Laster- und Tugendallegorien
Übersicht: Kampf zwischen Tugenden und Lastern (Psychomachie und Etymachie)
In der abendländischen Kulturgeschichte gibt es über Jahrhunderte hinweg recht stabile Kataloge von Tugenden und Lastern. Man fragt sich, wozu das dient oder sogar notwendig ist. Im Gegensatz zu den instinktgeleiteten Tieren ist der Mensch ›nicht festgestelllt‹ (Nietzsche), ein ›Mängelwesen‹ (Arnold Gehlen). Infolge der ›Instinktreduktion‹ des Menschen würden das sittliche Verhalten bzw. die moralischen Verfehlungen ohne kulturellen Eingriff ein Chaos darstellen, was ein Zusammleben beinahe verunmöglicht. Die ›Weltoffenheit‹ wird kompensiert mittels institutionell eingerichteter Verhaltensweisen. Für ein Zusammenleben besteht die Notwendigkeit einer Konventionalisierung des Handelns, die die Freiheit des Handelns zwar einschränkt, die Individuen aber auch wohltuend vom Druck des selbständigen Entscheidens ›entlastet‹. Kommunikativ ausgehandelte und stabile Riten geben Halt.
LasterallegorienIm Gegensatz zu den 10 Geboten des Dekalogs (z.B: Du sollst den Sabbat heilig halten) geben die sog. Hauptlaster keine apodiktischen Verhaltensanweisungen, sondern beschreiben einen Habitus.
Es ist eine große Menge von Texten und Bildern bekannt, mit denen die Hauptlaster repräsentiert werden. Hier einige Hinweise auf Quellen: Eine Siebenlasterlehre im engeren Sinne (SALIGIA) kennt die Bibel nicht, freilich werden einzelne Laster da und dort im NT katalogartig aufgezählt: Markus 7,21–22 (zwölf Laster) — Matthäus 15,19 (sieben Laster) — Röm. 13,13 — 1.Kor. 5,11 — 1.Kor. 6, 9–11 (neun Laster) — 2.Kor. 12,20f. — Galater 5,19-21 (fünfzehn Laster) — Epheser 4,31 — Epheser 5, 3–4 (sechs ungeziemende Dinge) — Kolosser 3,5–8 — 2.Timotheus 3,2–5 (neunzehn Laster) — 1.Johannesbrief 2,16 (drei Laster). Eine frühe Version findet sich bei (345–399), der als Mönch Ende des 4. Jahrhunderts in der ägyptischen Wüste lebte. Er spricht von oktologismoi, also acht bösen Gedanken, die den Mönchen von Dämonen eingeflüstert werden.
(† 430/35), Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern (Collationes patrum), Fünfte Unterredung, welche die des Abtes Serapion über die acht Hauptlaster ist.
(um 540–604), Moralia in Job XXXI,xlv,87 (Migne PL 76,620ff.) — hier sind es jetzt sieben Laster
(735–804)
(† 1141)
(1225/6 – 1274), »Summa«, Prima Secundæ, Quæstio lxxxiv, Art. 4 (vgl. Kommentar in der Deutschen Thomas-Ausgabe, Band 12)
Werke aus dem vierzehnten Jahrhunderte. Ein Beytrag zur Zeit- und Sittengeschichte, hrsg. von Alois Primisser, Wien: Wallishausser, 1827. 's (ca.1320–1395)
P. Rainer Rudolf, (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 22), Berlin: E.Schmidt 1969. Des tüfels segi (ca. Anfang 15.Jh.)
Die sieben Töchter Luzifers (Gedicht eines unbekannten Verfassers, ca. 1460/80): Als Luzifer gerade aus dem Himmel verstoßen worden war, nahm er vor Zorn eine Frau – alle großen Plagen sind nun einmal Spießgesellen – mit der er sieben Töchter Zur Welt brachte:
(1560–1620) 1616:
Es gibt ❖ ❖ ❖ verschiedene Arten die Laster zu veranschaulichen:
❖ Exemplum
Ahab wurde unter dem Einfluss seiner Ehefrau Isebel zum Götzendiener (Baalskult) usw. In einer Schlacht wird er von einem Pfeil getroffen. Elia prophezeit: ›Die Hunde sollen Isebel an der Vormauer von Jisreel fressen‹ (1.Könige 21,19 und 2.Könige 9,7-37), was dann auch geschieht. In der Apokalypse (2,20) wird Isebel als Protagonistin des Götzendiensts genannt; sie verführt dazu, Unzucht zu treiben und Götzenopferfleisch zu essen (Vg.: fornicari, et manducare de idolothytis). Aus diesem Grunde sagt hier VOLVPTAS im Spruchband: Sic tibi ludo ≈ so treibe ich es mit dir.
(ca. 1505 – ca. 155/60) verfasste 1558 eine umfangreiche Laster-Lehre, die mit lauter biblischen Exempeln veranschaulicht wird. Hier David für das laster der tragkeit (Fol. xcj); David wird als verdrossener, träger Mann dargestellt, der nach einem Mittagsschläfchen vom Fenster seines Palasts aus zufällig die badende Batseba sieht usw. (1.Kön. = 3.Reg 2,19):
(Antwerpen, 1571–1633)
Adam und Eva im Zentrum sind umgeben von 7 Rundbildern mit biblischen Exempla:
»Purgatorio« einen Aufstieg auf einen gestuften Bergkegel, wo die Büßer geläutert werden, d.h. Reste der Unreinheit aus den Seelen entfernt werden, einerseits durch dem Laster entsprechende Plagen (contrapasso), anderseits durch die jeweils entgegengesetzte und dabei heilende Tugend. imaginiert imBüßer sind sowohl Übeltäter:innen aus der Bibel und der christlichen sowie aus der heidnisch-antiken Mythologie (zum Teil sind sie als Statuen/Bilder vergegenwärtigt vgl. 10.Gesang, 28ff.; 12.Gesang, 1ff.), aber auch zeitgenössische Gestalten, mit denen Dante abrechnet bzw. die er lobt.
Dante folgt den 7 Hauptlastern:
❖ Personifikationen••• (das steht im Text auf der folgenden Seite). Mitten unter acht nach unten (!) vordringenden Lastern kauert demütig Humilitas; stürzt Superbia über sie?– Und die drei Engel oben schauen zu?
•••
Hieronymus Bosch (ca. 1450 – 1516). Sieben Hauptsünden (ca. 1480), Museo del Prado, Madrid – Detail: Gula (Schlemmerei) wird dargestellt durch Personen, die ihr frönen. ••• die spezielle Seite zu ihm. Hier aus der ersten illustrierten Ausgabe (1603) der Zorn: (um 1555– 1622) ist der Spezalist für Personifikationen, vgl.
Ripas Buch wurde oft neu aufgelegt und kopiert und übersetzt. Hier eine deutsche Ausgabe:
••• Hier handhabt die Wollust ausgelegte Schlingen, mit denen sie aktiv die närrischen Personen einzufangen sucht:
❖ Personifikation mit Exemplum kombiniert
••• LUXURIA aus der Serie der 7 Laster von :
••• INVIDIA kombiniert mit dem Exemplum des Perillus in einem Emblem von (1556–1629). Das Tertium comparationis ist die selbstverursachte Pein des Missgünstigen.Zum Bild wird zitiert wird Horaz, Episteln I,ii,57f.:
••• Eine andere Parallele kennt (1715–1770), der die »Iconologia« von Cesare Ripa weiterentwickelt hat:
❖ TiereBoethius (*um 480/485; † zwischen 524 und 526), Consolatio Philosophiae IV, prosa 3
, Currus Avaritiae
Literaturhinweise speziell hierzu: Moderne Ausgabe: Herrad von [Landsberg, Äbtissin von] Hohenburg, († ca. 1196), »Hortus deliciarum«, ed. Rosalie Green, M. Evans, C. Bischoff, M. Curschmann, (Studies of the Warburg Institute 36), 2 vols., London / Leiden 1979. Gérard CAMES, A propos de deux monstres dans l'Hortus deliciarum, in: Cahiers de civilisation médiévale, 11e année (n°44), Octobre-décembre 1968. pp. 587-603 Gérard CAMES, Allégories et Symboles dans l’Hortus Deliciarum, Leiden 1971. Michael CURSCHMANN, Texte – Bilder – Strukturen, Der »Hortus Deliciarum« und die frühmhd. Geistlichendichtung, in: D.Vj.S 55 (1981), S. 379–418. Stefan MATTER, Sordiditas est sus. Zur Bedeutung des Teufelsschweins im Weltgericht des Westportals von St. Nikolaus in Freiburg i.Üe.; in: ZAK = Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 63/4 (2006), S. 261–276 Heike WILLEKE, Ordo und Ethos im Hortus deliciarum. Das Bild-Text-Programm des Hohenburger Codex zwischen kontemplativ-spekulativer Weltschau und konkret-pragmatischer Handlungsorientierung, Diss. Hambug 2003, bes. S. 411ff.
Die 66. Figur stellt einerseits 5 Eigenschaften Christi dar (Elefant ≈ Tapferkeit; Turteltaube ≈ Jungfräulichkeit; Lamm ≈ Sanftmut usw.). anderseits die Laster:
Literatur hierzu: Dominik Bartl: Der Schatzbehalter. Optionen der Bildrezeption. Dissertation, Universität Heidelberg 2010. > http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/10735
Der Teufel und die 7 Laster auf ihren Reittieren:
Die Tiere können auch scheusslich gestaltet sein – womit wir schon bald bei den Kompositwesen sind: Auf einem Holzschnitt von (1473–1531):
Auf dem Titelblatt einer gedruckten Ausgabe von :
❖ KompositwesenStatt die die Laster darstellenden Tier einfach additiv aufzureihen, kann man sie in einer einzigen Figur bündeln, dann entsteht ein Kompositwesen. So eine Figur ist interessant anzusehen, zieht die Blicke auf sich und ist gleichzeitig ein abschreckendes Scheusal. Beides passt dem Moralprediger ins Konzept. Der siebenköpfige Drache der Apokalypse (13, 1–8 oder 17,3) wurde von einem mittelalterlichen Exegeten auf die sieben Hauptlaster bezogen: (1. Hälfte des 12.Jhs.) in einer in einer Predigt zum Tag des den Drachen bezwingenden heiligen Michael:
Bei diesen Kompositwesen ist das Ganze ist nicht mehr als die Summe der Teile. Sie machen keine neue Aussagen über das Wesen der Laster. Der Informationswert ist ein mnemotechnischer: so bleiben die Laster besser im Gedächtnis. – Selstamerweise werden auch Tugend-Allegorien mit solchen Kompositwesen dargestellt, die sind zwar ebenso scheusslich, sollen aber doch positiv verstanden werden... ••• In einem aus dem 2. Viertel und Ende des 11. Jh. stammenden Codex mit lateinischen geistlichen Texten ist ein Blatt (fol. 63r) mit zwei Kompositwesen eingefügt, welche das Ensemble der Sünden bedeuten. (Wir betrachten nur eines der beiden.)
Die drei Verse bilden das Kompositwesen in drei Registern ab: der erste Vers nennt die dargestellten Tiere; der zweite Vers reiht die entscheidenden Körperteile auf; der dritte die allegorisch bedeutsamen Tätigkeiten – vertikal gelesen bilden die Wörter jeweils einen Satz, zum Beispiel cervus cornu peto. Die Körperteile sind im Bild (mit. sog. Tituli) mit der allegorischen Bedeutung angeschrieben (unten in der Tabelle grün). Der Text stimmt indessen nicht genau mit dem Bild überein: Das gezeichnete Wesen hat keine Vogelflügel. Auch ist eine der Beschriftungen falsch: Der Bauch ist mit venter bezeichnet, das ist ein Signifians, kein Signifikat.
• , »Hortus deliciarum« (ed. Green / Evans / Bischoff / Curschmann, London / Leiden 1979: Abb. 339 = Fol. 255 verso)• Badische Landesbibliothek Karlsruhe, Cod. Aug. perg. 60 Im Digitalisat > http://data.onb.ac.at/rec/AL00166065 Scan 322
••• Im British Museum ist ein Einblattdruck aus dem Ende des 15. Jhs. überliefert:
Der zugehörige Text ist nicht gerade ein dichterisches Meisterwerk; er ist dem »Speculum humanae salvationis« des Konrad von Helmsdorf entnommen (hrsg. von Axel Lindqvist, Berlin 1924 = DTM 31, Verse 4597ff.), wobei aber einige Fehler unterlaufen sind Es wird nicht der klassische Kanon der Sieben Laster durchgenommen: Es fehlen die Gefräßigkeit (*gula) und der Zorn (*ira), dafür kommt die Unstetigkeit vor. Der Text stimmt nicht völlig mit dem Bild überein. Der Kranichfuß hat kein Pendant im Siginifikat-Bereich, und der im Bild sichtbare Hund ist vergessen gegangen – in der Fassung des Konrad von Helmsdorf bedeutete er den Neid und die Gefräßigkeit (*invidia, *gula). Die Figur trägt kein Eselshaupt, wie der Text besagt, sondern eine Arte Esels-Brosche. Die allegorischen Deutungen der beiden (Fledermaus-)Flügel als Ruhm und Lob gehört nicht ins Muster der sieben Sünden. Die Bezeichnung der welt figur bezieht sich auf den Globus, den das Wesen in den Klauen hält, und müsste übersetzt werden als ›Beherrscherin der Welt‹; dabei mag die Symbolik der Labilität der auf einer Kugel balancierenden Fortuna mitschwingen. In <…> stehen Ergänzungen.
Bereits der Codex 352 der Kantonsbibliothek St.Gallen Vadiana (um 1400) enthält dieses Bild: ••• , Die böß gesellschaftHans Sachs schreibt, dass er eines Nachts darüber nachdachte, worin die Ursache liege, dass die Laster – er zählt viele auf – überhand nähmen, vor allem bei jungen Leuten; da wird er in einen Traum entrückt. Er befindet sich in einem Röhricht an einem See. Da hört er
Darüber erwacht der Träumer und denkt: Das bedeutet die böß gsellschafft, (etwa: der schlechte Umgang; das Zusammensein mit schlechten Menschen) welches die jungen Leute verführt.
Und er legt neun Eigenschaften aus:
Es folgt eine lange Moralisation, man möge bulerey, spiel, wein, leybes wollust meiden und die Gefährten klug auswählen.
••• (Text) / (Holzschnitt), Das feindtselig laster/ der heymlich Neid/ mit seinen zwelff aygenschafften 1534:
••• (Jean Buys; 1547–1611), Titelblatt zur Heilkunst von Seelenkrankeiten
••• Mitunter feiert das Spiel mit der Kombination von Elementen aus verschiedenen Sphären munter und generiert wirre Figuren:
Das Bild wurde – ohne dass der Text deutlichere Erklärungen hergäbe – kopiert von Recueil des plus illustres proverbes, divisés en trois livres, le premier contient les proverbes moraux, le second les proverbes joyeux et plaisans, le troisième représente la vie des Gueux en proverbes... mis en lumiere par Iacques Lagniet a Paris [undatiert] > https://hdl.handle.net/2027/gri.ark:/13960/t41r73q7g ❖ Laster-BaumDie Vorstellung eines Baums ist entwickelt aus der Metapher Denn die Gier ist eine Wurzel alles Bösen (1 Timoth 6,10) und Die Gottesfurcht ist die Wurzel der Weisheit (Ecclesiasticus 1,25) unter Einbezug des Gleichnisses von den guten und schlechten Früchten (Matth 7,15–20).
Hier sind die Laster säuberlich in taxonomischer Ordnung aufgelistet:
❖ Laster-WagenIm Anhang zu Ulrich von Lilienfeld, Concordantiae Caritatis (nach 1351) wird ein Tugendwgen (der in den Himmel führt) und ein Lasterwagen dargestellt. Hier der Lasterwagen (Fol. 255 r; vgl. den Kommentar in der Edition, S. 527)
Herbert Douteil, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355) und Übersetzung, hg. von Rudolf Suntrup, Arnold Angenendt und Volker Honemann. Mit Farbfaksimile der Illustrationen. Band 1: Einführungen, Text und Übersetzung. Band 2: Verzeichnisse, Quellenapparat, Register, Farbtafeln der Bildseiten der Handschrift, Münster 2010. > https://de.wikipedia.org/wiki/Lilienfelder_Concordantiae_caritatis (mit Link zum Digitalisat Lilienfeld Hs 151) TugendallegorienIn der heidnischen Antike sind vier sog. Kardinaltugenden (ein Begriff, den der Kirchenvater Ambrosius prägte) bekannt; die wichtigsten Vertreter: in »Politeia« 427–434; »Symposio«n 196b–197e; »Nomoi«: Tapferkeit, Gerechtigkeit, Besonnenheit (sophrosyne), Klugheit (sophia) , Nikomachische Ethik, III,9 – VI,13 in »De officiis« (I,v,15 ff. und an anderen Stellen): Sed omne, quod est honestum, id quattuor partium oritur ex aliqua. ≈ alles Ehrenhafte geht aus einem der vier Teilbereiche hervor: Gerechtigkeit (iustitia), Mäßigung (temperantia), Tapferkeit (fortitudo u.a.), Klugheit (prudentia). Dazu kommen dann in der Kirchenväterzeit die drei christlichen Tugenden; gemäß Apostel (1. Korintherbrief 13,13): Glaube (fides), Hoffnung (spes), Liebe (caritas).in »de officiis« I, xxv – xlix , »Quaestiones disputatae de virtutibus cardinalibus« Auch hier gibt es als symbolische Vergegenwärtigung ❖ Exempla, ❖ Personifikationen, ❖ Kompositwesen. ❖ Biblische Exempla der Sieben Tugenden:(Nochmals) (1571–1633): SEPTEM VIRTVTES
❖ Personifikation
••• Die tugendhafte Frau. († 1541), Holzschnitt von Wolfgang Resch, Formschneider um 1525Dise Figur sol man an schawen. Die bedewtet ein weyse Frawen.
Einige der Inschriften auf den Tafeln:
•• CASTITAS (mit typischen Attributen) und im Hintergrund (unten rechts) begleitet von einer exemplarischen Szene, wo Susanna von den beiden Alten belästigt wird und keusch bleibt (Daniel 5)
••• In Hintergrund der KEUSCHHEIT (mit dem Lilienszepter in der Hand) die Szene, wo Joseph der Frau des Potiphar entflieht, die ihn verführen möchte (Genesis 39,7ff.)
❖ Kompositwesen
Eine frühe Fassung (nur Text, noch ohne Bild) eines solchen Kompositwesens findet sich bei Reinmar von Zweter (1. Hälfte des 13. Jhs.). Die Bildbeschreibung in der ersten Strophe stellt gleichsam ein Rätsel dar, das dann in der zweiten aufgelöst wird. (Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. Gustav Roethe, Leipzig: Hirzel 1887. Spruch Nr. 99 und 100 und Anmerkungen S.596; Übersetzung angelehnt an diejenige von Isabell van Ackeren)
Die allegorischen Auslegungen beruhen auf der mittelalterlichen Tiersymbolik (Physiologus, Bestiare, Enzyklopädien). Übersetzung und Erklärungen im Aufsatz von Isabell van Ackeren, Zur geistlichen und weltlichen Naturallegorie bei Reinmar von Zweter. Perspicuitas, Internet-Periodicum für mediävistische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft. 1998
••• Ulrich von Hutten (1488–1523) hat in jungen Jahren ein programmatisches Gedicht verfasst, in dem er den »Vir bonus«, d.h. den idealen Mann charakterisiert. Nach wortreichen moralinsauren Versen über die zu verachtenden Übel der Welt (worin alle sieben Laster genannt werden) entwirft er ein Kompositwesen der postiven Eigenschaften; es scheint, dass er Texte wie den von Reinmar gekannt hat. Das 73 Distichen lange lateinische Gedicht ist 1513 erschienen, und der Drucker hat dem Text ein Bild beigegeben. Die einzelnen Gliedmaßen haben je eine allegorische Bedeutung:
Der lateinische Text in: Ulrichi Hutteni equitis Germani opera quae reperiri potuerunt omnia, hg. Eduard Böcking, Leipzig: Teubner 1859–1862; Bd. 3: Ulrichi Hutteni poemata cum corollariis, 1862- (Mangelhafte) deutsche Übersetzung in: Ulrich von Hutten's Jugend-Dichtungen, didaktisch-biographischen und satyrisch-epigrammatischen Inhalts. Zum erstenmal vollständig übersetzt und erläutert von Ernst Münch. 2.Ausg., Schwäb. Hall: Haspel, 1850 [ohne Bild]
❖ Tugend-Laster-Kampf
|
Verse | Tugenden | Laster | exemplar. Figuren |
21–39 | Fides | veterum Cultura deorum | vgl. Textmuster unten |
40–108 | Pudicitia | sodomita Libido | Judith – Holofernes |
109–177 | Patientia | Ira | David – Goliath |
178–309 | Mens humilis; Spes | Superbia | Job |
310–453 | Sobrietas | Luxuria | Samuel. Jonathan |
454ff., 573ff. | Ratio, Operatio (gute Werke) | Avaritia | Judas |
668ff. | Fides, Concordia | Discordia, Haeresis | Häretiker Photinus und Arius |
Prima petit campum dubia sub sorte. duelli
pugnatura Fides agresti turbida cultu,
nuda umeros, intonsa comas, exerta lacertos;
namque repentinus laudis calor ad noua feruens
proelia nec telis meminit nec tegmine cingi,
pectore sed fidens ualido membrisque retectis
prouocat insani frangenda pericula belli.
ecce lacessentem conlatis uiribus audet
prima ferire Fidem ueterum Cultura deorum.
illa hostile caput falerataque tempora uittis
altior insurgens labefactat, et ora cruore
de pecudum satiata solo adplicat et pede calcat
elisos in morte oculos, animamque malignam
fracta intercepti commercia gutturis artant,
difficilemque obitum suspiria longa fatigant.
exultat uictrix legio, quam mille coactam
martyribus regina Fides animarat in hostem.
nunc fortes socios parta pro laude coronat
floribus ardentique iubet uestirier ostro.
Die Fides (der Glaube) stellt sich stürmisch als erste, auf dem Feld im wechselnden Zweikampf zu streiten. Sie ist nur mit einfachem Gewand bekleidet, Schultern und Arme sind nackt, das Haar ungeschnitten. Plötzlicher Eifer für die Ehre lässt sie nach neuen Kämpfen brennen und selbst vergessen, sich mit Pfeilen und Schild zu wappnen. Voll Vertrauen auf ihre Stärke beginnt sie mit entblößten Gliedern den Kampf, um die Gefahren unheilvollen Krieges zu brechen.
Siehe, als erster wagt der alte Götterglaube die gereizte Fides mit zusammmengeballten Kräften zu schlagen. Jene aber richtet sich hoch auf und zerschmettert das Haupt des Feindes, seine mit Binden geschmückten Schläfen. Mit einem Mund, der vom Blut der Opfertiere schäumt, liegt der Feind am Boden. Sie tritt ihm auf die Augen, die im Sterben hervorquellen. Erstickt ist sein sündhafter Atem, der Weg der Luft ist gestört, und mit tiefen Seufzern quält er sich in einem schweren Tod. Die siegreiche Legion aber jubelt, nämlich, Tausende von Märtyrern, die die Fides, ihre Königin, zum Kampf gegen den Feind angefeuert hat. Jetzt bekränzt sie die tapfern Gefährten mit Blumen, wie es ihrem Ruhm gebührt, und heisst sie, sich mit glühendem Purpur kleiden. (übers. U.Engelmann)
Präparierter Textausschnitt (als PDF) (Verse 21–129), der die verschiedenen Dimensionen zeigen soll.
Abbildungen zur Psychomachie:
• Codex Sangallensis 135: Sammelhandschrift des 11. Jahrhunderts mit einer mit Federzeichnungen illustrierten Fassung der »Psychomachia«
>
http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0135/411/0/Sequence-326
Daraus hier: Oben: Die Anhänger der Sobrietas gehen zu Luxuria über, die auf dem Wagen von rechts kommt. Die Tugend hält eine Kreuzeslanze und versucht die Überlaufendne zurückzuhalten. – Unten: Der Sieg über das Laster. Luxuria auf dem Wagen flieht und wird von der Lanze der Tugend getroffen undmit einem Stein getötet.
• Fac-similé interactif, Texte et traduction Transkription wird sichtbar beim Überfahren des Texts mit dem Mauszeiger.
>
http://theleme.enc.sorbonne.fr/dossiers/vue6.php
• Digitalisat des Prudentius-Codex 264 der Berner Burgerbibliothek (um 900)
>
http://www.e-codices.unifr.ch/de/description/bbb/0264/
Daraus hier die Superbia:
(† 604)
Die Laster kämpfen in Heeresformation. Hiob-Kommentar, Lib. XXXI, Cap. xlv (PL 76, col. 621):
Exhortationem ducum, ut ululatum exercitus (Job 39,25: das Rufen der Führer und das Geschrei des Heeres)
87. Exercitus diaboli dux superbia, cujus soboles septem principalia vitia. […] Radix quippe cuncti mali superbia est, de qua, Scriptura attestante, dicitur: Initium omnis peccati est superbia (Eccli. X, 15). Primae autem ejus soboles, septem nimirum principalia vitia, de hac virulenta radice proferuntur, scilicet inanis gloria, invidia, ira, tristitia, avaritia, ventris ingluvies, luxuria. Nam quia his septem superbiae vitiis nos captos doluit, idcirco Redemptor noster ad spiritale liberationis praelium spiritu septiformis gratiae plenus venit.
88. Singula vitia capitalia suum habent exercitum. – Sed habent contra nos haec singula exercitum suum. Nam de inani gloria inobedientia, jactantia, hypocrisis, contentiones, pertinaciae, discordiae, et novitatum praesumptiones oriuntur. De invidia, odium, susurratio, detractio, exsultatio in adversus proximi, afflictio autem in prosperis nascitur. De ira, rixae, tumor mentis, contumeliae, clamor, indignatio, blasphemiae proferuntur. De tristitia, malitia, rancor, pusillanimitas, desperatio, torpor circa praecepta, vagatio mentis erga illicita nascitur. De avaritia, proditio, fraus, fallacia, perjuria, inquietudo, violentiae, et contra misericordiam obdurationes cordis oriuntur. De ventris ingluvie, inepta laetitia, scurrilitas, immunditia, multiloquium, hebetudo sensus circa intelligentiam propagantur. De luxuria, caecitas mentis, inconsideratio, inconstantia, praecipitatio, amor sui, odium Dei, affectus praesentis saeculi, horror autem vel desperatio futuri generantur. Quia ergo septem principalia vitia tantam de se vitiorum multitudinem proferunt, cum ad cor veniunt, quasi subsequentis exercitus catervas trahunt. Ex quibus videlicet septem quinque spiritalia, duoque carnalia sunt.
(† 636)
Isidorus Hispalensis, Sententiae, II, Caput XXXVII. De pugna virtutum adversus vitia. (PL 83, 638B)
1. Tunc se viri sancti veracius a vitiorum colluvione detergunt, dum ab eis contra singula vitia virtutes singulae opponuntur. (0638C) Interdum vitia cum virtutibus ad utilitatem confligunt, ut ipso certamine vel mens exerceatur, vel ab elatione conversus animus restringatur.
2. Adversus impetus vitiorum contrariis virtutibus est pugnandum. Contra luxuriam enim cordis est adhibenda munditia, contra odium dilectio praeparanda, contra iracundiam patientia proponenda est. Porro contra timorem fiduciae adhibenda est virtus, contra torporem zeli praelium; tristitiae quoque gaudium, accidiae fortitudo, avaritiae largitas, superbiae humilitas opponenda est. Sicque singulae virtutes nascentia contra se vitia reprimunt, ac tentationum motus virtute divinae charitatis exstinguunt.
3. Libidinem abstinentia domat. Nam quantum corpus inedia frangitur, tantum mens ab illicito appetitu revocatur.
4. Adversus iram tolerantia dimicat; ira autem semetipsam necat, sustinendo autem patientia victoriam portat.
5. Tristitiae moerorem spes aeterni gaudii superat; et quem turbata mens de exterioribus afficit, dulcedo interioris tranquillitatis lenit.
6. Adversus invidiam praeparetur charitas, et adversus irae incendia mansuetudinis adhibeatur tranquillitas.
7. Superbiam autem diaboli imitantur superbi, adversus quam opponitur humilitas Christi, qua humiliantur elati.
8. Principalium septem vitiorum regina et mater superbia est, eademque septem principalia multa de se parturiunt vitia, quae ita sibimet quadam cognatione iunguntur, ut ex altero alterum oriatur.
9. Sicut princeps septem vitiorum superbia nos eorum potestatibus subdit, ita Christus septiformi gratia plenus a dominatu vitiorum nos eruit; et quos illa addicit septemplici vitio, iste liberat septiformis gratiae dono.
Der Traktat wird verschiedenen Autoren zugeschrieben. Vgl. bei Migne, Patrologia Latina unter Ambrosius (PL 17, col.1057); Augustinus (PL 40, col.1091); Isidor von Sevilla (PL 83, col.1138); und Papst Leo IX (PL 143, col.559). Autor ist vielleicht
(† 784).Text in Migne, PL 83 > https://la.wikisource.org/wiki/De_conflictu_vitiorum....
Es sind hier mehr als 7 Kampf-Paare:
Superbia dicit: … Humilitas ex adverso respondet: … Inanis gloria dicit Timor Domini respondet Simulatio suggerit Religio ex adverso respondet Elatio objicit Beata autem submissio respondet Invidia dicit Verum dilectio fraterna respondet Odium dicit ed sincera charitas respondet Detractio dicit At justa correptio respondet Ira dicit Patientia respondet Asperitas dicit Sed mansuetudo respondet Tumor dicit Sed humilis dejectio respondet Tristitia dicit Sed spirituale gaudium respondet Torpor vel ignavia dicit Sed industria, indefessaque virtus respondet Evagatio inquieta dicit Stabilitas vero respondet Desperatio dicit ed spei fiducia respondet Cupiditas dicit Sed mundi contemptus respondet Amor sui dicit Sed amor Dei respondet Furtum et fraus dicunt Sed simplicitas ad utrumque respondet Fallacia atque mendacium dicunt Sed veritas ad utrumque respondet Ventris ingluvies dicit Sed pura fragilitas et simplex parcimonia respondet Inepta laetitia dicit Sed sapiens gaudium, moderatusque moeror respondet Multiloquium dicit Cui prudens taciturnitas respondet Luxuria dicit Sed illibata castitas respondet: Spiritalis fornicatio dicit Sed munditia cordis respondet Amor saeculi dicit Sed coelestis amor patriae respondet
(† ca. 1196) hat die Psychomachie weiterentwickelt. Die Hauptlaster und -tugenden haben ein zahlreiches Gefolge.
Text hierzu: Temperantia, vel Sobrietas, offert vexillum crucis contra currum Luxurie et inde equi perterriti fugam capiunt et Luxuriam sub currum sternunt quam Temperantia sub molari lapide mortificat. […] Lapis est christus.
Herrad of Hohenbourg, Hortus deliciarum, ed. Rosalie Green, M. Evans, C. Bischoff, M. Curschmann, (Studies of the Warburg Institute 36), 2 vols., London / Leiden 1979; Fol. 202v (Pl. 16), Text Nr. 276
(† 1202)
Vgl. Peter Ochsenbein, Studien zum »Anticlaudianus« des Alanus ab Insulis, (EHS I/114), Bern/Frankfurt: Lang 1975, S. 137–168.
(datierbar auf ca. 1215/16) Hier kämpfen gegen den edlen Ritter vier Scharen von Lastern mit ihrer Entourage. Dagegen soll sich der Ritter wappnen mit den Waffen, die aus der Allegorie des Epheserbriefs 6,13ff. hergenommen sind.
- Übermuot mit Smâcheit, Gewalt und Unbescheidenheit, Zorn, Nerrischeit, Ruom Üppikeit
- Girescheit mit Wuocher, Roup, Trügenheit, Meineit u.a.
- Unkiusche mit Leckerkeit, Vraz, Trunkenheit, …, valschiu Minne
- Trâkheit mit Slâf, rensen, geinen
Thomasin von Zirclaria, Der wälsche gast, hg. Heinrich Rückert 1852 (Reprint mit Namenregister hg. F.Neumann, Berlin 1965. Verse 7385ff.
Cod. Pal. germ. 389 Handschrift um 1256 > https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg389
( Guillaume Peyraut, † 1271) »Summa de virtutibus et vitiis«
Hier kämpft der christliche Ritter gemäß Epheserbrief 6, 11–18 gegen die Laster: Legt die Waffenrüstung Gottes an, so dass ihr in der Lage seid, den Anschlägen des Teufels standzuhalten. Gürtel ≈ Wahrheit — Panzer ≈ Gerechtigkeit — Schild ≈ Glauben — Helm ≈ Geist — Schwert ≈ Wort Gottes
Militia est uita hominis super terram (Hiob 7,1: Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde?)
British Library (um 1250)
> https://de.m..org/wikipediawiki/Datei:Peraldus_Vices_and_Virtues.jpg
Vgl. die informativen Übersichten (Übersicht englisch; lat. Textauszüge) von Richard G. Newhauser / Siegfried Wenzel / Bridget K. Balint / Edwin Craun (1995 und noch 2024 online!)
> http://www.public.asu.edu/~rnewhaus/peraldus/
Victor Zeidler (Ed.), Der Sünden Widerstreit. Eine geistliche Dichtung des 13. Jahrhunderts, Graz 1892
> https://archive.org/details/ZeidlerSuendenWiderstreit
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg367/0544......b311dec7b848d
Seifried Helbling, hrsg. u. erklärt v. J. Seemüller, Halle a.S.: Buchhandlung des Waisenhauses 1886; Nr. VII = S. 238–279 (1'263 Verse); datiert auf 1296.
> https://archive.org/stream/seifriedhelblin00seemgoog#page/n362/mode/2up
Ein beinahe 1000 Verse langes kleines Vers-Epos aus dem 14. Jahrhundert
in: Altdeutsches Uebungsbuch zum Gebrauch an Hochschulen, hrsg. von Franz Pfeiffer, Wien: Braumüller 1866. S. 141–154.
> ://archive.orhttpsg/details/altdeutschesuebu00pfeiuoft/page/140/mode/2up
Neuausgabe: Christian Naser, Der geistliche Streit (1995): Synoptischer Abdruck der Fassungen A, C, B und D; Würzburg: Königshausen & Neumann 2005; Text S. 152–215. (Ch.Naser konnte etliche Lesefehler von F.Pfeiffer verbessern und Lücken der [1870 verbrannten] Straßburger Handschrift aus anderen Hss. ergänzen. Deshalb hat er hat eine neue Verszählung eingerichtet.)
Struktur des Texts (Verszählung nach der Ausgabe von Pfeiffer); man beachte die verschiedenen Text-Dimensionen:
Die Sünden sind nicht nach dem SALIGIA-Schema geordnet, und die Gegnerinnen sind °° nicht die klassischen 7 Tugenden:
Laster Tugenden biblisch Waffen (1) vrasheit [gula] masse [temperantia°°] Daniel,Moses, Elias,JHS Armut (2) vnkúsche [luxuria] kuschekeit Reinheit (3) giteckeit [avaritia] miltekeit JHS Wohlwilligkeit (4) zorn [ira] senftmuotekeit JHS,Paulus Langmut (5) nit [invidia] minne [caritas°°] JHS,Paulus Starkmut (6) tracheit [acedia] wackerkeit [fortitudo°°]Lucifer,Adam,Salomon Stetigkeit (7) hoffart [superbia] demuot Gnade-und-Dank Einleitung <1–38> : Was ist ein reines Herz? Viele Dinge erkennt man besser aus ihrem Gegenteil, so erkennt man das reine Herz , wenn man ein sündiges dagegen hält.
<39–51> Die Sünde meiden kann nicht ohne Kampf geschehen. Wer ein reines Herz haben will, muss sich auf den Kampfplatz (des strites plan) begeben; ihm zieht entgegen eins Schar von siben übeln wiben.
<52–106> Diese werden aufgezählt und kurz charakterisiert: vrasheit – vnkúsche – gritekeit (Hs. C: girikeit; Hs B gitikhait) – zorn – nit – tracheit – hoffart.
<107–152> [Der Leser wird angesprochen:] Hier musst Du Drangsal im Kampf erleiden; damit das Herz rein ist, musst Du sie alle erschlagen. Nötig sind Waffen: folgt die Waffenallegorese aus Epheserbrief 6,11–18; diese wird ergänzt durch ein Pferd und eine schar die dir zuo helfe sie bereit, nämlich sieben Jungfrauen.
<153–234> Diese werden aufgezählt und kurz charakterisiert: masse – kuschekeit – miltekeit – senftmuotekeit (Hs B. gedultikeit) – minne – wackerkeit – demuot.
<235–262> beim Feldzug sollst Du auch haben: flöte, seitenspil, tambûre, damit Ross und Reiter frohgemut sind. Allegorese: gemeint sind singen und (die hl. Schrift) lesen.
<263ff.> Auf dem Kampfplatz haben die Feinde und die Tugenden die Zelte errichte. Der Teufel rennt hin und her und versucht die sieben Tugenden zu beeinflussen. Sie argumentieren gegen die Sünde. Darauf werden sie von den den Sünden angegriffen und töten diese.
<281–340> (1) Der Teufel sagt, es sei ihm Leid, dass die messikeit auf so viel süße Speise verzichte, die Gott doch geschaffen habe um den leib zu stärken. — Plädoyer der Mäßigkeit. Sie argumentiert mit Exempla aus dem Alten Testament: Daniel hat Speise abgelehnt (Dan 1,8); Moses fastete 40 Tage (Exodus 24,18); Elias fastete 40 Tage und wurde von einem Engel gespiesen (1Könige 19); aus dem NT: Jesus fastete 40 Tage (Matth 4,2). — Darauf kommt die vrosheit gerannt. Die Mäßigkeit ersticht sie mit dem Speer namens Armut.
<341–438> (2) Der Teufel spricht zur kuschekeit, sie sei doch blöd, die Weltliebe zu meiden. — Beredtes Plädoyer der Keuschheit: Welche Frau einen lieben Mann hat, ist in Sorge, dass sie ihn verliert; welche einen bösen hat, hat ein kummervolles Leben. Keuschheit dagegen macht frohgemut. — Darauf kommt vnkúsche angerannt. Keuschheit ersticht sie mit dem Speer namens reine girde (anders Hss.: starker muot, rainkeit).
<439–498> (3) Der Teufel spricht zur miltekeit, sie werde arm, wenn sie alles Gut den Armen verspende. Die Milde argumentiert mit der Bibel (Anspielungen an die sechs Werke der Barmherzigkeit nach Mt. 25, 31-46); das Himmelerich ist der Lohn für die Bamherzigkeit. — Darauf kommt gitekeit angerannt und wird von der miltekeit mit dem Schwert namens Wohlwilligkeit getötet.
<501–578> (4) Der Teufel – nach einem inneren Monolog – spricht senftmüetikeit (nach Hs.B) an, sie möge doch Schelte mit Schelte vergelten. – Die Sanftmut argumentiert biblisch: Sanftmut führt zur Seligkeit (vgl. Matth 5,5; Epheser 4,2 und viele andere Stellen); Job ist ihr exemplar. — Darauf kommt vngedultigkeit (Hs. B.: Zorn) angerannt und wird von der Sanftmut mit dem Schwert namens Langmut erstochen.
<579–689> (5) Der Teufel schwört, er wolle jetzt die Minne für sich gewinnen, der die anderen Tugenden untertan seien. — Minne argumentiert mit dem von Jesus gepredigten doppelten Liebesgebot (Matth 22, 37–40) und der Feindesliebe (Matth 5,43–48) und mit Paulus (1 Kor 13,1–13). — Darauf kommt Neid angerannt, wird aber von Minne mit dem Schwert namens Starkmut getötet.
<690–790> (6) Der Teufel beschwatzt wackerheit, sie schade sich doch mit ihrer Plackerei selbst. — Die Wackerheit argumentiert mit der hl. Schrift: Lucifer, Adam, die üppige Minne von Salomon (1. Könige 11) hatten sich nicht in der Hut [nach Pfeiffer V.773 fehlen in der Straßburger Hs. etliche Verse, in denen Wackerheit zum Teufel spricht; vgl. Naser S.199.] — Darauf hinkt die Trägheit ohne Pferd strauchelnd herbei und wird von Wackerheit mit dem Schwert namens stetekeit getötet.
<791–932> (7) Der Teufel schmeichelt der Demut; sie solle doch eine Wahrsagerin (wissage) werden, dann werde sie von allen Menschen gepriesen. — Die Demut antwortet: Sie vermag von sich aus nicht, alles ist Gnade Gottes; einzig die Wahrheit der hl. Schrift gilt, sie wird oft falsch ausgelegt. Wahrsagen ist Sünde. — Die Hoffart kommt angerannt; Demut ersticht sie mit dem Speer namens gnode dank.
<933–106> Der Teufel tobt. Die Tugenden formieren eine ›Landwehr‹, denn wenn auch des Teufels Heer tot ist, so ficht er doch täglich, und niemand vermag ihn zu töten. [Paränese, Predigthafte Anrede an den Leser:] Der listige Teufel provoziert und versucht dich in Schein-Gestalten; aber er vermag nichts gegen Gottes Willen.
Etymachie-Traktat (älteste Handschrift a.d.J. 1332)
Ausgabe: Nigel Harris, The Latin and German »Etymachia«. Textual History, Edition, Commentary. Tübingen: Niemeyer 1992 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Bd. 102).
In der Vorrede wird zitiert 1Samuel = 1Reg 19,20 Misit rex Saul apparitores [Vg. lictores] septem ut raperent Dauid = Da sandte Saul Boten, um David zu holen. Allegorese: David bedeutet den sündigen Menschen; Saul bedeutet den Teufel; die sieben Boten bedeuten die sieben Todsünden.
Biblische Grundlage: Saul wurde wegen seinen Sünden zugunsten Davids verstoßen, so wie der Teufel aus der Schar der Engel zugunsten des Menschen. Wie Saul dem David, so neidet auch der Teufel dem Menschen diese Gunst und versucht ihn täglich mit den sieben Sünden, um ihn zu sich in die Verdammnis zu ziehen.
Gott wählt aus den Tugenden sieben aus, um den Menschen zu behüten. Egressus vitii virtutis operatur ingressum. – Der Ausgang der Sünden ist der Eingang der Tugend. (›Ambrosius‹?; vgl. Innozenz III, PL 217,382B). Dies wird (§ 47 in der Ausgabe von N.Harris) angebunden an die Stelle Am siebten Tag, […] befahl Ahasver den sieben Dienern […] die Königin Vasti vor den König kommen zu lassen (Ester 1,10f). Das passt insofern nicht, als Vasti ja eine widerborstige Person ist. In den Fassungen B und C wird dann als Stelle gewählt: Ester ist umgeben mit sieben auserlesenen Jungfrauen, als sie an Stelle der lasterhaften Vasti zur Königin erwähnt wurde (Ester 2,9).
Die Sünden (i.d.R. ♀) werden als Ritter (♂) dargestellt mit (allegorisch gedeutetem) Reittier, Helmzimier, Schild und Wappenrock. Der Kampf ist eher ein Turnier als eine Schlacht wie in der Psychomachia. Es wird zwar von widerstrit gesprochen, aber es kommt nicht zum Zweikampf. Auch die Reittiere agieren nie.
Paarungen: Sieben Hauptlaster (entsprechend der Zusammenstellung bei Gregor dem Großen) – sieben Tugenden (nicht die klassischen). In der Fassung A werden zuerst alle Laster, denn alle Tugenden aufgeführt; in den Fassungen B und C werden sie einender abfolgende gegenübergestellt.
Überheblichkeit/Stolz/Hoffart (superbia) Demut (humilitas) Unzucht/Wollust (luxuria) Besonnenheit (castitas) Habgier/Geiz (avaritia) Barmherzikeit/Freigebigkeit (largitas) Zorn (ira) Geduld (patientia) Neid/Missgunst (invidia) Liebe/Achtung (caritas) Trägheit/Überdruss (acedia) Andacht (devotio) Völlerei/Fresslust (gula/gastrimargia) Mäßigkeit/Enthaltsamkeit (abstinentia)
Die Auslegungen der Tiere werden mit Bibel- und Väterzitaten fundiert und angereichert.
SUPERBIA – Die HOCHFART in der von N.Harris (S.109–113) emendierten mittelhochdeutschen Fassung A:
§ 1. »Misit rex Saul apparitores vii. ut raperennt Dauid«, i. Regum xix. capitulo. Is stett geschriben ann dem ersten puch der chünig, das der chünig Saul sant siben diener, dew gewalt heten, den menschen ze totten, das sy im zuchten oder auffhuben Dauid. Dauid ist wedeüt des wegert wird, vnd wedeüt ein sundigen menschen, dez wechernüzz wegert als himelisch hër. Saul wedeüt den tyeffel, der mit hilff siben seiner dienner, das ist mit den siben todsunden, wetracht ze vochen Dauid, das ist den sunder. Wann als der Saul verbarffen ward von Got von seinem chunichreich durch seiner sunden willen vnd der diemütig Dauid von Got an sein stat erbelt ward, vmb das wegert Saul ze totten Dauid, also der tyeffel, der verstossen ist von dem hymel vmb sein sund der hochfart, vnd der mensch beschaffen ist zw dem hymelreich; vmb das neit vnd echt der teuffel des mensch vnd vicht wider in mit den siben todsunden. Vnd zw igeleicher sund hat er ein besunder stechros vnd harnasch vnd wappen geben, vnd wenn er vberwint, den vecht er vnd fürt in mit im in die hel, da chain erlossung ist.
§ 2. Der erst zuchtiger ist die hochfart, dew sant der teuffel wider den sunder, vnd siczt auff einem tyr haist dromedarius, vnd hat guldein harnasch angelegt; auf dem helem furt er einen phan, an dem schilt einen adlar, an dem waffenroch einen chrennten leben, in der hant ein praycz swert.
§ 3. Die hochfart chümpt auf einem dromodar. Das ist ein snelcz tier, vnd get in ainem tag als ver als ein pfert in drein tagen. Sagt Sand Jeronimus: >Also die hochfertigen sind snel, die hochfertigen werch ze volpringen<. Wann Sand Augustin spricht: >Hochfart ist ein begir vercherter hoch. Wann ez ist vnzimleich vnd verchert, das der mensch hochfertig sey, wenn er wedencht seinen inganch in dew welt, seinen furganch, vnd seinen ausganch aus der welt<. Sand Bernhart spricht: >O mensch, wez hochfercz tu, ein puluer vnd ein aschen? Dein enphachnüzz ist in schulden, dein purd ist misseleich, dein leben ist peindleich, dein end ist engstleich. Gedench, mensch, von wem dw chomen seist, dez scham dich,' merch, wo dw seist vnd seuft, vnd wo dw hingest und erschrich<. Der Job spricht: >Gedench, das pit ich, das dw mich gemacht hast als das chat vnd mich in den puluer widerpringest<. Is ist auch nicht zimleich, das der mensch sey hoffertig, wann sein schepher ist gewesen diemüttig. Er spricht im ewangelio: >Lernt von mir, ich pin mitsam<. Wann >czwischen den hochfertigen allzeit chrieg ist<, sagt der Salomon. Der herr spricht mer: >Vnd pyn eins dyemuttigen herczen<. Wernhardus: >Wie teuff dw dich diemüttigst, dannoch wirst dw nimmer diemuttiger den Christus ist gewesenn<. Salomon spricht: >Dew fuezz der hochfertigen lauffent zw dem ubel vnd sind snel zw plut vergiessen<. Darvmb pat der Psalmist: >Herr, nimer chom mir der fuezz der hochfart<.
§ 4. Auff dem helem furt sy ein phan, de dew natur hatt: wann man in ist schawund, so prait er sein swancz vnd zaigt sein schon vederen, das er gelobt werd. Also tünd de hochfertigen, de erzaigent sich in irem schonn gewant vnd chlainat vnd silber azzeich, vnd tund das in geuden, das sy gelobt werden von der welt. Vnd das spricht Salomon: >Nymer rüm< dich deiner schon vnd tewren gewancz<.
§ 5. An dem waffenroch furt sy ein chrennten leben. Der leb ist ein chunig vnd ein furst aller tir; also der tieffel hat […] am ersten erfunden dy hochfart, vnd all hochfertig menschen volgent im nach. Vnd >er ist ir chunig vnd furst<, sagt der Job. Vnd Christus hiez in ein fursten der welt das ist, der dew da beltleich lebent.''
§ 7. An dem schilt furt sy ein adlär, der versucht seine chind gegen der sun. De in de sun mügen gelugen, dy hat er lieb vnd speiset; welich aber die nicht mügen in de sun gelugen, de wirft er ab dem nest. Dewselben nert dan ein fogel haist fulica. Also de hochfertigen zichent irew chind auff hochfart von jugent. Vnd wellich in sind nachvolgend in hochfart vnd pomp der welt, de habent sy lieb vnd erhochent sy; wellich aber dyemütig sind vnd ainvaltig vnd Got geren dinent vnd der welt nicht achten, dew verberffenz vnd achten ir nicht vnd spotten ir. Aber der fulica, das ist Christus, hat sew lieb vnd furt sew. Der fulica ist wanund pey dem tieffen mer. Das mer hat vil wasser: also semleich menschen habent vil der genaden Gotz vnd geistleichs trösts.
§ 8. Der adlar hat auch manigerlay vederen. Also de hochfertigen tragent geren newe gewant vnd selczanner varb, vnd new siten ervindent sew an den chlaidern. Wider das spricht Sand Jacob: >Ir reichen, chlagt, wann eur gewant haben gessen dy schaben, vnd dy werdent zeugnüzz geben wider euch vor dem gericht Gocz<. Wann iz spricht Sand Jeronimus: >Der raubt frömde gutter, wer gut behalt vber sein notdürft vnd dapey de armen let leiden hunger vnd durst<.
§ 9. In der hant furt dy hochfart ein praicz swert, also dew hochfertigen mit [] irem gewalt wellent sy all menschen in vndertenig machen vnd vber sew herschen. Wider das spricht Sand Bernhart: >Als oft ich beger vber meinen nagsten gesaczt werden, als offt weger ich vnd main fur meinen herrn Christum gen, vnd dan werleich mir nicht wol zimpt deu guetter deu zw Got gehorent<. Wann Christus spricht in ewangelio: >Ich pin enmitten vnder euch als ein diennunder chnecht<. Sand Augustin spricht: >Die hochfertigen sprechent in in selben, vnd das lert sew der teuffel in der warheit: »Dw pist pesser den vil menschen oder pesser den aller manichleich an weis red, an chunst, an reichtum, an eren, an genaden, an mëchtichait. Vnd darvmb versmecht sew all, acht niemtz: dw pist vber sew all«, wann der Job spricht: »Got verbirft nicht dew mëchtigen, wann er ist selber mëchtig«<.
Ein Beispiel: Die Trägheit (accidia; in der Edition von N.Harris, Fassung A, § 37–41) reitet auf einem Esel; die Helmzimier ist ein Affe; das heraldische Bild auf dem Schild ist ein Büffel; auf der Fahne ist ein Panther abgebildet – alle Tiere haben allegorische Bedeutung.
Etymachie-Traktat um 1470/75 = Cod.theol.et.phil.fol.358 der Württemb. Landesbibliothek Stuttgart =
> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz408721219Etymachietraktat enthalten in der Handschrift BSB Cgm 3974 =
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00088606/image_157Text dazu: Die Montur der Accidia hier als PDF mit moderner Übersetzung
Die Eigenschaften sind aus der Naturkunde genommen,
(1309 – 1374), Buch der Natur = mhd. Überarbeitung von Thomas Cantimpratensis [von Cantimpré] (um 1201 – um 1270), »Liber de natura rerum« Kapitel III, A 62 Von dem Affen:
Simia haizt ain aff. daz ist ain tier dem menschen gar geleich nâhent an allen gelidern. daz tier fräwt sich wenn der môn neu ist, ze mitelst und an dem end trauret ez. Solînus spricht, daz der aff pezzer erkennen hab mit der zungen denn kain ander tier. er ist unmæzig mit ezzen, grimm mit peizen und gar unsänft. er begert über mâz, daz er geziert sei. dar umb nement die jäger hantschuoh und schuoh und legent die an in den wälden, daz ez die affen sehent, und ziehent si dan wider ab und lâzent si ligen. sô koment die affen und tuont sam; alsô væht man si. der aff erkent seinen herren über vil jâr wenne er wider kümt. er spilt auch gern mit den kinden, und wenne im die stund werden mag, sô würget er si. er izzt gern öpfel und nüz, aber wenn er ain pitter rinden dâ vint, sô wirft erz zemâl hin und fleuht daz süez umb daz pitter. wer im laid tuot, dem tregt er lange haz. er hât seineu kint gar liep. wenne er haimisch ist worden und in dem haus gepirt, sô zaigt er iegleichem sein kint und fräwet sich, daz man ez handelt. wie daz sei, daz der aff auzwendig dem menschen gar geleich sei, doch ist er im inwendig minner geleich dann kain ander tier sam Aristotiles spricht. der aff hât kainen nabel. diu äffinn hât ain ding sam ain weip und der aff ainz sam ain hunt.
> http://titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/germ/mhd/konrmeg/konrm183.htmvgl. Dietrich Schmidtke, Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters, Diss. Berlin (FU) 1968.
In der Handschrift Codex Lilienfeld 151 steht im Anhang der der »Concordantia caritatis« eine Etymachie; die Laster und Tugenden sind kämpfend gegenübergestellt.
Hier SVPERBIA <> HVMILITAS
Diese Bilder auf Fol. verso/250recto (Umschrift und dt.Übersetzung in Douteil et al., Band 1, S.518ff.) Ausgabe: Herbert Douteil, Die Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld. Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355), hg. von Rudolf Suntrup, Arnold Angenendt und Volker Honemann, Münster: Aschendorff 2010
Literaturhinweis zur »Concordantia caritatis«:
> http://www.symbolforschung.ch/Lilienfeld%20Concordantiae.html
— Hier fehlt eventuell (links) die Gegenerin von INVIDIA. Eine eine Kunkel tragende, d.h. tugendhafte Frau zeigt auf sie – und schilt sie evtl. mit den unten zitierten Worten:
Johanniterhaus Küsnacht (ZH); mit Dank an Christian N. für das Bild
Auf dem Fresko ist gerade noch éin Wort lesbar: paliurum. Dazu findet man diese Textstelle: Die Missgünstigen verdrehen alles Gute in Schlechtes, Gold in Kupfer, Edelsteine in Kot, die Freude in Trauer usw. und die Rose in paliurum : paliūrus ≈ ein dorniger Strauch (Plinius 13, 111):
Unde tales aurum convertunt in cuprum, gemmas in lutum, granum in paleam, vinum in aquam, mel in fel, diem in noctem, gaudium in maerorem, rosam in paliurum, balsamum in sterquilinium, electuarium in venenum.
Und mel in fel ≈ Honig [verwandeln sie] in Galle: Invidia trägt als Helmzier einen Bienenkorb!
Hugo Ripelin von Strassburg O.P. (* um 1205 † um 1270), »Compendium Theologicae In Septem Libros Digestum«, LIBER III: DE CORRUPTELA PECCATI: CAPUT XVI: De invidia.
> https://catholiclibrary.org/library/ und hier bei Search eingeben: rosam in paliurum
Quelle: Meisterlieder der Kolmarer Handschrift, hg. Karl Bartsch, (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart, LXVIII), Stuttgart 1862; Nr. LII
Ich lac in slâfes twalme,
ich sach daz Triuwe Untriuwe sluoc
mit einem cleinen rîse.
sie sprach' lâz dînen ungefuoc,
du nimest mir mîn liute gar.'
Untriuwe wart von zorne sêre enbrant.
Sie schrei in lûtem galme
'her nâher swer mir helfen will!
die Triuwe wil ich krenken.'
dô wart der Untriu helfer vil,
von fürsten grâven ritter schar,
daz Triuwe flôch dâ sie ir liute vant.
Seht der was cleine leider.
Untriuwe lief ir alles nâch,
die Triwe zôch ûz ir cleider,
diu wâren wol geprîset,
und legte an sich ein snœde gewant,
daz sie dar inne iht würde bekant.
erbarme ez got daz Triuwe ist sô verwisetIch quam ûf ein gevilde,
dar ûf vant ich die Triuwe sten,
sie clagete jæmerlîchen:
'owê, wie sol ich mich begên?
nu bin ich in der welt unwert:
daz clage ich dir, Marjâ, und dînem kinde.'
Diu valsche Untriuwe wilde
sprach 'ich bin aller sælden schrîn,
und wil ze allen stunden
bî fürsten unde grâven sîn:
dâ hân ich des min herze gert,
swie dicke ich dich in solchem jâmer vinde.'
Diu Triuwe weinde und schrîte,
sie clagte ir jâmer und ir leit.
Untriuwe sie verspîte,
sie sprach 'nu sol sich mêren
ir leit und ouch ir ungewin.'
doch hete diu Triuwe solchen sin
daz sie doch bleip ze leste in solchen êren.Nu merket algemeine
wie got hin zuo der Triwe sprach
'bis willekomen, Triuwe,'
als balde als er sie ane sach.
'macht du ûf erden blîben niht?'
'nein' sprach die Triwe, 'Untriwe wil mich vertrîben.'
Dô sprach der schepfer reine
'Untriwe hât mirz ouch getân,
verriet mich an daz kriuze
in marter diech gelîten hân.
ich meine daz sie mîn geriht
bringt in die helle, dar wil ichs bescheiden.
Nu ganc hin wider, Triuwe,
und sage Untriwe sicherlîch,
ez müge sie wol geriuwen
ob sie dich wil vertrîben
und ir gewalt an dir begân,
wan du solt frœlich hie bestân'
und sprich zuo ir, du wellest bî mir blîben.'
(Zürich 1618–1689), »Neujahrsblatt der Burgerbibliothec für das 1653. Jahr«.
Links im Bild: Das Ungeheür ähnelt der siebenköpfigen Bestie aus der Apokalypse, der alle Leute huldigen (Kapitel 13) bzw. (Apk. 17,3) auf der die grosse Babylon/ die muoter der huorey reitet. Ihre Verlockungen sind Busen, Becher, Beutel, Buch (vielleicht ein weltlicher Roman). Gerne würde man in den Tierleibern Allegorisierungen der Laster sehen, das gibt der Text indessen nicht her.
Während im Text der Apokalypse alle Welt dem Scheusal huldigt, die Götzenverehrer das Tier anbeten, setzt Meyer einen gerüsteten Kämpfer dagegen an.
Dises Ungeheür zuo dämpfen [überwältigen]
jeder wider sich muoß kämpfen,
mit der Rüstung angethan,
die Sant Paul ihm zeigen kan. (Eph. 6. V.11)
Er muoß seinen Leib bezämmen;
Glider töden; Lüste hämmen; (Coloss. 3. V.5)
sonsten wider ihn erthönt:
Wer nicht kämpft wird nicht gekrönt. (2.Tim.2. V.5)
Das Bild des Ritters und dieser Text bezieht sich auf den Epheserbrief 6,11–18: Ziehend an den harnesch Gottes/ das jr beston mögind gegen dem listigenn anlauff deß teüfel (Zürcher Bibel 1531), wo eine allegorische Waffenrüstung des christlichen Ritters geschildert wird: Gürtel ≈ Wahrheit; Panzer ≈ Gerechtigkeit; Schild ≈ Glauben; Helm ≈ Geist; Schwert ≈ Wort Gottes.
Kämpf wider Dich, so schlahest [schlägst du] Mich. — Jeder wider sich muoß kämpfen. Das heisst: das scheussliche Ungeheuer lauert in uns selbst! – Die Laster werden gerne nach aussen projiziert, müssen aber im eigenen Inneren besiegt werden. (Im Hintergrund ist eine Visualisierung des Logions Matthäus 7,4–5 gezeichnet: Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?)
Otto ZÖCKLER, Das Lehrstück von den sieben Hauptsünden. Beitrag zur dogmen- und zur Sittengeschichte, insbesondere der Vorreformatorischen Zeit. Nebst einer Textbeilage: Der Kampf der Laster und der Tugenden nach Matthias Farinator und seinen mhd. excerptoren, München: C.H. Beck, 1893. > https://hdl.handle.net/2027/uc1.$b110979
Karl RAAB, Über vier allegorische Motive in der lat. und dt. Literatur des Mittelalters, Leoben 1885, S. 1–38. > https://archive.org/details/uebervierallego00raabgoog
R. STETTINER, Die illustrierten Prudentius-Handschriften, Berlin 1895 / Tafelband 1905.
Marie Luise GOTHEIN, Die Todsünden. In: Archiv für Religionswissenschaft, Band 10 (1907), S. 416–484
> http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/Gothein_Die_Todsuenden_1907.pdf
Fritz SAXL, Aller Tugenden und Laster Abbildung, in: Festschrift J.Schlosser, Wien 1927.
Adolf KATZENELLENBOGEN, Die Psychomachia in der Kunst des Mittelalters von den Anfängen bis zum 13. Jahrhundert, Hamburg 1933.
Adolf KATZENELLENBOGEN, Allegories of the virtues and vices in medieval art from early Christian times to the thirteenth century. London 1939 (Studies of the Warburg Institute 10); Nachdruck 1968.
Morton W. BLOOMFIELD, The seven deadly sins. An introduction to the history of a religious concept…, Michigan State College Press 1952.
Hans Robert JAUSS, Form und Auffassung der Allegorie in der Tradition der "Psychomachia". In: Medium Aevum Vivum. Festschrift für Walther Bulst. Heidelberg 1960, S.179-206.
A. VÖGTLE, Artikel “Achtlasterlehre” [!] in : Reallexikon für Antike und Christentum s.v.
Reinhart STAATS, Artikel “Hauptsünden” in: Reallexikon für Antike und Christentum s.v.
Michael EVANS, Artikel "Laster" in Lexikon der christlichen Ikonographie, Band 3 (1971), Spalte 15–27.
Siegfried WENZEL, The Sin of Sloth. Acedia in Medieval Thought and Literature, Chapel Hill: Univ. of North Carolina Press 1967.
> https://flexpub.com/preview/the-sin-of-sloth
Gérard CAMES, A propos de deux monstres dans l'Hortus deliciarum, in: Cahiers de civilisation médiévale, 11e année (n°44), Octobre-décembre 1968. pp. 587-603. https://www.persee.fr/doc/ccmed_0007-9731_1968_num_11_44_1464
Gérard CAMES, Allégories et Symboles dans l’Hortus Deliciarum, Leiden 1971.
Dietrich SCHMIDTKE, Lastervögelserien, in: [Herrigs] Archiv für das Studium der neueren Sprachen 212 (1975), 241–264 und 213 (1976), 328f. -- Im Anhang 3 aus Hss. edierte Texte.
Waltraud TIMMERMANN, Studien zur allegorischen Bildlichkeit in den Parabolae Bernhards von Clairvaux. Mit der Erstedition einer mittelniederdeutschen Übers. der Parabolae »Vom geistlichen Streit« und »Vom Streit der vier Töchter Gottes« - Frankfurt, Bern 1982 (Mikrokosmos 10).
Gosbert A. SCHÜSSLER, Artikel "Fides II: Theologische Tugend", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VIII (1984), Sp. 773–830 > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=93996
Christoph GERHARDT, Reinmars von Zweter 'idealer Mann', in: PBB 109 (Tübingen 1987), S. 51–84 und 222–251.
Joanne NORMAN, Metamorphoses of an Allegory. The Iconography of the Psychomachia in Medieval Art, NY / Bern usw.: Lang 1988.
Michael CURSCHMANN, Facies peccatorum – Vir bonus: Bild-Text-Formeln zwischen Hochmittelalter und früher Neuzeit. In: Poesis et pictura. Festschrift für Dieter Wuttke zum 60. Geburtstag, hg. von St. Füssel und J. Knape, Baden-Baden 1989, S. 157–189.
Eckart Conrad LUTZ, Spiritualis Fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein »Ring«, Sigmaringen 1991.
Franz-Josef SCHWEITZER, Tugend und Laster in illustrierten didaktischen Dichtungen des späten MAs., Studien zu Hans Vintlers "Blumen der Tugend" und zu "Des Teufels Netz" (Germanist. Texte und Studien 41), Olms 1993.
,SusanneBLÖCKER, Studien zur Ikonographie der sieben Todsünden in der niederländischen und deutschen Malerei und Graphik 1450‒1560. Münster: Lit 1993. (Bonner Studien zur Kunstgeschichte; Bd. 8)
Richard NEWHAUSER, The Treatise on Vices an Virtues in Latin and the Vernacular, Turnout: Brepols 1993.
Christian KIENING, Contemptus mundi in Vers und Bild am Ende des Mittelalters, in Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 123/4 (1994), S.409-457.
> http://www.zora.uzh.ch/92445/1/Kiening_Contemptus.pdf
Christian NASER, »Der geistliche Streit«: Synoptischer Abdruck der Fassungen A, C, B und D: Kommentar und Motivgeschichte, Königshausen & Neumann, 1995 (Texte und Wissen 2)
Sibylle APPUHN-RADTKE, Artikel "Superbia", in: Reallexikon für Deutsche Kunstgeschichte (2021)
> https://www.rdklabor.de/w/?oldid=107328
Sibylle APPUHN-RADTKE, Artikel "Gula", in: in: Reallexikon für Deutsche Kunstgeschichte (2021)
> https://www.rdklabor.de/w/?oldid=107327
Wir sind gespannt auf:
https://www.rdklabor.de/wiki/Laster
https://www.rdklabor.de/wiki/Tugenden
https://www.rdklabor.de/wiki/Tugenden_und_Laster
Aus dem Buch mit vielen Ergänzungen
»Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen«
Schriften zur Symbolforschung, Band 16, PANO Verlag, Zürich 2013
ISBN 978-3-290-22021-1
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