Bilder der SeeleInhaltsübersicht
Vorbemerkung: Diese Skizze focussiert auf die Frage einer bildhaften Darstellbarkeit der Seele. Die Bedeutungsvielfalt dessen, was wir landläufig so mit Seele bezeichnen, ist groß. Vereinfacht gesagt bezeichnen wir im europäisch-christlich geprägten Kulturraum mit Seele (1) die Lebenskraft (oder moderner: ›das Betriebssystem‹); (2) diese ist gleichsam organisiert in Zuständigkeitsbereiche (verantwortlich für physische, intellektuelle und emotionale Fähigkeiten.) Die Seele wird statt als ein Aspekt des ganzen Menschen als ein eigenes Wesen aufgefasst (Reifikation), und sie wird – insbesondere im Christentum – als unsterblich erachtet, und damit wird ein Gegensatz von Seele und Körper statuiert; wobei die Nähe zu Gott namentlich der Seele zugeschrieben wird. Dann wird die Sache aber bald, vor allem wenn man die Überlieferung in Texten genauer anschaut, kompliziert. In der älteren Religionsethnologie (z.B. J.G.Frazer) wird gerne die Frage gestellt, wie ›die Seele‹ in einzelnen Epochen oder Ethnien dargestellt sei; als ob ›Seele‹ ein anthropologisches Universale wäre, das sich so oder so manifestieren kann. Das ist (1) eine Reifikation und (2) eine Projektion auf schwer verständliche mentale Zustände anderer Menschen, seien es Homer oder die Hopi-Indianer. – Vielleicht kommt man der Sache näher, wenn man von einer schummerigen Vorstellung ausgeht und schaut, welche Visualisierungen dafür verwendet werden. Ältere griechische Überlieferung: Unter psychê wird ein Aspekt lebender Menschen verstanden, eine Quelle der Lebenskraft, was sich zeigt, wenn sie sich in einer Krisensituation befinden. Wenn die psychê die Person verlässt, schwindet deren Bewusstsein. — Der Sitz der Emotionen wird thymós genannt; er ist eng an den Körper gebunden. — Die Bewohner der homerischen Unterwelt haben ihr sôma, den Körper, auf der Erde zurückgelassen, sie sind nur noch Schatten. näpäš (nephesch) hat in der hebräischen Bibel eine Bedeutungsskala etwa folgender Art (wobei gelegentlich im aktuellen Gebrauch mehrere Nuancen mitschwingen): die nach Nahrung heischende Kehle, die von JHWH gesättigt wird; die Atem schöpfende Kehle; der Sitz elementarer Lebensbedürfnisse; das Begehren; der Sitz von Empfindungen, des Hasses wie des Mitgefühls; der ganze (bedürftige) Mensch; die nach Leben strebende Person; 600 mal übersetzt die Septuaginta (spätantike griechische Übersetzung) mit psychê.— Vgl. Hans Walter Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, München: Kaiser 1973, § 2. Verschiedene ikonographische Traditionen: Ob ältere oder sog. ›primitive‹ Kulturen sich reale Seelenwesen (als Vogel, Schmetterling, Schlange oder wie auch immer) vorgestellt haben, ist kaum abzuklären. In einer Kultur, welche die Seele als ein immaterielles Wesen auffasst, ist eine Visualisierung problematisch.
Die Seele als Vogel / Schmetterling / FledermausVon einer ›Seele‹ in der altägyptischen Mythologie zu sprechen, ist im Ansatz falsch. Die Kräfte, die den Menschen am Leben halten und von denen er sich im Tod trennt, sind vielfältig: Ka (Gardiners Liste D 28) ≈ eine Anhäufung von Energie, die die Stimmung regelt (davon hat der Pharao 14) – Ach ≈ Licht, Helligkeit; dieses Geistwesen entsteht erst nach dem Tod (Gardiner G 25) — Ba (Gardiner G 29 und G 53) ≈ von den Christen dann als ›psyche‹ übersetzt — der Schatten — der Name — das Herz ≈ Steuerorgan des Willens, das dann beim Totengericht auf der > Waage liegt. Die ägyptische Mythologie kennt die Vorstellung, dass Ba als Vogel den Leib verlässt. Genaueres hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Ba_(ägyptische_Mythologie) Seelenvogel Ba, Papyrus of Ani, XIXth Dynasty, Thebes, circa 1250 BCE. British Museum Papyrus BM 10470
Der Papyrus des Neferoubenef (13. Jh. BCE; Louvre) zeigt den Verstorbenen vor einem Grab-Eingang unter zwei Aspekten: einerseits als Schatten, anderseits als Ba-Vogel. Dieser schaut zur Sonne und versorgt so den Toten mit Licht. (Text nach der Bildlegende in: Silvia Schroer / Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt: WBG 1998; Abb. 16)
Der Seelenvogel kommt auch in der griechischen Kultur vor. Plinius schreibt: Man will gesehen haben, wie dem Aristeas aus Prokonnesos [7. Jh. BCE] die Seele in Gestalt eines Raben (animam … visam evolantem ex ore in proconneso corvi effigie) [dem Apollon heiliger Vogel] aus dem Munde geflogen sei. (Plinius, nat. hist. VII, liii, 174)
Im Emblembuch von Otto van Veen (1556–1629) sind sowohl AMOR DIVINUS als auch die menschliche ANIMA stets geflügelt:
Die Seelen der von Odysseus erschlagenen Freier flattern wie Fledermäuse in den Hades (»Odyssee«, 24. Gesang Verse 1ff.). Diodorus Siculus (erste Hälfte des 1. Jh.v.u.Z.) berichtet, welche Griechen ihre Weisheit aus Ägypten geholt haben; darunter sei Orpheus. Dieser habe erdichtet, wie Mercurius ein seelbleiter [Seelenbegleiter, Psychopompos] sei. Und von Orpheus habe Homer im 24.Buch der Odyssee diese Geschichte. Johannes Herold (1514–1567) hat die Stelle so übersetzt: Diodori des Siciliers / vnd berümptesten Geschicht schreybers/ vonn angfang der Weldt biß zuo jrer bewonung/ vnd rhuomreichen herrschunge fürgefallener geschichten, in: Heydenweldt vnd irer Götter anfängklicher vrsprung, […] […] Durch Johann Herold beschriben vnd ins teütsch zuosammen gepracht, Basel: Henrich Petri 1554; s. lxvij > http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/herold1554/0351?sid=28281ec94052dbca3f32043cd7823222 Weniger gewöhnungsbedürftig ist die Rechtschreibung der Übersetzung von Johann Heinrich Voß:
Memnon ist ein Halbgott, Mitstreiter im trojanischen Krieg. Bei seiner Feuerbestattung verdichten sich Rauch und emporfliegende Asche und verwandeln sich in einen Schwarm von Vögeln – ist damit seine Seele gemeint? (Ovid, Metamorphosen, XIII, 600ff. > http://www.gottwein.de/Lat/ov/met13de.php#Memnon)
Auch im Christentum kommen Seelenvögel vor: Auf einem Elfenbeintäfelchen (um 800?), das das Jüngste Gericht darstellt, fliegen vom in der Mandorla thronenden Christus in Richtung auf die aus den Gräbern Auferstehenden Vögel aus und beleben die durch den Tod von ihnen getrennten sterblichen Körper wieder.
Zur Deutung der Vögel vergleiche man die Vision Ezechiels von der Auferstehung, wo der Herr zum Propheten spricht: »Geist [Zürcher Bibel 1531: lufft], komm herbei von den vier Winden! Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden.« Da sprach ich als Prophet, wie er mir befohlen hatte, und es kam Geist [1531: aathem] in sie. Sie wurden lebendig und standen auf. (Ez. 37, 9f.) Illustration im Stuttgarter Psalter bei Psalm 7, 16f. Er hat eine Grube gegraben und ausgehöhlt und ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat. Sein Unglück wird auf seinen Kopf kommen und sein Frevel auf seinen Scheitel fallen. (Vulgata: lacum aperuit et effodit eum et incidet in interitum quem operatus est. revertetur dolor suus in caput eius et super verticem eius iniquitas sua descendet)
Zur Psalmstelle zeigt der Psalter die Szene des Verrats von Judas (vgl. Markus 14,10; Matthäus 26,14f.; Lukas 22,3f.), der sich anschließend an einem Baum erhängt; seine Seele fliegt aus dem Mund in Gestalt eines scheußlichen Vogels oder einer Fledermaus? (Vom Selbstmord des Judas berichtet Matth 27,5: Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich.)
Die Vorstellung, die Seele gleiche einem Schmetterling, beruht natürlich auf der Erfahrung, dass dieses leichtbeflügelte Tier aus der wie tot aussehenden unscheinbaren Larve kriecht. Hier aber ein Beispiel, wo es um Leben und Tod geht:
Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898), »Das Seelchen« [1882]
Pferdegespann mit Wagenlenker Platon (428/427 bis 348/347) kennt ein Seelenmodell im Dialog »Phaidros«. (Die Stelle gehört nicht zum thematischen Focus des Texts; sie ist schwer zu verstehen, und die Philosophiehistoriker bekunden Mühe. Vgl. Platon. Phaidros; Übersetzung und Kommentar von Ernst Heitsch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1993; vgl. auch die Darstellung bei Ueberweg/Praechter, Grundriß.) Sokrates möchte das, womit die Seele (von psyche ist die Rede) eine Ähnlichkeit hat, darstellen; er verwendet also ein (fiktionales) Modell. (246a) Wir wollen annehmen, sie sei vergleichbar der zusammengewachsenen Kraft eines geflügelten Gespannes und seines geflügelten Lenkers. Bei den Göttern sind Pferde und Wagenlenker alle gut und aus gutem Stammbaum; bei den andern [den Menschen] dagegen gemischt. Und zwar hat bei uns der Lenker ein Zweigespann, das eine seiner Pferde ist hübsch und tüchtig und von entsprechender Abstammung, das andere aber das Gegenteil davon. Also ist die Lenkung bei uns mühsam und beschwerlich. Das Gespann strebt empor zum Himmelsgewölbe. Das Gefieder schwindet, wenn es sich von Negativem nährt, d.h. nicht auf die Götter blickt, diese Schau stärkt die Federn. (248ab) Das mit solch schlechtem Gefieder ausgestattete Pferd belastet das Gefährt und drückt es zur Erde nieder, dort bekommt die Seele einen irdischen Körper, und das bedeutet für sie Mühsal. Man hat versucht, die drei Instanzen mit den drei platonischen Seelenteilen zu identifizieren: der Lenker entspräche der Vernunft (logistikon); das tüchtige Pferd dem Mut; das schlechte Pferd dem Begehren. Ein antikes Bild gibt es nicht. Aber in einem italienischen Traktat findet sich der Versuch einer Illustration, wobei hier im Zentrum steht, dass die Vernunft die Pferde des Seelenwagens zügeln (frenare) solle, sonst ziehen sie die Begierden in den Tod. Immerhin mit Bezug auf Plat. in phedr. 2. – Der Verweis auf Seneca bezieht sich auf »de ira« I, vii, 2: Deinde ratio ipsa, cui freni traduntur, tam diu potens est quam diu diducta est ab adfectibus. (Die Vernunft, der die Zügel in die Hand gegeben wurden, ist nur so lange mächtig, wie sie von den Affekten gesondert ist.) – Die hinten auf dem Wagen sitzende geflügelte Person ist die Anima von Cesare Ripa (»Iconologia« 1603; s. unten ).
Hier die Darstellung Les Ailes de l’Ame aus dem Magasin Pittoresque, Tome XXIV, Avril 1856, p.121: Literaturhinweis: J.Halfwassen, Artikel »Seelenwagen« in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. Joachim Ritter / Karlfried Gründer, Basel/Stuttgart: Schwabe 1971ff., Band 9 (1995), Spalten 111–117. Mechanischer AutomatIn der späten (nicht sehr klar konturierten) Schrift »Nomoi« (»Gesetze«) entwickelt Platon (428/427 bis 348/347) ein psychologisches Modell. In der Seele gibt es einander widersprechende Gefühle: appetitive wie Lust und Zuversicht – aversive wie Schmerz und Besorgnis. Aber es gibt auch das Gegenteil der triebhaften Regungen: die vernünftige Überlegung (logismós). Zur Erläuterung formuliert er eine Allegorie: Ein staunenswertes Wunderwerk (thauma) wird von drei Drähten bewegt:
Von den starren, d.h. ›zugkräftigen‹ Drähten der Emotionen ist keine abwägende Beurteilung der anzustrebenden Objekte zu erwarten, was den vollkommenen Bürger ausmachen würde – dafür ist nur der biegsame Draht der Vernunft zuständig, dieser aber bedarf der Hilfe. Was ist damit gemeint? Insofern als das Gleichnis die ganze Seele beschreibt, kann es sich (wenn man die Mythopoiie genaunimmt) nicht um eine weitere seelische Instanz wie z.B. den Willen handeln; es sei denn, man nehme noch einen ›wahren Logos‹ als Instanz darüber an. Ist das Gesetz als objektivierte Vernunft gemeint? Die Gerechtigkeit? Die Erziehung als soziale Größe? (Vgl. die Theorie der Institutionenbedürftigkeit von Arnold Gehlen.) Übersetzt man thauma (θαῦμα) mit Marionette, so wäre wegen des Materials der Drähte (Metalle) an eine von unten gesteuerte Stabpuppe zu denken. Seltsam ist, dass im Text nicht das Wort neuró-spastos (νευρόσπαστος) verwendet wird, das Herodot (2, 48) für solche Puppen verwendet und das auch Xenophon in den Memorabilia kennt. Merkwürdig ist ferner, dass die Vorstellung des Einflusses von Göttern mittels Sehnen oder Drähten im Text nicht verwendet wird. Und wie kann eine solche Drahtpuppe Herr über sich selbst sein? Dorothea Frede (p. 116) regt an, thauma nicht als Marionette zu verstehen, sondern als eine Art von »wind-up toys that move by themselves«, das die Götter verfertigt haben. So verstanden wären dann als helfende Instanz die Götter gut denkbar. Der Gedanke sei hier weiterverfolgt. Die Vorstellung von Automaten gab es damals:
Villard de Honnecourt (erstes Viertel des 13. Jhs.) hat einen solchen Automaten gezeichnet, und zwar so, dass seine Mechanik im Inneren sichtbar ist:
Literaturhinweise zur Plato-Stelle: Klaus Schöpsdau, Platon: Nomoi (Gesetze). Übersetzung und Kommentar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 3 Bände, 1994–2011; bes. Band 1, S. 222–239. Dorothea Frede, »Puppets on strings: Moral psychology in Laws Book 1 and 2«, in: Christopher Bobonich (Ed.), Plato’s Laws. A critical guide, Cambridge University Press 2010, pp. 108–126. Jörn Müller, »Der Mensch als Marionette: Psychologie und Handlungstheorie«, in: Christoph Horn (Hg.): Platon: Gesetze – Nomoi, Berlin 2013, S. 45–66. Helmut Mai, Platons Nachlass. Zur philosophischen Dimension der »Nomoi«, Freiburg im Breisgau: Alber 2014; bes. S.130–145. Marionette Das Gleichnis der Marionette verwendet Philo (geb. ca. 15 v.u.Z. – gest. nach 40 u.Z.) dann wirklich: Die Seele hat – abgesehen von der Vernunft – sieben Teile (die fünf Sinne, das Sprachwerkzeug und das Zeugungsorgan). Alle diese werden gleichsam wie auf dem Puppentheater von der Vernunft an Sehnen gezogen und sind bald in Ruhe, bald in Bewegung … (de opificio mundi § 117) Aulus Gellius (2. Jh. u.Z.) referiert eine ihn unsinnig dünkende astrologische Deutung, wonach die Menschen nicht vernünftige Geschöpfe sind, sondern nichts als läppische und lächerliche Gliederpuppen (ludicra et ridenda quaedam neurospasta), die nichts aus freier Entschließung tun können, sondern nur von der Leitung und dem Gängelband der Sterne abhängen (nihil arbitratu suo faciunt, sed ducentibus stellis et aurigantibus). (noctes atticae XIV, i, 23) Holzscheit Bald nach seiner Geburt erscheinen die Parzen und bestimmen dem Meleáger sein Schicksal. Atropos bestimmt, er solle so lange leben, als das Holzscheit nicht verbrannt sei, das sich gerade auf dem Herd befindet. Seine Mutter Althaia löscht das Holzscheit und verwahrt es in einem Kasten in ihrem Palast. – Bei der Jagd auf den kalydonischen Eber kommt es zu einem Streit, und Meleager erschlägt die beiden Brüder seiner Mutter. Nach qualvollem Widerstreit der Gefühle von Mutter und Schwester (Ovid!) nimmt Althaia das Holzscheit hervor und wirft es ins Feuer, so dass Meleager unter größten Schmerzen stirbt. Die Geschichte ist u.a. überliefert bei: Apollodor, Bibliotheke [griech.] I, viii, § 2–3 – Hygin, Fabulae § 171 und 174 – Ovid, Metamorphosen VIII, 451ff (stipes erat …), 511ff. (funerum torrem medios coniecit in ignes).
Die entsprechende Stelle bei Ovid in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1798) > http://www.textlog.de/35357-2.html
Anmerkung Nr. 171 zu Meleager in Apollodorus. The Library. Translated by Sir James George Frazer. Loeb Classical Library Volumes 121 & 122. 1921: »The story belongs to a widespread class of tales concerned with the “external soul” or the belief that a person's life is bound up with an animal or object outside of his own body.«
Ballett-Liebhaber kennen aus dem »Feuervogel« den ›todeslosen‹ Koschtschei, dessen Seele außerhalb des Leibes in einer Nadel bewahrt wird, »welche sich in einem Ei befindet, welches in einer Ente ist, die wiederum in einem Hasen steckt, der in einer eisernen Kiste sitzt, die unter einer Eiche auf der Insel Bujan vergraben liegt, welche weit draußen im Meer liegt.« Zitat aus > https://de.wikipedia.org/wiki/Koschtschei Menschengestaltige SeelenDass man sich im Griechenland der homerischen Zeit die Seele (psyche) menschengestaltig vorgestellt hat, bezeugt eine Szene im 23. Gesang der »Ilias«: Der im Krieg gegen die Trojaner gefallene Patroklos erscheint seinem Freund Achill im Schlaf: Da kam heran die Seele des unglücklichen Patroklos, diesem ganz an Größe und schönen Augen gleichend (Verse 62ff.). Die Seele des Abgeschiedenen bittet den Freund, ihn schnell zu begraben, damit sie in den Hades gelange. Achill verspricht dies. Dann: »Aber tritt näher zu mir und lass uns nur ein wenig einander umfassen.« Er greift nach ihm mit seinen Händen, aber er fasste ihn nicht, und die Seele ging unter die Erde wie ein Rauch, schwirrend (Verse 97ff.; Übersetzung von W.Schadewaldt)
Einerseits erscheint Patroklos dem schlafenden Hektor so deutlich, dass er ihn erkennt; anderseits entzieht er sich ihm dann doch flüchtig. – Hier ist bereits schön das Ineinander von Persönlichkeit und Unkörperlichkeit der Seele gefasst; dies darzustellen ist bei den Visualisierungen immer eine Hauptaufgabe, wobei insbesondere Techniken gesucht werden, die Menschenfigur auf geeignete Weise als nicht-körperlich zu markieren (Grisaille; Schleier; Beigabe von Flügeln, Beigabe eines Titulus usw.). Kleine Figürchen, welche ›die Seele‹ darstellen, nennt man Eidolon (vgl. LIMC VIII.1 S.566–570 und VIII.2, S. 358f.). – Homer setzt eidolon gelegentlich gleich mit psyche; im 5. Jahrhundert wird es meist durch psyche ersetzt.
Hier eine Anima aus dem Albani-Psalter (12. Jahrhundert) Zum Psalmvers 24,2 [Vg.] Ad te domine levavi animam (Zu Dir, Herr, erhebe ich meine Seele): Christus wendet sich einem Manne zu, der mit flehender Gebärde den Vers spricht, und aus dessen Munde die Seele (als eidolon) entsteigt. Christus ergreift diese. A.Goldschmidt deutet Christi Gebärde als Folge von Vers 16, wo der Beter bittet Respice in me (Wende mich mir zu); die Monstra am Schaft des Buchstabens A sieht er als Anspielungen auf die Feinde in Vers 19: Respice inimicos meos, quoniam multiplicati sunt, et odio iniquo oderunt me (Sieh, wie zahlreich meine Feinde sind, mit welch tödlichem Hass sie mich hassen!) Adolph Goldschmidt: Der Albanipsalter in Hildesheim und seine Beziehung zur symbolischen Kirchensculptur des XII. Jahrhunderts, Berlin 1895, S. 96.
Heinrich Seuse O.P. (um 1295 – 1366) beschreibt eine Vision, in der ein Engel zu ihm (der von sich im Text als der diener spricht) sagt: nu tu einen frölichen inblik in dich und luog, wie der minneklich got mit diner minnenden sele tribet sin minnespil. Da wird der Leib oberhalb seines Herzen kristallklar und er sah enmiten in dem herzen ruweklich sizen die ewigen wisheit in minneklicher gestalt und bi dem sass des dieners sele in himelscher senung […] (Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, hg. Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907, S.20)
Seuse ist im Habit der Dominikaner wiedergegeben; die Ewige Weisheit in der Gestalt Christi (mit Kreuznimbus); die Seele als nacktes Kind. Literaturhinweis: Annegret Diethelm, Durch sin selbs unerstorben vichlichkeit hin zuo grosser loblichen heilikeit. Körperlichkeit in der Vita Heinrich Seuses, (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700; Band 1) Bern: Lang 1988. Im Erbauungsbuch von (1633–1702) wird die Seele als Frau dargestelt:
Mehr zu dieser Bildvorstellung unten beim Thema Seele beim Tod Der Kerker der SeeleDas Gleichnis, wonach die Seele im Körper wie in einem Gefängnis lebe, zieht sich durch die Jahrhunderte: Platon, gest. 348/347 v. Chr.: [Die Seele] ist an ihren Körper gefesselt und mit ihm verwachsen, gezwungen die Wirklichkeit durch den Körper zu sehen wie durch Gitterstäbe, anstatt durch ihre eigene ungehinderte Sicht (»Phaidon« 82e) Hildebert von Lavardin (1056–1133), »Mathematicus«, Cantus XIV (PL 171, 1379D) Zusammenfassung in Max Manitius, Gesch. der lat. Lit. MAs, Ditter Band, S. 861–863. Patricida, dem vorausgesagt wurde, er werde seinen Vater umbringen, möchte sich selbst töten: Corporis invisi caecis excedere claustris
Die betrübte SeelePsalm 42,5 [Vulgata] Quare tristis es, anima mea? et quare conturbas me? Der Illustrator des Stuttgarter Psalters (1. Hälfte des 9. Jahrhunderts) zeichnet die Seele in der typischen Haltung des Melancholikers auf einem Berg sitzend, an dessen Fuß fünf Blumen blühen. Daneben steht der harfende Psalmist David.
Die mystisch bloße SeeleDie (spätmittelalterliche deutsche Dominikaner-)Mystik kennt das Thema der Abgeschiedenheit: Christus (xps) verlangt von der Seele (anima), dass sie frei sei von allem Kreatürlichen wie auch von bildlichen Vorstellungen, damit sie Gott begegnen kann. Metaphorisch wird das als Bloß- , Nacktsein formuliert: anima nuda. Diese Vorstellung ist in mystischen Texten geläufig. So schreibt Mechthild von Magdeburg († 1283) im »Fließenden Licht der Gottheit« :
Der Illustrator des Traktats »Christus und die Minnende Seele« in der Einsiedler Handschrift (um 1490) konkretisiert das ›Nacktwerden‹ der Seele: er zeichnet, wie Anima ihr Gewand auszieht.
Das Motiv wurde auch in einem Bilderbogen des 15. Jahrhunderts verwendet:
Die Beseelung des FoetusHildegard von Bingen (1098–1179) hatte eine Vision davon, wie der Foetus im Mutterleib beseelt wird. Der Text (des ersten Buches vierte Schau) ist nicht leicht verständlich. Ein kurzer Kommentar von Sr. Maura Zátonyi O.S.B. steht auf > http://www.abtei-st-hildegard.de/?p=699 Zu bedenken sind die Theorien der Beseelung, die bei den Kirchenvätern entwickelt wurden. Die eine Meinung ist, der Embryo habe seit der Empfängnis eine Seele (so Tertullian); die andere, dass er bei der Zeugung noch keine Seele bekommt, sondern erst während der Schwangerschaft, bei Knaben nach 40 Tagen (so Hieronymus und Augustinus). Vgl. hierzu: John T. Noonan Jr., Empfängnisverhütung. Geschichte ihrer Beurteilung in der katholischen Theologie und im kanonischen Recht, (Walberberger Studien, Theologische Reihe Bd. 6), Mainz 1969, bes. S. 104ff. Der Samen des Mannes erschafft den Leib. Dass dieser gut oder verdorben sein kann, wird durch die Allegorie von dreierlei Milch angedeutet, aus der guter oder schlechter Käse wird. (Im Bild wirft ein Teufelchen außerdem einen Giftpilz in eine der Schalen.) Aus Gottes [prae-]scientia – visualisiert als das Quadrat mit den vielen Augen – gelangt die Seele als vitalis spiritus (eine der feurigen Kugeln [ignea sphaera] in der Mitte) in den Foetus und durchdringt dessen Leib.
Die Seele beim individuellen TodDie Seele als Eidolon tritt aus dem toten Krieger, das ist schon ein antikes Bildmotiv. Im christlichen Mittelalter kommt das Motiv häufig vor. der kümt zuo dem himelrîche swenne diu sêle ûʒ sînem munde gêt, der sich umbe den rehten kristengelouben martelen lât. (Berthold von Regensburg, ed. Franz Pfeiffer 1862, Band I, S.171.) Der Tochter des Königs von India naht der Tod: zehant dô sie daʒ wort verlie, diu sêle ir ûʒ dem munde gie. (Im Augenblick als ihre Stimme verstummte, ging ihr die Seele aus dem Munde; »Herzog Ernst«, Vers 3575f.).
Beim Individualgericht wird die aus dem Mund austretende Seele je nachdem, wie der Sterbende gelebt hat, von Engeln oder Teufeln in Empfang genommen. Das althochdeutsche Gedicht »Muspilli« (9. Jahrhundert) beschreibt dies so:
Hier der Tod des Reichen Mannes (Lukasevangelium 16,19-31), dessen Seele von Teufeln gepackt wird:
Die Wege der Seelen des Prassers (auf dem edlen Kanapee) und des (wundenbedeckten) Lazarus sind hier in einem einzigen Bild gegenübergestellt:
Die berühmteste Darstellung ist wohl die aus den »Grandes Heures de Rohan« (1425 / 1430); vgl. ein anderes, anonymes Bild aus dem 15. Jh. (hier). In den spätmittelalterlichen Sterbebüchlein ist das Motiv verbreitet.
Die Seele des guten Schächers wird von einem Engel in Empfang genommen – diejenige des bösen von einem Teufel; vgl. Lukas 23,39: Einer aber von den Verbrechern, die am Kreuz hingen, verhöhnte ihn und sagte: Bist du nicht der Gesalbte? Rette dich und uns! 40 Da fuhr ihn der andere an und hielt ihm entgegen: Fürchtest du Gott nicht einmal jetzt, da du vom gleichen Urteil betroffen bist? 41 Wir allerdings sind es zu Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sagte: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. 43 Und er sagte zu ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Die Kostümliste Denckrodel der Kleydung und ander nottwendiger Sachen für die Aufführung des von 1583 sagt:
Die Szenen dazu: Am zweiten Tag, Seiten Wyss Band II, 213 und 215.
Maffeo Vegio (1407–1458) hat der vergilischen ein 13. Buch angefügt (erster Druck Venedig 1471), in der er die Heirat mit Lavinia und das selige Ende des Aeneas beschreibt. Venus nimmt dessen Seele entgegen und führt sie zu den Sternen: Felicemque animam secum super aera duxit. Der (anonyme) Illustrator der Edition von Sebastian Brant (1502) verwendet das im Spätmittelalter weit verbreitete Motiv der aus dem Mund ausfahrenden Seele in Menschengestalt bei der Darstellung vom Tod des Aeneas:
Wilhelm Busch zeichnet 1872 den Kampf zwischen einem Teufelchen und einem Engel um die aus dem Kamin ausfahrende Seele der Frommen Helene und schreibt: Es siegt der Geist der Unterwelt. | Er fasst die arme Seele schnelle | und fährt mit ihr zum Schlund der Hölle. > http://www.wilhelm-busch-seiten.de/werke/helene/kapitel17.html SeelenfensterWie gelangt die Seele aus dem Sterbezimmer oder aus dem Grab? Durch ein Loch oder ein Fenster:
Seelenbegleiter ins JenseitsIn der heidnischen Antike hat Hermes / Mercur (auch) die Aufgabe, die Toten (ihre Schatten, Seelen?) in die Unterwelt zu begleiten; sein Attribut: Psychopompos = Seelen-Führer.
J. Staub’s »Bilderwerk zum Anschauungsunterricht für jüngere Kinder« zeigt die vom Schutzengel zum Himmel geführte Seele eines (toten?) Kindes:
Das Los der Seelen in der Unterwelt / im PurgatoriumIm 11. Buch von Homers »Odyssee« reist Odysseus durch die jenseitigen Gefilde, wo er die Seelen der Abgeschiedenen erkennt. In einer ergreifenden Szene begegnet er seiner toten Mutter Antikleia. Er möchte ihre Seele ergreifen; dreimal entfliegt sie ihm. Sie erklärt ihm (Vers 218ff):
Das 6. Buch von Vergils (gest. 19 v.u.Z.) »Aeneis« berichtet (ab Vers 264) von der Unterweltsreise (Katabasis) des Helden. Dort begegnen ihm sowohl Götter (Dis, Proserpina, Minos) und andere mythische Gestalten (Cerberus) als auch Personifikationen (z.B. Trauer, Gewissensqualen, Mühsal), Monstren und insbesondre die Verstorbenen, die als Seelen oder Schatten (animae, umbrae VI, 81. 264 u.ö.) bezeichnet werden. Er begegnet Unbestatteten, Neugeborenen und unschuldig Hingerichteten, Selbstmördern, Kriegshelden, sodann im Tartarus den Übeltätern (Sisyphos, Tantalus u.a.) und schließlich im Elsyium den Seligen (felices animae VI, 669). Für unser Thema sind interessant zwei Stellen: Didos Wunde, die sie sich beim Suizid mit dem Schwert zugefügt hat, ist noch frisch; Aeneas erkennt indessen ihre Gestalt unter/durch den Schatten undeutlich, wie einer den Mond in seiner ersten Phase durch das Gewölk hindurch aufgehen sieht oder meint gesehen zu haben (VI, 450ff.) Wie Aeneas seinen Vater Anchises sieht, streckt dieser freudig erregt beide Hände aus, und es kommt zu einem Dialog. Dann versucht Aeneas, dreimal ihm die Arme um den Hals zu legen, dreimal entglitt seinen Händen, vergeblich umarmt, das Bild (imago) gleich einem Windhauch und ähnlich einem geflügelten Traum (VI,700ff.). In beiden Szenen das Oszillieren zwischen körperlichem Eindruck und Unwirklichkeit. Lat. / dt. Text parallel > http://www.gottwein.de/Lat/verg/aen06.php
Die christliche Vorstellung der Hölle als Peinigungsort der Verstorbenen für begangene Sünden lässt sich einerseits auf die Jesus zugeschriebene Rede vom künftigen Endgericht (Matthäus 25, 31–46) abstützen: Dann wird er sich an die auf der linken Seite wenden und zu ihnen sagen: »Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!«, anderseits auf Sätze von Paulus: Im Feuer wird es offenbar werden (1 Kor 3,10–15). Bis zur Ausbildung der Theorie eines Reinigungsfeuers wird es noch Jahrhunderte dauern (vgl. dazu ausführlich J. Le Goff).
Bei den Gestalten, die Dante (1265–1321) auf seiner Fahrt begegnen, handelt es sich um Seelen (anime; auch nackte Seelen: anime nude inf. XIV,19), die ihre Leiber droben ließen (inf. X, 12), denen aber der Auferstehungsleib noch fehlt (inf. VI, 98), weshalb sie oft als Schatten (ombra, ombre) bezeichnet werden. Die Toten im Inferno sind durch die Strafen verstümmelt, aber als Personen erkennbar und sprechen mit Dante.
Literaturhinweise: Erwin Rohde, Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg im Breisgau: Mohr 1894. August Rüegg, Die Jenseitsvorstellungen vor Dante und die übrigen literarischen Voraussetzungen der "Divina Commedia". Ein quellenkritischer Kommentar, Einsiedeln: Benziger 1945. Jacques Le Goff, La Naissance du Purgatoire, Gallimard 1981 – deutsch: Die Geburt des Fegefeuers, Stuttgart: Klett-Cotta 1984. Herbert Vorgrimler, Geschichte der Hölle, München: Fink 1993. Peter Jezler (Hg.), Himmel – Hölle – Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter [Katalog zur Ausstellung des Schwz. Landesmuseums], Zürich: Verlag NZZ 1994. Susanne Wegmann, Auf dem Weg zum Himmel. Das Fegefeuer in der deutschen Kunst des Mittelalters, Köln / Weimar: Böhlau 2003. Wege der Seele zum Himmel und zur HölleThema dieses Kupferstichs von Hieronymus Wierix (1553–1619) vom Anfang des 17.Jahrhunderts ist der Weg der Seele nach dem Tode je nach dem, wie der Mensch sein Leben geführt hat. Das Schema enthält Wenn-Dann-Knoten und Pfade und End-Stationen, es liest sich wie ein modernes Prozess-Diagramm.
Das ganze Blatt ist überschrieben mit »Denk an das Ende, so wirst du niemals sündigen.« (Jesus Sirach 7,40 [Vulgata; andere Zählung: 7,36]) Unten wird zitiert »Es ist ein Volk, dem alle Einsicht abgeht, und es ist kein Verstand in ihnen. O, dass sie weise wären und bedenken, was ihnen hernach begegnen wird!« (Deut. = 5.Moses 32,28f.) Startpunkt ist das Bild in der linken unteren Ecke, wo verschiedene Todesfälle dargestellt werden: im Bett; durch Enthauptung, im Zweikampf, durch Ertrinken, durch Sturz aus den Fenster. Der Bibelspruch dazu lautet [ergänzt]: »Es ist den Menschen bestimmt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht« (Hebräerbrief 9,27) Von hier führt ein Pfad zuerst schräg nach rechts oben, dann aber direkt nach unten in die Hölle. Er ist angeschrieben mit »Der Tod der Sünder ist der schlimmste« (Ps 33 [Vulgata = 34 Luther],22) und »die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts« (Johannes-Evangelium 5,29). Ein infernalisches Scheusal zieht die Seele an einem Strick dorthin. Rechts unten ist die Hölle mit dem Teufel in einem Flammenmeer dargestellt; Spruch: »Wer zur Hölle hinabsteigt, kommt nicht wieder hinauf.« (Hiob 7,9) In der Seitenmitte ist die Kreuzigung Jesu dargestellt, der mit den Leidenswerkzeugen (›arma Christi‹) umgeben ist. Auf dem Spruchband: »Er ist für alle, die gehorchen, zum Begründer ihrer endgültigen Rettung geworden.« (Hebr. 5,9) Der doppelte Pfad, der von den Sterbeszenen zur Kreuzigung (und von dort weiter) führt, ist angeschrieben mit: »Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben« (Apokalypse 14,13). Die Seele auf der WaageDie christliche Ikonographie kennt die Vorstellung von Michael als Seelenwäger am Jüngsten Gericht. Bild-Beispiele gibt es viele, etwa
Woher kommt die Vorstellung? Es ist zu unterscheiden, ob Lose auf den Waagschalen liegen, oder Gegenstände, die für den zu Wägenden typisch sind, oder das Herz des Verstorbenen, oder die Seele selbst (z.B. als kleines Kind dargestellt).
Im Abendland ist die Zuordnung von leicht und schwer genau umgekehrt als im Alten Ägypten. Das rührt vermutlich aus der Erzählung von Belsazars frevelhaften Gastmahl (Daniel Kap.5).
Oft werden Teufelchen dargestellt, welche sich an die eine Waagschale hängen, damit die Seele in der anderen Waagschale nach oben schnellt, das heißt: für die Hölle gewonnen wird. Gelegentlich legen sie (etwas plump) einen Mühlstein darein; oder (etwas gescheiter) sie werfen Dinge in die Waagschale, mit denen der Verstorbene gesündigt hatte: gestohlene Dinge wie z.B. Vieh, oder bei Frauen Kleider, mit denen sie Luxus getrieben haben; gewisse Sünden wie Gewalttaten oder Ausschweifungen muss der Maler künstlich materialisieren.
Diese Idee kommt aus der Geschichte von Petrus dem Zöllner (Telon[e]arius) in den sog. »Vitas patrum« (4./6. Jh.) als Einlage in der Vita des hl. Johannes Eleemon (I, 21), die bei Augustinus und in mittelalterlichen Texten kolportiert wird:
Ein sehr reicher unbarmherziger Zöllner ist bekannt dafür, dass er Bettlern keine Almosen gibt. Einer der Bettler wagt eine Wette und stellt sich vor die Tür des Zöllners, wie dieser grade von der Bäckerei mit Weizenbrot zurückkommt. Der Zöllner möchte den Bettler mit einem Stein vertreiben, findet aber keinen und bewirft ihn mit einem Brot. Dieser geht damit zu seinem Gesellen und zeigt das ›Almosen‹. Bald darauf wird der Zöllner todkrank und erkennt im Traum, dass er Rechenschaft ablegen muss,
»Der Traum des Sünders« (Ende 13. Jahrhundert) Einem Menschen erscheint im Traum die Szene, wie er sich nach dem Tod zu verantworten habe. Der Teufel bringt Gott drei Argumente vor, weshalb er ihn beansprucht. Nach einem Aufschub des Gerichtstermins vermögen Wahrheit und Gerechtigkeit die ersten beiden Argumente (ein heilsgeschichtliches und ein sakramentales) zu entkräften. Gott lässt eine Waage bringen. Der Mensch wendet sich an Maria. (Vers 167ff.:) In der einen Waagschale liegen die Sünden, in der anderen die guten Werke; der Teufel versucht seine Schale niederzudrücken, aber Maria legt ihre Hand auf die Schale der guten Werke. Mehrere Teufel hängen sich daran, aber sie vermögen nichts gegen die ›muoter der barmherzigkeit‹.
Der Franziskaner Heinrich von Burgeis schreibt (vermutlich 1301/04) eine auf Laien zugeschnittene, langfädige Erörterung des Bußsakraments. Teufel schleppen beim Tod des Menschen die begangenen Sünden herbei: Kleiderluxus, unrechtes Gut, Gewalttaten usw. Der Teufel klagt an, Frau Gewissen tritt als Zeugin auf. Christus befiehlt (Verse 6’335ff.), diese Güter zu wägen, während die Seele auf die andere Seite der Waage zu liegen kommt. Die Teufel schleppen Unmengen von Vieh, Wagen, einen Pflug u.a.m. herbei, aber Frau Buße wirft sie von der Waagschale mit der Begründung, die Seele habe diese Untaten wiedergutgemacht. Do das der tiefel erhort, […] viel er auf die wage, sein genossen warn auch nicht träge, sy sprungen zu und zugen nider. Aber: sy mochten die sel nye erwegen.Und so kann die Seele mit dem gueten sand Michel in das ewig reich auffahren.
Im »Ritter vom Turm« (vor 1400) wird erzählt, dass ein Ehemann nach dem Ableben seiner Frau einen Einsiedler herauszufinden bittet, ob syner frowen sele verloren oder behalten were. Dieser hat im Gebet eine Vision, in der er sant Michel und den Teufel beim Wägen der Seele mitsamt den im Leben begangenen guten und schlechten Taten sieht. Der Teufel wirft ihr u.a. vor, zehn Röcke besessen, statt das Geld den Armen gespendet zu haben. Mit dem bracht der tüfel die selben röck vnd legt die vff de wag mit sampt iren fingerlyn und kleinoten ... Das selb wurde nun alles gewegen der massen/ das das übell am letsten das guot übertraffe/ Unnd der tüfel die sele zuo sinen handen genomen hette. Das Bild zeigt die Seele, bevor sie – zu leicht befunden – weggeführt wird, in der oberen Waagschale.
Seltsam: die ›Last‹ der Sünden resp. die guten Taten, die ›ins Gewicht fallen‹, müssen doch wohl metaphorisch verstanden werden; aber die Mühlsteine oder die Kleider der putzsüchtigen Frau, die die Teufel in die Waagschale legen, sind recht konkret. Es ist auch ein rhetorisches Ungleichgewicht … Literatur: Leopold Kretzenbacher, Die Seelenwaage. Zur religiösen Idee vom Jenseitsgericht auf der Schicksalswaage in Hochreligion, Bildkunst und Volksglaube, Klagenfurt 1958. — Fritz Wagner, Artikel »Seelenwaage« in: Enzyklopädie des Märchens, Band 12 (2007); Spalten 497–502. Mehr zum Thema der Waage hier In Abrahams SchoßIn der Beispielgeschichte vom Armen Lazarus heißt es: Es begab sich aber, dass der Arme starb und dass er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen wurde. (Lukasevangelium 16,22–31). Augustinus sagt von einem im Glauben verstorbenen Freund: Nun lebt er im Schoße Abrahams (Et nunc ille vivit in sinu Abraham; Confessiones IX,iii,6). Hier ein Kapitell der Klosterkirche Alspach im Elsaß, 12. Jh., heute im Musée Unterlinden, Colmar (aus: RDK I (1933), S.101, Abb. 17.):
Bei Herrad von Landsberg († ca. 1196) ist im »Hortus deliciarum« dargestellt Abraham pater omnium credentium. Iusti erunt in sinu Abrahe. Abraham als Vater aller Gläubigen; die Gerechten im Schoß Abrahams. In den Eckzwickeln die Personifikationen der vier Paradiesesflüsse Geon, Tygris, Physon, Euphrates. Die Palmen bedeuten den Sieg; die Kronen den Lohn der Gerechten. — In der Ausgabe von Green, Evans, Bischoff, Curschman 1979, fol. 263 (Planche 152). — Koloriertes Bild in > Wikipedia Sulamit geistlichIn der rabbinischen* und christlichen** Bibel-Exegese werden die beiden Partner des Hohen Liedes (Salomo und [die im Bibeltext anonym bleibende] Sulamit) ausgelegt auf JHWH und das Volk Israel bzw. auf Christus und die gläubige Seele; Christus und die Kirche (Ecclesia); Christus und Maria.
Wenn man die allegorische Deutung auf Christus und die Seele (anima fidelis) akzeptiert, enthält das Hohelied reiche Beschreibungen der Seele.
›Herz‹ als Synonym für die SeeleAls Synonym für die Seele wird oft Herz verwendet, das zeichnerisch gut darstellbar ist. In der Nachfolge von Herman Hugo schaffen Benedictus van Haeften (um 1588 –1648) und Boetius a Bolswert (um 1580 – 1633) 1629 ein Emblembuch, auf dessen Bildern jeweils ein Mädchen (als Identifikationsfigur für die Leser) und dessen Schutzengel auftreten; das Herz (bzw. eben die Seele) des Mädchens erfährt verschiedenste Affektationen und Reinigungen. Im Beispiel geht es um die Zerknirschung. Contritio cordis (Zerknirschung des Herzens) ist ein Element des Beichtsakraments. Das Bild wird ausgemalt: Der Mörser ist des Sünders Gewissen, der Stößel ist der Schmerz über die begangenen Sünden; die Sünden müssen gänzlich zerstoßen werden, damit sie der Teufel nicht neu zusammensetzen kann.
Anima ragionevole e beataCesare Ripa vermag in seiner »Iconologia« 1603 alles zu personifizieren: Tugenden, Laster, Erdteile, Jahreszeiten , Temperamente – und natürlich auch die Anima.
Die Seele im BildwörterbuchDer »Orbis Pictus« von Comenius (1592–1670) möchte enzyklopädisch sei, muss also auch die Seele abbilden. Der Illustrator versucht, dass Nicht-Körperliche-und-doch-den-ganzen-Leib-Durchdringende irgendwie darzustellen. Er wählt Punkte (ein Punkt hat geometrisch keine Ausdehnung), die wie auf ein ausgespanntes Tuch projiiziert (und somit gleichsam virtuell) erscheinen:
Der Große Duden. Bildwörterbuch der deutschen Sprache … hg. Otto Basler, Leipzig: Bibliographisches Institut 1935 enthält zwar im Register den Eintrag Seele; die Verweise führen indessen zur Seele als Mittelstrang eines Seiles und zur Seele als Bohrung eines Gewehr-Laufs ... Ein theologisch inspiriertes Pictogramm?Dem Zeichner Christoph Murer (1558–1614) geht es in seinem ›Emblem‹ XIX um die Glaubens prob: Wie das Gold im Feuer geprüft wird, so wird der Gläubige mit Not und Übel angefochten; doch der wahre Glaube scheut die Marter nicht. Im Bild stellen (von rechts nach links) das üppige Fleisch, der Teufel mit dem Blasbalg der Versuchungen und der Tod mit dem Hammer des Endes die Seele auf die Probe; der Schutzengel (ganz links) versucht mit dem Weihwedel des Heiligen Geistes Linderung zu schaffen:
Die Anima ist nicht in der Tradition der anthropomorphen Darstellungen dargestellt, sondern als Masse Gold in einem Schmelztiegel (der ist mit homo angeschrieben). Diese Gefäße hatten eine dreieckige Form:
Die Bildlichkeit der Läuterung des Goldes ist biblisch: Proverbia 17,3 Der Schmelztiegel ist für Silber da, der Ofen für Gold, die Herzen aber prüft der Herr. Jesus Sirach (= Ecclesiasticus) 2,5f. Denn gleich wie das Gold durchs fewr/ Also werden die /so Gott gefallen / durchs fewr der trübsal bewert. Vertrawe Gott / so wird er dir aushelffen. (Vgl. auch Prov 27,21). Ein theologisch gebildeter Betrachter mochte beim dreieckigen mit anima bezeichneten Tiegel auch an das dreigliedrige Seelenmodell gedacht haben. Ausgangspunkt dieser anhaltenden Tradition ist Augustins Schrift »de trinitate«. Augustinus geht (mit Genesis 1,26) davon aus, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist. In Analogie zu den drei Personen der trinitarisch gedachten Gottheit: potentia — sapientia — benevolentia (Macht – Weisheit – Güte) verfügt die Seele über drei Vermögen: memoria — voluntas — intellectus (Gedächtnis – Wille – Verstand); an anderer Stelle nennt er mens — notitia — amor. Diese Lehre von den drei Seelenkräften (potentiae animae) hält sich bis ins 17.Jh. Animæ cognoscentis imagoDie elf Bilder der Seele von Conrad Gessner (1516–1565) sind aus verschiedenen graphischen Mitteln komponiert. Ein Beispiel:
Die 5 Keile unten bedeuten die fünf sensorischen Fähigkeiten: Tastsinn – Geschmackssinn – Geruchssinn – Gehör – Gesichtssinn. Die Linie A—B meint die Grenze zwischen dem physischen Leib und der Seele. Mit 6 ist der Senus communis bezeichnet, das Vermögen, das Gemeinsame des mit den äußeren Sinnen Wahrgenommenen zu erkennen (vgl. Aristoteles, de anima III,2). 7 ist die Phantasia (worüber Gessner viel schreibt), 8 die Memoria, das Erinnerungsvermögen. Usw. — Bis 11 handelt es sich um diagrammatische Visualisierungen, die v.a. das Zusammenwirken der seelischen Instanzen veranschaulichen sollen. Sodann enthält die Graphik ein Gesicht (12: der intellectus agens) und mehrere gezeichnete Flügel (alae). Sie bedeuten bestimmte Strebevermögen, Begehren (appetitus) der Seele. Die anima rationalis strebt nach oben, zu Gott. – Illustrationstechnisch sind am ehesten das Pictogramme. In anderen Graphiken verwendet er auch allegorische Versatzstücke: Bienen, Schmetterlinge. Die erläuternden Texte Gessners sind schwer verständlich und setzen viel Hintergrundwissen voraus. Literaturhinweis: Eduard-Rudolf Müllener, Konrad Geßners Illustrationen zu »De Anima«, in: Gesnerus. Swiss Journal of the history of medicine and sciences, Band 22 (1965), S. 160–175. > http://www.e-periodica.ch/cntmng?var=true&pid=ges-001:1965:22::266 Psychologie und AlchimieDie Alchemisten glaubten, dass sich die ihrer Auffassung nach aus Ur-Elementen zusammengesetzten Stoffe in andere verwandeln lassen. Im Laboratorium versuchten sie eine Transmutation von Unedlem in Edleres in einem Werk, das in Stufen voranschreitet: Zuerst muss das Minderwertige zersetzt und das Unreine abgeschieden werden, so dass die rein dargestellten Prinzipien neu zu einer besseren Materie vereinigt werden können. Das Ziel, die Herstellung von ›Gold‹, ist symbolisch zu verstehen. Viele Alchemisten sahen die Läuterung der Elemente in Parallele zur Vervollkommnung der eigenen Seele, denn was im Makrokosmos, in den Elementen abläuft, spiegelt sich im Mikrokosmos, d. h. im Menschen. Diese Ansätze hat Carl Gustav Jung (1875–1961) aufgenommen. Er sieht im Hantieren der Alchemisten mit Tiegeln und Retorten, mit Alaun, Borax und Naphtha, im Tingieren und Destillieren den äusseren Ausdruck eines inneren, psychischen Prozesses. Nach Jungs Lehre muss die Persönlichkeit auf dem Individuationsweg eine Entwicklung durchmachen, in der das bewusste Ich sich seines Gegenübers, des Schattens, bewusst wird und sich konfliktreich mit seinen gegengeschlechtlichen Seelenteilen (animus bzw. anima) auseinandersetzt. Ohne Erlebnis der Gegensätzlichkeit gibt es keine Erfahrung der Ganzheit. Jung ist überzeugt, dass die Menschen aller Zeiten und Kulturen seelisch gleich ausgestattet sind, dass es Archetypen gibt. Die Symbole in Träumen, Mythen, Märchen sind – ebenso wie die seltsamen Prozeduren der Alchemisten – Manifestationen des Unbewussten, das wir auf andere Weise gar nicht wahrnehmen können. Die Phasen des alchemistischen Werks lassen sich mit denjenigen des Individuationsprozesses parallelisieren; es gibt schmerzhafte und beglückende Abschnitte. Die Theorien über die Transmutation sieht Jung als ein unbewusstes, sinnbildlich ausgedrücktes Wissen über die psychischen Veränderungen der Alchemisten selbst; da sie ihre wahre psychische Natur nicht kannten, projizierten sie diese inneren Vorgänge auf die Stoffe in der Retorte und waren überzeugt, sie dort objektiv wahrnehmen zu können.
Dynamik der psychischen Instanzen(Texte zu S.F. von Johannes Depnering) In seiner »Traumdeutung« (1900) skizziert Sigmund Freud (1856–1939) den psychischen Apparat des Menschen und seine Verarbeitung von Stimuli. Das vordere System dieses Apparats umfasst die sensorischen Wahrnehmungen (W) aus der Außenwelt. Es nimmt Wahrnehmungsreize auf, bewahrt diese jedoch nicht auf. Die Speicherung, das Gedächtnis, vollzieht sich dagegen in einem zweiten System, welches die aktuelle Erregung in mentale Spuren umsetzt, die Freud Erinnerungsspuren nennt (Er, Er´, usw.). Das Phänomen der Assoziation mit bereits existenten Gedächtnisinhalten findet daher ausschließlich im Bereich der Er-Elemente statt. Das W-System ist mit seinen sensorischen Qualitäten an das Bewusstsein gekoppelt, wohingegen das Erinnerungssystem an sich unbewusst ist. Im Schema ist dies durch das Einzeichnen des Systems des Unbewussten (Ubw) zum Ausdruck gebracht. Es hat nur Zugang zum Bewusstsein durch das Vorbewusste (Vbw), von wo aus Erregungsvorgänge ohne ein weiteres Hindernis bewusst werden können. Das Vorbewusste ist zugleich das System, welches den Auslöser zur willkürlichen Motilität, d.h. den nicht bewusst gesteuerten Bewegungen, darstellt. Freud erweitert diese Skizze des psychischen Apparats gut zwei Jahrzehnte später durch die psychischen Instanzen des Es, Ich und Über-Ich. In seiner Schrift »Das Ich und das Es« (1923) stellt Sigmund Freud in einer Zeichnung das Verhältnis der psychischen Instanzen Es und Ich dar. Dabei verknüpft er diese mit verschiedenen Bereichen von Bewusstheit. Zunächst besitzt ein jedes Individuum ein psychisches Es, einen Produzenten psychischer Energie, die sich in diversen Wünschen und Trieben äußert. Mit dem Es direkt verbunden ist das Ich, welches akustischen Input (akust.) erhält und als Kontrollinstanz zwischen dem Es und der Außenwelt (W-Bw.: Wahrnehmung-Bewusstsein; Sinneswahrnehmungen und Gefühle) vermittelt, d.h. die Energie des Es kontrolliert. Sämtliche Inhalte innerhalb der Zeichnung sind in ihrer Dynamik unbewusst. Deskriptiv differenziert Freud diese jedoch weiter in einerseits das nicht bewusstseinsfähige Unbewusste, das Verdrängte (Vdgt), welches mit dem Es verbunden ist, und andererseits in das latente Unbewusste, das Vorbewusste (Vbw; Erinnerungsreste der Wahrnehmung). Dieses Vorbewusste wird primär dem Ich zugeordnet und seine Inhalte können jederzeit in dessen Bewusstsein geraten. Die scharfe Trennung zwischen dem Verdrängten und dem Ich ist durch einen Spalt – eine Art doppelte Trennwand – gekennzeichnet. Im weiteren Verlauf seiner Erörterung führt Freud die Instanz des Über-Ich ein, welche als eine Art Überlagerung direkt über dem Ich eingezeichnet werden müsste. (pm) Auch zur Psychologie von Carl Gustav Jung (1875–1961) gibt es solche Schema-Zeichnungen, allerdings nicht aus seiner Feder. Hervorzuheben ist das Buch von Jolande Jacobi (1890–1973), die die Jungsche Psychologie ebenso dezent wie energisch zu systematisieren versuchte.
Das Seelenbild steht in einem direkten Bezug zur Beschaffenheit der ›Persona‹ eines Menschen. […] Denn wie die Persona der habituellen äußeren Einstellung eines Menschen entspricht, so Animus und Anima [= das Seelenbild] der habituellen inneren Einstellung. Wir können die Persona <A> als die Vermittlungsfunktion zwischen Ich und Außenwelt und das Seelenbild <B> als die entsprechende vermittelnde Funktion zwischen Ich und Innenwelt betrachten. […] <C> ist gleich Ich und Persona, die unsere phänotypische, nach außen sichtbare, manifeste Seelenbeschaffenheit darstellen; <D> der genotypische Anteil, der unsere unsichtbare, latente, unbewusste innere Beschaffenheit ausmacht. Persona und Seelenbild stehen in einer kompensatorischen Beziehung zueinander, indem das Seelenbild um so archaischer, undifferenzierter, gewaltiger ist und wirkt, je fester die Maske, die Persona, den Menschen von seinem natürlichen Instinktleben abschließt. Literaturhinweise
Otto Magnus von Stackelberg, Die Gräber der Hellenen, Berlin 1837. > http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/stackelberg1837 Artikel »Seele«, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm Bd. 15 (1899), Sp. 2851–2926 > http://woerterbuchnetz.de/DWB/ Artikel »Âme« in: Dictionnaire d'archéologie chrétienne et de liturgie, Band 1 (1924), Spalten 1470–1554. Artikel verschiedener Autoren: »Seele« in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. Joachim Ritter / Karlfried Gründer, Basel/Stuttgart: Schwabe, Band 9 (1995), Spalte 1–89. Andres Furger, Das Bild der Seele im Spiegel der Jahrtausende, Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 1997. Jan N. Bremmer, Die Karriere der Seele. Vom antiken Griechenland ins moderne Europa — zum Download hier > www.rug.nl/research/portal/files/14435976/Bremmer-Karriere.pdf <09.04.2016> Donat de Chapeaurouge, Die Darstellung der Seele in der bildenden Kunst des Mittelalters. In: Gerd Jüttemann / Michael Sonntag / Christoph Wulf (Hg.), Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland. Weinheim 1991; Neuauflage Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, S.104–144. Katharina Silke Philipowski / Anne Prior (Hgg.), anima und sêle. Darstellungen und Systematisierungen von Seele im Mittelalter, Berlin: Erich Schmidt 2006 (Philologische Studien und Quellen 197). Misia Sophia Doms, Die Viel-Einheit des Seelenraums in der deutschsprachigen barocken Lyrik, Berlin: de Gruyter 2010 (Frühe Neuzeit 142). Helmut Feld, Das Ende des Seelenglaubens. Vom antiken Orient bis zur Spätmoderne, LIT Verlag Münster 2013.
Letzte Änderung im Dezember 2023 von P.M.
|