Kolloquium 2019»Die Präsentation sozialer Gruppierungen mittels symbolischer Formen«21. September 2019 in Zürich In Kooperation mit der Schweizerischen Gesellschaft für Kulturwissenschaften SGKW (www.culturalstudies.ch)
Das Thema in Kürze:»Durch den gezielten Einsatz von Symbolen sollen bestimmte Menschengruppen angesprochen werden, die sich mit ihren Erwartungen, Hoffnungen oder Befürchtungen in den Symbolen erkennen. Denn ein Symbol ist nicht nur stellvertretendes Zeichen für bestimmten Sinn, ein Symbol verweist gleichzeitig immer auf eine bestimmte soziale Gruppierung, die es für sich beansprucht. Diese Gruppierung definiert, verortet und qualifiziert sich durch ihre Symbole. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann sie überhaupt als gesonderte Gruppierung wahrgenommen werden. Symbolpolitik besteht darin, wie sich eine soziale Gruppierung durch Auswahl und Gebrauch ihrer Symbole gegenüber anderen Gruppierungen konstituiert, darstellt und in ihren Ansprüchen rechtfertigt.« (Andreas Hebestreit in »Drachensaat und Schlangensegen. 30'000 Jahre Symbolpolitik«, 2018, S.6) Soziale Gruppierungen (Clubs, Clans, Vereine, Parteien, Stände [société d’ordres], Nationen usw.) müssen und wollen in irgendeiner Form wahrnehmbar gemacht werden. Welche Distinktionsmerkmale, welche Inszenierungstechniken dienen dazu? Insignien, Fahnen, Abzeichen, Corporate Design, Trachten, Uniformen, Denkmale, Rituale, mythologisierende Erzählungen, visualisierte Genealogien, Bekenntnisse von Normen, spezifische Verhaltensformen und vieles anderes mehr sind Möglichkeiten, eine soziale Gruppierung sichtbar zu machen. Die Thematik schliesst an an die Tagung vom Jahr 1997: Kolloquium »Symbole im Dienst der Darstellung von Identität«, vgl. dazu Band 12 (2000).
Das war das Tagungsprogramm am 21. September 2019:
Anregungen und Ideen in bunter FolgeKompiliert von Paul Michel ※ Theoretisches Gruppierungen: Elaborierter könnte man den Begriff ›Aggregat‹ verwenden. Dieses Wort kommt vom Lateinischen ad-gregare: einer Herde (grex) beigesellen; bei Cicero: Ego te semper in nostrum numerum adgregare soleo. ≈ Ich pflege dich immer unserer Klasse [hier: dem Adelsstand] zuzurechnen. (Pro Murena ¶ 16). – Viele Philosophen haben verschiedene Definitionen des Begriffs entwickelt. So viel ist allen gemeinsam: Aggregat hält als Organisationsform die Mitte zwischen dem System / dem Organismus einerseits und dem ungeordneten Haufen / der Mischung andererseits. Für unser Vorhaben können wir sagen: Ein aus unterschiedlichen Individuen bestehendes, ideales, gedankliches Ganzes, dessen Zusammenhang auf einem Konstrukt beruht. Es gibt eine Skala solcher Einbindungs-Techniken in ein Aggregat: • eher trivial ist ein Bekenntnis wie ›Ich bin Fan des Fußballclubs Grasshoppers.‹ • komplizierter ist ein Commitment, das z.B. die Sympathie für eine politische Partei oder religiöse Gemeinschaft bekundet; die Partei ist immerhin insofern festgelegt, dass sie ein Programm (ein Credo), traditionelle Observanzen usw. hat. • komplex sind Identifikationen mit Aggregaten, die einen hohen Grad an Komponiertheit* aufweisen (z.B. ›Bürgertum‹).
Und weil es so schwierig ist, ein solches Aggregat zu beschreiben, gibt es ja eben die Symbolik dafür. Diese Symboliken sind anschaulich oder hörbar; sie wiederzugeben ist relativ einfach.
Zu unterscheiden ist: • die Person ist ›von Haus aus‹ individueller Träger eines erkennbaren Identifikationssymbols einer Gruppe (Thomas spricht den Dialekt des Sernftals); • die Person wird per Dekret zu einer bestimmten Auftrittsweise gezwungen (in den Ratssitzungen spricht man Schriftsprache, nicht alemannischen Dialekt); • die Person bekennt sich mittels des symbolischen Zeichens zu einer Gruppe (Annamaria spricht mit Kameradinnen den Slang der Jugendsprache, obwohl sie auch anders könnte); • die Person wird von Außenstehenden einer bestimmten Guppe zugeordnet, sei es herosierend, missfallend, oder sogar verunglimpfend; • der Person wird mittels automatisierter Entscheide von Robotern ein (pseudo-)soziales Aggregat verpasst.
In einer zunehmend atomisierten Massengesellschaft spielen solche angestrebten oder fiktiven oder oktroyierten Zugehörigkeiten eine wichtige Rolle.
※ Lebensformen von Ständen, sozialen Klassen Verkörperungen typischer Formen von Lebensführung: Ritter (miles; vita activa) und Geistlicher (clericus: contemplativa vita) sind gekennzeichnet durch die Falkenjagd bzw. die Lektüre eines Buchs; im oberen Register sitzen ein Falke und eine Taube auf derselben Stange: ecce in eadem pertica sedent accipiter & columba.
Was / wie jemand isst, wie jemand seinen Wohnraum gestaltet, was sie/er in Musik und bildender Kunst und Literatur schön oder hässlich findet, wie sich jemand kleidet, welchen Sport man treibt, usw. – das weist die Person als Angehörige*n einer bestimmten sozialen Klasse aus. Das ist die zentrale These von Pierre Bourdieu (1979).
※ Architektursymbolik ••• Der Turmbau zu Babel (Genesis 11,4): Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Also: Kolossal-Architektur zwecks Schaffung einer ethnischen Identität. Warum der HErr dieses Werk zerstört, darüber diskutieren die Bibel-Wissenschaftler seit längerem, vgl. hier. Flavius Josephus (ca. 37 bis ca. 100) hatte folgende Hypothese zum Vorhaben Gottes:
••• Mitherrscher und hohe Beamte des Römischen Reichs in der Spätantike zeigen durch stilistische Anlehnung an Bauten in Rom, dass ihre Niederlassung zur ›romanitas‹ gehört:
••• Erzbischof Anno II. von Köln mit Modellen der von ihm gegründeten fünf Kirchen und Klöster
••• Familien der Oberschicht zeigen mittels Architektur, dass sie dazu gehören – aber noch elitärer sind, was die Höhe des Turms zeigen soll. > ›Geschlechtertürme‹ in Bologna (Rekonstruktion von Angelo Finelli, 1917): ※ Denkmäler ••• ›Arnold Struthahn von Winkelried aus Stans‹ ist eine mythische Figur, die der Sage nach in der Schlacht von Sempach am 9. Juli 1386 Lanzen der gegnerischen habsburgischen Truppe von Herzog Leopold ergriff, in seinen Körper gerammt und dadurch seinen Mitkämpfern eine Gasse in die feindlichen Reihen geöffnet haben soll. – 1853 und 1855 wurden Wettbewerbe für ein Denkmal ausgeschrieben; 1865 wurde dann das von Lukas Ferdinand Schlöth geschaffene Denkmal eingeweiht.
Ein Denkmal möchte einerseits an ein denk-würdiges Ereignis oder eine Person aus der Verangenheit erinneren und damit eine Kontinuität der Geschichte evozieren, anderseits ruft es zu einer Identifikation damit auf ("monumentum" von moneo = nicht nur "erinnern", sondern auch "auffordern, ermahnen"). Hier wird nicht nur ein militärischer Sieg gefeiert, sonder auch die Opferbereitschaft des Einen für die ganze Gemeinschaft gezeigt, die dadurch überlebt hat – und so überleben soll. Neu aufkommende Herrscher zerstören in der Regel die Denkmäler – und damit symbolisch die sozialen Aggregate der eroberten Region (damnatio memoriae). Gedenktage in Erinnerung an die in Schlachten Gefallenen (Schlachtjahrzeiten) festigen die Idee eines Gemeinwesens. Ein klassisches Beispiel ist die »Näfelser Fahrt« in Erinnerung an die Schlacht vom 9. April 1388. ••• Zum Fête de la Fédération – Fest auf dem Marsfeld in Paris, das am 14. Juli 1790 zum ersten Jahrestag der Erstürmung der Bastille abgehalten wurde – prägte man eine Münze:
※ Museum als Ausdruck einer Nation Die nach etwa 1800 sich herausbildenden ›Nationalstaaten‹ – ein weites Feld! – wollten diese ihre Konstrukte – abgesehen durch die Verrechtlichung in Verfassungen und dergl. – auch ideell präsentieren. Eine Technik der Identitätsstiftung bestand in der Heroisierung einer gemeinsamen Geschichte, die im Museum anhand von Zeitzeugen anschaulich gemacht werden kann. Spätestens um 1880 wurden in der Eigenossenschaft intensiv Pläne für ein Natinalmuseum erwogen. Im Land gab es immer noch Spannungen zwischen den Konfessionen, zwischen Liberalen und Konservativen, zwischen Stadt und Land; die Industrialisierung sorgte für Unmut. Ein Museum wollte zeigen: ›Wir alle‹ waren immer schon: heroisch (vgl. die Heldenzeit von Morgarten, Sempach, der Burgunderkirege und Italienfeldzüge), freiheitsliebend, moralisch, arbeitsam, bildungsbeflissen, handwerklich und technisch innovativ, künstlerisch hochstehend; und wir stammen alle von éiner Urbevölkerung ab (von den Pfahlbauern). – Einstige Konflikte können ausgeblendet werden.
Ein phantastisches Bild zur Einweihung des Landesmuseums am 25. Juni 1898 hat Fritz Boscovits (1871–1965) gezeichnet: links die Pfahlbauer, dann in Leserichtung ein schreibender Mönch und ein Maler an der Staffelei vor einem Kachelofen und einer ›mittelalterlichen‹ Rüstung, vorne liegen Zwinglis Waffen nach Kappel auf einer Bibel, rechts ein Landsknecht mit Hellebarde. (Nebelspalter 14 1898, Heft 26 > digital hier) »Was ist ein Nationalmuseum? Es ist die Verkörperung des nationalen Gedankens.[…] Es ist der Tempel, den wir zu Ehren der Arbeit unserer Väter auf dem Schlachtfelde wie in der Werkstatt errichten.« (Aus der Werbeschrift des Initiativkomitees für die Errichtung eines Nationalmuseums in Zürich) Architekt Gustav Gull (1858–1942) errichtete einen Bau, der ein chronologisches Ensemble von Stilen darbot, keinen ›Sammlungskasten‹, sondern ein Museum, »gerade als ob man die einzelnen Bauteile aus den traulichsten Winkeln unsere Schweizerlandes fortgetragen und hierher gesetzt hätte … Wir befinden uns gewissermaßen in einer Art von konzentierter Idealheimat … Jeder fühlt hier: hier finde ich von der Kraft meines Volkes das Eigenste, Urwüchsigste und Beste in ehrwürdigen Zeugnissen aufbewahrt« (NZZ am 25. Juni1898). Hinweise: https://blog.nationalmuseum.ch/2018/06/ein-rundgang-durch-das-landesmuseum-um-1900/ François de Capitani (1950–2012), Das Schweizerische Landesmuseum. Gründungsidee und wechselvolle Geschichte, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 57 (2000), S. 1–16. > http://doi.org/10.5169/seals-169577
In der römischen Antike waren die ›Fasces‹ Rutenbündel aus Ulmen- oder Birkenholz, die von roten Riemen zusammengehalten wurden. Sie wurden den röm. Obermagistraten (consul, praetor) als ein Zeichen ihrer Amtsgewalt (imperium, dignitatis insignia) von Amtsdienern (lictores) vorangetragen. Bild. Loretana de Libero, Artikel »Fasces«, in: der Neue Pauly, s.v. Wie wurden sie zum Symbol politischer Einigkeit und Geschlossenheit?
Die Geschichte wird erzählt von Peter Lauremberg, Acerra Philologica (zuerst Rostock 1633, dann viele Neuauflagen) I,83 > http://www.zeno.org/nid/20005234603
Der Gedanke wird in der Emblematik aufgegriffen:
Das Liktorenbündel wird von Ikonographen als Allegorie für die Concordia angeboten:
Bereits vor der Französischen Revolution wird diese Geschichte für die Demonstration der Einigkeit des Staatswesens verwendet:
So erscheint das Motiv z. Bsp. auf den Deckenstukkaturen im ›Dritten Steinpalast‹ der Familie Zellweger (erbaut 1760–1763) am Landsgemeindeplatz in Trogen AR (Fotos P.M.): oder an der Türe des ehemaligen Rathauses Herisau (heute Histor. Museum für den Kanton Appenzell Ausserrhoden):
Muss noch explizit gesagt werden, dass unsere Gesellschaft nicht sympathisiert mit dem italienischen Faschismus, der – wie der Name sagt – dieses Zeichen auch als Logo hatte?
※ Kalenderreform Neue Regimes können sich auch durch eine eigene kalendarische Zeitrechnung manifestieren, so in der Französischen Revolution 1792, in der Sowjetunion 1929, bei den italienischen Faschisten 1922. (Jetzt gerade schreiben wir das Jahr 227 der ère republicaine = ère vulgaire 2019.) Hinweise: >
※ Repräsentationsformen in der ›Schwarzen Szene‹ (Darüber sprach an der Tagung vom 21.9. , von der dieses Exposé stammt.)Zu Beginn als Gothicszene oder als Gruftiszene bezeichnet, ist die Schwarze Szene in den 1980er-Jahren als Jugendbewegung aus der Punk-Szene entstanden. Seither ist die Szene nicht nur mit ihren Mitgliedern gealtert, auch die stilistische Breite ist inzwischen zu einer solch grossen Vielfalt an musikalischen und ästhetischen Stilrichtungen angewachsen, dass die Szene nun unter dem Oberbegriff «Schwarze Szene» zusammengefasst wird. Dass trotz dieser Vielfalt an Substilen und gleichzeitiger Überschneidungen mit anderen Szenen – als Beispiele wären etwa die Metal-, Mittelalter- oder Fetish-«Szene» zu nennen – von einer «Schwarzen Szene» gesprochen werden kann, erklärt sich zum einen durch die starke Verflechtung der verschiedenen Substile, zum andern durch eine gemeinsame Mentalität. Diese starke Verflechtung bzw. die fliessenden Übergänge zwischen den Substilen ergeben sich aus den vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der stilistischen Anleihen ebenso wie aus der stilistischen Varianz von Bands unter diachroner Perspektive und wird auch von den Szenemitgliedern immer wieder aufs Neue hergestellt, indem sie sich abwechselnd in verschiedenen Substilen «bewegen». Die hier postulierte Mentalität ist als «Gesamtheit von Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens in sozialen Gruppen» (Hermanns 2012) zu verstehen, wie sie aus der ethnologischen Studie von Schmidt/Neumann-Braun (2008) zur «Welt der Gothics» hervorgeht. Grundlegend erachten Schmidt/Neumann-Braun die Schwarze Szene als «Gemeinschaft von Individualisten», die sich in Kontrast zur Gesellschaft verstehe, jedoch ohne einen gesellschaftlichen Umbruch anzustreben. Vielmehr fungiere die Szene als Ausgleichsinstanz zum Alltag und nehme eine gesellschaftsstabilisierende Funktion wahr, indem die Mitglieder in der Szene das ausleben könnten, wofür im Alltag kein Platz sei. Das Szenenleben sei folglich nicht auf Konfrontation mit der Gesellschaft angelegt, sondern als subtiler, subversiver Protest zu verstehen, der – etwa im Unterschied zu Punk – die Integrationsfähigkeit der Mitglieder in der Gesellschaft nicht beeinträchtige. Konkret richte sich der Protest gegen den Spass- und Leistungsanspruch der Gesellschaft, der als defizitär erachtet werde, da Oberflächlichkeit, Unaufrichtigkeit und Feigheit damit einhergehen. Auf diesem Hintergrund stilisiere sich die «Schwarze Szene» zur Instanz in der Gesellschaft, die einen offenen, ehrlichen und substanziellen Umgang lebe, nicht zuletzt durch die freiwillige und ungeschützte Konfrontation mit Angst erzeugenden Themen und Ereignissen und der Anerkennung des Gefühls als werthaltige Kategorie. Dabei sei das Bekenntnis zu Gewaltlosigkeit, Nichtausgrenzung und Toleranz zentral. Insgesamt lasse sich dennoch keine typisch «schwarze» Sicht- oder Lebensweise feststellen, vielmehr sei es die reflektive Suche nach eigenständigen Sicht- oder Lebensweise selbst, die als typisch zu erachten sei. Dass die Ästhetik der Schwarzen Szene nicht primär auf Konfrontation mit der Gesellschaft angelegt ist, sondern der Erzeugung einer besonderen Atmosphäre, der Repräsentation der eigenen Befindlichkeit dienen soll, wird von aussen oft nicht verstanden. Auch wird die verwendete Symbolik zuweilen fehlinterpretiert, etwa als Ausdruck von Satanismus, Todessehnsucht, Aufmerksamkeitsdefizit oder sexueller Aufreizung. Diese Fehlinterpretationen lassen sich auf das grundlegende Problem zurückführen, dass sich die Ästhetik der Schwarzen Szene an kulturhistorisch aufgeladener Symbolik orientiert – diese aber bricht bzw. in einen anderen Kontext stellt. Es wird jedoch nicht nur der Gehalt verwendeter Symbolik – allen voran der Farbe Schwarz – oft missverstanden, durch ihre «allgemeine Zugänglichkeit» erfüllt sie im Alltagsleben auch nur bedingt die von Hebestreit (2018) postulierte Funktion der Gruppenkonstiuierung. Dafür fällt diese anlässlich von Veranstaltungen umso augenfälliger aus, wo-durch die Szene zuweilen auf Äusserlichkeiten reduziert zu werden droht (so etwa bei Tauscheck 2017). In meinem Referat «Von Provokation bis Prunk – Repräsentationsformen der Schwarzen Szene» versuche ich deshalb nicht nur den Gehalt «schwarzer» Symbolik, sondern auch die Problematik der Interpretation von Repräsentation aufzuzeigen. Was von wem warum als Provokation empfunden wird, hängt ebenso vom interpretativen Bezugsrahmen ab wie Prunk nicht einfach nur für Kostümierungsfreude steht. Hier das Exposé mit Bildmaterial und Literaturangaben und Links als PDF Hier eine Kurzfassugn des Referats als PDF
※ Corporate Design ••• Firmen, die sehr ähnliche Produkte herstellen (Waschmittel, Zahnpasta, Sportschuhe), stehen unter einem enormen Druck, sich zu vermarkten. Hier dient die Darstellung des Aggregats also weniger der Identitäts-Bildung als der Abgrenzung. Zur leicht wiedererkennbaren Präsentation (Corporate Design, Erscheinungsbild) wurden im Laufe des 20.Jhs. diverse optische Mittel entwickelt. • Das Logo
• Eine bestimmte Form der Verpackung; berühmt sind die Flaschen COCA-COLA oder WC-ENTE oder von ODOL (ist so im Regal auffällig): • Eine einprägsame Typographie des Markennamens: COCA-COLA; oder hier der Schriftzug, den der Elektroingenieur und Designer Hans Hilfiker 1958 der Elektro-Firma THERMA gab: ••• Es fragt sich sodann, woher die Idee zu diesen Logos jeweils kommt. • Dass ein Tierschutzverein als Logo ein sympathsich aussehendes Tier wie eine Eule verwendet, leuchtet ein. Das auf der Liste der gefährdeten Arten stehende Neunauge ist weniger attraktiv. • Dass engl. ›shell‹ eine Muschel bedeutet, ist klar, aber woher hat das Mineralöl-Unternehmen Royal Dutch SHELL diesen Namen und dann dieses Logo? • Woher kommt der Swoosh der Sportartikelfirma NIKE?
• Evident ist die Herkunft der Armbrust, die 1931 von der »Zentralstelle für das Schweizerische Ursprungszeichen« kreiert wurde. Freilich muss man die Sage des Nationalhelden kennen:
• Und warum werden solche Logos von Zeit zu Zeit abgeändert? Dasjenige der Firma Starbucks hat eine gute Vorfahrin (Mitte 15.Jh.):
※ Was zählt? Überlegungen zum Aggregieren und zu den Modalitäten chiffrierter Güterabwägungen in den (pseudo-)sozialen Netzwerken (Darüber sprach an der Tagung vom 21.9. , von der dieses Exposé stammt.)Mit dem Begriff der „selbstlernenden Algorithmen“ werden in der Informatik Softwareprogramme bezeichnet, deren Rechenvorgänge Datenstrukturen erkennen und entsprechende Informationen aufgrund vorangehender Programmieranweisungen selbständig speichern und verarbeiten können. Solche „programmierten Programme“ werden etwa von Internetplattformen (sogenannten Social Media wie facebook oder YouTube) eingesetzt, um grosse Mengen an Text-, Audio- und Bild-Daten nach bestimmten vorgegebenen Bedeutungsmerkmalen zu durchforsten. Entspricht ein aufgefundenes semantisches Feld den gesuchten Kriterien, wird der betreffende „Inhalt“ einem Set vordefinierter Befehle unterworfen. Die Bandbreite der automatisierten Such- und (Be-)Handlungsoptionen im Netz ist bereits heute beeindruckend. Ein „Sammeln und nach der Formel xy auswerten“ bedeutet für die Marketingabteilung werbetreibender Social-Media-Partner, dass sich per Maschinen-Entscheid individuelle Nutzerprofile anlegen und entsprechende Kaufangebote ad personam formulieren lassen. Der Befehl „Suchen nach Gleichwertigem und in die Angebotsschlaufe einfügen“ schlägt mir weitere ähnliche Gegenstände wie den eben genutzten vor und nimmt mir so die Entscheidung ab, was ich als nächstes in Betracht ziehen will. Ein dritter in der datenverwaltenden Praxis solcher Plattformen besonders häufiger Befehl lautet: „Löschen, und das identifizierte Angebot bzw. dessen Anbieter auf den Index setzen“. Dass im letzteren Fall der Schutz vor ungewollten (zum Beispiel gewalthaltigen oder pornografischen) Inhalten im Vordergrund steht, ist leicht verständlich und auch durchaus nachvollziehbar. Wie immer im Umgang mit präventiven Schutzmassnahmen stellt sich aber die Frage, wer hier das uneingeschränkte Recht auf Schutz wovor genau geniesst, und wem es letztlich obliegt, die entsprechenden Programme zu programmieren – mit welchen Eigeninteressen (a), welcher tatsächlich zu erwartenden „Treffsicherheit“ (b) und welchen Transparenzgeboten hinsichtlich der Kennzeichnung der Schutzabsicht für direkt oder indirekt Betroffene (c). Was ist nämlich, wenn der search-and-destroy-Befehl seiner (… primären Lösch-)Aufgabe nicht „am hellichten Tag“, sondern grundsätzlich diskret und auf leisen Sohlen nachgeht? Letztlich stellen solche „intelligenten“, aufgrund sprachlicher Kriterien und mit mathematischer Präzision ausschliessenden Überwachungstechniken wieder einmal die Frage nach der Verantwortung von (programmierenden, aber auch schreibenden, lesenden und handelnden) Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft: Wer aggregiert und sortiert, nach welchen Spielregeln und Programmgrundsätzen? Das Exposé hier als Word-Dokument (mit Literaturangaben) Der ganze Aufsatz hier online Weitere Hinweise: • Thema Zensur im Netz:
• Thema Algorithmen und Scoring (ernsthafte Diskussionsbeiträge):
• Thema Algorithmen (Sachen zum Lachen):
※ Embleme veranschaulichen die Eintracht in der Vielfalt anhand der Bienen-Allegorie Die Allegorie ist zunächst ein allgemeines Konzept und betrifft noch nicht ein konkretes soziales Aggregat. ••• Vergil beschreibt in der »Georgica« IV, 176ff. den Bienenstaat mit deutlichen Bezug zum menschlichen Idealstaat. – Das aufeinander abgestimmte Zusammenwirken der Drohnen, Arbeiterinnen und der Königin wurde immer wieder allegorisch ausgelegt. (Bei Dietmar Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik …, München: Fink 1983 gibt es ein einschlägiges Kapitel dazu.) ••• Das Bild im Emblem von Johannes Sambucus 1531–1584 zeigt einen Herrscher neben fliegenden Bienen.
Hier die Übersetzung bei French Emblems at Glasgow: Mixed constitution not without a first magistrate — Let us follow the habits of flower-gathering bees who wander in summertime: a mix of powers after their custom. They worship Kings and Commanders (to these go the seeds of eternal Mind) and obey laws and the call to arms. They watch their leaders, and those with the best opinions they wish unanimously to rule by right over all. The Prince is nothing without counsel, and the rest of the Senate undertakes [to work], and thus they observe the work laid upon them. They practise war, they provide images of peace; they drive out the idle, and give rewards to the good. Place them as examples before you, unless a man who wishes to have just the name without the reality can be respected as a monarch. No less than the others, he obeys his own orders, in which there is justice, and avoids causing losses to the people. If someone hopes for such a ruler, you, Ferdinand, greatest of Emperors, certainly are, and your Maximilian will be such a man. ••• Bei Joachim Camerarius (1534–1598) zeigt Emblem III, Nr. 90 Bienenstöcke, und als Motto steht: Labor omnibus unus, in der zeitgenössischen Übersetzung: Gleiche Mühe/ gleiche Ruh | Findet man hier immerzu. Im Kommentar steht u.a.: Mit diesem Sinn-Bild wird die Sorg und der Fleiß wohl zu regieren angedeutet/ sampt dem Gehorsam der Unterthanen.
••• Die »Emblemata Politica« von Peter Isselburg (ca. 1580 – 1630/1631) und Georg Rem (1561–1625) gehen auf die 1613 entstandene Innendekoration des Nürnberger Ratshaussaals zurück; dementsprechend ist das Programm zu verstehen.
Wolf Helmhardt von Hohberg (1612–1688) verwendet das Emblem ebenfalls:
Der Physikotheologe Adam Gottlob Schirach (1724–1773) bezieht den Bienenstaat dann auf eine konkrete Situation (Textausschnitte S. 158ff.)
※ Der Sprachstil zeigt die Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen Gruppe Abgesehen vom Wandel der methodischen Zugänge und Interessen ist in den Geisteswissenschaften seit langer Zeit der Stil der Publikationen Ausdruck der Zugehörigkeit zum (im Moment gerade einzig relevanten, und alles Frühere außer Kraft setzenden) Trend. Max Weber sagte in seinem 1919 gehaltenen Vortrag »Wissenschaft als Beruf«:
Der Germanist Klaus Laermann polemisierte in der »Zeit« (30. Mai 1986) brillant gegen den damals aufkommenden modischen Stil, unter dem Titel Lacancan und Derridada. Frankolatrie: gegen die neuste Mode, den neuesten Nonsens in den Kulturwissenschaften. Digital hier. – Ein weiterer Aufsatz von ihm zu diesem Thema erschien in der »NZZ« am 11./12. September 1993 unter dem Titel »Der Zwang zum Wechsel. Moden in den Geistes- und Sozialwissenschaften«. Der Physiker Alan Sokal konnte 1986 einen Hoax-Artikel publizieren, in dem er den Jargon der Sozialwissenschaften karikierte, der den Redaktoren der Zeitschrift nicht suspekt war. > https://de.wikipedia.org/wiki/Sokal-Affäre Der Zoologe Richard Dawkins verfasste 1998 einen Aufsatz “Postmodernism Disrobed”, in: Nature 394 (6689), pp. 141–143. Digital hier.
Mit dem Computerprogramm “Postmodernism Generator” (written by Andrew C. Bulhak using the Dada Engine, a system for generating random text from recursive grammars) lassen sich solche Texte in beliebiger Fülle generieren: http://www.elsewhere.org/pomo/ Heinz Weber zitiert in seiner sprachsoziologischen Dissertation (Studentensprache, Weinheim/Basel 1980) im Kapitel 4.5.1. »Die ›Bluff‹-Sprache« (S. 243ff.) aus einem Interview :
※ Die ›Kappeler Milchsuppe‹ Am Ende des Ersten Kappelerkriegs (vgl. den Artikel im HLS) sei es nach zeitgenössischen Berichten zu einer Fraternisierung der beiden Parteien gekommen: Die Vertreter der katholischen Fünf Orte – Gebiete mit Viehzucht und Milchwirtschaft – stifteten die Milch, und diejenigen der reformierten Kantone – Gebiete mit Getreideanbau – Brot zum Eintunken in eine Suppe. – Der Krieg endete ohne Blutvergießen.
※ Der ›Geschmack‹ als Ausdruck des Mitte des 18.Jhs. aufkommenden Bürgertums Dazu ein Kapitel aus einer umfangreicheren Untersuchung zur Aesthetik von hier als PDF zum Download — Daraus kurze Textauszüge:
※ Typographie als Bekenntnis einer Gruppierung Das der Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie dienende Netzwerk »Blood and Honour« (in Deutschland seit 2000 verboten) präsentiert sein Logo in einer Frakturschrift: Auch andre Gruppierungen, Lokale, Bands dieser Richtung verwenden die Fraktur. Damit soll natürlich typographisch die Nähe zur entsprechenden Partei konnotiert werden. Bei genauer historischer Betrachtung erweist sich diese Assoziation freilich als Eigentor: Nach der Wahl von A.H. zum Reichskanzler 1933 wurde die Verwendung der Frakturschrift in sämtlichen amtlichen Drucksachen gefordert. Die gebrochene Schrift wurde als arteigene deutsche Schrift bezeichnet; die Antiqua galt als fremdländisch. Nach den anfänglichen militärischen Erfolgen im 2.WK behinderte die Fraktur aber die Verständigung der deutschen Behörden mit der Bevölkerung der besetzten Gebiete; auch wollte man Propagandatexte nicht durch die typographische Sonderstellung als typisch deutsch markieren. Am 3. Januar 1941 entschied sich der Führer für die Einführung der Antiqua; sein Stellvertreter Martin Bormann erklärte in dessen Auftrag u.a.: In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. (Abdruck bei Kapr S.81; digital hier> http://ligaturix.de/bormann.htm) (Es gab nie einen Drucker namens Schwabacher; die Schrift wurde erstmals 1472 verwendet; Luthers Septembertestament (1522) ist in dieser Type gesetzt – und er war wahrlich nicht jüdisch.) Literatur: Albert Kapr, Fraktur. Form und Geschichte der gebrochenen Schiften, Mainz: Hermann Schmidt 1993. Siehe auch > https://de.wikipedia.org/wiki/Antiqua-Fraktur-Streit#Normalschrifterlass > https://vau-ef-be.beepworld.de/frakturverbot.htm
(Darüber sprach an der Tagung vom 21. September , von der dieses Exposé stammt.)Berlin 1936: Die Nationalsozialisten führen ein Kennzeichnungssystem für Gefangene in Konzentrationslagern ein. Verschiedenfarbige Dreiecke auf der Häftlingskleidung bezeichnen den Grund der Inhaftierung. Ein rosa Winkel markiert Männer, denen gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen vorgeworfen werden. Berlin 2019: Die US-amerikanische Drag Queen Pansy präsentiert in der Volksbühne ihre schrille Travestie-Show „High Drag“. Sie tritt vor das jubelnde Publikum – gekleidet in einen riesigen, paillettenübersäten rosa Winkel. Der Vortrag zeichnet die Reise des rosa Winkels vom Nationalsozialismus über die Schwulenbewegung der 1970er und AIDS-Gruppierungen der 1980er Jahre bis zur Verwendung in der Gegenwart nach. In seiner bewegten Geschichte wandelt das Symbol mehrfach seine Bedeutung: von der Fremdzuschreibung zur Selbstbeschreibung, von der Ausgrenzung zur Emanzipation. Stets dient es jedoch der Konstituierung und Repräsentation sozialer Gruppen. Diese gruppenkonstituierende Wirkung entsteht durch das Zusammenspiel von Ikonographie, Rhetorik und szenischem Vorgang. Daher werden für jede Phase der Nutzung des rosa Winkels die Beziehungen zwischen dessen graphischer Gestaltung, der begrifflichen Bezeichnung (›Homosexuelle‹, ›Schwule‹, ›AIDS-Kranke‹ etc.) und der Verwendung dieser Symbole in Schauhandlungen analysiert. Die Untersuchung des Bedeutungswandels des rosa Winkels zeigt darüber hinaus, wie jede Neuverwendung des Symbols sowohl die jeweils vorangegangene Bedeutung reaktualisiert als auch eine neue Bedeutung anlagert.
※ Erzählgemeinschaften auf der Basis von Mythen Der Theologe Johann Baptist Metz hat (Kleine Apologie des Erzählens, in: Concilium, 9/5, 1973, S.334–341) das Christentum eine »Erzählgemeinschaft« genannt. Das lässt sich erweitern: Ganze Kulturen teilen einen Schatz von Narrativen und sie definieren sich mitunter über diese. Dabei sind es nicht nur die Inhalte, sondern auch Erzählmuster (z.B. eschatologischer Geschichtsverlauf auf ein Endziel hin). Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann man markieren, indem man die gemeinsamen Geschichten heraufbeschwört und (immer wieder) aufsagt.
※ Mahlgemeinschaft Wer zum gemeinsamen Essen eingeladen wird, gehört zur Gemeinschaft. Aber bitte abgestuft, gemäß einer genauen Sitzordnung:
In der Fruchtbringenden Gesellschaft (1617–1680) – die eine Wiederherstellung eines die Stände übergreifenden, tugendhaften gesellschaftlichen Lebens anstrebte – sind die konventionellen Förmlichkeiten gesprengt; man nennt sich mit dem Gesellschaftsnamen ohne Titulatur. Hier eine Tafelrunde im Emblem des Herzogs Wilhelm von Sachsen-Weimar (Kupferstich von Peter Isselburg): ※ Zeremoniell, Etikette «Eine Zeremonie besteht aus einer Abfolge menschlicher Handlungen, die eine Ordnung symbolisch repräsentieren und sie gegenüber den Adressaten ästhetisieren. […] Es handelt sich bei Zn. um ein universelles Phänomen, da kein komplexeres politisches oder religiöses Ordnungssystem ohne Selbstdarstellung vorstellbar ist. Jede Normativität bedarf der sinnlichen Anschauung. Die Stilisierung von Herrschaft durch eine Z. beabsichtigt regelmäßig deren Stabilisierung.« Miloš Vec, Artikel »Zeremonie, Zeremonialwissenschaft« in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 12 (2004), Sp.1301–1305. (Blütezeit der profanen Zeremonialwissenschaft: um 1700ff. Das Problem ist, dass in den Quellen die sinnlichen Inszenierungen peinlich genau beschrieben werden, über deren Integrationsfunktion indessen kaum etwas gesagt wird.) Julius Bernhard von Rohr (1688–1742) beschreibt die Regeln des förmlichen Verhaltens (Etikette) in der feinen Gesellschaft. Über das Generelle schreibt er:
Im Kapitel Von der Mode schreibt er (S.41):
Eine auffällige leibliche Geste ist das Compliment (die Verbeugung). Dazu von Rohr, I. Theil. VI. Capitul. § 25:
Die übertriebene Komplimentiererei wurde schon früh karikiert. Hier der Complimentier-Narr:
Literatur hierzu: Manfred Beetz, Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum, Stuttgart: Metzler 1990.
※ Zur Theorie der Unbegrifflichkeit in der Beschreibung des Menschen: Vico und Blumenberg (Darüber sprach an der Tagung vom 21.9. , von dem auch dieses Exposé stammt.)Kant schreibt am Anfang der Abteilung der "transzendentalen Logik" in der Kritik der reinen Vernunft, dem grundlegenden Werk der neuzeitlichen Philosophie, über die Begriffe, die den Grundbestand der menschlichen Erkenntnis a priori ausmachen, dass sie "vollständig" sein müssten, und er führt aus: "Nur kann diese Vollständigkeit einer Wissenschaft nicht auf den Überschlag, eines bloss durch Versuche zustande gebrachten Aggregats, mit Zuverlässigkeit angenommen werden; daher ist sie zur vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori und durch die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch ihren Zusammenhang in einem System möglich" . Die Frage, wie die Einbildungskraft auf geregelte Weise die Grundstruktur der erkannten Welt durch den Sinnlichkeit und Verstand aufeinander beziehenden Schematismus der reinen Verstandesbegriffe hervorbringt, bildet das Zentrum von Kants Analyse. Nicht von Ungefähr werden die Untersuchungen Kants zur Einbildungskraft und zur "facultas signatrix" in Zusammenhängen, die nicht zum eng umgrenzten Bereich der reinen Struktur der in den mathematisierten Naturwissenschaften thematisierten Gegenstandswelt gehören, sondern in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht vorgenommen. Auf die systematische Weiterführung der von Kant aufgerissenen Frage des Schematismus drängt Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen, seinem Versuch einer philosophischen Anthropologie sowie seinen Analysen zum Mythos in der Politik. Weniger in seinen veröffentlichten Schriften als in den Texten aus seinem Nachlass zu den "Basisphänomenen" bewegt er sich jedoch in Richtung eines Verstehens der Funktion der Unbegrifflichkeit, das fähig wäre, die Bedeutungen des Bildes zu analysieren, die etwa Buber in seinen Untersuchungen zur sozialen Utopie ("… ich glaube an die Begegnung von Bild und Geschick in der plastischen Stunde.": Pfade in Utopia), Bataille, Caillois und andere in den Sitzungen des Collège de Sociologie, Benjamin im Passagen-Werk oder Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen und seinen Analysen zu Frazers Golden Bough thematisieren. Der Beitrag widmet sich den vielfältigen Untersuchungen von Hans Blumenberg zur Unbegrifflichkeit im Phänomenbereich der Anthropologie und der Lebenswelt auf dem Hintergrund von Giambattista Vicos Erörterung der "sapienza poetica" in seiner Scienza Nuova. Es wird gefragt, wie sie eine Möglichkeit bieten, die Bedeutung des Symbols in der Beschreibung des Menschen im Hinblick auf soziale Aggregate zu erfassen. ※ Kommers Lange bevor Burschenschaften feierliche Kommersen begangen haben, muss es so etwas Ähnliches im hohen Norden gegeben haben:
※ Rituelle Handlungen Die Selbst-Identifikation und der Fortbestand einer religiösen Gemeinschaft wird garantiert durch das Einhalten gewisser verbindlicher (Solidaritäts-)Riten. • Inzensieren (Inzension) ist die Beräucherung von Altar, Kreuz, Ambo und Heiligenbildern mit verbrennenden Weihrauchkörnern. Dazu gibt es eine genaue Vorschrift. – Auszüge aus § 392 des »Repertorium Rituum« (Verweise auf die Zahlen des Bildes):
• In der ethnographischen Literatur zur Zeit der Entdeckungen werden öfters Riten der indigenen Völker beschrieben. Hier:
※ ›Das Soziale als Gefäß‹ – Gedanken zur Töpferei des Neolithikums. (Dazu sprach am 21. September .)
※ Die soziale Einhheit als organischer Körper imaginiert Im Jahr 494 v.u.Z. führte der Ständekampf zwischen den Patriziern und den (›unterprivilegierten‹) Plebejern zur sogenannten ersten secessio plebis: Aufständische Plebejer verschanzen sich auf einem Berg (dem mons sacer) ausserhalb der Stadt, verhalten sich aber mehrere Tage lang ruhig. In der Stadt ist die Lage gespannt, weil sich die von den Ihrigen zurückgelassenen Plebejer vor den Patriziern fürchten und diese sich vor jenen. Wie lange werden die Sezessionisten ruhig bleiben? Was, wenn ein aussenpolitischer Krieg ausbricht? Man erkennt, dass nur Einigkeit der Bürger die Stärke Roms ausmacht. Menenius Agrippa wird als Sprecher gesandt. Er wird ins Lager eingelassen und erzählt das Gleichnis vom Magen und den Gliedern (Quelle: Livius, ab urbe condita II, 32):
Menenius kann die Gemüter der Menge umstimmen:
Die Plebejer kehren zurück, nachdem die Patrizier ihnen das Zugeständnis gemacht haben, ihnen künftig über die Volkstribunen Gehör zu verleihen. Vgl. auch 1. Korintherbrief 12,12ff. Literatur dazu: Dietmar Peil, Der Streit der Glieder mit dem Magen, (Mikrokosmos 16), Frankfurt/M. 1985.
※ Genealogie bewirkt Zugehörigkeit zu einer Gruppe
※ Symbolische Darstellungen von Standesunterschieden im feudal-chinesischen Adel. (Dazu sprach am 21. September .)Bis zur sogenannten «Rebellion des An Lushan» im 8. Jahrhundert war China ein Reich, das auf die Existenz einer Adelsschicht aufbaute. Parallel, bzw. entsprechend dem Europäischen Feudalsystem existierten in China fünf Adelsränge, die von Übersetzern mit den europäischen Pendants gleichgesetzt wurden:
Die Adelsschicht musste innerhalb ihrer selbst weitere Differenzierungen zwischen den einzelnen Adelsstufen vornehmen, und dies geschah weitgehend über symbolische Formen, deren getreuliche Ausführung und Betonung die Konstruktion des Sozialen Aggregates erst ermöglichte. Erst diese Handlungen und die zur Durchführung angelegten Ritualorte erlaubten eine Abgrenzung der Adelsschicht gegenüber dem Rest der Bevölkerung, aber gleichzeitig wurde dort auch die Stratifizierung innerhalb der Adeligen markiert. Die adelsinternen Rangdifferenzen drückten sich in einer Vielzahl von Details aus, sei es die sprachliche Anredeform, Details an der Kleidung wie der Fellbesatz am Kragen oder die Konstruktion des Ahnentempels. In den Ritenhandbüchern der frühen Kaiserzeit werden diese Statusunterschiede klar benannt. Der sinologische Beitrag nimmt Betrachtungen dieser unterschiedlichen Statusmerkmale vor, wobei insbesondere das entsprechend der Feudalstruktur abgestufte System der Ahnenverehrung eingehender analysiert werden soll. Der Ahnentempel als zentraler Ort für die Ausführung ritueller Obliegenheiten war für das Selbstverständnis der Adelsschicht grundlegend und die dort vorgenommenen rituellen Handlungen sollten den Beistand der Ahnen sichern, aber auch Zeugnis sein der korrekten Generationenfolge der Herrscher.
※ Eine historische Begebenheit evoziert Gemeinschaft Die drei auf dem Rütli schwörenden Eidgenossen kommen öfters auf Titeln von Geschichtsbüchern vor:
In der Epoche der ›Regeneration‹ kommt es in der Eidgenossenschaft zu Zwistigkeiten auf verschiedenen Ebenen (herrschaftspolitisch [Zentralgewalt vs. Föderalismus], gesellschaftlich, konfessionell, bezügl. Pressefreiheit, Einfluss ausländischer Mächte usw.). Die Pariser Julirevolution hatte 1830 wichtige Signale gesetzt, und es kam zu Unruhen. Es stehen sich Konservative und Liberale gegenüber. Das Scheitern der Entwürfe für eine Bundesrevision 1833 war für viele Intellektuelle deprimierend. Erst 1848 ensteht Ruhe. Es entstehen Gesellschaften zur Geschichtsforschung. Der Mythos der alten Gleichsinnigkeit und Freiheit wird Programm der neuen Zeit. Martin Disteli (1802–1844), seit 1839 Herausgeber und Illustrator des »Schweizerischen Bilderkalenders«, stellte sich in den Dienst der liberalen Sache. Er zeichnet antiklerikale Karikaturen und Historienbilder. 1839 und 1840 behandelt Peter Jakob Felber (1805–1872) den Schweizerischen Bauernkrieg von 1653. Seine Quelle ist vermutlich: Johann Joseph Alois Vock, Der grosse Volksaufstand in der Schweiz oder der sogenannte Bauernkrieg im Jahr 1653, o.O., 1830.
Der Goldene Bund war ein 1586 geschlossenes Bündnis der sieben katholischen Orte in der Eidgenossenschaft (fünf innere Orte zusätzlich Freiburg und Solothurn) untereinander zur Erhaltung der kathol. Konfession in der Eidgenossenschaft. Die Kontrahenten verpflichteten sich, beim alten Glauben zu bleiben, und versprachen sich gegenseitige Hilfe bei der Abwehr äusserer oder innerer Gefahren.
※ Gruppenporträt
※ Ein zukunftsgerichtetes Narrativ festigt Gemeinschaft ›Narrativ‹ wird hier verstanden als eine sinnstiftende (in einem Kulturkreis oder einer gesellschaftlichen Gruppe Orientierung vermittelnde) Erzählung. Nach dem Sputnikschock 1957 und dem ersten bemannten Raumflug von Juri Gagarin 1961 nehmen sich die Amerikaner vor, bis zum Ende des Jahrzehnts eine bemannte Mondlandung zu erreichen. Das Narrativ eines (sportlich aufgefassten!) Wettlaufs ins All sollte die eigene technische Überlegenheit beweisen, um die Überlegenheit des eigenen Gesellschaftssystems aufzuzeigen. Aus der Rede von Präsident John F. Kennedy vor dem Congress, May 25, 1961:
Vgl. den guten Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Wettlauf_ins_All
※ Druckermarken, Verlagssignete der frühen Neuzeit
※ Feste Festen wird – neben vielen anderen Funktionen wie z.B. der Aufhebung der Normen des Alltaglebens – eine identitätsstiftende Funktion zugesprochen. An Festen wurden (werden?) etablierte Ordnungen symbolisch gestützt, das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Gemeinschaftssinn bewusst gefördert. Spiele, Tanz und Wettkämpfe gehören dazu. Die vasnacht der dreyen Lendern Ure, Switz und Underwalden (8.–11. Februar 1508)
Hans Sebald Beham (1500–1550): Bauernfest (um 1532) > http://www.zeno.org/nid/20003885410
Albrecht von Haller (1708–1777) beschreibt in seinem Gedicht »Die Alpen« (1729) ein Älplerfest. In den Anmerkungen schreibt er: Diese ganze Beschreibung ist nach dem Leben gemalt. Sie handelt von den sogenannten Bergfesten, die unter den Einwohnern der bernischen Alpen ganz gemein und mit mehr Lust und Pracht begleitet sind, als man einem Ausländer zumuthen kann zu glauben. Alle die hier beschriebenen Spiele werden dabei getrieben: das ringen und das Steinstoßen, das dem werfen des alten Disci ganz gleich kömmt, ist eine Uebung der dauerhaften Kräfte dieses Volkes. Man sieht leicht, daß dieses Gemälde auf die vollkommene Gleichheit der Alpenleute geht, wo kein Adel und sogar kein Landvogt ist, wo keine möglichen Beförderungen eine Bewegung in den Gemüthern erwecken und die Ehrsucht keinen Namen in der Landsprache hat Auszug:
——————————— Ausstellung »Fest und Öffentlichkeit« (6.7.2019 – 3.5.2020, jeweils Mo. – Do. 14–17 Uhr) Ausführliche Dokumentation online hier > https://www.bibliothek-oechslin.ch/ausstellungen/fest-und-oeffentlichkeit ——————————— Literaturhinweise: • Artikel »Schützenfeste« in: E. Götzinger, Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885, S. 911–913. > http://www.zeno.org/nid/20002777134 • Walter Leimgruber, Artikel »Feste« im Historischen Lexikon der Schweiz > http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D17447.php • Paul Hugger (Hg.) in Zusammenarbeit mit Walter Burkert und Ernst Lichtenhahn: Stadt und Fest. Zu Geschichte und Gegenwart europäischer Festkultur. Stuttgart: Metzler 1987.
※ Umzüge und Versammlungen ••• Umzüge wollen Gemeinschaft stiften. Hier der Aschermittwochumzug der Widder-Zunft (Metzger) in Zürich 1690 (Quelle: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft 2010) ••• 1830 fanden in verschiedenen Städten der Schweiz sog. Volkstage statt, in denen liberale Verfassungen gefordert wurden, was von den Regierungen dann auch bewilligt wurde. Das Vorbild waren die Landsgemeinden, in denen man das vorbildliche Zusammenwirken von Regierung und Regierten, von Minderheiten und Mehrheiten, das Zurücktreten sozialer Unterschiede sah. Ein berühmte solche Versammlung war der »Ustertag« am 22. Wintermonat [November] 1830.
••• Zum 1. Mai: Ottilie Baader (1847–1925):
※ Nationalhymnen und dergleichen aus Melodie und Text zusammengesetzte Einheiten sind ein prägnanter, gut erkennbarer Ausdruck eines sozialen Körpers. Von anderen Gruppen werden sie wegen der Sozietät, die sie symbolisieren sollen, in Verruf gebracht, schlecht beleumundet, als politisch verachtenswürdig dargestellt. Zwei Beispiele hierfür:
※ Dialekte: «I gugge nid, i luege gschider!». Abgrenzungswahrnehmungen im Schweizerdeutschen (Darüber sprach am 21.September , von dem auch dieser Text stammt.)Der eigene Dialekt und die Auseinandersetzung mit jenem ist Teil des Selbstverständnisses aller, die mit Schweizerdeutsch aufgewachsen sind. Dazu gehört auch, sich mittels dialektaler Unterschiede von anderen abzugrenzen oder andere von der eigenen Sprechergruppe auszuschliessen: «Wer niid säit, isch gschiid, wer nööd säit, isch blööd.» Mit der Abgrenzung geht automatisch ein Prozess der Gruppenbildung und Gruppenzugehörigkeit einher, wie die Winterthurer als niid-Sprecher anschaulich verdeutlichen. Abgrenzungswahrnehmungen lassen sich über eine relativ grosse Distanz («In Basel sagen wir Wäie, in Bern sagt man Chueche.») oder im eher kleinräumigen Bereich («In Zug sagen wir morn, in Unterägeri sagen sie morä.») beobachten. Zur Abgrenzung werden Unterschiede aus praktisch allen Sprachebenen beigezogen, am häufigsten zu beobachten sind aber lautliche Phänomene. Nicht selten findet dabei dasselbe sprachliche Phänomen in verschiedenen Regionen Beachtung, so beispielsweise die Realisierung von mittelhochdeutsch ei: «Mir hei Leitere u Geisse, die z Raufli (=Ranflüh) hii Liitere u Giisse», im mittleren Emmental, während die Klettgauer gemäss den Stadt-Schaffhausern «e Zaane voll Saapfe d'Laatere abschlaapfe». Beobachtungen zu dialektalen Unterschieden können als neutrales Abgrenzungsphänomen aufgefasst werden, sie können aber auch (positiven oder) negativen Einschätzungen unterliegen und Gegenstand von Sprachspott werden: «Möösch de d Schöö gööt zöö töö.», so machen sich die Brienzer über die Haslitaler lustig, die das ue monophthongisch als ȫ aussprechen. Solche Merk- resp. Spottverse mit kumulierten Beispielwörtern bilden nicht immer die Realität ab: «Hoopsoch dr Hond isch gsond.», sagt man laut einem Zürcher in Appenzell, doch ist und bleibt auch in Appenzell eine Sache e Sach. Die Beispiele stammen aus einer online-Umfrage des Deutschen Seminars der Universität Zürich. Diese hat zum Ziel, schweizweit allgemein bekannte, spezielle Lautformen/Wörter sowie Merk-, Spottverse oder andere redensartliche Äusserungen zu erheben, mittels deren man sich von Nachbarn/anderen Regionen abgrenzt. Für das Referat wird diese Umfrage das erste Mal ausgewertet. Ein Tour d’Horizont zeigt die interessantesten Ergebnisse und reflektiert diese im Spiegel bekannter dialektologischer Kenntnisse.
Ein Projekt zu diesem Thema wird vorgestellt von Helen Christen und Alexandra Schiesser: ›Seelisberger und Emmetter, das sind Welten!‹ Laien und ihre Sprach(räum)e. in: Jahersbericht des Schweizerischen idiotikon 2023, S. 22–41. Die Zeitschrift »L’Ami du Patois« ist digitalisiert von > e-periodica: ※ Idiome zur Identitätspräsentation einer sozialen Gruppe ••• »Rotwelsch ist eine [künstliche gemachte] Geheimsprache der deutschen Fahrenden. Es hat keine eigene Grammatik entwickelt. Die Chiffrierung wird erreicht, indem v.a. Substantive, Verben, Adjektive, […] ausgewechselt werden. Es diente den Fahrenden als Code, als sprachliche Markierung der feindlichen, sesshaften Umwelt gegenüber, und zur schnellen, sicheren gegenseitigen Identifizierung als Eingeweihte.« (Puchner S.11) • Siegmund A. Wolf, Wörterbuch des Rotwelschen, Mannheim: BI 1965. [WB aus den Quellen erarbeitet] ••• Das Bürgertum im Deutschen Reich versuchte im 19. Jahrhundert, sich gegen die Adelskaste abzugrenzen. Politisch (Wahl- und Stimmrecht u.a.) gelang dies nur allmählich; aber durch Bildung, insbesondere dann auch Bildung des Geschmacks, einer Gefühlskultur konnte ein demokratisch verstandener sozialer Körper entwickelt werden. Sichtbar ist das mitunter in Artikeln des Damen-Conversations-Lexikons:
Damen-Conversations-Lexikon, Herausgegeben im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen von Carl Herloßsohn (1804–1849), Altdorf: Verlags-Bureau, 1834–38. 10 Bände; 2. unveränderte Auflage 1846.
••• 1947 erschien das Buch LTI (Lingua Tertii Imperii) von Viktor Klemperer (1881–1960), das die Beeinflussung der Bürger durch das Idiom der NS-Herrscher beschrieb. ••• Forschungen zum totalitären Sprachduktus hat Daniel Weiss (Universität Zürich) erarbeitet.
※ Fahnen und dergleichen ••• Die antiken römischen Truppen waren gekennzeichnet mittels eines je besonders ausgeprägten Vexillum = Signalzeichen, Standarte, dann auch: die zu einer Fahne gehörige Mannschaft, ›das Fähnlein‹, das Detachement.
••• Vergil, Beginn des 9. Buchs der »Aeneis«: Die Aeneas nicht wohlgesonnene Göttin Juno schickt Iris als Botin, um Turnus (den Herrscher von Latium, wo Aeneas gelandet ist) gegen Aeneas zum Kampf anzustacheln. Iris sagt unter anderem, Aeneas habe eine Schar von Bauern zum Kampf beigezogen. Der von Sebastian Brant inspirierte Graphiker zeigt diese Bauern mit der Bundschuh-Fahne:
Der Bundschuh, Fußbekleidung des armen Mannes, steht in Kontrast zu den mit Sporen ausgerüsteten Stiefeln der Ritter. Das Zeichen für eine soziale Erhebung erscheint in der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Gegend des Oberrheins. Eine frühe Verschwörung von Schlettstadt im Elsaß wurde 1493 niedergeschlagen, doch das Symbol überlebte. Das Wort wird für den sozialen Körper verwendet:
Hinweis: Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg, 4. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1956, S. 53–91. — Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg, Aktenband, Berlin 1935.
※ Gesellschaftlicher Status von Kleidung > Kleidersymbolik ••• Während der Herrschaft von Ludwig XIV. hatten nur adlige Männer das Recht auf Schuhe mit roten Absätzen (Quelle?)
••• Im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit wurde der Status eines jeden in der Öffentichkeit demonstriert und so bestätigt. Somit vermögen Kleiderordnungen gut über die Unterschiede zwischen den Ständen zu ununterrichten. In einer oberbayerischen Verordnung von 1599 heißt es (zitiert bei Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit 2, München: Beck 1992, S. 186):
••• Die Kleidung »sans culottes«: ohne Kniebundhosen der Adligen, sondern mit Hosen, die zu körperlicher Arbeit taugen, wurde zur Bezeichnung für eine Gruppe von Revolutionären am Ende des 18.Jhs. in Frankreich. > https://fr.wikipedia.org/wiki/Sans-culottes
※ ›Montur‹, Uniform ••• Kriegstechnisch ist die gute Erkennbarkeit von Freund/Feind der Anlass zur Auszeichnung der Kämpfer mit verschiedenen Wappen auf den Schilden und durch besondere Kleidungen. Über diese Notwendigkeit hinaus dienen Uniformen auch einer imponierenden Selbstdokumentierung des eigenen Verbandes, der Charakterisierung des Ranges / Dienstgrads.
Literaturhinweis:
••• Gemeinschaft kann auch durch eine allegorische Uniform ausgedrückt werden: Der Laupenkrieg 1339 war eine Auseinandersetzung zwischen der Stadt Bern – der einige verbündete Städte beistanden – und einer breiten Koalition ihrer Gegner: Grafen von Nidow, von Kiburg, von Gryerß, von Valendiß, von Arberg, von Losann, Bischof von Sitten, von Friburg. – Die Berner waren siegreich. In der Spiezer Chronik von Diebold Schilling dem Älteren (1484/85) sind die Berner ›konform‹ allegorisch als Bären unter ihrem Banner vereinigt, während das Bild der Gegner aus aller Herren Länder eine bunte Versammlung imaginiert. Bilder der Handschrift Bern, Burgerbibliothek, Mss.h.h.I.16: Transkription der Texte in: Hans Haeberli / Christoph von Steiger, Die Schweiz im Mittelalter in Diebold Schillings Spiezer Bilderchronik, Luzern: Faksimile-Verlag 1991 (zu pp. 228 / 230 der Hs.)
••• Die Gewänder der Söldner/Landsknechte/Reisläufer im 15. bis 17. Jahrhundert kann man nicht als Uniform bezeichnen, denn sie waren individuell; ihre Träger waren ›Freelancer‹. Ihre geschlitzte (›zerhauene‹) und mit Stoff anderer Farbe hinterlegte Kleidung – ursprünglich wohl auf mangelnde Versorgung mit Stoffen zurückgehend, was dazu zwang, die Kleider mit irgendwelchen vorgefundenen Stoffen zusammenzuflicken – war indessen ein identitätsstiftendes ›Markenzeichen‹ dieser sozialen Klasse – und eine gesellschaftliche Provokation (Bruch mit der damaligen Kleiderordnung; ein Affront in Bezug auf den Umgang mit der wertvollen Ware); ein Symbol für ein Leben in Freiheit jenseits der gesellschaftlichen Norm. Einerseits wurden die Landsknechte zu Helden stilisiert, andererseits verarmten die meisten, wurden kriminell und zu einem gesellschaftlichen Problem. (Freundliche Hinweise von Petra B.S.)
Ein neu Klaglied eines alten deutschen Kriegsknechts wieder die greuliche und unerhörte Kleidung der Pluderhosen in des Penzenauers Ton (1555) aus »Des Knaben Wunderhorn« 1806/08:
Literaturhinweise:
※ Karikaturen vermögen ein Bild eines unliebsamen sozialen Körpers zu entwerfen. Die disputierenden Gelehrten (mit Barett, im 15.Jh. Zeichen gebildeter Stände) schauen nur in die Bücher; die Außenwelt ist abgeschirmt.
Grandville (1803–1847) karikiert den Typus des Bourgeois so:
Mit dem genialen Thesaurus von http://www.simplicissimus.info/index.php?id=8 findet man unter "Chiffren für Nationen und Gruppen" oder "Mentalitätskritik / Gesellschaftsklischee" und dort weitere solche Karikaturen wie hier eine der neureichen Clique:
Ebenso beachtenswert ist die Datenbank von Dieter and Lilian Noack zum umfangreichen Werk von Honoré Daumier (1808–1879) > http://www.daumier-register.org/themasrch.php Daraus das Beispiel unter dem Schlagwort "Juristen":
Hier sind vor allem auch die Karikaturen der ›herrschenden Klasse‹ von George Grosz (1893–1959) zu nennen. > https://museen.heilbronn.de/museum/sonderausstellungen/rueckblick/kunst/grosz/
※ Koscher Zu einer Gemeinschaft bekennt* sich, wer dieselben Speisen isst bzw. meidet.
※ Ausgrenzung. Architektur sowie Kultgeräte, die für symbolisch gehalten werden, können auch zur Ausgrenzung unbeliebter sozialer Aggeregate dienen. • Zur Erinnerung an den Sieg von Kaiser Titus (39–81) über die Aufständischen in Judäa und die Eroberung Jerusalems im Jahre 70 wurde nach dessen Tod in Rom ein Triumphbogen errichtet. Darauf ist als Relief dargestellt, wie die siegreichen Römer die Tempelgeräte der Juden im Triumphzug wegführen, am deutlichsten eine Menora:
• In der Volksabstimmung vom 29. November 2009 haben die Schweizer Stimmbürger [schändlicherweise, PM] angenommen, in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft aufzunehmen: »Der Bau von Minaretten ist verboten« (BV Artikel 72, Ziffer 3). Hier (zum Anklicken) das Plakat der den Artikel befürwortenden politischen Partei.
※ Die Rolle von Licht- und Dunkelgestalten in menschlichen Konflikten aus psychoanalytischer Perspektive (Dazu sprach an der Tagung vom 21.9.2019 , von dem dieses Exposé stammt.)Die Rolle der psychischen Abwehr in menschlichen Konflikten wird in den Wissenschaften, den soziologischen Konfliktanalysen, den Kulturwissenschaften und selbst in der Psychoanalyse mehr oder weniger verdrängt – zum Schaden sowohl der Analyse als auch der gesellschaftlichen Emanzipation. Eine existenzial-psychoanalytische Herangehensweise an (gruppenbezogene) Menschenfeindlichkeit zeigt die Logik hinter sogenannt „irrationalen“ Konfliktanteilen. Durch Stigmatisierung werden auf eine psychotisch-wahnhafte Weise "Dunkelgestalten" konstruiert, auf die sich der traumatische Aspekt des Daseins (die Transzendenz, Unverfügbarkeit des Daseins) projizieren und damit abwehren lässt (Angst- und Schamabwehr mittels Schwachen- und Fremdenfeindlichkeit: Dingfest-Machen von Angst und Scham). Dabei bedingen positive und negative Stigmatisierung einander – die namenlose Freiheit (Transzendenz) lässt sich nur als Ganze abwehren: Ohne den „jüdischen Teufel“, so Victor Klemperer, „hätte es nie die Lichtgestalt des nordischen Germanen gegeben“. Die Projektion des hellen und des abgründigen Aspekts der namenlosen Freiheit auf Licht- und Dunkelgestalten wird im Beitrag als grundlegende Ursache für Diskriminierung, Rassismus, Menschenfeindlichkeit, Autoritarismus und Faschismus aufgewiesen. In den soziologischen Konfliktanalysen, den Kulturwissenschaften und in der späten Kritischen Theorie vorherrschend ist die soziologistisch-marxistische, ökonomistische, funktionalistische Vorstellung eines Kampfs um Macht und Interessen. Das Menschenbild dahinter – die Vorstellung eines „Vernunft-Ich“ – ist aus psychoanalytischer Perspektive allerdings hoffnungslos illusionär. Die Wissenschaft verdrängt den „Todestrieb“ und die Frage, aus welchem Grund Menschen auch dann töten wollen, wenn weit und breit keine Interessen mehr auszumachen sind. Doch selbst die Psychoanalyse verdrängt – etwa mithilfe von Freuds Hermeneutik des Triebwunschs oder mittels Fixierung auf zurückliegende Traumata. Analyse und gesellschaftliche Emanzipation erfordern einen existenzial-psychoanalytischen Blick auf solche Ideologien der Fremdbestimmung (auf die Verdrängung mittels Theoriebildung, Schuldabwehr). Solche Ideologien und ihre Verdrängungsfunktion sind – so wie die psychischen Konfliktursachen – noch nie richtig in den Blick der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Konfliktanalysen geraten. Das vorherrschende Menschenbild hält einer hermeneutisch-anthropologischen Prüfung nicht stand – und ohne adäquate Analyse keine gesellschaftliche Emanzipation.
※ Drei Stände in éinem Stiefel Auf dieses Bild mit einer gesellschaftspolitischen Dimension hat Hans Uwe Trauthan (Ellerau) aufmerksam gemacht. Der gläserne Pokal kann aufgrund einer genauen Analyse des Materials, der Technik, der Form und des Dekors der Dresdener Glashütte um 1720ff. zugewiesen werden. Die Inschrift lautet Wehr Lehr und Nehrstand – Die Dreiständelehre (kriegerischer Adel, Klerus, Bauern) ist bekanntlich mittelalterlich; diese Bezeichnungen erscheinen in der Mitte des 16.Jhs. Abgebildet sind die drei Repräsentanten ihres Standes mit typischen Attributen: Ein Soldat mit Steinschlossbüchse – ein Gelehrter mit einem Buch unter dem Arm – ein Bauer mit einem Spaten in der Hand. Seltsamerweise ist von jedem der drei nur ein Bein mit Fuß sichtbar; das andere steckt in einem weiten Stulpenstiefel. Es fragt sich, was damit ausgedrückt sein mag. Zeigen sich die drei Personifikationen (A) hinsichtlich ihrer Überzeugungen und Zielsetzungen einig? Oder umgekehrt: (B) Werden die drei Ständevertreter hier zusammengezwängt, so dass sie unfähig werden zu gehen? Historische Quellen zeigen einerseits eine Beseitigung einer Vielzahl ständischer Rechte. – Anderseits musste der Regent die antiabsolutistische Opposition berücksichtigen. Wer war der Auftraggeber, wer der Empfänger des Pokals? Je nachdem könnte man die Aussage als Bekenntnis (Wir lassen uns nicht auseinander dividieren!) oder Karikatur (Und so meint ihr, dass ihr eine Macht im Lande darstellt?) auffassen. Dies ist ein Abstract des Aufsatzes von Hans Uwe Trauthan, der – reichhaltig dokumentiert – erschienen ist in: "der glasfreund". Zeitschrift für altes und neues Glas. 27. Jahrgang / Nummer 84 (August 2022), Prometheus Verlag Wuppertal, S.28–34.
※ Skurriler Ausklang Ob die vornehmen Herren (verschiedenen Standes, wie man an den Hüten erkennt) abgesehen vom Staunen über das Monstrum auch allegorisch auslegend bedenken, dass die verschiedenen sozialen ›Leiber‹ zwar unterschieden sind, aber unter éin ›Haupt‹ gehören?
Weitere HinweiseListe wird laufend ergänzt Hermann Fillitz, Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches, Wien: Schroll 1954. Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert (= Schriften der Monumenta Germaniae Historica. Bd. 13, 1–3). Mit Beiträgen anderer Verfasser. 3 Bände. Stuttgart: Hiersemann 1954–1956. René König, Macht und Reiz der Mode: Verständnisvolle Betrachtungen eines Soziologen, Düsseldorf: Econ Verlag 1971. Karl-Bernhard Knappe, Repräsentation und Herrschaftszeichen. Zur Herrscherdarstellung in der vorhöfischen Epik, (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 17), München 1974. Martin Warnke, Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen, Frankfurt am Main: Syndikat 1976. Pierre Bourdieu, La distinction. Critique sociale du jugement, Paris: Editions de Minuit 1979; dt. Übersetzung: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1982. Dietmar Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart (Münstersche Mittelalter-Schriften 50), München: Fink 1983. David Cannadine and Simon Price (Eds.), Rituals of royalty. Power and ceremonial in traditional societies, Cambridge: Cambridge University Press 1987. Manfred Beetz, Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum. (Germanistische Abhandlungen 67), Stuttgart: Metzler 1990. Rudolf Braun / David Gugerli, Macht des Tanzes — Tanz der Mächtigen. Hoffeste und Herrschaftszeremoniell 1550–1914, München: Beck 1993. Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hgg.) Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit 25). Inhaltsverzeichnis > https://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/24937 Angelika Linke, Sprachkultur und Bürgertum, Stuttgart/Weimar: Metzler 1996. Verschiedene Autoren, Artikel »Zeremoniell« in: Lexikon des Mittelalters, Band 9 (1998), Sp. 546–580. Hagen Keller, Ritual, Symbolik und Visualisierung in der Kultur des ottonischen Reiches, in: Frühmittelalterliche Studien 35 (2001), 23–59. Verschiedene Artikel in: Handbuch der politischen Ikonographie, hg. Uwe Fleckner / Martin Warnke / Hendrik Ziegler, München: Beck 2001. z.B. "Bildnis, theomorphes" – "Denkmal" – "Stände" – "Opposition" – u.a.m. Gerd Althoff, Die Macht der Rituale – Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2003. Lioba Keller-Drescher, Die Ordnung der Kleider. Ländliche Mode in Württemberg 1750–1850. (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Institutes der Universität Tübingen; Bd 96), Tübingen 2003. Online: http://hdl.handle.net/10900/68452 Peter von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit: Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, Köln / Weimar: Böhlau 2004. — Besprechung auf hsozkult Marian Füssel / Thomas Weller (Hgg.): Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repraesentation in der ständischen Gesellschaft, Münster: Rhema 2005. Miloš Vec, Artikel »Zeremonie, Zeremonialwissenschaft« in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 12 (2004), Sp.1301–1305. Wolfgang Eric Wagner Die liturgische Gegenwart des abwesenden Königs. Gebetsverbrüderung und Herrscherbild im frühen Mittelalter (= Brill’s Series on the Early Middle Ages. Volume 19), Brill 2010. — Besprechung auf hsozkult Werner Egli, Fremdkontrolle und Selbstkontrolle durch Ahnengeister. In Michael Schetsche / Renate-Berenike Schmidt (Hgg.), Fremdkontrolle: Ängste – Mythen – Praktiken, Berlin: Springer 2014, S. 174–194. Torsten Voß, Körper, Uniformen und Offiziere: Soldatische Männlichkeiten in der Literatur von Grimmelshausen und J.M.R. Lenz bis Ernst Jünger und Hermann Broch, transcript Verlag 2016. Stefanie Leibetseder / Esther P. Wipfler, Artikel "Trophäe", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte [2017] > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=98180 Ruth Wodak, Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse, Wien/Hamburg: Edition Konturen 2016. > http://www.konturen.cc/ruth-wodak-politik-mit-der-angst.html Philipp Batelka (Hg.), Der diplomatische Körper. Frühneuzeitliche Diplomatie als Körperpolitik, In: Frühneuzeit-Info Jahrgang 29 (2018). Interessante Links: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichskleinodien Treu-Eid > http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10348.php
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