Personifikationsallegorie

 

Dietrich Meyer (Zürich 1572–1658)

Genese

Strebungen, Gefühle (Hass, Angst, Neid), natürliche Bedürfnisse (Hunger, Schlaf), unserer Willkür entzogene Mächte (Sünde, Tod, Gnade) werden gerne metaphorisch ausgedrückt: die Wut hat mich gepackt, die Sünde fesselt mich, das Gewissen plagt mich. – Das etwas blasse handelnde Abstraktum (die Wut) kann nun etwas Körper bekommen. Zum Beispiel  ist der Geiz mager und blass, ärmlich gekleidet, in der Hand hält er einen zugeknöpften Geldbeutel; d.h. die Personifikation wird ausgestattet mit Attributen eines Geizigen. Statt menschlichen Figuren sind oft auch Tiere die Träger der Personifikation. – Solche Attribute kann man der Figur in die Hand drücken oder neben sie auf den Boden stellen. Man kann die Figur aber auch aus diesen Attributen komponieren, und so wird die Personifikation ein Kompositwesen.

Nochmals:

[a] Ausgangspunkt sind Verbmetaphern prata rident. – ich bin der minne undertân. Das Verb verlangt ›eigentlich‹ ein menschliches Subjekt; Kontexteinfärbung. Das Subjekt bekommt etwas Menschliches. Die grammatikalische Subjekt-Prädikat-Struktur wird gern als Täter-Handlung-Aussage aufgefasst (Hypostasierung). Wittgenstein: »Man könnte auch von einer Tätigkeit der Butter sprechen, wenn sie im Preise steigt.« (Ph.U. § 693)

[b] Ausbau: statt *der Streit erhebt sich erneut: Er fürchtet sich bei jedem Wort, es möchte aus dem Abgrunde der Streit wieder sein struppicht Haupt erheben. (Gotthelf)

[c] besonders für Personifikation anfällige Gebiete: Strebungen, Gefühle (Hass, Angst, Neid), natürliche Bedürfnisse (Hunger, Schlaf), unserer Willkür entzogene Mächte (Sünde, Tod, Gnade): die Wut hat mich gepackt, die Sünde fesselt mich, das Gewissen plagt mich.

[d] weiterer Ausbau: Das vorerst blasse ›abstractum agens‹ will motiviert werden:

[d1] Attribute werden dem Subjekt zugeordnet, z.B. die Avaritia ist mager und blass, ärmlich gekleidet, in der Hand hält sie einen zugeknöpften Geldbeutel. Der Geiz wird umgeben mit Attributen des Geizigen.

[d2] Bildlichkeiten verstärken die Attribute: Metonymie: die Zeit hält eine Uhr (das Instrument steht für das damit Gemessene) Metapher: der Tod hält eine Sense in der Hand (beruht auf einem Gleichnis: Es liegen die Menschen wie Halmbüschel hinter dem Schnitter Jer 9,21)

[d3] Statt menschlichen Figuren sind Tiere die Träger der Personifikation, z.B. Die Violentia wird durch einen Bären ›ursifiziert‹.

[e] weiterer Ausbau zum Mikro-Drama: Die Personifikationen handeln: Kämpfe zwischen Tugenden und Lastern (Psychomachie).

[f] Die Personifikation wird analog zu antiken Göttern gesetzt (z.B. Pax oder Natura wird gleich behandelt wie Minerva)

 

Einzelne Themen:

{Die einzelnen Unterkapitel können nicht exakt getrennt werden, es gibt Überlappungen.)

Calumnia

Fama – Ein Beispiel für eine extrem doppeldeutige Personifikation

Frau Welt

Frou Minne, Dame Amour bei Sebastian Brant, Heinrich Wittenwiler und anderswo

Laster- und Tugendallegorien

Logik auf der Jagd (Gregor Reisch)

Der Meide Kranz

Psychomachia / Etymachie – Personifikationsallegorien dynamisiert > hier

Redekunst

Temperantia mit Zaumzeug

Tugendhafte Frau

Vier Töchter Gottes

Vir bonus (Reinmar von Zweter, Hutten) – Kompositwesen in der Art der mnemotechnischen Figuren

 

Cesare Ripa »Iconologia« – Ein ganzes Buch zum Thema!

 

Jakob de Gheyn II. (1565–1629) inv. et ex.: Invidia
> https://nat.museum-digital.de/object/809302
Ausgangspunkt ist: Ovid, Metamorphosen II, 760–832

 

Literaturhinweise:

Paul Michel, »Alieniloquium«. Elemente einer Grammatik der Bildrede, (Zürcher germanistische Studien 3), Bern / Frankfurt / New York: Lang 1987; §§ 610–632.