Symbolische Jagd

 

Vogeljagd-Metaphern für das Erotische haben eine lange Tradition: Ovid, Ars amatoria  III, 669: Non avis aucupibus monstrat, qua parte petatur = Nie hat der Vogel dem Vogelsteller gezeigt, wo man ihm am besten nachstellt. — In den Proverbia (Sprüche Salomonis) 7,23 heisst es, dass der törichte Jüngling der Hure folgt, wie ein Vogel zur Schlinge eilt: velut si avis festinet ad laqueum.

Leimruten

Kloben

Netz und Stricke

Eule als Lockvogel

mehr zu Schlingen

Riwalins Liebe zu Blanscheflurs im Vogelleim-Gleichnis

Gottfried von Straßburg, »Tristan und Isolde«

841 ff. Der gedanchafte Riwalîn
der tete wol an im selben schîn,
daz der minnende muot
rehte alse der vrîe vogel tuot,
der durch die vrîheit, die er hât,
ûf daz gelîmde zwî gestât:
als er des lîmes danne entsebet
und er sich ûf ze vlühte hebet,
sô clebet er mit den vüezen an;
sus reget er vedern und wil dan;
dâ mite gerüeret er daz zwî
an keiner stat, swie kûme ez sî,
ez enbinde in unde mache in haft;
sô sleht er danne ûz aller craft
dar unde dar und aber dar,
unz er ze jungeste gar
sich selben vehtende übersiget
und gelîmet an dem zwîge liget.
rehte in der selben wîse tuot
der unbetwungene muot:
sô der in senede trahte kumet
und liebe an ime ir wunder vrumet
mit senelîcher swaere,
sô wil der senedaere
ze sîner vrîheite wider;
sô ziuhet in diu süeze nider
der gelîmeten minne.
dâ verwirret er sich inne
sô sêre, daz er sich von dan
noch sus noch sô verrihten kan.
als ergieng ez Riwalîne,
den ouch die trahte sîne
verwurren in der minne
sînes herzen küniginne.

In der Übersetzung von Karl Simrock 1855: Der gedankenvolle Riwalin, | Ein Beispiel ist an ihm verliehn, | Daß der minnende Muth | Gleich dem freien Vogel thut, | Der frei auf manchem Zweig sich wiegt | Und jetzt auf den geleimten fliegt. | Wenn er nun verspürt den Leim, | So flög er gerne wieder heim: | Da klebt er mit den Füßen schon; | Er regt die Schwingen, will davon | Und rührt an keinem Ort das Reis, | Wärs noch so linde, noch so leis, | Der ihm nicht neue Lähmung schafft. | So schlägt er dann aus aller Kraft | Her und hin und hin und her, | Bis er mit seiner Gegenwehr | Sich selbst zuletzt besiegt und fängt | Und fest geleimt am Zweige hängt. |
Ganz in derselben Weise thut | Des Jünglings unbezwungner Muth: | So der in Liebessorgen kommt | Und Liebe Wunder an ihm frommt | Durch süßer Schmerzen Kunde, | So will der Schmerzlichwunde | Zu seiner Freiheit wieder: | Doch wieder zieht ihn nieder | Der süße Leim der Minne, | Er verfängt sich so darinne, | Daß er sich mit allem Fleiß | Nicht hin noch her zu helfen weiß. | So war es Riwalin ergangen, | Also hatte sich verfangen | In der Minne Leim sein Sinn | Zu seiner Herzenskönigin.

Der mittelhochdeutsche Text online bei > http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/13Jh/Gottfried/got_tr02.html

Simrocks Übersetzung: http://gutenberg.spiegel.de/buch/tristan-und-isolde-3160/3

Vgl. Franziska Wessel, Probleme der Metaphorik und die Minnemetaphorik in Gottfrieds von Straßburg »Tristan und Isolde«, (Münstersche Mittelalter-Schriften 54), München 1984, bes. S. 289–294.

Lambertus Okken et al., Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Strassburg (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 57/58/81) Amsterdam: 1984/85/88; 2. überarbeitete Auflage 1996.

Vogelfang mit Kloben

Für das Verständnis des Folgenden muss man die Technik der Vogeljagd mit dem Kloben kennen, einer Klemmfalle: Zwei zugeschnittene Schenkel eines Holzstabs werden auseinandergespannt; sie sind durch eine Schnur zusammenklappbar. Wenn sich der Vogel draufsetzt, zieht der in einem Versteck wartende Jäger an der Schnur, so dass die Leisten zuschnappen und den Vogel einklemmen. 

 

Aus: Thomasin von Zirklære, Wälscher Gast; zu Vers 891f. (Sächsische Landesbibliothek Dresden, Ms M 67, fol. 11v) nach Hinweis bei Lindner, Jagdtraktate des 15. und 16. Jhs., I, 22–43. Digitalisat: http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/14347/28/0/

 

 

Aus Zedlers Universal-Lexicon, Band 15 (1737), Spalte 956.

Oswald von Wolkenstein (ca. 1377 – 1445)

Oswald von Wolkenstein verwendet die Metaphorik des Vogelfangs mit dem Kloben in einer (für ihn typischen) witzigen Weise. Er evoziert die Situation der sog. Pastourelle. Im Gegensatz zum klassischen Minnesang, wo das lyrische Ich die Unerreichbarkeit der Dame beklagt, wirbt in der Pastourelle ein Ritter um eine Schäferin (pastora ›Hirtin‹) und verführt sie dann. Die Gedichte sind narrativ und dialogisch. Oswald wendet die Metaphorik ins Realistische und dreht sie dabei um.

Er liegt in einer Versteckhütte auf der Lauer mit einem Kloben auf der Jagd nach Amseln und Drosseln:

Der amsel tuen ich ungemach
und mancher droschel auserwelt
[…] mit ainem kloben, der si fellt,
wenn ich das schnüerlin zucke
in ainer hütten, wolgedeckt
mit rauchen esten, lustlich grüen.

Ein Mädchen, das Unkraut jätet, lässt das Herz des Mannes höher schlagen. Er hofft, das Mädchen komme zu ihm in die Hütte. Das geschieht denn auch – in seiner Phantasie? Aber: die Schöne beschämt ihn in seiner Kunst des ›Vögelns‹: er bekommt von ihrem ›Kloben‹ fast zu viel (mhd. mich bevilt: ›ich werde einer Sache überdrüssig‹), der zu oft nach dem ›Gimpel‹ (eigentlich ›mutwilliger Hüpfer‹, der Vogel Pyrrhula pyrrhula, auch Dompfaff) begehrt:

des möcht die schön gelachen,
das si mir all mein kunst abstilt,
was ich zu voglen hab gelert.
von irem kloben mich bevilt,
des gümpels er ze dick pegert.
das macht die hütten krachen.

Lied »Ain jetterin« = Klein Nr. 83 = Oswald von Wolkenstein: Lieder. Ausgewählte Texte, frühnhd./nhd. hg. und übersetzt von Burghart Wachinger, Stuttgart: Reclam 2007 (RUB 18490); hier Nr. 13; vgl. den Kommentar S.336ff. mit weiterführender Literatur.

Thomas Murner (1475–1537), »Die Geuchmat« (1519)

Den gouh fohen.

Es ist eyn bsunderlicher list
Geuch zuo fohen syn gerist.
Man foht ir glich so vill mit blicken
Alß mit iagen/ garn/ vnd stricken.
Geuch zuo fohen ist kein kunst;
Denn es geschicht allein mit gunst,

den die wyber deylen kynnen …
[Anfang von Kapitel 8]


Wort-Erklärungen:

gouh; Plural: gäuch, geuch = Kuckuck, schon im 11.Jh. für Tor, Narr, Dummkopf (vgl. Lexer, Mhd. Wörterbuch; Grimmsches Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1524–1532); Benennungsmotiv?

fohen = fangen; foht = fängt

bsunderlich list = eine spezielle Klugheit

syn gerist (Druck 1565: gerüst) = ausgerüstet zu sein, Gäuche zu fangen

gunst  = Wohlwollen — deylen = zuteil werden lassen

Quelle: Thomas Murner, Die Geuchmat (1519), hg. von Eduard Fuchs, Berlin: de Gruyter 1931 (Thomas Murners deutsche Schriften; Bd. 5 = Kritische Gesamtausgaben elsässischer Schriftsteller des Mittelalters und der Reformationszeit). 
Digitalisat: Thomas Murner: Die Geuchmat zu straff allen wybschen mannen eyner frummen Gemeyn der löblichen Stadt Basel in Freyden zu einer letz beschriben und verlassen, Basel 1519: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00025698/image_62

Das Bild zeigt eine Frau, die, das Decolleté als Köder verwendend, mit einem Vogelfangkloben die Hand eines dummen Mannes schnappt. Der linke Fuß des Mannes gleicht einem Eselshuf; das könnte eine weitere Anspielung sein; im weiteren Text werden die Liebesnarren mit Eseln verglichen. 

In der Ausgabe 1565 ist ein Vogelsteller mit einem Netz dargestellt, aber der Kloben ist wegen der obszönen Konnotation interessanter.

Sebastian Brant 1494

»Narrenschiff« (1494) Kap. 92 Vberhebung der hochfart 

Hier fängt der Teufel mit dem Kloben eine hoffärtige Frau:


Wer hochfart ist / vnd důt sich loben
Vnd sytzen will alleyn vast oben
den setzt der tüfel vff syn kloben

Vers 45ff: Das ist das kützlin / vnd der klob
Do durch der tüfel sůcht groß lob
Vnd hat gefüret manchen hyn
Der sich bedunckt vor witzig syn /

Text: >  http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n092.html

Im Kommentar von Friedrich Zarncke zum Narrenschiff, Leipzig 1854, S. 435 weitere Stellen zum obszönen Vogelfang mit Kloben.

Hans Sachs 1532

»Gesprech mit fünff personen, haist die ewlen-paiß« (Hans Sachs, 9. Februar 1532).

Die alte Kupplerin spricht:

Wol  her, wol her auff meinen kloben!
Mein lock-vogel, den thu ich loben.
Er lockt herzu ewlen und drappen,
Auf-sitzen guckgu und dildappen.
Wann ich sie thu inn kloben bringen,
So leer ich sie Fortuna singen …

(trapp: plumper ungeschickter Mensch — diltap: alberner, läppischer Mensch, Grimm, DWB)

Ausgabe: hg. Ad. von Keller (Litt Verein Stuttgart CVI)  S.219
> https://archive.org/stream/hanssachs25sachgoog#page/n224/mode/1up

Holzschnitt von Erhard Schön (Ausschnitt) aus: [Becker/Derschau] Hans Sachs im Gewande seiner Zeit, oder Gedichte dieses Meistersängers : in derselben Gestalt wie sie zuerst auf einzelne, mit Holzschnitten verzierte Bogen gedruckt, … Gotha: Becker 1821; XXV.

Es gibt auch ein Flugblatt mit Text von Hans Sachs »Die Ewlen Bays« (Die Eulenbeize) mit einem Holzschnitt von Niclas Stör.

Mehr zur Fang-Technik mit Kloben bei David Dalby, Lexicon of the Medieval Hunt, Berlin 1965, s.v. und im Kommentar von Christoph Gasser in: Das Kunst-, Weydny- oder Vogelbuch des Jodok Oesenbry, Zentralbibliothek Zürich, Ms. C 22. Edition und Kommentar von Christoph Gasser, Zürich: Chronos 2016 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich; Bd. 83 = 180. Neujahrsblatt). S.229–239.

Vogelfang mit Klapp-Netzen

Die Warnung, einer Frau nicht ›ins Netz zu gehen‹, ist alt. Proverbia 7,23: velut si avis festinet ad laqueum, et nescit quod de periculo animæ illius agitur (wie ein Vogel ins Garn eilt und nicht merkt, dass es sein Leben gilt).

Zunächst die Technik, un-metaphorisch: Im »Tacuinum sanitatis« werden geröstete Turteltauben als Medizin empfohlen gegen Nervenkrankheiten. Auf dem Bild wird gezeigt, wie man sie fängt. Der Jäger versteckt sich hinter einem Gesträuch:

Bild aus dem Codex Casanatense 4182; Ende des 14.Jhs.

Die allegorischen Bilder sind exakt der Vogeljagd-Technik entnommen; vgl. auch hier:

Wolf Helmhardt von Hohberg, Georgica curiosa aucta. Oder ... Adelichen Land- u. Feld-Lebens Anderer Theil, Nürnberg: Martin Endter 1701, S. 822 (Ausschnitt).

Niklas Stör, Holzschnitt mit Vogelherd (1534). Hier sind keine ornithologischen Vögel im Netz:

> http://www.zeno.org/nid/20004313836

Das Bild aus den »Pia desideria« (Erstausgabe Antwerpen 1624) von Hermann Hugo S.J. (1588 – 1629) zeigt im 1.Buch, Kap. 9 die ihren irdischen Gütern verhaftete Seele, die ins Netz eines Vogelfängers (hier der Tod) geraten ist, sowie weitere von teuflischen Gestalten Gejagte.

Kupfer aus: R.P. Hermanni Hugonis, Societatis Jesu, Gottseelige Begierden Der Büssenden, Heiligen und in Gott verliebten Seelen. Jetzo zum ersten mal in Teutscher Sprach in dieses Format eingerichtet/ und mit dergleichen Kupfern gezieret, Sultzbach: Lichtenthaler 1669.

Das Motto zum Emblembild ist: Psalm 17,6. Die Schmertz der Höll haben mich umbfangen; und die Strick des Todts haben mich übereilet.

Hier eine Auswahl von begleitenden Texten aus einer anderen Übersetzung: Gottselige Begirde. Aus lautter sprüchen der Heÿligen Vättern Zusamen gezogen Vnd mitt schönen figuren gezieret / durch R. P. Hermannum Hugonem ... Verteütscht Durch R. P. F. Carolum Stengelium, Augspurg: Schönig, 1627. > https://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb11290978.html

Sihe o HErr mein GOTT/ die ganze Welt ist voller Stricken der Begierlichkeiten/ welche sie für meine Füß haben bereitet/ vnd wer kan disen Stricken entfliehen? Augustin. Soliloq. cap.12.

Meine Feinde haben mich gejaget vnd gefangen wie ein Vogel/ vnd das ohn vrsach Hier.Thren.3. [Klagelieder Jeremiae 3,52]

Merck vnd verstehe/ daß du mitten vnder den Stricken wandlest vnnd vnder den obligenden Nachstellungen hergehest. Alles ist voller Netzen/ der Teuffel hat alles mit stricken angefüllt. Orig. hom. 2. in cant.

Nimm wahr/ er hat vor vnsern Füßen vnzehliche vil Strick anßgespannt/ vnnd alle vnsere Weeg mit vilen Fallstricken angefüllt/ vnsere Seelen damit zufangen/ Vnd wer willentrinnen? Er hat Strick gelegt in Reichthumb/ Strick hat er gelegt in Armuot/ Strick hat er außgespannt in der Speiß/ im Tranck/ in Wollust/ im Schlaff vnd im Wachen; Strick hat er gelegt in Worten/ vnd in Wercken vnd auff allen vnseren Weegen. Augustin Soliloq. cap. 16.

Die Gnad der Ehren/ die Höhe des Gewalts/ die süsse vnd lieblichkeit der Speysen/ die schöne gestalt der Metzen/ seynd lauter strick des Teuffels. Ambrosius lib. 4. in c. 4 Lucam

Du aber/ o HERR/ errette vns vom strick der der Jäger/ vnd von dem starcken Wort/ auff daß wir dich loben/ sprechende: Gelobet sey der HERR/ daß er vmns nicht hat geben zum Raub inn ihre Zähne: Vnser Seel ist entrunnen wie ein Spätzlin auß dem strick des Voglers/ der strick ist zerrissen/ vnd wir seynd erlöset. Augustin Soliloq. cap. 16.

Das Emblem kann auch ganz allgemein die weltmännische Klugheit symbolisieren:

Jacobi Bornitii emblemata ethico politica, ingenuâ atque eruditâ interpretatione nunc primùm illustrata per M. Nicolaum Meerfeldt, Moguntiae [Mainz]: Bourgeat 1669, Sylloge I, Embl. XXXVIII

Motto: Fides, sed cui, vides (Trau, schau wem!) Im Epigramm stehen Sätze wie: Fraudulentus est mundus astutus; Veritas mundo est palliata.

Der Vogler.

[Pseudo-Abraham a Sancta Clara] Etwas für Alle/ Das ist: Eine kurtze Beschreibung allerley Stands- Ambts- Gewerbs-Persohnen/ Mit beygedruckter Sittlichen Lehre und Biblischen CONCEPTEN, Durch welche der Fromme mit gebührendem Lob hervor gestrichen/ der Tadelhaffte aber mit einer maässigen Ermahnung nicht verschonet wird; Anderer Theil/ Allen und Jeden heilsamb und leitsamb/ auch so gar nicht ohndienlich denen Predigern/ Definitiorem und Provincialem. Verlegt und mit Kupffern vermengt Durch Christoph Weigeln/ Kupfferstechern und Kunsthändlern in Nürnberg/ gegen der Kayserl. Reichs-Post über zu finden. Würzburg, Martin Frantz Hertz für Christoph Weigel, 1711.
> https://books.google.ch/books?id=us-U-DNTXUcC&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Das Kupfer stammt von Casper Luyken (1672–1708)

Strick und Stellungen [Nachstellungen] entgeht, wer sein Herz zu Gott erhöht.

Gesellt euch zu dem Weltling nicht,
    der an die Eitelkeit gepflocket,
    und in der Sünde Garnen locket,
da wollust blendet das Gesicht.
    Durch Welt-Gesellschaft sind viel Frommen
    um Freyheit und das Leben kommen.

Aus dem folgenden Text: S. 702ff.:

[…] Was seynd die Christen anderst/ als Vögel/ welche immerfort mit ihrem Gemüth sich gegen Himmel/ und gegen GOtt schwingen […] S. 706: Der Vogel-Fanger pfeifft und locket auf das lieblichste/ bis er denen auf seinem Herd einfallenden Vögeln die gestellten Netze über den Kopff zusammen schlaget. S. 708: Durch die Vogel-Fanger werden füglich die Schmeichler verstanden […].

In der Fabelsammlung von Sebastian Brant (1501) gibt es auch diese Variante:

De aucupe et volucribus (auceps = Vogelfänger)

Esopi appologi sive mythologi: cum quibusdam carminum et fabularum additionibus Sebastiani Brant, Basel 1501.
> http://mateo.uni-mannheim.de/desbillons/esop/seite390.html

Einen Vogelfänger, der gerade seine Netze aufgestellt hatte, fragte eine Amsel, was er da tue. Er antwortete, er gründe eine Stadt, und ging fort. Die Amsel vertraute seinen Worten, flog näher heran und wurde, als sie von dem Köder fressen wollte, im Netz gefangen. Als der Vogelsteller herbeieilte, sprach sie zu ihm: "O Mensch! Wenn du eine solche Stadt gründest, wirst du nicht viele Einwohner finden." - Kommentar: Wenn die Regierenden zu hart sind, richten sie das Gemeinwesen zugrunde. (Zusammenfassung bei mateo)

1508 in der deutschen Übersetzung von Johannes Adelphus (›Muling‹):

Ein vogler stelt den vögeln die garn/ das sahe ein trostel/ die fraget den was er do fur ein geschefft trib. Antwurt e / er bauwet do ein stat. Do gieng er weit hinweg und verbarg sich/ aber die trostel glaubt im/ und gieng zu der außgespreiten speiß bey dem garn/ und ward gefangen. Do nun der vogler hertzu lieff die zu holen/ sprach sie. O mensch so du ein solche stat bauwest würst du nicht vil inwoner und burger darinn finden.
Dise fabel zeiget an das mit der weiß allermeist der gemein und eigen nutz zerstört wür / so die fürweser wieterich sind. Wer oren hat zu hören/ der höre/ und lere sich ein wenig milter zu erzeigen seinen mitburger / und das der gut keiser sprach zu halten/ Ich wil lieber ein burger behalten/ dann tausent feind todtschlagen. Dann in einem guten burger stat und würt behalten underweilen das heil der gantzen gemein.

Jn disem Buch ist des ersten teils: das leben vnd fabel Esopi: Auiani: Doligani: Adelfonsi: mit schympffreden Pogij. Des andern teils vszüge schoner fabeln vnd exempelen Doctoris. S. Brant: alles mit synen figuren vnd Registern, Straßburg: Johann Prüß 1508.
> https://mdz-nbn-resolving.de/bsb00001850

An anderer Stelle geht es bei Brant um die die Dummheit des Vogelstellers:

1501 lat. > https://www2.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/esop/seite271.html

1508 dt. > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00001850/image_248

Aber nicht vergessen: Quae nimis apparent retia, vitat avis (Die allzugut sichtbaren Netze meidet der Vogel; Ovid, Remedia amoris, Vers 516). — Und Sprüche Salomonis 1,17: Denn es ist vergeblich/ das Netze auswerffen fur den augen der Vogel (Luthers Übersetzung 1545).

Diesen Aspekt betont Sebastian Brant im »Narrenschiff« (1494 erschienen; Kap. 39): Wer das Garn gut sichtbar ausspannt, um Spatzen zu fangen, ist ein Narr. Gemeint ist: Sein Geheimnis, seine schlauen Absichten nicht verbergen ist töricht. (Das ganze Kapitel mit Bild hier.)

Eyn narr ist wer will fahen sparen [Sperlinge]
Vnd für jr ougen spreit das garn
Gar lycht eyn vogel flyehen kan
Das garn/ das er sicht vor jm stan

Hier das Bild aus einer späteren Ausgabe:

Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden: alles auff Sebastian Brands Reimen gerichtet; […] Weilandt/ Durch den hochgelerte Johan. Geyler in Lateinischer sprach beschrieben. Jetzt aber mit sonderm fleiß auß dem Latein inn das recht hoch Teutsch gebracht/ vnnd erstmals im Truck außgangen/ Durch/ Nicolaum Höniger von Tauber Königshoffen, Basel: Heinricpetri 1574.

Im Nürnberger Schembartlauf werden die Narren u.a. so gekennzeichnet:

> https://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/image/PPN504316125/171/

Eule als Lockvogel

Hassen (engl. mobbing) ist ein zoologischer, insb. ein ornithologischer Fachbegriff. Viele Vogelarten versuchen Feinde zu vertreiben, indem sie ›auf sie hassen‹, d.h. Scheinangriffe auf sie ausüben.

Das Hassen der Singvögel auf Eulen wurde bei der sogenannten Hüttenjagd ausgenutzt: Man stellte die auf einer T-förmigen Stange (in der Jägersprache: Jule; auch Reck, Krücke u.a.) mit einer Langfessel angebundenen Eulen in der Nähe einer geschlossenen Ansitzhütte auf. Flogen die hassenden Vögel herbei, so fingen sie sich an versteckten Leimruten oder in Fallen, oder sie wurden von dem in der Hütte wartenden Vogeljäger geschossen.

Hinweise bei http://www.eulenwelt.de/interessantes_huettenjagd.htm

Krünitz, Oekonomische Enzyklopädie, Artikel »Leimstange«, Band 75 [1798], 772: Sobald die Vögel diese gehässige Stimme ihres Feindes hören, eilen sie dem Geschreye zu, sitzen auf den Leimruthen, und werden also in großer Menge gefangen.

In der Hausväterliteratur ist die Technik auch beschrieben:

 

Kupfertafel aus: Vollständige Hauß- und Land-Bibliothec/ Worinnen Der Grund unverfälschter Wissenschafft zu finden ist/ deren sich bey jetziger Zeit ein Hof- Handels- Hauß- Burgers- und Land-Mann zu seinem reichlichen Nutzen bedienen kan. […]  Alles mit vieljähriger Mühe gesammlet/ und mit vielen nöthigen Kupffern zum offentlichen Druck verfertiget/ durch Andream Glorez von Mährn, Regenspurg zu Statt am Hof: Heyl 1699/1700. (Beschreibung im Ersten Theil, 39.Kapitel, S.367f.)

Eine detaillierte Beschreibung findet sich im Vogelbuch des Zürcher Pfarrers Jodok Oesenbry von 1575/77. Liebevoll schildert er, wie das kützli soll gwendt [abgerichtet, dressiert, vgl. Idiotikon XVI, Sp.110] werden (Edition Fol. 2v = S.44f.)

Das Käuzchen muss lernen, auf der Stange hin- und herzuspringen, damit es die Vögel zum Hassen animiert; überhaupt soll es sich an diese Stange gut gewöhnen. Es darf nicht mit salzigem Fleisch und nicht mit Fleisch von Ratten oder Maulwürfen gefüttert werden; hingegen ist ein gesottenes Ei zu empfehlen; alle zwei bis drei Tage soll es ettwas harëchtigs oder fäderachtigs (Haariges oder Gefiedertes) bekommen, damit es Gewölle auswürgen kann, sonst wird es krank; wenn ihm das nicht geboten wird, zupft es sich selbst Federn aus. Als Medizin für kranke Käuze dient die Verfütterung von höuwstöffel (Heuschrecken), die man aber vorher in Wasser wachen muss. Empfohlen werden Fasttage, damit sich der Vogel nicht überfrisst. Der Schnabel muss gegebenenfalls mit einem scharpfen mässerli subtyl abgehouwen werden. Gelegentlich soll der Vogel ein Bad nehmen. So gepflegt wird er über 20 Jahre alt.

Das Kunst-, Weydny- oder Vogelbuch des Jodok Oesenbry, Zentralbibliothek Zürich, Ms. C 22. Edition und Kommentar von Christoph Gasser, Zürich: Chronos 2016 (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich; Bd. 83 = 180. Neujahrsblatt).

Digitalisat der Seite, auf der Fütterung und Abrichtung der Eule gezeigt werden > http://www.e-manuscripta.ch/zuz/content/pageview/26061  --- Das Bild unten zeigt einen Kloben und die Eule auf dem Reck:

Diese Art des Vogelfangs war offenbar noch im 18./19. Jahrhundert bei Kindern beliebt, wie Darstellungen aus entsprechenden Werken zeigen:

Kupfersammlung zu J. B. Basedows Elementarwerke für die Jugend und ihre Freunde, Berlin und Dessau 1774; Tafel X,1 (Stich von Schellenberg; Ausschnitt)

 

Die Welt in Bildern. Orbis pictus. Bilderbuch zur Anschauung und Belehrung, bearbeitet von Dr. Lauckhard, dritte durchgesehene Auflage, Leipzig: E.J. Günther 1872.

Das Hassen der Vögel auf die Eule gab das Material für Allegorien und Embleme ab.

Im »Dyalogus creaturarum moralizatus« des sonst unbekannten Nicolaus Pergamenus (um 1400) wird das Verhalten berichtet und moralisch ausgelegt:

De bubone. Dialog Nr. 82. Aus dem Druck von Johann Snell, Stockholm 1483 > http://runeberg.org/dialogus/0213.html

Wenn er [der Vogel] bei Tage angegriffen wird, verteidigt er sich mit den Krallen seiner Füße, wobei er sich aufplustert. […] Mit Hilfe dieses Vogels werden die übrigen Vögel gefangen, die umherziehen und ihn rupfen wollen, weil sie ihm alle feind sind. Deshalb fangen die Vogelsteller mit ihm andere Vögel. — Hac ave capiuntur ceteras volucres, quae circumvolantes eum deplumant eo quod omnes sibi inimicantur. Et propter hoc auscupes cum eo deprehendunt alias aves.

Darauf folgt eine Fabel mit allegorischer Auslegung, die nicht Bezug nimmt auf das Hassen. Text: Dialogus creaturarum moralisatus = Dialog der Kreaturen über moralisches Handeln. Lateinisch-Deutsch, Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Birgit Esser und Hans-Jürgen Blanke, Würzburg: Königshausen & Neumann  2008.

In dem frühen (proto-emblematischen) Blatt der Dürer-Schule (Ende 15.Jh.?) steht die Eule als Symbol für den ›Einfältigen‹, der geschmäht, d.h. verhöhnt wird:

> http://www.zeno.org/nid/20004002180

Der Eülen seyndt alle Vögel neydig und gram

(neydig < mhd. nît: feindselige Gesinnung im allgemeinen; bes. die Gesinnung, dem Feinde im Kampfe zu schaden; dann auch: Missgunst – gram: grimmig, erzürnt über jdn.)

Bei der Moralisation kann dann der blinde und in den Tod führende Hass der Singvögel den Vergleichspunkt abgeben; so bei Sambucus:

Die Unwissenden hassen die Künste. Die Eule.

Mich, die <das> gar nicht verdient, wie die Schlechteste
hassen mich – schaut nur – die dummen Vögel.
Und sie möchten natürlich gern, so sehr sie könnten, schaden:
Aber dann trifft eine entsprechend <grosse> Strafe
diese und wirft sie in die Schlinge.
Der Vogelfänger bewirkt durch uns
[Pluralis auctoris; durch mich],
dass so viele heranfliegen, welche er in die Netze
verwickelt, <sie> für den Tisch beschaffend.
Sic odii fructûs nocent — So schaden die Früchte des Hasses,
Der Gräber fällt in seine eigene Grube.

(Joh. Sambucus) Emblemata, et aliquot nummi antiqui operis, Ioan, Sambuci Tirnaviensis Pannonii. Tertia editio, Com emendatione & auctario copioso ipsius auctoris, Antwerpen, Ch Plantin, 1569; S. 235. (Dank an Th.Gehring für die Übersetzungskorrektur)

Im Emblem bei Gabriel Rollenhagen steht seltsamerweise die stoische Ruhe der Eule im Zentrum. Die Eule erträgt den Spott der Vögel und ist so ein Sinnbild der triumphierenden Ergebung in das Schicksal.

Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611; unter dem Titel: Sinn-Bilder, (Bibliophile Taschenbücher 378), Dortmund 1983 — I,51 (Digitalisat: https://archive.org/stream/nucleusemblematu00roll#page/n154/mode/1up)

NEQVEO COMPESCERE MVLTOS —  Ich kann die Übermacht nicht bezwingen

Perfero, quid faciam? NEQVEO COMPESCERE MVLTOS
Si vis cedendo vincere, Disce pati.


Ich erdulde es; was wollte ich tun? Ich kann die Übermacht nicht bezwingen. So lerne zu leiden, wenn du durch Nachgeben siegen willst.

 Ähnlich bei Murer/Rordorff, wo das Emblem überschrieben ist: Gedult. PATIENTIA

 

XL emblemata miscella nova. Das ist: XL. underschiedliche Außerlesene New­radierte Kunststuck: Durch Weiland den Kunstreichen und Weitberümpten Herrn Christoff Murern von Zürych inventiret/ vnnd mit eygener handt zum Truck in Kupffer gerissen; An jetzo erstlich Zue nutzlichem Gebrauch und Nachrichtung allen Liebhabern der Malerey in Truck gefertiget, vnd mit allerley dazu dienstlichen aufferbaulichen Reymen erkläret: Durch Johann Heinrich Rordorffen, auch Burgern daselbst. Gedruckt zuo Zürych bey Johann Ruodolff Wolffen. Anno .DC.XXII. [1622] > http://www.e-rara.ch/zuz/content/pageview/3192968

Der ist bey mir ein weiser mann/
     Der den aufsatz [Nachstellung, Feindschaft] ring achten kann;
Er muoß lan red für ohren gan / [die Rede an den Ohren vorbeigehn lassen]
     Der welt gspött sich nicht fechten an.
Duck dich Käutzlein: laß vber gan/
     Das wetter wil sein fortgang han.

Jean-Jacques Luck (1574–1653) bingt sich in seinem Impresenbuch zuerst selbst emblematisch ein. Er bringt mit dem Motto Contra Zoylum die Gleichgültigkeit des Autors gegenüber kleinlichen Kritikern zum Ausdruck, indem er sich mit der Eule, dem heiligen Tier der Minerva, vergleicht, das aufgrund seiner Nähe zur Göttin der Weisheit die Angriffe der übrigen Vögel geringschätzt (invideant aliae modo sim sacrata Minervae):

(Ausschnitt)

Sylloge numismatum elegantiorum, quae diversi impp., reges, principes, comites, respublicae, diversas ob causas, ab anno 1500 ad annum usque 1600 cudi fecerunt... opera et studio Joannis Jacobi Luckii, Argentinae [Straßburg]: typis reppianis 1620.
> https://doi.org/10.11588/diglit.9320#0001
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lucke1620

Eine seltsame Kombination von zwei Motiven findet sich bei Andreas Friedrich (1560–1617), LXIV. Figur: Er knüpft an das Motiv der auf die Eule hassenden Vögel an (im Bild in der Mitte) und schreibt dazu in der Subscriptio:

Zeuch vor den Balcken auß deim Aug/
Eh du mir anzeigst/ was nicht taug.

Der Ratschlag basiert auf Matthäus 7,3: Was sihestu aber den Splitter in deines Bruders auge/ vnd wirst nicht gewar des Balcken in deinem auge? (Luther 1545) und wird im Bild materialisiert, so dass der Stolze (vgl. die Pfauenfedern, aus denen er hervorwächst) mit einem Balken im Auge dargestellt ist. (Warum sind die beiden Figuren als Stabpuppen, Marotten dargestellt? Auf dem Digitalisat der HAB sieht es so aus, als habe ein Benutzer bei der anderen Figur einen Splitter im Auge ergänzt.) In der Erklärung der Figur wird die Verbindung der Motive so erklärt:

[…] Sih an dein selbst Jammer und Noht/
     Du armer Madensack und Koht.
Stichst wie die Vögel auff die Euln/
     Steckst selbst voll Drüß und Eyterbeuln
[…]

Emblemata Nova; das ist/ New Bilderbuch: Darinnen durch sonderliche Figuren der jetzigen Welt Lauff und Wesen verdeckter Weise abgemahlet/ und mit zugehörigen Reymen erkläret wirt […], Francoforti aput L.Iennis 1617. > http://diglib.hab.de/drucke/231-noviss-8f/start.htm 

Bei dem aus seiner Heimat vertriebenen Protestanten Freiherrn von Hohberg (1612–1688) stehen die Feinde der Kirche im Zentrum, die von Spöttern angegriffen werden. Er geht aus von Psalm  56 (Luther),6: Teglich fechten sie meine wort an / All jre gedancken sind / das sie mir vbel thun. Das Käuzchen leidet INTUS TIMOR, FORIS PUGNÆ (innen Angst, außen Kämpfe).

Wolf Helmhardt von Hohberg, Lust- und Artzeney-Garten des Königlichen Propheten Davids. Das ist Der gantze Psalter in teutsche Verse übersetzt, sammt anhangenden kurtzen Christlichen Gebetlein. Da zugleich jedem Psalm eine besondere neue Melodey, mit dem Basso Continuo, auch ein in Kupffer gestochenes Emblems, so wol eine liebliche Blumen oder Gewächse, samt deren Erklärung und Erläuterung beygefügt worden, Regensburg: Georg Sigmund Freysinger 1675. — Reprint, hg. Grete Lesky, Graz: ADVA 1969. — http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00095142-9

Bei Johann Friedrich Leopold heißt es :

Non nisi capta capit ♠ Muss selbst behangen, | Wann sie soll fangen. ♠ Elle ne prend point, si elle n’est pas prise. ♠ Non prende, se non presa

Johann Friedrich Leopold, Emblematisches Lust-Cabinet mit 52. Neu inventirten Curiosen und durch Lateinisch- Französisch- Jtalienisch- und Teutsche Beyschrifften erklärten Sinn-Bildern ausgeziert, Augsburg 1700 (Tafel 50)
PURL: http://diglib.hab.de/drucke/xb-1507/start.
htm http://diglib.hab.de/drucke/xb-1507/

In der Emblem-Enzyklopädie des J. Boschius heißt das Motto lapidar: Capta capit – Als Gefangene fängt sie [andere]

Jacobus Boschius S.J., Symbolographia, sive de Arte Symbolica, Augsburg / Dillingen 1701. Classis IV; Tab. iv, Nr. 72 >  http://www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/boschius.html

Wieder anders allegorisiert Willibald Kobolt in Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg: Martin Veith / und Happachische Interessenten, 1738. – Der III. Theil; VI. Capitel. Von unterschiedlichen Raub-Vöglen; Der 6. Absatz. Von der Nacht-Eul. S. 432 (ohne Bild):

Es können abermahlen auch die ungerechte Geitzhälß und Wucherer / mit den Nacht-Eulen / und zwar fürnemlich / in diesem Stück verglichen werden / daß / gleichwie man mit der Nacht-Eul / die man gefangen hat / leichtlich auch andere Vögel fangen kan; dann sie fliegen häuffig auf sie zu / sie seynd ihr häßig /und wollen an ihr rupfen und zupfen / mithin aber kommen sie dem Vogler selbsten in Kleb oder ins Garn / und werden gefangen.
Also wann der Teufel einen ungerechten Wucherer / oder reichen Geitzhalß gefangen hat / da fangt er vil andere Menschen damit: dann einige versündigen sich an dem Wucherer / oder Geitzhalß durch Neid und Haß / indem sie wünschen / daß sie dieser Nacht-Eul alle Federen könnten ausrupfen / oder gar die Augen auskratzen / das ist / um sein Gut und Geld bringen / oder gar das Lebens-Licht auslöschen. Andere die etwann unbillich seynd beschwert / geprest / oder betrogen worden / versündigen sich durch Zorn und Fluchen wider ihn. Noch andere / weilen sie sich etwann von dem Wucherer haben schmirben oder bestechen / und seinen Wucher / oder Ungerechtigkeit treiben lassen / da sie doch solches Ambts halber wohl verhinderen kunten und solten.
Deßwegen ist ein solche Nacht-Eul / das ist / ein Wucherer oder Geitzhalß / dem höllischen Jäger oder Vogler gar angenehm / weilen er vil andere Vögel /oder Seelen darmit fangen kan.
(> Text bei Zeno.org)

Joris Hoefnagel (1542–1600) illustrierte ein Schriftmusterbuch. Der kalligraphische Text scheint eine Deutung des Bilds nahezulegen:

[Kontext: Accesserunt ad Jesum pharisæi: Matth. 15,1] Interrogavit eum unus ex eis legis doctor, tentans eum: Magister, quod est mandatum magnum in lege? (Matth. 22, 35f.) Magistrum vocat, cujus non vult esse discipulus. Simplicissimus interrogator, et malignantissimus insidiator. De magno mandato interrogat, qui nec minimum observat (aus einem patristischen Matthaeus-Kommentar)

Mit den "hassenden" (und dann erlegten) Vögeln könnten die Pharisäer ≈ Schriftgelehrten gemeint sein, die Jesus auf die Probe stellen wollen, indem sie ihn fragen, welches das wichtigste Gebot sei. Man beachte auch die beiden gehässigen Schlangen, die sich unten um die Stämme winden.

Die Eule hält einen Caduceus (Hermes-Stab) im Fuß. Das verweist auf die (heidnisch-antike) Kombination von Eule der Minerva (für Bedächtigkeit) mit Stab des Hermes (für Schnelligkeit) gemeint: Hermathene. (Hoefnaegel hat das Motiv mehrfach verwendet.)

Die mobbenden Vögel haben ihre Konntationen: Der Wiedehopf als Allegorie der Hoffart*; die Gans für Dummheit usw.

*) Vgl.: Upupa nennen die Griechen so, weil sie sich auf menschlichem Kot niederlässt und von faulendem Schlamm ernährt (Isidor, Etym. XII,vii,66) — Er nistet in unrainikait und verunraint auch sein eigen nest. aber ez ist ain schœner vogel […]. Pei dem widhopfen verstên ich ainen ieglichen menschen, der schœn pœs ist und ain unstætez herz hat. (Konrad von Megenberg, Buch der Natur III,B,71) — Der Widhopff lebt vom Menschenkoth/ vnd hat doch ein Kron auffm Kopff. Durch disen Vogel werden verstanden die Ehrnschender/ so […] frembde laster mir jhrem eigenen Mundt essen vnnd zerbeissen/ indeme neblich sie wider sie murren/ vnd jhnen vil nachreden; Dise Gesellen haben gekrönte Köpff/ das ist/ sie sind versehen mit den Hörnern der Hoffart... (Aegidius Albertinus, Der Welt Tummel: vnd Schaw=Platz 1613, S.530f.)

Schriftmusterbuch des Georg Bocskay (1591–1594); Fo. 20; Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer, Inv.-Nr. 975_20

Ausführlich hierzu: Theodora Alida G. Wilberg Vignau-Schuurman, Die Emblematischen Elemente im Werke Joris Hoefnagels [1542–1600], Leiden: Universitaire Pers 1969, ¶ 367–391.

Eine burleske Variation im Kupferstich von Giacomo Franco (ca. 1550–1620):

Ein Satyr dreht eine auf einer Stange oben befestigte Platte, auf der eine geflügelte nackte Frau am Fuß angebunden ist. Von allen Seiten fliegen mit Männerköpfen versehene Vögel auf sie zu. Dem Satyr gegenüber ein junger Mann mit einer Katze im Arm, der mit dem Finger auf sein Auge zeigt (Geste für: Vorsicht! ich bin / seid auf der Hut!).

Fuggite, incauti giovinetti, i lacci
D'un volto lusinghiero, anchorche bello,
Accio che il rio Démon, con il cimb(ello)
[zimbellol]
Della civetta non v'intrichi e imp(acci)

≈ Flieht, unbedachtsame Jünglinge, vor der Falle eines schmeichelhaften und hübschen Gesichts, damit der böse Teufel euch nicht mit dem Lockruf der [civetta ist doppeldeutig] Eule / der koketten Frau in die Falle lockt.

Während bei der nicht-allegorischen Jagd-Technik die Vögel die Eule mobben, bildet diese "Eule" hier für die Männer-Vögel eine Attraktion.

Der Kupferstich ist zusammen mit späteren Repliken abgedruckt und besprochen im Aufsatz von Paul Perdrizet, La Chasse à la Chouette, in: La Revue de l'art ancien et moderne: 1 juillet 1907, p. 147
> http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k57805404/f202.item.r=pertrizet.texteImage

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Mehr zur Eulen-Ikonographie und -Symbolik:

••• Heinrich Schwarz / Volker Plagemann, Artikel »Eule«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI (1970), Sp. 267–322.
> http://www.rdklabor.de/w/?oldid=88725

••• Johann Hegelbach, Mobbing gegen Eulen – ein häufig verkanntes Motiv in der darstellenden Kunst, in: Der Ornithologische Beobachter, Band 115; Heft 4 (2018).
> https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/161089/1/1825004_353_370_Mobbing18_Web.pdf

••• Le blog de jean-yves cordier > online hier

••• https://artifexinopere.com/blog/interpr/peintres/boucher/loiseleur/

 

Weitere Beispiele für die Metaphorik von Schlingen usw. als PDF-Datei zum Download hier.

 


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