Calumnia – die Verleumdung

 

Zur Semantik von Calumnia : jedes schikanierende, ränkevolle, mit Lug u. Trug umgehende, das wahre Sachverhältnis beeinträchtigende Verfahren, Kniffe und Ränke, Lug u. Trug, Schurkerei, Prellerei, Verdrehung, ränkevolle Deutelung od. Auslegung, böswillige Kritik, Verleumdung, Fälschung, trügerische Anklage (http://www.zeno.org/nid/20002258293)

Textbasis

Lukian von Samosata (um 120 bis ca. 180) berichtet in seinem Essay »Die Verleumdung« von einem Bild, das der Maler Apelles von Ephesos gemalt hat, der beim König verleumdet worden war, und sich mit der allegorischen Darstellung der Verleumdung rechtfertigen konnte.

Wir haben hier eine Bildbeschreibung (ekphrasis), zu der später das Bild rekonstruiert wurde.

Wir bemerken den interessanten Fall einer situational verorteten Allegorie: Apelles konnte sich nicht anders äussern und hat die intendierte Wirkung mit der Allegorie erzielt.

Hier der Text: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly (1831): http://de.wikisource.org/wiki/Die_Verl%C3%A4umdung

Bequeme Zusammenfassung bei Peter Lauremberg, Neue und vermehrte ACERRA PHILOLOGICA. Das ist: Sieben Hundert Außerlesene, Nützliche / lustige und denckwürdige Historien und Discursen Aus den berühmtesten Griechischen und Lateinischen Scribenten zusammen getragen, ... Frankfurt am Main, Leipzig, 1717. 6. Buch, Kap.18.

Apelles mahlet ab die Calumniam oder Verleumdung.

Der weitberühmte Kunst-Mahler / Apelles, ward aus Neid vom Antiphilo, einem andern Mahler / beym Egyptischen König Ptolemæo heimlich angegeben / als wäre er ihm treuloß / und hätte neben Theodora, dem Hauptmann zu Tyro / den er noch nie gesehen /wider ihn Aufruhr angerichtet. Weil aber der Apelles sich nie konte mündlich verantworten / that ers durch seine Kunst / und mahlete einen König auf einem schönen Stuel sitzende / mit weit geöffneten Ohren /damit er den Verleumdern gern zuhöre: Hinter ihm stund Ignorantia, Jungfrau Unwissenheit / dieweil der König so bald der Lügen ohne Erkundigung des gewissen Grundes geglaubet: Für dem König stund Suspicio, Argwohn / der er die Hand both / anzuzeigen /daß er aus blossem Muthmassen den Beklagten verdamme. Zum König trat Calumnia, die Verleumdung / in Gestalt eines sehr schönen Weibes / die hatte in einer Hand eine brennende Fackel / damit sie leichtlich das Zorn-Feuer anzünden kan; und mit der andern schleppte sie einen unschuldigen wolverdienten Mann mit den Haaren für des Königes Thron / und verhetzte mit allerhand falscher Auflage den König wider ihn. Dieser folgete auf dem Fuß nach Schwester Invidia, oder Abgunst / anzudeuten / daß ihm bey dem Könige dieß Unglück aus blossem Neid zugerichtet. Hinter dieser kam geschlichen Fraus, Betrug / denn die Verleumder bringen ihre Lügen für mit scheinbaren Worten / damit zu betriegen. Auf der Seite stund Tristitia, die Traurigkeit / denn es thut weh / wann einer fälschlich angeklagt / sich nicht darff verantworten. Von ferne folgte Veritas, die Wahrheit / welche doch endlich die Unschuld an den Tag bringet / und die Verleumder zu schanden macht. Zuletzt zog hernach Pœnitentia, Reue / die nicht aussen bleibet / doch offt langsam kömmt / wenn der Unschuldige schon in grosse Gefahr gerathen ist.
> http://www.zeno.org/nid/20005239117

Visualisierungen

Das Bild wird im 16.Jh. und später in Rathaus-Sälen angebracht, um gerechtes Gericht anzumahnen.

Im Laufe der Geschichte der Visualisierungen werden die Personifikationen ausgemalt; der Gipfel ist der Manierismus bei Zuccari, wo sie als groteske Monsterwesen ausgebildet sind.

Das Bild von Sandro Botticelli (1445–1510)

> Web Gallery of Art — größer bei Wikipedia: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/85/Sandro_Botticelli_021.jpg

Erhard Schön hat einen Holzschnitt zu einem Gedicht des Hans Sachs (1536) angefertigt:

Hier aus: [Rudolf Zacharias Becker], Hans Sachs im Gewande seiner Zeit, … in derselben Gestalt wie sie zuerst auf einzelne, mit Holzschnitten verzierte Bogen gedruckt …, Gotha 1821 (Bild größer)

Der Text dazu: Hans Sachs, Werke, hg. Adelbert von Keller, Band IV (Bibliothek des Litterarischen Vereins, Band 105), Tübingen 1870; S.304–306.

Erklerung der tafel des gerichts, so der köstlich maler Apolles [sic] dem könig Antiocho entwarf

Als Apolles, der maler, war
Inn Egipten vor manchem jar
Von dem bößwicht Antopholo
Vor dem könig Ptholomeo,
Auß neid haimlichen ward versaget,
[verleumdet]
Als ein verreter angeklaget,
Gantz unverhört ergriffen wardt,
Geworffen in ein kercker hart
Und nahet seines kopffs beraubet,
Weil der könig dem bößwicht glaubet.
Doch wurd erkundet sein unschuldt
Mit erlangung des königs huld.
Im gfencknuß er dem könig malt
Ein köstlich tafel der-gestalt,
Welche er dem könig zustelt,
Wie die in schrifft hie wird erzelt.
Erstlich saß auff eim hohem thron
Mit ohren gross ein herrlich mon.
[Mann]
Darmit ein richter er andeudt,
Der allen zungen sein ohren peut.
Nebn im stunden zewy schöne weib;
Die erst, ziert mit einfelting leib,
Bedeutet die unwissenheit,
Die offt verfürt den richter weit.
Die ander et den argwon nendt,
Die auch den richter offt verblendt,
Ihm gantz schilrende augen macht,
Den unschulding setzt inn verdacht.
Ein weib auch mit eym steblein zeyget
Deudt: so der richter ist geneyget
Zu schwindem urtheil, gech und eyl,
Mit unverhörtem gegentheil.
Auch het ein weib ein fackel klar,
Die hielt dem jüngling bey dem har;
Deut di vergleckung
[Verleumdung] hindter-rück,
Dardurch er kumbt in ungelück.
Der unschulding hub auff sein augen
Und hend zu Got; in halff kein laugen.
[in Abrede stellen]
Weil er so gar hart war verkleckt,
[angeschwärzt]
Bleibt unschuld mit verdacht bedeckt.
Hinden stund ein alt weib, das wingt;
Bedeudt den neid, der auff in tringt.
Gibt ihm gar manchen schergen-stoß,
Entgeltent, das en nie genoß.
Ein gschmucket weib auch bey ir stund,
Geleich samb mit redentem mund;
Bedeudt auffsatz
[Nachstellung] und hindterlist,
Darmit der arm vergweltigt ist.
Ein pawer stund, bedeudt irrsal,
Der sich auch zutregt manich mal.
Wo der richter nit wol drauff mercket,
Wirt er im unrechten gestercket.
Nachmals ein zeygend weibsbild klug
Bedeutet den falsch und betrug
Darmit der richter an dem end
Wirt uberwunden und geblendt.
Ein fraw stund da mit strick und schwerd;
Bedeut die straff, so mit geferdt
Den unschuldigen uberfelt
Und in mit pein unnd marter quelt.
Das traurig weib in dem klagsturtz
[Trauerschleier]
Stund auch in diser tafel kurtz;
Die selbig bedeutet die rew,
[Reue]
So man erkend, mit was untrew
Der unschuldig dargeben sey
Durch falsch listig verreterey.
Das weiblein, das die sunnen trug,
Bedeudt die warheyt, weiß und klug.
Wo die unschuld verdecket leyt,
Bringt sie ans liecht zu rechter zeyt.
Oben stund Gott mit einer wag;
Bedeudt, das Got nit leyden mag
Unghrechtigkeyt; wer die nit laß,
Dem meß er auch mit solcher maß.
Mit dem zeyget Apolles an
Dem könig und sunst yederman,
Das nyemand urtheil zu der zeit
Auß argwohn und unwissenheyt,
Ubereil sich nit im verhörn,
Lass sich die lüg auch nit bethören,
Hab acht, ob klag nit kumb auß neid,
Auffsatz [Feindseligkeit] bey keynem thail nit leidt,
Auff den irrsal auch fleissig lug,
Hab acht auff allerley betrug
Und schaw, das auch durch kein geferdt
Der verklecket verhintert werde
Zu verantwortung
[Rechtfertigung] seiner sach,
Eh wann er greiff zu straff und rach,
So darff sein urtheil ihn nit rewen,
Noch vor der hellen warheit schewen,
So die kumpt mit der zeyt ans liecht,
Weil Gott in auch am jüngsten ghricht
Wirt richten nach der warheit strax.
Recht richten ist recht, spricht Hans Sachs.
Anno salutis 1534, am 10 tag Julii.

Hier die Darstellung von Federico Zuccari / Zuccaro (1540–1609):

> auf wikimedia

Danach ein Kupfer von von Cornelis Cort (1572 oder später):

> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1871-0812-752

Während bei Botticelli die Verleumdung (mit der Fackel in der Hand) den Unschuldigen vor den Richter zerrt, zeigt Zuccari, wie (rechts im Bild) der unschuldig Verleumdete (mit Lorbeer?-Kranz im Haar) mithilfe Merkurs entkommt; eine nackte Frau (die Wahrheit; vgl. das Bild in der Prosopographia) begleitet ihn.

Links: Minerva (wie üblich gerüstet) hält den Richter (mit Eselsohren) zurück. Die Verleumdung mit der Fackel in der Hand, dem Richter einflüsternd.

Vorne als Repoussoir-Figur gezeigt eine Harpye ("Lieber Betrachter, gehörst du nicht auch zu diesen Anklägern?").

Ganz im finstren Hintergrund die Habgier (mit Schlangenhaar).

J. Kliemann kann das mit Schlangenschwanz ausgestattete Ungeheuer in der Mitte zurückführen auf Geryon (Dante, Inferno, 17.Gesang, 1–30), die Personifikation der Täuschung.

LUCIANI Hoff Tafel: Von der Calumnia; Daß man der nicht leichtlich glauben soll.

III.
WEr die calumniam will sehen/
     Vnd jhr eignschafft recht verstehen/
Der schaw jhr art hier meisterlich/
     Dadurch er kan erinnern sich.
Denn wo sie eins erkennet recht/
     Kan man sich hütn vor jhrm geschlecht
.

E Die Verleumbdung
F Die Betriegerey
H Die Hinderlistigleit
K Die Warheit

Agapeti, Luciani, Cebetis HErrn/ Hoff/ Hausstaffel: Hohes vnd Nidriges standes personen zu vnterthenigsten ehren/ wolmeinendem gefallen/ gewünschtem nutz vnd frommen/ sich darin als in einem spiegel zubelüstigen vnd zubeschawen. Aus dem Griechischen übersetzt: Mit reimen vnd figuren erkläret/ vnd zum ersten also/ neben anderen zur kunst vnd tugent nutzlichen vnd anmütigen sachen/ durch den druck vor augen gestellet [durch Nicol. Glaserum], Gedruckt zu Bremen bey Thomas de Villiers/ im jahr MDCXIX. (1619) S. 53–83 in 12 Kapiteln; Holzschnitt zu Seite 57

> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10215761?page=81
Bild aus Privatbesitz; fehlt im Digitalisat der BSB

Literaturhinweise

Lothar Freund, Artikel "Apelles (Verleumdung des Apelles)", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1935), Sp. 747–748.
> http://www.rdklabor.de/w/?oldid=88817

Jean-Michel Massing, Du text a l'image. La calomnie d'Apelle et son iconographie, Strassbourg 1990.

Julian Kliemann, »Die Verleumdung« des Federico Zuccari, in: Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik, Bearb. von Peggy Große, G. Ulrich Großmann, Johannes Pommeranz. Begleitband zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum vom 7. Mai bis 6. September 2015, Nürnberg 2015, S.340–345 (mit ikonographischer Analyse).