Apokalyptisches Tier

 

Siehe unser Buch:

»Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen«
Schriften zur Symbolforschung, hg. von Paul Michel, Band 16, 472 Seiten mit 291 schwarz-weißen Abbildungen
PANO Verlag, Zürich 2013 (ISBN 978-3-290-22021-1)

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Muš-sag-imin

In der Mythologie des alten vorderen Orients gibt es eine lange Tradition der bildnerischen und textuellen Darstellung von menschengestaltigen Gottheiten, die gegen lebensfeindliche Mächte kämpfen, welche das Kulturland, die Herden, die Menschen bedrohen und als mehrköpfige Drachen imaginiert werden (vgl. Uehlinger 1995). Die Mehrköpfigkeit symbolisiert die Wendigkeit und schwere Angreifbarkeit des Bösen. Der Sieg über die Monster ist eine ordnungsbegründende Tat eines den Menschen freundlich gesinnten Gottes in der Urzeit, der dessen dauernde Vorrangstellung und die Stabilität der Welt begründet.

 

Ein gekrönter Vegetationsgott im Kampf gegen einen siebenköpfigen Drachen (muš-mah sag-imin) mit Pantherfell, aus dem Flammen emporlohen  (4 cm hohes Täfelchen, nordmesopotamisch,  um 2500 v.u.Z.). – Umzeichnung aus ANEP = James Bennett Pritchard, Ancient Near East in Pictures Relating to the Old Testament. With Supplement, Princeton (N.J.): Univ. Press  1950 Ed. 2, corrected & enlarged 1955; fig. 671 & 691.

Die Bibel ist tief in den Traditionen des vorderen Orients verwurzelt; vgl. Othmar Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, am Beispiel der Psalmen, Zürich / Einsiedeln / Köln: Benziger 1972. Das Motiv des Kampfs gegen den mehrköpfige Drachen kehrt in der hebräischen Bibel wieder (vgl. Psalm 74,13: Du hast … zerschmettert die Köpfe der Drachen im Meer) und in der Johannes-Apokalypse (Michaels Kampf gegen das Untier Apk 12,7). Die Schilderung des urzeitlichen Siegs von Gott wird in schwieriger Zeit heraufbeschworen, um ihn daran zu ermahnen, er möge auch jetzt den Kampf gegen den ›Feind‹ aufnehmen und die Seinen beschützen.

Das siebenköpfige apokalyptische Tier

Die Johannes-Apokalypse (aus dem Ende des 1. Jahrhunderts; apokálypsis = Enthüllung, nämlich von Gottes Größe) bietet visionäre Reportagen aus der zukünftigen Endzeit, verfasst für die unter Verfolgung und Glaubenskrise leidenden christlichen Gemeinde. Die Schrift soll die Verfolgten trösten und die Widerstandskraft stärken, indem sie prophezeit, dass dem getreuen Gottesvolk der Tag des Heils bevorsteht, an dem die Unterdrücker vernichtet werden. Gott ist bei den an ihn Glaubenden bis zum Ende der Tage. Das Ende der Geschichte wird als Endkampf Gottes gegen den Satan und seinen dämonischen und menschlichen Anhang verstanden. Es ist ein schwer zu verstehender, zum Teil auch absichtlich verrätselter Text mit dunklen Anspielungen, Text-Wiederholungen, thematischen Sprüngen, Brüchen, hymnischen Einsprengseln, Exkursen. Die Visionen sind oft unorganische, kunterbunte phantastische Gebilde.

An drei Stellen wird ein siebenköpfiges Ungeheuer geschildert, wobei nicht ganz klar ist, welches mit welchem identisch ist und ob es sich um Ausprägungen des Teufels oder des Antichrist handelt oder eine Allegorie irgend einer weltlichen Macht, oder ob das alles einander überlagert ist. Das ist aber für die Ausleger gar nicht so wichtig, Es gilt die Regel: je rätselhafter ein Text, desto mehr Deutungen zieht er an bzw. desto besser eignet er sich als Projektionsfläche für die eigenen Feindbilder und Sehnsüchte. Das Ungeheuer dient als negative Identifikationsfigur (die Zeitgenossen des Apokalpyse-Verfassers identifizierten damit die römischen Kaiser, die Ausleger des Mittelalters auch die Sieben Hauptsünden, die Reformatoren das Papsttum, selbstverständlich funktioniert diese Auslegungstechnik auch heute noch.)

Die Darstellung des siebenköpfigen Untiers hat die Illustratoren der Geheimen Offenbarung des Johannes über Jahrhunderte herausgefordert. Stichwortartig sei die Bamberger Apokalypse (um 1000) genannt. Kaum zu übertreffen ist die Folge der 15 Holzschnitte von Albrecht Dürer: »Apocalipsis cum figuris« (1498 und 1511). Dürers Bilder sind überall zu sehen, zum Beispiel im Internet. 

Die Illustrationen in der Lutherbibel 1522 und ihre Folgen

Zitiert wird aus der Luther-Bibel »Das Newe Testament Deützsch«, Wittenberg 1522


Apokalypse 12,3f.: Ein siebenköpfiger Drache will das Kind der kreissenden Frau auf der Mondsichel verschlingen

[3] Vnd es erscheyn eyn ander zeichen ym hymel, vnnd sihe eyn grosser rotter drach, der hatte sieben hewbter vnnd zehen horner, vnnd auff seynen hewbten sieben kronen, [4] vnd seyn schwantz zoch den dritten teyl der sternen, vnd warff sie auff die erden. Vnd der drach tratt fur das weyb, die geperen solt, auff das, wenn sie geporn hette, er yhr kind fresse

 

Septembertestament 1522 (Lukas Cranach d.Ä.)

Apokalypse 13,1–8: Die Erdenbewohner huldigen dem siebenköpfigen Tier

[1] Vnd ich sahe eyn thier aus dem meer steygen, das hatte sieben hewbter vnd zehen horner, vnd auff seynen hornern sieben kronen vnd auff seynen hewbten namen der lesterung, [2] vnd das thier das ich sahe war gleych eynem Pardel, vnd seyne fusß als Beren fuesß, vnd seyn mund eyns lewen mund, vnd der drach gab yhm seyne krafft vnd seynen stuel vnd eyn grosse macht, [3] Vnd ich sahe seyner hewbt eynes als were es todlich wund, vnd seyne todlich wunde ward heyl, Vnd der gantz erdboden verwundert sich des thiers, [4] vnd betten den trachen an, ...

 

 Lutherbibel 1534 > http://www.zeno.org/nid/20005334268

Anwendung auf Luther selbst

Der erbitterte Luthergegner Johannes Cochläus (1479–1552) drehte 1529 den Spieß um und karikierte Luther selbst als siebenköpfiges apokalyptisches Monstrum. Der Verfasser des Pamphlets möchte mit der Mehrköpfigkeit anzeigen/ wie vnbestendig vnd widerwertig der Münch [Luther] in seiner lere ist. Als Doctor wird er mit einem Doktorhut gezeichnet; als Martinus mit einer Mönchskapuze – Hinweis auf den von Luther aufgegebene Stand; als Luther mit einer türkischen Kopfbedeckung (also die Personifizierung des Unglaubens; dazu bringt Cochläus das Wortspiel: Luther ludert); als Ecclesiastes (d.h. Prediger, Cochläus unterstellt, er predige was der pöfel gern hört) trägt er ein Barett; als fanatischer Schwärmer ist er barhäuptig und  in seinen Kopf mit struppigem Haar stechen Hummeln; als Visitierer (Kirchenführer) ist er in Amtstracht; als Barrabas (der anstelle von Christus freigelassene Gefangene) wird er als wilder Mann dargestellt, der mit der keuln dran will.

 

Sieben Köpffe Martini Luthers, Gedruckt zu Leypsig durch Valten Schuman im. xxix. Jhar. (1529; das Bild stammt von Hans Brosamer).

Die Lutheraner revanchierten sich bereits 1530 mit einem das Motiv aufnehmenden Flugblatt. Der Aufbau des Bilds ist eine Parodie auf die Gregorsmesse – ein typisch altgläubiges Motiv. Der Altar ist in eine mit Ablassgeld gefüllte Truhe verwandelt, aus der sieben Köpfe hervorwachsen: in der Mitte ein mit der Tiara gekröntes Papsthaupt; links und rechts ja Kardinäle, Bischöfe und Mönche. – Aber in beiden Karikaturen ist der Bezug zur Apokalypse schwach, und so fehlen die infernalischen Konnotationen.

Das sibnha[u]ptig Pabstier 1530
> http://images.zeno.org/Kunstwerke/I/big/HL31530a.jpg

Der Sibenköpffige CaluinistenGeist

In einem Flugblatt um 1619 wird aus der Perspektive der im Augbsurger Religionsfrieden 1555 anerkannten Konfessionen Katholizismus und Luthertum gegen die sog. Calvinisten polemisiert — ein weites Feld!

Sechs der sieben Köpfe sind tierischer Natur.

Die Texte bleiben im Allgemeinen der Lasterkritik, ohne auf spezfiische Themen Calvins (z.B. Prädestination) Bezug zu nehmen:

1. Humaniter. Freundlich wie ein Mensch.
Diß ist der Calvinisten Geist/
Der in der welt sehr starck einreist/
Mit sieben Häuptern der gestalt
Wie man allhie sicht fürgemahlt.
Der anfangs freundlich stellet sich/
Gantz höfflich und holdseligklich/
Gar glimpfflich/ erbar/ sittsamb/ still/
Biß es sich geht nach seinem Will/
Und bleibt doch falsch im Hertzen sein/
Führt eins falschen Propheten schein.

2. Humiliter. Demütig wie ein Lamb.

3. Callide. Listig wie ein Fuchs.

4. Insatiabiliter. Unersättlich wie der Wolff.

5. Sanguinolenter. Blutgirig wie ein Leopard.

6. Flammis furiose. Fewrig wie der Drack.

7. diabolice. In allem thun und lassen wie der Teuffel.

Der ganze Text hier > https://adtiliam.blogspot.com/2016/05/

Die siebenköpfen "Neunmalgescheiten"

Eine kontrovers-konfessionell unpolemische Version findet sich im Emblembuch des Codex Vindobonensis 10.178 aus dem Jesuitencollegium Graz:

Thema ist die Konsekrationsformel HOC EST CORPUS MEUM.

Im Bild der Spruch (das Motto): Hic Plato cessare iubet (Hier befiehlt Plato [mit dem Philosophieren] aufzuhören.)

Das Epigramm:

Quid sophe quid tentas ratione resolvere dicta
    Humana capitur non ratione Deus.
[…]

Du Weiser, was versuchst du mit deinem Verstand diese Worte zu entwirren?
   Mit menschlichem Denkvermögen lässt sich Gott nicht fassen. […]

Grete Lesky, Frühe Embleme aus der Steiermark, Graz 1973 (Blatt 35; Seite 92ff.)

Herkules und die Hydra

Wer die klassische Mythologie nur aus Gustav Schwabs Schönsten Sagen des klassischen Alterthums (Erste Auflage 1838–1840) kennt, liest dort: »Die zweite Arbeit des Helden war, die Hydra zu erlegen. Sie war im Sumpfe von Lerna aufgewachsen und pflegte aufs Land herauszukommen, die Herden zu zerreissen und das Feld zu verwüsten; dabei war sie unmäßig groß, eine Schlange mit neun Häuptern, von denen acht sterblich, das in der Mitte stehende aber unsterblich war.« In den antiken Quellen wird die Zahl der Köpfe indessen verschieden angegeben; auf antiken Bildwerken findet man drei bis zwölf. Vergil spricht in der »Aeneis« (VI, 576) sogar von den fünfzig schwarzaufgähnenden Rachen der scheusslichen Hydra. Im einflussreichen »Pantheum Mythicum« des Francisco Pomey (1618–1673) steht, die Hydra habe sieben (nach anderen neun oder sogar 50) Köpfe gehabt. Im bescheideneren »Pantheum und Panagium, Das ist: Der Tempel aller Altheidnischer Götter und heutiger Römischer Heiligen« (1707) des Zürchers Beat Holzhalb heisst es: In dem See Lerna bey Argos war ein schrocklicher Drach mit 7. Köpfen/ der Natur/ wann man einen diser Köpfen abgeschlagen/ so wuchsen vil andre an Statt. (S.125)

In Bernard Picarts (1673–1733) »Neueröfneten Musen-Tempel« 1733 liest man: Das Ungeheuer hatte die Gestalt einer Schlange, und spitzige Klauen als die Drachen, der Buckel war ihm mit Schuppen bedeckt, und aus seinen sieben Köpfen speyete es Feuer und Schwefel. (S.60)

 

Neueröfneter Musen-Tempel mit 60 auserlesenen Bildern/ welche das Allermerkwürdigste aus den Fabeln der Alten vorstellen/ ausgezieret: gezeichnet und in Kupfer gestochen durch Herrn Bernard Picart le Romain, und andere Kunstreiche Männer; Mit Deutlichen Erklärungen und Anmerkungen...: nebst einer Vorrede [von] Christoph Gottlieb Stockmans, Amsterdam: Zacharias Chatelain, 1733.  © Privatbesitz

Man muss annehmen, das das akpokalyptische Tier und die lernäische Hydra mitunter vermengt wurden.

Der Kampf von Herkules gegen die Hydra wurde auch als Emblem gebraucht. (Vgl. Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1645ff.) Hier das Emblem von Guillaume de La Perrière, wo die Hydra den Neid symbolisiert, der sich der Tugend entgegenstellt:

Le théâtre des bons engins, auquel sont contenus cent emblèmes, Impr. de D. Janot, Paris 1539, No.99.

Zuu Druckermarken der Verleges Anselmo Giaccarelli und Abraham Faber hier mehr.

Das siebenhäuptige Tier als Allegorie der Sieben Hauptsünden

Der Drache aus Apokalypse 13 wurde nicht nur auf die sieben Epochen der Zeitrechnung oder auf die siebenhügelige Stadt Rom hin ausgelegt; aufgrund der Anzahl der Häupter lässt sich auch bequem ein Bezug zu den Sieben Hauptsünden herstellen.

So legt Honorius Augustodunensis († etwa 1151) in seiner Predigtammlung »Speculum Ecclesiae« in einer Musterpredigt zum Tag des den Drachen bezwingenden heiligen Michael die sieben Häupter des Drachen als VII principalia vitia aus. (Migne Patrologia Latina 172, 1010)

Umgekehrt kann man die Sieben Hauptlaster auch als siebenköpfiges Scheusal personifizieren. Dies tut Cesare Ripa in seiner »Iconologia« zum Stichwort VITIO (das Laster), wobei nicht ganz klar ist, ob er den apokalyptischen Drachen oder die antike Hydra als Vorbild nimmt; die sieben Köpfe entstammen der Apokalypse, aber er verwendet das Wort Hidra. Unter dem Stichwort Sceleratezza schreibt er:

Si dipinge che abbracci l'Hidra, la quale ha sette teste et vien messa per i sette peccati mortali, percioché s'avviene che alcuna d'esse teste sia tagliata, sì come in essa rinascono dell'altre et acquista maggior forza con chi gli s'oppone, così il vitio in un corpo, il quale tutto che venga combattuto dalla virtù, nondimeno per haver egli più capi in esso per la volontà habituata nel male, tosto per essa risorge più vigoroso et ostinato nelle perverse operationi, ma al fine conviene che resti superato et vinto con resisterli o fuggirlo, come quello che fin da principio del mondo, gabbando il nostro primo Padre, è stato et è la rovina di noi miseri mortali, ...

Iconologia. Overo descrittione di diverse imagini cavate dall'antichità, e di propria inventione trovate et dichiarate da Cesare Ripa […] Di nuovo revista. Roma: Lepido Faci, 1603

 

Der Zürcher Maler und Kupferstecher Conrad Meyer (1618–1689) hat den Stich für das »Neujahrsblatt der Burgerbibliothec für das 1653. Jahr« ausgeführt.  Er kombiniert hier die Hure Babylon mit ihrem als Personifikation der sieben Laster aufgefassten Reittier einerseits mit dem allegorisch gewappneten Ritter aus dem Epheserbrief. Der Titel des Blattes ist der Sünde in den Mund gelegt:

Kämpf wider Dich, so schlahest [schlägst du] Mich.

– der logisch scheinbar schräge Satz meint präzis, dass die Sünden zwar gerne nach aussen projiziert werden, aber im eigenen Inneren besiegt werden sollen. (Im Hintergrund ist eine Visualisierung des Satzes Matthäus 7,4–5 gezeichnet: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen –  und siehe, ein Balken ist in deinem Auge.)

Einer Tugendliebenden Jugend in Zürich ab der Burgerbiblothec für das 1653. oder erste nach dem schröklichen Donner-jahr verehrt. (Conrad Meÿer pict & fecit.)

Dises Ungeheür zuo dämpfen [überwältigen]
jeder wider sich muoß kämpfen,
   mit der Rüstung angethan,
   die Sant Paul ihm zeigen kan. (Eph. 6. V.11)
Er muoß seinen Leib bezämmen;
Glider töden; Lüste hämmen; (Coloss. 3. V.5)
   sonsten wider ihn erthönt:
   Wer nicht kämpft wird nicht gekrönt. (2.Tim.2. V.5)

Auf der Sündenseite sind auszumachen: die mit Pfauenfedern gekrönte Schlange als Allegorie der Superbia; der Esel als Allegorie der Trägheit; der Löwe als Allegorie des Zorns; das Schwein steht wohl für die Unkeuschheit; die Geiss für den Geiz; usw.. Die Verlockungen der Reiterin selbst sind Busen, Becher, Beutel, Buch (vielleicht ein weltlicher Roman).

Auf der Tugendseite muss man sich die Allegorie aus dem Epheserbrief 6, 11–17 dazudenken: Greift zur Waffenrüstung Gottes, damit ihr an bösen Tagen Widerstand leisten könnt und nach dem Sieg über sie alle bestehen bleibt. So steht denn fest! Umgürtet eure Hüften mit Wahrheit! Legt Gerechtigkeit als euren Panzer an! Und die Bereitschaft, den Frieden zu verkündigen, sei das Schuhwerk, das ihr anzieht. Nehmt den Glauben als euren Schild auf; mit dem könnt ihr die feurigen Pfeile des Bösen löschen. Nehmt den Helm des Geistes und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes!

 

Josephus Melchior Franciscus Tschudi de Greplang legt den Akzent weniger auf das Untier als auf die Waffe, mit der es bekämpft wird.

Confusio disposita. Rosis rhetoricò-poëticis fragrans. Sive Quatuor lusus satyrico morales. Qui septuaginta quinque sententiosis iconibus exhibiti, in totidem Diæreses, & paræneticas scenas distributi, nec non festivîs Germanicò-Latinis versibûs, lepidísque paraemiîs venustati: Miram erudito lectori delectationem: Multam studiosæ juventuti eruditionem: Magnam cuivis curioso diversionem parient. Quorum comprehendit Lusus I. Filium bene imbutum. II. Puerum male edicatum. III. Inversum huius mundi cursum. IV. Fallacem Mundanorum eventum. Autore Josepho Melchiore Francisco à Glarùs. Dicto Tschudi de Greplang, &.c. Augsburg: Labhart 1725. Lusus primus, Scena XX
Kontext bei > https://archive.org/details/confusiodisposit00tsch/page/80/mode/2up

Der Vers aus Proverbia 20 ist übersetzt: Der Jünglingen Freud ist ihr Stärck. Dazu das Epigramm mit Zitat von 1. Korintherbrief 13,13:

    Jetzt diser Knab
    Mit seinem Staab
Der Lieb, Hoffnung und Glauben
    Schlagt dapffer hier
    Das Höllen-Thier
Auf sein verfluchte Hauben.

Für Glaube steht die Kreuzform an der Waffe — für Liebe steht das Herz — für Hoffnung steht der Anker.

Politische Karikatur

Die Batavische Republik war eine durch französischen Revolutionsexport errichtete Tochterrepublik, gebildet aus der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen. Sie wurde am 19. Januar 1795 ausgerufen. Sie stellte staatspolitisch eine Zäsur dar – sie war ein Einheitsstaat. Die Vereinigten Niederlande dagegen waren lediglich ein Zusammenschluss mehrerer Kleinstaaten gewesen, wobei innenpolitisch jeder für sich sehr eigene Wege ging. Von nun an gab es eine zentrale Regierung für die Niederlande. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Batavische_Republik)

De Nationale Conventie in barensnood [Geburtswehen] van eene constitutie.

Der Karikaturist zeigt den Nationalkonvent in Geburtsnöten: Ein siebenköpfiges Monstrum soll mit der neuen Republik niederkommen. Der Teufel sticht von unten auf den Gebrmutterhals. – Der Arzt schlägt nach im Buch, ob ein Kaiserschnitt nötig sei. – Der Franzose hält eine Geburtszange bereit.

> https://wellcomecollection.org/works/kem6qmdp

Siebenköpfige Drachen als natürliche Tiere

Im fünften (postum erschienenen) Band seines Tierbuchs beschreibt Conrad Gesner (1516–1565) in einem Kapitel Von der Wasserschlang (fol XLVIIrecto) eine scheützliche sibenköpffige wasserschlang und bildet sie auf einem Holzschnitt ab. Sie soll im 1530. im Jenner gen Venedig gebracht / vnd aldah gezeigt / nachmalen dem König von Franckreych zuogeschickt vnd auff die sechstausent tugkaten geschetzt worden seyn. Jedoch beduncket die verstendigen der natur sölchs seye ein erdichter cörpel nach der Poeten phantasey formiert vnd gestaltet / vnd daß vmb so vil mehr dieweyl die ohren / zungen / nasen / &c. mit der schlangen gestalt bey weytem nit über ein kommen / so doch die natur mehrteils auch in den wunder oder mißgeburten ettliche natürliche anzeigungen vnd gemerck behalt. (lat. Fassung fol. 63recto / deutsche Fassung fol. XLVIverso / XLVIIrecto).

Conradi Gesneri Historiæ animalium lib. V., qui est de serpentium natura: Ex variis schedis et collectaneis eiusdem compositus per Iacobum Carronum; adiecta est ad Calcem, Scorpionis insecti Historia a Casparo Vuolphio ex eiusdem paralipomenis conscripta; accesserunt indices nominum serpentium secundum diversas linguas. Tiguri: Froschauer 1587.

Schlangenbuoch. Das ist ein grundtliche und vollkommne Beschreybung aller Schlangen, so im Meer, süssen Wassern und auff Erden jr Wohnung haben, sampt der selbigen Conterfactung / erstlich durch den hochgelehrten weytberümpten Herrn D. Conrat Gessnern zuosamen getragen unnd beschriben unnd hernaher durch den wolgelehrten Herrn Jacobum Carronum gemehrt und in dise Ordnung gebracht; an yetzo aber mit sondrem Fleyss verteütscht. ... Getruckt zuo Zürych in der Froschow 1589. [Von den Tracken: fol. XXXVrecto – XLIIrecto; die deutschen Übersetzungen von Gesners Tierbüchern kürzen und vereinfachen den Text.]

 

Im Frühling 1735 kam Carl Linné (1707–1778) auf der Durchreise nach Holland in Hamburg vorbei. Dort befand sich eine Attraktion: das Präparat einer siebenköpfigen Hydra, das  einem Hamburger Bürger gehörte, der es für eine horrende Summe erworben hatte.  Der leidenschaftliche Sammler Albertus Seba (1665–1736) hatte das Wesen in seinem Naturalienkabinett  eben gerade 1734 abgebildet und beschrieben. Nun bringt Seba in seiner Sammlung auch andere merkwürdige Tiere: Geflügelte Eichhörnchen, Beuteltiere, Stachelschweine, gehörnte Kröten; warum soll es nicht auch siebenköpfige Drachen geben?

Seba gibt zu, dass ihm der Bericht erfahrungswidrig vorgekommen sei und näher bei der Dichtung als bei der Wahrheit (fateor, paradoxam mihi visam esse hanc relationem, & fabulae, quam veritati, propinquiorem). Aber die die alten Autoritäten sprechen doch für die Echtheit. Er erwähnt Conrad Gesner, Aldrovandi, Athanasius Kircher und Johann Jacob Scheuchzer. – Die angegebenen Quellen stimmen, aber Seba hat nicht genau gelesen. (Zu Gesner oben.) So zitiert Scheuchzer an der angegebenen Stelle (Jobi Physica Sacra, Zürich 1721, S. 259) tatsächlich allerlei Berichte von Drachen, aber er schreibt auch: Ich selbs/ ob ich gleich in dieser Materi sehr ungläubig bin/ habe alle Schweitzerische Drachen-Historien mit grossem Fleiß zusamen getragen/ und nach deren Beschreibung abmahlen lassen/ werde aber/ wann sie einmal solten an Tag kommen/ nicht dargeben vor wahrhafft/ sondern vor sehr zweiffelhafft/ und die meisten vor erdichtet.

Albertus Seba, Locupletissimi rerum naturalium thesauri accurata descriptio – Naaukeurige beschryving van het schatryke kabinet der voornaamste seldzaamheden der natuur, Amsterdam 1734, Tafel CII, Fig. 1.
> http://www.botanicus.org/title/b12082648 (Missouri Botanical Garden)

Linné wurde am 2. Mai von einem Freund zu dem Präparat geführt. "Weil ihm als einem höchstbelesenen und erfahrenen Physico  dergleichen niemals unter die Hände oder vor die Augen gekommen war, konte er es zu erst durchaus nicht glauben, daß dergleichen irgend in der Welt wäre, zumaln ihm bekant, daß die Natur nicht per saltus handelte." (Hamburgische Berichte 10.Juni 1735; Natura non facit saltus ist ein für Linnés systematisches Denken sehr wichtiges Prinzip). Er untersuchte es genau und stellte fest, dass das Kuriosum aus verschiedenen Lebewesen zusammengenäht und mit Schlangenhaut überzogen war; anhand des Gebisses waren die Köpfe als die von Wieseln auszumachen. Man berichtete, dass das Wesen einst aus einer katholischen Kirche geraubt worden sei, und Linné nahm daher an, dass es ursprünglich ein Abbild des apokalyptischen Drachens gewesen sei. "Nemo ante me fallaciam detegere potuit." (Niemand hat vor mir den Betrug zu entdecken vermocht; Iter.) Nachdem Linné seine Einsicht offenbar unvorsichtigerweise hatte verlauten lassen, verließ er Hamburg zügig.

Die Skepis bei Linné stammt vermutlich aus seiner Lektüre – ebenso wie die Idee zur Verfertigung dieses Präparats.  Schon Gessner hatte ja vermutet, der siebenköpfige Drachen sei ein erdichter cörpel nach der Poeten phantasey formiert vnd gestaltet.

Wie die Geschichte genau ablief, muss man aus verschiedenen Quellen zusammensuchen. In den »Hamburgischen Berichten von neuen Gelehrten Sachen« erschienen 1733 bis 1738 sporadisch (evtl. von ihm verfasste) Mitteilungen über Linné. Sodann verfasste er auf Schwedisch ein Tagebuch »Iter ad exteros«. Ferner sind die Aufzeichnungen beizuziehen, die er in einem Kalender notierte und die erst 1845 als »Botaniska Notiser« erschienen. (All diese Quellen hat Felix Bryk zusammengetragen). Über das siebenköpfige Exponat orientiert sodann das Buch von A. Seba. Wem das Exponat gehörte, darüber liegen verschiedene Angaben vor. – Felix Bryk (Hrsg): Linnaeus im Auslande: Linnés Gesammelte Jugend-Schriften autobiographischen Inhaltes aus den Jahren 1732–1738. Stockholm 1919.

Literaturhinweise:

Otto Böcher, Die Johannesapokalypse, Darmstadt: wbg 1975 (Erträge der Forschung).

Frits van der Meer, Apokalypse. Die Visionen des Johannes in der europäischen Kunst, Freiburg/Br.: Herder 1978.

Christoph Uehlinger, “Drachen und Drachenkämpfe im alten Vorderen Orient und in der Bibel”, in: B. Schmelz / R. Vossen (Hg.), Auf Drachenspuren. Ein Buch zum Drachenprojekt des Hamburgischen Museums für Völkerkunde, Bonn: Holos Verlag 1995, S. 55–101.

Hartmann Grisar S.J. / Franz Heege S.J., Luthers Kampfbilder. II. Der Bilderkampf in der deutschen Bibel (1522 ff.), Freiburg im Breisgau: Herder 1922.

Peter Martin, Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse. Die Ikonographie der Illustrationen zur Offenbarung des Johannes in der Lutherbibel 1522 bis 1546, Hamburg: Wittig 1983 (Vestigia Bibliae Band 5).

Hans-Ulrich Hofmann, Luther und die Johannes-Apokalypse, Tübingen: Mohr 1982 (Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese Band 24)

Robert Scribner, For the sake of simple folk. Popular propaganda for the German Reformation. Cambridge 1981; 2.Auflage 1994.

E. Dinkler-von Schubert, Artikel "Sieben" in: Engelbert Kirschbaum / Wolfgang Braunfels u.a. (Hgg.), Lexikon der christlichen Ikonographie. Band IV, Sp.154f., Freiburg 1972.

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