Symbolik des Buchs
Das ganztätige Kolloquium fand statt am Samstag, 12.September 2020 im Hermann-Escher-Saal der Zentralbibliothek Zürich.
Die Referentinnen und Referenten:
Christian Scheidegger: Das Donatorenbuch (1629–1772) der alten Stadtbibliothek Zürich (mehr dazu hier)
Johannes Pommeranz: Buch und Memoria. Zum Prunkeinband des »Codex aureus Epternacensis« (mehr dazu hier; die Schriftfassung als PDF hier)
Marc Winter: Symbolik des Buches und die kaiserliche Macht im vormodernen China (mehr dazu hier; die Schriftfassung als PDF [4,1 MB] hier)
Rosa Micus: Zur Symbolik der Bücherverbrennungen (mehr dazu hier; die Schriftfassung als PDF hier)
Romy Günthart: Titelblätter von Fabelsammlungen (mehr dazu hier)
Petra Barton: Zum Motiv des Buches im Exlibris (mehr dazu hier)
Cicero am Schreibpult – Holzschnitt des Petrarcameisters in: Der Teütsch Cicero, Ausgburg: Steyner Anno M.D.XXXX; (Das Leben Ciceronis, Fol. XIV verso)
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Materialsammlung
Ein Buch ist weitaus mehr als ein bloßer Informationsträger.
Dem Buch eignet eine Symbolik im engeren Sinne:
- Das materielle Buch steht für den darin aufgeschriebenen Inhalt.
- Wer diesen für verdammenswürdig hält, zerstört dessen Träger, das Buch.
- Umgekehrt: Wer den Inhalt für besonders wertvoll hält, verehrt dessen Träger, das Buch.
- Das Buch ist Thema (signifié): Das Buch ist wie ein fruchtbarer und erholsamer Garten, wie eine Quelle, wie eine Schatztruhe, wie ein Steinbruch usw.
- Das Buch ist gibt den Vergleich ab (signifiant): Die ganze Schöpfung ist wie ein Buch – im Sternenhimmel kann man lesen wie in einem Buch – ist wie ein Buch –
Im weiteren Sinne wird das Buch oft als bedeutsames Attribut benutzt, denn es ist prestige-trächtig, aufgeladen mit kulturellen Werten.
Auf dieser Website sind aber auch weitere Eigenschaften zusammengestellt, die im Lauf der Geschichte das Buch so merk-würdig machen.
Inhaltsübersicht:
Buchstaben/Alphabet ➜ — Seitengestaltung (Layout) ➜ — Buch (Rolle/Codex) ➜ — Bibliothek ➜
Buchdruck ➜ — Hersteller (Buchdruckermarken) ➜ — Besitzer (Ex Libris) ➜
Metaphorische Büchertitel ➜ — Titelblätter/Frontispizien ➜ — Allegorien ➜
Inhalt per Inspiration ➜ — Verstehbarkeit des Buchs ➜ — das Buch essen ➜ — Bücher unterweisen uns ohne Rute ➜ — Lob des Buches ➜ — richtiges Lesen und Verstehen ➜ — Analphabeten ➜ — dummes Lesen (Büchernarren) ➜
Buch als Beweismittel ➜ — Buch als Beschützer ➜ — das Buch spricht selbst ➜ — Der Autor an sein Buch ➜
Buch als Symbol für die Geschichte/Historia ➜ — für Maria ➜ — für das Leben des einzelnen Menschen ➜ — ein Kapitel ist fertig ➜ — die Liebe als Buch ➜ — für die ganze Welt ➜ — der Himmel als Buch ➜
Das Buch in der mittelalterlichen Memorialkultur ➜ — Das Buch als (profanes) Machtsymbol ➜ — Fake Books ➜ — Buch als Symbol der Herrschertugend ➜ — Buch als Ehrengabe ➜ — Büchergeschenke ➜
Verehrung des (heiligen) Buches ➜ — Verstecken des Inhalts ➜ — Zensur ➜ — Entehrung des Buches (Bücherverbrennungen) ➜ — unbrennbare Bücher ➜
Ernstpeter
Loquuntur silentes (Die Schweigenden sprechen). Auf dem Titel des ersten Bands von: Augsburgs Buchdruckergeschichte nebst den Jahrbüchern derselben/ verfasset, herausgegeben und mit literarischen Anmerkungen erläutert von Georg Wilhelm Zapf, Augsburg: bey Christoph Friedrich Bürglen, Buchhändler, 1786 / 1791.
Optimi Consultores Mortui (Die besten Ratgeber sind die Toten [die Autoren von Büchern]). Auf dem Titel von: Fortunius Licetus, De Monstris. Ex recensione Gerardi Blasii. Qui monstra quaedam nova & rariora ex rentiorum scriptis addidit. Editio novissima, iconibus illustrata. Amsterdam, Andreas Frisius 1665.
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Inspiration des Buchs
In der christlichen Bibelauslegung bestehen zwei Erklärungsmodelle nebeneinander – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Deutung der Texte.
[a] Die Verbalinspiration behauptet im strikten Sinne, dass die Inspiration die Heilige Schrift vollkommen durchdringt.
[b] Die Realinspiration besagt, dass dem menschlichen Verfasser nur der ›Sinn‹ eingegeben wird, während er den Text seiner zeitgenössischen Umgebung gemäss ausformuliert. Der charismatische Einfluss auf die Schreiber wirkt, ohne dass diese aufhören, literarische Urheber ihrer Werke zu sein.
F. Ohly entwickelt dies an zwei grundsätzlichen Leitmetaphern: [a] Die Inspiration gleicht dem Tau, der die dürre Erde bewässert. – [b] Die Inspiration gleicht dem Griffel in der Hand: der Griffel schreibt zwar, wird aber geführt von der Hand.
Alanus ab Insulis (ca. 1128–1202), »Anticlaudianus« V,5 = PL 210, 534BC:
Carminis hujus ero calamus, non scriba vel auctor — Für dieses Lied will ich Griffel sein, nicht Schreiber, nicht Schöpfer.
Einige Bibelstellen zum Thema: Die alttestamentlichen Propheten reden davon, sie seien vom Geist getrieben worden oder JHWH habe ihnen eingeflüstert: Und der Herr streckte seine Hand aus und berührte meinen Mund. Und er sprach zu mir: "Damit lege ich meine Worte in deinen Mund" (Jes 1,7–9; vgl. Ezechiel 2,2. 11,5; Jes 48,16. 61,1). Und der Herr sprach zu mir: "Nimm dir eine grosse Tafel und schreibe darauf mit Menschenschrift …" (Jes 8,1; vgl Exodus 24,4; Apk 1,11). 2 Petrusbrief 1,21b: heilige Männer redeten, getrieben durch den Geist.
Mechthild von Magdeburg (1207–1282) im Prolog:
Dis buoch sol man gerne enpfan, wan got sprichet selber dú wort. […] ›Eya, herre got, wer hat dis buoch gemachet?‹ ›Ich han es gemachet an miner unmaht*, wan ich miner gabe nút enthalten mac.‹
*) Ohnmacht, weil Gott seine Gnade (gratia superfluens) nicht zurückhalten kann.
Mechthild von Magdeburg, »Das fließende Licht der Gottheit«, nach der Einsiedler Handschrift […] Text, besorgt von Gisela Vollmann-Profe, (MTU 100), München / Zürich: Artemis 1990.
Moses (erkennbar an den ›Hörnern‹; Exodus 34,29 nach der Vulgata: cornuta esset facies sua) wird inspiriert. Werkstatt des Diebold Lauber 1441/49 (Universitätsbibliothek Heidelberg cpg 19)
Der Evangelist Johannes wird inspiriert (ca. 1188)
Inspiration der Kirchenväter Augustinus und Gregor; Modena, Dom (um 1200/1225).
Das Frontispiz der Schrift »Scivias« (Wisse die Wege, 1141ff. entstanden) aus dem Rupertsberger Codex (Kriegsverlust 2.WK; nur als Kopie erhalten): Hildegard von Bingen († 1179) empfängt eine Inspiration, zeichnet diese auf Wachstafeln auf und gibt sie an ihren Schreiber weiter.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Scivias
Ovid bekommt ebenfalls eine göttliche Feder zum Schreiben gereicht:
Ovide reçoit des mains de sa muse favorite une plume qu’elle vient d’arracher d’une des aîles de l’Amour.
Les Métamorphoses d'Ovide, en latin et en françois, de la traduction de M. l’Abbé Banier, de l'Académie Royale des Inscriptions & Belles-Lettres. Tome 1, Paris, chez Pissot, MDCCLXVII.
Die Lektüre eines inspirierten Buchs …
erfordert einen inspirierten Leser, denn: Die Heil’ge Schrifft versteht man nicht,
Ohn GOTTES fing’r und Gnadenlicht.
Erleuchtung deß verfinsterten Verstands.
Wir lebn in einem dunckeln Ort/
und lesen irrsam GOTTES Wort:
Wenn nicht erleucht GOTT den Verstand/
und zeigt/ was recht/ mit eigner Hand.
Johann Michael Dilherr, Augen- und Hertzens-Lust. Das ist/ Emblematische Fürstellung der Sonn- und Festtäglichen Evangelien […] Nürnberg: Endter 1661; S. 298ff.
> http://diglib.hab.de/drucke/th-4f-13/start.htm?image=00316
Literaturhinweise:
Friedrich Ohly, Metaphern für die Inspiration, in: Euphorion 87 (1993), S. 119–171.
Nigel F. Palmer, Das Buch als Bedeutungsträger bei Mechthild von Magdeburg. In: Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion, hg. von Wolfgang Harms / Klaus Speckenbach, TübingenNiemeyer 1992, S.217–235.
Ernstpeter Maurer, Artikel »Inspiration«,
online bei www.bibelwissenschaft.de > hier
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Gut geklaut ist besser als schlecht erfunden.
Viele Bücher sind nicht inspiriert, sondern aus andern zusammenflickt. Die Technik, aus anderen Schriften ein eigene zu exzerpieren, ist alt. Hier Bertolt Brecht zum Thema:
»Heute«, beklagte sich Herr K., »gibt es Unzählige, die sich öffentlich rühmen, ganz allein große Bücher verfassen zu können, und dies wird allgemein gebilligt. Der chinesische Philosoph Dschuang Dsi verfaßte noch im Mannesalter ein Buch von hunderttausend Wörtern, das zu neun Zehnteln aus Zitaten bestand. Solche Bücher können bei uns nicht mehr geschrieben werden, da der Geist fehlt. Infolgedessen werden Gedanken nur in eigner Werkstatt hergestellt, indem sich der faul vorkommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es dann auch keinen Gedanken, der übernommen werden, und auch keine Formulierung eines Gedankens, die zitiert werden könnte. Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit! Ein Federhalter und etwas Papier ist das einzige, was sie vorzeigen können! Und ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einzelner auf seinen Armen herbeischaffen kann, errichten sie ihre Hütten! Größere Gebäude kennen sie nicht als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist!«
Julia Kristeva (1967):
Tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte.
Mehr zum Thema Exzerpieren/Plagiieren hier.
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Das Buch des Bundes hören
Josias war von 640 bis 609 König des Reichs Juda. Nach Zeiten der Verehrung anderer Gottheiten förderte er wieder den abrahamischen Monotheismus.
Im 2.Buch der Könige, Kap.22 wird berichtet, dass ein Priester im Tempel das Gesetzbuch (sefär ha-tora) wieder gefunden hat. König Josias lässt es sich vorlesen und ist erschüttert, weil unsere Väter nicht auf die Worte dieses Buchs gehört haben und weil sie nicht getan haben, was in ihm niedergeschrieben ist (22,13). Der König lässt die Ältesten zusammenkommen und lässt allen Einwohnern Jerusalems alle Worte des Bundesbuchs (sefär ha-bərit) vorlesen. Darauf verspricht der König feierlich, er werde die Gebote, Satzungen und Gesetze achten und die Vorschriften einhalten, die in diesem Buch niedergeschrieben sind. Die Gegenstände, die für den Baal und die Aschera angeschafft wurden, werden aus dem Tempel entfernt und verbrannt.
Icones biblicæ præcipuas sacræ scripturæ historias eleganter & graphice repræsentantes. Biblische Figuren/ darinnen die Fürnembsten Historien/ in Heiliger und Göttlicher Schrifft begriffen/ Gründtlich und Geschichtsmessig entworffen/ zu Nutz und Belustigung Gottsförchtiger und Kunstverständiger Personen artig vorgebildet / an Tag gegeben durch Matthaeum Merian von Basel. Mit Versen vnd Reymen in dreyen Sprachen gezieret vnd erkläret. – Pars secunda [1626]
Die Angehörigen der islamischen Glaubens bezeichnen die Juden, Christen und sich selbst als Leute des Buchs/der Schrift (Ahl al-kitāb), vgl. > https://de.wikipedia.org/wiki/Ahl_al-kit%C4%81b.
Literaturhinweis: Konrad Schmid / Jens Schröter, Die Entstehung der Bibel, München: Beck 2019, Kapitel »Von der Kultreligion zur Buchreligion« S. 74ff.
Kleine Notiz: Es war üblich, dass man laut las. Augustinus wundert sich, dass Ambrosius schweigend liest (Confessiones VI,3):
Wenn er las, so glitten seine Augen über die Blätter, und das Herz spürte nach dem Sinne, Stimme und Zunge aber ruhten. (cum legebat, oculi ducebantur paginas et cor intellectum rimabatur, vox autem et lingua quiescebant.)
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Verstehbarkeit eines Buches
Offenbarung / Apokalypse, Kapitel 5:
1 Und ich sah auf der rechten Hand des auf dem Throne Sitzenden ein Buch, das inwendig beschrieben und auf der Rückseite mit sieben Siegeln versiegelt war. 2 Dann sah ich einen starken Engel, der mit lauter Stimme ausrief: »Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen?« 3 Doch niemand im Himmel und auf der Erde und unter der Erde vermochte das Buch zu öffnen und hineinzusehen. 4 Da weinte ich laut, weil niemand würdig erfunden wurde, das Buch zu öffnen und hineinzusehen. 5 Doch einer von den Ältesten sagte zu mir: »Weine nicht! Siehe, der Löwe aus dem Stamme Juda, die Wurzel Davids, hat den Sieg errungen, um das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen.« (Übers. Menge-Bibel)
Historiae celebriores Veteris (et Novi) Testamenti iconibus repraesentatae et ad excitandas bonas meditationes selectis Epigrammatibus exornatae, Nürnberg: Chr. Weigel 1712. (Ausschnitt)
Das Öffnen der Siegel bringt folgende ›Texte‹ ( = ! ) katastrophale Ereignisse hervor:
- Beim Öffnen der ersten vier Siegel werden die vier apokalyptischen Reiter losgelassen (Apk 6,1–8);
- beim Öffnen des fünften Siegels werden die Seelen derer sichtbar, die hingemordet wurden wegen ihres Zeugnisses für Gott, und die auf Rache warten (Apk 6,9–11);
- beim Öffnen des sechsten Siegels ereignet sich ein gewaltiges Erdbeben, die Sonne wird schwarz, der Mond wird wie Blut, und die Sterne fallen herab auf die Erde (Apk 6,12–17) – und der Himmel entwich wie eine Buchrolle, wenn man sie zusammenrollt;
- beim Öffnen des siebten Siegels geht die Welt unter (Apk 8,1–9).
Sebastian Franck (1499–1542) möchte in seinem Buch darlegen, wie man das versiegelte BUCH öffnen kann
Das verbüthschiert mit siben Sigeln verschlossen Buch/ das recht niemandt auffthuon/ verstehen, oder lesen kan/ dann das lamb/, vnd die mit dem Thaw bezaichnet/ das lamb angehören/ sampt einer vorred von den siben Sigeln ... / von Sebastian Francken fürgestellet [Augsburg] : [Steiner] 1539.
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10196604?page=3
Die um das Bild gruppierten Umschriften hier nach der Lutherbibel 1545:
Jesaias 29, 11 Das euch aller (Propheten) Gesicht sein werden / wie die wort eines versiegelten Buchs / welchs / so mans gebe einem der lesen kan / vnd spreche Lieber lis das / Vnd er spreche / Jch kan nicht /denn es ist versiegelt.
Proverbia 25,2 Es ist Gottes ehre / eine sache verbergen / Aber der Könige ehre ist ein sache erforschen.
Jesaias 7,9 Gleubt jr nicht / So bleibt jr nicht. [S.Franck: so werdet ir fälen vnd es nit verstehen]
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Beweis aus dem Buch
Hier diskutieren Juden und Christen, ob der Messias in dem alten gesetz verheissen ist worden … – Beide Gruppen halten je ein Buch in der Hand, aufgrund von dessen Text sie argumentieren. Vielleicht soll demonstriert werden, dass die Christen das Buch so geöffnet halten, dass alle Welt darin lesen kann.
[Der seelen wurtzgart] Ulm: Conrad Dinckmuot 1483
>
https://archive.org/details/seelenwurzgarten00unse/page/n55
Ein anderer Druck ist hier digitalisiert: Der Seelen Wurzgarten, Augsburg 1484.
>
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00031616/image_44
Franz Kafka (1883–1924)
... ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Brief an Oskar Pollak, 1904)
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Das Erkennen als Akt des Schreibens
Aristoteles (384–322), »de anima« III,14 (429b):
Der Geist ist der Möglichkeit nach die denkbaren Dinge, aber der Wirklichkeit nach keines, bevor er es denkt. Dies muß so sein wie auf einer Schreibtafel, auf der faktisch noch nichts geschrieben ist.
John Locke, An Essay concerning Humane Understanding, 1690; Book II, Chapter i, ¶ 2:
Let us then suppose the mind to be, as we say, white paper, void of all characters, without any ideas; how comes it to be furnished? Whence comes it by that vast store which the busy and boundless fancy of man has painted on it, with an almost endless variety? Whence has it all the materials of reason and knowledge? To this I answer, in one word, from experience; in all that our knowledge is founded, and from that it ultimately derives itself.
Nehmen wir also an, der Geist sei, wie man sagt, ein unbeschriebenes Blatt, ohne alle Schriftzeichen, frei von allen Ideen; wie werden ihm diese dann zugeführt? […] Ich antworte darauf mit einem einzigen Wort: aus der Erfahrung.
> englisch >https://oll.libertyfund.org/titles/761#Locke_0128-01_207
> deutsche Übersetzung > http://www.zeno.org/nid/2000920797X
Zur Vorstellung der Seele als Wachstafel: tabula rasa
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Erinnerungen als Notizen in einem Buch
Nachdem der Geist des Vaters Hamlet vom schnöden Mord an ihm erzählt und ihn zur Rache aufgefordert hat, möchte Hamlet alle törichten Geschichten und Jugenderinnerungen von der Tafel der Erinnerung löschen; einzig das Gebot des Vaters soll leben im Buche seines Hirns:
Yea, from the table of my memory
I'll wipe away all trivial fond records,
All saws of books, all forms, all pressures past,
That youth and observation copied there;
And thy commandment all alone shall live
Within the book and volume of my brain, …
Shakespeare, »Hamlet« (Monolog im 1.Akt, 5. Szene)
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Das Buch als Beschützer
••• Bischof Winfrid Bonifatius – Heidenmissionar in Freisland – wollte sich am 5. Juni 554 mit einem vorgehaltenen Buch gegen die Schwertstreiche der Feinde wehren, was ihm aber nichts half.
Miniatur (Ausschnitt) aus dem ältesten Fuldaer Sakramentar Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. theol. 231 (ca. 975), fol. 87r.
> http://www.historien.nl/images/ab/bonifatius%20moord.jpg
Literatur:
G. Kiesel, Artikel »Bonifatius«. In: Lexikon der Christlichen Ikonographie, Band 5 (1973), Sp. 427–436.
Marc-Aeilko Aris, Erzähltes Sterben. Der Tod des Bonifatius im Spiegel der Bonifatiusviten. In: Michael Imhof, Gregor Stasch (Hgg.), Bonifatius. Vom angelsächsischen Missionar zum Apostel der Deutschen. Zum 1250. Todestag des heiligen Bonifatius, Fulda 2004, S. 111–126.
Gereon Becht-Jördens, Die verlorene Handschrift. Zum Motiv von Zerstörung, Verlust und Wiederauffindung als Strategie der Traditionssicherung in der lateinischen Literatur des Mittelalters, in: Carina Kühne-Wespi / Klaus Oschema / Joachim Friedrich Quack (Hgg.): Zerstörung von Geschriebenem. Berlin 2019 (= Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933 "Materiale Textkulturen" 22), S. 393–435.
••• Matthias Holtzwart ist in seinem Emblem hoffnungsvoller:
Matthias Holtzwart, Emblematum Tyrocinia, sive picta poesis Latinogermanica, das ist eingeblümete Zierwerck oder Gemälpoesy innhaltend allerhand Geheymnußlehren durch kunstfündige Gemäl angepracht und poetisch erkläret, Nun erstmals inn Truck kommen, Straßburg: Jobin 1581. Emblem VIII.
Kunst [für lat. studium] hilfft Jnn allen nötten.
Du seyst auff Erden wer du wölst
Wan du dich zu den Künsten gselst
So hastu gar ein sicher gleit
Das dir nitt bald schaden ein leidt /
Dan gehts dir übell hast ein schildt
Wider den gar kein waffen gilt
Sonder pleibst ohnuerletzet frey
Wer nur auff Erd wider dich sey
Ists aber das jnn frid vnd ruoh
Du still bringest dein leben zuo
So machen sie dir freyden vil
Ein yeder umb dich wonen will
Das gibt dir als die kunst vnd witz
Da der vnglert dahinden sitzt.
Vgl. > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00028624/image_49
••• Das Buch als Mittel gegen Hexenkünste: Kruijt voor de wilde Woeste
Roemer Visschers Zinne-Poppen. Alle verciert met Rijmen, en sommighe met Proze: Door zijn Dochter Anna Roemers*, T'Amsterdam: Willem Jansz, [ca. 1630; Erstausgabe ohne Verse 1614]
> http://diglib.hab.de/drucke/145-1-eth/start.htm?image=00085
Kraut gegen die wilde Wüstheit
Ein solches Kraut war Moly, dünkt mich, das Mercur dem heimwärts strebenden Griechen (Odysseus) gab gegen Circes Zauberei.
Homer, Odyssee 10. Gesang, Verse 302–307; Ovid, Metamorphosen XIV, 291f.:
Doch ihm gab der Cyllenier [Merkur] eine weiße Blüte aus schwarzer Wurzel; die Himmlischen nennen sie Moly. So und zugleich durch die Warnung des Gottes gesichert, betritt er Circes Haus …
Vgl.: https://de.wikisource.org/wiki/RE:Moly —— Bild dazu hier
*) Anna Roemers Visscher (158 –1651)
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Das Buch vertritt seinen Verfasser
Kaiser Augustus erließ im Jahre 8.u.Z. ein Edikt, das Ovid befahl, Rom für immer zu verlassen. Die Gründe sind unbekannt. Ovid zog in die Stadt Tomis am Schwarzen Meer, wo er noch neun Jahre lebte – und weiter dichtete (»Tristia« und »Epistulae ex Ponto«). In der Verbannung wendet er sich so an sein Buch:
Ohne mich gehst du, mein Büchlein, zur Stadt, und ich will es dir gönnen.
Weh mir! Ist deinem Herrn doch die Reise versagt.
Geh denn, doch bar des Schmucks, wie es ziemt einem Buch des Verbannten:
leidvoll trage das Kleid, das diesem Schicksal gemäß!
Saft des Rittersporns soll dich mit purpurnem Glanz nicht umgeben,
da diese Farbe ja doch sich für Trauer nicht schickt.
Ziere Zinnober den Titel dir nicht, das Papier nicht die Zeder!
Trag' nicht an schwarzer Stirn strahlende Hörner zur Schau!
All diese Mittelchen mögen die glücklichen Bücher verschönen:
dir aber ziemt es, gedenk meines Geschickes zu sein.
Brüchiger Bimsstein soll dir die beiden Ränder nicht glätten,
dass du recht struppig erscheinst wie mit verworrenem Haar.
Brauchst dich auch nicht deiner Flecke zu schämen: es wird dann ein jeder,
der sie erblickt hat, sehn, dass ich beim Schreiben geweint! […]
Ovid, Tristia I,1ff. – Briefe aus der Verbannung, übers. Wilhelm Willige, München/Zürich: Artmis 1990 (Tusculum)
Lateinischer Text: Parue — nec inuideo — sine me, liber, ibis in urbem .....
> https://www.thelatinlibrary.com/ovid/ovid.tristia1.shtml
Sindonius Apollinaris (ca. 431–487) schreibt in einem Begleitbrief bei der Übersendung eines Buches:
Ich empfehle Eurem Urteil die verschiedenen Regungen meines Herzens, denn es ist mir völlig bewusst, dass der Geist im Buch ebenso offenbar ist, wie das Antlitz im Spiegel – minime ignarus, quod mens pateat in libro velut vultus in speculo. (Briefe, Buch VII, 18 An Constantius, ¶2; in der Übersetzung von Helga Köhler, Stuttgart 2014, S. 242f.)
Hartmann von Aue (zugeschrieben; nach 1220). Gegen Ende des Texts lässt der erfolglos werbende Ritter sein Büchlein sagen, es möge der Dame dartun, dass er ihr treu bleibt:
Kleinez büechel, swâ ich sî,
sô wone mîner frouwen bî.
wis mîn zunge und mîn munt
und tuo ir stæte minne kunt,
daz sî doch wizze daz ir sî
mîn herze ze allen ziten bî,
swie verre joch der lîp var […]
»Zweites Büchlein«, ed. Fedor Bech 1873; Vers 811ff.
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Die geplagte Schreibfeder an den Autor
Thomasin von Zerklaere (erstes Drittel des 13. Jahrhunderts, vgl. Artikel in der NDB) muss die Niederschrift seines Buchs unterbrechen, weil die Schreib-Feder protestiert, sie möchte gerne ausruhen. Den ganzen Winter habe sie ihm Tag und Nacht gedient; zehn mal am Tag habe er sie zugespitzt. Als er noch mit Rittern und Damen bei Turnier und Tanz war, habe sie es gut gehabt; aber nun sei er Einsiedler geworden und malträtiere sie.– Der Autor rechtfertigt sich: Nur so komme ein taugliches Werk zustande. Der Trick mit der Prosopopöie gibt ihm Gelegenheit zu einem auto(r)biographischen Exkurs:
»Lâ mich ruowen, sîn ist zît,«
spricht mîn veder, »Swer niene gît
sînem eigenem knehte
ruowe, er tuot im vil unrehte.
Sô hân ich dir, daz ist wâr,
gedienet disen winter gar,
daz du mich niene lieze belîben
ichn müeste tag und naht schrîben.
Du hâst verslizzen mînen munt,
wan du mich mêr dan zehen stunt
zem tage phlîst tempern unde snîden.
Wie möht ich daz sô lange erlîden?
Du snîdest mich nu grôz nu kleine
und hâst mich gemacht gemeine
ze schrîben von herren und von kneht:
du tuost mir grôzez unreht.
Dô du phlæge guoter site,
dô vuor ich dir vil gerne mite.
Dô du mit rîtern und mit vrouwen
phlæge buhurt und tanz schouwen,
dô was ich harte gern bî dir:
wan dô, geloubestu ouch mir,
dô du woldest ze hove sîn
under den liuten, dô was mîn
geloube daz ich wære baz
bî dir
dan inder, wizze daz.
Nu hâstu dich des abe getân
und hâst dîn selbes dinc verlân
und ze rukke gar geworfen.
Ich hân dar an niht erworven,
wan ich muoz schrîben durch den tac:
wizze daz ichz niht dulten mac.
Du bist wordn ein klôsenære. […]«
Anfang des 9. Buches, Verse 12’223ff. Der Abschnitt mit dem mittelhochdeutschen Text hier:
> https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/13Jh/Thomasin/dwg9.htm
Thomasin von Zerklaere, Der Welsche Gast, Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Eva Willms. De Gruyter 2004, S.150ff.
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Der Verfasser sagt seinem Buch dessen Schicksal voraus
Horaz (65–8) fügt, um den übelwollenden Kunstrichtern die Zunge zu lähmen, seinem ersten Buch der »Episteln« einen letzten Brief (Epist. I, 20) an, worin er dem Buch alle Schicksale vorhersagt: Es wird den Launen, Lüsten und Misshandlungen seiner Leser ausgesetzt sein.
Der Dichter gibt seinem Buch wie einem jungen Hausdiener, dem es im Haus seines Herrn nicht mehr behagen will, einige gute Lehren mit auf den Weg und sagt ihm seine Zukunft voraus: Wenn es dereinst von Händen des Pöbels abgegriffen sein wird, wird es in ferne Provinzen abwandern. Zuletzt wird es noch einem Schulmeister dienen, um Kindern das ABC beizubringen.
Chr. Martin Wielands Übersetzung von 1782:
Mein liebes Buch, ich sehe wohl warum
du so verstohlen nach dem Janus und
Vertumnus {i} schielst: du kannst es kaum erwarten
von den Gebrüdern Sosiern {iii} fein glatt und schmuck
heraus geputzt {iv} dich ausgekramt {ii} zu sehen.
Die gute Zeit, da du verschämt und züchtig
vor fremden Augen dich in meinem Pult
verstecktest, ist vorbey; du hassest Schloß
und Siegel {v} keichst nach Freyheit, grämest dich,
so wenig Leuten nur gezeigt zu werden.
So bist du nicht erzogen worden! Aber weil
du’s denn nicht besser haben willst, so geh
wohin so weh dir ist! […]
Horaz im O-Ton:
Vertumnum Ianumque {i}, liber, spectare videris,
scilicet ut prostes {ii} Sosiorum {iii} pumice mundus {iv}
Odisti clavis et grata sigilla {v} pudico;
paucis ostendi gemis et communia laudas {vi},
non ita nutritus. Fuge quo descendere gestis. […]
Der ganze lat. Text hier online > http://www.thelatinlibrary.com/horace/epist1.shtml
Der Text (in den 18 ersten Versen) ist raffiniert doppeldeutig: Der liber, der seinen Verfasser bei der Publikation verlässt, wird – ohne dass eine explizite Allegorie entsteht – parallelisiert mit dem leichtsinnigen Jungen, der ausbüxt und das Glück in der Welt suchen will.
Kommentar zu den ersten paar Versen:
Das Wort liber ist ein grammatikalisches Maskulinum. Naheliegend ist, es mit einem Maskulinum zu parallelisieren, und zwar mit einem ›verna‹, einem Pagen. Leibliche Nachkommen sind auszuschliessen, weil der Abstieg (vgl. descendere gestis) von Angehörigen in die Halbwelt dem Geschmack des sozial aufgestiegenen Horaz widersprochen hätte.
{i} Am Platz der Gottheiten Vertumnus und Janus am Forum boten die Buchhändler ihre Produkte feil; es war auch der Ort der Kuppler und Prostituierten.
{ii} ut prostes: prostare ›zum Verkauf feil stehen‹ wird auch von Dirnen und Lustknaben gebraucht.
{iii} Die Sosii waren berühmte Buchhändler.
{iv} pumice mundus: ›mit Bimsstein (pumex) geglättet‹. Buchrollen wurden so herausgeputzt (Catull I,2 u.a.); aber dieselbe Wendung wurde auch verwendet für die Toilette insbes. von Knaben, die ihre Haare von den Beinen entfernten (vgl. Ovid, Ars amatoria 1,506; Martial XIV, 205; Juvenal VIII,16 und IX,95).
{v} odisti clavis et sigilla ›Du hasst Schlüssel und Siegel‹: Wertvolle Bücher wurden in Kapseln verschlossen aufbewahrt – auch ein züchtiger Diener sollte in seinen vier Wänden bleiben; diese Bedeutung wird mit grata pudico ›angenehm für den Ehrbaren‹ nahegelegt.
{vi} In communia laudas ›du schätzest die Öffentlichkeit‹ liegt auch eine Anzüglichkeit: communia ist ein Deckwort für Bordell. (Wieland lässt das weg).
Des Q. Horatius Flaccus Episteln, erklärt von Fr. E. Theodor Schmid, Erster Theil; Halberstadt 1828, S. 448ff.
> bei Google Books
Horatius, Briefe. Erklärt von Adolf Kiessling, bearbeitet von Richard Heinze, Band 3: Briefe, Berlin: Weidmann 1914.
Quintus Horatius Flaccus, Epistulae / Briefe. Lateinisch/deutsch, Übers. u. hrsg. von Bernhard Kytzler, Stuttgart: Reclam 1986 (Universal-Bibliothek 432).
Vielen Dank für die Korrekturen und Ergänzungen an Thomas G. in W.!
Hier der (in dieser Inkunabel freilich mehrfach verwendete) Holzschnitt zur Stelle:
Horatij flacci Venusini Poete lirici opera cum quibisdam Annotationibus Imagbinibusque pulcherrimis … Straßburg: Johann Grüninger 12. März
1498. Folio CXCVI recto.
> http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz489766633
> https://haab-digital.klassik-stiftung.de/viewer/image/94309013X/1/
> https://archive.org/details/horatijflacciven00hora/page/n8/mode/2up
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Das Buch symbolisiert eine Herrschertugend und repräsentiert Macht
Utroque Cæsar (Durch beides Herrscher). Artibus et Armis, durch Wissenschaften und Waffen regiert der weise Herrscher.
Gabriel Rollenhagen / Crispin de Passe, Nucleus Emblematum, Arnheim/Utrecht 1611; unter dem Titel: Sinn-Bilder, hg. Carsten-Peter Warncke (Bibliophile Taschenbücher 378), Dortmund 1983.
> http://diglib.hab.de/drucke/21-2-eth-1/start.htm?image=00004
Bücher sollen den Herrschenden Prestige verleihen, sind Statussymbole
Matthias Corvinus (1458 bis 1490 König von Ungarn) hat eine riesige Bibliothek zusammengekauft, die Rede ist von etwa zweitausend Handschriften und Inkunabeln. Nach der Schlacht von Mohács (1526) wurde sie durch die türkischen Eroberer zugundegerichtet.
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Bücher werden Herrscher*innen (und anderen Leserinnen) verehrt
Eucharius Rösslin (1470–1526) überreicht sein Buch:
Der hochegbornen fürstin vnd frawen/ fraw Katherina geborn von Sachsen/ Hertzogin zuo brunstzwigk vnd Lunenburg/ meiner gnedigsten frawen/ Enbeut ich Eucharius Rößlin in artzney doctor/ Mein underthänig gehorsam willigst dienst zuo vor/ Gnedigste fürstin / […]
Der Swangern Frauwen vnd hebammen Rosegarten, Argentine [Straßburg]: Martin Flach junior 1513.
> http://www.dilibri.de/urn/urn:nbn:de:0128-5-1441
Der Holzschnitt ist signiert von Conrad Merkel / Merklin aus Ulm, einem Freund Dürers (F. Brulliot, Dict. des Monogrammes, I, No. 1391)
Lodovico de Varthema († 1517, vgl. hier) überreicht sein Buch mit den Reiseschilderungen der Anguesina, Herzogin von Bologna:
Die Ritterlich und lobwirdig rayß des gestrengen und über all ander weyt erfarnen ritters und Lantfarers herren Ludowico vartomans von Bolonia Sagent von den landen Egypto Syria von bayden Arabia Persia Jndia Und Ethiopia von den gestalten syten und dero menschen leben und gelauben, Augspurg: Miller 1515.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00011589/image_5
Eine anders gedachte Buch-Übergabe und Widmung findet hier statt: Auf dem letzen Text/Bild übergibt der Verfasser sein Buch seinen Töchtern zum exempel vnnd vorbyld … mit anzeigungen der guoten vnnd wolthuonden frowen/ deßglich der bößen vndd belümdeten regimentz vnnd thaten …
[Geoffroy de La Tour Landry] Der Ritter vom Turn von den Exempeln der gotsforcht vnd erberkait, Basel: Michael Furter 1493 [aus dem Französischen übersetzt. von Marquart von Stein. Holzschnitte von Albrecht Dürer]
> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00029711?page=149
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Philobiblon
Richard de Bury († 1345) verfasste 1344 das Buch »Philobiblon« (Die Liebe zu den Büchern). Einige Auszüge daraus:
Der »liebliche Schatz« (Prov 21,20) an Weisheit und Wissen, den aus natürlichem Trieb alle Menschen sich wünschen, übertrifft weitaus den ganzen Reichtum der Welt. Neben ihm verliert der kostbarste Stein seinen Wert, verwandelt sich Silber in Lehm und zerfällt das geläuterte Gold in Sand; neben seinem Glanz scheinen Mond und Sonne nur matt; neben seiner köstlichen Süße schmecken Honig und Himmelsbrot bitter. Dein Wert, o Weisheit, nimmt nie ab, und deine Kraft bleibt ewig frisch; wer dich besitzt, ist gegen alles Gift gefeit. […]
Wo aber verbirgst du dich, du auserwählter Schatz? Wo finden dich die dürstenden Seelen? Nun, da ist kein Zweifel: in den Büchern »hast du dein Gezelt aufgeschlagen« (Ps 18,6); dort hat der Höchste, das Licht alles Lichts und das Buch des Lebens (Phil 4,3 u.ö.), dir deine Stätte angewiesen; dort wird jedem gegeben, der bittet; dort findet jeder, der sucht, und wer anklopfet, dem wird aufgetan (Luk 11,10); dort breiten die Cherubim ihre Flügel aus, damit sich auf ihnen der Geist des eifrigen Lesers erhebe und von Pol zu Pol schaue, »von Sonnenaufgang und Niedergang, von Mitternacht und vom Meer« (Ps 106,3). In den Büchern lässt sich Gott, der Unbegreifliche, Hocherhabene, in begreiflicher Gestalt finden und verehren; in ihnen enthüllt sich das Wesen all dessen, was im Himmel und auf Erden und unter der Erde ist; in ihnen schauen wir die Gesetze, die jeden Staat lenken; in ihnen sind die unterschiedlichen Aufgaben der himmlischen Hierarchie beschrieben und die Reiche der Dämonen, denen auch Platos Ideen nicht überlegen sind, und von denen Catos Lehre nichts berichtete.
In den Büchern finde ich die Toten, als ob sie noch lebten; in den Büchern schaue ich die Zukunft; aus den Büchern lernt man die Ordnung des Krieges kennen; aus den Büchern stammen die Gesetze des Friedens. Alles geht zugrunde und schwindet dahin mit der Zeit; nie hört Saturn auf, seine Kinder zu verschlingen, und allen Ruhm der Welt würde Vergessenheit bedecken, hätte Gott nicht die Bücher den Menschen zu ihrem Heil geschenkt.
Wer sollte daher dem unerschöpflichen Schatz der Bücher, aus dem ein kundiger Schreiber »Neues und Altes hervorträgt« (Mt 13,52), seinen Wert neben irgend etwas anderem einschränken und herabsetzen wollen? Die Wahrheit, die über alles triumphiert, die stärker ist als der König, der Wein und das Weib, die wir höher als die Freunde zu schätzen verpflichtet sind, die ein Weg ohne Umweg und ein Leben ohne Ende ist, die nach dem erhabenen Boethius ein dreifaches Sein besitzt, nämlich in den Gedanken, im Wort und in der Schrift, sie scheint in den Büchern am nutzbarsten aufgespeichert zu sein und am kräftigsten das Wachstum zu fördern.
Denn die Wahrheit des Wortes stirbt mit dem Klang, und die Wahrheit, die in den Gedanken verbleibt, ist eine verborgene Weisheit und ein vergrabener Schatz (Mt 13,44); die Wahrheit aber, die aus den Büchern leuchtet, wünscht sich jedem empfänglichen Sinne mitzuteilen: dem Gesicht, wenn man sie liest, dem Gehör, wenn man sie hört; ja selbst dem Tastsinn, möchte man sagen, erweist sie ihre Reverenz, indem sie sich geduldig abschreiben, einbinden, korrigieren und verwahren lässt.
[…] die geschriebene Wahrheit des Buchs, die nicht abrollt, sondern beharrt, bietet sich offen den Blicken dar, passiert die durchlässigen Zellen der Augen, die Vorhalle der Empfindung und die Räume der Phantasie, betritt das Gemach des Verstandes, schlüpft ins Bett des Gedächtnisses und gebiert dort die ewige Wahrheit des Geistes.
[…] Diese Lehrer unterweisen uns ohne Rute und Stecken, ohne Schelten und Toben, ohne Bekleidung und Bezahlung zu verlangen. Kommst du, so schlafen sie nicht; fragst du, so schweigen sie nicht; sie schreien dich nicht an, wenn du etwas falsch machst; sie lachen dich nicht aus, wenn du etwas nicht weisst. […]
Lat. Text online > http://www.thelatinlibrary.com/debury.html
Alfred Hartmann (Ed.): Richardus de Bury, Philobiblon oder die Liebe zu den Büchern. Schweizerische Bibliophilen-Gesellschaft, Bern 1955 (lateinisch-deutsch)
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Lob des Buches
Al-Ǧāḥiẓ (777–869):
Hast du schon einmal einen Garten gesehen, den man im Ärmel trägt, eine Wiese, die man im Schoß halten kann, […] oder findest du irgendwo einen Gefährten, der nur schläft, wenn du schläfst, und der nur spricht, wenn du es wünschst? Das Buch […] stumm, wenn man es zum Schweigen bringt, ist es doch beredt, wenn man es zum Sprechen auffordert. Es ist ein Gefährte in der Nachtwache, der dich nicht anredet, wenn du beschäftigt, der dich aber einlädt, wenn du gut aufgelegt bist, der dich nicht zwingt, dich ihm gegenüber liebenswürdig zu erweisen oder dich vor seinem Tadel zu hüten. […] Ein Buch ist ein Geselle, der dir nicht schmeichelt, ein Freund, der dich nicht reizt, ein Vertrauter, der dich nicht mit Überdruss erfüllt, ein Bittsteller, der nicht ungeduldig wird, […] ein Gefährte, der keine Schmeicheleien aus dir hervorlocken will […]. Ein Buch gehorcht dir nachts wie am Tag, es gehorcht auf der Reise wie zu Hause. […] Es ist ein Lehrer, der sich dir nicht entzieht, wenn du ihn brauchst, und der dir den Nutzen nicht vorenthält, wenn du ihm den Unterhalt verweigerst.
Charles Pellat, Arabische Geisteswelt. Ausgew. und übers. Texte von Al-Ǧāḥiẓ , aus dem Frz. übertr. von Walter W. Müller, Zürich: Artemis 1967, S. 211–214.
(Freundlicher Hinweis von Hinrich B. in B.)
Hie stellt das Lemma zu Emblem LXXIV: Ohne Gunst und Furcht die Bücher über die Ratgeber der Fürsten:
Wenn Eigen-Nutz und Gunst der Räthe Zungen bindt/
Wenn offt des Fürschten Zorn was hindert vorzutragen/
So können solches ihm gelehrte Bücher sagen/
Die ohne Gunst und Zorn die stummen Lehrer sind.
Joannes de Boria, Moralische Sinn-Bilder. Von Jhme vor diesem in Spanisch geschrieben/ nachmahls in Lateinisch/ nunmehro aber wegen seiner Vortrefflichkeit in die Hoch-Teutsche Sprache übersetzet/ von Georg Friedrich Scharffen, Berlin: Rüdiger 1698. http://diglib.hab.de/drucke/xb-2/start.htm
Ein anonymer Künstler gestaltet das Ex Libris für Christian Franz von Eberstein ca. 1750 so:
> https://www.exlibris-selc.ch/%C3%BCber-exlibris/geschichte/18-jahrhundert/
Die Inschrift beruht auf Ciceros Rede für den Dichter Archias ¶ 16:
Haec studia adulescentiam alunt, senectutem oblectant, secundas res ornant, adversis perfugium ac solacium praebent, ....
Diese Studien bringen die Jugend voran, das Alter unterhalten sie, im Glück sind sie eine Zierde, im Unglück gewähren sie Zuflucht und Trost, ....
> Rainer Lohmann auf https://www.romanum.de/latein/uebersetzungen/cicero/pro_archia/intro.html
Walter Benjamin
Für den wahren Sammler ist die Erwerbung eines alten Buches dessen Wiedergeburt.
Walter Benjamin, Ich packe meine Bibliothek aus. Eine Rede über das Sammeln (17./24. Juni 1931) > als PDF hier [externe Website]
Jorge Luis Borges (1899–1986)
De todos los instrumentos del hombre, el mas asombroso es, sin duda, el libro.
Los demás son extensiones de su cuerpo.
El microscopio, el telescopio, son extensiones de la vista;
el telefono es extension de la voz;
luego tenemos el arado y la espada, extensiones del brazo.
Pero el libro es otra cosa: el libro es una extension de la memoria y la imaginación.
Das erstaunlichste aller Instrumente des Menschen ist zweifellos das Buch. Die anderen sind Erweiterungen seines Körpers. Das Mikroskop, das Teleskop, sind Erweiterungen des Sehvermögens; das Telefon ist eine Erweiterung der Stimme; dann haben wir den Pflug und den Spaten, Armverlängerungen. Aber das Buch ist etwas anderes: Das Buch ist eine Erweiterung des Gedächtnisses und der Vorstellungskraft.
EST GLORIA LIBRIS
Auff den Newen Jahrstag 1663. der Jugend zu Winterthur ab der Bürger Bibliothec daselbst erstenmahls verehrt
Ein Engel reicht einem ABC-Schützen einen Lorbeerkranz
Radierung von Johann Jakob Sul[t]zer (1631–1665)
Wann du die Tafel früh, du Junges bluth ergreiffest/
wann du die Zarten tag dem lehrnen gibest gantz/
wann an den Büchren du dein Hirn und Sinne schleiffesst /
gewiss dir wartet auff der Ehren schöner Kranttz.
Ein Baum des Wissens / Lebens entsprießt dem Buch, der Lektüre:
Burkhard Mangold (1873–1950), Exlibris für seine Gattin Katharina Mangold-Krauss (vor 1913)
>
https://www.zb.uzh.ch/de/news/perlen-2023
Literaturhinweis: Holbrook Jackson (1874–1948), The Anatomy of Bibliomania, London 1930/31.
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Über Bücher conversieren vermehrt sie
[Georg Philipp Harsdörffer] FRAVENZIMMER GESPRECHSPIELE/ so bey Ehr= und Tugendliebenden Gesellschaften/ mit nutzlicher Ergetzlichkeit/ beliebet und geübet werden mögen/ Erster Theil. Aus Italiänischen/ Frantzösischen und Spanischen Scribenten angewiesen/ und jetzund ausführlicher auf sechs Personen gerichtet/ und mit einer neuen Zugabe gemehret/ Durch Einen Mitgenossen der Hochlöblichen FRVCHTBRINGENDEN GESELLSCHAFT. Nürnberg: Endter 1644.
[Reymund:] Weil alle Wissenschaft ungezweiffelt im Lesen/ Gespräche und Abwartungen der Gedanken bestehet/ hab ich durch das oberste Buch das Lesen/ durch das andere das Gespräch/ dardurch das erlernete gleichsam aufgelegt und eingesencket wird/ durch das dritte und uneröfnete aber die Vnterhaltung der Gedanken zu verstehen geben wollen.
Weil wir im Lesen unterhalten die Toden/ im Gespräche die Lebendigen/ mit den Gedanken uns selbsten/ solches aber alles in unablässiger Vbung bestehet/ als vermeine ich beyzuschreiben:
Vermehrt oder vermindert. Qui non addit, amittit. Drus. in den Ebreischen Bundreden
[Das Motto genauer: Wer nicht dazugibt, gibt es auf. — Drus. = Johannes Drusius, Apophthegmata Ebraeorvm Ac Arabvm. Ex Avoth R. Nathan, Arestea, Libro selectarum Margaritarum, & aliis auctoribus collecta, Latineque reddita, cum brevibus Scholiis, […] excudebat Aegidius Radaeus 1591 (2.vermehrte Auflage 1612)]
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Die truckerey erfunden.
Wann vnsere vorfaren vor tausent vnt anderhalb tausendt jaren diese kunst hetten gehabt/ was het sie trefflich gelerte vnnd kunstreiche menner geben/ was gewaltiger historien vnd geschichten weren in der gedechtnuß der menschen bliben/ die nun disen weg gar in vergeß kommen seind. Dann ob schon die alten auch geschriben haben/ so seind doch jre büecher nit also multipliciert wurden/ wie jetz ein buoch im truck tausent oder zwey tausentfach gemert wir[t]/ vnd deß halben so eins/ zwey/ drey/ zehen oder zwenntzig verbrennen oder sunst abghon/ seind noch so vil andere übrig/ das solich buoch nit gar mag verloren werden.
Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum in wölcher begriffen. Aller völcker Herrschafften, Stetten vnnd namhafftiger flecken / härkom)en…. Allenthalben fast seer gemeret und gebessert / auch mit einem zuogelegten Register vil breüchlicher gemacht. Basel, Heinrich Petri, 1546. (Im Kapitel über die Stadt Mentz = Mainz, pag. ccccxiij)
Eine Buchdruckerei:
Joh. Ludov. Gottfridi Historische Chronica oder Beschreibung der fürnehmsten Geschichten, so sich von Anfang der Welt biss auff das Jahr Christi 1619 zugetragen […] mit viel schönen Contrafäcturen und geschichtmässigen Kupffer-Stücken zur Lust und Anweisung der Historien geziehret; durch Matthaeum Merianum, MDCCX; S.663 (zum Jahr 1440).
>
https://doi.org/10.3931/e-rara-47291
Der Text dazu weist auf die Technik der beweglichen Lettern hin: Es ist aber ein grosser Unterscheid zwischen der Chineser und unserer Druckerey. Der Chineser Schrifften sind auf höltzerne Tafeln/ doch erhoben/ geschnitten/ wie auch die Figuren darbey/ nicht anderst/ als bey uns die Formen in Holtz geschnitten/ welche die Formschneider machen. Aber sie können dieselben Formen anderst und weiter nicht gebrauchen/ noch die Buchstaben vertheilen/ einen andern Sensum, oder Innhalt damit an Tag zu geben/ wie wir thun.
Ein Schriftsetzer kann etwa tausend Buchstaben in einer Stunde setzen. Nach dem Korrektur-Lesen und wenn einer oder einige Bogen der ganzen Auflage ausgedruckt worden sind (vgl. im Bild vorne rechts), wird der Satz aufgelöst, die Typen gereinigt und wieder – exakt, so dass keine Fehler beim Setzen passieren! – in den Setzkasten abgelegt (im Bild hinten bei den Fenstern), und dann werden die Typen wieder verwendet.
Im Zuge der pietistischen Bemühungen des 18. Jahrhunderts überlegte Carl Hildebrand Freiherr von Canstein (1667–1719) – er war befreundet mit Philipp Jacob Spener und August Hermann Francke – , wie größere Auflagen der Bibel kostengünstiger herzustellen waren. Er wollte dadurch erreichen, dass auch ärmere Bevölkerungsschichten Bibeln kaufen konnten. Hierzu erwarb er für die 1710 in Halle a.d. Saale gegründete Cansteinsche Bibelanstalt die Bleilettern für einen sogenannten ›stehenden Satz‹. Alle ca. 1’300 Druckseiten der Bibel wurden mit ca. 5 Millionen Lettern auf einmal – d.h. ohne Auflösen des Letternsatzes nach einigen Bogen – gesetzt, und dieser komplette Satz konnte für weitere Auflagen dauerhaft stehengelassen werden. So konnten Bibeln schnell, in hohen Auflagen und kostengünstig gedruckt werden. Lediglich die erstmaligen Anschaffungskosten für das Blei waren sehr hoch: Zu diesem Zweck spendete C. H. v. Canstein den größten Teil seines privaten Vermögens und rief zu Spenden auf.
>
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Hildebrand_von_Canstein
>
https://de.wikipedia.org/wiki/Stehsatz
Um 1725 wurde das verfahren des Stereotypdrucks entwickelt: Der Satz wird in in Gips oder (ab ca. 1830) eine Gemisch aus Kleister, Gips und Pappe abgegegossen; diese Matrizen kann man lagern, und wenn man dasselbe nochmals (genau so!) drucken will, davon eine neue Metallplatte giessen.
Literaturhinweise:
[Christian Friedrich Gessner]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey mit ihren Schriften, Formaten und allen dazu gehörigen Jnstrumenten abgebildet auch klärlich beschrieben, und nebst einer kurzgefaßten Erzählung vom Ursprung und Fortgang der Buchdruckerkunst, überhaupt, insonderheit von den vornehmsten Buchdruckern in Leipzig und andern Orten Teutschlandes im 300 Jahre nach Erfindung derselben ans Licht gestellet, 4 Bände, Leipzig 1740/41/45.
> http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/gessner_buchdruckerkunst01_1740
Joachim Vadian hat 1511 in einem Gedicht den Buchdruck gelobt:
Ein Hinkjambus [skazon] von Joachim Vadian auf das wohlverdiente Lob der Buchdruckerkunst
Die vom fruchtbaren Nilstrome mit seiner Gunst beschenkten Ägypter wiederholen immer wieder ihre Lobpreisungen für ihren Gott Hermes, da er als der allererste Erfinder der Buchstaben der Nachwelt das Licht der Wissenschaft geschenkt hat.
Der Grieche preist in seiner Aufmerksamkeit Cadmus, den Sohn des Agenor, als Schöpfer einer bereits weiter entwickelten Schrift. Die Buchstabenbilder, die er seinen Landsleuten von seinem Bruder Phoinix mitgebracht hatte, führte attischer Feingeist auf ein noch höheres Niveau und fügte sie zu Literatur, würdig, der Nachwelt überliefert zu werden.
Die Lateiner schreiben Carmentis, der Mutter und Nährerin des alten Euander, den Ruhm zu, jene Buchstabenformen, die in kultivierten Schriften Verwendung finden, nach Latium gebracht zu haben, als sie auf der Suche nach einem neuen Wohnsitz ihre Heimat verließ.
Der Deutsche jedoch, der Buchstaben aus Metall goß und den Beweis antrat, daß durch einen einzigen Druckvorgang in der Presse durchaus die Tageshöchstleistung flinker Schreiberhände wettgemacht wird, überstrahlt sämtliche Erfindungen der Alten; gepriesen und unendlich glücklich sei er!
Um wieviel höher doch sind die Leistungen des Geistes vor denen des Körpers zu bewerten! Selbst wenn der Mensch heute noch [mit der Hand] schreibt, so ist er doch im allgemeinen bereits ein Drucker. Denn dafür, was man liest und womit man seinen gottgegebenen Verstand regelmäßig speist, bürgt nunmehr die Qualität der Metallegierung.
Wenn Hermes am Leben wäre, so würde er dem Rhein danken, ebenso Cadmus, käme er direkt aus dem Reich der Schatten, und auch Carmentis, käme sie aus der Unterwelt zurück, wenn sie alle sähen, wie Griechisch, Hebräisch und alles, was früher von Hand geschrieben wurde, mit bloßem Metall in ebenso ausgezeichneter Qualität wie jetzt das Lateinische gedruckt wird.
Edition und dt.Übersetzung von Stephan Füssel in: Pirckheimer Jahrbuch 1996, S.7–14.
> http://www.pirckheimer-gesellschaft.de/jahrb/Pirckheimer%20Jahrbuch%201996.pdf
Stephan Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, Ff/M und Lpz: Insel 1999.
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Buchdruck als Verdienst
Darauf stützt sich die Welt (His nititur orbis)
Buchdruckermarke auf: Franciscus Neumayr S.J. [1697–1765], Theatrum politicum sive tragoediae ad commendationem virtutis et vitiorum detestationem Augsburg und Ingolstadt: Franciscus Xaver Cräz & Thomas Sommer 1760.
Das Drucken von Büchern führt durch Arbeit und Gunst [der Götter] in die Höhe: altius labore et favore.
Buchdruckerzeichen von Johann Thomas Trattner (1717–1798), österreichischer Hof-Buchdrucker*, Buchhändler und Verleger in Wien in: Iconologie tirée de divers auteurs. Ouvrage utile aux gens de lettres, aux poëtes, aux artistes, & généralement à tous les amateurs des beaux-arts. Par J.B. [Jean-Baptiste] Boudard, Vienne: Jean-Thomas de Trattner 1766.
Bei der Dame in dem mit Buchstaben bestickten Kleid könnte es sich um die Erfinderin der (lateinischen) Schrift Nicostrata handeln. (Es gibt auch Varianten des Holzschnitts in andern Büchern.)
*) Daher die vier Kronen auf den Säulen: österreichischer Erzherzogshut, römisch-deutsche Kaiserkrone, ungarische Königskrone und böhmische Königskrone.
Das gedruckte Buch gibt den verstorbenen Autoren das Leben zurück: Vitam mortuis reddo.
Buchdruckerzeichen auf: J. Jacobi Zimmermanni, S. theologiæ in gymnasio Tigurino professoris, ... Opuscula theologici, historici et philosophici argumenti, Tomi prioris secundi pars I, Tiguri: Typis Gesnerianis 1751. (Ähnlich schon auf einem Kupfer von B. Picart 1721)
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Des Bücherschreibens ist kein Ende (Prediger 12,12)
Aber:
Augustinus »de trinitate« I, iii, 5:
Ideoque utile est, plures a pluribus fieri diverso stilo, non diversa fide, etiam de quaestionibus eisdem, ut ad plurimos res ipsa perveniat; ad alios sic, ad alios autem sic.
Deshalb ist es von Nutzen, wenn über die gleichen Fragen mehrere Bücher von mehreren in verschiedener Darstellungsweise verfaßt werden, nicht in verschiedenem Glauben, damit die dargestellte Sache zu recht vielen gelange, zu den einen auf diese, zu den anderen auf jene Weise.
> https://la.wikisource.org/wiki/De_Trinitate_(ed._Migne)
> https://bkv.unifr.ch/de/works/.....de-trinitate/5/funfzehn-bucher-uber-die-dreieinigkeit
Die Stelle zitiert Beda Venerabilis : Quin etiam (ut idem Augustinus ait) ideo necesse est plures a pluribus fieri libros diverso stylo, sed non diversa fide, etiam de quaestionibus eisdem, ut ad plurimos res ipsa perveniat, ad alios (0303B)sic, ad alios autem sic.
In Evangelium S. Lucae Migne; Patrologia Latina, Tomus 92
>
https://la.wikisource.org/wiki/In_Evangelium_S._Lucae_(Beda)
1590 schreibt Johann Fischart (1546/47–1591) – angeregt durch das entsprechende Kapitel bei Rabelais (»Pantagruel«, Kap. 7) – den »Catalogus catalogorum perpetuo durabilis«. Dies ist eine ungeordnete Reihung von 527 Titeln kunterbunten Inhalts, welche teilweise aus realen Bestandteilen, teilweise aus fingierten bestehen, teilweise verfremdet und verballhornt sind und auf in der gelehrten Welt Bekanntes anspielen.
Catalogus catalogorum perpetuo durabilis.
Das ist.
Ein Ewigwerende/ Gordianischer/ Pergamenischer vnd Tirraninonischer Bibliothecken gleichwichtige vnd richtige verzeichnuß vnd registratur/
Aller Fürnemer außbündiger/ fürtrefflicher/ nützlicher/ ergetzlicher schöner nicht jederman gemeiner/ getruckter vnd vngetruckter Bücher vnd Schrifften/ Operum/ Tomorum/ Tractatuum, Voluminum, Partium viler mancher Herrrlicher Auctorn vnd Scribenten.
Allen Lustgirigen rhum vnd klugheit nachstellenden Gesellen/ zu Dollen Polemischer Tractätlin vngetreümiter/ vnerrahtener Namentäuffung/ vnd Tittulzierung/ dienstlich/ nutzlich/ hilflich vnd entwürfflich.
Vormals nie aufkommen/ sondern vor den Sinnarmen vnd Buchschreibreichen/ an starcken Ketten bißher verwart gelegen/ Newlich aber durch Artwisum von Fischmentzweiler/ erditricht/ abgelöst/ vnd an Tag gebracht.
Gottlob durch vnser fleiß vnd groß müh/
Ists Catalogi erst theil allhie/
Drumb laßt euch nit so fast verlangen/
Der ander kompt hernach mit brangen.
Getruckt zu Nienendorff/ bei Nirgendsheim/ im Mentzergrund.
M.D.XC
> https://books.google.ch/books?id.......source=gbs_navlinks_s
Einige Beispiele:
[23] Ars honeste crepitandi in societate, per M. Ortvinum & de caltaunibus purgandis Tractatus, M. Hen. Cribelinioniacotij.
[47] Fliegenwädelige Artzney der Muckenbiß/ sampt dem Stachel der Käßräßigkeit. durch Martin Weinwunderle.
[57] Roßbuch Adriani IIII. von rechtmäsiger Keyserlicher haltung der Steigreiff vnd zaumleittung deß heiligen Pegasi; sampt bericht wie man den Stuel zum Pferd besteigen tragen sol.
[63] Das Fleckbuch/ von der Kunst alle flecken hinden und fornen/ sichtbare vnnd unsichtbare zu verteiben; durch Mangold Loch im Peltz.
[84] Anatomy der Flöh/ und von der Milwen zän außbrechung: Mit einem kunstücklei / wie die Flöh in Wachs seind abzutrucken: Durch Fridle vom Laußhügel.
[216] Commentaria commentariorum, cum Additionibus additionum, & Anno-tationibus super Annotata […].
Fischart erkennt das Problem der Überproduktion von Büchern seines Säkulums, was er dadurch karikiert, daß er einen Messkatalog nachahmt und insinuiert, man könne ja am Titel den Inhalt und Intent ablesen. Sodann ist der »Catalogus« eine Satire auf gelehrte Verzeichnisse wie sie Conrad Gessner mit seiner »Bibliotheca Universalis« anfertigte, an die Fischart ausdrücklich anknüpft.
Vgl. das Vorwort von Michael Schilling zum Neudruck von Fischarts Catalogus catalogorum. Tübingen 1993.
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Besitzer: Ex Libris
Petra Barton
schreibt dazu: Das Bucheignerzeichen vereint als Auftragsarbeit oft auf medial ambitionierte Weise Schrift und Bild in sich. Auf den kleinformatigen Druckgrafiken werden in Kombination mit der Bezeichnung »ex libris« (aus den Büchern [von N.N.]) der Name sowie ein Sinnbild des jeweiligen Eigners und nicht selten ein Motto wiedergegeben. Das Buch gehört zu den beliebtesten Exlibris-Motiven und wird semantisch auf vielfältige Weise instrumentalisiert. Durch die bildliche Wiederaufnahme der Buchthematik im Exlibris werden nicht zuletzt das intellektuelle Ich, der Besitzanspruch auf das Buch und der Besitzerstolz zum Ausdruck gebracht.
Erz und Marmor wird vergehen,
Was Papier ist, muss bestehen.
Der Besitzer war Richard Zoozmann (1863–1934); das ExLibris (datiert 1900) ist eingeklebt in Der Teutschen Scharpfsinnige Kluge Sprüch/ Apophthegmata genannt / Durch Julium Wilhelm Zincgrefen, Straßburg: Rihel 1639; ein Buch das dem Zitaten- und Sentenzensammler R.Z. sicherlich kostbar war.
Hinweise:
Schweizerischer Ex Libris Club > https://www.exlibris-selc.ch
Agnes Wegmann, Schweizer Exlibris bis zum Jahre 1900, 2 Bände, Zürich: Verlag der Schweizer Bibliophilen Gesellschaft 1933/1937.
Bücherdiebe
Zur Abschreckung von Bücherdieben wurden bereits im Mittelalter Schreiber-Verse verwendet. Ein hübsches Beispiel mit Wortspiel aus dem 14.Jh.:
Sorte Supernorum Scriptor Libri Potiatur
Morte Infernorum Raptor Libri Moriatur
Möge der Schreiber dieses Buchs den Stand der Himmlischen erlangen;
Der Dieb des Buchs soll einen höllischen Tod sterben.
Hinweis bei Johannes Duft, Mittelalterliche Schreiber, St.Gallen 1964, S. 19–21.
vgl. http://berneval.blogspot.com/2010/06/ascribing-we-will-go.html
Und noch ein makkaronischer Fluch:
Hic liber est mein
Ideo nomen scripsi drein
Si vis hunc liberum stehlen
Pendebis an der kehlen
Tunc veniunt die raben
Et volunt tibi oculos ausgraben
Tunc clamabis ach! ach! ach!
Ubique tibi recte geschach.
Wolfgang Schmitz, Der Bücherfluch. Form und Funktion im Wandel der Geschichte, Wien 2021 [Jahresgabe der Wiener Bibliophilen-Gesellschaft 2021], S. 9.
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An seine Bücher
August Adolf von Haugwitz (1645 [oder 47] – 1706)
Diß ist der traute Sitz den ich mir auserwehlt/
Was acht ich Sorgen-Last/ was acht ich Unglücks-Wetter/
Hier diese stumme Zunft ist meiner Seelen Retter/
Hier such und find ich das/ was andern Leuten fehlt/
Hier stirbt und schwindet das/ was meinen Geist sonst qvält/
Hier hab ich trotz der Welt und ihrer blinden Spötter
Nechst GOtt/ dem größten/ selbst der Sinnen wahre Götter
Den’n sich mein Hertz und Geist auff ewig anvermählt.
Hier hab ich meinen Sitz/ hier hab ich meine Reise/
Hier hab ich meinen Tranck/ hier hab ich meine Speise/
Hier hab ich meinen Schatz und theuren Edelstein/
Hier hab ich meinen Ruhm/ mein Reichtum und mein Prangen/
Hier hab ich/ was ich will und was ich kann verlangen.
Ach! daß doch nicht auch hier mein letztes Grab soll seyn.
Prodromus Poeticus/ Oder: Poetischer Vortrab/ bestehende aus unterschiedenen Trauer- und Lust-Spielen/ Sonnetten/ Oden/ Elegien/ Bey- oder Uberschrifften und andern deutschen poetischen Gedichten : gezogen aus einen künfftighin ... ans Licht zu gebenden vollständigen Poetischen Wercke/ ... / von einem Liebhaber der deutschen Poesie A. A. von H./ Dresden: Bergen 1684. – Darin: Weltliche Sonette XII.: An seine Bücher
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Das Buch der Schöpfung
Die ganze Schöpfung wird sinnbildlich als ein Buch verstanden, in dem die Menschen lesend den Schöpfer kennenlernen.
••• Hugo von St.Viktor († 1141):
Universus enim mundus iste sensibilis quasi quidam liber est scriptus digito Dei, hoc est virtute divina creatus, et singulae creaturae quasi figurae quaedam sunt non humano placito inventae, sed divino arbitrio institutae ad manifestandam invisibilium Dei sapientiam. Quemadmodum autem si illiteratus quis apertum librum videat, figuras aspicit, litteras non cognoscit: ita stultus et “animalis homo”, qui “non percipit ea quae Dei sunt” (1 Cor 2,14), in visibilibus istis creaturis foris videt speciem, sed intus non intelligit rationem. Qui autem spiritualis est et omnia dijudicare potest, in eo quidem quod foris considerat pulchritudinem operis, intus concipit quam miranda sit sapientia Creatoris.
Die ganze sinnlich wahrnehmbare Welt ist wie ein Buch, geschrieben vom Finger Gottes, das heisst geschaffen von der göttlichen Kraft; und die einzelnen Geschöpfe sind wie Zeichen, die nicht nach menschlichem Beschluss, sondern durch den göttlichen Willen gesetzt worden sind, um die Weisheit des unsichtbaren Wesens Gottes zu offenbaren. So wie aber ein Ungelehrter, wenn er ein aufgeschlagenes Buch sieht, Figuren erblickt und die Buchstaben nicht erkennt, so sieht der törichte und ungeistige Mensch, der nicht durchschaut, was Gottes ist, an jenen sichtbaren Geschöpfen nur aussen die Erscheinung, doch erkennt innen nicht die Vernunft. Wer aber von Gottes Geist begabt ist und alles zu unterscheiden vermag, der begreift, wenn er aussen die Schönheit des Werks betrachtet, im Innern, wie sehr die Weisheit des Schöpfers zu bewundern ist.
Hugo von St.Viktor, Didascalicon, VII, 4 = PL 176, 814BC.
••• Raimundus de Sabunde († 1436):
Duo sunt libri, nobis dati a Deo, scilicet liber universitatis creaturarum sive liber naturae; et alius est liber Scripturae sacrae. […]
Uns sind von Gott zwei Bücher gegeben, nämlich das Buch der gesamten Schöpfung oder Buch der Natur und das Buch der Heiligen Schrift.
Das erste Buch wurde dem Menschen von allem Anfang an gegeben, als die Gesamtheit der Kreaturen geschaffen wurde. Denn jede Kreatur ist nichts anderes als ein vom Finger Gottes geschriebener Buchstabe, und aus mehreren Kreaturen ist wie aus mehreren Buchstaben das eine Buch zusammengesetzt, welches Buch der Kreaturen heisst. In diesem Buch ist auch der Mensch enthalten, und er ist vornehmlich ein Buchstabe dieses Buches.
Und wie die Buchstaben und aus Buchstaben verfertigte Reden die Wissenschaft und allerlei bewundernswerte Bedeutungen und Aussagen hervorbringen und abgrenzen, genau gleich bedeuten jene Kreaturen, in Verbindung und im Vergleich miteinander sowohl gewisse Ausdrücke und Gedanken, als auch enthalten sie das dem Menschen notwendige Wissen.
Das zweite Buch aber, das der Schrift, wurde dem Menschen an zweiter Stelle gegeben; und zwar wegen einer Mangelhaftigkeit des ersten Buches, weil der Mensch im ersten Buch nicht mehr zu lesen verstand, und weil er blind war. Dennoch gehört das erste Buch, das der Kreaturen, allen gemeinsam, während das Buch der Schrift sich nicht für alle eignet, denn nur die Kleriker können darin lesen.
Raimundus de Sabunde, aus dem Prolog zur »Theologia naturalis«
Der Index von 1559 verbot das Werk, der Index von 1564 beschränkte das Verbot auf den Prolog. – Montaigne hat die Schrift 1569 ins Französische übersetzt (vgl. Essais II, 12).
••• Galileo Galilei: »Il Saggiatore« (1623)
La filosofia è scritta in questo grandissimo libro che continuamente ci sta aperto innanzi a gli occhi (io dico l'universo), ma non si può intendere se prima non s'impara a intender la lingua, e conoscer i caratteri, ne' quali è scritto. Egli è scritto in lingua matematica, e i caratteri son triangoli, cerchi, ed altre figure geometriche, senza i quali mezi è impossibile a intenderne umanamente parola; senza questi è un aggirarsi vanamente per un oscuro laberinto.
Die Philosophie steht in diesem großen Buch geschrieben, dem Universum, das unserem Blick ständig offen liegt (ich meine das Universum). Aber das Buch ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Sprache erlernt und sich mit den Buchstaben vertraut gemacht hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und deren Buchstaben sind Kreise, Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.
http://it.wikisource.org/wiki/Il_Saggiatore/6#La_filosofia
••• Johannes Scheffler (1624–1677):
Die Schöpfung ist ein Buch: wer’s weislich lesen kann,
Dem wird darin gar fein der Schöpfer kundgetan.
Angelus Silesius, »Cherubinischer Wandersmann« [1675], V, 86
••• Johann Arndt (1555–1621):
Aus: »Vier Bücher vom Wahren Christentumb« (1605/09, 1612 zu 6 Büchern erweitert; die Embleme zuerst in der Ausgabe Riga 1678/79); 48. Emblem (am Beginn des vierten Buchs: Liber Naturae. Wie das grosse Welt-Buch der Natur, nach Christlicher Außlegung, von Gott zeuget vnd zu Gott führet.)
Hier aus einer späten Ausgabe: Erbauliche Sinnbilder. 56 Bilder mit Reimdeutungen und Bibelsprüchen entnommen den alten Ausgaben von Johann Arndt’s wahrem Christenthum. Neu gezeichnet von J. Schnorr, Stuttgart: Steinkopf 1855.
Im Setzen lieset man
Hier ist zu sehen eine Buchdruckerey, da etliche Kästen mit Buchstaben stehen, welche in ihren Fächlein eingetheilet sind. Da können nun die Buchstaben, solange sie ein jeder an seinem Ort in dem Kasten liegen, nicht gelesen werden, bis man sie zusammensetzt und aus ihnen ganze Wörter und eine Schrift macht. Alsdann kan man sie fein lesen.
Damit wird abgebildet, wie GOtt seine Wercke in der ganzen Welt ausgebreitet und jegliches zu seiner Zeit und an seinem Ort verrichtet, aber am besten kan man sie erkennen, wenn man sie fein zusammensetzet und andächtig betrachtet. Denn da wird man darinnen lesen und erkennen den großmächtigsten Schöpfer, und sehr grosse Lust an seinen Werken haben.
Psalm 111, 2: Groß sind die Werke des HErrn; wer ihr achtet, der hat eitel Lust daran.
Die Werke der Natur, so weit und breit,
Vertheilet und zerstreuet,
Die nimm und setze sie zusammen,
So wirst du wie mit lebendigen Flammen
Den Schöpfer sichtbarlich drin abgemalet sehn
Vor deinen Augen stehn.
Dieß große Welt Gebäu mit aller seiner Zier
Stellt uns des Meisters Größ und Schönheit für […]
••• Barthold Hinrich Brockes (1680–1747). Statt sein sattsam bekanntes Gedicht »Das Blühmlein: Vergiß mein nicht« zu zitieren (vgl. http://diglib.hab.de/drucke/lo-676/start.htm?image=00124), hier zwei eher theoretische Passagen. Brockes schreibt, er habe über die Idee vom Natur-Buch nachgedacht, und da habe es ihn gedünkt, die Natur habe folgendes gesprochen:
Ihr verstehet eure Wörter und ihr könnet Schriften lesen;
Meynt ihr denn daß ihr allein Wörter habt und Schriften kennet,
Da ihr doch derselben Zeichen bloß allein durch mich benennet?
Es sind meine Red- und Schriften immer in der Welt gewesen.
Nehmt mein ABC zur Hand, das sind Körper und Figuren
Von so mancherley verhandnen ungezählten Creaturen.
Berge, Bäume, Thier und Kräuter, samt dem Meer und denen Sternen,
Sind so laut als stumme Lettern. Aber ihr müßt lesen lernen.
[…]
Herrn B. H. Brockes Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten; Sechster Theil, Hamburg: Ch. Herold 1740; S. 257.
> https://www.e-rara.ch/zuz/content/zoom/16632784
Nachdem ich öfters überdacht,
Woher es komme, daß die Pracht
Der Wunder-schön geschmückten Welt
So wenig Eindruck bei uns macht;
Daß sie so wenigen gefällt;
Daß sie fast niemand recht vergnüget;
So deucht mich, daß es hieran liegt:
Es scheint, wir sehen alles an,
Als einer, der nicht lesen kann,
Ein Buch, das schön gedruckt, beschauet.
Denn laß die Züge noch so rein,
Die Lettern noch so zierlich sein;
Er wird daraus doch nicht erbauet.
Er sieht es, und, wann er es gesehen,
Spricht er, wenn’s hoch kommt: es ist schön,
Und legt es sanfte bei sich nieder.
So leider! ist der Menschen Brauch
Mit dem so schönen Welt-Buch auch. […]
Zweyter Teil, Hamburg: Kißner 1727, S. 124.
> http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/brockes_vergnuegen02_1727?p=160
Das Titelkupfer zu Band IV des Werks (2. Auflage, 1735; signiert: W[illem] van Mieris del. / Christian Fritzsch sculps.) versucht, das ›Buch der Welt‹ zu visualisieren – als Weltkugel plus Buch. Mit der barbusigen Dame könnte allenfalls die Natur personifiziert sein, die Licht in die Lektüre bringt. – Vergleichbar ist die Figur links auf dem Titelblatt von Johannes Sperling, Zoologia (1661) (die allerdings eine Lupe hält, aber ebenfalls auffordert, zu betrachten).
Wenn wir hier mit Lust und Ehrfurcht im Geschöpf den Schöpfer sehn,
Wird aus irdischem Vergnügen bald ein Himmlisches entstehn.
https://digitale-bibliothek-mv.de/viewer/image/PPN617064563/1/
oder
http://diglib.hab.de/drucke/lo-677-2-2/start.htm?image=00002
••• Johann Jacob Scheuchzer (1672–1733)
Es hat sich der grosse Gott nicht unbezeuget gelassen / sondern aller Ohrten / in allen Ecken der Natur sich geoffenbaret. Es ist aber diese Naturschrift nit alsobald zu lesen, sondern mit fleissiger Nachdenkung zu erstudieren. Gott hat nicht wollen, daß wir alsobald / als wir an dise Welt geboren werden / ganze Texte nach einander daher lesen / und selbige verkünden / sondern vorerst kennen lehrnen die Buchstaben / hernach lesen die Sylben / und Wörter. So vil natürliche Cörper / ja so vil Eigenschaften / Gestalten / Bewegungen derselben seyn / so vil sein Buchstaben / ja Wörter / ja ganz kräftige Beweißthümer der Göttlichen Güte / Weißheit und Allmacht.
• Berg-Reisen III, 2.Nov.1707, S. 173
• Johann Jacob Scheuchzers, Natur-Geschichte des Schweitzerlandes: Samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge / aufs neue herausgegeben, und mit einigen Anmerkungen versehen von Joh. Georg Sulzern Zürich: bey David Geßner 1746; Bd. I, S. 40f. > https://doi.org/10.3931/e-rara-27207
Am Ende der »Physica Sacra« zeigt Scheuchzer den Kupferstich (Tab. DCCL; 1735 erschienen) einer 40 x 17 Zoll grossen Schieferplatte,
so aus dem Blattenberg aus Glarus herkommt, … dergleichen man weit und breit in die Welt zu verführen und tragen pfleget. Der harte Stein ist unbehandelt. Scheuchzer ist sicher, dass es ein Denckmaal der alten Sündfluth seye.
Darauf glaubt er Buchstaben-förmige Characteren, hieroglyphica zu erkennen, die er aber nicht lesen kann, und die dem Lehr-begierigen Leser zum Räthsel dienen mögen.
Auf das Bild setzt er folgenden ›Denkzettel‹ für künftige Forscher:
Monumentum Diluvianum ex proprio Museo Problematis Physici loco Eruditis sistit Acarnan*. Soli Deo Gloria. (übersetzt: Dies Zeugnis der Sintflut aus seiner eigenen Sammlung stellt Acarnan für die Gelehrten als naturwissenschaftliches Problem dar. Gott allein die Ehre. — *Acarnan war Scheuchzers Gesellschaftsname in der Leopoldina.)
Die Paläontologen haben das Rätsel inzwischen gelöst: Es handelt sich um ›Rollmarken‹, das heisst versteinerte Abdrücke von in seichtem, leicht strömendem Wasser auf festem Schlamm rollenden Fischwirbeln:
Bernhard Peyer [1885–1963], Über bisher als Fährten gedeutete problematische Bildungen aus den oligozänen Fischschiefern des Sernftales, in: Schweizerische paläontologische Abhandlungen, 73,4 (1957).
Nazario Pavoni, Rollmarken von Fischwirbeln aus den oligozänen Flyschschiefern von Engi-Matt (Kt. Glarus). Eclogae geologicae Helveticae Vol. 52, Nr. 2 (1959), 941–949.
••• Johann Jacob Ebert (1737–1805), Naturlehre für die Jugend, Titelblatt zum ersten Band in der 3. Auflage 1793:
> http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN870137298
> https://archive.org/details/naturlehrefrdiej11eber/mode/2up
••• Johann Peter Hebel (1760–1826), »Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes« (1811):
Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude
[…] Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem Buch lesen kann, in diesem Psalter, und liest darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Straße ist, und wenn ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu tun, er kann nimmer. http://www.zeno.org/nid/20005019443
••• Oswald Heer (1809–1883) in: Die Urwelt der Schweiz (1865):
Es erzählt Dr. Scherz, daß die Novarra-Reisenden [*] auf St. Paul, in einer Hütte dieses abgelegenen Eilandes, eine Bibliothek getroffen haben; allein kein Mensch der Insel konnte die Bücher lesen und hatte eine Ahnung davon, welch' reichen Schatz zur Belehrung und Unterhaltung jene vereinsamte Hütte barg. Wir haben an unserer Naturwelt ein noch unendlich viel größeres und herrlicheres Bildungsmittel; es bleibt aber, wie die Bibliothek jenen Insulanern, Allen verschlossen, denen das Verständniß derselben fehlt. Sie werden wohl von dem wunderbaren Zauber, der unsere Alpenwelt umgibt, ergriffen, allein sie begnügen sich mit diesen flüchtigen Eindrücken; sie betrachten nur den schönen Einband und Goldschnitt des Buches, sein Inhalt aber bleibt ihnen unbekannt und sie haben keine Ahnung von den großen und tiefen Geheimnissen, die es enthält, und von dem Genuß, der unserem Geiste zu Theil wird, wenn diese sich uns auflösen und damit die wunderbare Geschichte unseres Landes und unserer Natur sich uns aufschließt.
In den folgenden Blättern habe ich versucht, dieses Buch aufzuschlagen und seine Schrift zu deuten. Dabei will ich nicht verschweigen, daß die Erlernung der Sprache einige Anstrengung erfordert, und wer dieß Buch zur Hand nimmt in der Meinung, darin eine leichte Unterhaltung zu finden, wird sich getäuscht sehen.
* Karl von Scherzer, Reise der Oesterreichischen Fregatte Novara um die Erde, in den Jahren 1857–1859
Oswald Heer, Die Urwelt der Schweiz, Zürich: F.Schulthess, 1865. Vorwort S. XXIII:
> https://hdl.handle.net/2027/hvd.32044107346868?urlappend=%3Bseq=31
••• Johann Georg Hamann
(1730–1788) äußert sich 1757 in einem Brief kritisch zu dieser Symbolik:
Die Natur ist ein Buch, ein Brief, eine Fabel (im philosophischen Verstande oder wie Sie es nennen wollen). Gesetzt wir kennen alle Buchstaben darinn so gut wie möglich, wir können alle Wörter syllabieren und aussprechen, wir wißen so gar die Sprache in der es geschrieben ist – – ist das alles schon genung ein Buch zu verstehen, darüber zu urtheilen, einen Charakter davon oder einen Auszug zu machen? Es gehört also mehr dazu als Physik um die Natur auszulegen. Physik ist nichts als das Abc. Die Natur ist eine Aequation [mathemat. Gleichung] mit einer unbekannten Größe; ein hebräisch Wort, das mit bloßen Mitlautern geschrieben wird, zu dem der Verstand die Puncte setzen muß.
In der »Aesthetica in nuce« (1762) wendet Hamann den Vergleich etwas anders; und hier wird deutlich, was er damit meint, wenn er sagt, dass ein hebräisch Wort, […] mit bloßen Mitlautern geschrieben wird:
– versucht es einmal die Iliade zu lesen, wenn ihr vorher durch die Abstraction die beyden Selbstlauter α und ω ausgesichtet habt, und sagt mir eure Meynung von dem Verstande und Wohlklange des Dichters.
Alpha α und Omega ω stehen für Christus (Apokalypse 1,8. 21,6. 22,13), ohne den man das Buch der Welt nicht versteht.
J.G.Hamann, Briefwechsel, hg. W. Zeisemer / A. Henkel, Wiesbaden 1955; I, 450.
J.G.Hamann, Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce, Mit einem Kommentar hg. von Sven-Aage Jørgensen, Stuttgart 1968 (Reclams Universalbibliothek 926), S. 117ff.
••• Johann Wilhelm Ritter (1776–1810):
Was der Mensch nicht versteht, sieht er für Druckfehler im Buche der Natur an. Naturforscher sind ihm Korrektoren in der Druckerei Gottes.
Johann Wilhelm Ritter, Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur, Heidelberg 1810; 2. Bändchen, Nr. 661.
> https://www.projekt-gutenberg.org/ritter/jungpsys/chap016.html
Zur Unlesbarkeit der Natur: Ohly (1995), S. 764–784.
••• Titelbild einer Enzyklopädie für Jugendliche:
Lies oft im Buche der Natur!
Es zeiget dir der Gottheit Spur,
Und was die Welt dir beut [bietet] zur Schau,
Betrachte prüfend und genau!
Neuer Orbis Pictus für die Jugend, oder Schauplatz der Natur, der Kunst und des Menschenlebens ... in deutscher, lateinischer, französischer und englischer Sprache nach der früheren Anlage des Comenius bearbeitet und dem jetzigen Zeitbedürfnisse gemäß eingerichtet von J. E. Gailer, Reutlingen: Mäcken 1832.
••• Jeremias Gotthelf (1797–1854), Wie Babi Jowäger haushaltet und wie es ihm mit dem Doktern geht; Zweiter Theil, Solothurn 1844.
Im Kapitel »Ein Vikari thut einen Fehlschuß« spricht der Erzähler so:
Und wie Gott dem Menschen zwei Augen gegeben hat,so hat er ihm auch zwei Bücher gegeben, das heilige alte Buch das nicht blos ein Vikari roll exegisiren können sondern jeder Christ verstehen; aber auch das wunderbare Buch, das alt ist und doch jeden Tag neu wird, das wunderbare Buch das aus göttlichem Quell entsprungen, wie durch unzählige Bäche ein Strom genährt wird, durch Quellen aus jedes Menschen Brust, das Gott mit lebendigem Athem durchhaucht und Blatt um Blatt beschreibt vor der Menschen selbsteigenen Augen.
Und wie die beiden Augen einander helfen auf unerklärliche Weise, und eins ohne das andere verwaiset sich fühlt und einsam und nur noch halb so gut als früher, so hat es auch ein Buch mit dem andern Buch, ein Buch wirft Licht auf das andere Buch, beide strömen Leben sich zu, und halbdunkel wenigstens bleibt ein Buch ohne das andere Buch.
Ein Mensch der nur in einem der Bücher lesen kann, ist gleichsam nur ein halber Mensch, nur halbwitzig, oder ist, als ob er nur ein Auge hätte. Kann er nur lesen in der alten lieben Bibel, so kömmt er wohl zur Erkenntniß dessen, was gewesen ist aber nicht dessen, was ist, er erkennt wohl, was Gott ist, wie er aber waltet, das bleibt ihm verborgen; zur Rechtgläubigkeit kömmt er, aber im Leben findet er sich nicht zurecht. […]
Aber wo der Mensch mit beiden Augen in beide Bücher sieht, da nahen sich Himmel und Erde, ist der Himmel offen, Engel Gottes steigen auf und nieder, strömende Offenbarungen Gottes verklären das Leben, heiligen die Zustände, die Bibel gibt dem Leben seine Weihe, das Leben macht die Bibel lebendig, Gott wird ihm lebendig […]
(Mit dem zweiten Buch ist hier nicht im physikotheologischen Sinn die Schöpfung, die Natur gemeint, sondern das menschliche Leben: das soziale Verhalten, die seelische Wahrnehmung, das praktische Handeln.)
••• In der DNA (Makromoleküle in den Chromosomen der Lebewesen) kommen vier Basen vor: Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T). Diese vier Basen codieren die Erbinformation, deshalb werden die vier Buchstaben A, C, G und T auch gerne als "Alphabet des Lebens" bezeichnet.
Literaturhinweise:
Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948, 6. Auflage 1967; Kapitel 16 = S. 306–352: »Das Buch als Symbol«.
Erich Rothacker, Das ›Buch der Natur‹. Materialien und Grundsätzliches zur Metapherngeschichte, Bonn 1979.
Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 1981; 2. Auflage als suhrkamp taschenbuch wissenschaft 592, 1983.
Heimo Reinitzer (Hg.): All Geschöpf ist Zung’ und Mund. Beiträge aus dem Grenzbereich von Naturkunde und Theologie, Hamburg 1984 (= Vestigia Bibliae. Band 6).
Friedrich Ohly, Zum Buch der Natur, in: F.O., Ausgewählte und neue Schriften, Stuttgart: Hirzel 1995, S. 727–843.
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Der Himmel als Buchrolle
••• In einer Vision sieht Jesaias das Weltende so: Wie eine Buchrolle rollt sich der Himmel zusammen. (Jes 34,4) Die Johannes-Offenbarung nimmt diesen Gedanken auf: Der Himmel entwich wie eine Buchrolle (Vg.: liber involutus), wenn man sie zusammenrollt. (Apk 6,14)
In der Seitenkapelle (Parekklesion) der einstmals byzantinischen Choar-Kirche – dann Moschee – hat sich ein Fresko erhalten, das diese Szene darstellt:
aus: Paul Underwood, The Karyie Djami, London 1967.
• In seinem Erstlingswerk 1754 entwirft Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) seine Religionsauffassung, den Deismus: Gott lässt sich mit der Vernunft physikotheologisch aus seiner Schöpfung erkennen.
Die Titelvignette seines Buchs scheint eher das Entrollen der Magna Civitas Dei (der Gottesstaat in Gestalt des Sternenhimmels) durch liebliche Engel und die Mutter Natur (?) zu zeigen als eine endzeitliche Vision. Könnte das bedeuten, dass er mit der Umkehrung des Motivs die natürliche Religion gegen einen primitiven Biblizismus setzt, der naiv an Apokalypsen glaubt? (Diese Meinung hat er in expliziter Form bekanntlich versteckt, bis sie Lessing dann publizierte.)
Die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion/ in zehn Abhandlungen auf eine begreifliche Art/ erkläret und gerettet von Hermann Samuel Reimarus, Hamburg: Bohn, 2.Aufl. 1755; (Vignette im Original 7,5 x 5 cm noch in der 4. Aufl. 1772).
••• Jacques Gaffarel (1601–1681) schrieb ein esoterisches Buch (Erstausgabe Paris: Hervé de Mesnil 1629):
Curiositez inouyes, sur la sculpture talismanique des Persans. Horoscope des patriarches et lecture des estoilles/ par I. Gaffarel, [ohne Ort und Drucker] MDCL
>
https://doi.org/10.3931/e-rara-25412
Darin postuliert er, dass die Sternbilder eine Schrift am Himmel seien, und zwar in hebräischen Lettern:
Quatriesme partie de la lecture des estoilles, et de tout ce qui est en l'air.
Chapitre XIII. Que les estoilles, selon les Hebreux, sont rengees au Ciel en forme de Lettres, & qu’on y peut lire tout ce q’il arrive de plus important dans l’vnivers.
[Absatz 10] Par quel costé on dit commencer à lire au Ciel, & comment il faut interpreter les mots qu’on y trouve.
Der große Wissens-Kritiker Thomas Browne (1605–1682) glaubt das nicht:
More hardly can we finde the Hebrew letters in the heavens, made out of the greater and lesser Stars which put together do make up words, wherein Cabalisticall Speculators conceive they read the events of future things.
Pseudodoxia Epidemica: or ENQUIRIES into Very many received TENENTS And commonly presumed TRUTHS, Sixth Edition 1672 (Book VI, Chapter 14)
> http://penelope.uchicago.edu/pseudodoxia/pseudo614.html
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Das Buch des Lebens
••• Vorherbestimmtheit
Ovid beschreibt (Metamorphosen XV,804ff.) anlässlich der Schilderung von Caesars Ermordung die Unfähigkeit der Götter, das Verhängnis zu ändern. Venus schlägt sich an die Brust und möchte Caesar in einer schützenden Wolke bergen. Jupiter sagt zu ihr: Betritt das Haus der Parzen, und dort wirst du aus Erz und massivem Eisen die Welten-Archive erblicken (cernes illic molimine vasto ex aere et solido rerum tabularia ferro); dort wirst du in beharrenden Stahl gehaun das Verhängnis deines Geschlechts finden (invenies illic incisa adamante perenni fata tui generis). Caesar hat seine Laufbahn vollendet. Seine Seele wird in einen Stern verwandelt.
Jupiter ist also gleichsam der Bibliothekar eines Archivs der ewig voraus festgelegten Schicksale; mit seiner Erlaubnis können diese gelesen werden.
Caesarius von Heisterbach († um 1240) erzählt die Geschichte eines Mönchs, dem ein Engel im Paradies das Buch des Lebens aufschlägt. Dass der Namen des Mönchs niemals gelöscht sein wird, ist erfreulich; aber die Aussicht, was geschehen wird, wenn das letzte Blatt des Buchs vollgeschrieben wird, ist beängstigend:
Eines tages der engel Gots gab im ein zaichen von seines appts wegen, das er zu der porten geen solt. Der selb münch er nach volgt dem vorgeer, und so er pey der porten seinen appt nit fand, do zuckt in auff der engel und fürt in auff ein veld. In wundert und gedacht wo hin er scholt gefürt werden. Do komen sy zu gar hohen pergen, und so er über die selben hohen pergen komen was, do fürt in der engel an die aller wunniklichisten statt mit manigerlay pawmen, fruchten und pluomen geziert, das was das irdisch paradys.
Und under andern dingen, die er do selbs beschawt, sach er auch zwen wunderscheinig allt manne, Enoch und Helyam, die selben hyelten in iren hennden ein grosz puoch, mit guldein puchstaben geschriben, darinnen nwr ein läres platt ungeschriben was. Und der engel sprach zw im: "Dicz ist das puoch der fürsehung und innhaltet alle nomen der gerechten, behalten menschen, die von angeng der welde bis auff die zeitt geporen sind. Wenn aber das ain plat, das du ungeschriben schawst, volkomen und volschriben wirt, so müs die werlt zergeen."
Und sein nomen zaigt im der engel in dem selben puoch geschriben. Do er den geschriben frölich gelesen hett, do sprach aber der engel: "Nymmer ewiklich wirt dein nomen aus dem püch getilget." Disz ist das puoch, davon David in dem psalm [Ps 138,16 Vg.] spricht: 'Et in libro tuo omnes scribentur. Herre, in deinem puoch werdent alle die deinen geschriben und bezaichent'. Was ist es aber, das der selb prophett David von den verdampten spricht [Ps 68,29 Vg.]: 'Deleantur de libro vivencium etc. Sy süllen ausgetilgt werden von dem puoch der lebenden und nicht geschriben werden mit den gerechten.'"
Johann Hartliebs Übersetzung des »Dialogus miraculorum« von Caesar von Heisterbach, hg. Karl Drescher (Deutsche Texte des Mittelalters XXXIII), Berlin 1929. Kapitel I,37.
Eine ähnliche Vorstellung: Die himmlische Bürgerliste
Daniel 12,1: In jener [End-]Zeit wird dein Volk errettet werden, ein jeder, der sich aufgezeichnet findet im Buch (Vg.: in tempore illo salvabitur populus tuus omnis qui inventus fuerit scriptus in libro.)
Psalm 69,29: Die Feinde sollen getilgt werden aus dem Buch der Lebenden, sollen nicht verzeichnet werden unter die Gerechten. (Vg. Ps. 68,29: deleantur de libro viventium et cum iustis non scribantur.)
••• Register der begangenen Taten – kaufmännische Buchführung als Modell
»Jetzt nimm ihre Sünde von ihnen! Wenn nicht, dann streich mich aus dem Buch, das du geschrieben hast.« Der Herr antwortete Mose: »Nur wer gegen mich gesündigt hat, den streiche ich aus meinem Buch.« (2. Moses = Exodus 32,32f.)
Da redeten miteinander, die den Herrn fürchteten. Und der Herr merkte darauf und hörte es. Und es wurde vor ihm ein Buch geschrieben, das alle in Erinnerung behält, die den Herrn fürchten und seinen Namen achten. (Maleachi 3,16; et scriptus est liber monumenti)
Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist (Daniel 12,1–4)
Sie haben mit mir für das Evangelium gekämpft, zusammen mit Klemens und meinen anderen Mitarbeitern. Ihre Namen stehen im Buch des Lebens. (Philipperbrief 4,3)
Die Toten wurden gerichtet auf Grund dessen, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken. (Apokalypse 20,12)
Babylonischer Talmud, Traktat »Rosch Haschana«, 16b
Drei Bücher werden am Rosch Haschana geöffnet: Eines für die vollends Schlechten und eines für die vollends Gerechten und eines für die Mittleren. Die vollends Gerechten werden sofort zum Leben eingeschrieben und gesiegelt, die vollends Schlechten werden sofort zum Tode eingeschrieben und gesiegelt, die Mittleren sind hängig und stehen von Rosch Haschana bis Jom Kippur vor dem göttlichen Gericht. Verdienen sie es, werden sie zum Leben eingeschrieben, verdienen sie es nicht, werden sie zum Tode eingeschrieben.
Thomas von Celano, O.F.M. (1190–1260; zugeschrieben), »Dies irae«. Das ist die Sequenz, die beim Jahresgedächtnis für Verstorbene gesungen wird. Daraus:
Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus iudicetur.
Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Treu darin ist eingetragen
Jede Schuld aus Erdentagen.
Der ganze Text hier > http://hymnarium.de/hymni-breviarii/sequenzen/133-dies-irae
Heinrich Engelgrave, S.J. (1610–1670) zeigt folgendes Emblem zum Fest der Magdalena (Ihr Name wird als Anagramm gedeutet: Grandia mala mea = meine gewaltigen Untaten. Die namenlose Sünderin Lukas 7,37–50, welche die Füße Jesu mit Reuetränen benetzte und dafür Vergebung der Sünden erlangte, wurde legendarisch mit der aus Magdala aus Luk 8,2 gleichgesetzt.)
Das Lemma des Emblems: Omnes iniquitates meas DELE (Psalm 50 [Vg.],11): Tilge alle meine Missetaten!
Das Bild zeigt die Personifikation der Seele, die mit einem Schwamm Zahlen auf einer Tafel löscht.
In der Bildunterschrift wird ein Zitat aus einer Homilie des Kirchenvaters Chrysostomus (398–404) zu Psalm 50 verwendet: Peccata tua in libro scripta sunt. Spongiæ autem instar sunt lacrymae tuae: Lacrymas mitte & oblitterantur = Deine Sünden sind in einem Buch aufgeschrieben, deine Tränen aber gleichen einem Schwamm; vergieße Tränen, so werden sie gelöscht.
Lvx Evangelica sub velum Sacrorum Emblematvm Recondita, Pars tertia. Hoc Est Caeleste Pantheon, Sive Caelum Novum, In Festa Et Gesta Sanctorum Totius Anni, Selecta Historia, et Morali Doctrina Varie Illustrum per R.R. Henricum Engelgrave S.J., Pars posterior, Coloniae Agrippinae: Busaeus 1659, S.22.
Der Schreiber
Ein wol geführter Kiel hat, was GOTT will zum Ziel.
Man muß in das Gewissen duncken
ehe man dunck in das Dinten Faß,
sonst springen aus so edlem Naß
einst Angst englimmte Höllen-Funcken.
Wer schreibt, was er nicht schreiben soll,
macht GOTTes schweres Schuld Buch voll.
[Christoph Weigel] Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Von denen Regenten Und ihren So in Friedens- als Kriegs-Zeiten zugeordneten Bedienten an/ biß auf alle Künstler Und Handwercker/ Nach Jedes Ambts- und Beruffs-Verrichtungen/ […] Regensburg 1698, S. 16ff.
Abraham a Sancta Clara (1644–1709) charakterisiert den Menschen als ein "Buch", bestehend aus Leib / mit schweinischer Art / das "Ach" zu klagen hat / das nichts kostet bzw. Wert ist / das lausig ≈ erbärmlich ist:
A. E. I. O. U. Ein schönes Buch bist du/ Mensch/ scilicet, ein Buch/ aber zu Leipzig beschrieben/ ein Buch/ aber zu Schweinfurth gedruckt/ ein Buch/ aber zu Ach[en] eingebunden/ ein Buch/ aber zu Kostnitz fayl/ ein Buch/ aber zu Laußnitz zuerfragen.
Abraham a Sancta Clara, Große Todten-Bruderschafft/ Das ist: Ein kutzer Entwurff deß Sterblichen Lebens … (Wien 1680 u.ö.)
Literaturhinweise:
Leo Koep, Das himmlische Buch in Antike und Christentum. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zur altchristlichen Bildersprache, Bonn: Hanstein 1952.
Stefan Fischer, Artikel »Buch des Lebens« (2017)
> https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/15741/
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Ein Kapitel ist fertig
Philódēmos (ca. 110 bis ca. 30) schrieb ein in der »Anthologia Graeca« (Buch XI, Nr. 41) überliefertes Epigramm:
Eben nahe ich mich dem siebenunddreißigsten Jahre {A},
im Buch {B} meines Lebens sind schon viele Seiten zerfetzt.
Hell schon schimmert’s am Haupt. Xanthippe {C},
mein Haar ist von grauen Fäden durchzogen und zeigt weiseres Alter mir an.
{D} Noch aber locken mich Gesänge, Plaudereien und Gastmähler, und voll schwelender Glut zittert verlangend mein Herz.
Setzt mir sie nun, ihr hehren Musen, eilends als Schlussstrich zu meiner Narretei. {E} {F}
(Übersetzung angelehnt an diejenige von Hermann Beckby 1958)
Kommentar aufgrund der Forschungen:
{A} Im Alter von 37 Jahren soll der Mann heiraten, dann ist er körperlich auf der Höhe; für die Frau wird ein Alter von 18 Jahren genannt. (Aristoteles, »Politeia« 1335a29).
{B} Ob eine Papyrusrolle oder ein Codex gemeint ist, ist für die Symbolik belanglos.
{C} Xanthippe heißt die Frau, die der Verfasser jetzt ehelicht. Er wird inskünftig keine neuen Liebschaften mehr haben. — Xanthippe, die Frau von Sokrates, gilt bei den antiken Autoren meist als zänkisches Weibsbild; vgl. Diogenes Laertius II,36; Aulus Gellius, Noctes atticae I,17: morosa admodum fuisse fertur et iurgiosa. Das kann hier nicht gemeint sein. Bei Xenophon (»Memorabilien« II,ii,1 ff.) würdigt Sokrates seine (im Text nicht namentlich erwähnte) Gattin Xanthippe als zärtliche Mutter und Ehefrau.
{D} Philódēmos – selbst der philosophischen Richtung der Epikureer angehörend – verzichtet nicht auf epikureische Genüsse.
{E} Das Verliebtsein als Tollheit, Wahnsinn ist ein in der Antike verbreiteter Topos, vgl. etwa Platon, »Phaidros« 265 a–b.
{F} "a vexed passage" (D.Sider)
κορωνίς (lat. cŏrōnis) heißt der Schnörkel am Schluss eines Kapitels oder eines ganzen Buchs.
• Aubreton: Allons, vite, Muses, écrivez la vrai conclusion, celle qui mettra un terme à ma folie, ô maîtresses.
• Gow/Page: Come, Muses, my sovereigns, quickly write this same "Finis" to my insanity.
• Sider: Inscribe her immediately as the koronis, Mistress Muses, of this my madness. –"Xanthippe is the koronis that marks the end of the manic stage of his life."
• Gerlach: Dieses Mädchen aber schreibt mir schnellstmöglich als Schlusspunkt meiner Raserei, ihr Herrinnen Musen.
Verwendete Literatur:
Anthologia Graeca, griechisch-deutsch, hg. und übers. von Hermann Beckby, München: Heimera, 1957–1958. — The Greek anthology, ed. by A. S. F. Gow and D. L. Page, Cambridge: Univ. Press 1968. — Anthologie palatine, Livre XI, texte établi et trad. par Robert Aubreton, Paris: Les Belles Lettres 1972. — David Sider, The epigrams of Philodemos, introd., text, and commentary, Oxford University Press 1997. — Anthologia Graeca, übersetzt und erläutert von Jens Gerlach [et al.], hg. Dirk Uwe Hansen, Stuttgart: Hiersemann 2011. — (Vielen Dank für die Hilfe an Jörg K. in Z.)
Der Schluss-Schnörkel hatte im Lauf der Geschichte verschiedene Gestalten; vgl. dazu den paläographischen Aufsatz von Gwendolen M.Stephen, The Coronis, in: Scriptorium 13/1 (1959), pp. 3–14. Isidor von Sevilla zeigt in den »Etymologien« I,xxi,26 nebst anderen Hilfs-Zeichen eine Coronis – nota tantum in fine libri adponitur:
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 231 = Isidorus, Etymologiae, p. 37 (Entstehungszeit: um 880-890) > http://www.e-codices.unifr.ch/de/csg/0231/37/0/Sequence-416
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Die Liebe als Buch
Goethe fand im Buch von Heinrich Friedrich von Diez, Denkwürdigkeiten von Asien in Künsten und Wissenschaften, Sitten, Gebräuchen und Alterthümern, Religion und Regierungsverfassung, Zweyter Theil, Halle 1815, S. 371 ein Gedicht des türkischen Schriftstellers Nischani:
Die Kunst der Liebe anfangend las ich mit Aufmerksamkeit in vielen Kapiteln
ein mit Texten der Leiden und mit Abschnitten der Trennung angefülltes Buch.
Es hatte ins Kurze gezogen die Kapitel der Vereinigung, aber vom Kummer
hatte es die Erklärungen verlängert ohne Ende und Maass.
O Nischani! am Ende hat dich auf den rechten Weg geführt der Meister der Liebe.
Auf unauflösliche Fragen kommt nur dem Geliebten die Antwort zu.
(Anmerkung von Diez: »Meister der Liebe und Geliebter deuten hier auf Gott. Jede Zeile spricht nur von der Liebe zu Gott.«)
Im »West-östlichen Divan« (Erstausgabe 1819), ›Buch der Liebe‹, verwandelte Goethe den Text in ein weltliches Gedicht:
Lesebuch
Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ich's gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn — ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami! — doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende, sich wieder findend.
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Maria als Buch
••• Wie geistlich geleicht jst in zechen dingen einem puch
Grundlage ist eine Allegorie der Pergamentbearbeitung. In zehn Schritten wird ein Bezug zu hergestellt: Abziehen der Tierhaut – Beizen – Polieren – Blätterschneiden – Punktieren – Schreiben – Korrigieren – Rubrizieren – Binden – Lesen auf dem Pult.
Ein Beispiel: Zvm achten mal so mvs man ein pvch rubriciren mit roter tinten. O wie wol ist gervbricirt worden vnder dem heiligen crvtz, wan ir hertz vnd ir gemvt nit anders gewest sey, wen das sie vber-rvnen sey gewest mit dem rosen varben plvt irs kindes und recht swer da worden sey von der meng seins rainen plvtz, das von im avf sie geflosen sey. Also stvnd es in irem hertzen.
Klaus Schreiner: » … wie gleicht einem puch«. Beiträge zur Buchmetaphorik des hohen und späten Mittelalters, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens XI (1979), Sp. 1438–1464.
Peter Kesting, Artikel » als Buch« in: Verfasserlexikon, Band 5 (1985). Spalten 1255–1258 [mit Hinweisen auf andre Überlieferungen].
Peter Kesting, als Buch [mit Edition des Texts des unbekannten Verfassers, handschriftlich um 1400] in: Würzburger Prosastudien I (= Medium Aevum 13), München, Fink 1968, S. 122–147.
Dieter Richter, Die Allegorie der Pergamentbearbeitung, in: Fachliteratur des Mittelalters = Festschrift Gerhard Eis, Stuttgart 1968, S. 83–92.
••• Emblem von Anton Ginther (1655–1725):
Das geöffnete Buch ist Sinnbild der Jungfrau : B. Virgo & Mater Dolorosa liber est, ex cujus lectione & consideratione omnes possunt fieri docibiles DEi (≈ Die selige Jungfrau und schmerzensreiche Mutter ist ein Buch, durch dessen Lektüre und Betrachtung alle für das Verständnis Gottes gelehrig werden.) – Das vom Schwert durchbohrte Herz wird ebenfalls mariologisch gedeutet: Aus den hervortretenden Blutstropfen bildet der »kundigste aller Schreiber«, der hl. Geist, den Körper Jesu Christi.
Mater Amoris Et Doloris, Quam Christus In Cruce Moriens Omnibus Ac Singulis Suis Fidelibus In Matrem Legavit: Ecce Mater Tua: Nunc Explicata per Sacra Emblemata, Figuras Scripturæ quàm plurimas, ... Pios Ad Jesum Patientem, Ac Sanctissimam ... Cum triplici Indice Considerationum, Rerum. memorabilium, & Concionatorio, formandis per annum Concionibus opportuno, Augustae Vindelicorum: Schlüter & Happach 1726. (Erstausgabe 1711)
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Das Buch als Attribut von Heiligen
Beispiel: Wegen ihrer großen Gelehrsamkeit wird die heilige Katharina von Alexandrien (vgl. zur Legende und deren Entstehen hier) gelegentlich mit einem Buch in der Hand dargestellt. Sie ist Patronin der Schüler und Gelehrten.
Paolo di Giovanni Fei († 1411)
> https://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/die-heilige-katharina-von-alexandrien
Rudolf Pfleiderer, Die Attribute der Heiligen. Ein alphabetisches Nachschlagebuch zum Verständnis kirchlicher Kunstwerke, Ulm: H. Kerler 1898. Seite 31–34. Siehe auch den Eintrag zu "Schriftrolle" S.146.
> https://archive.org/details/dieattributeder00pflegoog/page/n44/mode/1up
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Zensur
Das Buch als solches wird nicht vernichtet, nur einzelne Passagen darin werden unkenntlich gemacht:
Gerold Edlibach, Zürcher- und Schweizerchronik, entstanden 1485-1532 Zentralbibliothek Zürich, Ms A 75.
> https://www.e-manuscripta.ch/zuz/content/pageview/41851
Censur-Lücke im Neujahrsblatt der Zürcherischen Hülfsgesellschaft 3, 1803 [ zum Thema der Schreckenstage des Herbstmonats 1802; vgl. ›Stecklikrieg‹ > http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D41551.php ]
Gerold Meyer von Knonau (1843–1931): Ein Conflict zwischen der Censur der helvetischen Republik und der zürcherischen Hülfsgesellschaft über das Neujahrsblatt auf das Jahr 1803, in: Zürcher Taschenbuch, Jg. 11 (1888), S. 141–164.
»Nebelspalter« 15. Januar 1942
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Camouflage
Es gibt unter totalitären Regimes immer wieder sog. ›Tarnschriften‹, wie diese 1935 in Deutschland kursierende kommunistische:
Die Aufmachung und der harmlose Titel dienten der Tarnung, um die Zensur zu umgehen und so die als illegal geltenden Botschaften zu verbreiten.
Literaturhinweise:
Tarnschriften der KPD aus dem antifaschistischen Widerstandskampf. Originalgetreue Reproduktion von 12 Heften aus den Jahren 1935/1936; eingel. und zus.gest. von Gerhard Nitzsche und Margot Pikarski [Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED], Lizenzausgabe München: Saur 1986 (13 Bde).
Heinz Gittig, Illegale antifaschistische Tarnschriften 1933-1945 = Beiheft 87 zum Zentralblatt für Bibliothekswesen vom Bibliographischen Institut, Leipzig. – Neufassung: Bibliographie der Tarnschriften 1933 bis 1945, München: Saur 1996
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Ein Buch essen \ hervorwürgen
Ezechiel Kapitel 2f. beschreibt, wie Gott selbst dem Propheten die Rede in den Mund legt, in Form einer Schriftrolle:
8 Du aber, Menschensohn, höre, was ich zu dir sage. Sei nicht widerspenstig …! Öffne deinen Mund und iss, was ich dir gebe! 9 Und ich schaute und siehe: Eine Hand war ausgestreckt zu mir; und siehe, in ihr war eine Buchrolle. 10 Er rollte sie vor mir auf. Sie war innen und außen beschrieben und auf ihr waren Klagen, Seufzer und Weherufe geschrieben. 3,1 Er sagte zu mir: Menschensohn, iss, was du vor dir hast! Iss diese Rolle! Dann geh, rede zum Haus Israel! 2 Ich öffnete meinen Mund und er ließ mich jene Rolle essen. 3 Er sagte zu mir: Menschensohn, gib deinem Bauch zu essen, fülle dein Inneres mit dieser Rolle, die ich dir gebe! Ich aß sie und sie wurde in meinem Mund süß wie Honig.
Offenbarung / Apokalypse Kapitel 10 nimmt diese Vorstellung auf:
8 Und die Stimme aus dem Himmel, die ich gehört hatte, sprach noch einmal zu mir und sagte: Geh, nimm das Buch, das der Engel, der auf dem Meer und auf dem Land steht, geöffnet in der Hand hält! 9 Und ich ging zu dem Engel und bat ihn, mir das kleine Buch zu geben. Er sagte zu mir: Nimm und iss es! In deinem Magen wird es bitter sein, in deinem Mund aber süß wie Honig. 10 Da nahm ich das kleine Buch aus der Hand des Engels und aß es. In meinem Mund war es süß wie Honig. Als ich es aber gegessen hatte, wurde mein Magen bitter. 11 Und sie sagten zu mir: Du musst noch einmal weissagen über viele Völker und Nationen mit ihren Sprachen und Königen.
Holzschnitt von Jost Amman (1539–1591), in: Neuwe Biblische Figuren/ deß Alten und Neuwen Testaments/ geordnet vnd gestellt durch den fürtrefflichen vnd Kunstreichen Johan Bocksbergern von Saltbzurg/ den jüngern/ vnd nachgerissen mit sonderm fleiß durch den Kunstverstendigen vnd wohlerfahrenen Joß Amman von Zürich. […]. Getruckt zu Frankckfurt am Mayn/ durch Georg Raben/ Sigmund Feyerabend/ vnd Weygand Hanen Erben M.D.LXIIII. (1564)
Schon Dürer hat diese Szene illustriert in »Apocalipsis cum Figuris: Die heimlich Offenbarung Johannis« 1498 > http://www.zeno.org/nid/2000400129X
Martianus Capella beschreibt in seinem Werk »De nuptiis Philologiae et Mercurii« folgende Szene:
Merkur sucht eine Braut und findet sie in der Philologia. Vor der Hochzeit tritt die Unsterblichkeit (Athanasia) auf und verlangt von Philologia, die einst verschlungenen Bücher des nutzlosen irdischen Wissens hervorzuwürgen. »Wenn Du das nicht, wovon die Brust Du so voll trägst, in heftigster Entleerung ausbrichst (coactissima egestione vomeris forasque diffuderis) und aus Dir nach außen bringst, so wirst Du den Wohnsitz der Unsterblichkeit auf keine Weise behaupten.« Da aber brach sie mit aller Anspannung und großer Kraftanstrengung alles, was je in ihrem Busen sie erwogen hatte, aus (evomevat). Das wandelte sich dieses Erbrechen und Herausgewürgt-Erbrochene um in Riesenmengen Schrifttums aller Art …
Die Hochzeit der Philologia mit Merkur, übersetzt, mit einer Einleitung, Inhalts-Übersicht und Anmerkungen versehen von Hans Günter Zekl, Würzburg: Königshausen und Neumann 2005 (Liber II, ¶ 135).
Die Metapher des Essens für das Lesen ist im Mittelalter gebräuchlich. Den Bibeltext soll man wiederkäuend lesen (Stichwort: ruminare, ruminatio).
Der Dominikaner Heinrich Seuse (um 1295 – 1366) empfiehlt:
Ein bewerter gotesfrúnd sol alle zit etwas guoter bilde ald sprúch haben in der sele mund ze kúwene, da von sin herz enzúndet werde zuo gote. (Brief XI = ed. Bihlmeyer S. 391)
Der Franziskaner David von Augsburg (um 1220 – 1272) baut die Metapher – in Anlehnung an 2 Kor 3,6 (Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig) und Psalm 33,9 (Gustate et videte, quoniam suavis est Dominus – schmeckt, wie süß der Herr ist) – aus:
Swer daz list oder hœret, der sol tuon als der eichorn. Der kiuwet die schal an der nüzze, unz er kumt an den kern. Alsô sol man die wort mit dem zande der verstantnüsse kiuwen, unz man kumet in die niezunge der gotlichen heimliche; so sol man du wort lâzen.
David von Augsburg, am Ende des Traktats »Von der unergründlichen Fülle Gottes«, hg. F. Pfeiffer, Mystiker I, S. 375.
Johann Fischart (1546–1590)
Schlappert nit auff Chorherrisch die Wort in euch, wie der Hund die Sup, sonder kauet und widerkauet sie wie die Küh.
Johann Fischart, »Geschichtklitterung« (1590), Das Parat oder Beraitschlag
> http://www.zeno.org/nid/20004755251
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Das Buch als Nahrung – verschmäht
> https://doi.org/10.3931/e-rara-614
Christus (mit Kreuznimbus) schüttet die vier Evangelien (in Gestalt ihrer Attribute) in den Trichter (der Adler des Johannes rutscht gerade aus den Sack.) — Als Mehl kommen aus der Mühle die drei Tugenden Glaube / Liebe / Hoffnung (1.Korinther 13). — Erasmus (am Ärmel angeschrieben) schüttet diese in einen Sack (mit einer Hausmarke versehen: Mühlrad mit Kreuz). – Luther (noch mit der Tonsur des Augustinermönchs wie auf dem Portrait von Lucas Cranach d.Ä. 1520) knetet den Teig in einer mit seinem Namen angeschriebenen Backmulde. — Daraus werden Bücher, die ein Diener den geistlichen Würdenträgern (Papst mit Tiara, Kardinal mit Galero, Bischof mit Mitra, Mönche in schwarzer Kutte) übergeben möchte; diese lassen die Bücher indessen auf den Boden fallen. – Über ihnen schwebt ein teuflisches Mönsterchen, das ruft: ban, ban (Bezug zur 15. Juni 1520 erlassenden Bannandrohungsbulle Exsurge Domine). Die Szene geschieht unter der Aufsicht von Gottvater; und der revolutionäre Bauer Karsthans (Bezug zu einem anonymen reformatorischen Pamphlet dieses Titels, erschienen in Basel 1521) schlägt mit dem Dreschflegel auf die ›Altgläubigen‹ ein.
Im Hintergrund steht das Wort von Jesus: Ich bin das Brot des Lebens (Joh. 6,35 und 48ff.)
Text-Ausschnitte:
Dyß hand zwen schwytzer puren
gmacht
Fürwar sy hand es wol betracht
Der erst Pur.
Sygest gegruesset aller tieffgründtister vnd hochgelertester Müller / din müly zum malen vsz den vier Euangelisten mit sambt dem vsserwelten vasz Paulo zuo malen ist angelassen/ vff welcher müle daz aller zartest heilsam vnnd hunigsüessest mel der gütlichen warheit/ zuo einem trost Christenlichem volk/ täglichen malt/ darus das aller best brot gebachen: Jedoch verdampter gyt/ durch jnblasung Sathane/ sölich mel nit für hunigsüesz/ sunder als bitter gallen erkent würt: Jn hoffnung vnser Schöpffer werde mit sinen gütlichen gnaden gedachttem müller/ welchen ich acht für den andren Dannielem als ein waren Propheten/ vsz dem (vngezwyflet) der heylig geist redt: bystand thuon/ da mit das süesz mel in scherpffe siner vernunfft gebütlet/ durch die vnuerstendigen blinden/ tollen/ verstopfften/ gytigen/ vnd hochfertigen / so sich achten gelert/ Jren verkerten blintheiten verharrend nit gehindert/ sunder vns armen sünder sölich vsserwelt gebachen brot/ das Christus selbs ist/ zu erfolgung ewiger sälikeit gedienen möge Amen.
Die Schrift wurde auf Anregung von Martinus Säger (Stadtvogt von Maienfeld) von Johannes Füessli (Glockengiesser in Zürich) verfasst, wobei Zwingli den Text durchsah und ergänzte und die Idee für das Bild beisteuerte; vgl. dessen Brief an Myconius, datiert ultima feria pentecostes etc. XXI. (25. Mai 1521)
> http://www.irg.uzh.ch/static/zwingli-briefe/?n=Brief.181
Literaturhinweis: Thomas Neukirchen, Karsthans, Heidelberg: Winter 2011 (Beihefte zu Euphorion 68). Sechs Texte zum Thema transliteriert und in modernem Deutsch wiedergegeben, plus Nachwort.
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Das Buch als Attribut von Allegorien
Die Personifikation der Eruditio (Gelehrsamkeit) hat als Motto: LVMEN VOLVMINVM (etwa: glanzverbreitendes Licht, erleuchtende, aufhellende Einsicht der Bücher / durch Bücher).
Cristoforo Giarda (1595-1649), Bibliothecae Alexandrinae Icones symbolicae P.D. Christofori Giardae […] Elogiis illustratae […], Mailand 1628.
> https://archive.org/details/bub_gb_XcBYc5g4GOIC/page/n192/mode/1up
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00077545/image_207
Bei der Personifikation des weisen Rats heißt es: Das Buch mit der Nachteule ist eine geheime Bedeutung eines durchdringenden Verstandes …
Iconologie oder Ideen aus dem Gebiete der Leidenschaften und Allegorien. Wien: Anton Doll 1801. Christian Sambach (1761–1797) del. — Joseph Stöber (1768–1852) sc.
Weshalb die Nachteule als Attribut? Die Eule gehört zu den typischen Nachtvögeln (Plinius, nat. hist. X,xvi,23 nocturnae aves und xix,29: noctua; Vergil, Georgica 1,403). Sie steht für die nächtliche Arbeit am Buch.
Quintilian sagt (inst. or. X,iii,27), dass das Arbeiten mit der Lampe in der nächtlichen Stille die beste Form der Abgeschiedenheit für den Autor ist: Est tamen lucubratio, quotiens ad eam integri ac refecti venimus, optimum secreti genus. – Freilich ist der Qualm der Studierlampe (fuligo lucubrationum) in durchwachten Nächten unangenehm (XI,iii,23).
Aulus Gellius erzählt (noctes atticae XIII,xxxxi,10), wie ein aufgeblasener Mensch, der einen Buchladen besitzt, aus einem griechischen Text vorlesen soll, das aber aus Inkompetenz nicht vermag und sich so herausredet: "Du siehst, dass meine Augen sehr leidend von ununterbrochenen Nachtwachen fast verdorben sind, so dass ich kaum die Züge der Buchstaben erkennen kann …" – "vides" inquit "oculos meos aegros adsiduisque lucubrationibus prope iam perditos; vix ipsos litterarum apices potui conprehendere …"
Und Aulus Gellius, weiß, wovon er spricht, hat er doch seine bunte Sammlung in langen Nächten verfasst (praefatio 4).
Auf dem Titelkupfer dieser Ausgabe wird er bei der nächtlichen Arbeit gezeigt:
Aulus Gellius, Noctes Atticae Editio nova et prioribus omnibus docti hominis cura multa castigatior. Amstelodami: Lud. Elzevier, 1651.
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Verehrung des heiligen Buches
Ein Schriftstück, das den Namen des Herrn enthält, wird nicht weggeworfen, sondern es wird beigesetzt in der Geniza (Genisa) > https://de.wikipedia.org/wiki/Geniza
Solomon Schachter (1847–1915) entdeckte und untersuchte 1896 in der Geniza der Ben-Ezra-Synagoge in Kairo zehntausende von schriftlichen Domumenten, die dort seit dem 9. Jh. deponiert worden waren. Hier der Bericht in der Jewish Encyclopedia (1906) > http://www.jewishencyclopedia.com/articles/6582-genizah
Literaturhinweis: Andreas Lehnardt, Genisa, Fundorte jüdischer Buchreste auf Dachböden und in Bucheinbänden, in Biographien des Buches, herausgegeben von Ulrike Gleixner u.a., Göttingen 2017, S.349–366.
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Das Buch in der mittelalterlichen Memorialkultur
Johannes Pommeranz schreibt dazu: Der Deckel des Goldenen Evangelienbuchs von Echternach zählt zu den Meisterwerken Trierer Goldschmiedekunst. Er war ein Geschenk der Kaiserin Theophanu (ca. 960–991) und ihres Sohnes Otto III. (980–1002) an die nahe Trier gelegene Benediktinerabtei Echternach. Gemäß der Königskrönung des Ottonen im Jahr 983 – Otto III. ist auf dem Einband als König bezeichnet – und dem Sterbejahr seiner ebenfalls dargestellten Mutter (991) wird der Prunkdeckel seit den Anfängen der kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk zwischen 983 und 991 datiert. Unter dem Aspekt der Memoria ist diese vergleichsweise genaue und von der Forschung in Stein gemeißelte Datierung aber durchaus diskutabel.
Die Schriftfassung hier als PDF hier zum Download.
Fotografie des Germanischen Nationalmuseums, mit dankbarer Erlaubnis.
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Symbolik des Buches und die kaiserliche Macht im vormodernen China
Marc Winter schreibt dazu: Zwischen Büchern und dem Kaiserthron herrschte im kaiserzeitlichen China eine Beziehung wechselseitiger Unterstützung, indem die Kaiser die Pflege des Schrifttums förderten, worauf dieses ihrer Herrschaft Legitimität und Ansehen bei den literarischen Eliten verschaffte. Kaiser richteten staatliche Lehrstühle ein für den Unterricht in den «konfuzianischen Klassikern», sie liessen wiederholt die Texte fixieren und förderten Kompilationsprojekte, die jeweils neue Superlative waren. Aus einer unzusammenhängenden Gruppe von Texten wurde ein Kanon erschaffen, der das zweite Jahrtausend des Kaiserreichs massgeblich prägte, deren Propagierung aber auch die Kaiser als Bewahrer der eigenen Kultur erscheinen liess. Da jede Kanonisierung zugleich auch eine Zensur von nicht genehmem Wissen bedeutet, ist das Interesse der Kaiser am schriftlichen Erbe nicht bloss symbolischer Art.
Von der Bücherverbrennung der Qin-Dynastie bis zur vom Kaiser von China geförderten und mit Vorwort versehenen Palastausgabe der Qing-Dynastie: Die chinesischen Kaiser standen in stetem Kontakt mit, manchmal in Konkurrenz zu, manchmal im Dienste von literarischen Eliten, welche die Verwaltung führten und die für die Umsetzung kaiserlicher Direktiven und Gesetze verantwortlich waren, aber auch für das kulturelle Gedächtnis in Form der Geschichtsschreibung. Ein Kaiser war hilf- und machtlos ohne diese Eliten. Diese wiederum pflegten eine Buchkultur, in welcher die literarische Kommunikation als hohe Kunst gefeiert wurde. Die Kaiser förderten literarische Projekte, um die Gelehrten zu fördern, zu beschäftigen und gefügig zu machen. Zudem empfahlen sich Kaiser symbolisch als Behüter der Kultur in Form des Schrifttums, vor allem der «Konfuzianischen Klassiker», einer Sammlung von uralten Texten unterschiedlicher Natur und mit einem Entstehungszeitraum von ca. 1000 Jahren. Die Kaiser pflegten diese Texte, förderten die Exegese und liessen autoritative Editionen erstellen, um so auch Werte zu propagieren, die ihnen genehm waren. Folgsamkeit innerhalb der Hierarchie, kindliche Liebe in der Familie, Unterdrückung der Frauen und generell das Primat des Kollektivs gegenüber dem Individuum, all dies sind Werte, welche erst in die Texte hineingelesen werden mussten. Diverse Kaiser initiierten und förderten aber auch diverse Sammelprojekte, und die Herrscher gefielen sich in der Rolle der Arbeitgeber und der Förderer des Schrifttums. Im Tagungsbeitrag soll eine diachrone Betrachtung der kaiserlichen Macht und der Symbolik des Buches im vormodernen China am Beispiel der «Klassiker» vorgenommen werden.
Die Schriftfassung hier als PDF hier zum Download
... und im modernen China:
Screenshot aus Jean Luc Godarts Film »La Chinoise« (1967):
(Umzeichnung von U.G.-Bl.)
Die Symbolik der Formensprache – ausgestreckte Arme mit der hochgehaltenen Mao-›Bibel‹, selbst die Hutmode der Damen – scheint sich an den Vorbildern der Roten Garden zu orientieren. Aber der junge Mann in der Mitte hält das Buch am Rücken und mit dem Schnitt zum Boden hin, was ihm 1967 in China bereits als Problem angerechnet worden wäre: Die ›Weisheit‹ des Buches könnte herausfallen; und man hält die Worte des Vorsitzenden ja auf sich, um jederzeit den Inhalt abrufen zu können. (Marc.W.)
Weitere Hinweise zur Rezeption des Buchs von Mao Zedong in Europa auf dieser Website {Abruf Juni 2020}.
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Fake Books
Immer wieder wurden triviale Gebrauchsgegenstände (Spieldosen, Zigarettenbehälter, Salzfässlein, Briefmarkenschachteln usw., aber auch Behälter ehrenwerterer Dinge) als Buch getarnt. Schutzhüllen von Videokassetten gab es in Gestalt eines Buches. So konnten deren Benutzer evtl. auf der Skala des symbolischen Kapitals (Pierrre Bourdieu) einen Wertgewinn verzeichnen. Armin Müller hat neuerdings seine Sammlung veröffentlicht:
[Buchumschlag von:] Scheinbücher. Die Kunst der bibliophilen Täuschung. Die Sammlung Armin Müller Winterthur. Texte: Armin Müller, Bruno Weber, Frinz Franz Vogel; Benteli-Verlag 2020.
Gesehen im Schaufenster der Buchbinderei von Jürg und Yvonne Hitz in Zürich, und fotografiert von Vivianne Berg:
Im (auf der Novelle von Stephen King beruhenden) Film »Shawshank Redemption« versteckt der Gefangene, dem der Ausbruch aus dem Gefängnis gelingt, den Hammer, mit dem er den Fluchttunnel gegraben hat, in der Bibel des bigotten Gefängisdirektors. Originellerweise so, dass der Beginn des Buchs »Exodus« schön sichtbar ist. (Exodus ist der lateinische Titel des 2.Buches Mosis, das den Auszug Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten beschreibt.) Die Widmung im Buch: ›Lieber Herr Direktor, Sie hatten Recht, die Rettung liegt in der Bibel!‹ (Hinweis von R.G. in Z.)
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Makulierung von Büchern
Die Materialien von nicht mehr verwendungsfähigen oder aus der Mode gekommenen Büchern wurden wiederverwendet (im Gegensatz zur Bestattung von Tora-Rollen in der Genisa).
Für den Einband dieses 1616 gedruckten Buchs wurde das Pergament eines Messbuches verwendet. Der Text stammt aus der Messfeier zum Fest des Apostels / Evangelisten Johannes (27. Dezember):
Dem Schreibduktus nach dürfte es sich um ein Manuskript des 14. Jahrhunderts gehandelt haben.
(Bibliotheca Frœbeliana Turicensis)
Bücherverbrennungen
Rosa Micus schreibt dazu: Öffentlichkeit – Machtdemonstration – Zeremoniell / Liturgie – großer Rahmen / großes Getöse; oder doch eher verstohlen, gleichsam ›hinten im Eck‹; oder einfach nur nicht wahrgenommen?
Dies alles können Begleitumstände von Bücherverbrennungen sein. Es ist eine unendliche und zugleich enorm vielfältige Geschichte, die von der Antike bis in die Gegenwart reicht. Der Wille zur Destruktion erscheint im Mittelalter ›gekleidet‹ in liturgisch-zeremoniellem Rahmen; in früher Zeit an geweihtem Ort im Kirchenschiff vollzogen, im Spätmittelalter jedoch mit großem Massenauflauf unter freiem Himmel, der Vollstreckung von Todesurteilen entsprechend.
Bücherverbrennungen begleiten Schriftkulturen mit ihrer ausgeprägten Empfindsamkeit für die Schriftform, für die schriftliche Erkenntnis- und Wissensvermittlung.
Die Zerstörung von Geschriebenen ist immer auch ein symbolischer Akt zur Unterstreichung des ›Richtigen‹. Es geht – gleich ob in religiösem Gewande oder im Sinne von Machtausübung – um die Deutungshoheit darüber, was Verbreitung finden darf.
Der Beitrag liefert einen Querschnitt durch die Problematik von der Bibel bis zur politischen Literatur, von der Antike bis in die Gegenwart: »Das Beispiel des Jan Hus (1384–1415) – Biblische Bücher – Das unverletzliche Buch – Die totale Vernichtung – Die Bücherverbrennung 1933: Zwei Seitenblicke« in der Schriftfassung als PDF hier zum Download.
Zum ›Spottofen‹, in dem virtuell Bücher der Protestanten verheizt werden, vgl. den Aufsatz von Rosa Micus hier: > http://www.symbolforschung.ch/Spottofen.html
Der Aufsatz von Rosa Micus »Bibliotheca Vulcano consekrata. Ein Salzburger Bibliotheksofen aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts « ist im Printmedium erschienen in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 160/2020, S. 175–180. (Als PDF zum Download hier)
Die Bücher des Numa Pompilius
Livius, ab urbe condita XL, xxxix,3–14 (und andere) berichten, es seien (a.u.c. 573) beim Bearbeiten eines Ackers zwei steinerne Behältnisse (lapideae arcae) gefunden worden, bei denen es sich gemäß den Aufschriften um die sterblichen Überreste des sagenhaften zweiten römischen Königs Numa Pompilius und seiner Bücher gehandelt habe. Der Sarkophag des Königs war leer; im andern lagen wohlerhalten sieben lateinische Bücher vom priesterlichen Recht und sieben griechischen philosophischen Inhalts (de disciplina sapientiae). Der Stadtprätor liest die Texte und bemerkt, dass sie sich auf die "Auflösung des Gottesdiensts" beziehen (cum animaduertisset pleraque dissoluendarum religionum esse). Nach exaktem juristischem Prozedere werden die Bücher vor den Augen des Volkes verbrannt (libri in comitio igne a uictimariis facto in conspectu populi cremati sunt.).
Texte:
Livius:
>
https://www.thelatinlibrary.com/livy/liv.40.shtml
> https://gutenberg.spiegel.de/buch/romische-geschichte-2504/147
Augustinus, de civitate Dei VII,34: Von den Büchern des Numa Pompilius, die der Senat verbrennen ließ, damit nicht die darin niedergelegten Ursachen der Mysterien bekannt würden. > https://www.unifr.ch/bkv/kapitel1925-34.htm
Hinweis > https://de.wikipedia.org/wiki/Numa_Pompilius#Schriftenfund
Von Ankunfft vnd Ursprung deß Römischen Reichs / der alten Römer herkommen / Sitten/ Weyßheit/ Ehrbarkeit / löblichem Regiment / Ritterlichen Thate . Jetzund auffs neuw auß dem Latein verteutscht/ und mit ordentlicher verzeichnuß der fünemsten Historien/ Jarrechnung/ kurtzer Liuischen Chronica/ und Register/ in den Truck verfertiget Durch Zachariam Müntzer. Mit schönen Figuren geziert/ … Frankfurt/Main, 1568; Holzschnitt signiert von Jost Amman.
Titus Livius/ Vnd Lucius Florus/ Von Ankunfft und Ursprung des Römischen Reichs/ der alten Römer herkommen/ Sitten/ Weißheit/ Ehrbarkeit/ löblichem Regiment/ Ritterlichen Thaten/ Victori vnnd Sieg/ gegen jhren Feinden: Auch von allerley Händeln vnd Geschichten/ so sich so sich in Fried und Krieg, zu Rom, in Italia, vnd bey andern Nationen, damit die Römer jeder zeit zu thun gehabt/ fast innerhalb achthundert jaren/ von erbawung der Statt an ... biß auff der ersten Römischen Keyser Regierung/ verloffen und zugetragen. Jetzund auff das newe auß dem Latein verteutscht ... Straßburg, Th. Rihel, 1590, p. 696; (Holzschnitt signiert von Christoph von Sichem)
Die sibyllinischen Bücher
Jn disem Buoch ist des ersten teils: das leben vnd fabel Esopi: Auiani: Doligani: Adelfonsi: mit schympffreden Pogij. Des andern teils vszüge schoner fabeln vnd exempelen Doctoris. S. Brant: alles mit synen figuren vnd Registern. Getruckt zum Theirgarten durch Joannem Prüß, Straßburg 1508.
Zu dem König Tarquinius kam eine fremde alte Frau und brachte ihm neun Bücher göttlicher Prophezeiungen, wie sie sagte; die wolle sie ihm für 300 Goldmünzen verkaufen. Der König hielt sie für verrückt und lachte darüber. Da warf die Alte drei Bücher ins Feuer und fragte den König, ob er die übrigen sechs Bücher zu demselben Preis kaufen wolle. Der König lachte darüber noch viel mehr und erklärte die alte Frau für verrückt. Da verbrannte sie sogleich drei weitere Bücher und fragte den König, ob er nun die restlichen drei Bücher zu demselben Preis wie zuvor die neun kaufen wolle. Da wurde der König nachdenklich und kaufte die Bücher. Die alte Frau aber verschwand und wurde nicht wieder gesehen. Die drei Bücher wurden die sibyllinischen Bücher genannt; sie wurden in einem Tempel aufbewahrt und benutzt, wenn es darum ging, zum Wohle des Staates den Willen der Götter zu erfragen.
Textzusammenfassung von hier
Bild aus > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00001850/image_249
Sueton, Leben der Caesaren; Augustus, 31. Kapitel: Sobald er aber das Oberpriesteramt […] endlich übernommen, ließ er Alles, was an Weissagungsbüchern sowohl griechischen als lateinischen von entweder völlig unbekannten oder unglaubwürdigen Verfassern im Umlauf war, über zweitausend Bände, zusammenbringen und verbrennen. Nur die Sibyllinischen behielt er, und auch diese nur in Auswahl, zurück und bewahrte sie in zwei vergoldeten Schränkchen unter dem Fußgestell des Palatinischen Apollon auf. (Übersetzung A.W.Th. Stahr 1857)
Unchristliche Zauberbücher
Wie Paulus in Ephesus predigt und Kranke heilt, erscheinen auch einige Geisterbeschwörer, die vom bösen Geist besessen sind und Greueltaten verüben. Neubekehrte bekennen, dass sie das einst auch so getrieben hatten, bringen ihre Zauberbücher herbei und verbrennen sie vor aller Augen. (Apostelgeschichte 19,13–19)
Biblia, das ist, die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, aus den Grundsprachen treulich wol verteutschet / mit dienstlichen Vorreden, begreiflichen Abtheilungen der Capitel, vielen Auslegungen und Nuzanwendungen, auch genauer Anmerkung der Parallelstellen, und nothwendigen Concordanzen, herausgegeben durch Johann Caspar Ulrich, Pfr. zum Frau-Münster, Zürich: bey Conrad Orell und Comp., 1755/1756. (Kupfer signiert von Georg David Nessenthaler, Augsburg 1717–1766)
> https://www.e-rara.ch/zuz/content/pageview/17791594
Ketzerbekämpfung
Pedro Berruguete († 1504) stellt hier eine legendarische Szene dar: einen Streit zwischen dem hl. Dominikus und den von ihm bekämpften Albigensern. Ein Buch verbrennt, ein anderes fliegt zum Himmel (vgl. Psalm 141 [Vulgata 140],2: Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet auf zu Dir). Genaueres dazu im Vortrag von Rosa Micus (siehe oben).
Bild im Prado. Digitalisat > Wikipedia.
In der Zeit der Glaubensspaltung
Gruntlicher bericht, uss was ursachen die von Zug die heylig bibel, das luter wort Gottes uff den XXVIII Jenners dess 1556 jars offentlich verbrent haben.
Verbrennung einer protestantischen Bibel in Zug 1556. Wickiana Ms F 12, fol 17r
> https://www.e-manuscripta.ch/zuz/wick/content/pageview/2483
Transliterierter Text in: Die Wickiana: Johann Jakob Wicks Nachrichtensammlung aus dem 16. Jahrhundert, hg. von Matthias Senn. Küsnacht-Zürich: Raggi-Verlag 1975, S. 34–36.
Vgl. den Druck > https://books.google.ch/books?id=netlAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s
Christine Göttler, Die Zuger haben das Wort Gottes verbrannt – Strategien der konfessionellen Polemik am Beispiel einer reformatorischen Schmähschrift vom Jahr 1556, in: Zwingliana 18/1-2 (1989), S. 69–119.
Der Antichrist (mit Tiara, also: der Papst) tritt die Bücher (gemeint sind wohl die beiden Testamente der Bibel) mit seinen Pferdehufen:
[Rudolf Gwalther, 1519–1586; Schwiegersohn Zwinglis], Der Endtchrist. Kurtze/ klare und einfaltige Bewysung/ in fünff Predigen begriffen/ daß der Papst zuo Rom der rächt/ war/ gross/ und eigentlich Endtchrist sye/ von welchem die Hh. Propheten und Apostel gewyssagt vnd uns gewarnet habend. Nüwlich beschriben durch Ruodolffen Walthern, Dienern der Kilchen Zürych. [Zürich: Froschauer 1546]
> http://doi.org/10.3931/e-rara-957
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00008665/image_94
Das Titelblatt der Ausgabe des »Index Librorum Prohibitorum« von 1761 nimmt Bezug auf die Bücherverbrennung in Apostelgeschichte 19,19, wo von Geisterbeschwörern und Besessenen die Rede ist, in denen der böse Geist hauste, die dann von Paulus bekehrt werden mit der Folge: Viele aber von denen, welche vorwitzige Künste getrieben hatten, trugen die Bücher zusammen und verbrannten sie vor allen.
Auf dem Titel der Ausgabe 1711 ist es der Heilige Geist, der das Feuer entzündet:
Bild auf der Website des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig
Was für eine üble Vorahnung hatte Fritz Gilsi (1878–1961), als er 1917 das ExLibris für Fritz Merker-Pfister gestaltete?
> https://www.exlibris-selc.ch/%C3%BCber-exlibris/geschichte/20-jahrhundert/
Über die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 informiert ausführlich der Artikel in der Wikipedia
> https://de.wikipedia.org/wiki/Bücherverbrennung_1933_in_Deutschland
Hinzuweisen ist auf den 1953 erschienenen – und immer noch und erneut aktuellen – Roman »Fahrenheit 451« von Ray Bradbury (1920–2012); vgl hierzu
> https://de.wikipedia.org/wiki/Fahrenheit_451 oder
>
https://en.wikipedia.org/wiki/Fahrenheit_451
Literaturhinweise:
Thomas Werner, Den Irrtum liquidieren. Bücherverbrennungen im Mittelalter. Göttingen 2007 (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 225).
Mona Körte, Essbare Lettern, brennendes Buch: Schriftvernichtung in der Literatur der Neuzeit, Wilhelm Fink Verlag 2011.
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Unzerstörbare Bücher
••• Unaustilgbarkeit des inspirierten Prophetenworts
Das Buch Jeremias (Kapitel 36) zeigt, wie das verschriftete Wort Gottes nicht durch weltliche Macht ausgetilgt werden kann. Jeremias diktiert dem Baruch alles, was der HErr zu ihm gesprochen hatte. Baruch liest den Text dann auftragsgemäß dem Volk vor; dann möchten auch die hohen Beamten den Text hören. Sie erschrecken darüber und wollen das dem König [Jojakim, regierte 609–598] mitteilen. Dieser lässt sich den Text vom Beamten Jehudi vorlesen.
22f: Der König aber sas im Winterhause im neunden monden fur dem Camin. Als aber Jehudi drey oder vier Blat gelesen hatte/ zuschneit ers mit einem Schreibmesser/ vnd warffs ins fewr das im Caminherde war/ bis das Buch gantz verbrante im fewr. (Luther-Übesetzung 1545 > http://www.zeno.org/nid/20005327865)
Biblia ectypa. Bildnußen auß Heiliger Schrifft deß Alten Testaments, Regensburg: Weigel 1697.
Da ergeht das Wort des HErrn erneut an Jeremias: Nim dir widerumb ein ander Buch/ vnd schreib alle vorige Rede drein/ die im ersten Buch stunden/ welchs Joiakim der könig Juda verbrand hat.
••• Das unverbrennliche Buch
Eberhard W. Happel berichtet im 4. Teil der »Relationes Curiosae«, No. 17 von verschiedenen Feuerproben. Darin S. 129: Das unverbrennliche Buch.
Die Szene spielt 1624. Der Trompeter einer einquartierten Truppe nimmt Johann Arndts »Paradiesgärtlein« mit ins Wirtshaus, um darin zu lesen. (Diese 1612 erstmals erschienene Sammlung von Gebeten und Gebetsliedern ist eines der einflussreichsten Andachtbücher des deutschen Protestantismus.)
Der Päbstliche Lieutenant Zacharias von Brechen, ein Eiferer in seiner Religion
ersiehet, daß sein Trompeter in dem Betbuch lieset, reisset ihm deswegen das Buch aus den Händen und eylet der Küchen zu; der Trompeter folget ihme auff dem Fusse nach, und bittet umb sein Buch. Die Wirthin hatte das Feuer in dem Ofen geschüret, daß es liechter Lohe brennete, und weil sie den Lieutenant sahe auff den Ofen zugehen, vermeinte sie, daß ihnen in der Stuben zu warm, und möchte sie ob dem Einheizen schelten, gienge deßwegen aus der Küchen. Der Lieutenant wirfft besagtes Büchlein in das Feuer und gehet darvon, sagend zu dem Trompeter, nun wird es zu Aschen, so kanst du es wiedersuchen und darinnen lesen. Der Trompeter betraurte sein Büchlein, daß es die Wirthin hörte, und beklagte, daß der Lieutenant solcher Gestalt Gottes Wort, auß welchem dieses Büchlein gezogen, zu dämpffen begehrte. […]
Uber etliche Stunde wil die Wirthin den Soldaten zwey Hüner an dem Spiesse braten, und indeme sie die Kohlen aus dem Ofen nimmet, bringet sie zugleich das Büchlein mit herauß, welches wie sie vermeint, längst verbrandt und zu Aschen worden, daß es zerfallen werde, wann man es betasten würde. Als sie es aber genauer betrachtet, findet sie, daß es an dem Leder Blättern und Bändern ganz unversehret, und sagt darauff mit Freuden zu ihrer Tochter: Lieben Kinder, schaut wie Gott die drey Männer in dem Feuer Ofen erhalten [Buch Daniel, Kapitel 3], also hat er auch dieses Büchlein in der Gluth nicht verbrennen lassen; So last uns nun bey dem Wort GOTTES auch beständig verbleiben etc. Beschleußt auch bey ihr, dieses Büchlein zu beharrlichem Andencken aufzubehalten und täglich zu gebrauchen. […] Dieses Büchlein ist zu Butzbach in der Fürstlichen Bibliotheca oder Schrein noch zu sehen. Der Lieutenant ist hernach zu Cölln an einer hitzigen Kranckheit ganz rasend gestorben.
E. G. Happelii Vierter Theil. Grösseste Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genannte Relationes Curiosæ. In welchen eingeführt, erwogen und abgehandelt werden, allerhand Historische, Physicalische, Mathematische auch andere Merckwürdige Seltzamkeiten, Welche in der Menschen Lebens-Lauff, am Himmel, in der Lufft, im Meer und hin und wieder auff Erden sich jemahlen begeben und eräugnet haben … Hamburg: von Wiering, 1689.
> http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10059072.html
> https://archive.org/stream/bub_gb_Gpg_AAAAcAAJ#page/n155/mode/2up
Die Geschichte wird (nach derselben Quelle) ausführlicher erzählt von Georg Philipp Harsdörffer, Der große Schauplatz lust- und lehrreicher Geschichte, Frankfurt 1664. Das zweyte Hundert, Fünffter Theil, Nr. CII.
> http://www.zeno.org/nid/20004999002
Das Bild aus: Alfred Messerli, »Die Errettung des Paradiesgärtleins aus Feuers- und Wassernot«, in: Fabula 38 (1997), H. 4/4, S. 253–279.
Heilige Bücher brennen eben nicht, vgl. Stith Thompson, Motif-Index
D1656.1. Incombustible book
D1841.3.3. Sacred book or manuscript does not burn in fire.
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Materialität: Wachstafel – Buchrolle – Codex
Neumagener Schulrelief, Ende des 2.Jhs. (Rheinisches Landesmuseum Trier)
>
https://rlp.museum-digital.de/singleimage.php?imagenr=7684
Der Lehrer zwschen zwei Schülern mit Rollen; ein dritter mit Wachstafel kommt hinzu.
••• Auf Wachstafeln lernen die Kinder schreiben:
Wenn sie aber beginnt, mit unsicherer Hand den Griffel durch das Wachs zu ziehen (trementi manu stilum in cera ducere), soll jemand seine Hand auf die ihre legen und so die zarten Glieder leiten, oder man soll die Grundformen auf der Tafel einschneiden, dass sie in diesen Vertiefungen gefangen ihre Striche zieht und nicht nebenaus fahren kann.
Hieronymus, Epistula 107, 4 ad Laetam de institutione filiae = An Laeta über die Erziehung ihrer Tochter (verfasst ca. 401)
>
http://www.codices.ch/quellentexte.html#0053
>
http://www.unifr.ch/bkv/kapitel3113-4.htm
••• Ein Konzept schrieb man (von der Antike bis ins 15. Jh.) zunächst auf die Wachstafel, mit dem Griffel (stilus), der auf der einen Seite zum Schreiben spitz war, auf der anderen Seite platt, um Geschriebenes wieder zu löschen. Horaz rät den Autoren, den Griffel öfters zu wenden, d.h. den Text nicht gleich zu akzeptieren, sondern zu überarbeiten: saepe stilum vertas (Satiren I, x,80). Die Schreibtechnik wird hier zur Maxime für die Güte des Geschriebenen.
Bild: Peter van der Sluijs auf en.wikipedia
••• Auch für private Briefe wurden Wachstafeln verwendet. Der Liebende bittet die Friseuse seiner Angebeteten: Nimm die Tafel, die sich heute früh schrieb, und bring sie der Herrin! (Accipe et ad dominam peraratas mane tabellas) Ovid, Amores I,xi,7 (tabellam perarare eigentlich: die Wachstafel durchfurchen!) — Die Antwort ist ablehnend; darauf der Liebende: Ihr aber, missliches Holz, Sargbretter, schert euch von dannen, Du auch, Strich für Strich, Weigrung vermeldendes Wachs! usw. (Amores I,xii; Übers. W.Marg / R. Harder)
••• Plinius d.J. nahm Schreibtäfelchen (pugillaria) mit auf die Jagd, damit er, auch wenn er nichts erbeutet habe, doch nicht ohne etwas zurückkomme: Venor aliquando, sed non sine pugillaribus, ut quamvis nihil ceperim non nihil referam. (Epistel IX,36) – Ich saß bei den Netzen, ganz in der Nähe lagen nicht Jagdspieß oder Lanze, sondern Griffel und Notizbüchlein; ich sann über etwas nach und schrieb es mir auf: Ad retia sedebam; erat in proximo non venabulum aut lancea, sed stilus et pugillares; meditabar aliquid enotabamque, ut si manus vacuas, plenas tamen ceras reportarem. (Epistel I,6)
Buchrolle: Das lat. Wort volumen stammt etymologisch ab von volvere (rollen): dasGerollte, dann das Buch. — Die lat. Ausrücke evolvere/evolutio und explicare/explicatio wurden unbildlich für das Auseinanderrollen, Abwickeln von Büchern verwendet; dann übertragen für Prozesse – von ›Evolution‹ und ›explizieren‹ sprechen wir noch heute.
••• Cicero (de finibus I,25): Dir bereitet das Lesen von Dichtern (poetarum evolutio) Freude. – Die Wendung librum usque ad umbilicum revolvere (Seneca d.Ä., Suasoria, 6 am Ende) meint: ein Buch ganz durchlesen (umbilicus ist der Rollenknauf des Stabs in der Mitte des zusammengerollten Buches, um den das Buch gerollt ist; Vgl. Martial IV, 89; Horaz, Epod. 14, 8)
Plastik eines antiken Sarkophags, datiert 260/275. (Man erkennt, dass der Aufrollende das Pergament in der Mitte anfasst und nicht am Rollenstab umbilicus.) Aus: Frederik van der Meer/ Christine Mohrmann / Heinrich Kraft, Bildatlas der frühchristlichen Welt, Gütersloh: G.Mohn 1959; Nr.41
••• Jesus liest am Sabbat in Nazaret in der Synagoge aus einer Buchrolle des Propheten Jesaia (Vg.: revolvit librum) --- und dann rollt er das Buch wieder zusammen (Vg. plicuisset librum). (Lukasevangelium 4,16f.)
Hinweise auf Texte in Codex-Form gibt es bereits in der heidnischen Antike.
••• Martial (40 – 103/104)
Martial (Epigramm I,2) empfiehlt seinen Lesern, seine Texte in einer Miniaturausgabe zu erwerben; mit den breves tabellae, die von einer Außenhaut (membrana) eingezwängt werden, ist wohl ein Codex gemeint:
Qui tecum cupis esse meos ubicumque libellos
et comites longae quaeris habere uiae,
hos eme, quos artat breuibus membrana tabellis:
scrinia da magnis, me manus una capit.
Der du wünschst, meine Büchlein wo nur immer bei dir zu haben, und der du sie als Begleiter auf einem langen Weg zu haben begehrst, kauf diese, die die Haut auf kleine Blättchen zwängt; für große verwende die zylinderförmige Kapsel für Rollen [scrinium], ich passe in éine Hand.
14. Buch, Nr. 186 muss ein Codex gemeint sein:
Quam brevis inmensum cepit membrana Maronem!
Ipsius vultus prima tabella gerit.
Welch kleines Pergament fasst den immensen Vergil! Das erste Blatt zeigt dir seine Gesichtszüge.
Mit Portraits der Autoren versehene Bücher gab es, vgl. Seneca, de tranquillitate animi, ¶ 9: cum imaginibus suis discripta … opera.
Ebenso 14. Buch, Nr. 192, wo von einer Menge aus vielfältig geschichteten Blättern die Rede ist:
Haec tibi multiplici quae structa est massa tabella
carmina Nasonis quinque decem gerit.
••• Wenn Quintilian (35 – 100) dies schreibt, können nur Codices gemeint sein:
Ob man auf Wachstafeln (cerae) oder auf Pergament (membrana) schreibt: Bei beiden Schreibarten sollen gegenüber leere Seiten bleiben, damit man auf ihnen Raum für Zusätze hat: Relinquendae autem in utrolibet genere contra erunt vacuae tabellae, in quibus libera adiciendi sit excursio. (Institutio oratoria X, iii, 31sq.)
••• Der Prophet Esra beim Schreiben vor einem Bücherregal (lat. armarium):
Codex Amiatinus (entstanden um 700), in: Biblioteca Medicea Laurenziana, MS Amiatinus 1; fol. 5r
> https://de.wikipedia.org/wiki/Codex_Amiatinus
Im Bild des Evangelisten Matthäus im Codex Aureus von Canterbury (Mitte des 8. Jhs.) hält sein Attribut, der Engel, einen Codex in der Hand, während der Evangelist eine Buchrolle (mit dem Anfang des Evangeliums Liber generationis [Jesu Christi filii David,…]) hält. — Beiden gemeinsam ist indessen die Tonsur!
Stockholm, Kunglia Bibliothek > http://www.zeno.org/nid/20004167899
Wiederum anders schrieben die Germanen, zumindest gewisse Texte: Inschriften, Kalender.
pag. xxxix: Wie das Volck Stäb für Kalender braucht/ darinn etliche gewisse buochstaben geschrieben seind.
Aus der deutschen Übersetzung von Olaus Magnus, »Historia de Gentis septentrionalibus« 1555: Olaj Magni Historien der mittnächtigen Länder; von allerley Thuon, Wesens, Condition, Sitten, Gebreüchen, Aberglauben, Underweisung, Uebung, Regiment, Narung, Kriegssrüstung, auch allerley Zeüg, Instrumenten, Gebeüwen, Bergwerck, Metall, und andern wunderbarlichen Sachen warhafftige Beschreibung, […] ins Hochteütsch gebracht, und mit Fleiss transferiert, durch Johann Baptisten Ficklern, Basel: Henricpetri 1567.
> http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-27381
Literaturhinweise:
Karl Dziatzko, Untersuchungen über ausgewählte Kapitel des antiken Buchwesens, Leipzig 1900.
Theodor Birt, Die Buchrolle in der Kunst. Archäologisch-antiquarische Untersuchungen zum antiken Buchwesen, Leipzig: Teubner 1907. > https://archive.org/details/diebuchrolleinde00birt/page/n4
C. H. Roberts, The Codex, in: Proc. Brit. Acad. 40 (1954), 169–204. — Colin Henderson Roberts / Theodore Cressy Skeat, The birth of the codex, Oxford University Press 1983.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kodex#Die_Verdrängung_der_Rolle_durch_den_Kodex
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Buchdruckermarken
Während Schreibstuben in Klöstern Bücher nach Bedarf kopierten, konnte man mit dem Buchdruck Bücher auf Vorrat produzieren; auch gab es bald mehrere Buchdrucker, d.h.: Es entstand ein Markt, und damit Konkurrenz und das Bedürfnis, die eigenen Erzeugnisse als solche hervorzuheben. Das konnte unterstützt werden mit einem einprägsamen graphischen Zeichen. (Hier mehr zum Thema Buchdruckermarken.)
••• Die Buchdruckermarke von Jodocus Badius / Josse Bade (1461/1462 – 1535) zeigt rechts einen Setzer mit der an einem Stab befestigten Vorlage, Setzkasten und in der Hand den Winkelhaken – links eine Druckerpresse mit der Aufschrift Prelum Ascensianum (prelum = die Presse, die Kelter; ascensianus, weil Bade von Assche in Brabant gebürtig ist):
Fratris Hieronymi Sauonarole de Ferrariis ordinis predicatorum expositio in psalmos Miserere mei deus, Paris: Josse Bade 1513.
> http://www.bvh.univ-tours.fr/Consult/index.asp?numfiche=329
Andere Ausgabe > http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11119242-8
••• Hübsch ist die Druckermarke mit der jungen Frau aus Dordrecht (virgo dordracena) mit dem lateinischen Wortspiel libros non liberos pariens (Bücher, nicht Kinder gebärend):
Ioh. van Beverwerck, Schat der gesontheyt, Met verssen verçiert door Herr Iacob Cats, Tot Dordrecht, Voor Mathias Havius. Gedruckt by Hendrick van Esch, 1636
> https://archive.org/details/schatdergesonthe00beve/page/n4
’SWERELTS BEGIN, MIDDEN, EYNDE, BESLOTEN IN DEN TROU-RINGH, MET DEN PROEF-STEEN VAN DEN SELVEN. door I. CATS. Tot Dordrecht, Voor Mathias Havius. Gedruckt by Hendrick van Esch, Dordrecht 1637.
>
https://archive.org/details/ned-kbn-all-00001617-001/page/n13
>>> Hier draufklicken, um die Virgo Dordacena im (postumen) Buch Alle de wercken, soo Oude als Nieuwe, van den Heer Jacob Cats […] T’Amsterdem by Van den Dalen [u.a.] 1700 (in neuem Fenster) zu sehen.
••• Dass aus Bücher Florierendes hervorsprießt, das symbolisierte die Druckermarke der »Vereinigung Oltener Bücherfreunde« (seit 1936 erschienen). — Die Druckermarke des Verlags Sauerländer (Aarau) mag davon inspiriert sein:
Und der bedeutende Barockforscher Gerhard Dünnhaupt verwendete das Motiv als ExLibris [etliche seiner Bücher waren 1996 antiquarisch zu bekommen]:
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Titelblätter (Frontispizien) von Büchern
Während Schreibstuben in Klöstern Bücher nach Bedarf kopierten, konnte man mit dem Buchdruck Bücher auf Vorrat produzieren; auch gab es bald mehrere Buchdrucker/Verleger, d.h.: Es entstand ein Markt, und damit Konkurrenz und das Bedürfnis, die eigenen Erzeugnisse als solche hervorzuheben. Das konnte unterstützt werden mit einem einprägsamen Titelblatt, das als Blickfang fungierte.
Hier als Beispiel das noch in der Tradition der Handschriften stehende Titelblatt einer Inkunabel (1491):
Liber de proprietatibus rerum editus a fratre Bartholomeo anglico ordinis fratrum minorum. Impressus Argentine Anno domini M.cccc.xcj.
Dann werden die Titelbilder gleichsam Aushängeschilder für den Inhalt des Buches, die den Leser zum Aufschlagen (oder kaufen!) animieren sollen. Ein Beispiel:
[Typograph. Titel:] Historia Antipodum oder Newe Welt Vnd Americanische Historien. Inhaltende Warhafftige vnd volkommene Beschreibungen Aller West-Indianischen Landschafften/ Insulen/ Königreichen vnd Provintzien/ Seecusten/ fliessenden und stehenden Wassern […] durch Johann Ludwig Gottfried, Franckfurt am Meyn: Merian 1631.
> https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/52277/5/0/
(Vgl. auch die Website zu Titelbildern von Enzyklopädien hier.)
Romy Günthart schreibt zu Titelblättern bei der Gattung Fabeln: Bücher spielen in Fabeln kaum eine Rolle. Die Handlungsträger der typischen Fabelerzählung können zwar reden, denken und handeln wie Menschen, sie bewegen sich aber in der Regel in ihrer natürlichen Umgebung und zu dieser gehören keine Bücher. Ganz anderes dagegen die Titelblätter der Fabelsammlungen, die seit dem Beginn des Buchdrucks in grosser Zahl überliefert sind. Auf ihnen sind immer wieder Bücher abgebildet, und die Titel der Sammlungen verweisen in ihrer Metaphorik auf die unterschiedlichen Aspekte der Nutzanwendung der Texte für die Menschen, die sie lesen und daraus lernen.
Phaedri, Augusti Caesaris liberti, Fabularum Aesopiarum libri quinque; notis perpetuis illustrati, & cum integris aliorum observationibvs. In lucem edidi a Johanne Laurentio, Amstelodami: Apud Johannem Janssonium à Waesberge & viduam Elizei Weyerstraet 1667.
> https://archive.org/details/phaedriaugustica00phae/page/n7/mode/2up
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Büchergeschenke
Ein Buch schenken war in der vormodernen Kultur eine soziale Handlung: ein Gabentausch (vgl. Marcel Mauss, Essai sur le Don. Forme et Raison de l’Échange dans les Sociétés Archaïques, 1923/24). Ein Beispiel aus karolingischer Zeit:
Karl der Große († 814) schenkte auf der Durchreise nach Rom im Jahr 800 dem Bischof Egino von Konstanz eine Vollbibel, einen Codex mit der Revision des Bibeltexts durch Theodulf von Orléans († 821), den theologischen Berater Karls, der ihn auf der Reise begleitete. – Solche einbändige Vollbibeln umfassten bis über 400 Pergamentblätter im Format 55 x 40 cm, mehrspaltig mit 50 Zeilen. Sie dienten wohl kaum zur Bibellektüre, sondern als Monument, das besagte: Dies ist die einheitlich inspirierte Heilige Schrift. Im Kloster Saint-Martin in Tours wurden damals jährlich zwei solcher Codices hergestellt. – Die Schenkung war eine diplomatische Geste, um mit bischöflicher Erlaubnis das Kloster in Zürich kirchenrechtlich in eine Kanonikergemeinschaft (ein königliches Chorherrenstift; die Kleriker befolgten die Chorherrenregel des Bischofs Chrodegang von Metz) zu überführen. (Der Codex befindet sich heute in der Dombibliothek Konstanz mit der Signatur WLB, HB II 16 > http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz353338028).
Maria Wittmer-Butsch, Zwei Theodulf-Bibeln aus der Konstanzer Dombibliothek. Frühmittelalterliche Belege für karolingische Herrscherreisen nach Italien, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 137. Heft (Thorbecke-Verlag 2019), S. 243–263.
Gelehrte, Politiker, Händler, Flüchtlinge und Diplomaten schenkten der Stadtbibliothek Zürich anlässlich von Berförderungen oder beim Erlangen des Bürgerrechts und ähnlichen Gelegenheiten Bücher. Die Donatoren wurden mit einem Eintrag im Donatorenbuch verewigt.
Die elektronische Edition des Donatorenbuchs (1629–1772) (besorgt von Christian Scheidegger) ist bei e-manuscripta online. Dabei handelt es sich nicht einfach um ein Digitalisat: Die elektronische Edition enthält biographische Angaben zu den Donatoren, die geschenkten Titel sind bibliographisch identifiziert und die überlieferten Exemplare sind mit dem aktuellen Standort nachgewiesen. Namen, Titel und Signaturen der Zentralbibliothek Zürich sind im Volltext recherchierbar (Suchfeld rechts über dem Editionsteil).
http://doi.org/10.7891/e-manuscripta-45784
Die beiden Figuren auf dem Titelblatt:
links Fortitudo mit gebrochener Säule
rechts Prudentia mit Spiegel und Schlange.
Christian Scheidegger, Das Donatorenbuch der Stadtbibliothek Zürich, in: Librarium 60/1 (2017), S. 2–22.
Hier online einsehbar.
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Bibliothek
Eine Bibliothek ist mehr als eine Ansammlung der dort verwahrten Bücher.
••• Claustrum sine armario quasi castrum sine armamentario (Ein Kloster ohne Bibliothek ist wie eine Burg ohne Rüstkammer.
Dieser Satz – meist ohne Quellenangabe zitiert – steht in einem Brief von Geoffroy (Gaufridus, Gaufredus) de Breteuil († 1194); Epistola XVIII (Migne, PL 205, 845A) als Argument, um einen "Sponsor" für eine zum Verkauf stehende Bibliothek zu gewinnen. Die Fortsetzung ist gespickt mit Waffenallegorien (vgl. Epheserbrief 6,11–20):
ipsum armarium nostrum est armamentarium. Inde ad impugnandos hostes proferimus divinae legis sententias, quasi sagittas acutas. Inde assumimus loricam justitiae, salutis galeam, scutum fidei, gladium spiritus, quod est verbum Dei. Agite ergo, ne in vestrae munitionis armamentario desit ipsius munitionis summa munitio. Munitio ista est sacrae bibliothecae eruditio, in qua est vitae et morum laudabilis institutio.
Hubert Silvestre, A propos du dicton "Claustrum sine armario, quasi castrum sine armamentario", in Mediaeval Studies 26 (1964), pp. 351–353.
Ein Reflex findet sich im »Philobiblon« von Richard de Bury (1344). Das 16. Kapitel beginnt so:
Wie es für den Staat notwendig ist, die Krieger mit Waffen von Vulkans Esse zu versehen und Berge von Lebensmitteln bereitzustellen, so ist es sicher der Mühe wert, die Kirche, die gegen die Angriffe der Heiden und Ketzer kämpft, mit Büchern von richtigem Verstande wohl auszurüsten.
> http://www.thelatinlibrary.com/debury.html#cap16
••• Hieronymus († 420), Brief 60, An Heliodor: Nachruf auf Nepotian
Durch fleißige Lesung und tägliche Betrachtung machte er aus seinem Herzen eine Bibliothek Christi.
>
http://www.unifr.ch/bkv/kapitel3312-10.htm
••• ΨΥΧΗΣ ΙΑΤΡΕΙΟΝ (›Heilstätte der Seele‹):
•
Alte Uberschrifft einer Bibliothec/ so Ptolomæus Philadelphus gebraucht. Die Bibliothec ist eine Apothec und zubereitung aller und ieder Arzeney/ und ein rechtes mittel zur gesundheit der Seelen.
Auf dem Neujahrsblatt Der lehr- und Ehrliebenden Jugend in Zürich/ ab der Burgerbücherey daselbsten/ für das 1661.jahr/ verehrt.
• Inschrift auf der Kartusche des Türsturzes am Eingang zur Stiftsbibliothek St.Gallen (errichtet 1758–67)
• Friedrich von Logau (1605–1655):
Bücher-Zimmer
Hier ist ein Apothecke, darinnen rechte Sinnen
Sich an Gesundheit bessern, für Kranckheit fristen künnen.
Salomons von Golaw Deutscher Sinn=Getichte Drei Tausend, Breßlaw: Caspar Kloßmann [1654]; Deß dritten Tausend achtes Hundert; Nr. 80.
• Johann Amos Comenius (1592–1670), Labyrint světa a ráj srdce, Amsterdam 1631:
Das Buch ist angelegt als eine utopische Lebensreise. Der Held wandert durch die Welt und sieht allerlei Torheiten. Eingelagert sind satirische Allegorien wie die folgende:
Bei den Gelehrten gelangt er auch in einen Saal, der voller Regale mit Schachteln und Büchsen starrt. Er glaubt in einer Apotheke zu sein, und sein Begleiter bestätigt: "eine Apotheke, in der die Arzneien wieder die Krankheiten der Seele aufbewahrt werden, doch heißt sie eigentlich Bibliothek." – Zuerst betrachtet er die dort tätigen Gelehrten. Viele stürzen sich begierig auf alles, was ihnen in die Hände kommt, werden dadurch aber nicht feister oder gesünder; andere staffieren die Bücher nur mit schönen Futteralen aus, ohne sie zu lesen.
"In was für eine seltsame Apotheke sind wir denn da geraten?" fragte ich. "eine Apotheke", entgegnete er mir, "in der die Arzneien wider die Krankheiten der Seele aufbewahrt werden, doch heißt sie eigentlich Bibliothek. Sieh nur, welch unermessliche Schätze der Weisheit hier aufgestapelt sind!"
Wie wir nun wieder den Saal [gemeint ist die Bibliohek] betraten, sah ich die Zahl jener Arzneibehälter überall in rascher Zunahme begriffen und bemerkte, als ich mich nach dem Orte umsah, von wo der Zuwachs käme, einen abgesonderten Raum, aus welchem man die Büchsen brachte. In diesem Raum saßen Drechsler, die einander in edlem Wetteifer zu übertreffen suchten, Büchsen aus Holz, aus Elfenbein und anderen Stoffen höchst kunstvoll herzustellen, mit Salben und Arzneien zu füllen und zum allgemeinen Gebrauche aufzustellen. "Das sind", erklärte mir mein Begleiter, "die trefflichen und ehrenwerten Männer, die ihren Mitmenschen den größten Dienst erweisen, indem sie keine Müh und Plage scheuen, die Wissenschaften und die Künste zu verbreiten und ihre vorzüglichen Gaben anderen mitzuteilen."
Ich verspürte Lust zu untersuchen, woraus denn das, was er die Gaben der Weisheit nannte, gemacht und zubereitet war. Da sah ich einen oder zwei Menschen, die wohlriechende Kräuter und Gewürzpflanzen sammelten, zerschnitten, verrieben, kochten, destillierten und daraus Theriak, Latwerge, Sirup und andere heilsame Arzneien bereiteten; dagegen leerten andere und solcher gab es Hunderte, fremde Gefäße aus und füllten die eigenen damit. "Sie füllen ja nur um", bemerkte ich; mein Begleiter aber meinte, daß man auch so das Wissen mehre; "denn", sagte er, "kann denn nicht ein und dieselbe Sache auf verschiedene Weise zubereitet sein? Man kann auch zu dem schon Vorhandenen stets etwas Neues hinzufügen und es so vervollkommnen." – "Oder verderben", ergänzte ich empört darüber, daß man hier Betrug verübte. Denn mancher griff nach einer fremden Büchse, um mehrere der eigenen damit zu füllen, indem er ihren Inhalt selbst mit Spülwasser möglichst verdünnte oder durch Beimischung von irgend einer Sudelei, sogar von Abfällen und Kehricht, verdickte, nur um eine wenn auch scheinbar neue Mischung herzustellen.
Dann klebten sie darauf weit prunkvollere Titel, als jene ehedem hatten, und priesen nun in unverschämter Weise genau wie Quacksalber ihre Erzeugnisse an. Ich aber wunderte und ärgerte mich sehr darüber, daß, wie ich schon bemerkte, selten jemand sich die Mühe gab, den inneren Gehalt zu prüfen; und die meisten alles unbesehen und unterschiedslos hinnahmen: und wenn auch einer eine Wahl traf, so sah er doch nur auf die äußere Ausstattung und auf den Titel.
Ich begriff, warum so wenige Menschen sich die Frische ihres Geistes erhielten und warum sie desto mehr erbrechen mußten und welk und siech wurden, je mehr sie von diesen Arzneien verschlangen. Ich will ganz davon schweigen, daß manche zur Bereitung ihrer Salben geradezu giftige Stoffe verwendeten, so daß fast ebenso viele Gifte als Arzneien auf den Markt gelangten; dieser Übelstand ging mir sehr nahe, doch niemand fand sich, der diesem Unfug hätte steuern wollen.
(zitiert nach der Übersetzung von Zdenko Baudnik, Prag 1955; neu hg. von Erhard Müller Weimar: Kiepenheuer 1958, S. 73ff.)
Ältere Übersetzung: Übergang aus dem Labyrinth der Welt in das Paradis des Hertzens, so ehemals Johann Amos Comenius in böhmischer Sprache beschrieben. Nun aber von e. Liebhaber der Comenischen Schriften, um d. Gleichheit willen mit seinem Tract. Centrum securitatis, oder Grund d. Sicherheit, ins Deutsche übers., Leipzig: Walther 1738.
••• Die Philosophie spricht zu Boethius (um 480 – 524):
Ich suche lieber als die mit Elfenbein und Kristall geschmückten Wände deiner Bibliothek den Sitz deines Geistes (tuae mentis sedem) auf; dort habe ich einstmals nicht Bücher, sondern, was Büchern erst Wert verleiht: den Sinn meiner Bücher niedergelegt. (Boethius, Consolatio, 1. Buch, prosa 5)
••• Auszüge aus einem Isidor von Sevilla († 636) zugeschriebenen Gedicht:
Es gibt hier manches Heilige, manches Weltliche;
wenn (dir) davon einige Gedichte gefallen, so nimm sie und lies!
Gefilde erblickst du voll von Dornen und von der Fülle der Blüten;
willst du nicht die Dornen nehmen, so nimm die Rosen.
[…]
Wohlan, diese unsere Schreine bergen viele Bücher;
der du Verlangen hast, nimm und lies, wenn du Lust hast.
Verbanne hier deine Indolenz, leg ab die Blasiertheit;
(Tolle hic segnitiem, pone fastidia mentis.)
glaube mir, mein Bruder, du kehrst gelehrter von hier zurück.
Aber du sagst vielleicht: »Wozu ist mir das alles noch nötig (zu lesen),
da ich mir (eben) überlege, daß mir nichts mehr zu studieren übrig bleibt;
ich habe alle Bücher der Geschichte erledigt, ich bin alles, was zum Gesetz gehört, durchgegangen.«
Wirklich, wenn du das behauptest, so bist du nicht bei Verstande!
(Vere hoc si dicis, iam nihil ipse sapis).
(PL 83, 1107C; übers. Ch. H. Beeson)
••• Was eine Klosterbibliothek im letzten Viertel des 9.Jahrhunderts enthielt und wie sie entstand und verbessert wurde, ersieht man aus drei Bücherlisten in Ratperts »Casus Sancti Galli«, Cap. 9 [¶ 26; 29; 30]; hier aus dem Codex Sangallensis 614 die Seite 127:
Ratpert, St. Galler Klostergeschichten (Casus sancti Galli), hg. und übers. von Hannes Steiner, Hannover 2002 (MGH Script. Rer. Germ. LXXV) mit Nachweis der Sankt Galler Codices und Identifikation der Werke; vgl. den Kommentar S. 56–66 und das Register S.248–252.
••• Die Bibliothek des Beatus Rhenanus ist die einzige größere Humanistenbibliothek, die praktisch vollständig als Ganzes erhalten ist. Beatus Rhenanus lègue à sa mort, en juillet 1547, sa bibliothèque à sa ville natale (Sélestat/Schlettstadt im Elsass). Elle est constituée de 423 volumes, contenant 1 287 œuvres et 41 manuscrits répartis dans divers recueils, auxquels il faut ajouter 33 manuscrits anciens et 255 lettres autographes.
••• Bibliothecæ Lugduno-Bataviæ cum pulpitis et arcis vera ixnographia, Leiden 1610, gezeichnet von J.C. van ’t Woudt:
> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1870-1008-2949
vgl. auch den späteren kolorierten Druck hier
Untergebracht ist die Bibliothek in einem verlassenen Kloster; die Bücher sind nach Rubriken geordnet (die Gestelle sind für den Bildbetrachter angeschrieben); die Bücher sind angekettet; Hunde hatten offenbar Zugang....
••• Eberhard Guarnerius Happel stellt in seinen ›Grössesten Denkwürdigkeiten‹ (Band 2, 1685) verschiedene Bibliotheken vor, darunter – mit zweiseitigem Bild – Die Keÿserliche Bibliothec (in Wien); er zitiert den englischen Reiseschriftsteller Edward Brown, An account of several travels through a great part of Germany 1677 (wo sich dieses Bild aber noch nicht findet).
E. G. Happelii grössester Denkwürdigkeiten der Welt Oder so genannte Relationes Curiosæ. Worinnen dargestellet/ außgeführet und erklähret werden Die Denckwürdigste Seltzamkeiten/ So da in Historien, natürlichen Wundern/ am Himmel/ auff und in der Erden/ wie auch in und unter dem Meer zu finden seyn. Anderer Theil. Einem jeden curieusen Liebhaber zu gut auffgesetzet/ in Druck verfärtiget/ und mit vielen Figuren erläutert, Hamburg: von Wiering, 1685.
> https://archive.org/stream/imageGIX360bMiscellaneaOpal#page/n363/mode/2up
••• Alles über eine Bibliothek des 17. Jhs. steht bei Claude Clément, S.J. (1596–1642), Mvsei, sive bibliothecae tam priuatae quam publicae extructio, instructio, cura, vsus: libri IV, Lugduni 1635.
> https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/clement1635/0009
> https://hdl.handle.net/2027/uiuo.ark:/13960/t9k36kc57
••• 1940–43 wurden diese Bibliotheks-Einbauten in der Zürcher Wasserkirche (als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) unter Stadtbaumeister Hermann Herter abgerissen. Am Ende hieß es, die Kirche sei »als spätgotische Raumschöpfung wiedererstanden«. Von heute aus gesehen ist es eine der verheerendsten Dummheiten, die Zürich baugeschichtlich begangen hat.
Aquatinta aus: Salomon Vögelin, Geschichte der Wasserkirche und der Stadtbibliothek in Zürich, Zürich 1848.
>
http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-54968
Zur Geschichte dieser Bibliothek:
Als Pendant zur Bibliothek des Chorherrenstifts, die primär nur deren Mitgliedern zur Verfügung stand, gründeten vier junge Zürcher ›Patrizier‹ (alle mit Jahrgang 1605/06/07) 1629 die Bürgerbibliothek, die allen Stadtbürgern offenstand. Eine lateinisch/deutsche Schrift von 112 Seiten legte Gönnern eine Beteiligung am Aufbau der Bibliothek nahe. Ein wichtiges Argument für die Errichtung einer Bibliothek im protestantischen Zürich ist die Bedrohung durch die Papisten – erwähnt wird eine Ausgabe des »Index verborum prohibitorum« aus dem Jahr 1592.
Der Verfasser des vor Gelehrsamkeit strotzenden Texts ist Johann Heinrich Ulrich (1575–1630), Chorherr und Professor für Griechisch am Carolinum. Das Unternehmen gedieh. Die Bibliothek war zunächst in privaten Wohnungen untergebracht; und schon 1634 wurde die Bibliothek in der Wasserkirche eingerichtet.
Daraus S.13: Das Bücherwesen ist ein treffenlicher haußrath. […] Dann diß widerstrebt vnd widersetzt sich nit/ schlegt vnnd balget nicht/ ist nicht verkippet/ nicht verfressen/ nicht halsstarrig. So man diß gsind (Bücher) heisset reden/ so redens/ heisset man sie schweigen/ so schweigens: wartend gneigt vnnd breit auff allen vnnd jeden befelch/ von denen man anders nicht dann was vnnd wie viel einer begehrt/ hört vnnd vernimbt/ vnnd kombt einer al zeit von jhnen gschickter dann er zu vor gewesen.
Bibliotheca nova Tigurinorum publico-privata selectiorum vararium linguarum, artium & scientiarum librorum […] Das ist Newe Bibliothec, welche gmein und eigen einer ehrlichen Burgerschafft der loblichen Statt Zürych. Der besten unnd ausserleßnisten Büchern Von allerhand gattung notw. Sprachen vnd freyen Künsten angestelt vnd zusamm gebracht. Auß freyer Steuer vnd ehren Vergabungen guter Herren […] dem gemeinen Studierwesen zu Diensten […] M.DC.XXIX.
> https://doi.org/10.3931/e-rara-10723
Ein Besucher der Stadt, Balthasar Venator (1594–1664), schreib 1643 ein Lobgedicht auf die Bürgerbibliothek, darin die Verse:
Haec quoties monumenta sequens mirabitur aetas,
talesque a tali munere noscet avos.
Wie oft wird die künftige Generation dieses Denkmal bewundern, wird die bedeutenden Vorfahren an diesem Werk erkennen!
Text und deutsche Übersetzung von Werner Zender in: Turicensia Latina. Lateinische Texte zur Geschichte Zürichs aus Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Hg. von Peter Stotz u.a., Zürich: NZZ-Verlag 2003, S. 258–263.
••• Exlibris von Zacharias Conrad von Uffenbach (1683–1734) (Kupfer von Joh. Ulrich Krauss):
Das Motto NON OMNIBUS IDEM EST QUOD PLACET ist entnommen einem Petronius-Fragment:
Inveniat [Lesart: inveniet], quod quisque velit. Non omnibus unum est, Quod placet. Hic spinas colligit, ille rosas.
≈ Jeder wird / möge finden, was er wünscht. Es gibt nichts, was allen gefällt. Der eine sammelt Dornen, der andere Rosen.
> https://archive.org/details/poetaelatinimino34baeh/page/88/mode/1up
••• Die Bibliothek von Dr. med. Chistoph Jacob Trew (1695–1769):
Aus: Emil Reicke, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Leipzig: Diederichs 1900; Abb. 119.
••• Der Brand der Bibliothek von Alexandria; hier ein Reflex in der Schedelschen Weltchronik (1493):
In Egypten wardt die allernamhaftigst librarey mit. xl. tausend büechern verprennt. vnd da bes der emmsyg fleiß der alten samlung der büecher gelobt. dann Aristoteles hat Theophrasto die librarey vnd die schuel gelaßen. vnnd ist (als Strabo maynnt) der erst sammler der büecher gewest. der die konig Egypti die ordnung der librarey geleret hat. darnach hat Theoprastus dieselben librarey Neleo vberantwurt vnd Neleus die fürter gein Sceptsym zu vngenieten vnerfarnen lewten gefueret. die sie versloßen hielten.
> https://de.wikisource.org/wiki/Die_Schedelsche_Weltchronik_%28deutsch%29:093
Luciano Canfora, Die Verschwundene Bibliothek. Das Wissen der Welt und der Brand von Alexandria, Rotbuch-Taschenbuch 1104, Hamburg 1998. [italienische Erstausgabe: Palermo 1986]
••• Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) kopierte das berühmte Bild des Bibliothekars von Arcimboldo (um 1526–1593):
Frauenzimmer Gesprechspiele, so bey Ehr- und Tugendliebenden Gesellschaften ... beliebet und geübet werden mögen/ aus italiänischen, frantzösischen und spanischen Scribenten angewiesen / ... durch einen Mitgenossen der Fruchtbringenden Gesellschaft. Theil 2, Nürnberg: Endter 1642. — Frontispiz zum Teil Das Schauspiel Teutscher Sprichwörter.
Harsdörffer setzt dazu ein Paar (ironische?) Verse, Das Verbücherte Titulbildnis erklärend. Er habe spielweiß ein Bild Von Bücherangehör erbaut.
So merck der Lippen Wachs/ das Ohrband ohne Degen/
Den Fleder-kehrwisch-bart */ der Augen Schlüsselöhr **/
Und wie dem guten Mann die Bücher angelegen.
*) zum Flederwisch vgl. das Bild bei Sebastian Brant
**) Schlüssel-Öhr: Der ring-förmige Griff des Schlüssels; taugt der als Brille?
Sind die Leib und Gewand bildenden Bücher unten diejenigen Bücher, aus denen H. das Schauspiel Teutscher Sprichwörter exzerpiert hat, welches den Kopfputz bildet? Ein Buchrücken ist angeschrieben C. Lehman; das wird sich beziehen auf die Sprichwortsammlung von Christoph Lehmann, Florilegium Politicum, 1630.
••• [Joseph Richter 1749–1813] Bildergalerie weltlicher Misbräuche. Von Pater Hilarion, Exkapuzinern, Frankfurt und Leipzig 1785
> Reprint: Bibliophile Taschenbücher Nr.8, Dortmund 1977.
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00075011/image_6
Sind nun einmal diese Festungswerke der Gelehrsamkeit aufgeführt, so legt man sich, da man keinen Feind von aussen zu befürchten hat, mit seiner Unwissenheit hinter diesem Bollwerk zur Ruhe. Wie sollen auch Leute, die nach der gemeinen Art zu reden ausstudiert haben, sich weiter den Kopf mit studieren zerbrechen? (S.154)
Endlich soll ich doch auch ein Wort über die Bibliothecken der Damen sagen; die Gelehrten werden freilich nicht begreiffen können, wie sich Damen und Bücher zusammen schicken; indessen giebt es doch nicht leicht eine Dame, die nicht eine kleine Handbibliotheck hätte. Ja es ist so weit mit der weiblichen Lecktüre gekommen, daß nun so gar die Bürgerstöchter sich ganz artige Büchersammlungen anlegen, und sich, bis der Kaffe siedet, wohl auch am Herd die Zeit mit einem Roman verkürzen. (S.161)
••• Robert Musil, »Der Mann ohne Eigenschaften«, 100. Kapitel: General Stumm … sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige Ordnung
Es ist das Geheimnis aller guten Bibliothekare, daß sie von der ihnen anvertrauten Literatur niemals mehr als die Büchertitel und das Inhaltsverzeichnis lesen. ›Wer sich auf den Inhalt einläßt, ist als Bibliothekar verloren!‹ hat er mich belehrt. ›Er wird niemals einen Überblick gewinnen!‹
Ich frage ihn atemlos: ›Sie lesen also niemals eines von den Büchern?‹
›Nie; mit Ausnahme der Kataloge.‹
Der ganze Text hier
••• Arthur Schopenhauer, »Parerga und Paralipomena«, 2. Band (1851), Kapitel XXIV, § 293:
Wie die Schichten der Erde die lebenden Wesen vergangener Epochen reihenweise aufbewahren; so bewahren die Bretter der Bibliotheken reihenweise die vergangenen Irrthümer und deren Darlegungen, welche, wie jene Ersteren, zu ihrer Zeit, sehr lebendig waren und viel Lerm machten, jetzt aber starr und versteinert dastehn, wo nur noch der litterarische Paläontologe sie betrachtet.
Mehr dazu hier.
••• Adolf von Harnack, aus der Ansprache bei der Übernahme der Generalverwaltung der Königlichen Bibliothek am 2.Oktober 1905:
Man darf aber die Pflege der Bibliotheken mit der Pflege des Waldes vergleichen. Die Sünden und Vernachlässigungen rächen sich erst an den Kindern und Enkeln; daher auch umgekehrt: die Kinder und Enkel werden den Schatten der Bäume preisen, die wir gepflanzt haben. Es genügt nicht, den alten Bestand zu erhalten und für die nächsten Zwecke zu vermehren; es gilt auch hier, aufzuforsten und neue Gebiete zu gewinnen.
Eine Bibliothek ohne Katalog ist nahezu nutzlos.
Beispiel einer erweiterbaren Liste aus dem Kloster Einsiedeln (Foto PM):
1775 wurde Abbé François Rozier beauftragt, ein Register der Bibliothèque Royale zu erstellen; 1791 Gaspard-Michel Le Blond eines von ganz Frankreich. Damit die Aufnahmen der verschiedenen Bibliotheken dann in Paris zusammengetragen werden konnten, bediente man sich normaler (abgenutzter) Spielkarten (cartes à jouer), die mehr oder weniger genormt und auf der Hinterseite leer waren.
Vgl. Markus Krajewski, Zettelwirtschaft, Die Geburt der Kartei aus dem Geiste der Bibliothek, Kulturverlag Kadmos Berlin 2002; 2.Aufl. > https://de.wikipedia.org/wiki/Bibliothekskatalog
An der Weltausstellung in Paris 1855 wird ein Nouveau Système de Catalogue vorgestellt. La boîte à catalogue – un ingéniuex mécanisme – eine kleine Erfindung, die geeignet sei, das Kulturgut vor dem Vergessen zu bewahren. Die Erfindung besteht darin, dass die Karten an der Unterseite mit einem Loch versehen und von einem Bolzen zusammengehalten wurden, so dass sie nicht aus dem Kasten herausfallen oder umgestellt werden und doch gut sichtbar durchgeblättert werden konnten. Genial! Und hübsch die Idee, den Katalogkästen die Form eines Buches im Folioformat zu geben:
Le Magasin Pittoresque, 24 (1856), p. 135–136.
Karteikasten der Zentralbibliothek Zürich. Die Idee mit den gelochten Karten am Bolzen hat sich bewährt. (Foto PM anno 2013):
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Das Alphabet und seine Bedeutung
•••• Buchstaben-Symbolik (Kabbala, Tarot u.a.m.); hier nur wenige Hinweise; vgl. das umfängliche Buch von F.Dornseiff !
- So wie das hebräische Alphabet 22 Buchstaben hat, so hat die Bibel 22 Bücher – unveränderlich:
Denn bei uns gibt es keine Unzahl voneinander abweichender und sich gegenseitig widersprechender Bücher, sondern nur zweiundzwanzig, welche die gesamte Vergangenheit schildern und mit Recht als göttlich angesehen werden. […] In den vielen Jahrhunderten, die seit Abfassung der erwähnten Bücher verstrichen sind, hat noch niemand sich erdreistet, Zusätze im Text anzubringen oder Verstümmelungen und sonstige Änderungen daran vorzunehmen. Flavius Josephus, Gegen Apion (um 102 u.Z. verfasst) 38 (8.)
Übersetzung von Heinrich Clementz > https://de.wikisource.org/wiki/Gegen_Apion/Buch_1
- Gematrie: Weil im Hebräischen und Griechischen die Zahlen mit Buchstabenzeichen geschrieben wurden, kann man diese durch einander ersetzen, und daraus Interpretationen ersinnen.
> Artikel in der Wikipedia u.v.a.
In der Apokalypse (13,18) wird als Zahl des drachengestaltigen Tieres 666 genannt. Seit vielen Generationen rätselt man, welche Buchstaben mit dieser Summe gemeint sind, mithin welche Person als der Antichrist gilt. (Hübsch ist die Deutung: das World Wide Web, weil der hebr. Buchstabe Waw den Zahlwert 6 hat …)
- Die Reihenfolge des Alphabets (α — ω) wird zur Deutung verwendet:
Die göttliche Stimme spricht zum Seher Johannes (Apokalypse 1,8 und 22,13): Ich bin das Alpha und Omega, der Erste und der Letzte, Anfang und Ende; d.h. Gott ist all-umfassend (vgl. Jes. 44,6; 48,12)
- Der Name des Buchstabens wird gedeutet. Hebräisch א alef bedeutet auch "Rind"; ב bet "Haus"; ﬠ ajin "Auge" usw.
- Die Form des Buchstabens wird gedeutet:
— Das "pythagoreische" Y steht für die Entscheidung, welchen Weg man gehen soll (Herakles am Scheideweg).
Ausschnitt aus Sebastian Brant, »Narrenschiff« (Nr. 107)
— Der Buchstabe taw sah in der älteren hebr. Schrift so aus wie ein Kreuz: ✕. So ist verständlich, dass die Stelle Ezechiel 9,4 (Zeichne ein Taw auf die Stirn derer, die seufzen ob all der Greuel...) auf diejenigen bezogen wurde, die sich zum Kreuz Jesu bekennen. Hugo Rahner, Das mystische Tau, in: ders., Symbole der Kirche, Salzburg: Otto Müller 1964; S. 406–431.
- Chronogramme sind (meist sinnige, lateinische) Sprüche, welche die Buchstaben M, D, C, L, X, V, I enthalten, die als römische Zahlen gelesen werden und zusammenzählt ein Datum ergeben.
> Artikel mit Beispielen in der Wikipedia.
Auf dem Titel dieses Buchs P. Ovid Nasonis XV. Metamorphoseon librorum figurae elegantissime, a Crispiniano Passaeo laminisaeneis incisae, Köln: C. de Passe / Arnheim: Jannson anno #### ist die Jahreszahl als Chronogramm realisiert:
aVrea MeDIoCrItas
(›Der goldene Mittelweg‹, Zitat aus Horaz, Oden, II,x,5). — Wann wurde es gedruckt?
- Symbolik der typographischen Formen. Im Buchdruck war es üblich, dass die lateinischen Texte in Antiqua gesetzt wurden, dagegen die deutschen in Fraktur; dies auch innerhalb desselben Buchs.
- Albert Kapr, Fraktur. Form und Geschichte der gebrochenen Schiften, Mainz: Hermann Schmidt 1993.
- Vgl. die Website von Wolfgang Beinert > www.typolexikon.de/fraktur-schrift/
•• In der 1545 gedruckten Luther-Bibel werden die beiden Schrifttypen anders verwendet. Georg Dörer schreibt dort im am Ende des Buchs:
[…] so offt eine newe Historien / Straffe oder Trostpredigt Ermanung / Wunderzeichen etc. angehet / Jst am anfang derselben / ein grosser Buchstab gesetzt. [… Es] sind die zweierley Buchstaben / der ABC vnd der ABC gestalt / gesetzt / dem vnerfaren Leser vnterscheid anzuzeigen / Das wo dieser ABC [in Fraktur] stehen / die Schrifft rede von gnade / trost etc. Die andern ABC [in Antiqua] von zorn / straffe etc.
Ein Beispiel: 1. Chronik XIIII [andere Zählung Kap. 15]:
ALso versamlet Dauid das gantz Jsrael von Sihor Egypti an. ... Dauid aber vnd das gantze Jsrael spieleten fur Gott her / aus gantzer macht / mit Lieden / mit Harffen / mit Psalter / mit Paucken / mit Cimbeln /vnd mit Posaunen.
DA sie aber kamen auff den platz Chidon / recket Vsa seine hand aus / die Laden zu halten / denn die Rinder schritten beseit aus. Da erzürnet der grim des HERRN vber Vsa / vnd schlug jn ...
•• Friedrich Justin Bertuch in: Plan, Ankündigung und Vorbericht des »Bilderbuchs für Kinder« (1790):
Ich habe ferner den Text des Bilderbuchs mit lateinischen Lettern drucken lassen, weil ich herzlich wünschte, dass wir endlich unserer altfränkischen widrigen teutschen Mönchsschrift loswerden, und in teutschen Werken auf die lateinischen weit schöneren Typen aller abendländischen Völker von Europa allgemein übergehen könnten, wie es England und Frankreich schon vor etlichen Jahrhunderten gethan hat.
•• Der Verleger Max Rascher hatte Robert Walser Satzproben für dessen »Seeland«-Buch in Antiqua zukommen lassen. Walser war indessen der Meinung war, das sich für das »Seeland«-Buch, dessen Charakter vorwiegend naturhaft sei, Fraktur besser eigne. Die ihm zugesandte Druckart scheine ihm zu hart. Fraktur habe immer etwas Warmes, Rundliches, Gutherziges, weshalb er sie für seine Schriften bevorzuge. (Brief an den Verleger 26.10.1918)
••• Tacitus behandelt die Geschichte der Schrift nüchtern. Er kommt in den »Annalen« (verf. ca. 110–120) aus gegebenem Anlass bei der Vita des Kaisers Claudius (reg. 41–54) auf die Erfindung der Schrift zu sprechen:
Die Aegypter drückten zuerst durch Abbildungen von Thieren ihres Geistes Vorstellungen aus; dies sind die ältesten Denkmäler menschlichen Gedenkens, die man in Stein gehauen erblickt. Auch für die Erfinder der Buchstaben geben sie sich aus; von ihnen erst hätten sie die Phönicier, weil sie zur See die Oberhand gehabt, nach Griechenland gebracht, und dann den Ruhm erlangt, als hätten sie erfunden, was sie erst empfangen. Es geht nehmlich die Sage, Cadmus sei mit einer Flotte von Phöniciern gekommen, und habe den noch rohen Völkern der Griechen diese Kunst bekannt gemacht.
Einige erzählen, der Athenienser Cecrops oder der Thebaner Linus und, zu den Zeiten Troja's, der Argiver Palamedes hätten sechzehn Schriftzeichen, nachher Andere, Simonides vornehmlich die übrigen erfunden.
In Italien lernten sie die Etrusker vom Corinther Damaratus, die Aboriginer vom Arcadier Evander, und die Gestalt der latinischen Buchstaben ist gleich der der ältesten unter den griechischen; aber auch wir hatten zuerst nur wenige, dann wurden welche noch hin zugethan.
Nach diesem Beispiele fügte auch Claudius noch drei Buchstaben bei*, welche während seiner Herrschaft in Gebrauch nachher vergessen auch jetzt noch auf den ehernen Tafeln gesehen werden die um dem Volke die Senatsbeschlüsse bekannt zu machen auf den Marktplätzen und in den Tempeln angeheftet sind. (Annalen XI,14; Übersetzung von Wilhelm Bötticher, 1832)
Vgl. > https://archive.org/details/werkelateinischm02taciuoft/page/14/mode/
*) So das umgekehrte Digamma, um den Konsonant V vom Vokal U zu unterscheiden: SERℲVS
> https://de.wikipedia.org/wiki/Claudius#Claudische_Schriftreform
••• Die Buchstaben dienen der Erhaltung des Vergangenen.
Minerva zeigt das ABC – und einige Engelchen sind bemüht, es zu kopieren – unten schon bereit: die Typengießerei und der Setzrahmen:
Soutien du Temple de mémoire,
Nous transmettons les Faits à la postérité;
Les Arts, les Ciences, l’Histoire
Nous doivent l’Immortalité.
Pierre-Simon Fournier (1712–1768), Manuel typographique, Tome 2, Paris: Barbou 1766.
>
https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k1070586b/f8.item
••• Platon war da anderer Meinung. In der berühmten Passage im Dialog »Phaidros« ist von den segensreichen Erfindungen des ägyptischen Gottes Theuth die Rede, wozu auch die Buchstaben gehören. Theuth preist diese dem König Thamos als Heilmittel gegen schlechtes Gedächtnis. Der König dagegen ist der Ansicht, die Schrift bewirke das Gegenteil:
Denn diese Erfindung wird in den Seelen derer, die sie erlernen, Vergesslichkeit bewirken, weil sie ihr Gedächtnis nicht mehr üben; denn im Vertrauen auf Geschriebenes lassen sie sich von außen erinnern durch fremde Zeichen, nicht von innen heraus durch sich selbst. (Phaidros 274; Übersetzung von Ernst Heitsch.)
Quintilian (inst. or. XI,ii,9) kennt die Plato-Stelle: Quamquam invenio apud Platonem obstare memoriae usum litterarum? videlicet quoniam illa quae scriptis reposuimus velut custodire desinimus et ipsa securitate dimittimus.
Caesar berichtet über die Druiden, dass sie der Meinung seien, man dürfe ihre Lehren nicht schriftlich abfassen, obschon sie die griechische Schrift benutzen. Er unterstellt ihnen, dass sie so die Lehre vor dem gemeinen Mann fernhalten wollen. Aber auch er ist der Meinung, dass durch das Hilfsmittel der Schrift der Eifer nachlässt beim Auswendiglernen. Neque fas esse existimant [Druides] ea litteris mandare, cum in reliquis fere rebus, publicis privatisque rationibus Graecis litteris utantur. […] quod fere plerisque accidit, ut praesidio litterarum diligentiam in perdiscendo ac memoriam remittant. (bellum gallicum VI,xiv,3–4)
••• Gottfried Keller, Grüner Heinrich, Erste Fassung, I.Band, 7.Kapitel
Frau Margret [die Besitzerin eines Trödelladens] freute sich, daß ich bald imstande war, nicht nur das Deutsche geläufig vorlesen, sondern auch die in ihren alten Büchern häufigen lateinischen Lettern erklären zu können sowie die arabischen Zahlen, die sie nie verstehen lernte. Ich verfertigte ihr auch allerlei Notizen in Frakturschrift auf Papierzettel, welche sie aufbewahren und bequem lesen konnte, und ward auf diese Weise ihr kleiner Geheimschreiber.
Literaturhinweise:
Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, Leipzig 1922.
Harald Haarmann, Universalgeschichte der Schrift, Frankfurt / New York: Campus 1990.
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Layout: Ein Buch im Buch
Cgm 10: Williram von Ebersberg, Kommentar zum Hohenlied: Osculetur me oculo sui. In der Mitte der Bibeltext; links ein lateinischer Kommentar, rechts ein deutscher Kommentar.
Ausgabe: Williram von Ebersberg, Expositio in Cantica canticorum, hg. und übersetzt von Henrike Lähnemann und Michael Rupp, Berlin: de Gruyter 2004.
Biblia cum Postillis Nicolai de Lyra et Expositionibus Guillelmi Britonis in omnes prologos S. Hieronymi et additionibus Pauli Burgensis replicisque Matthiae Doering. Nürnberg: Anton Koberger, 3.XII.1487. (Band 3) – Verweisbuchstaben führen vom Bibeltext zum ihn umgebenden Kommentar.
Literaturhinweis: Ivan Illich, Du lisible au visible. La naissance du texte, 1991. – Dt. Übers.: Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand; Ein Kommentar zu Hugos »Didascalicon«, Luchterhand: Frankfurt am Main 1991.
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Die Personifikation der Geschichte/Historia hat als Attribut ein Buch
Die Personifikation der Geschichte = mythologisch ausgedrückt: die Muse Klio mit Schriftrolle bzw. Buch und Griffel bzw. Feder. Hinter ihr steht der geflügelte Chronos mit einer Sense, d.h. die Zeit, die alle Erinnerung gefährdet:
Titel der Enzyklopädie von Louis Moreri, Le Grand Dictionnaire Historique ou Le Melange Curieux de L'Histoire Sacree et Profane, Paris 1732–1735.
Anton Raphael Mengs (1728–1779), Gewölbe im Gabinetto dei Papiri, Vatikan (1772)
> http://www.zeno.org/nid/20004179501
Die Schweizerische Post verkaufte 1961 eine 5-Rappen-Marke der Pro-Patria-Serie mit den Symbolen für Zeit (Sanduhr) und – das Zeichen um 90 gedreht – Ewigkeit (mathemat. Zeichen für unendlich ∞); das Buch steht wohl für die Geschichte, in der beide Aspekte enthalten sind. Zeichner: Hans Schwarzenbach (1911–1983):
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Metaphorische Büchertitel
Das Buch an sich hat eine merk-würdige Etymologie: Liber […] tractus a liberando, eo quod lectio plerumque a curis animum suspendat. – ›Buch‹ wird von ›befreien‹ hergeleitet, weil das Lesen den Geist meist von Sorgen entlastet. (Bernhard von Utrecht, Ende des 11.Jhs., Einleitung zur »Ecloga Theoduli«).
Über exklusive und anmaßende Büchertitel witzeln Plinius und Aulus Gellius in den Vorwörtern zu ihren Werken.
Plinius (Nat. hist., Praefatio, ¶ 24–25; vgl. den Kommentar in der zweisprachigen Ausgabe von Roderich König / Gerhard Winkler 1973, S.347ff.) nennt unter anderem einen Titel »Hahnenmilch« (lac gallinaceum), womit ein Autor das Ungewöhnliche an seinem Buch hervorheben wollte.
Aulus Gellius (Noctes Atticae, Praefatio ¶ 5–9; vgl. die Fußnote in der deutschen Übersetzung von Fritz Weiß 1875) nennt 30 ausgesuchte Überschriften (titulos exquisitissimos).
Clemens von Alexandrien († vor 215/16) rechtfertigt sich so für seinen Buchtitel »Teppiche (Stromateis)«:
Und so haben manche Schriftsteller auch Schriften mit den Titeln "Wiesen" oder "Helikonberge" oder "Honigwaben" oder "Prachtkleider" verfaßt, indem sie gelehrte Sammlungen mit bunten Blüten ausschmückten. Und auch unser eigenes Werk, das wir "Teppiche" genannt haben, gleicht einer Wiese, da wir in ihnen absichtlich in bunter Mannigfaltigkeit das bringen, was uns gerade in den Sinn kam und was wir weder nach einem genauen Plan ordnen noch stilistisch sorgfältig ausfeilen wollten. (VI,ii,1)
Aurifodina (Goldgrube) als Buchtitel. In den Gruben arbeiten rechts Bergleute mit Lampe und Pickeln (hic ferro – hier mit dem Eisenwerkzeug) – links in metaphorischer Übertragung der Schriftsteller, der Bücher exzerpiert mit Lampe und Feder (hic calamo … mit dem Schreibstift).
Jeremias Drexel S.J., Aurifodina artium et scientarium omnium, excerpendi solertia, Antwerpen 1642; hier in der Ausgabe Francofurti: Müllerus 1670.
Acerra = ›(Weih-)Rauchkästchen‹. Der Überarbeiter des »Acerra Philologica« betitelten Buches von Peter Lauremberg (1585–1639), Gotthard Heidegger (1666–1711), schreibt in dem zur Buntschriftstellerei gehörenden Buch zum Titel:
Es ist im Altertum Brauch gewesen, zur Mahlzeit den Gästen mit anmutigen Gerüchen aufzuwarten. Das dazu verwendete Rauchwerk hat man in einem Trühlein / oder in einer Schale und Gefäß, das man ACERRA nannte. Wenn der Leser sein Gemüt (im normalen Schulunterricht) mit solider Nahrung gesättigt habe, so wird ihm in diesem Buch gleich als zu einer unschuldigen Kurtzweil und ergetzlichem Rauchwerk auch die Philologische Studia, ich wil sagen eine etwelche Wissenschaft der heydnischen Antiquitæten / Fablen / Geschichten / Spitzfündigkeiten / Irrthümern / Disputationen etc. aufgesetzet.
Acerra Philologica Nova, Repurgata, Aucta, Das ist: DCC. merckwürdige Historien und Discursen, Theils aus den vorigen Editionen der so genannten Acerra Philol. und ihren Zusätzen ausgelesen, verbessert, mit vielfältigen Anmerckungen bereichert […] Zweyte Auflage Zürich bey David Geßner MDCCXXXV.
Erasmus Francisci, Acerra exoticorum oder historisches Rauchfaß, darinnen mancherley fremde Fälle und Geschichte nebens andern Erzehlungen als etlicher Kunst- und Natur-Wunder, alter Prachtgebäue wie auch einiger Meldungs-würdiger Sitten ... aus Sina, Cochinchina, Tunchin, Persien ... / zusammen gesucht, dargereicht und fürgesetzt durch Erasmum Francisci, Franckfurt: Schiele [3 Bände] 1672 / 1673. (Hier Titel zu Band 2)
Theater als Buchtitel
Der Titel Schauplatz ist beliebt für bunte Sammelwerke von Geschichten, Anekdoten. Am bekanntesten wohl :
Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658), Der große Schauplatz lust- und lehrreicher Geschichte, Frankfurt und Hamburg, 1664. – ders., Der große Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte, Hamburg 1656.
Sodann:
Neu-eröffneter Historischer Schauplatz/ Vorstellend Hundert außerlesene Historien/ unterschiedener denckwürdiger Begebenheiten/ aus vielen Autoribus mit Fleiß zusammen getragen/ und Denen Liebhabern der Historien/ nebst einem nützlichen Register zum öffentlichen Druck befördert von Christoph Zeißelern, Leipzig: Weidner 1695.
> http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/pageview/1035981
Theodor Zwinger verwendet die Metapher für seine umfängliche Enzyklopädie: Theatrum Vitae Humanae, Omnium ferè eorum, quae in hominem cadere possunt, Bonorum atque Malorum Eexempla historica ... comprehendens ... / À Conrado Lycosthene Rubeaquense ... iampridem inchoatum: Nunc Verò Theodori Zwinggeri ... opera, studio & labore ... Basileae: Oporinus / Frobenius 1565.
Ferner:
Georg Andreas Böckler, Theatrum Machinarum. Neu-vermehrter Schauplatz der mechanischen Künsten, handelt von allerhand Wasser- Wind- Ross- Gewicht- und Hand-Mühlen, wie dieselbige zu dem Frucht-Mahlen, Papyr- Pulver- Stampff-Segen- Bohren- Walcken-Mangen, und dergleichen anzuordnen, Nürnberg: In Verlegung Paulus Fürsten, Gedruckt bey Christoff Gerhard 1661.
> http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/MPIWG:DA0N7C57
Zur Theatermetaphorik mehr:
Nikola Roßbach / Constanze Baum, Theatralität von Wissen in der Frühen Neuzeit (2013)
> http://diglib.hab.de/ebooks/ed000156/start.htm
und hier (PDF-Datei der HAB Wolfenbüttel).
Schatzkästlein als Buchtitel. – Griech./lat. gazophylacium ist die Schatzkammer. – Ähnlich: Thesaurus (Vorratskammer). – Promptuarium (Vorratskammer, Speicher) – Brunetto Latini (um 1220 – 1294): »Li Livres dou Tresor«
Spiegel als Buchtitel, u.a. besagend, dass die ganze Welt darin wie in einem Hohlspiegel verkleinert abgebildet ist: Radulfus Ardens: »Speculum universale« (mehr dazu hier)
Über dem Spiegel: Lasset uns Wahrheit suchen.
Ein Päkchen neue prosaische Fabeln. Nach Lessings Manier. Lindau: Fritzsch 1787.
> http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/2191990
Um den folgenden Büchertitel zu verstehen, muss man biblisch beschlagen sein:
Johannes Prambhofer, Samsonischer Hönig-Fladen für Die schleckige Adams-Kinder; Gesamblet Aus den Hönig-fließenden Blumen Göttlicher Schrifft/ H.H. Vättern, dann anderer Geist- und Sinn-reichen Büchern. Das ist: Uber Hönig süsses Wort Gottes/ Wormit Ein Christ-Catholisches Volck durch gegenwärtige/ einfältige/ jedoch mit seltsamen Concepten/ theils Trost- theils Schreck-vollen Historien/ annehmlichen Gedichten/ Gleichnussen/ und Lehrreichen Sprüchen wohlgezierte Sonntags-Predigen Das Jahr hindurch kan geleitet und gespeiset werden. […] Augsburg 1707.
>
http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10464227-6
Vgl. die Geschichte von Samson: Und er bog vom Weg ab, um nach dem Kadaver des Löwen zu sehen, und siehe, da war ein Bienenschwarm in dem Körper des Löwen und Honig. (Richter 14)
Petrus Michaelis S.J., [1542–1595] gab sich den Übernamen Brillmacher wegen seines Buchs mit dem Titel
Evidiotheca: Das ist Ein newes sehr nützliches Buch, in welchem an statt vieler Bücher dem innerlichen schwachen Gesicht mit kurtzen Schlußreden aller Artickel Christlicher Religion vnnd derselbigen gründtlichen Beweiß, als mit guten, weit vnnd nahe sehenden Brillen zu sehen geben wirdt, welche auß den streitbaren Partheien recht habe vor Gott/ gestellt Durch Petrum Michaelem genandt Brillmacher, der Societet Iesv Theologum, Münster in Westphalen : Raßfelt, 1609 [EA 1593]
> https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/urn/urn:nbn:de:hbz:6:1-31948
Weitere Titel:
Bücher erschließen die Welt oder andere Bücher (Melito von Sardes: »Clavis sacrae scripturae«; Johann Heinrich Alsted: »Clavis artis Lulliana»« – Schlüssel zu Lulls Werk); der biblische Hintergrund ist Lukas 11,52: Schlüssel zur Erkenntnis;
sie öffnen dem Leser die Türen (Comenius: »Janua linguarum reserata« 1629);
sie erleuchten die Leser (Honorius Augustodunensis: »Elucidarium«);
sie feuern die Leser an (»Scintillarius«);
sie erquicken den Geist (»Refectio mentium«);
sie führen stufenweise aus dem Irdischen nach oben (Honorius Augustodunensis: »Scala«);
sie bilden eine (geistige) Welt ab (Honorius Augustodunensis: »Imago mundi«),
sie stillen den (geistigen) Hunger (»Ferculum« – das Tablett zum Auftragen der Speisen; »Pabulum vitae« – Speise fürs Leben);
sie liefern Material wie der Wald (Pedro Mexía: »Silva de varia lección: Das ist: Historischer Geschicht-, Natur- und Wunder-Wald, allerhand merckwürdiger Erzehlungen);
sie löschen den Durst wie eine Quelle (Sydrac: »Le livre de la fontaine de toutes sciences« – Domenico Bandini: »Fons memorabilium uniuersi«);
der Buchtitel zeigt, dass der Inhalt ein wonne-bringender paradiesischer Garten ist (Herrad von Landsberg: »Hortus deliciarum«);
der Buchtitel einer Enzyklopädie charakterisiert den Inhalt (Aegidius Albertinus: »Der Welt Tummel- und Schaw-Platz« 1612);
der Buchtitel zeigt, wie der Inhalt zustande gekommen ist (»Florilegium« – Blütenlese; »Spicilegium« – Ährenlese; Nano Mirabelli: »Polyanthea« 1517);
der Buchtitel weist darauf hin, wie kostbar der Inhalt ist (»Gemma« – Juwel, Gregor Reisch: »Margarita pholosophica« – Perle, »Medulla« – der Kern, das Vortrefflichste);
der Titel sagt ganz bescheiden, dass er nur andere Inhalte auf einem Bücherbrett darbietet: Pierre Coustau, »Pegma« 1555;
der Titel evoziert eine Versammlung oder den Versammlungsort der im Buch beschriebenen Charakteren: Schelmenzunft – Gäuchmatt – Narrenschiff.
Einen hübschen Kalauer leistete sich Eberhard der Deutsche (1. Hälfte 13. Jh.) mit dem Buchtitel »Laborintus« für sein Lehrgedicht der Poetik: Einerseits sagt ›Labyrinth‹: mein Buch ist wie ein Gebäude mit vielen Gemächern (vgl. Herodot, Historien II, 148) – anderseits meint das Wort, so geschrieben: es steckt viel Arbeit (labor) drin (intus).
........
Richard de Bury führt im »Philobiblon« die Metaphern auf Bibelstellen zurück:
In tausend Allegorien empfiehlt euch [die Bücher] auch die heilige inspirierte Schrift den Gebildeten immer wieder. Denn ihr seid gemeint mit den Gruben der tiefsten Weisheit, zu denen der Weise seinen Sohn schickt, auf dass er dort Schätze herausgrabe (Prov 2), ihr seid die Brunnen lebendigen Wassers, welche der Vater Abraham gegraben und Isaak wieder aufgegraben hatte, die Philister aber zu verstopfen versuchten (Genesis 26); ihr seid in Wirklichkeit die prächtigen vollen Ähren, die nur der Apostel Hände zerreiben dürfen, damit köstliche Speise für die hungernden Seelen austrete (Mt 12); ihr seid die güldenen Krüge mit dem Himmelsbrot, die honigspendenden Felsen (Dt 32, 13) oder die Honigscheiben, die Brüste voll Lebensmilch, die Kammern, die nie leer werden; ihr seid der Baum des Lebens, von dem sich der Menschengeist nährt, und der viergeteilte Strom im Paradies, der den vertrockneten Verstand benetzt und tränkt; ihr seid Noahs Arche und Jakobs Leiter, ihr die Rinnen bei der Tränke, über denen die Herden Jakobs gefleckte Junge empfingen, ihr die Denksteine, die Krüge Gideons mit den Fackeln darin; ihr seid die Tasche Davids, aus der er die glatten Steine hervorholte, um Goliath hinzustrecken, ihr die güldenen Gefäße des Tempels, die Schilde der Gottesmänner (Cant 4,4), an denen die Pfeile des Bösen zersplittern, die fruchtbaren Ölbäume, die Weingärten zu Engedi, die Feigenbäume, die nie verdorren, die brennenden Lichter, die wir stets vor uns hertragen sollen; kurzum, das Köstlichste, das die Heilige Schrift kennt, können wir auf die Bücher beziehen, wenn wir Lust haben, in Bildern zu reden.
Lat. Text > http://www.thelatinlibrary.com/debury.html#cap01 bei Vos enim estis profundissimae sophiae fodinae ...
........
Vor verführerischen Titeln bei verderblichem Inhalt warnt Aegidius Henning:
Ein kurzer Bericht von den Titulen der Bücher. Funfftzehende Handlung [S.106ff.]
Als Ihr thut/ gebt mir dem Buch einen schönen Titul; So! So! Die Titul der Bücher/ nicht die Bücher selbst/ füllen deß Keuffers und Verkeuffers Augen.
Noch eygentlicher aber die schöne Titul der schlimmsten Bücher zu zerlegen/ so sage ich/ sie seyn wie die übertünchte Gräber/ welche außwendig hübsch scheinen/ aber inwendig sind sie voller Toden-Bein und alles Unflats. [Matthäus 23,27]
Was du thust der du Bücher kauffest/ kauffe sie ja nicht auff den eusseren Titul/ der insgemein blendet und betreuget: Wiltu aber sichergehen/ liß etliche Capitel in der Mitten Anfang/ und Ende.
Aegidius Henning, Gepriesener Büchermacher Oder Von Büchern/ und Bücher machen ein zwar kleines/ jedoch lustiges und erbauliches Büchlein, Franckfurt: Zunner 1666.
> https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN780169077 (mit Kapitel-Überschriften am Rand)
Paul Lehmann, Mittelalterliche Büchertitel (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philos.-histor. Klasse 1948/4 und 1953/3).
Edward Schröder, Aus den Anfängen des deutschen Buchtitels. Nachrichten der Akademie der Wiss. in Göttingen, phil.-hist. Klasse, Fachgruppe 4, NF 2,1. Seite 1–48 (Göttingen 1937–39).
Herbert Grabes, Speculum, Mirror und Looking-Glass. Kontinuität und Originalität der Spiegelmetapher in den Buchtiteln des Mittelalters und der englischen Literatur des 13. bis 17.Jahrhunderts, Tübingen 1973.
Bianca-Jeanette Schröder, Titel und Text. Zur Entwicklung lateinischer Gedichtüberschriften, mit Untersuchungen zu lateinischen Buchtiteln, Inhaltsverzeichnissen und anderen Gliederungsmitteln (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 54), de Gruyter 1999.
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Die Figuren im Buch sind für Analphabeten stumm
Ein (später Simplicissimus genannter) Knabe wird im 30-jährigen Krieg durch marodierende Soldaten vom väterlichen Bauernhof vertrieben und gelangt zur Hütte eines Einsiedlers. Dieser nimmt ihn auf und versorgt ihn. S. erzählt später (Grimmelshausen, »Simplicissimus«, 1668, 1.Buch, 10.Kapitel) :
Als ich das erste mal den Einsidel in der Bibel lesen sahe/ konte ich mir nicht einbilden/ mit wem er doch ein solch heimlich/ und meinem Beduncken nach sehr ernstlich Gespräch haben müste; ich sahe wol die Bewegung seiner Lippen/ hingegen aber niemand/ der mit ihm redet/ und ob ich zwar nichts vom lesen und schreiben gewust/ so merckte ich doch an seinen Augen/ daß ers mit etwas in selbigem Buch zu thun hatte: Jch gab Achtung auff das Buch/ und nachdem er solches beygelegt/ machte ich mich darhinder/ schlugs auff/ und bekam im ersten Griff das erste Capitel deß Hiobs/ und die davor stehende Figur/ so ein feiner Holtzschnitt/ und schön illuminirt war/ in die Augen; ich fragte dieselbige Bilder selzame Sachen/ weil mir aber kein Antwort widerfahren wolte/ wurde ich ungedultig/ und sagte eben/ als der Einsidel hinder mich schlich: Jhr kleine Hudler/ habt ihr dann keine Mäuler mehr? habt ihr nicht allererst mit meinem Vatter (dann also muste ich den Einsidel nennen) lang genug schwätzen können? ………
Text in heutiger Rechtschreibung > http://www.zeno.org/nid/20004913655
Eine postume Ausgabe von Grimmelshausens Buch enthält Bilder; hierzu dieses:
Der Aus dem Grab der Vergessenheit wieder erstandene Simplicissimus. Dessen Abentheurlicher/ und mit allerhand seltsamen/ fast unerhörten Begebenheiten angefüllter Lebens-Wandel ... vermittelst Scharfsinnigen Lehren/ wohlkommenden Anmerckungen und schönklingenden Poetischen Versen/ auch recht lebhafften Kupffer-Bildnüssen ... vorgestellet wird / Durch German Schleifheim von Sulsfort ... Nürnberg: Felßecker 1684.
>
http://diglib.hab.de/drucke/lo-2310-1b/start.htm?image=00081
Der Einsiedler liest das erste Capitel deß Hiobs (Hiob 1,13ff.). – Dieses (oder ein ähnliches Bild) könnte Grimmelshausen vorgeschwebt haben, das S. in der Bibel sieht:
Neuwe Biblische Figuren/ deß Alten und Neuwen Testaments/ geordnet vnd gestellt durch den fürtrefflichen vnd Kunstreichen Johan Bocksbergern von Saltbzurg/ den jüngern/ vnd nachgerissen mit sonderm fleiß durch […] Joß Amman von Zürich. […] Getruckt zu Frankckfurt am Mayn/ durch Georg Raben/ Sigmund Feyerabend/ vnd Weygand Hanen Erben M.D.LXIIII.
Weniger wahrscheinlich ist: Biblia Das ist Die gantze Heylige Schrifft Teutsch, Franckfurt am Main, 1560/1561 (Holzschnitt von Virgil Solis)
> http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00084800/image_594
Bei der Betrachtung des Bildes erkennt S., dass dort Vieh gestohlen wird und Häuser in Brand stehen; das hat er soeben erlebt. Er reagiert so (auch diese Szene ist in der postumen Ausgabe als Kupferstich vorhanden):
halt/ halt/ ich will diß Feuer noch wol leschen/ damit stunde ich auff Wasser zu holen / weil mich die Noth vorhanden zu seyn bedunckte. Wohin Simplici? sagt der Einsidel/ den ich hinder mir nicht wuste/ Ey Vatter/ sagte ich/ da sind auch Krieger/ die haben Schaf/ und wollens weg treiben/ sie habens dem armen Mann genommen/ mit dem du erst geredet hast/ so brennet sein Hauß auch schon liechterlohe/ und wann ich nicht bald lesche/ so wirds verbrennen …
Der Einsiedler klärt ihn dann auf, wie Bilder und Buchstaben funktionieren.
In der Zentralbibliothek Zürich befindet sich ein Konvolut mit 37 Vorzeichnungen zu den Kupfertafeln
(Signatur ZEI 5.1_1-37.)
Digitalisat > https://www.e-manuscripta.ch/zuzneb/content/titleinfo/1439468
Literatur hierzu:
Manfred Sestendrup, Das Medaillonkupfer und die Textillustration des sogenannten "Barock-Simplicissimus" von Grimmelshausen. Studien zur Urheberschaft, Editionsgeschichte und Echtheitsfrage, Münster 1977.
"Benebenst feinen und neu-inventirten Kupffer-Stücken." Die Illustrationen der postumen Grimmelshausen-Gesamtausgabe (1683-1713), hrsg. und eingel. von Ruprecht Wimmer, Augsburg: Pröll 1991 (Sondergabe für die Mitglieder der Grimmelshausen-Gesellschaft 5)
Rosmarie Zeller, Weitere Originalzeichnungen zu den Kupferstichen der ersten postumen Grimmelshausen-Gesamtausgabe (1683/84), in: Simpliciana XXXII (2010), S. 427–434
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Wie liest man richtig im Buch?
••• Seneca (gest. 65 u.Z.), Ad Lucilium Epistolae Morales I,2
Distringit librorum multitudo; itaque cum legere non possis quantum habueris, satis est habere quantum legas.
Die Menge der Bücher wirkt zerstreuend; Da du nicht alles lesen kannst, was du haben kannst, so genügt es, soviel zu haben, als du lesen magst.
»Sed modo« inquis »hunc librum evolvere volo, modo illum.«
»Aber ich möchte nun einmal«, erwiderst du, »bald dieses Buch aufrollen, bald jenes.«
Fastidientis stomachi est multa degustare; Quae ubi varia sunt et diversa, inquinant non alunt.
Nur ein verwöhnter Magen trägt das Verlangen, vielerlei zu kosten; das bunte Allerlei hat mehr verunreinigende als nährende Wirkung.
Probatos itaque semper lege, et si quando ad alios deverti libuerit, ad priores redi.
Lies also immer nur Schriftsteller von anerkanntem Wert, und hast du dich einmal zu anderen hingetrieben gefühlt, so kehre nur wieder zu jenen zurück.
> http://www.lateinheft.de/seneca/seneca-epistulae-morales-epistula-2-ubersetzung/
••• Seneca, De tranquillitate animi IX,6
Bei den geistlosesten Menschen kann man alle Redner und Historiker finden und Bücherschränke (loculamenta ) bis ans Dach hinauf; selbst in Badehäusern und Thermen wird eine Bibliothek angebracht als notwendiger Schmuck des Hauses. Man müsste das gelten lassen, wenn es von großer Vorliebe für die Wissenschaften herkäme, aber jene ausgesuchten und mit Bildnissen [der Verfasser] verzierten Werke hervorragender Geister werden nur zum Schein und als Schmuck der Wände hingestellt.
> https://www.thelatinlibrary.com/sen/sen.tranq.shtml
Von der Gemütsruhe, übers. Ludwig Rumpel 1979.
••• Petrarca (1304–1374), »De remediis utriusque fortunae« I,43: De librorum copia:
Holzschnitt aus: Franciscus Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück/ des guten vnd widerwertigen […]. Augspurg: H. Steyner 1532.
In der Übersetzung von Stephan Vigilius (hier aus dem Druck 1572) sagt die ›Freude‹: Ich frewe mich/ daß ich so ein köstliche Liberei hab/ mit allerley besten vnd erlesenstem büchern/ die mann je vnd je hat bekommen mögen.
Die Vernunft argumentiert dagegen: Statt in das Gestell sollte man die Bücher ins Herz setzen. – Mit dem Verstand ist es, wie mit dem Magen: Aus Überfülle folgt Ekel; man solle nur die besten lesen. – König Ptolemäus hat mit viel Fleiß und Verstand 50’000 Bücher zusammengebracht, aber die Bibliothek ist abgebrannt. – Wo viel Bücher sind, ist viel Irrtum. Die ketzerischen Gedanken sind unter einer interessanten Form versteckt: Meußdreck vnder Pfeffer. — Wer viele Bücher besitzt, muss wie Tantalus mitten im Wasser verdursten. — Es ist närrisch zu sagen, eine gewisse Information habe man zuhause im Buch; man muss sie im Kopf haben. — Tugend kann man im Gegensatz zu Büchern nicht kaufen; die Tugend sieht man nicht, aber die Bücher im Gestell. — Eine Wegkreuzung mit drei oder vier Wegen ist verwirrlich – ebenso die Lektüre vieler Bücher statt eines einzigen.
Ins hirn muostu es bringen/ nit in buochkasten nach einander stellen.
••• Lesezeichen an den Rand gezeichnet:
Ein einfältiger Student schildert, dass bei einem Gastmahl unter Gelehrten verschiedener Disziplinen lange alle aus Scheu geschwiegen hätten. Da sei ihm plötzlich der Vers aus Vergils Aeneis II,1 eingefallen und er habe seinen Nachbarn damit angereizt:
Conticuere omnes intentique ora tenebant. (≈ Alle verstummten und hielten gespannt den Mund.)
Er habe den Vers noch in frischer Erinnerung gehabt, weil er seinerzeit, als der Adressat (Lateinlehrer) den Vers erklärte, einen Mann mit einem Schloss am Mund hingemalt habe, um sich den Vers zu merken.
quem versum adhuc habeo in recenti consideratione, quia vos cum exposuistis nobis Virgilium in Eneidis, tunc pinxi ad illum versum, ut facerem mihi locationem in libro meo secundum quod iussistis nos, unum virum qui habet claustrum in ore. Sic ergo iam optime venit ad propositum, cum ille scientificus etiam sit poeta ut ipsi dicunt.
Dunkelmännerbriefe (1515) I,42 = Appendix I,1 (Epistolae obscurorum virorum, hg. Eduard Böcking, 1864, S.64)
••• Die Hermeneutik von (hässlicher oder burlesker) Schale und dem (heilsamen, ernsthaften) Kern hier in der Variante von François Rabelais (ca. 1494–1553), »Das unschätzbare Leben des großen Gargantua«, 1534.
Des Autors Prologus
[Platon] sagt unter anderen Reden zum Lob seines Meisters Sokrates, welcher ohnstreitig der Weltweisen Kaiser und König war, daß er sey gleich den Silenen gewesen. [Symposion 215 a-b] Silenen waren vor diesem kleine Büchslein, wie wir sie heut in den Läden der Apotheker sehen, von außen bemalet mit allerlei lustigen, schnakischen Bildern, als sind Harpyen, Satyrn, gezäumte Gänslein, gehörnte Hasen, gesattelte Enten, fliegende Böck, Hirschen die an der Deichsel ziehen, und andre derley Schildereyen mehr, zur Kurzweil konterfeyet um einen Menschen zu lachen zu machen: wie denn des guten Bacchus Lehrmeister Silenus auch beschaffen war. Hingegen im Innersten derselben verwahrt' man die feinen Spezereyen, als Balsam, Bisam, grauen Ambra, Zibeth, Amomum, Edelstein und andre auserlesne Ding. So, sagt er, wär auch Sokrates […]
Aber, so ihr die Büchs nun eröffnet, würdet ihr inwendig funden haben himmlisch unschätzbare Spezereyen: einen mehr denn menschlichen Verstand, wunderwürdige Tugend, unüberwindlichen Standmuth, Nüchternheit sonder gleichen, feste Genügung, vollkommenen Trost, unglaubliche Verachtung alles dessen darum die sterblichen Menschen so viel rennen, wachen, schnauffen, schiffen und rauffen. [………]
Freilich dreht Rabelais die Sache sogleich um: Die antiken Verfasser haben ihren Texten keinen allegorischen Sinn unterlegt – folgt eine kurze Polemik gegen die Allegorese etwa von Petrus Berchorius (»Ovidius moralizatus«). Und so habe sein Buch ebenfalls keinen Hintersinn.
Der ganze Text in der Übersetzung von Gottlob Regis > http://www.zeno.org/nid/2000551651X
••• Coping with information overload. Dieses Bild darf natürlich nicht fehlen!
Agostino Ramelli (1531–1600), Le diverse et artificiose machine, Parigi 1588.
> https://doi.org/10.3931/e-rara-8944
> http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-725063
••• Usus libri, non lectio prudentes facit.
[Joh. Sambucus 1531–1584] Emblemata, et aliquot nummi antiqui operis, Ioan, Sambuci Tirnaviensis Pannonii. Tertia editio, Cum emendatione & auctario copioso ipsius auctoris, Antwerpen, Ch Plantin, 1569.
Die Anwendung des Buches, nicht das Lesen macht klug
Ich lehre nicht immer, es gibt keinen Grund, weshalb du mich immer wieder ansehen solltest: mein Blatt weckt das Bewusstsein der Leser. Eine gewaltige Anzahl besitzt der habsüchtige Buchhändler, der sie verkauft, aber sicher ist er deshalb nicht klüger. Wenn du uns ständig wälzt und mit Ernst immer von neuem liest, wirst du niemals vorankommen. Mühe und Licht sind verschwendet, wenn du [das Gelesene] nicht anwendest und im Gedächtnis behältst. Unsere Aufgabe war, dir dieses ins Gedächtnis zu rufen. Da du das [schon] gut wusstest, gelehrter Fulvius, haben dich die alten Bücher vor allem gebildet. Du bewahrst eine ausgezeichnete und seltene Anzahl von ihnen und hast mit Scharfsinn viele Bücher wiederhergestellt. Dies und die ganze Antike erfreut auch Sambucus. Lass uns denen helfen, deren Kenntnisse und Möglichkeiten vielleicht geringer sind. (Übersetzung in Henkel/Schöne, Emblemata, Sp. 1289).
••• Vorsicht beim Lesen! Die Schlingen des Teufels sind überall ausgebreitet:
Du mainst in der Theologey
Seist gantz von meinen stricken frey. ...
Johann von Schwarzenberg, Memorial der Tugendt = Abschrift des Buches, Augsburg: Heinrich Steiner 1534; Trogen, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, CM Ms. 13 Fol. 67recto
>
https://www.e-codices.unifr.ch/de/cea/0013/67r
Die Vorlage im Druck hier: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00029340/image_249
••• Und wenn Frauen lesen, dann passiert das:
Federlitho von Heinrich Jenny (1824–1891); vgl. > https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Jenny
Eine kleine Anthologie von Stellen zur Ablehnung der Lesesucht (la lecture des livres impudiques) hat zusammengestellt Rudolf Schenda, Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770–1910. V.Klostermann, 3. Auflage 1988, S. 98–106.
••• Jeder liest das, was er schon im Kopf hat. Simplicissimi Gauckeltasch:
[Simplicissimus zog] ein Buch aus dem Sack und blättert darin herum, dem Umstand [die herumstehenden Leute] seine glaubwürdige Schein [hier: Ansehen] zu weisen; aber siehe, da erschienen eitel weiße Blätter. »So!« sagt er darüber, »so sehe ich wohl, ich stehe da wie Butter an der Sonnen! Ach,« sagte er zum Umstand, »ist kein Gelehrter unter euch, der mir einige Buchstaben hineinblasen könnte?« Und demnach zween Stutzer zunächst bei ihm stunden, batt er den einen, er sollte ihm nur ein wenig ins Buch blasen, mit Versicherung, daß es ihm weder an seinen Ehren noch an seiner Seligkeit nichts schaden würde. Da derselbe solches getan, blättert Simplicius im Buch herum; da erschiene nichts anders als lauter Wehr und Waffen. »Ha!« sagte er, »diesem Kavalier gefallen Degen und Pistolen besser als Bücher und Buchstaben, er wird ehender ein braven Soldaten, als ein Doktor abgeben. — Einem anderen ›Leser‹ erscheinen beim Ins-Buch-Blasen eitel Cavalliers und Dames, einem anderen lauter Taler und Dukaten, einem weiteren eitel Würfel und Karten, einem anderen lauter Hasen-, Esels- und Narrenköpf im Umblättern usw.
[Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen], Der seltzame Springinsfeld [Erstausgabe 1670], 7.Kapitel.
Der ganze Text hier > http://www.zeno.org/nid/20004915704
Der Hintersinn des Kunststücks ist natürlich die hermeneutische Aussage, dass jeder Leser den Text des Buchs anders auffasst nach dem Satz: »Quot capita, tot sensûs« (So viele Köpfe – so viele Meinungen) oder nach dem Satz des Terentianus Maurus (Ende des 2. Jhs. u.Z.): pro captû lectoris habent sua fata libelli (Je nach der Auffassung des Lesers haben Bücher ihre Prognose).
Grimmelshausen hat die Idee zu diesem Zauberbuch aus: Daniel Schwenter, Deliciae physico-mathematicae oder mathematische und philosophische Erquickstunden. Nürnberg, 1636. (Reprint hg. Jörg Jochen Berns, Frankfurt/M.: Keip 1991). Vierzehender Teil, Die VII. Auffgab. Ein artlichs Buch zu machen/ daß im vmbblättern allerley Figurn bringet/ doch auff ein vmbschlagen allzeit nur einerley.
> http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/schwenter_deliciae_1636?p=536
oder >
https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/4200/537/0/
••• Francisco Goya (1746–1828), »Caprichos« (1799), Nr. 39. Der Esel blättert in einem Stammbuch, das nur Bilder anderer Esel zeigt: Asta su Abuelo (Bis zu seinem Urahn)
> https://fr.wikipedia.org/wiki/Asta_su_Abuelo
Eine Vorzeichnung hat die Unterschrift "Es gibt auch Esel, die sich als Literaten verkleiden".
>
http://www.zeno.org/nid/20004047125
Arthur Schopenhauer (1788–1860)
Lesen soll man nur dann, wann die Quelle der eigenen Gedanken stockt; was auch beim besten Kopfe oft genug der Fall seyn wird. Hingegen die eigenen, urkräftigen Gedanken verscheuchen, um ein Buch zur Hand zu nehmen, ist Sünde wider den heiligen Geist. Man gleicht alsdann Dem, der aus der freien Natur flieht, um ein Herbarium zu besehn, oder um schöne Gegenden im Kupferstiche zu betrachten.
Parerga und Paralipomena, 2. Band 1851 § 260.
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Buchorakel
Jesus am Sabbat in der Synagoge:
Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Er öffnete sie (Vulgata: et ut revolvit librum) und fand die Stelle, wo geschrieben steht: »Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. …« Lukas 4,16ff.
Augustinus (354–430) hört im Garten in Mailand die Stimme Tolle lege! (Nimm und lies!) und schlägt dann die Bibel auf:
Ich konnte mir keine andere Erklärung geben, als dass eine göttliche Stimme mir befehle, die Schrift zu öffnen und die Stelle zu lesen, auf die ich zuerst träfe. […] Daher kehrte ich eiligst auf den Platz zurück, wo Alypius saß; denn dort hatte ich die Briefe des Apostels liegen lassen, als ich aufgestanden war. Ich griff nach ihnen, öffnete sie und las für mich die Stelle, auf die zuerst mein Auge fiel. – ut aperirem codicem et legerem quod primum caput invenissem. (Confessiones VIII, xii, 29)
Ferner bei Augustin folgende Szene:
Als ich ihn [den Arzt Vindicianus] fragte, wieso die Sterndeutekunst so viele tatsächliche Erfolge aufweisen könne, antwortete er, das sei eine Wirkung von der überall im ganzen Weltall vorhandenen Macht des Zufalls. Denn oft komme es vor, dass jemand sich bei einem Dichter, der etwas ganz anderes meine und beabsichtige, Rats erhole und auf den zufällig (sorte) aufgeschlagenen Blättern einen wunderbar zu der Angelegenheit passenden Vers finde; so dürfe man sich auch nicht wundern, wenn aus der menschlichen Seele auf höheren Antrieb, nicht durch Kunst, sondern durch Zufall, so daß sie selbst nicht wisse, was in ihr vorgehe, Worte herausklängen, die mit den Verhältnissen und dem Vorhaben des Fragenden übereinstimmten. (Confessiones IV, iii, 5)
Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) hat unter dem Pseudonym Fabianus Athyrus ein »Stechbüchlein« publiziert. In der Vorrede (S.12) beschreibt er dessen Verwendung:
Wann man sich nun in vertraulicher Gesellschaft dieser Erfindung gebrauchen will/ muß jedes anwesende/ in dem ersten Theil [dieser enthält 50 Kupfferblättlein]/ wann es eine Weibsperson/ und in dem andern/ wann es eine Mannsperson/ mit einem Stefft/ Messer oder Stecknadel einstechen, seines Hertzens Siegel-oder Spiegel-Bild ausswehlen/ ablesen und bemercken […] Es ist fast jedesmals ein gutes Bild nechst einem bösen gesetzet worden/ daß es dem Glück unterworffen/ was man bey solchem einstechen begegnen möchte.
Das erneurte Stamm- und Stechbüchlein. Hundert Geistliche Hertzens Siegel/ Weltliche Spiegel. Nürnberg: Fürst 1654.
>
http://diglib.hab.de/drucke/165-19-eth-1/start.htm
Der Brauch, mit einer Nadel zwischen die Blätter eines Buches zu stechen und beim Aufschlagen die Stelle als Orakel zu betrachten, war bei den Herrnhutern mit der Bibel seit 1728 gebräuchlich (›Losungen‹).
Goethe:
Solcher Art ist die überall herkömmliche Orakelfrage an irgendein bedeutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeichnete Stelle beim Aufschlagen gläubig beachtet.
Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans, Buchorakel
> http://www.zeno.org/nid/20004849221
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Büchernarren
••• Lukian von Samosata (um 120 – nach 180): Der ungebildete Büchernarr
Lukian, Sämtliche Werke, nach der Übersetzung von Ch.M.Wieland [1788/89], bearb. von Hanns Floerke, 5.Band, Berlin 1922, S. 74–96.
Du hast immer ein Buch in der Hand, und liesest immerfort; aber was du liesest, verstehest du nicht, und gleichest dem Esel, der, wenn er die Zither schlagen hört, kaum die Ohren reckt.
Wenn ein Mensch, der Nichts gelernt hat, sich eine Menge Bücher anschafft, macht er nicht damit die beste Satyre auf seine eigene Ignoranz?
Übersetzung von August Friedrich Pauly (1839) »An einen Ignoranten, der sich viele Bücher kaufte«, hier online
••• Sebastian Brant:
Sebastian Brant, Narrenschiff, Basel 1494
Von buechern hab ich grossen hort
Verstand doch drynn gar wenig wort
Vnd halt sie dennacht jn den eren
Das ich jnn wil der fliegen weren
Text > https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/bra_n001.html
Digitalisat der BSB > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00036978/image_12
Sebastian Brant hat dann in der zweiten Auflage der lateinischen Übersetzung (Stultifera navis narragonice perfectionis nunquam satis laudata navis …, Basel: Bergman de Olpe, 1. August 1497) in den Marginalien viele weitere Quellen zum Thema der Büchernarren hinzugefügt; vgl. hierzu Nikolaus Henkel, Sebastian Brant. Studien und Materialien zu einer Archäologie des Wissens um 1500. Verlag Schwabe 2021, S. 512–520.
••• Ein emblematisches Kupfer von H[endrick] und C[ornelis] Bloemaert zeigt einen Büchernarren:
Wat baet keers off bril, als den Uul niet sien en wil.
Was nützt Kerze oder Brille, wenn die Eule nicht sehen will?
(Wikimedia Commons. Danke, Harry für den Hinweis!) Was ist auf dem Buchzeichen geschrieben ?
Das Vorbild für die Eule, die nicht sehen will, ist das Flugblatt von Hans Sachs / Erhard Schön mit dem Motto Was hilfft mich sunn/ licht oder prill. weyl ich doch selbs nicht sehen will. aus dem Jahr 1540. Hier indessen fehlt das Buch noch.
> http://www.zeno.org/nid/20004286685
Die Eule hat einen feuchten Kollegen. Hier geht es indessen um die Scheinheiligen, die zwar quaken (coaxant), denen aber die Kraft (des Glaubens) fehlt:
Daniel Cramer, Octoginta emblemata moralia nova, Francofurtum: Jennis 1630.
> https://archive.org/details/octogintaemblema00cra
(Danke, Romy, für den Hinweis!)
••• Abraham a Sancta Clara fälschlich zugeschrieben:
Quot capita tot Sententiæ: Das ist: Hundert narren/ und hundert lappen; Soviel Sparrn und bsondere Kappen. Im ersten Centifolio, Oder Hundert Ausbündige Narren in Folio. neu aufgewärmet und in einer Alapatrit-Pasteten zum Schau-Essen, mit hundert schönen Kupffer-Stichen, zur ehrlichen Ergötzung, und nutzlichen Zeit-Vertreibung, sowohl frölich- als melancholischen Gemüthern aufgesezt : auch mit einer delicaten Brühe vieler artigen Historien, lustiger Fablen, kurtzweiliger Discursen, und erbaulicher Sitten-Lehren angerichtet, Wien, Lehmann o.J. (1725)
••• Bücher selber imaginieren
Jean Paul sagt im »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Wutz in Auenthal«,
daß Wutz eine ganze Bibliothek – wie hätte der Mann sich eine kaufen können? – sich eigenhändig schrieb. Sein Schreibzeug war seine Taschendruckerei; jedes neue Meßprodukt, dessen Titel das Meisterlein ansichtig wurde, war nun so gut als geschrieben oder gekauft: denn es setzte sich sogleich hin und machte das Produkt und schenkt’ es seiner ansehnlichen Büchersammlung, die, wie die heidnischen, aus lauter Handschriften bestand.
[…] seine Glaubenssache: da er einige Jahre sein Bücherbrett auf diese Art voll geschrieben und durchstudieret hatte, so nahm er die Meinung an, seine Schreibbücher wären eigentlich die kanonischen Urkunden, und die gedruckten wären bloße Nachstiche seiner geschriebnen; nur das, klagt' er, könn' er – und böten die Leute ihm Balleien dafür an – nicht herauskriegen, wienach und warum der Buchführer das Gedruckte allzeit so sehr verfälsche und umsetze, daß man wahrhaftig schwören sollte, das Gedruckte und das Geschriebne hätten doppelte Verfasser, wüßte man es nicht sonst.
in: Die unsichtbare Loge, Berlin: Matzdorff 1793.
>
http://www.zeno.org/nid/20005124883 – Der Text folgt hier der zweiten verbesserten Auflage: Berlin (G. Reimer) 1822.
••• Der Bibliomane
BIBLIOMANE --- C'est un homme possédé de la fureur des livres. Ce caractere original n'a pas échappé à la Bruyere. Voici de quelle maniere il le peint dans le chap. xiij. de son livre des Caracteres, où il passe en revûe bien d'autres originaux. Il feint de se trouver avec un de ces hommes qui ont la manie des livres; & sur ce qu'il lui a fait comprendre qu'il a une bibliotheque, notre auteur témoigne quelqu'envie de la voir.
«Je vais trouver, dit-il, cet homme, qui me reçoit dans une maison, où dès l'escalier je tombe en foiblesse d'une odeur de maroquin noir dont ses livres sont tous couverts. Il a beau me crier aux oreilles, pour me ranimer, qu'ils sont dorés sur tranche, ornés de filets d'or, & de la bonne édition, me nommer les meilleurs l'un après l'autre, dire que sa galerie est remplie à quelques endroits près, qui sont peints de maniere, qu'on les prend pour de vrais livres arrangés sur des tablettes, & que l'oeil s'y trompe***; ajoûter qu'il ne lit jamais, qu'il ne met pas le pié dans cette galerie; qu'il y viendra pour me faire plaisir: je le remercie de sa complaisance, & ne veux, non plus que lui, vifiter sa tannerie, qu'il appelle bibliotheque.»
Un bibliomane n'est donc pas un homme qui se procure des livres pour s'instruire: il est bien éloigné d'une telle pensée, lui qui ne les lit pas seulement. Il a des livres pour les avoir, pour en repaître sa vûe; toute sa science se borne à connoître s'ils sont de la bonne édition, s'ils sont bien reliés: pour les choses qu'ils contiennent, c'est un mystere auquel il ne prétend pas être initié; cela est bon pour ceux qui auront du tems à perdre. Cette possession qu'on appelle bibliomanie, est souvent aussi dispendieuse que l'ambition & la volupté. Tel homme n'a de bien que pour vivre dans une honnête médiocrité, qui se refusera le simple nécessaire pour satisfaire cette passion.
Anonymer Artikel in: Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, tome second (1751), p. 228.
***) Solche Tapeten bekommt man noch heutzutage im Versandhandel.
Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799):
Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?
Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, Erster Band: Sudelbücher I, hg. Wolfgang Promies [1935–2002], München: Hanser 1968, Heft D, Nr. 399
Grandville (1803–1847):
Die Giraffe, die in das Land der Menschen versetzt wurde, berichtet ihrem Geliebten in der Wüste, was sie hier wahrnimmt. Unter den Reiseeindrücken vermeldet sie ein seltsames Wesen, welches man hier ›den Gelehrten‹ nenne. Dessen Sprache ist sehr seltsam: Er erfindet alle Tage neue Wörter, um Dinge zu bezeichnen, die jedermann kennt. Und jeder Mensch, der diese Sprache schwatzt, ist die Puppe eines Gelehrten; er spinnt sich ein und begräbt sich in einem Buch.
S’enterrer dans un livre qui lui sort de Chrisalyde.
Scènes De La Vie Privée Et Publique Des Animaux. Études De Mœurs Contemporaines, Publiées Sous La Direction De M. P.-J. Stahl, Avec La Collaboration De Messieurs De Balzac ... Vignettes Par Grandville, Paris: J. Hetzel Et Paulin, Éditeurs 1867, S. 563 [Erstausgabe 1842].
Zum Kontext > https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8600203g/f512.item
Danke, Daniel C. für den Hinweis!
Titel von Walter Trier (1890–1951) zu Erich Kästner, Bei Durchsicht meiner Bücher, Zürich: Atrium-Verlag 1946:
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Literaturhinweise (Auswahl)
Wilhelm Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, 3. Auflage, Leipzig: Hirzel 1896.
Holbrook Jackson (1874–1948), The Anatomy of Bibliomania, London 1930/31; New edition: London: Faber & Faber 1950; Reprint NY 1978.
Gustav Radbruch / Joseph Braun, Artikel »Buch (Buchrolle) als Attribut«, in: RAC = Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 2 (1947), Sp. 1339–1343 > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=94506
Karl Schottenloher, Das alte Buch, Berlin: R. C. Schmidt & Co. 1921.
>
https://archive.org/details/dasaltebuch00scho
Gustav Adolf Erich Bogeng, Die grossen Bibliophilen. Geschichte der Büchersammler und ihrer Sammlungen, Leipzig: E. A. Seemann 1922 [3 Bände: Darstellung | Bilder | Anmerkungen]
>
https://archive.org/details/diegrossenbibli01bogegoog/page/n9/mode/2up
Karl Schottenloher, Bücher bewegten die Welt: Eine Kulturgeschichte des Buches, 2 Bände, Stuttgart: Hiersemann 1951/2.
Artikel »Buch« in Reallexikon für Antike und Christentum (RAC), Band 2 (1954), Spalten 664–731: I technisch (Verf.: L. Koep) — II heilig, kultisch (S. Morenz / J. Leipoldt) — III metaphorisch und symbolisch (L. Koep) — IV himmlisch (L. Koep)
Herbert Hunger, Antikes und mittelalterliches Buch- und Schriftwesen, in: Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterl. Literatur, Band I, Zürich: Atlantis 1961, S.25ff.
Hans Widmann, Geschichte des Buchhandels vom Altertum bis zur Gegenwart, Wiesbaden: Harrassowitz 1975.
Jan Białostocki, Bücher der Weisheit und Bücher der Vergänglichkeit. Zur Symbolik des Buches in der Kunst, (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Jahrgang 1985, 5 Abhandlung), Heidelberg 1984.
Rudolf Schenda (1930–2000), Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770–1910, 3. Auflage: Frankfurt/M.: Klostermann 1988.
Alexander Demandt, Metaphern für Geschichte, München 1978; S. 379ff: Das Buch der Geschichte.
Horst Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München: Beck 1995. Kapitel V,1: Die Personalisierung des Buches (S.204–225).
Volker Honemann (1943–2017), Funktionen des Buches in Mittelalter und Früher Neuzeit; in: Medienwissenschaft. Ein Handbuch … hg. Joachim-Felix Leonhard u.a., 1. Teilband, de Gruyter 1999, Artikel Nr. 45 = S. 539–560.
Rosa Micus, „... et secum huc ad monasterium hoc S. Viti in pruel Carthus. Ord. Detulit“. Zu Geschichtsbild und Selbstverständnis bei F. Franciscus Hieremias Grienewaldt [1581–1626; Kaartause Buxheim], in: Analecta Cartusiana 182:1 (2003); S. 129–138. [mikrohistorisch exakte Studie zu Bibliotheken im Kartäuserorden]
Buchkultur im Mittelalter. Schrift – Bild – Kommunikation, hg. von Michael Stolz und Adrian Mettauer, Berlin: de Gruyter 2005.
Heimo Reinitzer, Leserspuren in Bibeln, in: Wolfenbütteler Beiträge, hg. von Helwig Schmidt-Glintzer, Bd. 13, Wiesbaden 2005, S. 149–253 [mit Quellenanhang].
Romy Günthart, Deutschsprachige Literatur im frühen Basler Buchdruck (ca. 1470 – 1510), Münster: Waxmann 2007 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 11).
Felix Heinzer, Klosterreform und Mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten (Mittellateinische Studien und Texte 39), Brill 2008.
Christian Kiening / Martina Stercken (Hg.), SchriftRäume. Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, Zürich: Chronos 2008.
Mona Körte, Essbare Lettern, brennendes Buch: Schriftvernichtung in der Literatur der Neuzeit, Wilhelm Fink Verlag 2011.
Winfried Nerdinger / Werner Oechslin / Markus Eisen / Irene Meissner (Hgg.), Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken, München: Prestel 2011.
Elke Blumenthal / Wolfgang Schmitz (Hgg.), Bibliotheken im Altertum, Wiesbaden 2011 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 45).
Martyn Lyons, Das Buch. Eine illustrierte Geschichte, Hildesheim: Gerstenberg 2012.
Martin Steinmann, Handschriften im Mittelalter. Eine Quellensammlung. Basel: Schwabe 2013. – (lat./dt.) digital hier > http://www.codices.ch/quellentexte.html
Alois Haas, "Buch", in ders., Mystische Denkbilder. Einsiedeln, Freiburg/Br.: Johannes-Verlag 2014, S.152–175; mit vielen weiterführenden Hinweisen
Otto Mazal (1932–2008) Hauptherausgeber: Geschichte der Buchkultur, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt
Band 1: Otto Mazal: Griechisch-römische Antike (1999)
Band 2: Christian Gastgeber: Byzanz (in Vorbereitung)
Band 3: Otto Mazal: Frühmittelalter (2005)
Band 4: Andreas Fingernagel: Romanik (2007)
Band 5: Christine Beier: Gotik (2016/2018)
Band 6: Alfred Noe: Renaissance (2007)
Band 7: Christian Gastgeber / Elisabeth Klecker: Barock (2015)
Sammeln, kopieren, verbreiten. Zur Buchkultur der Kartäuser gestern und heute (Kongress 13.–16. Juli 2017 in der Kartause Ittingen), herausgegeben von Sylvain Excoffon und Coralie Zermatten, Saint-Étienne: Centre européen de recherches sur les congrégations et ordres religieux 2018 (Schriftenreihe: Analecta Cartusiana)
Biographien des Buches, herausgegeben von Ulrike Gleixner, Constanze Baum, Jörn Münkner und Hole Rößler, Göttingen: Wallstein Verlag, [2017] (Kulturen des Sammelns 1) — Zusammenfassung > https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6616
Dirk Werle, Copia librorum: Problemgeschichte imaginierter Bibliotheken 1580–1630, de Gruyter 2007.
Reinhard Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels. München: C.H.Beck, 1991; 4., aktualisierte Auflage 2019.
Reinhard Würffel, Lexikon deutscher Verlage von A — Z. 1071 Verlage und 2800 Verlagssignete vom Anfang der Buchdruckerkunst bis 1945, Berlin: Verlag Grotesk 2000.
Websites:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bücherverluste_in_der_Spätantike
Und wer viele lustige Zitate aus der Literatur kennenlernen möchte:
> en.wikiquote.org/wiki/Books — de.wikiquote.org/wiki/Buch — sowie in anderen Sprachen …
Letztes Update im Dezember 23; P.M.
Fragen und Anregungen an:
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Bonmots und Cartoons
Die Sprüche von Walti Reimann auf der Eulen-Tafel der Buchhandlung Hirslanden in Zürich haben Tradition.
Wer liest, verliert keine Worte. (in einem Rundschreiben am 15. Januar 2021)
Drei Dinge sollten Sie öffnen:
Fallschirme, Herzen und Bücher.
Das perpetuierend Kopulative
Federzeichnung von Walter Schüpbach für den »Studienführer Germanistik« an der Universität Zürich (1980).
Und doch: Vorsicht mit Büchern!
Freund Heins Erscheinungen in Holbeins Manier. Von Johann Karl August Musäus (1735–1787); Stiche von Johann Rudolf Schellenberg (1740–1806), Winterthur: Steiner 1785. (Kupfer gegenüber S. 134)
>
http://tinyurl.com/38tddjg
>
https://archive.org/details/gri_33125008604502/page/n175
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