Rosa Micus

Der Spott-Ofen in Salzburg

In der Geschichte der Bücherverbrennungen, der tatsächlichen stattgefundenen und der mit künstlerischen Mitteln dargestellten, gibt ein singuläres Objekt, eine Bibliothek, die dem antiken Gott des Feuers, Vulkan, geweiht ist – so jedenfalls sagt es die Inschrift über den mit Folianten in doppelter Reihe dicht gefüllten Bücherregalen:

Bibliotheca Vulcano consecrata

Es handelt sich um einen 3 Meter hohen Kachelofen aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Der Ofen steht heute in einer Raumecke eines der Ausstellungsräume im Salzburg Museum; älter: dem Carolino-Augusteum Salzburg, in der Lungauer Stube, der sog. Emigrantenstube.

(Fotografie von ####)

Kunsthistorisch gesehen handelt es sich um ein Beispiel der Salzburger Hafnerkunst des Barock; ganz praktisch zum Beheizen eines Bibliothekssaals bestimmt. Aber die Bibliothek dem Verbrennen anheim geben? Tatsächlich legt in einem alten Ritual jeder Benutzer der Bodleian-Library in Oxford bis heute einen Eid darauf ab: »kein Feuer in sie hineinzutragen«!

Sieht man sich die geschwungen barocken Formen insbesondere im Aufsatz, und die Buchrücken mit ihren Beschriftungen näher an, beginnt die Sache – nach anfänglichem Erstaunen, vielleicht auch Belustigung – einen Inhalt zu bekommen. Die Buchrücken sind ganz in der Art der in hellem Schweinsleder gebundenen großformatigen Werkausgaben der Kirchenväter und -lehrer, die in den barocken Ordensbibliotheken in großer Zahl standen, gestaltet.

Anmerkung: In der Bibliothek der ehemaligen Kartause Prüll bei Regensburg beispielsweise waren das die Fächer am Beginn der Aufstellung mit den Kennbuchstaben A und AA. Vgl. Rosa Micus: Die Bibliothek der ehemaligen Kartause Prüll bei Regensburg (1484–1803) mit erweiterten historischen Verzeichnissen (1803, 1595 und 1610) = Analecta Cartusiana 186/ 2 (2013).

Die Reihe ließe sich lang fortsetzen, insbesondere mit Bibliotheken der großen barocken Benediktinerabteien wie Melk (NÖ), Waldsassen (Opf.) oder St. Emmeram in Regensburg. Die Bände konnten auch um des barocken Ideals ›auf einen Bund gerichtet‹ zu sein, einheitlich dunkelbraun, selten schwarz gebunden sein.

Die Buchrücken tragen den üblichen Rückentitel am Kopf OPERA. OPERA LUTERI – OPERA CALVINI – OPERA ZWINGLI, um die drei mittleren Titel in der oberen Reihe herauszugreifen.

Der Korpus steht auf vier hockenden Löwen und zeigt an den drei im Raum sichtbaren Seiten mächtige Bücherregale in doppelter Reihe wie bestückt mit großen Folianten. An der Fassade prangt mittig darüber die Inschrift BIBLIOTHECA VULCANO CONSECRATA auf einem geschwungenen Schriftband:

Auch dies ganz in der Weise, wie an den ›echten‹ Regalabschnitten der Bibliotheken der Zeit das Fach oben darüber angeschlagen stand. Ein hoher Aufsatz erhebt sich in sich nach oben verjüngender und an den Ecken mit eingerollten Pilastern verzierter Form, und wird über einem verkröpften Gebälk in konkav-konvexem Aufsatz mit einer Figurengruppe obenauf abgeschlossen.

Die beiden Narren der Figurengruppe obenauf tragen das traditionelle Narrenkostüm in rot und in blau mit breitem Rüschenkragen – wie er im 16. Jahrhundert Mode war und im 17. und 18. Jahrhundert noch oft von evangelischen Geistlichen zum Talar getragen wurde.

Der im roten Kostüm kniet und hält die Trommel, während der im blauen Kostüm diese mit zwei Schlegeln kräftig schlägt. Es sind im Wortsinn zwei ›Krachschläger‹, vor denen ein aufgeschlagenes Buch aufgerichtet ist, das inschriftlich als CORPVS / DOCTRINÆ bezeichnet ist.

Dabei handelt es sich um jenes späte Sammelwerk der Hauptwerke Philipp Melanchhtons (1497–1560), in dem insbesondere neben dem Text der Confessio Augustana und der Apologie (Erläuterung) zum Augsburgischen Bekenntnis die Loci communes (oder theologici) nach Ordnung der Bibel, die erste Dogmatik reformatorischer Lehre (Erstdruck 1521), enthalten ist. Ihr Inhalt soll offensichtlich als Narretei diffamiert werden.

Mittig am Aufsatz über den Bücherregalen sieht man einen lutherischen Prediger in einem Kanzelkorb; der Schalldeckel darüber ist bekrönt von einem Hahn – der typische Hahnenkamm ist gut auf dem Kopf zu erkennen –, der ganz in der Art heraldischer Adlerdarstellungen mächtige Flügel spreizt.

Der Prediger scheint mit seinem aufgerissenen Mund laut zu schreien. Er gestikuliert mit beiden Armen. An den beiden Seiten stößt zudem je ein Prädikant in flachem Relief in ein Horn.

Erich Kästner beschrieb in seiner Erzählung »Der kleine Grenzverkehr oder Georg und die Zwischenfälle« Ofen und Prediger:

Jede Kachel des Ofens stellt einen Buchrücken mit einer gelehrten Inschrift dar. Das Ganze wirkt also wie ein Bücherberg, dessen lateinischer und theologischer Inhalt verheizt wird. Und in Manneshöhe ragt aus den Bücherkacheln ein kleiner, aufgeregt gestikulierender Kanzelredner heraus. Man weiß nicht recht, ob er predigt oder ob er wütend darüber ist, daß man ihn hinterrücks mit wissenschaftlichem Brennmaterial röstet.

Oder ob er, in Fortführung des Gedankens der oberen Figurengruppe, als ungeordnet schreiender, der nicht ›richtig‹, das heißt ›recht‹ oder ›kanonisch‹ spricht, charakterisiert werden soll. Kästner beschrieb einen sorgenfreien, unterhaltsamen Gang zweier Bekannter zur Zeit der Salzburger Festspiele 1937 durch das Museum.

In der geistesgeschichtlichen Einordnung jedoch wird keineswegs der Prediger ›geröstet‹, oder ist die Darstellung gar als ›Scherz‹ gemeint. Mit den Büchern, die im Ofen verheizt werden, und der Inschrift, die auf den antiken Gott der Unterwelt (Vulcan) verweist, sollen die Bücher durch das Feuer zur Hölle befördert werden. Das ist das alte, im Mittelalter durchgehend verbreitete Gedankengut der Bücherverbrennungen, das Ketzerisches, wie auch den Ketzer selbst, durch das Feuer wieder zur Hölle beförderte, woher es vermeintlich stammte.

Literaturhinweis: Thomas Werner, Den Irrtum liquidieren. Bücherverbrennungen im Mittelalter. Göttingen 2007 (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 225).

Bei den Werken, die in dem Ofen verbrannt werden sollen, handelt es sich überwiegend um Werke lutherischer Reformatoren, aber auch um Werke solcher Reformatoren des 16. Jahrhunderts, die von den Zeitgenossen als ›Krypto-‹ und in der wissenschaftlichen Einschätzung der neuen Zeit als vermittelnde Theologen gesehen werden. Da sind zunächst (in der Mitte) die drei Hauptreformatoren Luther, Calvin und Zwingli, womit ein genereller Rahmen abgesteckt ist. Sie werden flankiert von (Andreas Bodenstein von) Karlstatt als Vertreter der Radikalen, Martin Bucer (1491–1551) als Vermittler zwischen Mitteldeutschland und den Oberdeutschen in der Abendmahlslehre, und Ägidius Hunnius (1550–1603) als Vertreter der lutherischen Orthodoxie.

Auf der anderen Seite stehen die Werke Melanchthons, der in unrühmlicher Weise den Ofen bereits bekrönen dürfte. Es folgen Caspar Melisander (1540–1591), auch er ein Vertreter der lutherischen Orthodoxie, der ein zu seiner Zeit verbreitetes Betbüchlein herausgab (Leipzig 1582 erstmals erschienen), und mit Goclenius (1455–1539) einem heute eher unbekannten Hebräisch- und Griechisch-Lehrer am Collegium Trilingue in Leuven, der in Verbindung mit Erasmus stand, und wie jener in den Verdacht lutherischer Tendenzen geraten war.

Bei den Werken Osianders, mit denen der untere Regalboden an der Ofenfront links beginnt, ist nicht auszumachen, welcher der drei prominenten lutherischen Theologen gemeint ist, Andreas Osiander d. Ä., Reformator der Reichsstadt Nürnberg und des Fürstentums Pfalz-Neuburg, sein Sohn Lucas Osiander, württembergischer Hofprediger, oder sein Enkel Lucas Osiander d. J., ebenfalls württembergischer Hofprediger in Stuttgart. Es wäre schon zu denken, daß hier doch Andreas d. Ä. (1496–1552) gemeint sein soll, der Mitte des 16. Jahrhunderts einen leidenschaftlichen Streit um die Rechtfertigungslehre austrug, der später als ›Osiandrischer Streit‹ in die Kirchengeschichte eingehen sollte.

Auch (Johannes Avenarius) Habermann (1516–1590) verfasste ein lutherisches Betbüchlein, das bis ins 20. Jahrhundert hinein aufgelegt wurde. Ihm folgt mit Pelagius ein Asket des frühen 5. Jahrhunderts, der die Erbsünde (gegen Augustinus) und die Gnadenlehre (Christologie) verwarf, und dessen Lehre auf dem Konzil von Ephesus 431 verurteilt wurde. Auch die Namen des Arius und des Nestorius befinden an den Seiten des Ofens, so dass hier alle diejenigen Lehren des spätantiken Christentums, die das Konzil von Ephesus verurteilte, versammelt sind.

Alle drei Buchrücken unter den Haupt-Reformatoren sind dem aus Köln stammenden Universalgelehrten und Wanderprediger Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486–1535) und seinem Werk Armate milite equitis vorbehalten. Er führte ein extrem unstetes, umtriebiges Leben, wandte sich dem Humanismus ebenso wie dem Okkultismus zu, war Gelehrter und zeitweise Feldherr Kaiser Maximilians I. in Oberitalien; ergriff 1518 in Metz Partei für die Reformation und verteidigte als Jurist 1519 eine der Hexerei angeklagte Frau, was ihn in den Verdacht der Häresie brachte. Er betätigte sich, besonders nach dem Pesttod seiner ersten Frau 1521, als Arzt. Als Physikus in Genf ließ man ihn nur ungern ziehen; 1535 kam er unter ungeklärten Umständen an unbekanntem Ort (Lyon oder Grenoble) ums Leben. Er gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Zeitenwende zur Reformation. Vielleicht dient er hier als Statist, um alle umgebenden Namen und Werke in einem schiefen Licht erscheinen zu lassen, kannte doch bereits der englische Dramatiker Christopher Marlowe (1564–1593) ihn als Lehrer des Dr. Faustus.

Biographische Angaben nach: Martin Bock, Agrippa von Nettesheim. Universalgelehrter (1486–1535) In: Internetportal Rheinische Geschichte; online hier {27.04.2020}

Es folgen Johann Georg Sigwart (1554–1618), der 1614 ein Irenicum zur Vereinigung von Lutheranern und Reformierten verfasste, das 1615 auch in deutscher Sprache erschien, und Ludwig Rabus (1524–1592), der ein protestantisches Martyrologium verfasste und ebenfalls ein Betbüchlein schrieb. Die OPERA ULMENSIS könnten die Werke des Johannes Scultetus Ulmensis (1595–1645) meinen, seit 1625 Ulmer Stadtphysikus, wobei sich dessen Aufnahme in die Reihe dieser Titel nicht erschließt. Des Weiteren scheinen an den Seiten Lucas Osiander (1534–1604) – hier ist einer der Theologen dieser Familie klar mit Namen bezeichnet – oder Bartholomäus Ringwaldt (1530–1599) auf, der noch heute als protestantischer Liederdichter bekannt ist; als wohl bekanntestes sei. Es ist gewisslich an der Zeit, nach der Sequenz: Dies irae (EG 149) erwähnt. Auch Habermann scheint hier ein weiteres Mal auf.

Der Ofen findet in der ersten Genration der Kunstdenkmälerinventare Erwähnung; gelegentlich wird er in knappen Zeilen gestreift.

Hans Tietze (Hg.), Die Kunstsammlungen der Stadt Salzburg (=Österreichische Kunsttopographie Bd. XVI) Wien 1919; S. 262 f. m. Abb. 350.

Martin Mulsov, Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit. Berlin 2012; Abs. Der Spottofen – Derselbe, Hamburg: Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung; S. 57, Anm. 39.

Am heutigen Standort in den Sammlungen des Salzburger Landesmuseums wurde er in früheren Jahrzehnten mit einem Faltblatt als Objekt des Monats gewürdigt; es erschien im Februar 1989 und wurde Januar 2003 neu verlegt.

Christa Svoboda, Der Rokoko-Spottofen (1989) bzw. »Bibliotheca vulcano consecrata«. Ein Spottofen auf die kirchlichen Irrlehren (2003).

Das Kunstdenkmälerinventar von 1919 hatte ihn noch nach Pfaffing bei Vöcklamarkt verortet (Tietze S.263), während nach einem Hinweis auf der Homepage des »Salzburg Museum« der Ofen früher im Stift Mattsee (nördlich von Salzburg) gestanden haben dürfte.

Siehe im Web hier.

Eine eigenständige Würdigung erfuhr er bislang ausschließlich in einem kurzen tschechischen Beitrag, der als »Arbeit des Monats« im März 2018 am Zentrum für Frühneuzeitstudien der Masaryk Universität Brünn online gestellt wurde.

Michaela ŠEFERISOVÁ LOUDOVÁ, Vulkánova knihovna: kamna ze sbírek Salzburského muzea Carolino Augusteum. online hier

Die Autorin weist nach, daß der Ofen aus der Erzabtei St. Peter in Salzburg stammt und ursprünglich dort einen der Bibliothekssäle zu beheizen hatte, was einen unmittelbaren Zusammenhang mit der letzten großen, konfessionell begründeten Vertreibung in Europa, nämlich die der Evangelischen aus dem Gebiet des Erzbistums Salzburg 1731/ 32, nahe legt.

Das Stift stand dem Erzbischof immer sehr nahe, war doch in der frühen Zeit der Abt zugleich Bischof von Salzburg gewesen (8. Jh.). Erzbischof Leopold Anton Frhr. von Firmian (Eb. 1727–1744) hatte Jesuiten zur Bekehrung der Lutherischen, die es insbesondere in den Bergwerken und der Salzgewinnung noch zahlreich gab, in sein Territorium geholt. Diese wandten sich mit Petitionen an das Corpus evangelicorum des Immerwährenden Reichstags in Regensburg, und forderten entweder die freie Religionsausübung oder die Möglichkeit, in einem Zeitrahmen von drei Jahren zu emigrieren. Der Erzbischof erließ zum Reformationstag 1731 das berüchtigte Emigrationspatent und wies die Protestanten mit sofortiger Wirkung aus; Bitten im Monat Februar des Jahres 1732, wegen der bitteren Kälte eine Frist bis zum Frühjahr einzuräumen, wurden abgewiesen. Etwa 20’000 Protestanten verließen in mehreren Wellen Salzburg – jedoch unter Protest von Schweden, Dänemark, England und Holland am Reichstag in Regensburg; eine verschwindend geringe Minderheit von wenigen hundert Menschen konnte bleiben.

Nach Walter Fürnrohr, Der Immerwährende Reichstag zu Regensburg. Kallmünz (3. Aufl.) 2001; S. 28 f. – Reinhard R. Heinisch, »Leopold Anton« In: Neue Deutsche Biographie Bd. 14 (1985); S. 295 f.

Anfangs des dritten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts – das Zeitalter der Aufklärung stand bereits vor der Tür – war man damit in der politischen Öffentlichkeit Europas durchaus der Meinung, daß es ein Vorgehen in solcher Härte nun doch nicht (mehr) gebraucht hätte, während man in Salzburg selbst augenscheinlich mit Häme reagierte.

Wie gezielt jedoch die am Ofen zum Ausdruck gebrachte Verunglimpfung war, wird im genaueren Hinsehen noch einmal besonders deutlich: Offenbar zielt man auf die innerreformatorischen Streitigkeiten, die es im 16. Jahrhundert gegeben hatte, ab. Und es sind die Werke von mehreren Autoren sogenannter Betbüchlein vertreten, und damit von Vertretern der lutherischen Gebets- und Andachtsliteratur, sowie mindestens eines bekannten Liederdichters der Zeit der frühen Orthodoxie. Bei den Salzburger Evangelischen des 17. Jahrhunderts handelte es sich um sogenannte »Kryptoprotestanten«, denen ein regelmäßiges Gemeindeleben fehlte.

Der Begriff »Kryptoprotestanten« nach Heinisch wie oben, S. 295.

Sie versammelten sich im Verborgenen in häuslichen Conventikeln; ihre Bücher müssen daher neben der Bibel vornehmlich Titel der Andachtsliteratur und einfache (d.h. unauffällige, ohne aufwendigen Notendruck) Gesangbücher gewesen sein,

Vgl. Gerhard Florey, Die Schwarzacher Versammlungen der Salzburger Protestanten, S. 243–270 in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde (MGSL) 114. 1974 (1975); S. 244.

auf deren Autoren am Ofen neben den Haupt-Reformatoren der ersten Stunde sowie der ersten reformatorischen Dogmatik in veralbernder Weise hingewiesen wurde. Einmal zu schweigen von der Spitze auf die Vertreibung bei eisiger Kälte …

 


Eingestellt im Mai 2020

Vgl. auch die Hinweise zu Bücherverbrennungen auf der Seite Buchsymbolik hier.