Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld
Rudolf Suntrup: Naturallegorie im Dienste der Heilsgeschichte. Die »Concordantiae caritatis« des Ulrich von Lilienfeld Vortrag vom 19. Sept. 2015 an der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung zum Thema »Verschleierte Botschaften – Gestalten und Leistungen der Allegorie«
EinführungIn den bald nach 1351 entstandenen »Concordantiae caritatis« (CC) des Zisterziensers Ulrich von Lilienfeld liegt ein hervorragendes Zeugnis spätmittelalterlicher klösterlicher Kultur und Frömmigkeit vor. Ich werde Ihnen nach wenigen Worten zum Autor die Concordantiae kurz allgemein erläutern und zu zeigen versuchen, wie das allbekannte Modell typologischen Textverständnisses in diesem Werk mit seiner untrennbaren Text-Bild-Beziehung strukturell erweitert wird, und zwar durch konsequente Einbeziehung naturallegorischer Elemente in die Auslegung. Dazu gehe ich in einem ganz kurzen Überblick auf frühere und verwandte typologische Zyklen ein, stelle dann im Vergleich die Besonderheit des Codex heraus, setze einen Akzent auf die im Thema angesprochene Naturallegorie, sage etwas zu den Quellen und frage abschließend: Für wen ist das alles verfasst worden? Zum Autor Ulrich von LilienfeldÜber den Autor geben die Quellen nur unvollständig Auskunft. Ulrich wurde vor 1308 in Klosterneuburg bei Wien oder in Wien als Sohn eines aus Nürnberg eingewanderten Kaufmanns geboren und lebte als Zisterziensermönch im niederösterreichischen Stift Lilienfeld, dem er von 1345-1351 als Abt vorstand. Danach gab er sein Amt auf und schuf als einfacher Mönch den umfangreichen Zyklus der CC. Ob er im Amt resignierte, um dieses Opus bewältigen zu können, ist nicht belegt. Ebenfalls kann sein genaues Todesdatum nicht ermittelt werden: Er starb an einem 20. April, vermutlich in der Amtszeit seines Nachfolgers Gerlach (bis 1358). Der Lilienfelder Codex 151 ist das unter Aufsicht des Autors entstandene ›Urexemplar‹ der CC. Martin Roland, ein besonders guter Kenner der Handschrift, hat in jüngster Zeit (Roland 2013 und Roland 2015) nach genauem Schriftvergleich dieses Ergebnis noch einmal präzisiert: Er ermittelt außer Ulrich selbst noch sieben weitere Schreiber; Autograph Ulrichs sind die ersten 22 Blätter (fol. 2r – 22r, die Paraphrase des Speculum humanae salvationis (fol. 155v – 156v), dann weitere einzelne Textseiten (fol. 196r und 245r) sowie der gesamte Anhang (fol. 249v – 263r); hinzu kommen noch weitere Beschriftungen. Roland geht davon aus, dass Ulrich anhand eines eigenen Werkmanuskripts mit vielen Notizen und Korrekturen ein ›repräsentatives Autorenexemplar‹ schaffen lassen wollte, an dem er selbst leitend beteiligt war und dass auch den Reichtum des Klosters nach außen hin dokumentieren sollte. 40 Abschriften von Teilen des Textes, des gesamten Textes oder des gesamten Werkes mit Texten und Bildern sind bekannt, keine Handschrift ist vollständig. 7 Handschriften sind bebildert. Besonders bedeutende Abschriften befinden sich in Budapest (Zentralbibliothek des Piaristenordens, cod. CX 2, vom Jahr 1413, im Wiener Schottenstift angefertigt) und in New York (Pierpont Morgan Library, M 1045; drittes Viertel des 15. Jahrhunderts; ebenfalls aus Wien). Der Titel »Concordantiae caritatis«Leitender Gedanke für die Titelgebung dürfte für Ulrich die in Text und Bild umgesetzte typologische Beziehung zwischen christlichem Antitypus sowie dessen Präfigurationen im Alten Testament und in Phänomenen der Natur gewesen sein, die sich im Werk besonders einprägsam zeigt; Ulrichs im Werktitel benannte Absicht, die in der Heilsgeschichte und in der Natur geoffenbarte ›Übereinstimmung des liebenden Wirkens‹ Christi darzustellen, klingt zumindest indirekt im Prolog (fol. 2r) an, wenn die ›Konkordanz‹ der Themen (qualiter ewangelio concordent singula) auf einer aufgeschlagenen Doppelseite der CC vorgestellt wird. Die »Concordantiae caritatis« stellen unter den hoch- und spätmittelalterlichen typologischen Zyklen einen markanten Schluss- und Höhepunkt dar. Der Begriff ›Typologie‹Aus dem Hoch- und Spätmittelalter sind zahlreiche Handschriften überliefert, die in ihrer Konzeption von Textelementen und Bildstrukturen der Denkform der Typologie verpflichtet sind: Diese beruht auf der im Mittelalter ausgestalteten Auffassung vom universalen Heilswirken Gottes in der Geschichte, nach der sich die vorchristliche Zeit in Christus und der ihm mystisch verbundenen Kirche gesteigert erfüllt. Alttestamentliche Personen, Ereignisse und Einrichtungen oder signifikante Beispiele aus der Naturgeschichte stehen zum Neuen Testament und dem in ihm bezeugten Heilsgeschehen in einem Verhältnis von Vorbild und erfülltem Gegenbild, von Typus und Antitypus.
Das ursprünglich strikt innerbiblisch verwendete Deutungsmuster wird über die Denkfigur vom ›corpus Christi mysticum‹ erweitert, welche die Kirche geistig mit ihrem Haupt Christus vereint sieht – so auch in den CC, in denen der Antitypus nicht nur Christus ist, sondern Szenen aus der Apostelgeschichte und der Apokalypse mit einbezieht. Präfigurierend, in typologischer Funktion, kann der große Bereich der Naturallegorese verwendet werden, wie es für weite Teile der CC prägend ist. Typologische ZyklenEin gut bekanntes, frühes Beispiel für angewandte Typologie in mittelalterlichen Text-Bild-Zyklen bietet der »Dialogus de laudibus sanctae crucis« (clm 14159), eines der wichtigsten Zeugnisse der Regensburger Buchmalerei, neuartig und ohne direkte Nachfolge im Text und in seiner bildkünstlerischen Darstellung.
Dieser lateinische »Dialog über das Lob des heiligen Kreuzes« ist etwa auf 1170–1175 datierbar und damit der älteste bekannte typologische Zyklus auf deutschem Boden. Wenig später schafft Nikolaus von Verdun den Klosterneuburger Altar mit einem ersten großartigen Text-Bild-Programm in klarer Zuordnung von Vorbildern aus der Zeit vor dem mosaischen Gesetz (ante legem) und unter dem Gesetz (sub lege) zum Antitypus in der Zeit der Gnade (sub gratia).
Es ist anzunehmen, dass Ulrich diesen bedeutenden Altar gekannt hat, da bezeugt ist, dass seine Eltern 1308 in Klosterneuburg lebten. Die Gründe für die Intensivierung der Typologie in dieser Zeit sind vielfältig. Sicher zählt dazu ein strukturelles Bemühen: »der Drang zur systematischen und umfassenden Synthese«, das im Hochmittelalter sich entwickelnde Streben, die gesamte erfahrbare Wirklichkeit, die Geschichte und das stark zunehmende enzyklopädische Einzelwissen zu systematisieren und in einen »theozentrischen Mikrokosmos« (Gerhard Schmidt 1959) einzubinden. In diesem Kontext haben die nun neu entstehenden figural-typologischen Zyklen auch die Funktion der Erkenntnis des Wirkens Gottes in der Geschichte. Ein frühes schriftliterarisches Zeugnis dieser Entwicklung bietet der »Pictor in Carmine« eines um 1200 wirkenden englischen Zisterziensers mit einem Prolog, einer typologischen Tabula als Inhaltsübersicht und mit erklärenden 138 Kapiteln mit 1780 Verspaaren (älteste und vollständigste Hs. Cambrigde, Corpus Christi College, Ms. 300, hg. von Karl-August Wirth, Berlin 2006). Auf seiner Grundlage entsteht in Österreich eine umgestaltete, gestraffte Version mit 68 Gruppen, die »Rota in medio rotae« aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Die Ausformung der Typologie zu großen typologischen Text-Bild-Zyklen erreicht in der seit etwa 1220 bezeugten, auch in Prachthandschriften des 13. Jahrhunderts überlieferten »Bible moralisée«, …
dann im 14./15. Jahrhundert mit den ältesten erhaltenen Handschriften der – wohl um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen – »Biblia Pauperum« …
... und der reichen Überlieferung des »Speculum humanae salvationis« beeindruckende Höhepunkte:
Den markanten Schluss dieser groß angelegten Zyklen bilden Ulrichs CC. Inhalt, GliederungInhaltlich ist die Schrift in ihrem Kern eine Predigtsammlung, die in drei Hauptteile gegliedert ist
Der an den Prolog (fol. 2r) anschließende erste Teil (De tempore), in Cod. 151 fol. 2v–155r mit ursprünglich 156 Bild- und zugehörigen Textseiten (3 Blätter fehlen), gilt den Evangelienperikopen der Sonntage und Herrenfeste sowie der Ferialtage der Advents-, Fasten- und Quatemberzeit. Er schließt auf fol. 155v-156v mit einem von Ulrich eingefügten Resümee des »Speculum humanae salvationis« in 42 vierzeiligen Strophen mit vorangestelltem Prolog. Fol. 157 ist leer. Im zweiten Teil (De sanctis), fol. 157v-230r, fasst der Codex in 73 Predigten die Heiligenfeste des Kirchenjahres in der Abfolge des Festkalenders, ausgehend von den entsprechenden Legenden, zusammen. Neun allgemeiner gehaltene Predigten, unter anderem zur Kirchweih, zur Primiz, zum Weltgericht sowie zu den gemeinsamen Heiligenmessen (fol. 230v-239r), setzen sich als eigener Block vom Proprium de sanctis ab. Diese Einteilung des Grundtextes mit Temporale, Sanktorale und Commune sanctorum entspricht in der liturgischen Ordnung einem Missale (Messbuch), das Ulrich als Quelle nicht nennt, sondern als bekannt voraussetzt. Aufbau einer DoppelseiteIn den illustrierten Handschriften bildet in den bisher angeführten Kerntexten der CC die aufgeschlagene Verso- und Recto-Doppelseite für den Leser und Betrachter jeweils eine Sinneinheit.
Darauf weist Ulrich im Prolog (fol. 2r) besonders hin, in dem er die Darstellungsweise des Werks vorstellt:
Die Bildseiten (Verso-Seiten) zeigen in einem zentral plazierten, schon durch seine Größe im Rang hervorgehobenen Medaillon als Hauptdarstellung die Geschichte des Evangeliums vom Tage; im ersten Teil De tempore sind das Szenen aus dem Leben Jesu oder Parabeln und Gleichnisse – hier zum Beispiel (fol. 20v) im Bild der zwölfjährige Jesus im Tempel im Disput mit den Schriftgelehrten –, im zweiten Teil De sanctis zumeist Märtyrerszenen der Heiligenlegende, im dritten Teil Bilder zu marianischen oder weiteren kirchlichen Festen (im unten folgenden Schema Feld [a]). Diese neutestamentlichen oder legendarischen Szenen werden von jeweils vier Prophetenhalbfiguren begleitet (Felder [f], [g], [h], [i]). Bibelzitate in der Umschrift der Medaillons und in Spruchbändern erläutern die Szene; Ulrich versteht die vier Propheten als Gewährsleute, deren Aussprüche mit ebendiesem Evangelium übereinstimmen (quatuor auctoritates de prophetis cum ipso euangelio concordantes). Unter den Hauptbildern sind in textierten Bildfeldern zwei Präfigurationen aus dem Alten Testament (hier zu Samuel und Daniel), seltener auch aus der Apostelgeschichte, der Apokalypse oder aus Apokryphen angeordnet (Felder [b] und [c]) – eine Komposition, die Ulrich der ›Weimarer Gruppe‹ der Biblia Pauperum entlehnt haben dürfte (Gerhard Schmidt):
Darunter werden in gleicher Größe, offenbar also auch in gleichem Rang, zwei Darstellungen von Dingen aus der Natur präsentier: (im linken Feld die Heuschrecken [!] und im rechten ein weißes und ein schwarzes Schaf an der Quelle), die sich in irgendeiner Ähnlichkeit auf das betreffende Evangelium beziehen (due nature rerum ad ipsum ewangelium similitudinarie pertinentes, fol. 2r) (Felder [d] und [e]). Die Lilienfelder Handschrift ist also dadurch ausgezeichnet, dass sie in Text und Bild zum ersten Mal durchgängig konsequent den alttestamentlichen Typen, formal gleich strukturiert und auch im Inhaltsumfang gleichwertig, Zeugnisse aus der Naturdeutung, und hier ganz schwerpunktmäßig aus der Tierallegorese, beigibt. In der Forschung umstritten ist, ob es erlaubt ist, diesen Allegorien aus der Naturgeschichte eine ›typologische Funktion‹ zuzuerkennen (kritisch Munscheck 2000, bes. S. 44–62 und hier S. 60). Stimmt man dem mit dem gebotenen Problembewusstsein zu, dann werden auf diese Weise 238 Antitypen mit ihren Typen zu insgesamt 1188 verschiedenen Szenen vereinigt. Auf den Recto-Seiten wird der Text-Bild-Inhalt der Verso-Seiten in einem ausführlichen lateinischen Text im Hinblick auf die Konkordanzen aller Einzelheiten mit dem Tagesevangelium kommentiert (Feld [a]) und allegorisch-tropologisch gedeutet (Felder [b] bis [e]). Schematisch lässt sich der Aufbau der Doppelseiten in Cod. 151, von wenigen Ausnahmen abgesehen, folgendermaßen darstellen: Verso-Seite mit den Feldern (a) – (i): Recto-Seite mit den Feldern (a) – (e): Außerdem ist in die vollständigen Handschriften, so auch in Cod. 151 (fol. 239v – 249r), die Auslegung der Zehn Gebote integriert; zu den Anhängen siehe unten.
☆ ☆ ☆ Ein Beispiel, genauer betrachtetSehen wir uns nun einmal genauer exemplarisch eine Seite aus dem Teil zum Heiligenkalender an, aus dem Proprium de Sanctis. [Folie: 213v ganz] Thema ist der hl. Lambertus, dessen Festtag der 17. September ist. Im Zentralmedaillon (fol. 213v) sehen wir die Szene der Enthauptung, und im erklärenden Text der Umschrift [Verso-Seite fol. 213v Feld a, oben] heißt es:
Im erläuternden Text [Recto-Seite fol. 214r, Feld a] berichtet Ulrich:
Das entspricht der Lambert-Vita, die seit dem 8. Jahrhundert mehrfach aktualisiert wurde und weit verbreitet war: Lambert, Bischof von Tongern-Maastricht, musste im Jahr 675 in das Kloster Stablo ins Exil gehen, konnte aber unter König Pippin II. 682 wieder auf seinen Bischofssitz zurückkehren. Er erwarb sich große Verdienste bei der Christianisierung der Region im heutigen Nord-Brabant und wurde im Verlauf einer Blutrache in Lüttich erschlagen; da er sich nicht zur Wehr setzte, galt er schon früh als Märtyrer, und im gesamten Erzbistum Köln war sein Kult früh und weit verbreitet (Georg Gresser, Lambert [Landibertus], in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 6, Freiburg, Basel u.a. 1997, Sp. 618). Das Zentralmedaillon ist umgeben von den vier Propheten David, Isaias, Jeremias und Nehemias (hier die rechte Seite mit den Feldern [g] und [i]), deren Umschriften auf Schriftzitate verweisen, die ihre Gebetstätigkeit beschreiben:
Die darunter plazierten Bilder werden jeweils mit Kurztexten versehen (oben die Texte [b] bis [e]), die schon die Thematik der vier Bildfelder anreißen:
Im weiteren Text Ulrichs zu Lambert wird nun dieser als vorbildlicher Heiliger dargestellt, indem seine besondere Liebe der Gerechtigkeit hervorgehoben wird [weiter Text a zu fol. 214r]:
Es schließen sich nun zunächst zwei Szenen aus dem Alten Testament an, die in mehr oder weniger textnaher Weise gedanklich Bezug nehmen auf die Vorbildfigur Lambert: Es sind dies Szenen aus dem Buch der Richter und aus dem ersten Buch der Könige. [b] In dem einen Fall wird berichtet, wie Micha, ein Mann, der im Gebirge Efraim lebte, einen aus Bethlehem kommenden Leviten überredet, bei ihm zu bleiben und für ihn Dienste als Levit zu verrichten; er wird ›wie einer seiner Söhne‹. Ulrich referiert diese Geschichte und legt ihre Kernelemente allegorisch aus [Feld b]:
[Die Allegorese läuft so: Priester ≈ Mittler zwischen Gott und Mensch; 10 Silberstücke: Zehn ≈ vollkommene Zahl, Zahl der 10 Gebote/Gesetze; doppeltes Gewand ≈ Bekenner und Martyrer; Sohn ≈ Helfer und Schutzpatron.] Im Bild rechts [Feld c] geht es um eine Szene mit König Saul im Kampf gegen die überlegenen Philister, der sich mit einer Totenbeschwörerin von En-Dor auseinanderzusetzen hat (im Text mulier phitonissa, Hexe; Kontext 1. Sam 28,3–25). Ulrich schreibt:
Nachdem nun zwei Szenen aus dem Alten Testament kunstvoll – oder auch für den heutigen Leser in einer durchaus gekünstelten Weise – als Präfigurationen auf den Antitypus Lambert und sein Wirken bezogen worden sind, schließt Ulrich auf jeder Bildseite zwei Gegebenheiten aus der Natur an, um auch diese allegorisch auf den Heiligen zu beziehen. Zunächst [d] referiert er eine merkwürdige Geschichte, für die er Isidor von Sevilla als Gewährsmann nennt; dessen Enzyklopädie ist ja, wie wir wissen, mit größter Intensität über Jahrhunderte rezipiert worden. Ulrich schreibt:
Im 12. Buch von Isidors »Etymologiae« über die Tiere und dort im 12. Kapitel lesen wir zu den Bienen in einem längeren Eintrag auch Folgendes:
Die heute so fremd anmutende Kernaussage referiert Ulrich also richtig, um sie dann sogleich [d; Fortsetzung] allegorisch auf das Schicksal des Lambertus zu beziehen:
Eine zweite Naturallegorie schließt Ulrich an:
Diese Aussage finden wir bei Isidor im Kapitel über die Fische, wo er die Purpurschnecke behandelt, deren verschiedene Namen er erklärt (murex, conchilium, aber eben auch ostrum / Auster, Etym. 12,6,50). Ulrich schließt eine allegorische, auf Lambert bezogene Deutung an, die wir recht gut nachvollziehen können]:
☆ ☆ ☆ Typologie mit Querbeziehungen und Oppositionen Wie der Textauszug zeigt und wie durch Vergleich mit dem Gesamttext erkennbar ist, hat Ulrich den Text einem ganz einheitlich durchgehaltenen Schema eingepasst. Ausgangspunkt ist die mit Stellenangabe genannte Perikope, in der Regel das Evangelium vom Tage, das allegorisch (christologisch, tropologisch) gedeutet wird. Zwei typologisch auf das Evangelium bezogene Geschehnisse aus dem Alten Testament bzw. dem Heiligenleben folgen; der Bezug ergibt sich durch Handlungselemente, die den Verweis auf das neutestamentliche Geschehen oder Fakten aus dem Heiligenleben plausibel machen wollen. Zwei naturallegorische Bedeutungsträger schließen sich gleichberechtigt an, sie sind einfach mit natura oder rerum natura überschrieben. Ulrich hat es nicht darauf angelegt, eine Theorie spätmittelalterlicher Naturauslegung zu entwickeln, sondern er praktiziert sie durch selbstverständliche Einbeziehung der Natur in eine interpretatio christiana im Dienst der Verkündigung. In beiden Fällen ist das – aus der Bibelallegorese vertraute – Deutungsschema völlig gleich; die Auslegungen erfolgen in kleinen Schritten, Satzelement für Satzelement werden die Personen bzw. die beschriebenen Tiere mit ihren einfachen oder komplexen Eigenschaften, ihrer Entwicklung, ihrem Verhalten und den mit ihnen vollzogenen Handlungen nach und nach durch standardmäßiges id est oder vergleichbares, formal anspruchsloses Vokabular des Bezeichnens zur Bedeutung geführt. Eindeutig favorisiert hat Ulrich die Tierdeutung; Pflanzen werden viel seltener einbezogen. Mehr als 215 verschiedene, keinesfalls nur aus der Bibel bekannte Säugetiere, Insekten, Vögel, Reptilien und Meerestiere, auch Fabeltiere, dienen als Naturexempel, viele von ihnen werden mehrfach genannt – gelegentlich wird ihre deutsche Bezeichnung hinzugesetzt – und durch unterschiedliche Eigenschaften und Verhaltensweisen situationsgerecht gedeutet (vgl. Suntrup 2004a). Nach diesem am Beispiel erläuterten Prinzip sind alle Textseiten und die darauf bezogenen textierten Abbildungen aus dem liturgischen Jahreskreis und zu den Heiligenfesten aufgebaut. Bemerkenswert sind hier die Abfolge und das gleichzeitige Zusammenspiel von Text und Bild. Das mittelalterliche Verständnis von Geschichte, so wird man pauschalisierend sagen dürfen, ist linear; es versteht die Geschichte als nach göttlichem Plan verlaufende Heilsgeschichte, die sich in den biblischen Büchern abbildet, welche die Menschheitsgeschichte von der Genesis der Welt bis zum apokalytischen Weltende als Kontinuum darstellen. Dieses linear konstruierte heilsgeschichtliche Weltbild kann und will sich in den typologischen Text-Bild-Zyklen nicht abbilden – Bruno Reudenbach hat das in einer Publikation (2015) zur Biblia pauperum sehr überzeugend herausgearbeitet. Wie dort – und hier in den CC noch eindeutiger – erfolgt die Visualierung der Heilsgeschichte nicht linear, zumal unsere Handschrift nach den Evangelienperikopen geordnet ist, sondern die typologische Grundstruktur im Layout voller Querbeziehungen und Oppositionen erfordert die Fähigkeit, in gewisser Weise sprunghaft, assoziativ und synoptisch zu sehen und zu verstehen, die Relation von alt und neu, von der Verheißung des Vor- und Abbildes und der Erfüllung in Christus und der ihm verbundenen Kirche zu erkennen. Zu den QuellenMissale, Bibel und Legendare sind ständig zitierte oder paraphrasierte Quellen. Genauere Quellenuntersuchungen, die noch zu leisten wären, sind durch den offensichtlich synthetischen Charakter der CC schwierig; diese sind ein Zeugnis der ›enzyklopädischen Tendenz‹ (Gerhard Schmidt) des 13./14. Jahrhunderts, sie nutzen aber das theologische und naturkundliche Wissen der Zeit auf ganz originäre Weise. Die Profangeschichte bleibt hingegen – anders etwa als im »Speculum humanae salvationis« – völlig ausgeklammert. Eine wesentliche Quelle sind die Schriften des Christan von Lilienfeld, dieser war Prior des Klosters, als Ulrich dort eingetreten war. Dass Ulrich durch Christan für die typologischen und naturallegorischen Auslegungen seiner CC wesentliche Anregungen erfahren hat, zeigen wörtliche Übernahmen (vornehmlich bei den Bildtituli) aus dessen »Concordancie de aliquibus veteris testamenti cum novo et aliis« und dessen »Versus de evangeliis dominicalibus« sowie Entlehnungen aus Christans Naturtraktaten (vgl. auch Munscheck 2000, S. 74). Die Schriften Christans (Cod. 137, Cod. 144 und Cod. 145 sind Sammelhandschriften Christans) waren für Ulrich im Kloster leicht zugänglich. – Die »Biblia Pauperum« hat sicher als Typensammlung auf die CC eingewirkt. In der Ausführlichkeit der Texte und in der Programmatik des Prologs, weniger jedoch in der inhaltlichen Ausführung sind die CC dem »Speculum humanae salvationis« verwandt, dessen Kompilation Ulrich in seinen Text aufnahm. Bei den Naturallegorien in typologischem Gebrauch werden meistens nur die Autorennamen oder gelegentlich Werktitel verzeichnet, so dass eine exakte Quelle oft schwierig zu ermitteln ist. Als Autornamen werden bei den Naturallegorien aus der Antike besonders häufig Aristoteles und Plinius, unter den Autoren der Patristik und des Mittelalters die Kirchenväter Ambrosius und Augustinus (seltener Gregorius und Hieronymus), ferner Solinus, Isidor von Sevilla und Iacobus (de Voragine) genannt, dazu der »Experimentator« und ein »Liber rerum«. Eine große Zahl weiterer Autoren wird gelegentlich angeführt, darunter einige schwer zu identifizierende Namen, und der »Physiologus«. Für die Tierdeutung ist der »Liber De natura rerum« des Thomas von Cantimpré maßgeblich, nach Van den Abeele die ›Thomas-III‹-Redaktion wesentlich, aus welcher Ulrich Proprietäten entlehnt und komprimiert neuformuliert habe. Zudem sei mit eigenen Beiträgen Ulrichs zu rechnen, welche dieser teilweise mit Quellenangaben versehen habe, auch wenn sie aus dem Allgemeinwissen stammten. Zu intensiven Quellenstudien hat Herbert Douteil durch seinen Quellenapparat die Grundlage gelegt. Sein Quellenverzeichnis weist rund 150 Autoren oder anonyme Werke auf. Dass es sich hierbei nicht um ›Quellen‹ im strikten Sinn handelt, ist Douteil und uns Herausgebern klar bewusst gewesen. Ulrich hat sein Wissen in erheblichem Maße über die ihm zur Verfügung stehenden Enzyklopädien gewonnen, memoriert und neuformuliert. Monastischer Exegese entspricht eher das meditative ›Zitieren‹ aus zweiter Hand und aus dem Gedächtnis, das freie Spiel mit Assoziationen, Ähnlichkeiten und Vergleichen, die in meditativer Lektüre gewonnen werden. Ziel und ZweckWem hat eigentlich diese Handschrift gedient, welchen praktischen Zweck hat sie verfolgt, mit welcher Intention ist sie verfasst, für wen ist sie geschrieben? Über die ›Zielgruppe‹ äußert sich Ulrich im Prolog. Er versteht die CC als eine Kompilation, die sich in Text und Illustration an den durch Schlichtheit und Geldmangel, daher auch Büchermangel gekennzeichneten niederen Klerus und an religiöse Laien richte, sind doch Bilder die Bücher der ungebildeten Laien – picture sunt libri simplicium laicorum (fol. 2r, S. 4f.). Die Formulierung suggeriert, ›einfache‹, zugleich leseunkundige Laien seien zu ihrer Unterweisung in besonderer Weise auf das Bild angewiesen, sie sagt aber nichts über den tatsächlichen Grad der Laienbildung im Spätmittelalter aus; dazu ist von einem differenzierten Laienbegriff auszugehen. Ulrichs Dictum ist topisch, von einer formelhaften Qualität, die über den tatsächlichen Adressatenkreis wenig aussagt. Der Prolog des von Ulrich benutzten »Speculum humanae salvationis« formuliert den gleichen Gedanken. Nach Anna Boreczky ist anzunehmen, das Werk sei »für die Konversen bestimmt, also für die im Zisterzienserorden lebenden Brüder mit Profeß, die jedoch keine höheren Studien betrieben und nicht zu Priestern geweiht wurden« (Boreczky 2001, S. 2). Einleitend schrieb ich, die CC seien in ihrem Kern eine Predigtsammlung. Jedoch handelt es sich nicht um ausformulierte Predigten, sondern eher um postillenartig geordnete Predigtentwürfe und -hilfen. Dass die Handschrift der praktischen Predigtvorbereitung gedient hat, dürfte sich schon aus dem durch das Missale vorgegebenen Grundschema mit den drei Kategorien De tempore, De sanctis und Commune sanctorum ergeben. Auch der privaten Meditation dürfte der reich illustrierte Codex, dessen Bildseiten einen ganz wesentlichen Bestandteil der Handschrift ausmachen, gedient haben. Die überwiegend schlichten Federzeichnungen, von verschiedenen Illustratoren unterschiedlicher Begabung angefertigt, sind keinesfalls nur schmückendes Beiwerk, sondern eine wesentliche Verständnis- und Memorierhilfe. Mit Sicherheit hat die Handschrift aber auch eine didaktische Funktion. Den Novizen und Mönchen wird durch den typologischen Grundtext ein umfassendes biblisches Wissen vermittelt. Martin Roland spricht von einem »biblisch-liturgischen Universallehrbuch für Postulanten, Novizen und Mönche« (Roland 2015). Auf die Lehrfunktion weist auch der umfangreiche Anhang der Handschrift hin. Er umfasst weitere Kleintexte allegorisch-didaktischen Inhalts, von denen einige (mit deutschem Text) Ulrich zuzuschreiben sind; Reihenfolge und Anzahl der Zugaben variieren in den Handschriften, teilweise sind sie auch separat überliefert. LiteraturQuellenedition: Herbert Douteil, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355), hg. von Rudolf Suntrup, Arnold Angenendt und Volker Honemann, Bd. 1: Einführungen, Text und Übersetzung, Bd. 2: Verzeichnisse, Quellenapparat, Register, Farbtafeln der Bildseiten der Handschrift, Münster: Aschendorff 2010. Neuere Forschungsliteratur in Auswahl, chronologisch geordnet: Schmid 1954 — Alfred A. Schmid, ‘Concordantia caritatis’, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 3 (1954), Sp. 833-853 (online hier) Schmidt 1959 — Gerhard Schmidt, Die Armenbibeln des XIV. 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Zusammenstellung und Beschreibung des Textmaterials, Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte, Untersuchungen zur Genese, Ästhetik und Gebrauchsfunktion der Gattung (Beihefte zu Poetica 24), München 2001, bes. S. 57f., 243-255 Boreczky 2002 — Anna Boreczky, Rezension [zu Munscheck 2000], in: Codices manuscripti 39/40 (2002), S. 54-56 Roland 2002 — Martin Roland, Die Lilienfelder Concordantiae Caritatis (Stiftsbibliothek Lilienfeld Cli 151) (Codices Illuminati 2), Graz 2002 Suntrup 2003a — Rudolf Suntrup, ‘Typologie’, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, hg. von Manfred Landfester. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte. Bd. 15/3, Stuttgart – Weimar 2003, Sp. 677-685 Suntrup 2003b Rudolf Suntrup, ‘Typologie1’, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, hg. [...] von Jan-Dirk Müller, Berlin – New York 2003, S. 607-609 Boreczky 2004 — Anna Boreczky, A brief report on new copies of Concordantiae caritatis, in: Codices manuscripti. 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Budapest 2009 Roland 2013— Martin Roland, Ulrich von Lilienfeld und die „Originalhandschrift“ seiner Concordantiae caritatis, in: Medieval Autograph Manuscripts. Proceedings oft he XVIIth Colloquium of the Comité International de Paléographie Latine, hg. von Nataša Golob, Turnhout 2013 (Bibliologia 36), S. 181-200 Roland 2015 — Martin Roland, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld, in: Campililiensia. Geschichte, Kunst und Kultur des Zisterzienserstiftes Lilienfeld (Hg. von Pius Maurer, Irene Rabl, Harald Schmid). Lilienfeld 2015, S. 249–272 Reudenbach 2015 — Bruno Reudenbach, Salvation History, Typology, and the End of Time in the Biblia Pauperum, in: Between Jerusalem and Europe. Essays in Honour of Bianca Kühnel, hg. von Renana Bartal – Hanna Vorholt, Leiden, Boston 2015, S. 217–232.
Umfassende Materialien zu den CC, zusammengestellt von Martin Roland, sind zugänglich über: http://www.univie.ac.at/paecht-archiv-wien/materialien_index.html (Aufruf 15.09.2015) |