Scheuchzers Regenbogenzurück zur Seite Farbensymbolik Paul Michel, Erklärung des Bilds auf der Einladung zur Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung vom 12.9. 2009 Überarbeitete Version (danach wäre ggf. zu zitieren!) Johann Jacob Scheuchzer über den Regenbogen. Empirie – Physik – Frömmigkeit. In: vindærinne wunderbærer mære = Gedenkschrift Ute Schwab, hg. Monika Schulz, Wien: Fassbaender 2013 (Studia Medievalia Septentrionalia 24), S. 311–348. (Das einzige wirklich nach dem Leben gezeichnete Portrait von Scheuchzer, Joh Melchior Füssli [1677–1736] delineavit; unten Scheuchzers Name in der Leopoldina: ACARNAN; gedruckt 1708) Johann Jakob Scheuchzer über den Regenbogen1701: Ein Lehrbuch der NaturkundeDer Zürcher Universalgelehrte Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) hat 1701 eine umfangreiche »PHYSICA Oder Natur=Wissenschafft« herausgebracht, bahnbrechend auf deutsch. Darin ist im Ersten Teil in Kapitel XIII die Rede vom Licht und den Farben und im 2. Teil in Kapitel XXIX Von denen Emphatischen / oder in blossem Schein bestehenden Lufftgeschichten / und vorderst zwahr vom Regenbogen. In diesem Kapitel steckt schon vieles, was Scheuchzer später bis in die 30er Jahre rekapitulieren und entscheidend ergänzen wird. Er weist auf das in verschiedener Hinsicht Wunderbare der Erscheinung hin, weshalb die Heiden die Iris Tochter des Thaumas genannt haben; es werden Bibelstellen genannt, voran die Stelle aus Jesus Sirach 22:12 (wohl ein Fehlverweis; gemeint ist 43:11) mit dem Lobpreis Gottes aus seiner Schöpfung. Dann wird der sinnreiche Cartesius genannt, der nach der Epoche des unwissenden, finsteren Mittelalters gezeigt hat, dass die Farben durch Zuruck- und Bruchstralung in den Regentröpfchen entstehen, dass der Winkel, unter dem wir den Regenbogen sehen, 42˚ beträgt (6. Abschnitt), und es wird von seinem Experiment mit einer in die Höhe gezogenen, wassergefüllten Kugel berichtet. Dann:
Die Nebenbogen werden erwähnt, die Abfolge der Farben wird aufgezählt (Abschnitt 12): Es bestehet die Schönheit des Regenbogens sonderlich in den Farben; welche aber so verwunderlich unter einander vermischt sind oder so kunstlich sich in einander verlieren, daß kein Wunder, warum die Scribenten nicht unter sich übereinkommen wegen deren Anzahl, da einiche 2. andere 4. die dritten 5. 7. viel auch unzehlich viel Farben zusehen vermeinen. Sodann verweist Scheuchzer auf die Mondregenbogen (18. Abschnitt) und schmettert – wie er das gerne tut – Abergläubisches im Zusammenhang mit Regenbogen ab (21. Abschnitt): diß ist erdichtet, daß, wo der Regenbogen mit seinen Enden, oder Füssen aufstehe, ein guldenes Schüsselein gefunden […]. Die Erfahrungen der AlpenreisenScheuchzer sammelte von 1702 bis 1711 auf neun Alpenreisen landeskundliches Material. Mit der Publikation und Auswertung begann er bereits 1705 in einer wöchentlich erscheinenden Fortsetzungsschrift Seltsamer Naturgeschichten des Schweizer-Lands wochentliche Erzehlung.
Sodann erwähnt Scheuchzer, dass der Sinnreiche Cartesius durch hilff seiner Erfahrenheit in Mathematischen Wissenschafften sich um eine Erklärung des Phänomens bemüht hat. Er zeiget in einer Gläsernen mit Wasser angefüllten Kugel / die er unter freyem Himmel bey hellscheinender Sonne an einem Faden auf- und abzeuhet / alle Farben des Regenbogens / je eine nach der anderen. Fürsten belustigen sich mit an Springbrunnen künstlich erzeugten Regenbogen. Dann: Uns Schweizeren gibet disen Vortheil an die Hand der gütige Schöpfer der Natur / in deme er uns sein schönes Geschöpft vorstellet bey allen Wasserfällen. Er nennt einige.
Gemeinhin bekommt man nur einen halben Circul vom Regenbogen zu sehen, weil dessen Mittelpunkt bestenfalls auf dem Horizont oder Gesichtsender zu liegen kommt. Nur von einem hohen Berg aus sieht man mehr vom Kreis, zu welchen Observationes wiederum die Schweizer auserwählt sind. Und hier erlaubt sich Scheuchzer einen kleinen Scherz:
Die beiden Flugmaschinen sind von verschiedener Fiktionalitätsqualität: 1670 veröffentlichte der Jesuit Francesco Lana de Terzi (1631–1687) ein Buch mit dem Titel »Prodromo ovvero saggio di alcune invenzioni nuove premesso all’arte maestra«, in dem er ein Fluggerät ersinnt, das mittels leergepumpter Kugeln, die ja leichter als Luft sein müssten, emporgetragen wird.
Die andere, als literarischer Witz gedachte Maschine ist das von Vögeln emporgehobene Fluggerät aus Francis Godwins’s »The Man in the Moone«, London 1638, dessen deutsche Übersetzung »Der fliegende Wandersmann nach dem Mond«, Wolffenbüttel 1659 in die postumen Gesamtausgaben des Verfassers des »Simplicissimus Teutsch« (ab 1683) aufgenommen worden waren. Francis Godwin, Der fliegende Wandersmann nach dem Mond, Faksimiledruck der ersten dt. Übers. Wolfenbüttel 1659, Wolfenbüttel: Herzog-August-Bibliothek 1993.
Auch ohne Adlerflug ist es möglich, einen geschlossenen Kreis zu sehen, nämlich in Wasserfällen, und so fährt er fort:
Die Cascate di Piuro befinden sich zwischen Castasegna und Chiavenna. (Aufnahme des Verfassers)
Scheuchzer merkt an, dass auf ein Mal viele tausend Regenbogen gesehen werden, dann diskutiert er die Frage der Nebenbogen mit Zitaten vieler Autoritäten. Schließlich unterscheidet er Regenbogen von Halo-Effekten. 1708 bringt Scheuchzer die ersten drei Bergreisen auf lateinisch in London heraus unter dem Titel »Ουρεσιφοιτης Helveticus sive Itinera alpina«. Auch hier berichtet er vom Wasserfall im Bergell:
Er fügt ein ›nach der Natur‹ (ad vivum) gezeichnetes Bild hinzu, das nicht übel getroffen scheint. – Die Vorzeichnung des Druckmanuskripts der Itinera bei Michael Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer und die Sintfluttheorie, Tübingen: Bibliotheca Academica Verlag 2003 (Frühneuzeit-Forschungen Band 10), Abbildung 39. 1711: Die Überarbeitung der Naturkunde1711 bringt Scheuchzer eine überarbeitete Fassung der »Physica« heraus (die Ausgabe 1729 ist ein Nachdruck im Neusatz). Er sagt in der Vorrede (Seite *v), das Buch sei um viel geändert / verbesseret / vermehret / mit Figuren gezieret / und nach heutiger Mathematischen Art eingerichtet. Die empirischen Befunde der Bergreisen gehen in die Überarbeitung ein. Sodann hat Scheuchzer – seit dem 30.11.1703 Mitglied der Royal Society, obwohl er nie in England war – inzwischen auch Newtons Optik studiert (»Opticks or a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light« englisch 1704; Scheuchzer las die 1706 erschienene lateinische Übersetzung ), die er sofort auch einarbeitet. Im 1. Teil arbeitet er das Kapitel XIII Vom Licht / Schein / Farben und anderen sichtbaren Begebenheiten ganz um (sieben Abschnitte kommen hinzu; einer wird umgeschrieben). Abschnitt 31 (1701) bleibt neu numeriert als 38 (1711) stehen; Scheuchzer referiert noch Descartes’ Auffassung, wonach die Farben durch eine modification des Lichts entstehen. Herr Cartesius
Descartes arbeitete mit einer Korpuskeltheorie des Lichts. Seine Modelle für das Phänomen der Brechung in einem dünneren bzw. dickeren Medium sind: Durchschlag einer Gewehrkugel durch ein Tuch mit Verlangsamung der Kugel; eine Billardkugel läuft über einen harten glatten Tisch schneller als über einen weichen, lockeren Teppich. (Die damals tumultuöse Geschichte der Lichttheorien – Fermat, Grimaldi, Rømer, Huygens – braucht hier nicht nachvollzogen zu werden.) – Im darauf folgenden Abschnitt nimmt Scheuchzer diese Lehre zurück:
Dann schiebt er ein ganzes neues Kapitel XIV ein: Von dem Liecht / und Farben nach Herren Nevvtons Meynung. Scheuchzer hat die zentralen Punkte von Newtons Lehre verstanden: Das experimentum crucis, wonach einerseits die im Prisma entstandenen Farbstrahlen nicht weiter zerlegt werden können; anderseits die verschiedenen Farben zusammen wieder weisses Licht ergeben; woraus folgt: Die weisse Farb des Sonnen-Liechts ist eine Vermischung der übrigen (Abschnitt 15). Sehr modern tönt auch der Satz: Bey denen Stralen ist anders nichts, als eine Fähigkeit in unser Gesicht eine gewisse Eintruckung zu verursachen, welche der Seelen eine gewisse Farb vorbilde: Gleichwie der Don einer Glocke, oder Saite anders nichts ist, als eine zitternde durch die Luft fortgetragene Bewegung, in dem Gehör aber, oder vielmehr in dem Gemüth, vorgestellet wird als ein Don. (Abschnitt 13). Im Zweyten Theil, Cap. XXIX, Abschnitt 13 arbeitet er wörtlich zitierend Newtons Erkenntnisse über die Brechung im Regenbogen ein (»Opticks«, 1. Buch, 2. Teil, Proposition IX, Aufgabe 4); der Text verweist Punkt für Punkt auf den zugehörigen Kupferstich. Auf mehreren Kupferstichen werden 1711 die Texte veranschaulicht. Dabei bedient sich Scheuchzer aus Descartes und Newton. Er rezipiert die verschiedenen Licht-Theorien eklektizistisch und übernimmt das Brauchbare. Hier nur zwei Beispiele, die nachher wichtig werden.
Physica, Tab. VIII, Fig. 25 (Haupt- und Neben-Bogen) ist eine Kopie aus Newtons »Opticks« 1704 bzw. 1706, Fig. 15; ebenfalls bis in die Beschriftung des Schemas mit Großbuchstaben hinein.
… und weitere BeobachtungenIn der »Meteorologia et oryctographia Helvetica, oder Beschreibung der Lufft-Geschichten, Steinen, Metallen … absonderlich auch der Überbleibselen der Sündfluth« 1718, S. 88–90 ergänzt Scheuchzer die Beobachtung betreffend die Wasserfälle durch eine weitere:
Mit einer Graphik und zugehörigen Bescheibungen erklärt er das Phänomen. Das Auge befindet sich in der Spitze eines hohlen Conus und sieht am Saum von dessen Mantel den runden Bogen. 1721: Das System wird umgekrempelt1721 publiziert Scheuchzer »Jobi Physica Sacra oder Hiobs Naturwissenschaft, vergliechen mit der heutigen«. Das ist beileibe kein Bibelkommentar im herkömmlichen Sinne, sondern Scheuchzer breitet ebenfalls naturwissenschaftliche Kenntnisse aus; er bringt sie bei jeder möglichen Gelegenheit an, wo im Bibeltext vom Meer, von einem Tier, einem Edelstein, einem menschlichen Organ usw. die Rede ist – und das Buch Hiob bietet viele solche Anlässe. Er folgt bei diesem Unternehmen nicht dem Aufbau seiner »Physica« – wo die Materien geordnet sind von der Geometrie aufsteigend über die elementaren Erscheinungen (Licht, Ton, Bewegung), die Elemente, Astronomie, Phänomene der Erd-Sphäre, das Tierreich bis zum Menschen (der sich freilich mit nur einem Kapitel bescheiden muss) – , sondern er folgt dem Bibeltext. Im Vorwort legt er dar, dass man durchaus so verfahren könnte, indem er alle Aussagen Hiobs und seiner Freunde über 17 Seiten hinweg gemäß der »Physica« aufreiht. Warum diese Systemänderung?
1731: Die »Physica Sacra«Das Hiobbuch bildet den Vortrab eines umfangreicheren Unternehmens; zehn Jahre später holt er aus zur »Physica Sacra«:
Mit dem Untertitel Natur-Wissenschafft derer in Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen sind Dispositionsprinzip wie Objektbereich umschrieben: Von der Genesis bis zur Apokalypse werden Naturphänomene erörtert, und zwar in der einzig sinnvollen Anordnung: derjenigen der Offenbarungsgeschichte. Scheuchzer macht mit dieser Anordnung des Wissens auch einen Universalitätsanspruch geltend: Wer alles, was die Bibel enthält, ihrer Ordnung gemäß bespricht, hat das ganze Universum besprochen und hat dargetan, dass das Buch der Offenbarung und das Buch der Natur von Anfang an immer kompatibel sind. An der Stelle Genesis 9, 12–17 hat er in der »Physica Sacra« das erste Mal Gelegenheit, über den Regenbogen zu sprechen.
Er bringt zunächst ein narratives Bild (Tab. LXV): die Arche sitzt auf einem Berg fest, die Wasser sind bereits zurückgegangen, Noah und die Seinen bringen Gott ein Brandopfer dar, über der ganzen Szene wölbt sich ein Regenbogen.
Das Motiv ist in der christlichen Ikonographie nicht sehr häufig; man fragt sich, wo sich der Illustrator für das Bild in der Physica Sacra hat anregen lassen.
Scheuchzer bemerkt (S. 79b), dass es zunächst paradox scheint, wenn Gott sich seines Bundes ausgerechnet anhand des so flüchtigen Regenbogens erinnern will und dazu weder Erz noch Marmor verwendet, und Fürsten ihre Verträge auf Pergament schreiben. Aber solche Dokumente sind gerade dem Untergang geweiht durch Rost, Maden, – der Regenbogen dagegen währet so lange die Welt seyn wird. Siehest du nun, daß die Wege GOttes gantz anderst sind, als die Weg der Menschen! Hier schreibet der grosse HERR den mit Noah und dem gantzen Menschlichen Geschlecht errichteten Bund in dünne Thau-Wolcken; der Griffel, Pinsel oder die Feder sind die unter sich selbst unterschiedene und vielfärbige Sonnenstrahlen: statt der Dinten bedienet er sich der vorhandenen Regen-Tröpflein; die Linien machen die darinn vorkommende, in gewisse Ordnung gestellte Farben von ausbündiger Schönheit; die Zierathen sind gebildet und ausgezogen von treflichen Zurück- und Bruch-Stralungen. Der Cantzler ist GOtt selbsten: »Ich will meinen Bogen in die Wolcken setzen.« Bereits die Heiden haben sich über den Regenbogen gewundert und deshalb als eine Tochter der Verwunderung unter die Götter aufgenommen (vgl. Plato, Theaitetos u.a.). Aus Apollodor übersetzt er (oder sein Augsburger Korrektor und Verseschmied der Zwischentitel Johan Martin Miller aus Ulm):
Der Regenbogen übertrifft alle Kunstwerke, insofern er jedesmal ein Original ist; zur gleichen Zeit sind so viele Regenbogen vorhanden als Zuschauer; er ist unerreichbar, insofern er dem Betrachter stets davonläuft. Man erkennt im folgenden Textabschnitt, wie der ältere Scheuchzer die Texte aus seinen früheren Fassungen übernimmt und verdichtet; den folgenden Text versteht man kaum, wenn man die Wasserfall-Beobachtungen aus den Jahren 1706 und 1707 nicht kennt:
Der Kupferstich Tab. LXVI gehört zu den seltenen in der Physica Sacra, die ungerahmt sind. – Vgl. Irmgard Müsch, Geheiligte Naturwissenschaft. Die Kupfer-Bibel des Johann Jakob Scheuchzer, Göttingen 2000, S. 114–131. – Es handelt sich um eine Überblendung von zwei Bildebenen: mimetisches Naturbild und Schemazeichnung.
So hat Scheuchzer auf den beiden Kupfern sowohl die biblische Geschichte als auch die empirische Erfahrung als auch die physikalische Erklärung eingefangen, drei Gebiete, die er immer wieder zusammenzusehen bemüht ist. Dazu hat er Bilder aus der eigenen Erfahrung wie auch aus verschiedenen Autoritäten kombiniert. Der dazugehörige Text verweist auf Cartesius, welcher der ersten einer gewesen, welcher die Regenbogens Zugehörden und Umstände zu Mathematischer und grundmässiger Gewißheit gebracht, worauf der unvergleichliche Natur-Kündiger Newton die Sache auf die oberste Stuffe gesetzet. (S. 80a) Dann wird mit Bezugnahme auf die Verweisbuchstaben in der Schemazeichnung das Phänomen erklärt. Scheuchzer übernimmt den Text der »Physica« 1711, Zweyter Theil, Cap. XXIV, Abschnitt 13. Schließlich wendet (S. 81a unten) sich Scheuchzer an Prediger, die er ermahnt, ihre Erbauung nicht auf Erdichtetes zu gründen, sondern auf die Grundlagen der Natur. Deme zufolge kan ein Lehrer Göttlichen Wortes bey Veranlassung des Regenbogens mit vollem Munde die unendliche Vollkommenheit GOttes, benantlich seine Weißheit, Macht, Gerechtig- und Barmhertzigkeit anrühmen. Nach der streng richtenden Sündfluth hat Gott den Bund und neu Gnade verkündet. Seltsamerweise bringt er nun – etwas halbbatzig; man hat den Eindruck, es handle sich um Reminiszenzen an Predigten – alte Deutungen aus der Tradition der christlichen Exegese an, ohne auf die ausführlichen naturwissenschaftlichen Darlegungen Bezug zu nehmen. Wichtig ist offenbar vor allem, eine Verbindung herzustellen zwischen Versprechen Gottes zu seiner Bundestreue im Regenbogen nach der Sinflut und dessen Einlösung in Christus.
Biblia pauperum. Faksimileausgabe des vierzigblättrigen Armenbibel-Blockbuches in der Bibliothek der Erzdiözese Esztergom. Text von E. Soltesz, Berlin: Union 1967; Blatt 34. — Heilsspiegel. Speculum humanae salvationis. Handschrift 2505 der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, hg. von Horst Appuhn, Dortmund 1981 (Die bibliophilen Taschenbücher, Nr. 267); Kapitel 31: Christi Himmelfahrt und Elias im Wagen.
Der Meditierende wendet sich in der Passionsandacht an Gott: Gedenk, himelscher vatter, daz du hie vor Noe gelúbd und spreche [spræche = sprachst]: »Ich wil minen bogen zerspannen in die lúfte, den wil ich an sehen, und der sol sin ein suonzeichen enzwischen mir und dem ertriche.« Eya, nu sihe in an, zarter vater, wie zerspannen und zertennet er ist, daz man alles sin gebein und sin rippe möchti zellen! [vgl. Psalm 22 (Vg. 21) :18] Luog, wie gerötet, ergrüenet und ergilwet in dú minne [die Liebe zu den Menschen] hat. Heinrich SEUSE († 1366), »Büchlein der Ewigen Weisheit«, Kap. 5 = Deutsche Schriften, hg. K. Bihlmeyer S. 214, vgl. »Horologium Sapientiae«, ed. Künzle S. 401.
Es erstaunt den Kenner von Scheuchzers Werk, dass er hier – wenn er schon die klassische Stelle Sirach 43:12 zitiert – nicht die Chance benützt, physikotheologische Überlegungen anzubringen. Die Gedanken, dass die überwältigende Schönheit sich nicht beim direkten Anblick, sondern im kleinsten Tröpfchen zeigt, so wie sich Gottes Allmacht, Weisheit, Güte in den Kreaturen offenbart, und dass Gott den Menschen mit den Farben sowohl Nutzen als Vergnügen bereitet hat, würden sich anbieten. Abbé Pluche hat dies in seinem »Spectacle De La Nature« dann ausgeführt.
Wissenschaftstheoretische Zwischenbilanz:Das (symbolische, aber auch alltägliche und wissenschaftliche) Deuten von Erscheinungen ist nicht nur naturgegeben, sondern unterliegt auch der Geschichte; und Geschichte ist kein ›Gänsemarsch‹. • zuerst Mythos, Religion So viel vom Regenbogen, Genug erwogen. – könnte man mit Scheuchzer (oder wohl eher Pfarrer Miller) sagen, wenn da nicht noch ein weiterer Autor wäre. Ein verwandter Geist 100 Jahre späterEin ebenfalls die Schweiz bereisender, der Empirie zugetaner Geist, der sich intensiv mit dem Phänomen des Lichts und der Farbe auseinandergesetzt hat, verwendet die Erscheinung des Regenbogens symbolisch. Goethe paralysiert Faust nach der Gretchentragödie, indem er ihm ein Bad im Thau aus Lethes Flut angedeihen lässt, aus dem Faust gereinigt von jeder Erinnerung hervorgeht. Am Morgen nach dem Heilschlaf erlebt Faust einen Sonnenaufgang. Einige Bemerkungen zu Fausts Monolog (in Terzinen, Faust II, 1. Akt »Anmutige Gegend«, V. 4679–4727) vorweg (vgl. u.a. den Kommentar zu Goethes Faust von Albrecht Schöne, Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker-Verlag 1999, S. 400–412): Faust hat das vermessene Verlangen nach unmittelbarer Erkenntnis des ewigen Lichts (1813 im Gedicht »Regen und Regenbogen« lässt Goethe Iris sagen: Gott und sein Gesetz) preisgegeben und bescheidet sich jetzt mit der Form einer indirekten Erkenntnis. Im »Versuch einer Witterungslehre« formuliert Goethe 1825: Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direkt erkennen: wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen. Goethe kannte nachweislich Werke des Dionysius Areopagita (deutsche Übersetzung: Die angeblichen Schriften des Areopagiten Dionysius, übersetzt und mit einer Abhandlung begleitet von Johann Georg Veit Engelhardt, Sulzbach 1823; Engelhardt hat auch 1820 Plotin übersetzt). Nach des Areopagiten Ansicht hilft Gott in seiner Güte dem Menschen, ihn zu erkennen: er nimmt auf dessen kreatürliches Erkenntnisvermögen Rücksicht und gibt sich ihm in Symbolen – das heisst in den Dingen der Schöpfung – verschleiert zu erkennen.
Goethe kennt die Erscheinung des Regenbogens im Wasserfall aus eigener Anschauung. An Schiller schreibt er aus Stäfa am 26. September 1797: Den 18. widmete ich ganz dem Rheinfall, fuhr früh nach Laufen und stieg von dort hinunter, um sogleich der ungeheuern Überraschung zu genießen. Ich beobachtete die gewaltsame Erscheinung, indeß die Gipfel der Berge und Hügel vom Nebel bedeckt waren, mit dem der Staub und Dampf des Falles sich vermischte. Die Sonne kam hervor und verherrlichte das Schauspiel, zeigte einen Theil des Regenbogens und ließ mich das ganze Naturphänomen in seinem vollen Glanze sehen. Nach Fausts Ansicht lässt sich das Ewige nur auf symbolische Art erkennen, wobei hier ›symbolisch‹ im Sinne des Areopagiten zu verstehen ist. Der Regenbogen ist somit ein Symbol fürs Symbolische.
* * * LiteraturhinweiseMarcel Minnaert, Licht und Farbe in der Natur (Licht en kleur in het landschap, 1954), Basel: Birkhäuser 1992. A. I. Sabra, Theories of Light from Descartes to Newton, London 1967. Michel Blay, Les figures de l’arc-en-ciel, Paris: Belin 2005 (Première édition Paris: Carré 1995) Bernard Maitte, Histoire de l’arc-en-ciel, Paris: Editions du Seuil 2005.
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