fides, fidelitas …
Viel nutzende und erfindungen reichende Sinnbild-Kunst, oder Hieroglÿphische Bildervorstellung der Tugenden, Laster, Gemüts-bewegungen, Künste und Wissenschafften, wodurch Rednern, Poeten, Mahlern, Bauverständigen, Bildhauern, durch Zeichnungen, und einer kurtzen beschreibung Anlasz jhre Gedancken aus zu üben gegeben oder beij gäh vorfallenden Gelegenheiten ihnen gnugsame Materi vor Augen gelegt wird damit Sie sich nicht lang besinnen dörffen, Nürnberg verlegt und zu finden beij Johann Christoph Weigel Kunsthändlern [s.d.; nach 1726], Nr. XXIII.
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Max Klinger (1857–1920), Eva, 1880. > http://www.zeno.org/nid/20004111273
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Charles de Bouelles / Carolus Bovillus (1479–1553) fügt seinem Traktat »de sapiente« (1509) diesen Holzschnitt bei (nach Fol. 116):
Es sitzen sich zwei Frauengestalten gegenüber:
Fortuna, die das berühmte Rad (vgl. hier) in der Hand hält und eine Augenbinde trägt, und
Sapientia mit einem Spiegel (angeschrieben Speculum Sapientię).
Über den Personifikationen in Medaillons:
der Törichte (Insipiens), der in der Banderole sagt: Te facimus Fortuna Deam celoque locamus (≈ Dich, Fortuna, haben wir zu einer Göttin gemacht und an den Himmel versetzt), und
der Weise (Sapiens), der spricht: Fidite virtuti; Fortuna fugatior undis (≈ Vertraut auf die Tugend; Fortuna ist flüchtiger als die Wellen!)
Der Text handelt in Kapitel 9 vom Vergleich zwischen dem Weisen und der Natur des Spiegels. (Der Text erklärt das Bild nicht und ist sehr komplex; die Kernaussage etwa diese:) Der Weise gleicht dem Auge hinsichtlich der tätigen Vernunft (intellectus agens) und des leidenschaftslosen Intellekts; er gleicht dem Spiegel hinsichtlich der rezeptiven, der Empfindung fähigen Anlage. Die beiden nähern sich einander bis zur Ununterscheidbarkeit. Das Auge, das sein Ebenbild auf den Spiegel wirft, erfreut sich daran, den Reflex davon zu sehen. Dieses Hinrichten des Blicks (contemplatio) bedeutet indessen keine Identität von Auge und Spiegelbild, insofern ja der Spiegel das Original seitenverkehrt zeigt. – Vielleicht ist gemeint: Der Weise lässt sich nicht düpieren, sondern weiss um die Diskrepanz zwischen Erkennendem und Erkanntem.
Que hoc volumine continentur: Liber de intellectu. Liber de sensu. Liber de nichilo. Ars oppositorum. Liber de generatione. Liber de sapiente. Liber de duodecim numeris. Epistole complures. Parisiis: Henricus Stephanus 1510.
BSB > http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb11200452-1 Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf > http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/id/1257157
Moderne Edition des Traktats »de sapiente«, hg. Raymond Klibansky, in: Ernst Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig 1927, S. 301–412 (mit Registern erschlossen).
Französische Übersetzung: Charles de Bovelles, Le livre du sage, Texte et traduction par Pierre Magnard, Paris: Vrin 1982. — Introduction, nouvelle traduction et notes par P.Magnard, Vrin 2010.
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Seneca (4 v.u.Z. – 65) kommt im Zusammenhang mit Überlegungen zur Entstehung des Regenbogens auf die Spiegel zu sprechen.
L. Annaeus Seneca, Quaestiones naturales / Naturwissenschaftliche Untersuchungen, Hg. und übers. von Martinus F. A. Brok, Darmstadt: wbg 1995 (zweisprachige Ausgabe). Der lat. Text online hier > http://www.thelatinlibrary.com/sen/sen.qn1.shtml
Liber primus, ¶ 5, 14: Es gibt Spiegel, worin man kaum zu schauen wagt, so missgestaltet ist ihr Bild. Sie verzerren die Gesichter der Betrachter dermaßen, dass die Ähnlichkeit nur als Karikatur bewahrt bleibt. Bei anderen kannst du beim ersten Blick stolz auf deine Körperkraft werden, so muskuläs werden deine Arme, und dein ganzer Körper erhält einen übermenschlichen Umfang. Einige zeigen nur die rechte Seite deines Antlitzes, andere die linke Seite. (Übersetzung von M.F.A.Brock). Sunt, quae uidere extimescas, tantam deformitatem corrupta facie uisentium reddunt, seruata similitudine in peius; sunt, quae cum uideris, placere tibi uires tuae possint, in tantum lacerti crescunt et totius corporis super humanam magnitudinem habitus augetur; sunt, quae dextras facies ostendant, sunt, quae sinistras, sunt, quae detorqueant et uertant.
Der ¶ 16 erhält einen Exkurs darüber, wie ein gewisser Hostius Quadra Spiegel missbrauchte. (Dieser Abschnitt fehlt in der deutschen Übersetzung von F. E. Ruhkopf, Leipzig 1794, da er »in höchstem Grade indecent« ist.) Der perverse H.Q. brachte in seinen Räumen mehrere Vergrößerungsspiegel an, die sein und seiner Knaben Glied bei seinen sexuellen Ausschweifungen vergrößert aussehen ließen. – Es sei verweisen auf die englische Übersetzung > Physical science in the time of Nero, being a translation of the Quaestiones naturales of Seneca, by John Clarke, London: Macmillan 1910 >
https://archive.org/stream/physicalsciencei00seneuoft#page/41/mode/1up
¶ 17 betitelt M.F.A.Brok »Vom einfachen Gebrauchsgegenstand wurde der Spiegel zum Luxusartikel«. Seneca entwirft hier eine pessimistische Kulturgeschichte wie in seinem 90. Brief: Der technische Fortschritt ist der Luxus-Begierde, d.h. einem moralischen Abstieg geschuldet. Als Philosoph muss man sich fragen, was die Natur – die nach stoischer Lehre nichts Überflüssiges erzeugt – beabsichtigte, als sie nach der Erschaffung der Körper auch noch deren Ebenbilder zur Schau stellen wollte (quid sibi rerum natura uoluerit, quae, cum uera corpora edidisset, etiam simulacra eorum aspici uoluit). Die Spiegel wurden erfunden, damit der Mensch sich selbst kennenlernt (Inuenta sunt specula, ut homo ipse se nosset). Während die Menschen früherer Zeiten noch kaum auf das Äußere Wert gelegt haben, hat später die dem Menschen eingeborene Eigenliebe die Betrachtung der eigenen Gestalt zu einer angenehmen Empfindung gemacht. Dann hat immer mehr der Luxus sich der Menschen bemächtigt und es wurden teure Spiegel verfertigt.
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Gottfried Keller 1838:
»Ein Mann ohne Tagebuch (er habe es nun in den Kopf oder auf Papier geschrieben) ist, was ein Weib ohne Spiegel. Dieses hört auf Weib zu sein, wenn es nicht mehr zu gefallen strebt und seine Anmut vernachlässigt; es wird seiner Bestimmung gegenüber dem Manne untreu. Jener hört auf, ein Mann zu sein, wenn er sich selbst nicht mehr beobachtet und Erholung und Nahrung immer außer sich sucht. Er verliert seine Haltung, seine Festigkeit, seinen Charakter, und wenn er seine geistige Selbständigkeit dahin gibt, so wird er ein Tropf. Diese Selbständigkeit kann aber nur bewahrt werden durch stetes Nachdenken über sich selbst, und geschieht am besten durch ein Tagebuch. Auch gewährt die Unterhaltung desselben die genußvollsten Stunden.«
Gottfried Keller: Das Tagebuch und das Traumbuch
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Narziss:
Ovid, »Metamorphosen«, 3.Buch, Verse 402–510 (lat. Text und dt. Übersetzung von Reinhart Suchier, 1862) > http://www.gottwein.de/Lat/ov/met03.php#Narcissus
spem sine corpore amat, corpus putat esse, quod umbra est.
Aus einer illustrierten Handschrift des »Roman de la Rose« – British Library, Royal 20 A XVII, fol. 14v (circa 1340/1350)
> http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=royal_ms_20_a_xvii_f014v
Der Text: Guillaume de Lorris, »Roman de la Rose«, première partie (4’058 Verse; Langue d'oïl) verfasst um 1230.
Verse 1425ff. wird die Geschichte so erzählt: Echo, eine vornehme, ihn liebende Dame, wurde vom stolzen Narziss verschmäht:
Mès cis fu por sa grant biauté
Plains de desdaing et de fierté,
Si ne la li volt otroier,
Ne por chuer, ne por proier.
Die Zurückgewiesene bittet sterbend Gott, Narziss möge seinerseits von Liebe ergriffen werden, die unerfüllt bleibe. Narziss gelangt auf der Jagd zu einem Brunnen, in dem er das Bild eines schönen Knaben erblickt; er verliebt sich in sein eigenes Antlitz, kommt von Sinnen und stirbt.
Altfranzös. Text mit moderner frz. Übersetzung online hier:
>
http://www.gutenberg.org/files/16816/16816-h/16816-h.htm
Der Rosenroman, übersetzt und eingeleitet von Gustav Ineichen; mit einem Vorwort von Wolfgang Stammler, Berlin: Erich Schmidt 1956 (Philologische Studien und Quellen 1).
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Amore sui inardescens Narcissus in florem transmutatur. Metamorphoseon sive transformationum Ovidianarum libri quindecim, aeneis formis ab Antonio Tempesta florentini incisi et in pictorum antiquistatisque studiosorum gratiam nunc primum exquisitissimis sumptibus a Petro de Iode Antverpiano in lucem editi Aº 1606.
Die unten abgebildete Ofen-Kachel hängt, als Einzelstück gerahmt, im Museum des Schlosses Mörsburg nördlich von Winterthur. Sie stammt aus einer Winterthurer Hafnerwerkstatt. Die Ofenmaler bezogen ihre Motive aus Musterbüchern, Emblembüchern und sonstwoher, nahmen sich aber die Freiheit, die Vorbilder zu ihren Zwecken abzuwandeln. Der Künstler hier hat sich bedient bei Antonio Tempesta: Das lateinische Motto und der erste Vers der Bildunterschrift sind beide sprichwörtlich: Cuique suus crepitus bene olet (Jedem riecht sein Furz gut). Die Sentenz findet sich immerhin in des Erasmus »Adagia« 2302. III, IV, 2. Eim jeden Narrn* sein kappen gfallt, Wie dem Narcisso sein gestalt.
*) Das zweite r im Wort Narrn ist wie in der Frakturschrift üblich ein rundes r. ---- Die Narrenkappe (mit Schellen an den Zipfeln) ist seit Sebastian Brants »Narrenschiff« (1494) allgemein bekannt.
(Dank an Thomas G. in W. für den Hinweis und die Fotografie!)
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Narciss wird in späteren Auflagen des Emblembuchs von Andrea Alciato zur Verdeutlichung der Eigenliebe (Philautia) verwendet und auf die Gelehrten bezogen, die nur ihre eigenen neuen Methoden phantasievoll darlegen:
Emblemata Andreae Alciati …, cum facili & compendiosa explicatione, per Claudio Minoeum. Leiden, Plantin-Raphelengius, 1599. – Holzschnitt von Lucas d’Heere (1534–1584)
QVOD nimium tua forma tibi Narcisse placebat,
In florem, & noti est versa stuporis olus.
Ingenii est marcor, cladésque Φιλαυτία, doctos
Quae pessum plures datque deditque viros:
Qui veterum abiecta methodo, nova dogmata quaerunt,
Nílque suas praeter tradere phantasias.
Übersetzung aus: Liber emblematum ... Kunstbuch Franckfurt am Main 1567, Emblem CXLVIII, ohne Bild:
Eigen Lieb.
Das du Narcis also vergafft
An deinr farb bist gwesn und verhafft
Daß bist worden zum Rößlin toll [Rose statt Narzisse!]
Welches jederman kennet wol
Eigen Lieb ist Glehrter Leut seucht [vgl. schweizerdeutsch gsüchti: Siechtum]
Verderbnuß abnemmen on deucht [evtl. zu ducht, tucht, also: ohne Tüchtigkeit, Kraft]
Dardurch ir vil seind gangn zu grundt
Und gehn darzu auch noch all stundt
Welche der alten weiß und lehr
Verwerffen und nemmen neuw her
Und lehrnen nur ir fantasey
Sonst ist nichts hinder in danns gschrey.
> http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/emblem.php?id=A91a069
Literatur: Heidi Marek, Artikel "Narkissos" in: Maria Moog-Grünewald, Mythenrezeption: Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart, (Neuer Pauly, Supplemente, Band 5) Springer-Verlag 2008, 2.Aufl. 2016, S. 458–468.
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Confusio disposita. Rosis rhetoricò-poëticis fragrans. Sive Quatuor lusus satyrico morales. Qui septuaginta quinque sententiosis iconibus exhibiti, in totidem Diæreses, & paræneticas scenas distributi, nec non festivîs Germanicò-Latinis versibûs, lepidísque paraemiîs venustati: Miram erudito lectori delectationem: […]. Autore Josepho Melchiore Francisco à Glarùs. Dicto Tschudi de Greplang, &.c. Augsburg: Labhart 1725.
Lusus tertius, Scena VIII.
> https://archive.org/details/confusiodisposit00tsch/page/172/mode/2up
• Motto: In vanitate apprehenditur superbus (zusammengezogen aus Ecclesiasticus = Jesus Sirach 23,8 In vanitate sua apprehenditur peccator, et superbus et maledicus scandalizabitur in illo: Der Sünder wird in seiner Eitelkeit gefangen, und der Stolze und der Lästerer kommen dadurch zu Fall.) Hier übersetzt als: Der Hoffärtige wird in Eytelkeit ergriffen.
• Pictura: Der höfisch aufgeputzte Mann mit modischer Allonge-Perücke besieht sich im Spiegel; ein Fuß befindet sich über einem offenen Grab. Man beachte auch den Schatten an der Wand (vgl. Hiob 8,9; 1.Chronik 29,15)! Das Bild hinten zeigt die Szene, wo Dalila dem Samson seine Haarpracht abschert und ihn so den Feinden ausliefert (Richter 16, 4–20)
• Epigramm:
SEPULCHRUM
Cernit SE PULCHRUM: non cernit Is ergo sepulchrum.
Quod docet, hoc ridet : quod nocet, ultro videt.
Er erkennt sich als schön – und so erkennt er das Grab nicht.
Was belehrt [das Grab], das verlacht er. – Was schadet [sein schönes Spiegelbild], das betrachtet er bereitwillig.
(Besten Dank für die Übersetzungshilfe an die Fachstelle Latein der Universität Zürich!)
Das Distichon enthält Wortspiele (Paronomasien): sepulcrum (Grab) und se pulchrum (sich schön [glaubend]); docet – nocet; evtl. enthält auch die Übersetzung ein Wortspiel:
Obwohl im Glaß [Spiegel]
Diß stolze Aaas [die Eins im Würfelspiel; aber auch: Kadaver]
Thut seine Augen weiden:
Es doch schon muß
Mit einem Fuß
Ins Grab. O eytle Freuden!
Der Autor ist Josef Melchior Tschudi, Freiherrr von Flums und Gräpplang (Glarus, 1680–1729)
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Im Musée d’Art et d’Histoire in Genf ist dieser Spiegel (Mitte 18.Jh.) ausgestellt, in dessen Fassung oben auf die Fabel vom Fuchs und Raben angespielt wird: Der Fuchs flattiert dem Raben, der ein Stück Käse im Schnabel hält: Que vous êtes joli! que vous me semblez beau! (La Fontaine); der Rabe fällt dann auch auf die Schmeichelei herein, er könne so schön singen, öffnet den Schnabel und lässt den Käse fallen.
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Wenn man vor lauter Freude über das schöne eigene Spiegelbild lacht – und damit den Spiegel anhaucht – sieht man sich nicht mehr: Vapor rapit omne decus.
[Johannes Bolland (1596–1665)], Imago primi saeculi Societatis Iesu Antuerpiae: Ex officina Plantiniana Balthasaris 1640.
> https://archive.org/details/22425532.4952.emory.edu/page/187/mode/1up
(Die beiden Figuren auf dem Rahmen sind Ornament, haben mit dem Inhalt des Emblems keinen Zusammenhang.)
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Zum Thema Eigenliebe vgl. das Emblem mit dem Motto Stultus amor nostri
> http://diglib.hab.de/drucke/uk-40/start.htm?image=00028
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… und wie der Wind oder Schall, von glatten und festen Körpern abspringend, dahin zurückgetrieben wird, von wo er ausging, so kommt die Strömung der Schönheit, durch das Auge, wo sie den natürlichen Gang zur Seele hat, sich fortleitend, wieder in den Schönen zurück […] und erfüllt nun auch wieder die Seele des Geliebten mit Liebe. Er liebt zwar nun, aber wen, ist ihm unklar […]. Dass er aber in dem Liebenden wie in einem Spiegel sich selbst erblickt, ist ihm verborgen. Und zwar wenn dieser anwesend ist, wird er geradeso wie dieser von Schmerz frei; wenn er aber abwesend ist, so sehnt er sich wieder geradeso, wie er ersehnt wird, der Liebe Abbild, die Gegenliebe, in sich tragend; …
Platon, »Phaidros« (255d) > http://www.zeno.org/nid/20009262660
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Speculum mentis est facies, et taciti oculi mentis fatentur arcana — Das Gesicht ist der Spiegel der Seele, und die Augen verraten die Geheimnisse des verschwiegenen Herzens.
Hieronymus († 420), Brief 54, An Furia, ¶ 13 > https://www.unifr.ch/bkv/kapitel3101-13.htm
☰ Mir ist geschehen als einem kindelîne, daz sîn schœnez bilde in einem glase gesach unde greif dar nâch sîn selbes schîne sô vil, biz daz ez den spiegel gar zerbrach. Dô wart al sîn wunne ein leitlich ungemach. Alsô dâhte ich iemer vrô ze sîne, dô ich gesach die lieben vrouwen mîne, von der mir bî liebe leides vil geschach. (Mir ist es ergangen wie einem kleinen Kind, das sein schönes Bild in einem Glas erblickte und so lange nach seinem Widerschein griff, bis es den Spiegel gänzlich zerbrach. Da verwandelte sich all seine Wonne in schmerzliches Leid. – So glaubte ich ebenfalls, stets froh zu sein, als ich meine liebe Dame (Minne-Herrin) sah, von der ich viel Freude, aber auch viel Leid erfuhr.)
Heinrich von Morungen (Minnesangs Frühling 145,1 [in der Manessischen Handschrift steht nur diese eine Strophe]) > http://texte.mediaevum.de/texte/morungen.htm#l32 – Bild: Ausschnitt aus der Manessischen Handschrift.
Literaturhinweis: Manfred Kern / Cyril Edwards / Christoph Huber (Hgg.), Das ›Narzisslied‹ Heinrichs von Morungen. Zur mittelalterlichen Liebeslyrik und ihrer philologischen Erschließung. (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit 4) Heidelberg: Winter 2015.
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Uolrich von Liechtenstein (2. Viertel des 13. Jhs.) schreibt in seinem »Frauendienst« ein Tagelied. Mann und Frau begrüßen sich herzlich und sind dann ein lîp. Dann heißt es von ihrem minnespil:
in dem spil ir beider herze jâhen,
dô si in den ougen rehte ersâhen
ir lieplîch minnevarwen schîn,
daz er wær ir und sî wær sîn.
Bei diesem Spiel bekannten ihre beiden Herzen – als sie sahen, wie sich die vor Liebe blühende Schönheit des einen in den Augen des andern spiegelt –, dass er ihr gehörte und sie ihm.
Carl von Kraus, Liederdichter des 13. Jahrhunderts, 2.Aufl 1978, Nr. 58; Lied XXXVI. – Kommentar und Übersetzung in: Gert Hübner, Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, narr studienbücher 2015, S. 37ff.
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Der Narr (erkennbar an der Schellenkappe) guckt selbstverliebt in den Spiegel und will nicht sehen, dass er einer ist.
Sebastian Brant, »Narrenschiff« Kapitel LX [moderne Zählung]: von im selbs wolgefallen
> https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n060.html
Der rüert jm wol den narren bry [unklar, was mit dem Narrenbrei gemeint ist]
Wer waenet das er witzig sy
Vnd gfelt alleyn im selber wol
Inn spyegel sicht er yemertol [1574: manches mol]
Vnd kan doch nit gemercken das
Das er eyn narren sicht jm glaß
Hierzu der Holzschnitt von Tobias Stimmer (1539–1584) in: Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden: alles auff Sebastian Brands Reimen gerichtet; […] Weilandt Durch den hochgelerten Johan. Geyler in Lateinischer sprach beschrieben. Jetzt aber mit sonderm fleiß auß dem Latein inn das recht hoch Teutsch gebracht/ vnnd erstmals im Truck außgangen/ Durch/ Nicolaum Höniger von Tauber Königshoffen, Basel: Heinricpetri 1574.
Sebastian Brant kennt für sein »Narrenschiff« (1494) auch eine Spiegel-Metapher: Wäre da einer, der nicht lesen kann, der sieht im Bilde sein Wesen und findet darin, wer er ist und was ihm fehlt. Den ›Narrenspiegel‹ nenne ich dies, in dem jeder Narr sich erkennt; jeder, der in den Narrenspiegel sieht, wird unterrichtet, wer er ist.
Den narren spiegel ich diß nenn
In dem ein yeder narr sich kenn
Wer yeder sy wurt er bericht
Wer recht in narren spiegel sicht
Wer sich recht spiegelt/
der lert wol
Das er nit wis sich achten sol
Nit vff sich haltte / das nit ist/
Dan nyeman ist dem nütz gebrist
Oder der worlich sprechen tar
Das er sy wis/ vnd nit ein narr
Dann wer sich für ein narren acht
Der ist bald zů eym wisen gmacht […] (Vorrede, Verse 31ff.: )
Der Titel der späten Ausgabe von 1574 wird dann wie eben zitiert angepasst: Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden. (Mehr zu den Buchtiteln hier)
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Henricus Engelgrave S.J. (1610–1670) kombiniert Bibelstellen mit heidnisch-antiken:
• Si vertitatem dico vobis, quare non creditis mihi? (Johannes-Evangelium 8,45 [so richtig] Wenn ich die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?). Die Stelle aus der Rede Jesu zu seiner jüdischen Zuhörerschaft bildet die Evangeliums-Lesung am Palmsonntag (Dominica Passionis); Thema ist die Wahrheit, die es im Glauben an Jesus zu erkennen gilt. Gegensatz ist der Teufel, der Vater der Lüge.
• Ovid, Metamorphosen VII, 704: Liceat mihi vera referre [pace deae] ≈ Die Wahrheit gönne die Göttin mir zu gestehn (Übersetzung von J.H.Voß) / Ich möchete die Wahrheit sagen, die Göttin nicht kränken (H.Breitenbach 1958) beteuert Cephalus, der insistiert, dass er von Eos/Aurora entführt wurde.
Auf das Emblem folgt eine dreizehn-seitige lateinisch verfasste Predigt, die um das Motiv kreist, dass der Spiegel die Wahrheit wiedergibt. Lvx Evangelica sub velum Sacrorvm Emblematvm Recondita in Anni Dominicas Selecta Historia & Morali Doctrina Variè Advmbrata / Per Hen. Engelgrave. Societatis Iesv, Coloniae: prostant apud Iacobum a Meurs Amstelodami, 1655. Emblem XIX. ☰☰☰
Martin Disteli
Spiegels Unschuld
In einem Brunnen spiegelhell
erkennt der Aff – sein Fratzenbild.
›Gewiß, du Pfütze, schimpft er wild,
bist einzig mir zum Spotte da!‹
So schimpft nicht minder sein Gesell,
und keiner kömmt dem Quell mehr nah.
Ist mit dem Spiegel Distelis Oeuvre an Karikaturen gemeint? Dann gehörte die Karikatur zum Thema Buch als Spiegel.
Martin Disteli (1802–1844), Umrisse zu Abraham Emanuel Fröhlichs (1796–1844) Fabeln. Aarau, Sauerländer (1829).
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Speculum Bestialitatis
Im Spiegel-Imitat soll sich der Betrachter als Narr erkennen, der auf einem Esel reitet und von 17 weiteren Tieren umgeben ist, die im Text gedeutet werden als Allegorien der Laster.
An den Leser.
Ein guter Spiegel nimmer treugt
Was schön vnd häßlich er anzeigt/
Zeigt er ein Macul in dem Gsicht
Mit dem Spiegel erzörnet nicht […].
SPECULUM BESTIALITATIS/ Das ist:/ Der unvernünfftigen Thier- oder Narrenspiegel/darin=/ nen sich ein jeder nach seinem Gefallen stillschweigend/ beschawen kan. – Verleger: Paul Fürst (1608-1666) in Nürnberg
> https://st.museum-digital.de/singleimage?imagenr=172417
Beispiele:
6. Gallus. Haan.
Der Haan der Geilheit rechtes Bild
Mit éiner Hänn ist nicht gestillt.
Also den fleischlich Hitz anbrent
Mit éinem Weib ist nicht content.
Endlich man ihm den Hals absticht/
Also dem Buhler auch geschicht.
12. Psittacus. Pappengey.
Auff gute Speiß der Pappengey
Ist abgericht/ redt alles frey.
Viel Pappengey gibts jederzeit
Die sind auch abgricht auff die Leutt/
Umb Schmaussens willen jedes Zill
Reden sie was man haben will.
Wolfgang Harms, Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Band I: Die Sammlung der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, Teil 1. Ethica, Physica. Tübingen 1985, Katalog Nr. I, 32.
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Wie der Spiegel alles allen wiedergibt, so soll die Liebe, ohne Täuschung alles aufnehmen. Das Motto Omnibus omnia geht zurück auf Paulus, der im 1.Korintherbrief 9,19–23 sagt, er habe sich in seiner Predigt immer allen angepasst, um alle zu retten: »Für alle bin ich alles geworden.« Johannes Bolland, Jean de Tollenaer [et alii], Imago primi saeculi Societatis Iesu, a prouincia Flandro-Belgica eiusdem Societatis repraesentata, Antwerpen: Plantin 1640. > https://archive.org/details/imagoprimisaecul00boll (Der ornamentale Rahmen hat nichts mit dem Inhalt zu tun.) ☰☰☰ Man siehet aber gleichwolen/ daß unter gleichen spiegeln eine Action eines gegen dem andern gegeben werde/ gleichwie es in unserem Emblemate oder Sinnbild scheinet/ in welchem drey Spiegel in einem Triangel vorgestellt werden/ solcher Gestalt gegeneinander gesetzet/ daß deren ein jeder in denen zweyen andern gesehen wird/ und dasjenige/ was von einem vorgestellet ist/ ebenfalls auch von denen andern repræsentiret wird/ dahero wir zu einem Sinnspruch hinzugesetzet haben: Id ipsum in vicem: Eines gegen dem andern. Es folgen lange Ausführungen über die Trinität (und anderes); am Schluss, ohne dass die Bildlogik aufgenommen würde: Die erschaffene Sachen […] können uns nicht/ […] die Heil. Dreyfaltigkeit vorstellen/ wiewohlen sie uns Gleichnüssen geben/ deren wir uns zu gebrauchen pflegen/ selbe zu verstehen: Wir wollen dahero dieses allerheiligste Geheimnus der H. Dreyfaltigkeit steiff auf der Erden glauben/ und selbe inbrünstig lieben/ damit wir deren Allmacht dieselbe im Himmel klar sehen/ und geniessen mögen. Paolo Aresi (1574–1644): Höchsterbaulich-Catholische Lob-Reden/ Uber die Siegreiche Auferstehung/ Und Triumphirliche Himmelfahrt Jesu Christi. Ferner über die höchstnutzliche Sendung des H. Geistes/ Oder das Heilige Pfingst-Fest/ Und dann endlich über das unerforschliche Geheimnus Der Allerheiligsten Dreyfaltigkeit : Mit wohlersonnenen Emblematen oder Sinn-Bildern/ erbaulichen Lehren/ nachdrücklichen Gleichnissen/ trefflichen Allegorien/ und heilsamen Sprüchen aus H. Schrifft und denen H. Vättern allenthalben ausgezieret/ allen sowol Geist- als Weltlichen/ absonderlich denen Hn. Predigern sehr nutzlich / Von dem weyland Hochwürdigsten Bischof zu Tortona H. Paulo Aresio/ Und nunmehr aus dem Italiänischen/ nach dem wahren Sinn und Meinung des H. Autoris/ in unsere Teutsche Mutter-Sprach übersetzt von Johann Michael Fux von Herrnau, Sultzbach: verlegts Joh. Leonhard Buggel/ Buchh. in Nürnberg. A. 1695. > http://diglib.hab.de/drucke/lk-44/start.htm (Das Buch ist hier auch OCR-technisch erfasst.) ☰☰☰ Boccaccio (1313–1375) berichtet in »De claris mulieribus« von einer Künstlerin, die u.a. ein Selbstportrait mit Hilfe eines Spiegels verfertigt hat. Fuerunt insuper diu eius artis insignia, sed, inter alia, eius effigies, quam adeo integre, lineaturis coloribusque servatis et oris habitu, in tabula, speculo consulente, portraxit, ut nemini coetaneo quenam foret, ea visa, verteretur in dubium. (Cap. LXVI. De Martia Varronis.) Tutte le opere di Giovanni Boccaccio; Vol. 10: De mulieribus claris, a cura di V. Zaccaria, Ed. Mondadori, 1964, pp.264 sqq. und Kommentar p.526 Boccaccio hat offensichtlich die Geschichte der antiken Malerin Iaia aus Kyzikos beigezogen, von der Plinius (nat. hist. XXXV, xxxvi, 147) berichtet: pinxit … suam imaginem ad speculum. (Sie hat ihr Bild vor einem Spiegel gemalt.) In der Übersetzung von Heinrich Stainhöwel (Ulm: Zainer, vor 1474) kommt das Motiv des Spiegelgebrauchs nicht vor: Marcia Varronis war berühmt durch ein bild, … daran sie ir aigen gestalt also bezeichent het mit aller lidmâsz und farben, daz niemand, der sie ie gesehen hette, ir gestalt nit erkennet. (Ausgabe von K. Drescher 1895, Kapitel LXV, S. 218) Eine Handschrift der Bibliothèque Nationale Paris zeigt die Szene: > https://commons.wikimedia.org/wiki/File:De_mulieribus_claris_-_Marcia.png
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Im Spiegel erkennt man, dass man alt geworden ist.
Horaz, Carm. IV,10 dices, heu, quotiens te speculo videris alterum (lat. Text):
O du noch immer Grausamer und der Venusgaben Mächtiger, wenn deinem Hochmut unerwartet weißer Flaum zuteil wird und dein Haar, was jetzt auf deinem Schultern schwebt, herabgefallen ist, und wenn dein Teint, der jetzt vorzüglicher als die Blüte einer purpurroten Rose, sich verwandelt, mein Ligurinus, und eine runzelige Gestalt annimmt, ja dann wirst du, ach weh, so oft du dich so anders im Spiegel siehst, sagen: „Warum hatte ich als Knabe nicht dieselbe Denkart wie heute, oder warum kehren die unbescholtenen Wangen nicht zu dieser Seele zurück?“ (mit der Bitte um Reproduktion der guten Übersetzung am 1.8.2018 angefragt: http://www.latein-imperium.de)
Ovid, Met. 15,232 ut in speculo rugas adspexit aniles:
Auch des Tyndareos Tochter [Helena], nachdem sie im Spiegel die Runzeln des Alters erblickt hat, weint.
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Im »Memorial der Tugend« zeigt Johannes von Schwarzenberg (1463–1528) eine 40jährige Frau, die sich im ›Spieglein an der Wand‹ anschaut, sich noch recht verführerisch findet und sinniert:
Mich wundert fast vnd thůt mir ant [beunruhigt mich] Wann [denn] viertzig jar wirt alt genannt. Ich waiß noch nichts dz mich beschwert/ Dann so ein junger mein begert. Weill all mein sach je sein [sind] vmb sonst/ Ich schmuck mich baß [besser] vnd mach mir gunst [verschaffe mir Zuneigung] Gib auß mit freüden weil [solange] ich hab/ So [wenn] mir gefelt ain junger knab. Vnd hilfft dasselbig auch nit gar [vollständig]/ Der mäidle jung halt ich ein par. [als Lockvögel?] Den leüten mach ich freüd vnd můt/ Das sy mich halten auch für gůt Vnd ab mir nemen kain verdrieß/ Biß das ich hie mein end beschließ. Der Kommentar dazu lautet: O poßhaffts weib der dich nit kennt/ Verfuͤrstu wie der wolff die ent. [Ente] Wann vil nach dir des Teüffels stöll [? – Idiotikon XI,53 auch: ›Zusammenrottung‹] Hie springen inn die grůb der höll Gifft ist verborgen inn deim haubt/ Vnselig wirt der so dir glaubt. Wie fromme weiber seind ain hort/ So kommet von den bösen mort. Denck Teüffels end was küfftig ist/ Vnd das das du bald vergencklich bist Vnd můst vmb deinen falschen trost/ [wegen … Hoffnung] Dort praten auff der hölle rost. Ich rath dir böser schanden fleck/ Durch beicht vnd bůß dein sünd leg weck. Das Büchle Memorial/ das ist ein angedänckung der Tugend/ von herren Johannsen vonn Schwartzenberg jetzt säliger gedächtnuss/ etwa mit Figuren und reümen gemacht / Johann Frhr von Schwarzenberg , Augsburg: Steyner M.D.XXXV, fol. CXVL recto [Erstausgabe 1534]
Das Pendant des sich im Spiegel anschauenden alten Mannes in der Handschrift Trogen, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, CM Ms. 13 (fol. 88r.)
> http://www.e-codices.unifr.ch/en/cea/0013/88r/0/Sequence-218
Ähnlich auch das Bild von Jeremias Falck (um 1610 – 1677) > http://doi.org/10.16903/ethz-grs-D_001062
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Hugo von Hofmannsthal, »Der Rosenkavalier« (Uraufführung am 26.1.1911)
MARSCHALLIN allein.
Kann mich auch an ein Mädel erinnern,
die frisch aus dem Kloster ist in den heiligen Ehestand kommandiert wordn.
Nimmt den Handspiegel.
Wo ist die jetzt? Ja, such dir den Schnee vom vergangenen Jahr.
Das sag ich so:
Aber wie kann das wirklich sein,
daß ich die kleine Resi war
und daß ich auch einmal die alte Frau sein werd! ...
Die alte Frau, die alte Marschallin!
»Siehgst es, da gehts', die alte Fürstin Resi!«
Wie kann denn das geschehen?
Wie macht denn das der liebe Gott?
Wo ich doch immer die gleiche bin.
Und wenn ers schon so machen muß,
warum laßt er mich denn zuschaun dabei
mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt ers nicht vor mir?
Das alles ist geheim, so viel geheim.
Und man ist dazu da, daß mans ertragt.
Und in dem »Wie« da liegt der ganze Unterschied –
> http://www.zeno.org/nid/20005090172
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Die Personifikation der Zeit, Tempus, ist geflügelt, um die Flüchtigkeit zu symbolisieren; außerdem hält sie einen Spiegel in der Hand, und zwei Putten zu ihren Füßen beschauen sich ebenfalls in einem Spiegel:
Der Spiegel bedeutet die Unbeständigkeit des Momentanen, Augenblicklichen. – In der Ausgabe von Cesare Ripa 1603 (ohne Bild) wird zu Tempo gesagt:
terrà un specchio in mano, il quale ci fa conoscere che del tempo solo il presente si vede et ha l'essere, il quale per ancora è tanto breve et incerto, che non avanza la falsa imagine dello specchio.
Des berühmten Italiänischen Ritters, Cæsaris Ripæ, allerleÿ Künsten, und Wissenschafften, dienlicher Sinnbildern, und Gedancken, Welchen jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget dermahliger Autor und Verleger, Joh. Georg Hertel [gest. 1775], in Augspurg. Tafel 11 (Ausschnitt)
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Friedrich von Logau (1605–1655):
Der Spiegel
Der Spiegel ist ein Mahler, im mahlen gantz vollkummen,
Hat aber sein Gemälde stets mit sich weg genummen.
Salomons von Golaw Deutscher Sinn=Getichte Drei Tausend, Breßlaw: Caspar Kloßmann [1654]. Deß dritten Tausend Drittes Hundert, 62.
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Otto van Veen (1556–1629):
Out of sight out of mynde.
The glasse doth shew the face whyle thereon one doth look,
But gon, it doth another in lyke manner shew,
Once beeing turn’d away forgotten is the view,
So absence hath bin cause the louer loue forsook.
Amorum emblemata, figuris aeneis incisa. studio Othonis Væni, … Emblemes of Loue, with verses in Latin, English, and Italian, Antwerpiæ [Verdussen] 1608. pag. 126/127.
Weitere Übersetzungen hier > http://emblems.let.uu.nl/v1608064.html
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Jakobusbrief 1,22ff.: Wenn jemand lediglich Hörer des Worts [gemeint ist die Offenbarung] ist und nicht auch Täter, so gleicht er einem Menschen, der sich im Spiegel anschaut, wie er aussieht, aber nachdem er sich gesehen hat, davongeht und sofort wieder vergisst, wie er aussah.
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Ein meister las,
troum unde spiegelglas,
daz si zem winde
bî der stæte sîn gezalt.
(Ein Gelehrter trug vor, dass Traum und Spiegel[bild] hinsichtlich der Beständigkeit dem Winde gleichen. Walther von der Vogelweide, L. 122,24; evtl. nicht Walther zuzuschreiben)
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Mit einem Spiegel glaubte man – wie mit einem Fotoapparat – einen optischen Eindruck einfangen zu können, und damit auch die Heilswirksamkeit einer ausgestellten Reliquie. Für Wallfahrer wurden Wallfahrtsspiegel hergestellt.
Diese Wallfahrerin und ihr Kind fangen das Abbild der Heil bringenden vorgewiesenen Reliquie ein mit Spiegeln.
Das ganze Bild (aus dem Jahr 1487) hier.
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☥ (Gardiners Liste S 34)
Die Konsonanten ˁ-n-ḫ des altägyptischen Worts bedeuten sowohl ›Leben‹ als auch ›Spiegel‹ (wobei wir freilich nicht wissen, wie die Ägypter diese Konsonantengerüste jeweils vokalisiert haben...). – Das wäre für die Spiegelsymbolik wunderbar; doch leider: »A problem with this argument is that deities are frequently shown holding the ankh by its loop, and their hands pass through it.« (aus https://en.wikipedia.org/wiki/Ankh).
Der Luftgott hält den Himmel. aus: H.Schäfer, Weltgebäude der alten Ägypter, Berlin 1928, Abb. 29.
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Cornelis Cort (1533–1578), VISUS – aus einer Reihe der fünf Sinne.
Hendrik Goltzius (1558–1616) zeichnet den Seh-Sinn (Kupfer von Jan Saenredam 1565–1607)so: Ein Maler mit Zwicker – ein Adler, der in die Sonne blickt – ein Arzt, der eine Urinprobe besieht – ein Geograph, der mit dem Zirkel einen Globus vermisst – vorn eine (scharfsichtige) Katze – Sonnenuhren – das Modell des Malers, das sich im Spiegel besieht, den ihm ein Putto entgegenhält (bei ihm ist ein Köcher sichtbar: also Amor; folglich ist die Frau Venus) – alles Illustrationen des genauen Sehens.
Die Bildunterschrift lautet: Hæc memini nocuisse atque oblectasse videntes. (≈ Ich weiss aus Erfahrung, dass dies den Sehenden Unheil wie Ergötzung beschert hat.) Was ist mit haec inhaltlich gemeint? Das bloße Sehen oder das Malen? Das Malen einer Frau im positiven Sinn (zu oblectasse): Alexander hat seine Geliebte Campaspe durch Apelles nackt malen lassen; wie der Maler in Liebe zu ihr entbrannte, hat Alexander ihm die Frau zum Geschenk gegeben (dono dedit ei), so erzählt Plinius, »Naturalis historia« XXXV, xxxvi, 86 (hier heisst die Frau Pankaspe). Ein älteres Bild dieser Szene > https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ea/Jan_Wierix_-_Apelles_painting_Campaspe.jpg
Dass der Anblick einer entkleideten Frau Schaden bringen kann (zu nocuisse), kennen wir aus den biblischen Szenen Susanna im Bade (Daniel 13,1–64; von Goltzius gemalt!) und David und Bathseba (2.Samuel = II. Reg, Kapitel 11). — Aus der heidnisch-antiken Mythologie: Der Anblick der schönen Medusa (vgl. hier) versteinert.
Das Bild von Goltzius im British Museum > http://tinyurl.com/yceq57h6 [Die Jahresangabe 1616 bezieht sich auf die Edition durch Johann Janssonius.]
Literatur dazu: Eric J. Sluijter, Venus, Visus en Pictura, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek / Netherlands Yearbook for History of Art, Vol. 42/43 (1991-92), pp. 337-396 > http://www.jstor.org/stable/24705374
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Erkennt der Betrachter der Dinge der Außenwelt diese wie ein Spiegel?
••• Francis Bacon (1561–1626), »Novum organon scientiarum« (1620) I, 41. […] es ist unrichtig, dass der menschliche Sinn das Maß der Dinge sei; vielmehr geschehen alle Auffassungen der Sinne und des Verstandes nach der Natur des Menschen, nicht nach der Natur des Weltalls. Der menschliche Verstand gleicht einem Spiegel mit unebener Fläche für die Strahlen der Gegenstände, welcher seine Natur mit der der letzteren vermengt, sie entstellt und verunreinigt. — Estque intellectus humanus instar speculi inaequalis ad radios rerum, qui suam naturam naturae rerum immiscet, eamque distorquet et inficit.
••• L’esprit humain, loin de ressembler à ce crystal fidèle, dont la surface égale reçoit les rayons et les transmet sans altération, est bien plutôt une espèce de miroir magique, qui défigure les objets, et ne présente que des ombres ou des monstres.
Louis (Chevalier) de Jaucourt (1704–1779), im Artikel »Préjugé« in der Encyclopédie, tome XIII, Neufchastel 1765, pp. 284–285.
> http://portail.atilf.fr/cgi-bin/getobject_?a.98:188./var/artfla/encyclopedie/textdata/IMAGE/
> http://xn--encyclopdie-ibb.eu/index.php/logique/707765913-PR%C3%89JUG%C3%89
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Sebastian Brant
Sebastian Brant, Das Narren schyff, Basel: Jo.B.von Olpe 1494.
Kapitel 92 [moderne Zählung] Vberhebung der hochfart
Wer hochfart ist / vnd důt sich loben
Vnd sytzen will alleyn vast oben
Den setzt der tüfel vff syn kloben
Ein Kloben ist eine Klemmfalle für den Vogelfang. Zwei zugeschnittene Schenkel eines Holzstabs werden auseinandergespannt; wenn sich der Vogel draufsetzt, zieht der in einem Versteck wartende Jäger an einer Schnur, so dass die Leisten zuschnappen und den Vogel einklemmen. Der Teufel als Jäger ist eine gängige Vorstellung.
Ein Bild-Detail: Der Haupttext bei Brant beginnt so: Der füret vff eym strowen dach | Der vff der welt ruom setzt syn sach. Das Wort dach müsste übersetzt werden in der älteren Bedeutung von ›etwas Aufliegendes, eine Decke‹. – In Jakob Lochers lat. Übersetzung (1497) steht in der einleitenden Prosapassage (fol. CII recto): … concupiscentia quasi ignis exardescit ~ Begierde versengt wie Feuer. – Man könnte den Grill am Boden evtl. auch so deuten: Die von sich selbst eingenommene Frau kümmert sich nicht darum, ob die Bratenstücke anbrennen.
Brants Invektive richtet sich gegen die Angeber, die sich rühmen, an vielen ausländischen Universtitäten studiert zu haben; er vergleicht sie mit aufgeputzten Frauen:
Wer lert durch hochfart/ vnd durch gelt
Der spiegelt sich alleyn der welt
Glich als eyn nærrin die sich mutzt
Vnd spieglen důt der welt zů tutz [in späteren Ausgaben trutz]
Dann kippt der Text um: Nicht mehr der Teufel, sondern die Frau ist auf Fang aus. Es folgen etwa vier Dutzend misogyne Verse, bevor der Text dann in allgemeine Betrachtungen zur Hochfart und zu Luzifers Höllensturz einmündet.
OCR-erfasster Text > https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n092.html
Digitalisat > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00036978/image_247
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Bilder mit Männern/Frauen, die im Spiegel statt ihr eigenes Antlitz das Bild eines Narren oder des Todes oder des Teufels sehen, der hinter ihnen steht, kommen oft vor. Wie ist das zu verstehen?
Zunächst ein einfacher Fall:
Eine Illustration zum Pest-Traktat von Abraham a Sancta Clara »Mercks Wienn« (1680) zeigt wie in einem Totentanz üblich den Tod, der eine sich im Spiegel betrachtende Frau erschreckt, dazu tritt er von hinten an sie heran:
Zum Motto: Rahel war schön von Gestalt und Angesicht (Gen 29,17) – ihr Tod wird berichtet Gen 48,7 (mortua est Rachel …)
Allo! Hinweg Allabaster Gsicht/
Mit Spiegel und mit Campl/
Eur schön Gestalt überredet mich nicht/
Mir ist schön wie der Trampl/ [körperlich ungeschlachte, tölpelhafte, bäurisch ungebildete Frau]
Fort Helenæ, Penelope,
Und was dergleichen Contraphe/ [Conterfait]
Mit samt deß gemeinen Plunders/
Dann sterben müssen alle Leuth/
Man macht Euch wol nichts besonders
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In der folgenden Darstellung erkennt der sich selbst Lobende einen Narren im Spiegel. Der Spiegel zeigt das ›wahre Bild‹, mithin ist der sich im Spiegel Betrachtende ein Narr.
Der Freidanck, [hg. von Sebastian Brant; Straßburg: Grüninger 1508]
> http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN538610387
> https://books.google.ch/books?id=bc9RAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s
Literaturhinweis: Barbara Leupold, Der Freidanck, (Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Beiheft 8), Stuttgart: Hirzel 2010.
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Der französische Adlige Chevalier de La Tour Landry verfasste 1371/72 eine Exempelsammlung zwecks Erziehung seiner Töchter: Livre pour l’enseignement des ses filles. (Auf Wikisource)
Marquard vom Stein erstellte (um 1478/90) eine deutsche Übersetzung, die erstmals 1493 erschien (Untertitel: Der spiegel der Tugend vnd Ersambkeit). Die 45 Holzschnitte werden weitgehend Dürer zugeschrieben.
Von eyner edlen frowen wie die vor eym spiegel stuond / sich mutzend [sich schmückend] / vnnd sy jn dem spiegel den tüfel sach jr den hyndern zeigend EJn ander exempel will ich üch aber sagen/ vff die meynung von eyner frowen/ die den vierden teil des tags haben muest sich an ze thuonde vnd zuo mutzen/ Dero huß was nun etwas wyt von der kylchen/ deßhalb jr der kylchherr vnd syne vndertanen zuo manchen malen mit dem ampt warten muosten/ deß sy zuo mal grossen vnwillen vnd verdrieß hatten/
Also begab sich eins sonnentags das sy gar lang vß bleib/ vnd vil lüten jn der kylchen warten machet/ Die selben sprachen/ sy mag sich dysen tag nit gnuog strelen [kämmen] noch spieglen/ So redten dann etlich heymlich ein vngesunds strelen vnd spieglen thüege jr got zuo senden/ vmb das sy vnnß so manchmal alhie warten machet/
Also jn der selben stund da sy sich also spieglet/ ward sy den tüfel jn dem spiegel sehen/ so gar grusamer gestalt/ vnnd jr den hyndern zeigende/ das sy so hart dar ab erschrack/ das sy schyer [beinahe] von synnen komen were/ vnd lange zyt mit schwerer kranckheit wart beladen/ doch verlech [verlieh] jr got wyder gesuntheit vnd [ergänze: sie] strafft sich selbst darumb gröslich/ vnd strafft sollich jr wesen mit dem zieren ab/ Vnd sagt mit demüetigem hertzen got dem hern siner straffen lob vnd danck also/ das sy dar durch jr lebenn selicklichen verendet/
Darumb lassen üch das ein jnbildung [vgl. Inbild als exemplarische Verkörperung; ein anderer Druck hat: ebenpild] syn/ Vch vor söllichen langsamen spieglen [vor ausführlichem Sich-Spiegeln] vnd kleiden zuo hüeten/ dar durch jr die heilgen ampter versumen mögen/ oder ander lüt zuo warten machen oder verhynderent […]
Der Ritter vom Turn von den Exempeln der gotsforcht vnd erberkait, Basel: Michael Furter / Bergmann von Olpe 1493. — Faksimile Unterschneidheim 1970. — Digitalisat der BSB > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00029711/image_43
Marquard vom Stein, »Der Ritter vom Thurm«, krit. hg. von Ruth Harvey, (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 32), Berlin: E.Schmidt 1988.
Hans Joachim Kreuzter, Artikel »Marquart vom Stein« in: Verfasserlexikon, Band 6 (1987), Sp.129–135.
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Es kann auch sein, dass die/der sich im Spiegel Betrachtende die hinter ihr/ihm stehende Figur gar nicht sieht, obwohl er/sie diese darin sehen könnte:
Hier wird der Stolz / die Hoffart / Superbia (engl. Pride) visualisiert. Die Bildunterschrift besagt: the deuill behinde her [signifieth] temptation. (Der Teufel als Versucher braucht – oder soll sogar – nicht gesehen zu werden.)
A christall glasse of christian reformation wherein the godly maye beholde the coloured abuses vsed in this our present tyme. Collected by Stephen Bateman Minister, London: By Iohn day dwelling ouer Aldersgate 1569. (digital bei EEBO)
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Der Tod zeigt sich hinter einer sich im Spiegel betrachtenden Person im Spiegel.
Todt zur Edelfrawen:
Vom Adel Fraw laßt euwer pflantzen/ [das Haar pflanzen, zur Zier lang wachsen lassen und pflegen]
Ihr müsset jetzt hier mit mir tantzen/
Ich schon nicht euwers geelen [gelben, blonden] Haar:
Was seht ihr in dem Spiegel klar?
Die Edelfraw:
O Angst vnd Noth wie ist mir b’schehen/
Den Todt hab ich im Spiegel g’sehen:
Mich hat erschreckt sein grewlich G’stalt/
Daß mir das Hertz im Leib ist kalt.
Die Frau wollte eigentlich (in Sinne von: streng genommen, an und für sich) ihr Gesicht im Spiegel betrachten – aber eigentlich (de facto) erkennt sie darin ihr künftiges Wesen. Wir als Betrachter schauen dem Umkippen der beiden Seh- und Seinsweisen zu.
Matthäus Merian hat die Bilder des (möglicherweise im Zusammenhang der Pestepidemie 1439 an der Friedhofsmauer angebrachten) Basler Totentanzes kopiert und 1621 erstmals publiziert. Hier aus der Ausgabe Frankfurt 1649.
(Vgl. das Digitalisat > http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/64763/1/ )
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Daniel Hopfer († 1536)
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Hans Baldung, gen. Grien († 1545) > Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
Literaturhinweis: Christian Kiening, Das andere Selbst. Figuren des Todes an der Schwelle zur Neuzeit. München: Fink 2003, bes. das 4.Kapitel.
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Auf dem Bild von Cornelis Galle (I) und Nicolaas van der Horst zieht der (geflügelte und mit Uhr und Sense ausgestattete) Tempus den Vorhang vom Spiegel, so dass wir uns sehen, wie wir dereinst ausschauen werden:
aus: Jean Puget de la Serre, Le Miroir qui ne flate point, Brussels, 1632.
> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1858-0417-1300
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Charles Allan Gilbert (1873–1929): All is Vanity
> https://en.wikipedia.org/wiki/Charles_Allan_Gilbert
(Nur der Betrachter des Bilds erkennt die versteckte Botschaft.)
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Heimito von Doderer, »Ein Mord den jeder begeht« (1938)
[…] in jenen Jahren verfiel Conrad, da er nicht mehr wie bisher unaufhörlich beschäftigt war, beim Herumschlendern und Herumstehen in der leeren Wohnung auf ein seltsames Spiel im Empfangszimmer: dort hing ein grosser Spiegel, dessen Glas einen leicht grünlichen Schein zeigte und vielleicht schon die allerersten Spuren des Erblindens. Blickte man zur Zeit der ersten Abenddämmerung mit etwas zusammengekniffenen Lidern in diesen Spiegel und entfernte sich dabei allmählich rückwärts – so gedieh das Spiel an einem bestimmten Punkte zum leichten Erschrecken: denn mit leeren, dunklen Augenhöhlen sah einen da plötzlich das Gegenbild an. Durch die Art der Beleuchtung und den gekniffenen Blick blieben von einem bestimmten Punkte an tatsächlich nur mehr jene Höhlungen im Antlitze sichtbar. […]
Jenes Spiel vor dem Spiegel aber gestaltete sich noch viel seltsamer, wenn man in umgekehrter Richtung sich bewegte, also rückwärts auf den Spiegel zuging: da war erst nur der eigene dämmernde Umriss, dann die hellere Fläche des Antlitzes, jetzt schon deutlicher, auszunehmen. Jedoch im gleichen Augenblicke, wo man sich selbst sozusagen erst erkannte, sahen einen auch schon die leeren Augenhöhlen aus dem Gesichte dort in dem andern Raum an. Ein leichtes und tiefinneres Erschrecken war dabei jedesmal kaum zu unterdrücken. (zitiert nach der Ausgabe München 1969, S.51f.)
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Johannes Tauler, Predigt am Sonntag vor Septuagesima (Edition Vetter Predigt 6 = S.26)
Nur wenn der Spiegel nicht bereits ein Bild enthält, taugt er.
Weliche sele in der sich die sunne erspiegeln sol, die muos blos sin und gefriget von allen bilden, wanne wo einige bilde [≈ ein einziges Bild] sich in dem spiegel wiset, do wurt sú des bildes vermittelt. [mhd. vermitteln ≈ hindernd wozwischen treten].
Damit die göttliche Sonne sich in dem spiegel sinre selen erbilden mag, muss diese frei von allen (kreatürlichen) Bildern sein. Im Hintergrund steht wohl 2. Korinther 3,18: Nos vero omnes, revelata facie gloriam Dei speculantes, ... ≈ Wir spiegeln alle mit aufgedecktem Angesicht, die Herrlichkeit des Herrn wider …
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Gottselige Begirde aus lautter sprüchen der Heÿligen Vättern Zuosamen gezogen Vnd mitt schönen figuren gezieret/ durch R. P. Hermannum Hugonem, Verteütscht Durch R. P. F. Carolum Stengelium, Augspurg 1627 (= Teil-Übersetzung von: Herman Hugo S.J.,1588 –1629, »Pia desideria« Antwerpen 1624) mit Kupfern von oder nach Boetius a Bolswert († 1633). Das ander Buch, XXI = S. 202–214.
Laß mein Hertz vnbefleckt sei in deinen Rechten/ das ich nit zuschanden werde. Psalm 118 Ps 118, 80 nach der Vulgata: Fiat cor meum immaculatum in justificationibus tuis, ut non confundar. — Ps. 119,80 nach neuen Übersetzungen: Untadelig werde mein Herz durch deine Gesetze, so werde ich nicht zuschanden. – Mein Herz richte sich ganz nach deinen Satzungen, damit ich nicht zuschanden werde.
Das Bild zeigt die ›Anima‹ (als Stellvertreterin der Leserin / des Lesers), der die Personifikation von ›Amor divinus‹ einen Spiegel vorhält, in dem sich ihr Herz spiegelt. Auf dem Tisch daneben steht ein realer Spiegel nebst Salbentöpfen mit Schminke. Es wird eine lange Reihe von Frauen beigebracht, die sich mit allerlei kosmetischen Techniken zu verschönern trachteten, und dies der gottes-ebenbildlichen Seele entgegengestellt, die Amor divinus im Spiegel zeigt.
Dieser Spiegel gleicht den Gesetztestafeln von Moses (2.Mos. 34) in der gängigen Ikonographie:
Einige Textabschnitte daraus:
Gantz recht vnd billich wirdt aller fleiß vnnd sorg der Heiligen angewendt/ in dem sie alle vberflüssige zierde deß eusserlichen Menschens (welche zwar zergängklich ist) verachten/ vnnd sich mit gantzem fleiß darauff geben vnnd bemühen zu ziehren vnnd heraus zubutzen den jnnerlichen Menschen/ welcher geschaffen ist/ nach der Bildnuß Gottes/ vnnd von Tag zu Tag ernewet wirdt. Diß ist warlich die schöne/ welcher nichts mangelt vnd abgeht/ welche allein von dem Herren zuhören würdig ist. […] Dann die schöne der seelen ist die allerbeste schönheit [usw.]
Es wird dir auch mitgetheilet die heilige Schrifft/ als der Spiegel/ darinnen du dein Angesicht beschauen sollest/ darmit dein Geschmuck und Zierde weder zu wenig/ noch ungebührlich seye.
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Sokrates stellte für die Jünglinge die Regel auf, sie sollten sich immer wieder im Spiegel betrachten, um, wenn sie schön wären, sich dessen würdig zu machen, wenn aber hässlich, diesen Mangel durch gute Bildung auszugleichen und zu verdecken. (bei Diogenes Laertius [3. Jh. u.Z.], Leben und Meinungen berühmter Philosophen II,33)
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Conrad Celtis (1459–1508), »Oeconomia«
Speculum loquitur
Haec tua quae terso facies iaculatur ab orbe,
Nec nimium placeat nec tibi displiceat.
Si formosus eris, viciis non turpior esto,
Si fueris turpis, pectora pulcra geras.
Der Spiegel spricht
Wenn Dir mein leuchtendes Rund das Bild Deines Äußern zurückstrahlt,
Freu Dich zu sehr nicht daran, lass Dichs’s verdrießen nicht,
Bist Du schön von Gestalt, so sei es im Herzen nicht minder;
Fehlt Dir die Schönheit des Leibs, leuchte Dein inneres Bild.
Ep. III,65; Übersetzung von Kurt Adel, Konrad Celtis. Poeta laureatus, Graz/Wien: Stiasny 1960; S. 84f.
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Bonis moribus studendum. Ex septem doctis, coluit quos Graecia, magnum Ipse Bias habuit quoque nomen. Hic iubet in speculo pueros discernere formas, Et proprios cognoscere uultus, Vt, qui est formosus, formosas induat artes, Et mores similes faciei: Et qui deformis, pulchris sese artibus ornet, Quo penset damnum faciei. Na nihil in terris homines magis ornat et effert Quam mores culti atque bonae artes.
Kein ding zierett den Menschen mehr dan Kunst vnd gutte sitten. Bias einer auß Griechen landt So man die weisen hatt genant Gebott allweg den Knaben sein Das sie soIten ein Spiegel rein Nemmen sich selb darinn besehen Wan dan jhr angsicht schön thett stehen SoIten sie darnach Richten auch Jhre sitten vnd gantzen brauch Damit ein schöner leib nit hab An jhm ein heßlich wüste gab. [Fähigkeit, Talent] Sey aber einer Vngestalt So soll er aber trachten baldt Das er sich üb jn Kunst vnd zucht Vnd bring herfür ein solche frucht Das man seiner heßIicheit nitt acht Dan Kunst vnd gberd alleing macht Das man viI auff ein Menschen halt Wie heßlich der ja sey gestalt. Matthäus Holtzwart, Emblematum Tyrocinia, sive picta poesis Latinogermanica, das ist eingeblümete Zierwerck oder Gemälpoesy innhaltend allerhand Geheymnußlehren durch kunstfündige Gemäl angepracht und poetisch erkläret, Nun erstmals inn Truck kommen, Straßburg: B.Jobin 1581; Nr. IX. — hg. Peter von Düffel und Klaus Schmidt, Stuttgart 1968 (RUB 8555); mit Übersetzung der lat. Fassung auf S. 173.
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Wenn sich die Dame im Spiegel betrachtet und die Schönheit ihres Gesichts sieht, so muss sie sich sehr vor dem Laster hüten, damit es ihrer Schönheit keine Unehre bedeutet. Ist sie nicht schön, dann muss sie durch ihre Tugenden den Mangel der Natur tilgen [Reim effacer ≈ sa face !]. Die Schönheit des Leibs führt ins Verderben, wenn sie sich in verwerfliche Vergnügen stürzt. Hier kann jedermann sehen, dass die Spiegel zu diesem Zweck erfunden wurden.
[Guillaume de La Perrière], Le théâtre des bons engins, auquel sont contenus cent emblèmes. impr. de D. Janot (Paris) 1539; Nr. 37.
> http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8626159x
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Conrad Meÿer (Zürich, 1618–1689):
Niemand veracht, dich selb betracht
Der Hertzen-spiegel zeigt eim jeden seine Mängel:
Wer sich darin beschaut, der findet keinen Engel.
Ab der Burgerbibliothec verehrt Aº 1658 Johr. Conrad Meÿer invenit, fecit et excu.
> https://doi.org/10.3931/e-rara-65230
Im Kreis um den Spiegel herum: Hinweis auf das Gleichnis von Splitter und Balken (Lukas 6,41 / Matthäus 7,3); dies winzig gezeichnet zwischen Löwe und Bär.
Der Betrachter reiht sich in den Kreis der Tiere ein, die zum Spiegel emporschauen, und erkennt dort die unvernünftige, ›tierische‹ Seite des Menschen. Die Tiere könnten auch verschiedene Laster symbolisieren. Welches Tier, welche lasterhafte Seite, erblickt der Leser, wenn er selbst in den Spiegel blickt? Es gilt, Selbsterkenntnis zu üben. — Die dargestellten Tiere könnten dabei auch die Mitmenschen des Betrachters darstellen: Ihre Lasterhaftigkeit erkennen wir leicht und kritisieren sie gerne. Die eigene aber, die vielleicht noch schlimmer ist, ignorieren wir geflissentlich. — Die Tiere schauen in den Spiegel, können aber als unvernünftige Wesen sich nicht erkennen im Gegensatz zum Menschen, der aufgefordert wird, in den Seelenspiegel zu schauen. — Alle Deutungsansätze werden gestützt durch das Gleichnis von Splitter und Balken. (Freundliche Hinweise vom Spiegel-Spezialisten René Wetzel)
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Dass die Geschichtsschreibung ein Spiegel der Fakten sein will, geht aus dieser Miniatur hervor:
Auf dem Titelblatt seiner Predigthilfe nennt Tobias Lohner S.J. (1619–1680) die Quellen-Typen seiner Sammlung. Zu den Geschichtsschreibern (Historici) zeigt er das Bild einer in den Spiegel blickenden Frau und dazu den Text: Aut verum, aut simile vero (Entweder die Realität oder das der Realität Ähnliche).
Instructissima bibliotheca manualis concionatoria in qua de virtutibus, vitiis, sacramentis..., Dillingen 1681.
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Das Emblembuch von Jacob Cats (1577–1660) hat 1632 (und in Neuauflagen) folgendes Titelbild:
Spiegel van den ouden ende nieuwen tijdt: bestaende uyt spreeck-woorden ende sin-spreucken, ontleent van de voorige ende jegenwoordige eeuwe, verlustigt door menigte van sinne-beelden met gedichten en prenten daer op passende ; dienstigh tot bericht van alle gedeelten des levens, beginnende van de kintsheyt ende eyndigende met het eynde alles vleesch / door J. Cats. In ’sGraven-Hage: by Isaac Burchoorn 1632.
> http://hdl.handle.net/1874/37101
Die Verklaaringe op de Titel-plaet besagt:
PRVDENTIA [die Weisheit, charakterisiert durch einen Handspiegel und ein Buch auf dem Schoß] sitzt zwischen RATIO [Denkvermögen; charakterisiert durch Zaumzeug und Merkurstab] und MEMORIA [Erinnerung; charakterisiert durch einen antiken abgebrochenen Obelisk]; sie hat einen guten Spruch ausgedacht (auf der Banderole steht: VOX POPULI VOX DEI), diesen übergibt sie ihrer Freundin Memoria, und diese ihrerseits die wiederum der Zeit TEMPVS [masculin; charakterisiert durch Janus-Kopf, Flügel und Sanduhr], der benutzt den Jahreslauf als einen Spiegel [auf dem Rahmen die den Jahreslauf charakterisierenden 12 Sternzeichen] für seine Tochter VERITAS [charakterisiert durch Nacktheit und leuchtende Schwert-Fackel], und diese – befindend, dass der Spruch gut zu ihr passe – erlaubt, dass FAMA [charakterisiert durch mit Augen versehene Flügel und zwei Posaunen] ihn dorthin bringen darf, wo Menschen wohnen; und daraus wird zuletzt ein Spiegel der alten und neuen Zeit, also der rechte Spiegel der Wahrheit. Spiegelt Euch darin, Leser, und lebt wohl! (Danke, Alex, für die Hilfe beim Niederländischen!)
Im nicht leicht verständlichen Text stecken zwei Gedanken:
• Der Satz "Die Stimme des Volks ist Gottes Stimme" hat als Urheberin die Weisheit und gelangt über mehrere Übermittler zu den Menschen. Im Hintergrund steht die demokratische Verfassung der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen.
• Die Wahrheit bespiegelt sich in den Zeitläufen; das heißt möglicherweise: Ob eine Handlung gerechtfertigt ist, ermisst man im Vergleich mit historischen Fakten; das meint der Buchtitel: Spiegel van den ouden ende nieuwen tijdt.
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Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) hat die Spiegelung von Geschichte und menschlichen Handlungen anders gefasst, so:
Die Geschichte und der Spiegel/ von welchen dieses Buch benennet worden/ haben eine artige Vergleichung;
in dem jene das wandelbare menschliche Leben/ dieser das veränderliche Angesicht/ jene die beliebte Tugend und Laster/ diese die Schönheit und Häßlichkeit/ jene die innerliche Beschaffenheit/ als Liebe/ Neid Feindschafft/ &c. dieser die äusserliche Gestaltung abbildet und vorweiset.
Die Geschichte bestehen in hinfallender Vergessenheit/ wie der Spiegel in einem zerbrechlichen Glas/ und wann wir uns/ vermittelst dieser beeden/ selbst erkennen/ so ist der Mensch Gottes Ebenbild/ wiewol in höchster Unvollkommenheit:
Seine Wercke sind der Spiegel seiner Reden; sein Leben ist ein Spiegel seines Gemütes/ sein Aug ist ein Spiegel seiner Gedancken/ und seine windgeschwinden Begierden sind gleich den flügelschnellen Gegenstralen/ welche besagter Spiegel (oder mit versetzten Buchstaben Gespiel) als das höchstwunderbare Meisterstück der Kunst/ von sich zu blicken pfleget;
daher pflegen wir auch zu sagen; man soll sich an andrer Unglück spiegeln und mit andrer Schaden klug werden.
Weil nun in gegenwärtigen Wercke viel denckwürdige Geschichte und Exempel zu erfreulicher Folge der Tugenden/ wie auch zu sorgsamer Verwarnung der Laster/ vorgestellt worden/ ist solchem der Titel deß Geschichtspiegels vorgeschrieben/ und selber mit schicklichen Sinnbildern und gleichständigen Fragen gleichsam eingefasst/ und an das Liecht oder vielmehr an die Sonne E.G. hochberühmten Namen mit unterthäniger Geflissenheit gesetzet worden.
Der Geschichtspiegel: Vorweisend Hundert Denckwürdige Begebenheiten/ Mit Seltnen Sinnbildern/ nutzlichen Lehren/ zierlichen Gleichnissen/ und nachsinnigen Fragen aus der Sitten-Lehre und der Naturkündigung/ Benebens XXV. Aufgaben Von der Spiegelkunst/ An das Liecht gesetzt/ Durch Ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft, Nürnberg: in Verlegung Wolffgang des Jüngeren und Johann Andreae Endtern 1654. – Vorrede an Freiherr Justus von Gebhard. ☰☰☰ Bespiegle dich O Welt in dir. Dis Bild stellt deinen Wandel für. Ich heuchle nicht, das glaube mir. Titelblatt einer postumen Ausgabe des »Satyrischen Pilgram« des Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622–1676): Deß Simplicisssimi Satyrischer Pilgram. Anderer Theil/ Zusammengetragen durch Samuel Greifnson vom Hirschfeld, Gedruckt im Jahr 1683. > http://diglib.hab.de/drucke/lo-2310-3b/start.htm?image=00095 ☰☰☰
Das allgemein als positiv Angenommene, welches wir das Seiende nennen und dessen Negation der Begriff Nichts in seiner allgemeinsten Bedeutung ausspricht, ist eben die Welt der Vorstellung, welche ich als die Objektität des Willens, als seinen Spiegel, nachgewiesen habe. Dieser Wille und diese Welt sind eben auch wir selbst, und zu ihr gehört die Vorstellung überhaupt, als ihre eine Seite: die Form dieser Vorstellung ist Raum und Zeit, daher alles für diesen Standpunkt Seiende irgendwo und irgendwann seyn muß. Verneinung, Aufhebung, Wendung des Willens ist auch Aufhebung und Verschwinden der Welt, seines Spiegels. Erblicken wir ihn in diesem Spiegel nicht mehr, so fragen wir vergeblich, wohin er sich gewendet, und klagen dann, da er kein Wo und Wann mehr hat, er sei in Nichts verloren gegangen.
Arthur Schopenhauer (1788–1860), Die Welt als Wille und Vorstellung. Erster Band, 1819, § 71.
> http://www.zbk-online.de/texte/A0411.htm
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Shakespeares Hamlet (Uraufführung 1609) sagt zu den Schauspielern, die das Stück spielen sollen, in dem sich der Stiefvater als Mörder entpuppen soll (III. Akt, Beginn der 2. Szene):
… for any thing so overdone is from the purpose of playing, whose end, both at the first and now, was and is, to hold, as 'twere, the mirror up to nature; to show virtue her own feature, scorn her own image …
… passt die Gebärde dem Wort, das Wort der Gebärde an; wobei Ihr sonderlich darauf achten müsst, niemals die Bescheidenheit der Natur zu überschreiten. Denn alles, was so übertrieben wird, ist dem Vorhaben des Schauspieles entgegen, dessen Zweck sowohl anfangs als jetzt war und ist, der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, … (Übersetzung von Schlegel / Tieck)
☰☰☰ Titelbild der 2. Auflage der J. J. Bodmer und J. J. Breitinger herausgegebenen Zeitschrift »Die Discourse der Mahlern« (1721f.) unter dem neuen Titel »Der Mahler der Sitten« (1746).
Gegenstand der Discurse sind – nebst Artikeln, die sich mit literarischen und pädagogischen Fragen befassen, auch mit Freundschaft, Selbsterkenntnis usw. – die Capricen, Laster, Torheiten (Kleiderpracht, Gespensterfurcht u.a.) der Zeitgenossen. – Jeder Leser möge sein entsprechendes Spiegelbild darin erkennen. Reddit 3.Sg.Präs. von reddere ›wiedergeben, abspiegeln, vollständig nachahmen‹ Die Verse stammen aus Vergils »Bucolica« II,25ff., wo Corydon – verzweifelt und hoffnungslos verliebt in Alexis – seine eigene Schönheit preist:
Nec sum adeo informis: nuper me in litore vidi, cum placidum ventis staret mare. non ego Daphnim iudice te metuam, si numquam fallit imago.
Auch bin ich gar nicht so hässlich. Ich sah mich jüngst am Strand, als das Meer windstill da lag. Sei selber Richter: ich fürchte [den Vergleich mit] Daphnis nicht, wenn ein Abbild nie täuscht.
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Das vierte Kapitel in Sebastian Brants »Narrenschiff« (1494) ist den neumodischen Erfindungen im Bereich der Toilette und Kleidung gewidmet: Die Männer tragen keinen Bart mehr, schminken sich, hängen sich Halsketten um, wickeln sich das Haar in Locken mit Eiweiß; alle Kleider sind plissiert oder bedecken kaum mehr den Nabel. Vil nüwrung ist in allem land. Brant ruft die Obrigkeit auf, diese Unsitten zu unterbinden; gemeint sind gegen die Hoffart und den Luxus wirkende Kleiderordnungen, wie man sie aus allen Städten in der Frühneuzeit kennt.
Hier eine spätere Fassung (1547) mit dem Holzschnitt von Tobias Stimmer (1539–1584):
Der hoffärtige Geck ist gekleidet in das Gewand damaliger Landsknechte; besonders die zwei unterschiedlichen Hosenbeine und die Kuhmaulschuhe sind top-modisch:
Erhard Schoen, Landsknecht Valtein Schrammhans (um 1535)
> http://www.zeno.org/nid/20004286618
Dem aufgeputzten Stutzer hält ein Narr einen Spiegel vor, ohne dass jener hineinblickt; er trägt selbst eine Schellenkappe, wodurch er sich als unbewusst töricht ausweist. – Das Sprichwort ›Narren und Kinder reden die Wahrheit.‹ ist alt: Der tôre verhilt deheine frist, swaz in sîme herzen ist. (Freidank, ed. Grimm 82,12) Hier sind also der Spiegel und der ihn haltende Narr in Parallele gesetzt.
Geiler von Kaisersberg – auf dessen Predigtzyklus zum »Narrenschiff« die verbosen Erläuterungen im Druck von 1574 zurückgehen – kennt das Bild des sich Spiegelnden. Damit ist jedoch kein Bezug zum Bild hergestellt: Das vierdt Geschwarm der Narren sind die Seltzam Narren/ Mutz Narren/ Zier Narren/ Gemalt Narren/ Spiegel Narren: dise sag ich sein die Narren/ so allweg vor anderen Narren etwas newes vnd seltzams auf die ban bringen/ in seltzamen kleideren/ sitten vnd wunderbarlichen breuchen. (S.11) — Pfu der schand vnd vnzucht/ O mensch was spiegelst du dein lang Haar herfür/ das voller leuß vnd nissz ist? Ist diß den schatz/ dein Gott? welchen du vor anderen ehrest vund liebest? (S.13)
Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden: alles auff Sebastian Brands Reimen gerichtet; […] Weilandt Durch den hochgelerten Johan. Geyler in Lateinischer sprach beschrieben. Jetzt aber mit sonderm fleiß auß dem Latein inn das recht hoch Teutsch gebracht/ vnnd erstmals im Truck außgangen/ Durch/ Nicolaum Höniger von Tauber Königshoffen, Basel: Heinricpetri 1574. — Der ganze Text auf http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00090359/image_40
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Spiegel-Närrin
Der Spiegel ist mein gröste Freud.
Vor dem stell ich mich allezeit.
Und schau, genau, was mir noch fehlt.
Biß alles richtig ist gestellt.
Geh sie nur vor den Spiegel hin,
Sie find gewiß ein Närrin drin.
[Abraham a Santa Clara fälschlich zugeschrieben], Mala Gallina, Malum Ovum. Das ist: Wie die Alten sungen/ so zwitzern die Jungen. Im Zweyten Centi-Folio Hundert Ausbündiger Närrinnen gleichfalls in Folio, Nach voriger Alapatrit-Pasteten-Art/ So vieler Narren Generis Masculini, Anjetzo auch mit artigen Confecturen, Einer gleichen Anzahl Närrinnen Generis Foeminini zum Nach-Tisch. Allen Ehr- und Klugheit-liebenden Frauenzimmer zur lustigen Zeit-Vertreib und wohlgemeinten Warnung. In Hundert schönen Kupffern moralisch vorgestellt. Johann Christoph Weigel, [Nürnberg 1713]. S. 329–332.
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Mehrfache Spiegelung:
Paris Gille O.S.B. (1622–1701) zeigt in seinem Emblembuch (Prima classis, Num. V) einen barfüßigen (!) Mann in antikisierend kriegerischer Montur vor einem Tisch mit Krone, Mitra, Tiara und Lorbeerkranz, der sich in einem mehrfach geteilten Spiegel besieht.
Novum Tres Inter Deas Junonem, Venerem Et Palladem Paridis Judicium In Quo Denuo Expositum Pomum Posthabitis Cæteris, Soli Decernitur Optimæ, Emblematicè sub oculos datum, Salisburgi: Mayr, 1694.
>
https://diglib.hab.de/drucke/xb-4f-386/start.htm
Das Zitat Nomina delectant aus Juvenal (Sat. VIII,132: ›wenn dich uralte Namen erfreuen‹) bezieht sich auf die große Zahl von Vorfahren, auf die der Geck stolz ist.
Esse cupis numerus? Speculo te conspice secto.
Tantum nam toties fracta fenestra facit.
Möchtest du ein Bedeutender [numerus hat die Grundbedeutung ›Zahl‹] sein: besieh dich in einem zerteilten Spiegel!
Denn ein so oft zerbrochenes Fenster [eine Butzenscheibe, in der man sich spiegeln kann] macht eine so große [Zahl / Bedeutung].
Die Ausführungen auf den folgende Exêgesis lassen wir hier weg. Danke Jörg für die Latein-Hilfe! (10.12.2021)
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Wan alle Spiegel dießen Lappen Gantz deutlich weißen [zeigen] mit der Kappen
So macht doch der den grösten Possen [neckischer Scherz] Der von dem Sessel hängt zerstossen. Weil er Ihn doppelt præsentiret Und trefflich so die Stuben zieret.
[Abraham a Santa Clara fälschlich zugeschrieben], Centi-Folium stultorum in Quarto. Oder Hundert Ausbündige Narren in Folio. Neu aufgewärmet und in einer Alapatrit-Pasteten zum Schau-Essen, mit hundert schönen Kupffer-Stichen, zur ehrlichen Ergötzung, und nutzlichen Zeit-Vertreibung, sowohl frölich- als melancholischen Gemüthern aufgesezt; auch mit einer delicaten Brühe vieler artigen Historien, lustiger Fablen, kurtzweiliger Discursen, und erbaulicher Sitten-Lehren angerichtet, Wien: Megerle / Nürnberg: Weigel 1709.
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Ein Grieche träumt, daß er bei einer berühmten Hetäre gewesen ist, und erzählt dies auf der Agora. Die Hetäre hört das Gerede und verlangt Bezahlung. Der Fall kommt vor den Richter. Dieser befiehlt dem Mann, das Geld auf den Tisch zu legen, er lässt einen Spiegel bringen und gestattet der Hetäre das Spiegelbild des Geldes als Zahlung für den geträumten Genuss zu nehmen.
aus: André Jolles, Einfache Formen: Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Sprüche.... Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1968, S. 250.
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Noch ein zerbrochener Spiegel, aber mit ganz anderer Bedeutung:
SIEMPRE EL MISMO. Was ein gantzer Spiegel weiset/ eben das weisen alle seine stücke/ wo er zerbrochen. also besihet der Löw seine gestalt in einem jeden theil dieses gegenwertigen Sinnspruchs/ eine bedeütung der starcke/ vnd tapferen beständigkeit/ welche der Fürst auf allen fall wol bewaren sol. Dan er ist ein offenbahrer spiegel/ in welchen sich die Welt besihet.
Fajardo Diego da Saavedra, Idea Principis Christiano-Politici 100 Symbolis expressa, Jena: M.Birckner 1686. Emblem Nr. XXXIII. [Spanische Erstausgabe Diego de Saavedra Fajardo (1584-1648), Idea de un principe politico christiano 1640.]
In unglück hab eines Löuwen mueth
In wohlstand heb die demueth.
Schreib alles zu dem höchsten gueth.
Schaffhausen, Haus zum Grossen Käfig; Façade vom Jahr 1675
Literaturhinweis: Reinhard Frauenfelder, Die Vorlagen für die emblematischen Bilder am Hause zum Grossen Käfig in Schaffhausen, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 14 (1953), S. 103ff. > http://doi.org/10.5169/seals-163959
Eine gute Photographie auf der Website von Dieter Bitterli > www.emblemata.ch
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Wie die Stücke des zerbrochenen Spiegels je ein ganzes Abbild zeigen, so ist Christus in allen Teilen der gebrochenen Hostie ganz erhalten.
… hostia divisa, Christus totus remanet sub qualibet parte. Et ponunt exemplum de speculo; quia Augustinus dicit, quod sicut fracto speculo multiplicantur species vel imagines; sic post fractionem quot sunt partes, toties est ibi Christus: constat autem quod ante fractionem speculi non erat ibi nisi una imago.
Thomas von Aquin, Super Sent., lib. 4, dist 10, qaest. 1, art. 3 qc. 3 co.
> http://www.corpusthomisticum.org/snp4008.html
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David von Augsburg (O.F.M., † 1272), »Von der Menschwerdung Christi«
Nu sich ein gelîchnüsse. Wie? Du nim einen spiegel, dem daz glas als breit sî als dîn zwô hende unde der ganz si, und sich dar în alterseine [ganz allein]: sô sihstü wan [nur] ein antlütze. Unde brich daz glas enzwei, sô sihstû in iewederm stücke ein antlütze. Unde brich dar abe eines stückels daz als dîn nagel sî, sô sihstû aber ein gantz antlütze inne. Also ist, swie vil du stücke ûz dem einen glase machest, sô sihstû in ieglîchem ein antlütze unde sihst in einem ganzen ouch wan einez. Sich, alsô ist got allenthalben in im selben ganzer. Nim hundert tûsent spiegelglas oder mêr danne du immer genennen mugest, unde sich in ieglichez sunderbâr, du sihst in ieglîchem ein antlütze; unde hab siu denne alle zemâle vür dich, du sihst als manic antlütze als manigez der glas ist; und ist doch ein antlütze, niht kleiner [kein bisschen verschiedener als] von dem andern, ez habe ein ieglîch sîn ganze forme.
in: Franz Pfeiffer, Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts I (1845), S. 403.
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Konrad von Würzburg, »Die goldene Schmiede«, Verse 732ff. (angesprochen ist Maria):
du bist gelich dem spiegel
ob der enzwei gebrichet noch
sô schouwet sin antlütze doch
der mensche in den stücken wol.
dîn helfe lûterkeite vol
swie vaste sich diu teile
den sêlen vil ze heile
so wirt doch volliu gnâde schîn
in ieglichem stückelîn
daz da von geschrenzet wirt.
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Amicitia sordida Si speculo desit plumbum, quo reddere formas Et splendore solet cuncta referre suo: Quid vacuum inspexisse iuuat, labor omnis inanis, Dum pentrant radij, nullaque imago datur. Haud secus est quoddam genus ad lucrosa paratum, Quod petit, ac repetit, gratia nulla tamen. Accipiunt quicquid donas, vestigia nusquam Cernas, officium queis, meminisse velint. Debet amicitia iuncti par esse voluntas, Huius imago tua est, ni sit inanis amor. Hoc quis te melius nouit, testatur amicis Ferrari, qui me diligis vsque memor?
Trübe Freundschaft Wenn dem Spiegel das Blei fehlt, durch das er erst die Umrisse und alle Einzelheiten mit vollem Glanz wiedergibt, was nützt es dann, auf das Leere zu blicken; alle Mühe ist vergebens, wenn die Strahlen hindurchgehen und kein Bild zustande kommt. Sie nehmen alles, was man ihnen gibt, aber man findet nirgends eine Spur von Bereitschaft, der Wohltat zu gedenken. Dein Sinn muss dem des dir in Freundschaft Verbundenen gleich sein, – ist dieser doch dein Spiegelbild –, wenn die Liebe nicht vergeblich sein soll. Wer weiß das und bezeugt es seinen Freunden besser als du Ferrarius*, der du mich immer mit treuem Gedenken liebst? *) Widmungsempfänger: Ottaviano Ferrari aus Milano (1518–1586). [Joh. Sambucus 1531–1584] Emblemata, et aliquot nummi antiqui operis, Ioan, Sambuci Tirnaviensis Pannonii. Tertia editio, Cum emendatione & auctario copioso ipsius auctoris, Antwerpen: Ch. Plantin, 1569. — Deutsche Übersetzung aus: Arthur Henkel / Albrecht Schöne (Hgg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, Sp. 1347. ☰☰☰ British Library, Royal MS 12 C. xix, Folio 28r > http://bestiary.ca/beasts/beast131.htm mit weiteren Stellenangaben in englischer Übersetzung
Ambrosius (340–397), »Exameron« VI. Tag, 4. Kap., ¶ 21:
Sobald er [der Tiger] nämlich seine Lagerstätte leer und seine Jungen geraubt findet, verfolgt er unverzüglich die Spur des Räubers. Merkt dieser, daß er trotz des flüchtig eilenden Rosses, das ihn trägt, vom schnellen Raubtier eingeholt werde und jede Möglichkeit des Entrinnens ausgeschlossen sei, sucht er sich künstlich mit folgender List zu retten: In dem Augenblick, da er sich eingeholt sieht, wirft er eine Glasscheibe hin, und wirklich: die Bestie läßt sich vom eigenen Bilde täuschen und hält es für ihr Junges. Im Verlangen, es zu bergen, steht sie vom Überfall ab. Von neuem aber wirft sie sich, vom Trugbilde aufgehalten, mit allen Kräften auf die Verfolgung des Reiters. Von Wut aufgestachelt, beflügelt sie den Lauf. Schon droht sie über den Flüchtling herzufallen: wieder wirft ihr dieser eine Scheibe vor und hält sie so in ihrer Verfolgung auf. Sie erinnert sich des Truges, doch das beirrt sie in ihrem mütterlichen Eifer nicht. Sie kehrt das Trugbild zu sich und bleibt wie zur Säugung der Jungen zurück. So büßt sie, vom Eifer ihrer Mutterliebe getäuscht, beides ein: die Rache und das Junge.
Konrad von Megenberg (1309–1374), »Buch der Natur« III A 66 = Ausgabe F. Pfeiffer S. 161: Tigris haizt ain tigertier. daz ist fleckot mit mangerlai varb. daz ist wunderleich kreftig und snel. daz wirt geporn in Hircania, sam Isidorus und Jeronimus sprechent. diu tier sint gar grimmig und wenn die jäger si beraubt habent irr kindel, sô mügent in etswenn die jäger niht enpfliehen; dar umb werfent si glesein schilt hinder sich, sam Ambrosius spricht. sô danne diu tier dar über koment und die spiegel ansehent, sô wænent si, iriu kint sitzen dâ, und stênt über die spiegel und küssent die und umbvâhent si. zeletscht tretent si auf die spiegel und scharrent; sô vindent si nihts. in der zeit enpfliehent in die jäger. Aristotiles spricht, daz daz tier an vil dingen dem ohsen geleich. ez ist etswie vil rôt und ist sein flaisch süez. dar umb væht man ez. Vgl. > https://www.animaliter.uni-mainz.de/tiger/
Im Barockzeitalter wird die Szene für Embleme benutzt. Hier von Joachim Camerarius (1534–1598):
Es [das Tieger-Thier] wird von seinem eignen Bild geäffet und betrogen.
Daß es vermeint es sey das Kind das seine Milch gesogen.
Im erläuternden Text:
Freylich geht es uns auch offt also:
Die Gestalt betrieget offt einen guten Geist,
Dann es ist nicht alles Gold/ ob schon so gleist.
Ja:
Was wir ein wahres Ding zu seyn vermeinen/
Pflegt offt betrieglich nur also zu scheinen.
Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, durch welche beygebracht und außgelegt werden die angeborne Eigenschafften, wie auch lustige Historien und Hochgelährter Männer weiße Sitten-Sprüch. Und zwar Im 1. Hundert: Von Bäumen und allerhand Pflanzen. Im II. Von Vier-Füssigen Thieren. Im III. Von Vögeln und allerley kleinen so wol fliegenden als nit fliegenden Thierlein. Im IV. Von Fischen und kriechenden Thieren. […] ins Teutsch versetzet, Maintz: Bourgeat 1671. – Zweytes Hundert, Nr. XXXVI.
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Illustration von Wenzel Hollar (1607–1677) in: The fables of Aesop, paraphras’d in verse, and adorn’d with sculpture; by John Ogilby (1600–1676), London 1665
>
https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN84537785X
Martin Luther, »Etliche Fabeln aus Esopo verdeutscht« (Druck 1557) Vom Hunde im Wasser Es lieff ein Hund durch einen Wasserstrom/ vnd hatte ein stück Fleisch im Maule. Als er aber den schemen [das Schattenbild, Spiegelbild] vom Fleisch im Wasser sihet/ wehnet er/ es were auch Fleisch/ vnd schnappet girig darnach. Da er aber das Maul auffthet/ empfiel jm das stück Fleisch/ vnd das Wasser fürets weg. Also verlor er beide/ das Fleisch vnd schemen. Lere Man sol sich benügen lassen an dem/ das Gott gibt. Wem das wenige verschmahet/ dem wird das Grösser nicht/ Wer zu viel haben wil/ der behelt zu letzt nichts/ Mancher verleuret das gewisse / vber der vngewissen. > http://www.zeno.org/nid/20005347025
Die Fabel bei Aesop: Äsop, Fabeln, Griechisch / Deutsch, Übersetzung von Thomas Voskuhl, Stuttgart: Reclam 2005 (RUB 18297); Nr. 133.
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Der Fuchs Reinhart glaubt im Wasserspiegel seine Frau zu sehen; Parodie auf den Minnesang:
831ff. Reinhart begonde vmme gan,
vor dem tore sach er stan
einen bvrnen,
der was tief vnde wit.
da sach er in, daz rowe in sit.
sinen schaten er drinne gesach.
ein michel wunder nu geschach,
daz er hergeczte hie,
der mit listen vil begie.
Reinhart wande sehen sin wip,
die was im liep als der lip,
vnde en mochte sich doch niht enthan,
ern mvste zv der vrvnden gan,
wenne minne gibt hohen mvt.
da von dovchte si in gvt.
Reinhart lachete dar in,
do zannete der schate sin.
des west er im cleinen danc,
vor libe er in den brvnnen spranc.
dvrch starke minne tet er daz,
do wurden im die oren naz.
in dem bvrnen er lange swam,
vf einen stein er do qvam,
da leit er vf daz hovbet.
Als er an der Mauer entlanglief, erblickte er vor dem Tor einen Brunnen, der weit und tief war. Er schaute hinab (was er später bereuen sollte) und sah darinnen sein Spiegelbild. Nun geschah das große Wunder, dass der listenreiche Fuchs selbst zum Narren wurde. Reinhart glaubte nämlich seine Frau zu sehen, die ihm lieber war als sein eigenes Leben. Er konnte sich nicht bezwingen; es drängte ihn, zu der Geliebten zu eilen, denn Liebe stimmt ja hochgemut. Daher schien sie ihm vortrefflich. Reinhart lächelte hinein, da verzog auch sein Spiegelbild den Mund. Dafür war er ihm später nicht eben sehr dankbar, denn nun sprang er vor lauter Liebe in den Brunnen. Aus übergroßer Liebe tat er das! Dabei wurden ihm freilich die Ohren nass. Lange schwamm er in dem Brunnen umher, bis er einen Stein fand, auf den er den Kopf legen konnte.
Heinrich [fälschlich: der Glîchesære; nach 1200], Fuchs Reinhart, übers. Wolfgang Spiewok, (RUB 676), Lepizig 1977.
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Jean de la Fontaine (1621–1695) hat diese Fabel ersonnen: Ein in sich selbst verliebter Mann schilt den Spiegel, dass er sein Bild entstellt wiedergibt. Wo er auch immer hinschaut, befinden sich Spiegel. Er begibt sich in die Einsamkeit. Aber da befindet sich ein klarer Bach. Von ihm scheidet der Narziss ungern. — Grandville (1803–1847) illustriert das so:
Fables des La Fontaine. Illustrations par Grandville, Paris: Garnier 1839; Livre I, Fable 11: L’Homme et son image > http://www.lesfables.fr/livre-1/l-homme-et-son-image
(
Die Fabel ist La Rochfoucauld [163–1680] gewidmet, dessen »Maximen« Grandville abbildet.)
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Claude Paradin, Devises heroïques, 1557 (und spätere Auflagen).
Die Fliegen, die dem gut polierten und hell glänzenden Spiegel entgegenfliegen, können sich dort nicht halten und fallen herunter. Tout ainsi que les Mouches tombent se voulans poser contre un Miroir bien poli: & se grimpent bien contre choses groumeleuses, & mal rabotees. Aussi les hommes tombent plus facilement d’une grande felicité, & se tiennent mieus en aversité.
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Ein Mensch/ der sich selbst liebt/ und Gefallen an ihm hat. Ein Aff/ mit einem Krantz auf dem Kopff/ beschauet sich in einem Spiegel. – Homme se complaisant en lui-même; l’amour de soi-même. Un singe couronné de fleurs, regardant son Image dans un miroir. (Bild Ø 4cm) Viel nutzende und erfindungen reichende Sinnbild-Kunst, oder Hieroglÿphische Bildervorstellung der Tugenden, Laster, Gemüts-bewegungen, Künste und Wissenschafften, wodurch Rednern, Poeten, Mahlern, Bauverständigen, Bildhauern, durch Zeichnungen, und einer kurtzen beschreibung Anlasz jhre Gedancken aus zu üben gegeben oder beij gäh vorfallenden Gelegenheiten ihnen gnugsame Materi vor Augen gelegt wird damit Sie sich nicht lang besinnen dörffen, Nürnberg verlegt und zu finden beij Johann Christoph Weigel Kunsthändlern [s.d.; vor 1726]; Tafel XX, oben rechts.
Man erinnert sich an die Notiz von Georg Christoph Lichtenberg: Ein Buch ist wie ein Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, so kann freilich kein Apostel heraus sehen. (Schriften und Briefe, Sudelbücher, hg. Wolfgang Promies, München: Hanser 1968/1971; E 215; vgl. F 112; F 860; D 617.)
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Im alten Bern gab es ein Art Schattenkabinett von Jugendlichen, den sog. Äusseren Stand.
Bei Johann Rudolf Gruner, Deliciae urbis Bernae: Merckwürdigkeiten der hochlöbl. Statd Bern. Aus mehrentheils ungedruckten authentischen Schrifften zusammen getragen, Gedruckt bey Marcus Pordorf 1732; Kapitel 69 = S. 476 (https://archive.org/details/bub_gb_kDcUAAAAQAAJ/page/n487) heißt es u.a.: zur Nachahmung des hochlöblichen Oberkeitlichen Stands … gleichsam ein Seminarium und Schul zukünfftigen Regierung … sie berathschlagen sich von Zeit zu Zeit pro forma über die Angelegenheiten ihres Stands … [Viele der jungen Männer sind später dann in die Regierung gelangt. – Sie prägen einen] Sechszehner-Pfennig: ein Affen-Kleid-Träger, sitzend auf einem Krebs … mit der Umschrifft: Imitamur quod speramus
Die Münze vom Jahr 1703 mit der Umschrift Imitamur quod speramus, was Simler so übersetzt: Wir thun deme nach/ wohin wir auch hoffen zugelangen.
Der Äussere Stand ahmt die wirkliche Regierung nach. Daher der Affe (lateinisch simia) nach den alten Etymologien von similis ›ähnlich‹:
Simia quam similis turpissima bestia nobis! The ape, vilest of beasts, how like to us! (Fragment von Ennius)
Alii simias Latino sermone vocatos urbitrantur, eo quod multa in eis similitudo rationis humanae sentitur; … (Isidor, Etymologien XII,ii,30)
Der Krebs als Reittier:
Im »Narrenschiff« von Sebastian Brant (1494) reitet der Narr auf einem Krebs – die Narrheit besteht darin, dass er nicht weiß, dass der Krebs rückwärts schreitet.
Vgl.
Konrad von Megenberg, Buch der Natur (III D 8): er gêt hinder sich, und spricht Adelînus daz er nümmer nâch sînem antlitz gê.
Aber der Affe auf der Berner Münze reitet richtig: vorwärts.
Wie ist der Spiegel zu verstehen? Wenn man die Umkehrung des Krebs-Motivs auch auf das Spiegel-Motiv anwendet, eventuell umgekehrt als die In-sich-selbst-Verliebtheit des dummen Affen so: Ich erkenne genau, dass ich nur Regiment spiele; ich weiß, dass das alles nur Schein ist wie ein Spiegelbild.
Literaturhinweise:
Josias Simler, Von dem Regiment der lobl. Eidgenoszschaft zwey Bücher, nun aber mit erforderlichen Anmerckungen erläuteret, und bis auf disere Zeiten fortgesetzet van Hans Jac. Leu, Zürich: Geßner 1721 II, 545.
Wolfgang Friedrich von Mülinen, Vom Aeussern Stand und dem Urispiegel, in: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde 12/1 (1916).
Robert L. Wyss, Die Ratsstube des äusseren Standes von Bern, in: Unsere Kunstdenkmäler 25/4 (1974), S.183–195.
Weitere Hinweise im Artikel der Wikipedia.
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Formamque imitata, jocosque Das Aussehn <hat die Katze> gespiegelt, und ihre Faxen. Schau, mit welch vergnügtem Ausdruck die Katze den Spiegel bemüht, mit ihrem Aussehen und ihren Scherzen! Wie durchwegs gleich sie <im Spiegel> ihre Spässchen, als eine andere, vorspielt! Siehst du nicht, dass die Halskrause <im Umfang> den dicken Bauch wiedergibt? Wie dieser Turm da den armen Kopf niederdrückt? Den Handlungen gemäss ist das Aussehen, und die Katze ganz ähnlich der Katze; und die gleichen Gebärden hat die Tochter wie die Mutter. So verdirbt <jede> neue Unvernunft die empfindlichen Charaktere, und sie findet immer solche, die sie mit ihrem neuen Angebot verführen kann. Die Katze spielt sich mit Aussehen und Gebärden vor dem Spiegel auf, in welchem dieser dieselben Spässe zeigt. Die modischen Accessoires ›spiegeln‹ den Leib des Stutzers. – Für die Aussage, dass die Mode-Torheiten charakter-verderbend sind, braucht es keine Spiegelsymbolik. – Wie gelangt der Verfasser zur Moral, wonach das Aussehen den Handlungen gemäss ist (bzw. sie ›spiegelt‹; rebus ut est species)? (Dank an Thomas G. für Hinweise und Übersetzung! Er bemerkt dazu noch: Sapphische Ode und drei Distichen.)
Nicolaus Taurellus (Öchslin, 1547–1606), Emblemata Physico-Ethica, hoc est, Naturae Morum moderatricis picta praecepta. - Editio secunda. Nürnberg: Lochner, 1602. > https://www2.uni-mannheim.de/mateo/camena/taur1/jpg/s150.html ☰☰☰
Der kuriose Doktor
Historischer Kalender, oder der Hinkende Bott, auf das Jahr Christi 1832. Bern, bey Carl Stämpfli.
Ein Mann hat ein Halsgeschwür; alle ärztliche Kunst verfängt nicht. Wie er halbtot daliegt, machen sich seine Bediensteten sich an seinen Wertsachen heran. Das sah der Affe, der neben dem Bette saß. Und weil eben das die Natur des Affen ist, daß sie alles nachahmen […], so wollte auch er etwas haben. Er ergreift also die gepuderte Perücke des Herrn, setzt sie auf seinen Kopf, stellt sich vor den Spiegel, und macht so wunderliche Geberden, daß der Sterbende in ein gewaltiges Lachen geräth. Da springt ihm das Geschwür glücklich auf, er ist gerettet, und was kein Doktor konnte, das hatte ein Affe gekonnt.
(Die Erzählung stammt aus dem 1830 erschienen Buch »Das Lachen oder das einfachste Mittel das Leben zu erheitern« https://books.google.ch/books?id=VDxXAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s)
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Der Blick von Medusa versteinert; aber Perseus überlistet sie, indem er sie in seinem spiegelnden bronzenen Schild anschaut – im Spiegelbild funktioniert der versteinernde Blick offenbar nicht – und sie so enthaupten kann. (Aus dem Blut entsteht Pegasus.) Ovid, Metamorphosen IV, 780ff. (nach der Übersetzung von H. Breitenbach):
… überall sah er die Bilder von Menschen,
Wie auch von wildem Getier, versteinert vom Blick der Medusa.
Er jedoch habe im bronzenen Schild, den die Linke getragen,
das Bild der Schauergestalt der Medusa gespiegelt;
Und als drückender Schlaf sie […] beschwerte;
Hab er das Haupt ihr vom Halse geschlagen …
Die Verwandlungen des Ovidii in zweyhundert und sechs und zwantzig Kupffern. In Verlegung Johann Ulrich Krauß, Kupferstechern in Augspurg [ca. 1690]. – Das Bild zeigt auch Pegaus, der aus dem Blut der Medusa entsteht.
Die Geschichte wird auch erzählt von Lucan (39–65), in: »De bello civili« (Über den Bürgerkrieg = Pharsalia). Pallas/Minerva hilft ihrem Bruder Perseus bei der Beseitigung des Ungeheuers, indem sie ihm einen spiegelnden Schild gibt: et clipeum laeuae fuluo dedit aere nitentem (IX, 669)
Lat. Text online > https://www.thelatinlibrary.com/lucan/lucan9.shtml
Lukan, De bello civili. Der Bürgerkrieg. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Georg Luck. Berlin DDR: Akademie-Verlag 1985; jetzt Stuttgart 2009 (= Reclams Universalbibliothek 18511)
Neueröfneter Musen-Tempel mit 60 auserlesenen Bildern/ welche das Allermerkwürdigste aus den Fabeln der Alten vorstellen/ ausgezieret: gezeichnet und in Kupfer gestochen durch Herrn Bernard Picart le Romain, und andere Kunstreiche Männer; Mit Deutlichen Erklärungen und Anmerkungen...: nebst einer Vorrede [von] Christoph Gottlieb Stockmans, Amsterdam: Zacharias Chatelain 1733; Tafel XLI / Erläuterungen S.111ff. – Auf diesem Bild ist oben Pallas Athene zu sehen, die den Blick von Perseus lenkt.
Auf dem Bild von Jeremias Jakob Sedelmayer (1706–1761) blickt Perseus zurück in den von Athene gehaltenen Spiegel und holt zum Streich aus.
> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1951-0714-81
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Der Blick des Basilisken tötet. — Wenn man ihm einen Spiegel vorhält, bringt er sich selbst um.
[Lemma] Wormit er andern schaffet Pein/ Das muß ihm selbst auch seyn.
[Subscriptio] Die Boßheit trägt zum Lohn Den Vntergang davon Gleich wie der Basilißk/ wann er sich selber sieht Von wegen strengen Giffts alsbald den Kürtzern zieht. Petrus Berchorius (gest. nach 1361), »Reductorium morale«, Lib. X, Cap. xiii: De basilisco dicitur quod si primus videt hominem, statim visu interficit ipsum. Nicolas Caussin S.J. (1583–1651) kennt den Basiliscus ad speculum moriens: Basiliscus […] solo aspectu auras inficit, plantas urit, necat animalia, saxa ipsa dissolvit. Quod si se intueatur in speculo seipsum repercusso in se halitu propriis telis necatur. Die allegorische Bedeutung geht auf die Missgünstigen und Ränkeschmiede: Symbolum est invidi & calumniatoris […] suis sagittis conficitur. De Symbolica Aegyptiorum Sapientia, In Qua Symbola, Aenigmata, Emblemata, Parabolae Historicae Apologi, Hieroglyphica, Ex Horo Appolline, Clemente Alexand. S. Epiphanio, Symposio Poëta, cum Notis & Observationibus, Itemque Polyhistor Symbolicus Et Parabolarum Hist. Stromata Libris XII. complectens …… Authore R. P. Nicolao Caussino, … Coloniae Agrippinae: Joh. Kinchius 1654. (Erstausgabe 1618) Lib IX, Cap. xix.
Das Emblem aus Joachim Camerarius, 1534–1598, Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, durch welche beygebracht und außgelegt werden die angeborne Eigenschafften, wie auch lustige Historien und Hochgelährter Männer weiße Sitten-Sprüch. Und zwar Im 1. Hundert: Von Bäumen und allerhand Pflanzen. Im II. Von Vier-Füssigen Thieren. Im III. Von Vögeln und allerley kleinen so wol fliegenden als nit fliegenden Thierlien. Im IV. Von Fischen und kriechenden Thieren. Vormahls durch den Hochgelährten Hn. Ioachimum Camerarium In Lateinischer Sprach beschrieben: Und nach ihm durch einen Liebhaber seiner Nation / wegen dieses Buchs sonderbarer Nutzbarkeit allen denen die in vorgemelter Sprach unerfahren seyn/ zum besten ins Teutsch versetzet, Maintz: Bourgeat 1671. (4.Buch, Nr. LXXIX; Erste, lat. Ausgabe 1604) > https://books.google.ch/books?id=5RhVAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s ☰ Der falsche Schein Der Zorn wird füglich mit dem Basilisk verglichen/ welcher mit seinen feurigen Augen andere/ und wann man ihm einen Spiegel entgegen hält/ auch sich selbsten tödtet: deßwegen über solchem Sinnbild zu lesen: Ich schade dir und mir. [Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658)] Der Geschichtspiegel: Vorweisend Hundert Denckwürdige Begebenheiten/ Mit Seltnen Sinnbildern/ nutzlichen Lehren/ zierlichen Gleichnissen/ und nachsinnigen Fragen aus der Sitten-Lehre und der Naturkündigung/ Benebens XXV. Aufgaben Von der Spiegelkunst/ An das Liecht gesetzt/ Durch Ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft, Nürnberg: in Verlegung Wolffgang des Jüngeren und Johann Andreae Endtern 1654. S. 204. ☰ Se ipsum territus horret Wenn der Basilisk sich siehet/ Und im Spiegel sich erblikt/ Seh wie hefftig er erschrikt/ Und mit macht zu rüke fliehet! Sein abscheulich Angesicht Kan er selbst vertragen nicht/ Sondern wenn er sich gesehen/ Muß er plötzlich untergehen.
Wenn der Mensch betracht die Sünden/ Wenn er des Gesetzes Fluch Wie auch sein GewissensBuch Fleisig nachsucht/ wird er finden Nicht ohn sonderliche Rew/ Daß er gar abschewlich sey/ Und von wegen dieser Flecken Recht Hertzinniglich erschrecken.
Herr probiere meine Nieren Daß ich from und ohne Clag Dir mein GOtt gefallen mag/ Und so meinen Wandel zieren/ Daß ich hier/ dieweil ich leb Mich dir gantz und gar ergeb/ Und mich allzeit mög erzeigen Gantz auffrichtig alß dein eigen. [Kurfürst Karl II.,1651–1685]: Philothei Christliche Sinne-Bilder. Auß dem Lateinischen ins Teutsch gebracht. Franckfurt/ Bey Johann Peter Zubrodt. Anno MDCLXXIX. > https://archive.org/stream/philotheipseudch00karl#page/44/mode/2up Das Bild aus der Ausgabe Philothei Symbola Christiana, quibus idea hominis Christiani exprimitur. Frankfurt: Zubrod, 1677. > https://www2.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/symbol/seite19.html ☰
Ipse peribit – Er wird selbst umkommen.
Filippo Picinelli (1604 – etwa 1679): MUNDUS SYMBOLICUS, in Emblematum Universitate formatus, explicatus, et tam sacris, quam profanis eruditionibus ac sententiis illustratus: submnistrans Oratoribus, Prædicatoribus, Academicis, Poetis &c. […] conscriptus reverendissimo domino D. Philippo Picinello, Coloniæ Agrippinæ, Sumptibus Hermanni Demen, sub signo Monocerotis. MCCLXXXI.
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Passionierter* Narr
Wo ich nur find Occasion
Bezeüg ich meine Passion
Und ob ich gleich auslaß mein Gifft
Er** mich doch selbst das meiste trifft.
Drum ghör ich auch in dieses Spiel
Ich gelt gleich wenig oder viel.
*) passioniert hier: rachsüchtig (von mlat. passionari = sich wofür leidenschaftlich erregen)
**) êr (< eher) hier im Sinne von "vielmehr"
[Albert Joseph Conlin, Pseudonym: Albert Joseph Loncin von Gominn]: Der christliche Welt-Weise Beweinet die Thorheit der neu-entdeckten Narrn-Welt, Welcher die in disem Buch befindliche Narrn zimblich durch die Hächel ziecht, jedoch alles mit sittlicher Lehr und H. Schrifft untermischet: worin über 200, lustig und lächerliche Begebenheiten, deren sich nit allein die Herrn Pfarer auf der Cantzel sondern auch ein jede Privat-Persohn bey ehrlichen Gesellschafften nutzlich bedienen können. Theil 1; Augsburg: Walder 1706; S. 166ff. — Conlin (1669–1753) gilt als der bedeutendste Nachahmer von Abraham a Santa Clara.
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Candore peremptus — Umgebracht durch den hellen Glanz Der Basilisck im Sand in Africa entspringend […] entseelt mit dem Gesicht die Menschen: und doch/ wer glaubt es? wider solches Unthier ist kein fürträglicheres Mittel/ als ein gegen gesetzter Spiegel: dann also wird er ertödtet/ indem das Gifft auff die Bestie zuruckschlaget. […] Was dem Basilisck der Spiegel/ das ist der Sünd die Jungrfrau [Maria]. Wann du die Natur der Jungfrau betrachtest/ ist sie ein Glaß; kan fahlen und zerbrochen werden. Wann du die Gnad/ das ist/ die Weisse und den Glantz betrachtest, welchen sie nicht ihr/ sondern dem Künstler schuldig ist/ ist sie höher als alle Sünd. Gleichwie dann der Basilisck alles/ ausser deß Spiegels/ überwindet/ also hat alle [ergänze: Menschen] die Sünd/ ausser der Jungfrau bemacklet. […] Wie weit ist das Reich deß Basiliscks? biß zum Spiegl. Wie weit ist das Reich der Sünd? biß zu Maria. […] Innocentia Vindicata, in Qua Gravissimis Argumentis Ex S. Thoma petitis ostenditur, Angelicum Doctorem, Pro Immaculato Conceptu Deiparae Sensisse & Scripsisse. Authore […] Celestino Sfondrati, St.Gallen: Jacobus Müller 1695; Pars posterior Symbolica; G3. Deutsche Übersetzung: Die Erledigte Unschuld, In welcher Mit Uberschwäresten Beweißthumben Auß dem H. Thoma Erwiesen wird, Der Englische Lehrer habe beschlossen und geschrieben Für die Unbefleckte Empfängnuß Der Mutter Gottes, Wien: Schwendimann 1717; S. 103f. > http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN688817572&DMDID=DMDLOG_0012 ☰
Das Titelblatt zum ersten Teil des »Lügenschmieds« von Rupert Gansler (1658–1703) zeigt in der mittleren Zone, wie Frau Welt (mit der ♁-Krone), ein teuflisches Wesen und noch jemand (?) ›alternative Fakten‹ (Unwort des Jahres 2017) schmieden; als Hämmer haben sie Fuchsschwänze (Symbol der Schmeichlerei). – Der Engel von oben scheint das Erzeugnis mit einem Bannstrahl versengen zu wollen. – Im Gewölbe unten wird einem Basilisken im Spiegel die Wahrheit gezeigt – die Folgen erahnt der Wissende. (Im Buch wird das Bild nicht erklärt.) Lugenschmid, Das ist: Unter dem Schein der Warheit verborgener, anjetzo aber entdeckter Welt-Betrug. Dem günstigen Leser Zu dem Predig-Ambt, mit Biblischen Historien, neuen Concepten, Theologisch- und Philosophischen Discursen; Mathematisch- Juridisch- und Medicinalischen Anmerckungen, Politischen Staats-Reglen, seltzamen Begebenheiten, und denckwürdigen Sinn-Bildern, mit einer angenehmen Schreib-Art curios, annehmlich, und wohlmeinend vorgestellet durch R.P. Rupertum Gansler [...], Augsburg und Dillingen: Johann Caspar Bencard, [Erster Band] 1697. ☰☰☰
Jemandem den Spiegel vorhalten = zeigen, wer er wirklich ist. (Katoptrisch ist es nicht möglich, dass der Spiegel etwas anderes zeigt; hier steht im Hintergrund die Vorstellung, dass der Spiegel wahrheitsgemäß abbildet, was dann metaphorisch verwendet wird.)
Die Geuchmat zu straff allen wybschen mannen […] eyner frummen Gemeyn der löblichen Stadt Basel in freyden zu einer letz beschriben und verlassen, Basel: Adam Petri 1519.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00025698/image_84
Thomas Murner O.F.M. (1475–1537) zeigt in dieser Satire Vorbilder unbelehrbarer Liebesnarrheit. Alle vorgestellten Männer leugnen, Toren zu sein, und werden so von den Frauen ausgebeutet. (Das Wort letz im Buchtitel mag bedeuten: Lection, aber auch Schutzwehr.)
Im Spiegel sieht sich der Mann als Kuckuck (mittelhochdeutsch gouch, übertragen: Tor, Narr). Textausschnitt:
Den gouch im spiegel sehen
Jederman ein gouch sich syn leuckt [leugnet]
Biß das sy [die verführerische Angebetete] es jm im spiegel zeugt
Sobald er dann sicht synes glich
Dann leugkt er nüm [nicht mehr] so heffteglich
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Kleiner Exkurs zur Rezeption:
Virgil Solis (1514–1562), der die Neuauflage der »Gäuchmatt« 1556 illustrierte, ließ sich wohl von einem Bild des Typs (ver-)leiten: Die Frau schaut in den Spiegel, erkennt darin ihr wahres Gesicht, nämlich das eines Narren oder des Teufels oder des Todes, und dreht sich nach ihm um. Vgl. hier. Möglicherweise wurde er beeinflusst durch die Nennung von Delila bei Murner: Dalida zeigt den spiegel auch/ Samsoni jrem grossen gouch – wobei in der biblischen Geschichte (Richter 16,4–22) davon so nichts steht; es sei denn, man interpretiere kräftig.
Die Gaeuchmatt Darinn all weibische Mannßbilde fein hoeflich gestrafft vnd wie sie sich bessern sollen auffs trewest vnterrichtet werden die sich selbs vberreden wenn sie nůr ein Jungfraw oder Weib ansihet sie sey jnen schon hold vnd woelle jhr Bůl sein. Durch den Hochgelerten Herrn D. Thoman Murner anfaenglichs beschriben vnd jetzt widerumb ... getruckt. Frankfurt/Main: Sigmund Feyerabend / Simon Hutter 1565; S. 41 verso.
> https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN835134229
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Aegidius Albertinus (1560–1620) war ein produktiver Erbauungsschriftsteller der Gegenreformation. In seinem Traktat »Hirnschleifer« (Erstausgabe 1618) schreibt er 55 Kapitel, die jeweils – ähnlich wie in der zeitgenössischen Emblematik – ein Bild und einen Text enthalten – immer überschwänglich moralisierend und mahnend und den Sittenverfall tadelnd.
Zum Thema der Selbsterkenntnis zeigt er einen prächtig gekleideten und stolz posierenden Mann, der in einen Spiegel schaut, wobei als Spiegelbild ein Narr mit Schellenkappe zurückblickt. Dazu schreibt er unter anderem:
Es kan der Spiegel ein Rathgeber der Schönheit genennet werden/ dann er rathet den närrischen Weibern vnd Männern/ wie sie ihr Angesicht zieren/ anstreichen/ schmücken/ vnd ihre Haar vnd Bärth butzen sollen. Solches aber ist nie allein ein Mißbrauch/ sondern ein Hoffart vnnd Sünd/ dann keiner andern Vrsachen halben seynd die Spiegel erdacht vnd erfunden worden/ als damit der Mensch sich selbst sehen vnd erkennen möchte.
Wirst du dein Schönheit besuchen [aufspüren], so wirst du ohne Sünd bleiben: wofern du dich selbst in einem Spiegel beschawest/ so wirst du dich niemaln versündigen. Die Alten mahlten die Fürsichtigkeit in der Gestalt eines weisen Mannes/ der sich in einem Spiegel beschawte/ dann deß Spiegels Art und Eigenschafft ist/ daß er den Menschen sein leibliche natürliche Gestalt/ Schönheit/ Mängel und Gebrechen zeiget. (S.68)
Aus: Aegidii Albertini Hirnschleiffer, Cöllen: bey Constantino Münich 1664; S.66ff.
Hinweis: Referat von Katharina Mertens Fleury hier als PDF
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Holzschnitt von Robert Wyss (1925–2004) auf einem Abreißkalender zum April 2003.
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Wenn ich mich im Spiegel betrachte, ist mein Kopf oben, ok. Aber wenn ich die rechte Hand bewege, bewegt mein Spiegelbild die linke, und einen vor den Spiegel gehaltenen Text kann nur jemand mit einer Schriftsetzerausbildung lesen.
Georg Philipp Harsdörffer beschreibt diese Ein-Sicht so:
… und beweiset der Spiegel […] auch seine Macht/ daß er alles umwendet; was zur Rechten ist/ weiset er zur Linken/ das zur Linken/ zur Rechten/ ja was wir für ungezweifelt gewiß achten/ wiederleget er mit seinem Silbergrund …
Harsdörffer, Frauenzimmer=Gesprächspiele,Vierter Theil Nürnberg 1644, CLXXXIV = S. 326–339.
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Der Zwerg steht auf Stelzen und versucht zudem noch, sich eine artifizielle Größe zu geben, indem er sich in einem Zerrspiegel beschaut. QUID SI SIC? Wie wäre es, wenn ich eine Elle größer wäre? Ach weh! Keine Kunst besiegt die angeborene Anlage der Natur.
Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611; I,22
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Illustration von Grandville (1803–1847): Se regardant dans la glace, il se trouve joli garçon.
Grandville geißelt in seinen satirischen Darstellungen die Unzulänglichkeiten und Torheiten der Menschen. Dazu charakterisiert er Menschentypen mittels aufgesetzten Tierköpfen.
Wir sehen den sich im Spiegel Betrachtenden – ein Insekt, während dieser im Spiegel die (beschönigende) Vorstellung sieht, die er sich von sich selbst macht, wovon wir merkwürdigerweise auch Zeugen sind. — Man beachte die Stickereien von Pfauen auf dem Polster des Sessels!
Der Dandy trägt einen top-modischen ›Frac à l’anglaise‹ – dieser Anzug entwickelte sich aus dem englischen Reitrock: eng tailliert, vorne weit geöffnet; zurückgeklappte Schoßteile damit man bequem im Sattel sitzt. Das hat Grandville genial in die Gestalt des Käfers übersetzt.
Bild aus der Wiener Theaterzeitung 1831.
Das Bild stand in der Erstausgabe (1842) im Text von Pierre-Jules Hetzel (1814–1886) »Les Aventures d'un papillon«; in der Ausgabe von 1867 steht es im neu hinzugekommenen Text »Les Contradictions d'une levrette« von Gustave Droz. Das Bild scheint keinen präzisen Bezug zu einem bestimmten Text zu haben.
Scènes De La Vie Privée Et Publique Des Animaux. Études De Mœurs Contemporaines, Publiées Sous La Direction De M. P.-J. Stahl, […], Vignettes par Grandville, Paris: J. Hetzel et Paulin, Éditeurs 1842.
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Francisco de Goya (1746–1828) hat in Zeichnungen die vier Temperamente so dargestellt: Jeder Typ beschaut sich in einem Spiegel, und wir Betrachter sehen das seinem Temperament entsprechende Tier im Spiegelbild; der Choleriker als Raubkatze:
Abb. in: D.B. Wyndham Lewis, De wereld van Goya, Amsterdam 1968.
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Pierre Le Moyne S.J. (1602–1671): Der Spiegel hat selbst keine Gestalt (figure) und zeigt eben deshalb zuverlässig alle Gestalten, nämlich die derjenigen, die hineinschauen: je suis de toute & de nulle figure. — Das Motto Cuique suum reddit. geht zurück auf Cicero, »de officiis« I, v, 15: einem jeden das Seine zuteilen als ein Prinzip der Ethik.
De L'Art Des Devises. Par le P. Le Moyne de la Compagnie de Iesvs. Avec Divers Recveils de Devises du mesme Autheur, Paris: Chez Sebastien Cramoisy / Mabre-Cramoisy 1666.
> http://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:gbv:8:2-1338142
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Der Spiegel wird darumb nicht dunckeler, wann schon ein Schmutzkolb drein sieht.
Johann Fischart (1546/1547–1591), »Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung« (1575); [Widmung] An alle Klugkröpffige Nebelverkappte NebelNebuloner […] http://www.zeno.org/nid/20004755243
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Swenne daz antlite geworfen wirt vür den spiegel, so muoz daz antlite dar inne verbildet werden, ez welle oder enwelle.
Meister Eckhart (≈1260 – ≈1328), Predigt 16b (hg. J.Quint, Deutsche Werke I,266)
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Rätselhaft ist der Name des Titelhelden Eulenspiegel.
Ältestes ± erhaltenes Exemplar: Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel geboren vß dem land zu Brunßwick/ wie er sein Leben vollbracht hatt, Straßburg: Grieninger 1515. > https://de.wikisource.org/wiki/Eulenspiegelbuch
••• Eule und Spiegel werden vom Protagonisten emporgehalten auf dem Titelbild, sie sind aber auch auf seinem Grabstein abgebildet (96. Histori); hier im Druck Straßburg: Grieninger 1519:
Der Namen des Titelhelden wird im Text nirgends erklärt. Er hat seit eh und je Interpretationen generiert.
••• Das Buch als Spiegel (häufiger Buchtitel moralischer Werke), der dem Leser vorgehalten wird, in dem er sich als Eule erkennt? Niederdeutsch ūle kann ›Dummkopf, Tölpel, homo stolidus et improbus‹ bedeuten (mittelniederdt. Wörterbuch).
••• Der Illustrator einer französischen Ausgabe 1702 sieht es so, dass der Narr dem Leser den Spiegel vorhält, mit der Inschrift Ridendo dicere verum (›lachend die Wahrheit sagen‹, nach Horaz, Satiren 1,1,24), so dass dieser sagen muss: ›Wenn ich mich genau betrachte, bin ich ja eine Eule (eben ein Dummkopf), und nicht, was ich mir vorgestellt habe‹.
Histoire de la vie de Tiel Wlespiegle, Contenant ses faits et finesses, ses aventures, et les grandes fortunes qu'ila euës, Amsterdam: Chevalier 1702.
>
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10107913_00005.html
••• Intressant ist die Deutung, die Johann Fischart (1545/6 – 1590) ihm in den Vorreden zu seinem versifizierten »Dyl Vlenspiegel« angedeihen ließ:
Eulenspiegel Reimensweiß. Ein newe Beschreibung unnd Legendt deß kurtzweiligen Lebens/ und seltsmen Thaten Thyll Eulenspiegels/ mit schönen neuwen Figuren bezieret/ vnd nu zum ersten in artige Reimen durch J. F. G. M. [≈ Johann Fischart, genannt Menzer] gebracht/ nutzlich vnd lustig zu lesen. … Getruckt zu Franckfurt [Johannes Schmidt 1572].
> https://archive.org/details/bub_gb_XyJLAAAAcAAJ
Moderne Ausgabe hg. Adolf Hauffen, Stuttgart [1893]; vgl. hier das Vorwort und die Anmerkungen zum Text.
Der Eulenspiegel/ zum Leser.
Nun hab ich guter Eulenspiegel
Bekommen auch Poetisch flügel/
Wie Pegasus/ welchs war ein pferd:
Souiel ist auch mein Esel wehrt/
Und gzimpt sich jm viel baß der pflug
Dann einem gaul/ so ghört zum zug/
Oder eim Ochsen in dem pflug:
Das macht mein Eulenspieglisch trug:
Durch kunst fliegt dannocht Daedalus
Da ein Roß bleibt Bucephalus/ *
So wag ichs nun ich Eulenspiegel.
Flieg zu/ Esel on zaum vnd ziegel [Zügel]
Durch alle Land vnd werd bekannt
All Leuten in eim jeden stand/
Und nicht allein dem Volck von künsten
Sonder den Layen vnd den minsten:
Dann weil ich seltzam heiß vnd reyt
Hat mir mir jederman sein freud.
[…]
*) Bukephalos – das Streitpferd Alexanders des Großen – musste trotz seiner Kraft und Schönheit auf der Erde bleiben; Daedalus dagegen flog mittels seiner kunstfertig hergestellten Flügel durch die Lüfte.
Die drei Prologe sind gespickt mit Anspielungen auf die antike Mythologie. Die Eule erinnert an die Göttin Minerva, der klugheit Patronin; der Spiegelschild an denjenigen, mit dessen Hilfe Perseus Medusa umbrachte, aus deren Blut das geflügelte Pferd Pegasus entstand, das als Sinnbild der Dichtkunst gilt. Usw.
Auf der Titelseite erscheint unten gleichsam als Buchdruckermarke ein eine Eule und einen Spiegel in Händen tragender Reiter auf einem geflügelten Esel in der Luft:
Angespielt wird
- einerseits auf das Titelbild der Ausgabe von Dyl Vlenspiegel, Straßburg: Grieninger 1515, wo ein Reiter auf einem Pferd sitzt und eine Eule und einen Spiegel emporhält:
- anderseits auf Druckermarken, die den Pegasus enthalten, wie zum Beispiel:
Lettere volgari di mons. Paolo Giouio da Como vescovo di Nocera. Raccolte per messer Lodouico Domenichi, In Venetia appresso Giovan Battista et Marchion Sessa F. 1560.
Andreas Wechel[us] († 1581; tätig in Paris 1554–1573 und in Frankfurt 1573–1581) verwendet den Pegasus ebenfalls auf seiner Druckermarke.
- der Reiter mit dem Schild auf Fischarts Titelbild gleicht Perseus, der Andromeda befreit, indem er mit dem auf dem Schild angebrachten Medusenhaupt* den sie bedrohenden Drachen tötet (Ovid, Metamorphosen IV, 663–764).
*) Es scheint sich um eine Kontamination zu handeln: der Schild, den Perseus für die Enthautpung der Medusa verwendet, damit sie ihn mit ihrem direkten Blick nicht versteinern kann / der Schild der Athene/Minerva, die das abgeschlagene Haupt dann auf ihrem Schild trägt.
Bild unten. Links: Perseus mit dem abgeschlagen Haupt der Medusa; hinten entsteht aus deren Blut Pegasus; rechts Perseus befreit Andromeda mit dem Spiegelschild vom Drachen:
Metamorphoseon libri XV. Raphaelis Regii Volaterrani luculentissima explanatio, cum nouis Iacobi Micylli... additionibus. Venedig: J.Gryphius 1565. — (Kopie aus der Ausgabe Parma: Mazali 1505.)
Fischart setzt sich indessen von dieser Vorstellung des Spiegels ab. Er will dem Publikum nicht einen tötenden Spiegel vorhalten. Er will,
Daß sich die schälck darin besehen
Und jhr Eulengsicht darinn verschmehen
Und bessern sich als dann darnach.
[…]
Dann durch spott vnd ergetzlichkeit
Bringt man zur Weißheit offt die leut.
Drumb reyt ich auff dem Esel her/
Daß ich kein grossen ernst beger/
Biet jedem schalck zu seinem trutz
Den Spiegel/ daß er sich drin mutz [schmücke].
In der Prosavorrede: dieweil sich die Hochprächtische Welt gern im Pfauwenspiegel zu spiegeln pfeget/ hat man jren ein dunckeln Eulenspiegel müssen für die Nasen halten/ daß sie beschauwen möchte/ was sie für ein Thier vnd Schleyereul/ […] seye.
••• Ernst Jeep, in: Mittheilungen des Deutschen Sprachvereins 6, 1895, 111ff. hatte die Idee, den Namen aufzulösen als niederdeutsch Ul’n spegel (Imperativ zu ulen = fegen, putzen und Spiegel wie in der Jägersprache: der Hintern der Hirschartigen). Damit würde dem Bild, das als satirischer Buchtitel aufgefasst werden könnte, eine andere Deutung unterschoben – Doppeldeutigkeiten und skatologische Scherze durchziehn ja den Text.
••• Vielleicht ist es auch ganz anders. Der Verfasser setzt seinen wirklichen Familien-Namen auf den Titel. Aber er nimmt es in Kauf oder er regt die Leser sogar an, zu deuten; und diese (bis zu den modernen Germanisten) fallen darauf herein, weil sie Vorstellungen von Spiegeln und Narren und die Vorstellung, damals seien Wörter gerne gescheit etymologisiert worden, daran herantragen. Und Eulenspiegel lacht uns deswegen alle heimlich aus. (Danke, Alex Sch. für die Idee!)
Erasmus schreibt Thomas Morus am 9. Juni 1511 einen Brief, in dem er erklärt, wie er auf die Idee kam, das »Lob der Torheit« (lat./griech. Titel: Morias Enkomion .i. Stulticiæ Laus) zu schreiben: »Zunächst ermunterte mich Dein Geschlechtsname Morus, der kommt dem Wort Moria [Narrheit] so nahe, als Du ihr sachlich fernstehst […]«.
1515 erscheinen die Dunkelmännerbriefe, worin es ein Kapitel gibt, in der sich diese Verfasser darüber lustig machen, dass die zeitgenöss. Intelligenz alle Texte "über-deutet" (vgl. https://www.uzh.ch/ds/wiki/Allegorieseminar/index.php?n=Main.Allegoriekritik)
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Spiegel als Buchtitel
H.Grabes (1973) unterscheidet vier Typen von Buchtiteln, die das Wort Speculum o.ä. enthalten:
(1) Der Spiegel bildet ab, was ist; faktisches Spiegelbild; verwendet in Enzyklopädien: Vinzenz von Beauvais (vor 1200 – 1264): »Speculum majus« – Gossuin de Metz, O.F.M. (1246), »Le Mirouer du monde«, übersetzt von William Caxton als »Mirror of the World« (1481) und viele andere. Diese Verwendung ist leicht verständlich: die ganze Welt ist in der Enzyklopädie wie in einem Hohlspiegel enthalten.
Dazu zu stellen sind auch moralische Texte, zum Beispiel:
Ägeidius Abertinus übersetzt eine Passage aus Petrus Berchorius († nach 1361) »Reductorium morale«:
Wie der Papagey sich gern im Spigel beschawet vnd erlustiget/ aber wann man ihm den Spigel nimpt/ anfahet zutrawren vnd sich zubetrüben/ Also pflegen die gerechte Menner sich zufrewen/ wann sie sich im Spigel der Heiligen Schrifft beschawen/ vnd jhre eigne mengel vnd gebrechen sehen mögen/hergegen trawren vnd betrüben sie sich/ wann man jhnen disen Spigel der Heiligen Schrifft nimpt:
Kein solche meinung aber hats mit den vnuollkommnen Menschen/ vnnd mit den eiteln Jünckerlein vnd zarten Frawlein/ dann dieselbigen beschawen sich gleichwol selten in dem klaren Spigel der Heiligen Schrifft/ aber in den vnlautern eiteln gläsernen Venedischen Spigeln beschawen sie sich alle morgen gantz fleissig hinden vand vorn/ vnden vnd oben/ nicht zwar nur ein wenig/ sonder ein zwo/ ja drey stundt lang/ dann gar gern wehrets so lang/ biß sie sich anlegen/ auffsetzen/ zieren/ schmücken/ putzen/ mutzen vnd anstreichen. Von solchen Spigels narren vnd schmuckweibern aber spricht jener: Si vir vel mulier se ornauerit & vultus hominum ad se procurauerit etiamsi nullum inde sequatur malum, judicium tamen meretur æternum.* Vnd Innocentius** spricht: Quid vanius quam crines pectere, cæsariem tingere faciem vngere genas producere vana gratia est pulchritudo & omnis caro foenum.
*) aus Robert de Sorbon (1201–1274), De Conscientia
**) Lotario di Segni, Papst Innozenz III (1160/61–1216), De miseria condicionis humanae
Der Welt Tummel= und Schaw-Platz. Sampt der bitter=süssen Warheit. Darinn mit einführung viler schöner und fürtrefflicher Discurscen, nit allein die Natürliche, sondern auch Moralische und sittliche Eigenschafften und Geheimnussen der fürnemsten Creatuen und Geschöpf sehr lustig, Geist= und Politischer Weiß erklärt, und auf die Weltläuf gezogen werden... Durch Aegidivm Albertinvm, Bayrischen Secretarium colligiert. Getruckt zu München, bey Nicolao Henrico MDCXIII, S. 519
Valentin Boltz (gest. 1560) verfasste eine drastische Lastersatire: »Der Weltspiegel«, die am 11./12.5.1550 in Basel theatralisch aufgeführt wurde.
Boltz schreibt im Vorwort, dass die Sitten allenthalben zerrüttet seien, deshalb: Hab ich der Welt art / wesen vnnd eigentschafft / vffs kürtzst in ein Spiegel gstelt / dorinn sich menglich erfinden vnd bschawen mög.
Ausgabe von Friederike Christ-Kutter / Klaus Jaeger / Hellmut Thomke, Zürich: Chronos, 2013 (Schweizer Texte, Neue Folge, Bd. 37)
(2) Der Spiegel zeigt etwas, was sein sollte; exemplarisches Spiegelbild; verwendet in der Moraldidaxe, oft für Exempelsammlungen: »Speculum virginum«, Miroir des simples âmes, Fürstenspiegel, Sündenspiegel, Gewissensspiegel, u.a. — Dazu unten gleich mehr • • • •
(3) Der Spiegel zeigt, was sein wird; prognostisches Spiegelbild (in der astrologischen Literatur)
(4) Der Spiegel zeigt, was in der Phantasie des Dichters existiert; phantastisches Spiegelbild.
Ergänzungen:
• Typ (2) – exemplarisches Spiegelbild – enthält katoptrisch zunächst dasselbe Problem: Wir gehen davon aus, dass der Spiegel ein Imitat ist, eine Re-produktion, ein Original ab-bildet und nicht ein Vor-Bild sein kann. Aber lateinisch speculor bedeutet (und ist etymologisch verwandt mit) spähen, auskundschaften, in Augenschein nehmen; speculum und mittelhochdeutsch bilde wird auch verwendet im Sinne von Vorbild, Beispiel, Gleichnis. (Das Wort Vorbild scheint erst im 16.Jh. aufzukommen.)
Textbeispiele:
• Cicero, »de re publica« (Text erst 1820 wieder entdeckt), II, xlii, 69: Der Tugendhafte ruft die anderen auf zur Nachahmung seiner selbst, indem er sich durch den Glanz seiner Seele und seines Lebenswandels seinen Mitbürgern wie einen Spiegel hinhält: ut ad imitationem sui vocet alios, ut sese splendore animi et vitae suae sicut speculum praebeat civibus.
• Annolied (vor 1100), Strophe 34:
Den vili tiurlichin man Müge wir nu ci bispili havin,
Den als ein spiegil anesin Die tugint unti warheiti wollen plegin.
≈ Diesen vortrefflichen Mann (Erzbischof Anno II., um 1010–1075) sollen wir zum Exempel, Vorbild nehmen; diejenigen, die sich für Tugend und Wahrheit verpflichten, mögen ihn als einen Spiegel ansehn.
• Heinrich der Glîchezâre, Reineke Fuchs, Beginn:
nu vernement fremdiu mære,
die sint vil gewære,
von einem tiere wilde,
dâ man bî mac bilde
nemen umbe manegiu dinc.
• Freidank »Bescheidenhei«t« 69,21ff. (Grimm/Bezzenberger)
Die uns guot bilde solten geben,
die velschent gnuoge ir selber leben;
die höhsten tragent uns lêre vor,
die manegen leitent in daz hor [Kot, Schmutz]
• »Winsbeke« (Lehrgedicht um 1200) 60,3:
Vater, wîsem manne schône zimt
daz er tuo mit stæten siten.
dâ bî ein tumber bilde nimet,
daz lîhte würde sus vermiten.
• Thomasin von Zirclære, »Der wälsche Gast« (Lehrgedicht, 1.Drittel des 13.Jhs.) Vers 620: wan die frumen liute sint und suln sîn spiegel dem kint.
und Verse 791ff.: swer nien mac nemen bilde guot
dâ von der siht daz man tuot
der gedenke waz man tuon sol
und neme dâ von bilde wol.
• In der Reim-Vorrede zum »Sachsenspiegel« (vor ca. 1230) heißt es: »Spegel der Sassen« scal dit buk sin genant, went [weil] Sassen recht is hir an bekant, alse an enem spegele de vrowen er antlite scowen. Hier wird die Metapher anders gedeutet, nämlich in dem Sinne, dass der Inhalt des Buches (die Rechtsregeln) bekannt werden soll, wo wie das Antlitz in einem Spiegel.
Maria wird in der geistlichen Literatur oft als Spiegel bezeichnet: aller megde ein spiegelglas u.ä., wobei auch die Fleckenlosigkeit von Bedeutung ist. Vgl. Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters, mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie, (1886–1894); Nachdruck: Darmstadt: wbg 1967, S. 337ff.
Hier ein Beispiel aus der geistlichen Literatur (Hinweis bei Grabes 1973, Abb. 8): Jan David (1545–1613):
Die beiden in den ›Spiegel‹ Blickenden sehen darin gleichsam als Spiegelbilder ihre Vorbilder.
A Speculum exemplare [der zum Beispiel dienende Spiegel]
B.C. Duo luminaria [zwei Leuchten] magna, Iesus et Maria, vt sol et luna
D.E. Exemplaria virtutum contemplantes [die die Tugendvorbilder Christus und Maria Betrachtenden]
In der Landschaft hinten stehen als weitere Vorbilder
E, F der Hl. Franziskus und G der Hl. Martin
H Ein Elefant, gemäß der Bibelstelle 1.Makkabäer 6,34, wo man den Elefanten roten Wein und Maulbeersaft (sangiunem uvae et mori) vorhält, um sie zum Kampf anzureizen – was immer das mit Exempla und Spiegeln zu tun hat :–)
I, K bezieht sich auf: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben (Matth.10,16)
Dvodecim specula Deum aliquando videre desideranti concinnata. Auctore P. Joanne David,...ex officina Plantiniana apud J. Moretum, Antverpiae 1610.
> https://mdz-nbn-resolving.de/bsb00007223
> https://archive.org/stream/duodecimspeculad00da#page/126/mode/1up
• Typ (2): Vielleicht basiert die Vorstellung auf diesem psychologischen Moment: Die/Der in den vermeintlichen Spiegel Hineinschauende sieht dort ein Idealbild, das sie/er für ihr/sein eigentliches hält und wünscht: So möchte oder sollte ich aussehen. (Eine Verschiebung des grammatischen Modus: vom Indikativ zum Optativ.)
• Typ (2): Oder es wirkt ein abergläubisches Prinzip. Spiegel wurden oft als zauberkräftig angesehen, sie verkünden die Zukunft, sind heilkräftig, entdecken Lügen des in sie Blickenden usw. (vgl. den Artikel im HWB des Aberglaubens). Das Idealbild würde demnach magisch eine Veränderung des Hineinblickenden bewirken.
• (Typ 2) Nicht nur vorbildliche Exempla! Der Spiegel kann der Leserin / dem Leser auch zeigen, wer sie/er nach Meinung des Autors in Wirklichkeit ist; vgl. dazu den Abschnitt oben.
(Abraham a Sancta Clara, 1644–1709 zugeschrieben; sein Portrait auf dem Frontispiz) Narrinnen-spiegel, Vertoonende natuurelyk en figuurelyk den aardt, levenswyze, en gebreeken der gebrekkige vroutjes enz.[…] t' Amsterdam, by de Janssoons van Waesberge, 1718.
> https://archive.org/details/narrinnenspiegel01abra/page/n5/mode/2up
Vgl. zum Thema auch: Einar Már Jonsson (1990).
• Typ (4): Nach Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) vermögen Gleichnisse wie Spiegel das Gemeinte abbilden. Er unterscheidet Gleichnisse, welche erklären, und solche, die beweisen.
Die Figur auf dem Brunnen der Kunstquellen mit zwei verschiedenen Spiegeln in den Händen wird so erklärt:
Vorrede ¶ 61. Die GleichnissBilder sind hier eines Theils der Brenn-Spiegel/ welcher vermittelst der Sonnenstrahlen anzündet/ anders Theils der flache Spiegel/ welcher das Gegenbild augenscheinlich vorweiset.
Ars Apophthegmatica, Das ist: Kunstquellen denkwürdiger Lehrsprüche und ergötzlicher Hofreden; Wie solche nachsinnig zu suchen/ erfreulich zu finden/ anständig zugebrauchen und schicklich zu beantworten: in Drey Tausend Exempeln/ ... durch Quirnum Pegeum, Nürnberg: Endter 1655.
Hier wählt er als Beispiel seltsamerweise die Geschichte von Narziss:
Wie in diesen Flutkrÿstallen,
scheint Narcissus abgemahlt:
Also pfleget zu gefallen,
was im gleichniß gegenstralt.
Artis Apophthegmaticae Continuatio. Fortgeleite Kunstquellen, Denckwürdiger Lehrsprüche und Erfreulicher Hofreden: Wie solche sinnreich zu untersuchen, behäglich zu erfinden, anständig zu ergründen und schicklichst zu beantworten […] vermehret durch Quirinum Pegeum, Nürnberg: Endter 1656.
>
https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10576653?page=47
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Neidisch auf den Spiegel, der die Geliebte sieht
Paul Fleming (1609–1640)
Paul Flemmings teutsche Poemata, Lübeck: Jauch, [1646], S. 638f.
Der Sonetten Drittes Buch, LJX.
An Jhren Spiegel.
O Du drey-viermahl mehr glückseeliger/ als ich!
Der du der Liebsten Glantz in deinem Auge trägest/
und selbst zu lieben sich das schöne Kind bewegest/
daher sie nur wird stoltz/ sieht weit hin über mich/
Giebt ihre Gunst ihr selbst/ und achtet mehr auff dich/
Jn dem du bist bemüht/ und höchsten Fleiß anlegest/
daß du dich/ wie sie sich/ an allen Gliedern regest/
durch dich schaut sie sich an/ und redet selbst mit sich.
Du rechtes Freuden-werck von früh an biß zu Nachte/
wie mach’ ichs/ daß ich sie doch einmahl so betrachte/
als wie du allzeit thust? so meyn’ ich kan es gehn/
Versuch es einen Tag/ und gönne mir dein Glücke.
Und daß ich wieder gleich in ihre Blicke blicke/
so laß diß Auge hier an deine stelle stehn.
> http://deutschestextarchiv.de/book/view/fleming_poemata_1642?p=658
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Spiegel im Aberglauben:
• Von Salomon Landolt (1741–1818), Gotfried Kellers »Landvogt von Greifensee«, weiß sein Biograph zu berichten:
Bey den Verhören, vorzüglich wenn noch nicht hinlängliche Beweise gegen die eines schlechten Streiches Verdächtigten vorhanden waren, pflegte Landolt sich gegen einen großen, im Audienzzimmer angebrachten Spiegel zu wenden, und jene in dieser Stellung zur Rede zu setzen. Dieses sonderbare Verfahren veranlaßte unter dem Volk die Sage, der gerechte Landvogt erblicke in dem reinen Glase des Spiegels jedes Verbrechen der Menschen und alles was in ihrem Innern vorgehe. Viele Leute, die kein gutes Gewissen hatten und von ihm verhört wurden, erschraken, wenn er sich bloß zufällig gegen den Spiegel wendete, und gestanden ohne fernere Ausflüchte weit mehr ls er zu wissen verlangte.
David Hess, Salomon Landolt. Ein Charakterbild nach dem Leben ausgemalt, Zürich: Orell Füssli 1820, S. 230f .
• In verschiedenen Quellen wird gesagt, dass in dem Zimmer, in dem eine Leiche liegt, sofort nach dem Tode der Spiegel verhängt werden müsse, damit die Leiche nicht durch Abspiegelung sich verdoppelt, d.h. jemand weiterer im Hause stirbt. (vgl. HWB des Aberglaubens, Sp.567f.)
• Goethe, »Faust I«, Verse 2429ff.
Faust, welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat.
Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
Das schönste Bild von einem Weibe!
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ANIMI SPECVLVM
Du siehest allezeit dein äusserliches Bild/
Wenn du in Spiegel siehst. Ob aber einer wild/
Ob er sey fromm/ gescheid? Das weiset ein Glaß Wein.
Dieß muss ein rahrer/ doch nicht seltner Spiegel seyn.
(Die folgende Erinnerung auf Seite 20 führt das weiter aus.)
Johann Georg Schiebels Neu-erbauter Schausaal/ Darinnen vermittelst dreyhundert wol-ausgesonnener und künstlich-eingerichteter Sinn-Bilder/ auf eine gar sodnerbare/ und zu jedermans verhoffentlicher Vergnügung gedeyende Art/ der Laster; deß menschlichen Hertzens; frommer Christen; deß Göttlichen Trosts/ Scheusal/ Irrsal/ Drangsal/ Labsal/ durch Poetische Erläuterung aus geist- und weltlichen Schrifften […] vorgestellet werden, Nürnberg: Felßecker 1684. Emblem Nr. X.
>
http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11347942-7
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Nichts als optisches Phänomen denn als Sinnbild für Unbeflecktheit / Zerbrechlichkeit dient der Spiegel bei den beiden Bildern »Before — After« von William Hogarth (1697–1764):
In der Schublade links liegt ein Büchlein betitelt mit The Practice of Piety — am Boden aufgeklappt ist darin zu lesen: Omne Animal post Coitum triste.
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Exkurs zur Darstellungstechnik:
Man hat sich immer wieder gewundert – und fantastische Deutungen dazu gebastelt – dass die Spiegelbilder, die auf einem von Cupido der Venus vorgehaltenen Spiegel gemalt sind, perspektivisch so gar nicht möglich sind: So könnte sich Venus darin gar nicht sehen. Vgl. die Bilder von Rubens (ca. 1615/16) und (hier unten:) Velázquez (1647/1651); optisch korrekt dagegen Tizian (1555).
> https://en.wikipedia.org/wiki/Rokeby_Venus
Zu bedenken ist, ob diese Maler gar nicht katoptrisch exakt sein wollten, sondern uns Betrachtern gleichsam in einer anderen Bildsphäre zeigen möchten, was die Venus sieht: ihr Gesicht.
Diese Graphiker sind nicht einfach unbeholfen, und unterstellen auch keine tiefsinnige Symbolik:
Skulptur von Heinrich Heimlicher am Erker des Hauses zum Spiegel Schaffhausen (ca. 1645)
Auf der Homepage von Dieter Bitterli > http://www.emblemata.ch
Wird deßwegen das Bild der Vergnügung also gemahlet/ daß es sich selbsten im Spiegel beschaut/ und also siehet und empfindet/ wie es sowohl am Leib/ als am Gemüthe schön gezieret/ reich und wohl begabet sey…
Herrn Caesaris Ripa von Perusien, Ritters von St. Mauritio und Lazaro etc., Erneuerte Iconologia, oder, Bildersprach/ worinen allerhand anmuhtige Aussbildungen ... erkläret werden, Franckfurt/M.: Wilhelm Serlin 1670.
> http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-352553
In der Operette »Die schöne Galathée« (Aufnahme: Wien 1959 mit Renate Holm als Galathee und Rudolf Schock als Pygmalion) lässt der Regisseur (Hermann Janske) Galathee sich – während eines Rezitativs – im Spiegel anschaun und schön finden; das Kamera-Team und die Bildtechnik (Harald Vostrovsky) arrangieren das so, dass wir als Zuschauer das Portrait im Spiegel sehen, so wie die sich Betrachtende sich unmöglich selbst sehen kann.
Screenshot aus > https://www.youtube.com/watch?v=tLkH2tBeI4c
Hier indessen ist der Spiegel richtig gezeichnet. Der Putto hält ihn so, dass die Dame sich selbst portraitieren kann; wir Betrachtenden sehen ihr Gesicht nicht im Spiegel:
Domenico Corvi (1721–1803) 1764
> https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:Domenico_Corvi_-_Allegory_of_Painting_-_Walters_371011.jpg
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∆∆∆ Augenspiegel:
Das lat. Verb "speculari" meint: spähen, sich umsehen, auslugen, nach etwas umherspähen, etwas auskundschaften, belauern, beobachten, ins Auge fassen, in Augenschein nehmen (Vgl. Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch)
Die Brille heisst im älteren Deutsch "Augenspiegel":
Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm; Neubearbeitung Band 3, Sp. 903. Die guten klaren Augenspiegel deß inneren Verstands (Guaronius, Grewel der Verwüstung, 1610)
Schweizerdeutsches Idiotikon, Band 10, Spalten 65f. mit vielen Belegen aus Texten seit dem 15.Jh.; Was staat i dem Buech? Chas dummerwiis nöd läse, ha der Augespiegel diheim glaa.
Eine Frühe Darstellung auf dem Fresko in San Nicolo in Treviso von Tommaso di Modena (ca. 1326 – 1379):
(Bild < wikicommons)
Clebolus, einer der Sieben Weisen, verfügt über einen Augenspiegel; aus der Schedelschen Weltchronik (1493) Fol. LIX verso:
Freilich auch der Teufel verwendet einen: Jacobus de Teramo, Litigatio Christi cum Belial (1461), Bayerische Staatsbibliothek Cgm 48, Fol. 132r:
> https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb00089714?page=270,271
Johannes Reuchlin (1455–1522) betitelte 1511 sein Gutachten gegen den Judenhasser Pfefferkorn mit »Augenspiegel«:
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Vor 1705 publiziert Johann Christoph Weigel (1661–1726) ein Bilderbuch mit 66 Bildern von Narren: Ein Schock Phantastn in einem Kasten mit ihrem Pourtrait gar net in Kupffer gebracht und ausgelacht, samt einer Vorred, Nürnberg: Weigel [o.J.]. – Das letzte (je nach Buchbinder) Bild ist leer – oder eben ein Spiegel für die Lesenden:
Gar kein-Narr
Geneigter Leser; hier steht Offen
Ein Stell für dem, der nicht getroffen,
Wo sich derselbe, ohne schmieren [schminken, schmeicheln, bestechen?]
Kan gleich hieher noch ein rangieren.
Dann wer sich dünckt stehts klug zu seyn,
Komt ohnversehns auch herein.
Digitalisat > https://archive.org/details/einschockphantas00weig
In der 1713 erschienenen »Mala Gallina« (siehe oben) lautet die Überschrift des ebenfalls leeren Rahmens (Bild 100): Gar kein Närrin
Villeicht meint manche, daß sie sey
Von disen Närrin Buch gantz frey,
Die dencke aber, daß noch hier
Ein Ort ist, vor [für] ein närrisch Thier.
Drum ehe sie weiter gehen will,
Setz sie sich nieder in der still.
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Skulptur am Rathaus in Nördlingen. (Aufnahme R. Günthart)
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Was der Spiegel uns verspricht,
Eben das gewährt er nicht.
Reines Abbild und genau,
Doch in Wahrheit bloße Schau.
Ohne Mühe wird vermehrt,
Was doch gleichwohl grundverkehrt.
Jeder Schwindel scheint beflügelt,
Kriegt man ihn erst vorgespiegelt.
Andreas Hebestreit (2.8.2019)
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Kompilation von P.Michel (c/o Ges. f. Symbolforschung) 2018/19/21/23
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Einige Literaturhinweise (chronologisch) Wihelm Wackernagel, Über den Spiegel im Mittelalter, in: Kleinere Schriften, Bd. 1, Leipzig 1872, S. 128–142.
Ludwig Bieler, Artikel »Spiegel«, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 11 (1942), Sp. 547–577.
Hans Leisegang (1890–1951), Die Erkenntnis Gottes im Spiegel der Seele und der Natur, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 4 (1949), S. 161–183.
Gustav F. Hartlaub, Zauber des Spiegels. Geschichte und Bedeutung des Spiegels in der Kunst, München: Piper 1951.
Herbert Bröcker, Das Bild des Spiegels in der philosophischen Spekulation. Ein Beitrag zur Grundlegung der Bildungstheorie, in: Wahrheit und Wert in Bildung und Erziehung, hg. Theodor Rutt, 3. Folge (Georg Raederscheidt zum achtzigsten Geburtstag) Ratingen: Henn 1962, S. 39–65.
Herbert Grabes, Speculum, Mirror und Looking-Glass. Kontinuität und Originalität der Spiegelmetapher in den Buchtiteln des Mittelalters und der englischen Literatur des 13. bis 17.Jahrhunderts, Tübingen 1973. (406 Seiten; geht weit über das im Titel erwähnte Thema hinaus.)
Jurgis Baltrušaitis (1903–1988), Der Spiegel. Entdeckungen, Täuschungen, Phantasien. Giessen: Anabas, 1986 (2. Auflage 1996).
Einar Már Jonsson, Le sens du Titre ›Speculum‹ aux XIIe et XIIIe siècles et son utilisation par Vincent de Beauvais, in: Vincent de Beauvais: intentions et réceptions d’une œuvre encyclopédique au Moyen Age, ed. Monique Paulmier-Foucart et al., Montréal 1990, p. 11–32.
Joachim Schickel (1924–2002), Der Logos des Spiegels. Struktur und Sinn einer spekulativen Metapher [1987], hrsg. v. Hans Heinz Holz, Bielefeld: Transcript 2012.
Rolf Haubl, ›Unter lauter Spiegelbildern …‹ Zur Kulturgeschichte des Spiegels, Frankfurt a.M.: Nexus 1991.
Sabine Melchior-Bonnet, Histoire du miroir. Hachette, Editions Imago 1994. Régor R. Mougeot, Le miroir, symbole des symboles. Paris: Éditions Dervy 1995. Michael Egerding, Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik, 2 Bde., Paderborn: Schönigh 1997. Band II, Seite 530–537.
Burkhard Hasebrink, Spiegel und Spiegelung im ›Fließenden Licht der Gottheit‹. In: Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. … Kolloquium Kloster Fischingen 1998. Hg. von Walter Haug / Wolfram Schneider-Lastin, Tübingen 2000, S. 157–174.
Fabienne Pomel, Miroirs et jeux de miroirs dans la littérature médiévale, Rennes: Presses universitaires de Rennes 2003.
Kristina Kuhn, Artikel "Spiegel" in: Wörterbuch der philosophischen Metaphern, hg. von Ralf Konersmann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007 (3. Auflage 2011), S. 375–388.
Horst Wenzel, Spiegelungen. Zur Kultur der Visualität im Mittelalter, Berlin: Erich Schmidt 2009 (Philologische Studien und Quellen, Heft 216); besonders Kapitel 3 "Spiegel und Spiegelungen" S. 64–96.
Slavko Kacunko, Spiegel – Medium – Kunst. Zur Geschichte des Spiegels im Zeitalter des Bildes, Paderborn: Fink 2010.
Norbert Schneider (1945–2019), Abbild und Reflexion. Zum Motiv des Spiegels in der Malerei des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Institut für Kunstgeschichte am Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe 2013. [nicht eingesehen]
Alois Haas, Spiegel und Maske – Reflexionen, in: Erika Streit, Spiegelungen, Wald: DreiPunktVerlag 2015, S. 16–42 und 125–129 (Anmerkungen).
Spiegel. Der Mensch im Widerschein, hg. von Albert Lutz, Wienand-Verlag Köln 2019. [Katalog zur Ausstellung im Museum Rietberg]
Mehr zum Thema Emblematik.
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Das waren die Programme der Tagungen 2000 und 2001
Programm der 1. Tagung (1. Juni 2000)
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1. Juni 2000
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ab 9:45 Uhr |
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Begrüssung |
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10:15 Uhr |
Peter Seidmann (1925–2015) |
Spiegel und Grenze – Bericht über Symbol-Praxis in kulturhistorischer Perspektive |
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11:15 Uhr |
Alexander Schwarz |
Spiegelbruch – Ein Versuch, das Jahr 1500 im Jahr 2000 zu finden |
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14:30 Uhr |
Fabrizio Brentini
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Der Spiegel in der Malerei. Ausgesuchte Beispiele aus dem 15. bis 20. Jahrhundert
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15:30 Uhr
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Cornelia Rizek-Pfister, Paul Michel, Michael Egerding |
Ein spiegel âne vlecken, der in sich enphæhet den widerslac götlîches liechtes – (Panelgespräch über Texte aus der deutschen Mystik des Mittelalters) |
Programm der 2. Tagung (31. August / 1. September 2001):
(Zum Betrachten der Exposés auf die Namen klicken;
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Freitag, 31. August 2001 |
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09:15 Uhr |
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Begrüssung durch den Präsidenten der Gesellschaft |
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09:30 Uhr |
Cornelia Rizek |
Zauberspiegel in mittelalterlicher Literatur |
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10:30 Uhr |
Burkhard Hasebrink |
Ballspiele. Darstellbarkeit der Liebeseinheit im späthöfischen Erzählen |
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11:30 Uhr |
Romy Günthart |
"wiltu wissen warumb so vil narren seind, frag den spiegel". Johann Geiler von Kaysersberg reflektiert
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Mittagspause |
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14:30 Uhr |
Fritz Gutbrodt |
"Quam cernis, imaginis umbra est": Schatten und Spiegel. |
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15:30 Uhr |
Penny Paparunas |
Spiegelsymbolik in der viktorianischen Dichtung von Frauen |
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16:30 Uhr |
Max Nänny |
Funktionen der Figur des Chiasmus in der englischen und amerikanischen Literatur |
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Samstag, 1. September |
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9:30 Uhr |
Ursula Renz |
Lebendige Spiegel oder Spiegel des Lebendigen? Überlegungen zur Frage des Subjektverständnisses bei Nicolaus Cusanus |
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10:30 Uhr |
Philipp Michelus |
Das Subjekt der Aufklärung und die Tragik des Spiegelblicks. – Zu Horkheimer/Adornos zentraler These [Das Referat musste ausfallen.]
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11:30 Uhr |
Thomas Krumm |
Spiegelmetapher und konstruktivistische Erkenntnistheorie |
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Mittagspause |
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14:30 Uhr |
Heiri Mettler |
Wiederholte Spiegelung … und kein Ende?
(Von Goethe bis Mani Matter) |
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15:30 Uhr |
Franziska Krähenbühl |
Zum Spiegelbegriff in der Frühromantik und in der Dekonstruktion |
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16:30 Uhr |
Wolfgang Marx |
Spiegelbild und Ichkonzept oder Der Blick des Anderen |
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(Die mit ❒ gekennzeichneten Vorträge sind in Schriften zur Symbolforschung, Band 14 publiziert.)
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Exposés |
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Romy Günthart
"wiltu wissen warumb so vil narren seind / frag den spiegel." – Geiler von Kaysersberg reflektiert ❒
In den Jahren 1498/99 hielt Johann Geiler von Kaysersberg im Straßburger Münster einen Predigtzyklus über Sebastian Brants Buch "Das Narrenschiff", das vier Jahre zuvor mit grossem Erfolg erstmals gedruckt worden war. In der deutschsprachigen Fassung der Narrenschiffpredigten aus dem Jahre 1520, welche die primäre Textgrundlage dieses Beitrags bildet, werden der Predigtreihe über die einzelnen Kapitel des "Narrenschiffs" drei Homilien vorangestellt, die sich ausführlich damit auseinandersetzen, dass es sich beim Predigtanlass um einen volkssprachlichen, literarischen Text handelt, dessen Thema eine panoramaartige Präsentation aller erdenklicher Narren und Narrheiten darstellt. Für das Thema der Tagung besonders interessant ist die zweite dieser einleitenden Predigten, in der zum einen darüber gehandelt wird, dass und wie sich die literarische Vorlage in die Form einer Predigt umsetzen lässt. Zum andern wird Brants Buch, das vom Autor selber auch als "Narrenspiegel" bezeichnet wird, ebenso wie der geilersche Predigtzyklus, mit einem Spiegel verglichen, der dem Menschen seine Fehler aufzeigen und ihn damit zur Veränderung des makelhaften Zustandes führen soll. Johann Geiler von Kasersberg reflektiert in seinen Predigten Brants "Narrenschiff", reflektiert über diese Reflexion, entwickelt und benutzt den Spiegel als Metapher, die er auf verschiedenen Inhalts- und Reflexionsebenen neu und anderes gestaltet, immer mit dem einen Ziel, den Menschen zur Selbstreflexion und damit zur Erkenntnis seiner Fehler zu bewegen. Die verschiedenen Brechungen und Spiegelungen in den gedruckten "Narrenschiff-predigten" aufzuzeigen und zu interpretieren, soll Ziel dieses Beitrags sein
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Fritz Gutbrodt
"Quam cernis, imaginis umbra est": Schatten und Spiegel. ❒
Ovids Erzählung von Narziss erzählt auf den ersten Blick die Geschichte einer Spiegelung. Allerdings sind bei ihm Spiegelbild und Schatten nicht deutlich voneinander zu unterscheiden. "Ista repercussae, quam cernis, imaginis umbra est": "Was du siehst, ist nur Schatten, nur Spiegelbild." Plato hat in seinem Höhlengleichnis den Schatten und das Echo als erste und stärkste Formen der Täuschung vorgestellt, die sich dem Menschen auf seinem Weg zur Erkenntnis der Wirklichkeit in den Weg stellen. Sollten die Menschen aus der Höhle ans Tageslicht gelangen, so würden sie zunächst - wie Plato ausführt - die Schatten sehen können, dann die Spiegelbilder der Menschen und Dinge im Wasser und erst allmählich die Menschen und Dinge selbst. Ganz am Schluss - und kaum ist es zu denken - würden ihre Augen die Sonne und ihr unvermitteltes Licht aushalten. Platos Warnung der Blinden vor der Blendung hat eine Stufenleiter der visuellen Wahrnehmung vorgezeichnet, in der das Spiegelbild eine Mittelposition einnimmt zwischen dem leeren Nichts des Schattens und der vollen Präsenz der Dinge. Die Reflektion und die Reflexion sind seither - und besonders seit der Aufklärung - zur Herrschaftsmetaphern der Wissenschaft geworden. Zu "privileged representations", wie Richard Rorty sie in Philosophy and the Mirror of Nature nennt. Dagegen gilt es mit Victor Stoichita zu erinnern, dass die Kunst ihren Ursprung gemäss Plinius im Schattenriss hat. Gemäss einer späteren Erzählung soll ein Mädchen den Schatten ihres Geliebten auf einer Wand festgehalten haben. Nicht das Spiegelbild, sondern der Schatten würde somit den mythischen Ursprung der Kunst entworfen haben. Wie im Mythos von Echo und Narziss ist es eine Geschichte von Liebe und Entbehrung. Nach einer Einführung zur philosophischen Fragestellung wird der Vortrag sich mit der romantischen Phantasie des Doppelgängers auseinandersetzen, in der Spiegel und Schatten als Doppelgänger einer Präsenz ohne Substanz auftreten.
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Burkhard Hasebrink
BALLSPIELE. Darstellbarkeit der Liebeseinheit im späthöfischen Erzählen
In der Nachfolge des Tristanromans stellen auch die späthöfischen 'Aventiure- und Minneromane' die Einheit der Liebenden in den Mittelpunkt ihrer Minnekonstruktionen. Doch wie 'Einheit' stets ihr Gegenteil mitzuführen scheint, geht es auch in der Darstellung der Liebeseinheit um eine Relation. 'Spiegelung' wäre nur eine Metapher für diese Relation; und auch diese Metapher will in einem Roman erst einmal erzählerisch umgesetzt sein. Ob man dabei auf eine 'Substanz' stößt, wird sich finden; sicher aber auf Formen der Textorganisation, die 'Liebeseinheit' nicht nur darstellen, sondern deren immanente Dynamik performativ umsetzen. Nicht zuletzt wäre zu überlegen, ob man dabei nicht Fragen (und Formeln) begegnet, wie sie außerhalb geistlicher unio-Modelle kaum erwartet worden wären.
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Franziska Krähenbühl
Präsenz ohne Substanz? Eine Untersuchung des Spiegelsymbols in der Frühromantik unter Bezugnahme auf Jacques Derridas différance. ❒
In den Fichte-Studien von 1795/96 entwickelt Novalis die sogenannte Ordo-inversus-Lehre, wobei er sich auf die ursprüngliche Wortbedeutung von "Reflexion" besinnt. Diese bedeutet Spiegelung, d. h. Zurückwerfen von Licht und anderen Wellen an einer Körperoberfläche. Der Spiegel wird in der Frühromantik zu einem Schlüsselbegriff, da er ein Symbol für die intellektuelle Selbstbetrachtung, welche Friedrich Schlegel im 238. Athenäumsfragment "schöne Selbstbespiegelung" nennt, darstellt.
Die Spiegelung teilt zwei wesentliche Eigenschaften mit dem selbstreflexiven Denken. Betrachtet sich ein Ich im Spiegel, tritt eine Trennung zwischen dem betrachtenden Ich und dem betrachteten Ich ein. Zudem erscheint das gespiegelte Ich im Spiegel seitenverkehrt, da Rechts als Links und Links als Rechts reflektiert wird.
Wie in der Spiegelung spalten sich auch in der intellektuellen Selbstreflexion Subjekt und Objekt oder Betrachtendes und Betrachtetes, da Bewusstsein immer Bewusstsein von etwas ist und somit eine Dualität impliziert. Aus diesem Grund ist absolute Identität reflexiv nicht erfassbar. Die Unangemessenheit der Reflexion gegenüber der Darstellung des Absoluten kann durch einen bewussten Umgang mit dieser Verfehlung relativiert werden. Dies ist der Kern der Ordo-inversus-Lehre. Analog zur Seitenverkehrung des Gespiegelten im Spiegel ist die intellektuelle Reflexion des Absoluten "verkehrt". Diese Verkehrung kann nach Novalis nur durch eine zweite Reflexion korrigiert werden, indem die Reflexion sich selbst reflektiert. Analog zu dieser Reflexion der Reflexion kann auch das verkehrte Spiegelbild durch eine Spiegelung des Spiegelbildes wieder aufgehoben werden. Friedrich Schlegel begnügt sich im 116. Athenäumsfragment allerdings nicht mit einer doppelten Reflexion. Er steigert die Spiegelung ins Unendliche, da er "diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen" will.
Der Gedankengang entlang des Spiegelsymbols führt von der Ontologie zur frühromantischen Sprach- und Kunsttheorie, denn der Spiegel als darstellendes Medium kann auch für die Sprache stehen. Doch die Sprache ist nach Auffassung der Frühromantiker nicht die "verkehrte" Darstellung des unfassbaren Absoluten, da es ausserhalb der Sprache kein Absolutes gibt. "Geist und Buchstabe", Stoff und Form oder, um mit Saussure zu reden, Signifikat und Signifikant sind untrennbar miteinander verbunden. Die Auffassung von Spiegelung der Ordo-inversus-Lehre muss also modifiziert werden.
Wie ist also das Spiegelsymbol in der frühromantischen Sprachtheorie zu verstehen? Welche Bezüge ergeben sich zu Derridas Konzept der différance? Ist der Spiegel letztlich gar als "Substanz ohne Präsenz" zu denken, da nach Derrida in der Sprache vielmehr die Präsenz als die Substanz verloren zu gehen scheint? |
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Thomas Krumm
Spiegelmetapher und konstruktivistische Erkenntnistheorie ❒
In unserer Argumentation soll aufgezeigt werden, daß das Spiegelsymbol keineswegs zwingend eine Korrespondenztheorie der Erkenntnis impliziert, sondern durchaus auch mit sog. konstruktivistischen Erkenntnistheorien kompatibel ist. Der Erkenntnisbegriff einer Abbildtheorie impliziert die Vorstellung, die Welt, die es zu erkennen gilt, liege für das erkennende Subjekt schon fertig vor, sie müsse nur noch wahrgenommen bzw. durch das Bewußtsein spiegelbildlich abgebildet werden. Sprechakttheoretisch geht es diesem Projekt um die Bedingungen der Möglichkeit der Formulierung wahrer, d.h. mit der Realität in spiegelbildlicher Übereinstimmung stehender Aussagen. Solche objektivistischen Vorstellungen sind in letzter Zeit vermehrt durch hermeneutisch, pragmatisch und konstruktivistisch arbeitende Autoren hinterfragt worden. Konstruktivistische Autoren stellen auf die Einsicht ab, daß das erkennende Wesen oder System nur dann über Wissen verfügt, wenn es dieses über eigene Operationen selbst hergestellt hat. Wissen bzw. Erkenntnnis ist für sie quasi Resultat selbstreferenzieller Beobachtungen. Nimmt man diese Perspektivität des Blicks ernst, können korrespondenztheoretische Erwartungen verabschiedet werden und gleichzeitig kann die Frage nach der erkenntnistheoretischen Funktion des Spiegels neu gestellt werden. Die Funktion des Spiegels scheint in der Brechung des Blickes zu liegen, die zugleich Sichtbares verdeckt und Unsichtbares sichtbar macht. Die Funktion des Spiegels liegt, so können wir schließen, in der Ermöglichung der Beobachtung des Unbeobachtbaren.
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Wolfgang Marx
SPIEGELBILD UND ICH-KONZEPT oder DER BLICK DES ANDEREN ❒
Der entscheidende Durchbruch für die Entwicklung des Ichs beginnt, wenn das Kind imstande ist, sich selber im Spiegel zu erkennen. Von diesem Zeitpunkt ab wird das Kind fähig zur Empathie, zur emotionalen Perspektivenübernahme, und es setzt der Antagonismus von Scham und Schuld ein, der den Menschen zu einem sozialen und auch sozial akzeptablen Wesen machen soll. Ursprung der Scham ist der Blick des anderen, der mich zu einem Objekt macht, das taxiert, bewertet, gar abgewertet wird. Scham kann abgewehrt werden, aber auch entarten ("Ehre"). Das Schuldgefühl entspringt der Empathie für das Leid der anderen und soll eine spontane Bereitschaft zur Hilfestellung auslösen. Der Antagonismus dieser beiden Gefühle soll zu einer optimalen Ausbildung der Ich-Grenze führen: Scham soll vor zu grosser Öffnung und Schwächung bewahren, Schuld vor allzu grosser Verhärtung und Abschliessung. In diesem Wechselspiel soll das Kind zu einem eigenständigen und zugleich doch auch sozialen Wesen werden. Die Soziabilität ist keine Frage der Vernunft, sondern wesentlich eine des Gefühls ("Descartes' Irrtum"). Die Assoziation des Schuldgefühls mit Regelverstössen ist nicht naturgegeben, sondern Ergebnis einer konsequenten Konditionierung, die das Faktum ausnutzt dass Verhaltenskontrolle effektiver an Schuld als an Scham geknüpft werden kann. Abschliessend soll noch diskutiert werden, was der Verlust bzw. Verkauf des Spiegelbildes in psychologischer Sicht bedeutet.
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Heiri Mettler
Wiederholte Spiegelung ... und kein Ende? (Von Goethe bis Mani Matter) ❒
Präsenz ohne Substanz. Die Definition des Spiegelbilds wird im Falle wiederholter Spiegelungen noch verwunderlicher. Weder im Spiegel noch mit ihm greife ich nach nach einem Etwas, das sich in ihm spiegelt, oder nach einem Jemand. Auch unterlasse ich es, auf dem Spiegel wie auf einer Leinwand nach einem Farbauftrag zu suchen.
In Geradehineinstellung von mir weg auf Körperliches ausser mir gerichtet, erfährt diese meine Intention mit der Spiegelung eine Brechung, eine radikale Hemmung, ja Unterbrechung. Ich werde mich und was mit mir zusammen neben und hinter mir ist, nicht los. Komme ich dabei einfach auf mich und meinen Hintergrund zurück, statt aus mir herauszugehen, auf andere und anderes hin? Die Gewohnheit des Autofahrens mit dem Blick durch die Frontscheibe in Fahrtrichtung einerseits und anderseits in der Gegenrichtung auf den Rückspiegel scheint ein einfaches Hin und Zurück nahezulegen.
Indem ich es mir vorstelle, räumlich vor mich hin stelle und diese Vorstellung umzukehren und lediglich zurückzubuchstabieren versuche, verstelle ich mir von vornherein als eine Angelegenheit innerhalb eines fix vorgegebenen Raumes, als eine Verschiebung auf dem selben Geleise vorwärts und rückwärts, was es heisst, aus mir heraus und in mich gehen zu können.
Goethe nennt die Spiegelung, insbesondere die Farberscheinung wiederholter Spiegelung innerhalb durchsichtiger Körper Symbol. Der Spiegel, der den Blick im Gegensatz zur Frontscheibe des Autos nicht durchlässt, diese manifeste General- und Radikalhemmung der Blickrichtung, der auf anderes und andere gerichteten Gerade- hineinstellung, die den Blickstrahl ineins mit dem Lichtstrahl aufhält und zurückzwingt, die Intention bricht und dabei nicht etwa schwächt, sondern zur Reflexion bringt, macht darauf aufmerksam, was das heissen könnte: aus sich heraus und in sich gehen, sich draussen beeindrucken lassen und dies sich selbst und andern wiederum zum Aus-druck, zur Sprache bringen und so mündlich und erst recht schriftlich ein Zeichen setzen, dass man sich fortan mit andern zusammen daran erinnern kann.
Erst die wiederholte Spiegelung zeigt, was Spiegelung sein könnte, seis mit Goethe die in der entoptischen Intensivierung der Farberscheinung erkannte Steigerung der ursprünglichen Wahr-Nehmung durch eigene Er-Innerung, verstärkt durch die Erinnerung anderer, seis mit Mani Matters berndeutschem Chanson "Bim Coiffeur" "es metaphysischs Grusle", der Abgrund des Selbstverlusts, der Endlosigkeit, dem sich nur ein Ende setzen lässt, indem man/frau fluchtartig den Salon verlässt.
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Heinrich Mettler (1939–2014)
Heinrich Mettler doktorierte 1968; 1976 habilitierte er sich an der Universität Zürich; von 1978 – 1994 war er als Gymnasiallehrer und Privatdozent tätig. Während dreier Jahrzehnte verband er die Lehrtätigkeit am Gymnasium mit jener an der Universität. Er veröffentlichte (zusammen mit seinem Kollegen Heinz Lippuner) mehrere Publikationen, in denen ein Zusammenwirken von Forschung, Lehre und Unterricht angeregt wurde. Legendär waren die Seminare, die von Studenten und Gymnasiallehrkräften mit Gewinn besucht wurden.
Aus seinen Interessensgebieten seien exemplarisch herausgegriffen die Disputationskultur bei Lessing (vgl. seine Studie »Lessings unabdingbares Bedürfnis, mit Freunden zu disputieren« 1985) und Schillers »Wilhelm Tell«, insbesondere die Wirkkraft der Identifikationsfigur Tell. Er war aber nicht nur ein profund ausgebildeter Germanist, sondern beschlagen in der Antike und in der italienische Renaissance. Er ging dem Einfluss der Psychoanalyse auf die moderne Literatur nach und umgekehrt den literarischen Wurzeln der Psychoanalyse.
Heiri Mettler hat regelmäßig an unseren Kolloquien teilgenommen; seine horizont-erweiternden Voten in den Diskussionen werden wir sehr vermissen.
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Philipp Michelus
Das Subjekt der Aufklärung und die Tragik des Spiegelblicks. – Zu Horkheimer/Adornos zentraler These
Einzelne philosophische Zeitschriften sind soweit, dass sie nicht mehr über den "Tod des Subjekts" selbst, sondern über Sinn und Unsinn einer Wandlung dieses Begriffs zum Schlagwort philosophieren; das Taschentuch zum Abschied vom Subjekt der cartesisch-kantischen Tradition flattert etwas müde im Wind - und jetzt kommt einer daher, der seine Stockflecken wieder aufbessern will? Die prägnanten Formulierungen einzelner Fragmente der Dialektik der Aufklärung sollen in diesem Beitrag wieder entschlüsselt werden, die geheimnisvolle Rede von einer Vernunft, deren Emanzipation von Natur sich in Abhängigkeit von naturbeherrschenden Mächten wandelt, die selbst naturwüchsige Gestalt annehmen, soll wieder nachvollzogen werden - allerdings nicht allein begrifflich argumentativ, sondern auch im Versuch, einige literarische Aufklärungssubjekte bei ihren Spiegelblicken zu beobachten. Der Spiegel als Interpretationsmetapher für einzelne Thesen der Dialektik der Aufklärung? Ja, so ähnlich. Und vielleicht wird es sogar möglich sein, einen Spiegelblick für jenes Subjekt zu konstruieren, das als ein mit der Natur Versöhntes im Sinne Horkheimers und Adornos der Tragik des aufgeklärten Subjekts entgehen soll? Das Schlimmste was dabei herauskommen kann: (m)eine Präsenz ohne Substanz.
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Max Nänny (1932–2006)
Sprachliche Spiegelungen von Spiegelungen ❒
Spiegelungen als Motiv in Mythos und Literatur (Narziss, Eva) werden fast ausschliesslich thematisch oder komparatistisch angegangen. Mein Vortrag ist nun als Beitrag zur ikonischen (im semiotischen Sinne) Erforschung literarischer Texte gedacht. "Ikonische" Erforschung heisst hier, dass speziell auf die Beziehung von Inhalt und Form geachtet wird. Nach einer kurzen Einführung zu möglichen ikonischen Funktionen der rhetorischen Figur des Chiasmus (1-2-3 : 3-2-1) werde ich anhand einiger Beispiele aus der englischen und amerikanischen Literatur seit der Renaissance zu zeigen versuchen, wie in Prosa- sowie Gedichtpassagen, in denen es um eine Spiegelung geht, diese Passagen selbst einer formalen Spiegelung unterworfen werden, indem sie chiastisch strukturiert werden. Textbeispiele von folgenden Autoren sind vorgesehen: Shakespeare, Milton, Addison, Keats, Coleridge, Wordsworth, Joyce und Woolf. |
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Thomas Hermann, Erinnerungen an Max Nänny, in: Andreas Fischer, Es begann mit Scott und Shakespeare. Eine Geschichte der Anglistik an der Universtität Zürich, Zürich: Chronos 2016, S.180–182.
Die University of Pennsylvania verleiht einen »Max Nänny Prize for best article in Word and Image Studies « |
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Ursula Renz
Lebendige Spiegel oder Spiegel des Lebendigen? Überlegungen zur Frage des Subjektverständnisses bei Cusanus im Ausgang von seinem Umgang mit der Spiegelsymbolik ❒
Wer sich mit Nicolaus von Kues befasst, ist bald einmal mit vielen Mutmassungen über den philosophischen Ort seines Denkens im Übergang zur Neuzeit konfrontiert. Cusanus wird gern als einer der Väter neuzeitlichen Denkens in Anspruch genommen. Von besonderem Interesse ist dabei die These, dass sich in den cusanischen Denkfiguren ein neues Verständnis menschlicher Subjektivität anzeige. In meinem Vortrag möchte ich diese These anhand von Cusanus Umgang mit der Spiegelsymbolik diskutieren. Thematisiert Cusanus durch seine Verwendung des Spiegels als eines der vielen Bild-Modelle seines Denkens tatsächlich Aspekte der Subjektskonstitution? Und wenn ja - wodurch wird dann bei Cusanus Subjektivität konstituiert?
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Cornelia Rizek-Pfister
Zauberspiegel in mittelalterlicher Literatur
Präsenz ohne Substanz lässt sich durchaus auch ohne Spiegel denken; Schatten, Geistererscheinungen, Hologramme ... - Doch um ein Hologramm, also ein dreidimensionales Bild in der Luft, zu erzeugen, werden (unsichtbare) Spiegel benötigt; und raffinierte Spiegel-Anordnungen lassen scheinbar Geister erscheinen. Und um Gottesvorstellungen zu visualisieren, erfreute sich das Bild der gespiegelten Sonne grosser Beliebtheit. Der Spiegel ist kein Ding wie jedes andere, besonders wenn es um Geheimnisvoll-Göttliches oder um Zauberei geht. Spiegelungen sind das Mittel par excellence, um verformte, verzauberte Bilder zu schaffen. Sie sind ein wunderbares Werkzeug der Manipulation.
Zauberspiegel finden sich u.a. in Texten von Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Veldeke und Paracelsus; es gibt Spiegel ganz unterschiedlicher Ausrichtung und Machart. Mich interessiert allerdings jeweils besonders die Bedeutung und Funktion einer Spiegel-Erwähnung sowie deren Einbettung in den Gesamttext. Spiegel wurden sehr häufig im Zusammenhang mit dem Spannungsfeld Wahrheit / Täuschung gesehen; gibt es Hinweise, dass der Text selbst an dieser Stelle täuscht? Könnte man ihn als zweideutig lesen? Wird das Zauberhafte des Spiegels als Taschenspieler-Trick, als Wunder der Natur oder als Sichtbarmachung und Präsenz geisterhafter, dämonischer oder göttlicher Mächte verstanden? Welche Hinweise gibt der Text auf solche Deutungen? Gibt der Text Hinweise darauf, dass und wie das Spiegelbild gedeutet wird?
Das Referat wurde eingearbeitet in den einleitenden Aufsatz des Buchs. ❒ |
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Penny Paparunas
Trouble with the "I / Eye": Mirrors in Victorian Women Poetry ❒
Victorian women poets have received - apart from the canonical 'big three', Elizabeth Barrett Browning, Christina Rossetti and the American Emily Dickinson (and to a lesser extent perhaps Emily Bronte) - little critical attention in the past. Its is only with the recent publications of the anthologies by Leighton / Reynolds (1995) and by Armstrong / Bristow / Sharrock (1996) that so-called 'minor Victorian women poets' such as Augusta Webster, Mary Coleridge, Constance Naden or Michael Field have reached a wider audience.
Three recurring and related images within Victorian women poetry - the mask, the picture and the mirror - point to the obstacles women encountered in establishing and identifying themselves as poets in a society which on the one hand labelled them as sentimental, 'writing from the heart' and which on the other hand was surprised at their mere existence. The mirror image prevails in the second half of the century. It seems as if the woman wants to free herself from the implicit Pygmalion-like, male observer / voyeur / artist who represents her "not as she is, but as she fills his dream" (Rossetti). In occupying the male's position, the woman can watch herself in the mirror and thus arises as both subject and (reflected) object. The looking-glass can take various forms, it comes to us as the conventional requisite in a woman's private room but it can also take, for example, the shape of a small cup or the eye; all of them thus constitute 'outward mirrors'. Mirrors can also appear as visual self-images created by the woman, that is, reflections which are not the origin of an outward, identifiable object; we may hence speak of 'inward, non-identifiable mirrors'.
The mirror serves to unite the divided I, subject and object, and this meeting may end in a reassertion of identity or in a trauma-like experience - a reflection which is unsettling, horrifying and uncanny. The various and often strange self-encounters Victorian women poets depict in their poetry indicate the deep-rooted split in the female self. This paper will draw attention to how women attempt to overcome this split which the Victorian age has fragmented or suppressed. At stake then is, whether the female gaze can return or overcome the determining male gaze (which turns women into an icon) and whether women can ultimately articulate their presence. This paper will particularly focus on these 'minor Victorian women poets' and terminology drawn from gender and psychoanalytic theory will be used.
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Daraus entstand des Buch »Präsenz ohne Substanz« = Schriften zur Symbolforschung, Band 14 — Bestellung direkt beim Verlag
❒ Der einleitende Aufsatz zum Buch hier
(Als PDF-Datei; nicht ausdruckbar, damit der Verlag das Buch verkauft ...)
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2019
(Der japan. Holzschnitt von der Website des Museums = Katalog Nr. 205)
»... eine der anregendsten Ausstellungen dieses Jahres.« (Stefan Trinks in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung)
Vgl. auch die Besprechung hier > http://www.altertuemliches.at/termine/ausstellung/46545
Der Katalog unter dem Titel »Spiegel. Der Mensch im Widerschein«, hg. von Albert Lutz, Wienand-Verlag Köln 2019 (335 Seiten), ist vergriffen, aber (ZVAB) antiquarisch erhältlich. – Link zum Verlag
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Am 1.September 2019 startete an der Universität Genf das Forschungsprojekt »Spiegel und Licht« – Erkenntnis und Erleuchtung. Zur Praxis analogischer Bedeutungsbildung in volksprachigen Texten des 12. bis 16. Jahrhunderts von René Wetzel und Robert Gisselbaek.
Beim Schweizerischen Nationalfonds > https://data.snf.ch/grants/grant/185278
Hier der Link zur Homepage
> https://www.unige.ch/lettres/alman/fr/recherche/projets-en-cours/spiegel-und-licht/
Publikationen aus diesem Projekt:
René Wetzel / Robert Gisselbaek, Erkenntnis und Erleuchtung. Die Metaphern „Spiegel“ und „Licht“ bei David von Augsburg im Blickfeld von historischer Semantik und analogischer Bedeutungsbildung, in: Seminar, Vol. 58/1 (2022) S. 77–100.
Katharina Gedigk, Sehen und Erkennen. Exemplarische Spiegel in höfischen Romanen des 12. bis 14. Jahrhunderts. Mit Analysen zum ‚Willehalm von Orlens‘, ‚Wilhelm von Österreich‘ und ‚Erec‘, (significatio · Beiträge zur Bedeutungsbildung in vormodernen Texten, hg. von René Wetzel, Hartmut Bleumer, Christine Putzo, Bd. 1) Schwabe 2023.
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https://schwabe.ch/katharina-gedigk-sehen-und-erkennen-978-3-7965-4760-7?c=910
René Wetzel, »... das dien sin leben ein spiegel und ein bild si«. Die Metaphorik monastischer und feudaler Responsibilisierungskonzepte zwischen Selbstverantwortung und Fremdbestimmung, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Oktober 2023. [Beispiele: Engelberger Predigten und Thomasin von Zerclære]
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https://doi.org/10.1007/s41244-023-00303-4
Demnächst erscheinen die Akten der Tagung vom 3.–5. November 2022 an der Universität Genf
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Letztes Update Juli 2024, pm
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