Fahrzeuge — Wagen — Karossen, ihre Lenker und Lenkerinnen
Die Erfindung des Rads und der Übergang vom Schlitten zum Wagen im Neolithikum war eine kolossale Revolution. Nicht nur zum Transport von Lasten dienten die Fahrzeuge. König Salomo führte Kriegswagen in Israel ein, es sollen 1’400 gewesen sein (1. Könige 10,26). Die Fahrt auf einem Wagen bekam dann über das Praktische hinaus symbolische Bedeutung. Herrscher und Feldherren, selbst Gott und Göttinnen, Personifikationen (vor allem von Lastern) lenken Wagen; auch die Seele fährt in einem (Platon, Phaidros 246a), und Tote wurden in ihrem Wagen bestattet. Anlass für solche Fahrten waren triumphale Siege, Krönungen, Feste am Hof (oder an der Fasnacht), allgemein: Machtdemonstrationen. Sodann wurden Wagenfahrten imaginiert in der Predigt, in Emblemen, in symbolischen Gedichten. – Eine Palinodie gleichsam ist der Heuwagen von Hieronymus Bosch. Die Wagen sind prachtvoll ausgestattet; die ›Planches‹ in der Encyclopédie (Tome IX, 1771) geben einen Eindruck davon. Nicht nur Pferde werden als Zugtiere verwendet, sondern allerlei allegorisch gedeutete Tiere: Löwen und Pfauen oder dumme Esel, Hirsche; auch Bauern kommen unters Joch. Die Lenker/innen vermögen die Wagen gelegentlich auch zu meistern Rundfahrt mit Halt an allen Stationen oder Halt auf Verlangen:♼ Kriegswagen (Ägypten und später) ♼ Mächtige Herrscher in der ›Staatskarosse‹ ♼ Satire eines Triumphzugs ♼ Allegorischer Triumphzug ♼ Planetengöttinen und -Götter ♼ Venus kutschiert in der Stadt Magdeburg ♼ Symbolische Zugtiere ♼ Keine Zugtiere! Auto-Mobil ♼ Göttliche Lenkung von Zugtieren ♼ Die Entführung der Persephone / Proserpina ♼ Neptun hat einen speziellen ›Wagen‹ ♼ Himmelfahrt in feurigem Wagen ♼ Himmelfahrt mit starken Zugtieren ♼ Tullia überfährt ihren toten Vater mit dem Wagen ♼ Cupido zügelt sogar die Löwen ♼ Phaëthon vermag den Sonnen-Wagen nicht zu meistern ♼ Luxuria mit Gefolge ♼ Die ›Tugend‹ auf einem Sieges- und Ehrenwagen ♼ Merkwürdige Speichenräder ♼ Die Prozession der Kirche ♼ Der Vegetationsgott und die Baumgottheit im Triumphwagen ♼ Ein Prachts-Schiff auf Rädern ♼ Der Wagen der Prudentia auf dem Weg zum Himmel ♼ Ausfahrt in alle Himmelsrichtungen ♼ Der Seelenwagen mit zwei unterschiedlichen Pferden ♼ Die Karriere der Faulheit ♼ Wer Reichtumb liebt / Sich selbst betrübt. ♼ Toren stoßen oder ziehen einen Wagen ♼ Der Welt Lauff ♼ Früh übt sich ♼ Nach dem Lebensende im Wagen ♼ Triumphzug der Zeit ♼ An Schwager Kronos ♼ Wagen aufwärts zum Himmel … oder abwärts zur Hölle ♼ Der Staatswagen — Wolstand der Eidgnoßschafft ♼ Der Staatswagen, schwer zu bremsen ♼ Der Staatswagen im Sumpf ♼ Auch ohne Räder fährt man vergnüglich ♼ Antikes Wagenrennen (curriculum equorum)
♼ Literaturhinweise
KriegswagenDer Krieg sei der Vater aller Dinge, sagte Heraklit. Vielleicht sind die Wagen auch Kinder von ihm.
Eine spätere Idee für einen Kriegswagen:
Mächtige Herrscher in der ›Staatskarosse‹, der neuassyrische Herrscher (705–681), ›König des Universums‹, vom siegreichen Krieg heimkehrend:
Der biblische wird, nachdem er die Träume des Pharaos deuten konnte, vom Pharao erhöht: Er wird "Großwesir" über Ägypten (Genesis 41, 37–45). Joseph besteigt den (zweiten) Wagen des Pharaos:
Der Triumphzug (vermutlich) des Livius, ab urbe condita III, 10) (nach
Satire eines TriumphzugsDas Bild entstand anlässlich der Kriege auf der Iberischen Halbinsel:
fährt die Kutsche, die von einem Pferd mit dem Kopf von * mit triumphierenden Gesichtsausdruck in Richtung Paris gezogen wird. (* T., seit 1799 an der Schaffung des napoleonischen Kaisertums beteiligt; mit allmählich schwindendem Einfluss; der rechte Vorderhuf ähnelt dem Schuh, den T. an seinem lahmen Bein trug.) Auf dem Vordersitz der Kutsche sitzen neben Napoleon der (senil aussehende) . (Napoleon Fuß auf der Krone des Königs: am 6.Juni wurde Napoleons Bruder Joseph König von Spanien.) Hinten sitzen der und (der spanische Staatsmann, der 1806 zum Krieg gegen Frankreich aufgerufen hatte), beide mit eisernen Halsbändern gefesselt.Das Gepäck – Wertsachen der Spanier – ist mit einem Siegel verschlossen, auf dem der Buchstabe N steht. Napoleon spricht (Sprechblase!): Depend upon it I do all für jour Goods Das Rad der Kutsche fährt über ein Papier auf der Straße: Freundschaftsbekundungen für die königliche Familie von Spanien; darunter ein Dolch. Allegorischer TriumphzugAlbrecht Dürer hat die Hauptstücke geschaffen: den Wagen mit der burgundischen Hochzeit Maximilians und den sog. Großen Triumphwagen (8 Blätter): diktierte seinem Sekretär Max Treitzsauerwein 1512, wie er sich das Bild seines Triumphzugs vorstellte. Die Ausführung in Form von Holzschnitten durch die berühmtesten Künstler der Zeit blieb indessen Fragment: Es wurden – der Kaiser starb am 12. Januar 1519 – bis 1526 ›nur‹ 137 Einzelblätter (ca. 37 x 41 cm) teilweise fertiggestellt, die immerhin, hintereinandergereiht, ein 57 Meter langes Bild ergeben.
Mehr dazu unten Planetengöttinen …Die Planeten (wozu man früher auch Sonne und Mond zählte) ziehen ihren Weg. Was liegt näher, als ihre Personifikationen auf einem Wagen mit bedeutsamen Zugtieren fahren zu lassen? – Die Planeten sind assoziiert mit antiken Göttinnen und Göttern, deren Attribute auf sie übergehen. Der Wagen von wird von Schwänen gezogen, weil ihre placidità der Liebe ähnlich ist; auf ihnen reiten Amorini:
Der Wagen von wird von Pfauen gezogen. (Zum Zusammenhang von Juno und dem Pfauenschwanz vgl. Ovid, Metamorphosen I,723)
… und Planetengötter
Venus kutschiert in der Stadt MagdeburgBildnis der Veneris Myrthiæ, wie sie ehmals zu Magdeburg gestanden/ vnd als eine Göttin geehret worden. Die Abgöttin Venus hat nach den »Annales Magdeburgenses« in einem alten römischen Tempel gestanden und sei von den Völkern der Gegend verehrt worden. Venus wird als ›Magd‹ (mittelhochdeutsch ›maget‹: Mädchen, Jungfrau) bezeichnet, daher der Name der Stadt. Die Myrthe hat die Kraft, die Liebe und den Frieden zwischen Personen zu erhalten. Auf dem Wagen stehen mit verschränkten Armen die drei Gratien: Göttinen der Leutseligkeit/ Holdseligkeit vnd Danckbarkeit. Die Tauben (als Zug-Vögel) werden für ein zeichen der ehelichen liebe und trewe gehalten. Die weißen Schwäne bedeuten zierligkeit vnd reinligkeit/ vnd unbeflecktes Leben.
Symbolische Zugtiere
••• Amor divinus (Mädchen mit Nimbus) und der Hl. Geist (in Form einer Taube) schweben auf das Kreuz Christi zu; davor liegt Anima mit einem Rosenkranz auf einem Wagen, der von gezogen wird.
••• Das betrunkene Schwein im Zweispänner (biga) wird gezogen von Hund und Bock
••• Hase und Schnecke ziehen gemeinsam einen (leeren) Wagen. Damit warnen sie vor dem Schaden, der aus Übereile entstehen kann ( ) oder aus zu großer Zögerlichkeit ( ). – Die deutsche Übersetzung versteht das so, dass man mit Bedachtsamkeit (Schnecke) auch voran kommt.
••• Ob die Zugtiere der nordischen Göttin auch eine Symbolik haben?
••• Jesus ritt auf einer Eselin, als er in Jerusalem einzog (Matthäus 21,4). Im Himmel fährt er im Triumph, gezogen von den vier Evangelisten-Attributen: hier). (vgl. Ezechiel 1,4ff. und Apokalypse 4,7f.; mehr dazu auf unserer Website
••• Weshalb wird dieser Wagen der Justitia bei Aegidius Albertinus (1560–1620) von alten Frauen gezogen?
Göttliche Lenkung von ZugtierenDie sog. Bundeslade ist eine Truhe, in der die steinernen Tafeln mit den 10 Geboten aufbewahrt und von den Israeliten auf ihren Wanderungen und zum Teil auch bei ihren Kriegszügen mitgetragen wurde. Die Lade wurde einmal von den Philistern in einer Schlacht erobert. Ihr wurde von ihnen die Verantwortung für eine Reihe von Unglücksfällen und Plagen zugeschrieben, so dass sie die Bundeslade zum Volk Israel zurückschaffen wollten. Sie wurde mit einem Sühnegeschenk aus goldenen Figuren ausgestattet und es wurde ein Wagen verfertigt, vor den zwei säugende Kühe gespannt wurden, denen man die Kälber wegnahm. Die Kühe gingen entgegen der Natur von ihren Kälbern weg und zogen direkt nach Beth-Semes, einem Gebiet Israels, wodurch erwiesen war, dass sie vom HErrn gelenkt wurden, und dass er es war, der den Philistern das Unheil zugefügt hatte.— 1. Samuel, Kapitel 5 und 6 (Luthers Übersetzung 1545)
Die Bundeslade auf dem vierrädrigen Wagen wurde im Mittelalter typologisch so gedeutet:
Keine Zugtiere! Auto-Mobil••• In London wurden 1825–27 ertmals sog. Dampfdiligencen in Gang gesetzt. Der Erfinder war Sir Goldsworthy Gurney (1793–1875). Sofort bringt Friedrich Johann Justin Bertuch das der Jugend zur Kenntnis:
••• Und das kann passieren, wenn der Wagen "auto-mobil" unterwegs ist: Der Dampfwagen des Erfinders Nicholas Cugnot (1725–1804) rammt (1769?) eine Mauer:
Vgl. Jörg Jochen Berns, Die Herkunft des Automobils aus Himmelstrionfo und Höllenmaschine. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 1996 (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, 54.Band). Die Entführung der Persephone / ProserpinaDer Gott der Unterwelt (Dīs Pater, Pluto) erbittet sich von Jupiter dessen Tochter Proserpina zur Gemahlin, was dieser ablehnt. Wie Proserpina sich in einem Hain, Blumen pflückend, ergötzt, da erblickt sie Pluto: Paene simul visa est dilectaque raptaque Diti (sie sehen, sie lieben, sie rauben ist fast eines für Pluto). Proserpina reißt sich das Kleid herunter, sie ruft der Mutter – aber der Räuber beschleunigt die Fahrt, er stachelt die Pferde an (exhortatur equos), schüttelt ihnen die Zügel. Die halb aus dem Wasser ragende Nymphe Cyane versperrt ihm den Weg, indem sie die Arme seitwärts hebt. – Aber der Räuber feuert die Rosse an, und die Erde öffnet den Weg in den Tartarus und empfängt den Wagen in ihrem Schlund. (Ovid, Metamorphosen V, 391–424; ders., Fasti IV, 417–620) Proserpina wird die Gemahlin des Unterweltsgottes, und Zeus gestattet ihr, eine Hälfte des Jahres in der Oberwelt, die andere bei ihrem Gatten zuzubringen: ut dimidia parte anni apud se, dimidia apud Plutonem esset. (Hygin, Fabulae)
Der Meeresgott Neptun hat einen speziellen ›Wagen‹hier mit seiner Gattin Amphitrite (Ἀμφιτρίτη) und ihrem Delphine liebenden Söhnchen Palaimon:
Aber auch hat einen speziellen Wagen:
Himmelfahrt in feurigem WagenDer Prophet (Eliajhu), der ein Leben lang für die alleinige Verehrung von JHWH gekämpft hat, bekommt von diesem den Auftrag, Eliša zu seinem Nachfolger zu machen. Eliša wünscht sich, dass dessen Geist über ihn komme. Dadurch, dass Eliša das schauen kann, was menschlichen Augen verwehrt ist: die Himmelfahrt Elijas, gilt seine Bitte als erfüllt.2. Buch der Könige, 2,1–18: VND da sie mit einander giengen/ vnd er redet/ sihe/ da kam ein fewriger Wagen mit fewrigen Rossen/ vnd scheideten die beide von einander/ vnd Elia fur also im wetter gen Himel. Elisa aber sahe es /vnd schrey/ Mein Vater/ mein Vater/ […]. Vnd sahe jn nicht mehr/ Vnd er fasset seine Kleider vnd zureis sie in zwey stück. VND hub auff den mantel Elia der jm entfallen war […]. (Lutherbibel 1545).
Die Himmelfahrt des Elia wird in diesem Missale (um 1555) typologisch bezogen auf die :
In der Wallfahrtskirche Hergiswald (Kanton Luzern, Schweiz) hat 1654 Kaspar Meglinger diese Szene auf bezogen:
Himmelfahrt mit starken ZugtierenDie Tradition der Alexanderromane (lateinisch und in den Volkssprachen) ist komplex; eine kurze Inhaltszusammenfassung muss genügen:
Die Hoch-Fahrt wurde natürlich gerne als Hoffart gedeutet, was aber an den Bildern nicht ablesbar ist:
Wolfgang Stammler, Alexander der Große, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1934), Sp. 332–344 > https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89392 Hartmut Kugler, Alexanders Greifenflug: eine Episode des Alexanderromans im deutschen Mittelalter, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Bd. 12 (1987) S. 1–25. Tullia überfährt ihren toten Vater mit dem WagenIm Jahre 219 nach der Gründung Roms. Die ungestüme und ehrgeizige Königstochter ist verärgert über ihren Gatten und stiftet ihren Schwager dazu an, ihren Mann und ihre Schwester aus dem Weg zu räumen. Das geschieht, und sie heiratet den Doppelmörder. Nun stiftet sie diesen an, den greisen König Servius Tullius, ihren leiblichen Vater, zu beseitigen, um selbst an die Macht zu kommen. Auch das geschieht. Tullia lässt sich zum Forum kutschieren, um den neuen König – ihren Mann – als erste zu begrüßen. Auf dem Heimweg – am Ende der Cyprischen Gasse, bei der Einmündung zum Esquilinischen Hügel – sieht der Wagenlenker den toten König auf der Straße liegen und will anhalten. Aber Tullia befiehlt, den Leichnam zu überfahren. Livius: Ein abscheuliches, unmenschliches Verbrechen.Die üble Geschichte wird in der Antike mehrfach ausführlich erzählt: Livius, ab urbe condita I, 46–48; Dionysios Halikarnassos IV, 28–39; Valerius Maximus IX, xi, 1; Ovid, Fasti VI, 587–610.
Cupido zügelt sogar die LöwenCupido wird hier als aurīga, (Fuhrmann, vom alten aureae, Gebiss am Zaum – os Mund – agere, lenken) bezeichnet.
Die Ausdrücke zügeln und im Zaum halten und dagegen freien Lauf lassen, die Zügel schießen lassen sind für moralische Aussagen gang und gäbe (vgl. lateinisch etwa: irae frena ponere, voluptati frenos imponere, libidinibus frena permittere, linguae frena relaxare, habenas adducere). Nur zwei Beispiele: Juvenal, Satiren, 8. Buch, 8. Sat., Vers 85:
Boethius, Consolatio, 2.Buch, metr 2:
Phaëthon vermag den Sonnen-Wagen nicht zu meisternEpaphus, einer der Söhne Jupiters, verspottet Ovid, »Metamorphosen« I, 747 ff.; dann ausführlich und lesenswert II, 332.) (›der Leuchtende‹), dieser sei gar nicht der Sohn von Sol (Phoebus, Apollo, Helios), für den er sich halte. Seine Mutter empfiehlt ihm, sich an den Vater zu wenden (Phaëthon eilt zum Himmel, zum Palast der Sonne, und erheischt von Sol, einen Tag das Sonnengespann lenken zu dürfen. Vergebens warnt der Vater. Kaum fühlen die Sonnen-Rosse die ungeübte Hand ihres Lenkers, als sie aus ihrer Bahn weichen, das Land mit Glut versengend. Dann – der Wagen wird niedergedrückt – trocknet glühender Brand die Quellen und Flüsse aus, entzündet die Wälder, spaltet durch seine Hitze den Erdball. Da sendet Zeus einen tötenden Strahl aus dem Himmel, von dem getroffen Phaëthon in einen Fluss sinkt. Die Rosse aber stürmen weiter, es brennen die Wälder, und der Aetna lodert in vollen Flammen. Endlich, nach vielen Bitten, ergreift Helios auf’s Neue die Zügel.
James Gillray (1756–1815) verwendet das Motiv in einer Karikatur über das Verhältnis (morganatic marriage) von Maria Anne Fitzherbert (née Smythe; 1756–1837) und George IV., dem Prinzen von Wales (1762–1830). Vgl. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Fitzherbert Das Bild ist auf 1788 datiert: Damals war George durch seinen verschwenderischen Lebenswandel verschuldet, und der Skandal drohte aufzufliegen. https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_IV._(Vereinigtes_Königreich)....
Das Laster der Genuss-Sucht (Luxuria) mit Gefolgebeschreibt in ihrer Enzyklopädie eine ganze Reihe von Kämpfen zwischen Tugenden und Lastern (eine Psychomachie gemäß Hiob 7,1: ›Militia est vita hominis super terram‹). als Kurtisane ausstaffiert, zuvorderst auf dem mit Edelsteinen geschmückten Wagen (gemmatus currus luxuriae), Veilchen und andere Blumen ausstreuend. Auf dem Wagen die Personifikationen vieler Laster in martialischen Ritterrüstungen, aber (außer Amor, der selbstverständlich Pfeil und Bogen braucht) ohne Wafffen, u.a.: Amor, Lascivia, Petulantia (Ausgelassenheit), Blanditiae (Schmeichelei), Turpiloquium (Schmährede), Voluptas, Jocus, Pompa. Die Tugenden strecken abwehrend die Hände aus: Virtutes extendunt manus suas contra luxuriam …
Die ›Tugend‹ auf einem Sieges- und EhrenwagenDer siegreiche Überwinder fährt auf einem Sieges- und Ehrenwagen von Gold und Elfenbein; vor ihm werden die erbeuteten Schätze getragen; Gefangene umringen gefesselt seinen Wagen. Das mitlaufende Volk ist entzückt ob dieser Wunder.
Das Emblem wird (wie alle in diesem Buch) von einem Horaz-Zitat begleitet: Res gerere & captos ostendere civibus hostes, Attinget solium Iovis & caelestia tentat. (Heldentaten vollbringen und den Mitbürgern gefangene Feinde zeigen, das führt zu Jupiters Thron und rührt an den Himmel; Epist. I, 17, 33). Und so schwebt über dem Wagen Jupiter mit seinem Adler in Wolken. Merk-würdige SpeichenräderEine märchenhafte Geschichte: Pharao Sesotris habe in seinem Übermut gegenüber den bezwungenen Königen diese wie Pferde vor seinen Wagen gespannt und plötzlich bemerkt, dass einer derselben seine Blicke beständig nach den Rädern des Wagens richtete. Darüber befragt, gab dieser zur Antwort, er sehe, wie dieselbe Speiche bald oben, bald unten sei, ein Bild der Fortuna, die Könige vom Thron auch in Sklaverei herabstoße. Sesotris habe darauf die Bezwungenen befreit. Im Alter sei er erblindet und habe sich das Leben genommen. nach Carl Philipp Funke, Neues Real-Schullexikon, enthaltend die zur Erklärung der alten Klassiker nothwendigen Hülfswissenschaften, ..., Wien/Prag: Franz Haas 1805–07; leider ohne Angaben antiker Quellen im Artikel "Sesotris", Band 5, S.293
**) Das Motto des Emblems Fortuna volubilis errat ist Ovid, »Tristia« V,viii,15f. entnommen:
***) Die Beobachtung des Rads der Fortuna kennt man aus Boethius und vielen weiteren Quellen; vgl. Sibylle Appuhn-Radtke, Artikel »Fortuna«, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. X (2005), Sp. 271–401. > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=93777 — Darauf bezeiht sich auch der Satz im lat. Epigramm: Omnia Sors rotat ≈ das Schicksal dreht alles herum. Die Prozession der KircheAuf der Spitze des Läuterungsbergs begegnet Dante (»Purgatorio«, 29. Gesang, bes. Vers 107 ff.) einer Prozession. Es gehen voran sieben Flammen und 24 Greise (vgl. Apokalypse 4,4: die 12 Patriarchen und die 12 Apostel oder die 24 Bücher des Alten Testaments; dahinter vier Tiere (die Attribute der Evangelisten, beruhend auf Ezechiels Vision 1,4ff.). Dann folgt ein Wagen, der die bedeutet***; die zwei Räder sind das Alte und Neue Testament.
Gezogen wird er von einem Greif, dessen zwei Naturen (Löwe, Adler) auf Christus verweisen: Seine göttliche Natur ist golden, seine irdische weiss und rot. Neben dem Wagen tanzen Frauen, die beschrieben werden: rechts die drei geistlichen Tugenden: Glaube, Liebe und Hoffnung, links die vier weltlichen: Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Tapferkeit. Dem Reigen folgen zwei Greise: Der Apostel Lukas als Arzt, Paulus mit dem Schwert --- und weitere Gestalten.
***) Die allegorischen Deutungen entspringen den Kommentaren, sie sind von Dante nur insinuiert. Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, Übersetzt und kommentiert von Hermann Gmelin, Stuttgart: Klett 1955. Deutsche Übersetzung und mit Erläuterungen von Karl Streckfuss (1825) Der Vegetationsgott und die Baumgottheit im TriumphwagenIn dem Francesco Colonna zugeschriebenen Buch erzählt der Protagonist einen Traum, in dem er den Weg zu seiner Geliebten findet. Er durchwandert eine Kunst- und Architekturlandschaft, durch zauberhafte Wälder, Grotten, Ruinen, Triumphbögen, ein Labyrinth; er begegnet Elefanten und Drachen, Göttern und Göttinnen, Personifikationen. Poliphilo und die noch unerkannte Polia begegnen auch mythologischen Triumphzügen, u. a. dem wohlgemut und siegesfrohlockend auf einem Wagen vorbeifahrenden Ehepaar (vgl. Ovid, Metamorphosen XIV, 623–772); ein gutes Omen dafür, dass Poliphilo und Polia ein Paar werden.
Ein Prachts-Schiff auf RädernDie angebetete Gräfin von Beamunt verspricht dem den vorbehaltenen Liebeslohn, wenn er vor den Toren ihrer Stadt ein Turnier ausrichtet und als Minneritter für den Lohn kämpfen wird. Mauritius lässt ein prächtig geschmücktes Schiff auf Rädern bauen, das von unsichtbaren Pferden im Innern bewegt wird, und fährt draufhin vor die Burg der Minneherrin. Der Text schildert die Verfertigung dieses Fahrzeugs (Verse 627ff.; vgl. die Schilderung des Schilds von Achill bei Homer als Herstellung in der Schmiede durch Vulkan):
Mauritius von Craûn, herausgegeben von Heimo Reinitzer (Altdeutsche Textbibliothek 113), Tübingen: Niemeyer 2000. Heimo Reinitzer, Mauritius von Craûn. Kommentar, Stuttgart: Steiner, 1999 (Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Beiheft 2). Hier ausführlich S. 81ff. Moriz von Craûn, Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch (Übersetzung von Albrecht Classen), Stuttgart 1992 (Reclams UB 8796) — dass., übersetzt und kommentiert von Dorothea Klein, daselbst 1999. Der Wagen der Prudentia auf dem Weg zum HimmelAlanus ab Insulis († 1202) im »Anticlaudianus« verwendet das Konzept einer Himmelsreise der in einem von den Septem Artes hergestellten und den fünf Sinnen gezogenen Wagens. Die Natur hat beschlossen, ein völlig tadelloses Werk hervorzubringen, und beruft zu diesem Zwecke alle Kräfte des Himmels in ihren Palast. Sie verkündet nun dass sie mit ihrem Beistand das vollkommenste Geschöpf hervorbringen wolle, nämlich den göttlichen Menschen. Die Klugheit (Prudencia) ist mit dem Plane der Natur einverstanden, hält aber ein, dass sie mit der Natur zusammen nur den sinnlichen Teil des Menschen zum Leben erwecken könne, nicht aber den seelischen. Von ihr aufgerufen erscheint die Vernunft (Racio); auch sie lobt den Plan, rät aber wegen der Schwierigkeiten, die Klugheit als Gesandte an Gott zu schicken. Als diese schwankt, tritt die Eintracht (Concordia) auf und ermahnt alle die Himmelskräfte mit Hilfe der in ihr wohnenden ordnenden Kraft zur Einigkeit. Die Klugheit fügt sich und lässt sich von den sieben freien Künsten, deren Bedeutung und Art ausführlich erläutert wird, einen bauen. (Die Grammatik entwirft die Deichsel, die Logik die Achse, die Rhetorik sorgt für Schmuck, die vier Disziplinen des Quadriviums formen die vier Räder.) Auf diesem Wagen steigen die Klugheit und die Vernunft – gezogen von den fünf Sinnen – zum Himmel empor, bis sie zum Tierkreis und damit auf die Höhe der Welt gelangen.Dort aber teilt sich der Weg, doch die Klugheit gewahrt über sich ein herrliches Weib, die Königin des Himmels, und bittet diese, ihr den Weg zu Gott zu zeigen. Die Königin heisst sie, den Wagen und dessen Lenkerin zurückzulassen und das eine Pferd, das Gehör, zu besteigen; so reitet sie hinter der Königin her. Endlich gelangt sie vor die Wohnung Gottes und bittet ihn, ihr bei der Schöpfung des Menschen zu helfen, indem er diesem die Seele gebe. Gott verheisst ihr Erfüllung der Bitte und gebietet Noys, dass er ihm die Idee des menschlichen Geistes bringe. Nun bildet Gott das Einzelwesen, dem die Parzen ein günstiges Geschick weben, und Noys salbt die Seele mit Himmelstau gegen alle Gefahren. Als die Klugheit auf dem Rückweg die Vernunft mit dem von ihr geführten Wagen antrifft, verabschiedet sie sich von den himmlischen Begleiterinnen und gelangt wieder auf die Erde zu den Himmelskräften. Die Natur bildet nun aus den vier Elementen den Körper, den die Eintracht mit der Seele vereinigt. Darauf spenden die Himmelskräfte einzeln ihre Gaben; als aber der Mensch auf solche Weise mit allen Tugenden und Vorzügen ausgestattet ist, beruft Alecto alle bösen Geister zum Kampfe gegen die Schöpfung des Himmels. Doch der Mensch wird durch die Tugenden gewaffnet, […] und gewinnt das Paradies. (Zusammenfassung basierend auf Max Manitius, Geschichte der lat. Lit. des MA, Band 3, S.798f., hier focussiert auf das Thema des Wagens. Ausführlicher bei P. Ochsenbein, a.a.O., S. 59–64.)
Alanus ab Insulis, »Anticlaudianus«, Texte critique publié par R. Bossuat, (Textes Philosophiques du Moyen Age 1), Paris: Vrin 1955. [Ältere Ausgabe: Migne PL 210]. Peter Ochsenbein, Studien zum Anticlaudianus des Alanus ab Insulis, Frankfurt/M. und Bern: Lang 1975 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1; Band 114). Christel Meier-Staubach, Die Rezeption des Anticlaudianus Alans von Lille in Textkommentierung und Illustration, in: Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Christel Meier / Uwe Ruberg, Wiesbaden 1980, S. 408–549. Christine Ratkowitsch, Descriptio picturae.Die literarische Funktion der Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Grossdichtung des 12. Jahrhunderts, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1991 (Arbeiten zur mittel- und neulateinischen Philologie 1) — Zu Alanus ab Insulis S. 212–266. Michael Stolz, Artes-liberales-Zyklen: Formationen des Wissens im Mittelalter, Tübingen: Francke 2004 (Bibliotheca Germanica 47), insbes. Band I, S.189–266 – Band II, Abb. 31–36. Ausfahrt in alle HimmelsrichtungenDer Prophet Sacharja hat diese Vision:
Die Bibel-Exegeten kennen verschiedene allegorische Deutungen. Hieronymus bezieht die vier Gespanne auf die vier Evangelien, die sich über die ganze Erde verbreiten:
Der Seelenwagen mit zwei unterschiedlichen PferdenPlaton (428/427 bis 348/347) kennt folgendes Seelenmodell im Dialog »Phaidros«. Sokrates möchte das, womit die Seele (von psyche ist die Rede) eine Ähnlichkeit hat, darstellen; er verwendet also ein (fiktionales) Modell.
Das wird weiter ausgeführt und gab zu verschiedenen Überlegungen Anlass. (Mehr dazu auf unserer Website hier).
Die Karriere der FaulheitDie bequem auf einem von einem Esel gezogenen Wagen — sie verwendet keine Zügel:
Der faule Narr bei Albert Joseph Conlin (1669–1753; Nachahmer Abraham a Santa Claras hat einen besonderen ›Wagen‹):
Wer Reichtumb liebt / Sich selbst betrübt.Die Umschrift übersetzt ≈ Weh, wie ist das Los der Reichen schlüpfrig! Der gesellt sich gern zu jedem, hält aber die Treue nicht.
Diese Unbeständigkeit zeigt nur schon der Wagen. Der Pfau in der einen Hand der Dame zeigt diß / wenn der reich muß davon/ Er nichts mit sich nimbt Gut noch Gelt Bleibt alles gwißlich in der Welt. Sie hat die Augen verbunden, weil sie nicht versteht / Wies mit der lieben Armut geht. (Im Titel des Emblems wird die Geschichte vom Armen Lazarus Lukas 16,19ff. zitiert.) Die vier Löwen als Zugtiere sind Hoffart/ Versaumnuß/ Schwelgerey/ Unmitleidig[keit]; sie tragen entsprechende Attribute des sündigen Reichtums auf dem Kopf, unter anderem eine Spott-Hand.
Wärend Jesus hier auf dem Weg zur selig-machenden Kreuzigung bergaufsteigt, rast der höfische Prasser auf seinem edlen Gefährt musizierend bergab:
Eine Närrin fährt spazierenAus dem Abraham a Sancta Clara (1644–1709) fälschlich zugeschriebenen Buch:
Toren stoßen oder ziehen einen Wagen
Cicero (de officiis I, xxxi, 110ff.) schreibt: Jeder soll nur das tun, wozu er von Natur aus die Fähigkeiten hat, und sich nicht an dem versuchen (sei dieses noch so schicklich), das ihm nicht liegt und ihm daher nicht gelingen wird. Es ist nicht sinnvoll, der Natur zu widerstreiten und ein Ziel zu verfolgen, das du nicht erreichen kannst. In der deutschen Übersetzung 1531 wird dies so visualisiert: Fünf Männer schieben einen Wagen den Berg hinauf; während hinten ein ebensolcher Wagen abwärts rollt.
••• Der Narr zieht den leichten Wagen über Blumenfelder, mit Konsequenzen Das Bild im »Narrenschiff« von Sebastian Brant (1494) passt nicht genau zum Text, wo es auf die herkulische Zweiwegelehre bezogen wird. Der Narr zieht einen zweirädrigen Wagen über eine Blumenwiese; an diesen ist ein vierrädriger angehängt, dessen Räder am Boden Flammen werfen.
Geiler von Keisersberg (in seinen Narrenschiff-Predigten Nauicula siue speculum faturoum … 1511, Fol. XVI recto, ¶ 7; vgl. F. Zarnckes Kommentar zu Brant, S.383) interpretiert das Bild in einer Predigt zum NS so: qui hic currum trahit, trahet alibi quadrigam. Currus ist ein zweirädriger Karren, wie er in Triumphzügen und für Wagenrennen verwendet wurde – quadriga eigentlich das Viergespann, metaphorisch für große Anstrengung; also: Wer hier (im Erdenleben) den leichten Wagen zieht, wird anderswo (in der Höllle) einen schweren ziehen. Die Koppelung der Wagen im Bild entspricht somit der gedanklichen logischen Verknüpfung: Kon-sequenz. Zur Blumenwiese heißt es in Geilers Kommentar (Druck 1574, S. 174): Der Weg der Sünder leßt sich ansehen/ gleich wie ein veldt das voller hüpscher blumen steht/ vnnd wolschmeckenden kreutern. Welche sein nu dise blumen? Der vberfluß/ ehr Reichthumb freud wollust … Disen jagen die menschen allzeit nach … Diß sein kurtzlich die vrsachen warumb der gröste theil dem weg der Hellen zu eilet. Welt Spiegel/ oder Narren Schiff darinn aller Ständt schandt vnd laster/ vppiges leben/ grobe Narrechte sitten/ vnd der Weltlauff/ gleich als in einem Spiegel gesehen vnd gestrafft werden: alles auff Sebastian Brands Reimen gerichtet; […] Weilandt/ Durch den hochgelerte Johan. Geyler in Lateinischer sprach beschrieben. Jetzt aber mit sonderm fleiß auß dem Latein inn das recht hoch Teutsch gebracht […] Basel: Heinricpetri 1574. In einem späteren Druck ist die Deutung stark verändert und gleicht eher derjenigen aus dem Buch von Cicero / Schwartzenberg: Thu nicht über dein Vermögen!
In zwei verschiedene RichtungenDer oben dargestellte Wagen (angeschrieben mit Dein wil der geschech) fährt auf den Heiland zu;
Falsch angespanntKinderzucht.
Der Papst und der Sultanwollen je in eine andere Richtung: Der auf dem siebenköpfigen Monster reitenden "Hure Babylon" aus der Apokalypse (17,1–18; Bild auf der linken Buchseite; hier nicht wiedergeben) wird ein von scheusslichen Monstern gezogener Triumphwagen zur Seite gestellt, in dem in die eine Richtung der Papst und und in die andere der Sultan lenkt; doch beide scheinen am Rücken zusammengewachsen.
Der Welt LauffCVRRUS CURSUS MUNDI (≈ Der Wagen / das Gespann des Laufs der Welt) (1.Hälfte 17.Jh.):
Früh übt sich …Julius Wilhelm Zincgref (1591–1635) in seinem Emblembuch:
Holzschnitt des Petrarcameisters (1532): Aus den »Pia desideria« von Hermann Hugo S.J. (1588–1629), Zweites Buch, 3. Kapitel. Die (als kleines Mädchen dargestellte) Seele bittet die (als Engelchen mit Gloriole dargestellte) göttliche Liebe: Erhalt meinen gang auff deinen fußsteigen, daß meine tritt nit schlupferen (Psalm 16)
... mit Mobilitätsbeeinträchtigung ...Stephan Farffler (1633–1689) inventor eines Wagens … darauf er sich, weil er Lahm war, selbsten herumgefahren: … und auch nach dem Lebensende im WagenHerodot beschreibt (Historien IV, 73) dass bei den Skythen Verstorbene auf einen Wagen gelegt wurden und vierzig Tage lang von Freund zu Freund herumgefahren und dann begraben wurden. Dass man ihnen einen Wagen im Grab beigegeben hatte, davon spricht er nicht, dies ist aber durch archäologische Funde belegt. Die Grabkammer im Kurgan (Hügelgrab) bei Krivoj Rog / Krywyj Rih (Ostukraine) ist als Planwagen inszeniert. Der Wagen ist demontiert – ob man Angst hatte, der Tote kehre als Wiedergänger zurück?
Triumphzug der ZeitPetrarca (1304–1374) hat sechs »Triumfi« verfasst: Die Liebe, die Keuschheit, der Tod, der Ruhm, die Zeit, die Ewigkeit defilieren an ihm vorbei. Die Texte wurden immer wieder bildlich umgesetzt, dabei wurden sie allegorisch weiter ausgestattet. (Hingewiesen sei auf die Bilder von Pieter Bruegel d.Ä., Maarten van Heemskerk / Philips Galle oder Georg Pencz, alle aus der Mitte des 16. Jhs.). Hier triumphiert die gefräßige (tempus edax rerum): ein geflügelter Greis mit Sanduhr und Sense in den Händen, umstanden von mit Kronen, Mitra, Tiara und Lorbeerkränzen gekrönten Herren. Die Vergänglichkeit wird auch durch den vorüberziehenden Sonnenwagen demonstriert.Georg Pencz (um 1520/30):
Hinweis: Artikel »Chronos« von Lieselotte Möller in RDK III (1953) hier digital An Schwager Kronos
Text nach der handschriftlichen Fassung Goethes 1778, die er dann für den Druck 1789 veränderte. — Schwager war in der Studentensprache als Anrede für den Kutscher oder Postillon aufgekommen (F. Kluge 1895 mit Beleg für 1781). — (einer der Titanen, gilt auch als Gott der Reise) setzt Goethe ineins mit Chronos (Personifikation der Zeit); eine bereits in der Antike vorkommende Gleichsetzung. — haudern: ›Reisende um Lohn fahren‹ (J. Ch. Adelung 1796); die Wagen der Kutscher haben gerüttelt; Goethe ersetzt das Wort dann durch zaudern ›langsam vorankommen‹. — lüften ›sich erheben‹. Eine Version des Motivs stammt von Rudolf Baumbach (1840–1905): »Hoch auf dem gelben Wagen…«. Wagen aufwärts zum Himmel … oder abwärts zur HölleDer Wagen wird ausführlich allegorisiert. Er muss aus vortrefflichem Holz verfertigt sein: das ist die milt/ gütig/ groß/ überflüsig/ vnergründt barmhertzigkeit gotes. Ein solcher Wagen bricht nicht und ist allezeit bereit. Die Räder werden auf Tugenden hin ausgelegt. Dann: Der Deichselarm (die teüssell, die fürauß geet): ein starcker fürsatz todtsünd zu vermeiden. Die sieben Pferde haben verschiedene Farben, das gelbe zuvorderst z. B. bedeüt demüetigkeit. Auf der Fahne sind biblische Szenen dargestellt. Herunter in die Finsternis fährt der Höllenwagen; darauf die Weltkinder, die sich freudig mit leibes lust die Zeit vertreiben. Die unbarmhertzigkait Lucifers steht Pate. Bergab wären nicht so viele Pferde nötig wie bergauf; dennoch muss man viele beschreiben und auslegen: vngedult, fluochen, neidisches hertz usw. usf. – Der Verfasser schreibt, er würde nicht lange genug leben, um alle Laster zu beschreiben, sogar zwanzig Schreiber mit je hundert Büchern Papier kämen damit nicht zugange.
Der Staatswagen — Wolstand der Eidgnoßschafft
Der Staatswagen, schwer zu bremsenDer konservative Politiker Josef Leu von Ebersol (1800–1845) forderte die Berufung der Jesuiten an die Höhere Lehranstalt von Luzern, was 1844 geschah. Damit zog er den Groll der Liberalen auf sich. Im Winter 1844 zogen erste Freischarenzüge gegen Luzern. Die Auseinandersetzungen kulminierten dann 1847 im Sonderbundskrieg. Martin Disteli (1802–1844) geisselte als Karikaturist – in einer Zeit vehementer Auseinandersetzungen in der Schweiz seit 1830 – immer wieder Personen des konservativen, aristokratischen Regimes. (Das ist indessen nur ein Aspekt seines umfangreichen Werks.) Von 1839 bis zu seinem Lebensende ist er Herausgeber des Schweizerischen Bilderkalenders, den er mit Bildern ausstattet. Hier zeichnet Disteli den Luzernischen Staatswagen: Darauf prangt die Tiara. (Das Wappen der Jesuiten JHS über demjenigen von Luzern wurde offenbar für diese Ausgabe weggeschnitten.) Im Wagen der Stadt und ein träger Bürger, eventuell der Buchbinder Alois Hautt. Angespannt ist das bäuerliche Landvolk. Der gut karikierte treibt den Karren mit einem als Peitsche verwendeten Rosenkranz bergab. Liberale Politiker versuchen ihn zu bremsen. – Zeitgenossen mochten in den Gesichtern noch weitere Personen erkannt haben.
Der Staatswagen im SumpfDer liberale Publizist und Politiker Wilhelm Schulz (1797–1860) kam – wegen seiner politischen Haltung verfolgt – 1836 in die Schweiz. Die Satire »Vom deutschen Michel« beklagt in allegorischer Form die Zersplitterung Deutschlands und den Untertanengeist in den deutschen Kleinstaaten. Martin Disteli hat dafür sechs Karikaturen gezeichnet, die Schulz im Anhang ausführlich witzig erläutert. Der im Wagen des heiligen römisch deutschen Reichs sitzt im Dreck fest. Die Zug-Ochsen stehen am Berg. Der drückt, so gut er kann. Im Sumpf steckt (der Frosch) die deutsche Gelahrtheit, bläst sich auf und schreibt die Geschichte der Befreiung des deutschen Volks …
Auch ohne Räder fährt man vergnüglichGottfried Keller: »Kleider machen Leute« (1874). (in: Die Leute von Seldwyla)
Literaturhinweis: Dem Volk zur Schau. Prunkschlitten des Barock. Die Schlittensammlung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart, bearb. von Fritz Fischer, hg. vom Württembergischen Landesmuseum Stuttgart, München: Hirmer 1987; 2. Aufl. 2003. Vgl. auch > https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2012/1/koenigliche-kufen.php Antikes Wagenrennen (curriculum equorum)Ältere Besucher:innen dieser Website mögen sich an den Film »Ben Hur« (1959) erinnern, noch ältere waren damals dabei:
Ob diesen Zirkusspielen auch eine symbolische Bedeutung beigemessen wurde? Oder war’s nur Divertissement? Juvenal, Satire X,77ff: Das Volk, das einst den Oberbefehl innehatte, ersehnt sich jetzt nur dies: Brot und Spiele (panem et circenses). Literaturhinweise
• Gotthold Prausnitz, Der Wagen in der Religion seine Würdigung in der Kunst, Strassburg, Heitz, 1916 (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 187). • Wilhelm Treue (Hg.), Achse, Rad und Wagen, Fünftausend Jahre Kultur- und Technikgeschichte. Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1986. • Stuart Piggott, Wagon, Chariot and Carriage, Symbol and Status in the History of Transport. Thames and Hudson 1992. • Andres Furger, Kutschen und Schlitten in der Schweiz. Vom Streitwagen zum Stadtcoupé, NZZ Buchverlag 1993. • J.Halfwassen, Artikel »Seelenwagen« in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. Joachim Ritter / Karlfried Gründer, Basel/Stuttgart: Schwabe 1971ff., Band 9 (1995), Spalten 111–117. • Jörg Jochen Berns, Die Herkunft des Automobils aus Himmelstrionfo und Höllenmaschine. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 1996 (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, 54.Band). • Artikel »Auto / Wagen« in: Günter Butzer / Joachim Jacob (Hgg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole, Stuttgart: Metzler; dritte Auflage 2021, S. 50f. • Peter von Matt, Das Kalb vor der Gotthardpost, München: Hanser 2012. Erstpublikation als »Significatio« Heft 6 (2021); hier erweitert und überarbeitet. PM im Februar 23
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