»Sinnbildlich schief«: Missgeschicke bei Symbolgenese und SymbolgebrauchKolloquium vom 14./15./16. Oktober 1999 Unsere Umwelt steckt voller Symbole. Es sind alltägliche Zeichen darunter, die uns nicht weiter auffallen, weil ihre Bedeutung und damit ihr Gebrauch für uns selbstverständlich erscheinen. Aber es begegnen uns auch laufend Zeichen, die wir erst mühsam entziffern (dechiffrieren) müssen, ehe sie für uns Sinn machen. Die Tagung wurde organisiert von der Vizepräsidentin unserer Gesellschaft, Ursula Ganz-Blättler.
Programm:
Exposés der Referate:Menschen, Maschinen, MonsterGentechnologie macht Schlagzeilen. Neben gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren gibt besonders die Möglichkeit genmanipulierter Menschen zu Spekulationen und Befürchtungen Anlass. Die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion folgt dabei weitgehend Vorstellungen, die von der Literatur des 19. Jahrhunderts ausformuliert wurden. In den Romanen und Erzählungen von Romantik und Fin de siècle treiben, al Resultat (geheim-)wissenschaftlicher Versuche, Maschinenmenschen und Monster ihr Unwesen. Ihre Entstehung und Kontrolle wird dabei konstitutiv über die Handhabung kryptischer Formeln und Rituale repräsentiert. Symbole spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Der Symbolgebrauch erweist sich als kulturelle Praxis, deren Beherrschung letztlich über die legitimation menschlicher Autonomieansprüche entscheidet. Das Referat wird in vergleichender Analyse verschiedene Beispieltexte zum künstlichen Menschen vorstellen und über die Besprechung gelingenden und scheiternden Symbolgebrauchs die These erläutern, dass sich in der fiktionalen Existenz der Maschinenmenschen ein kulturkritischer Kommentar zum Zivilisationsprozess und zum Selbstbestimmungsstreben des Menschen formuliert. Der Phallus als Symbol des Mangels. Überlegungen zu einem zentralen Begriff in Jacques Lacans Subjekt-TheorieDer Begriff des "Phallus" hat bei Lacan zwei Bedeutungen, eine "wahre" und eine "falsche", "scheinhafte": Zum einen bezeichnet der Begriff des Phallus den Mangel, der das menschliche Subjeekt als Subjekt charakterisiert und auf dessen unabdingbare Gespaltenheit verweist. Zum anderen werden mit dem Begriff des Phallus aber auch all jene phantasmatischen Objekte bezeichnet, die es dem Subjekt ermöglichen, diesen Mangel zu verleugnen und sich selbst als vollständig zu imaginieren. Beide Aspekte gehören gewissermassen zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Weshalb aber sollten der Mangel und dessen Verleugnung mit einem Begriff symbolisiert werden, der traditionellerweise für Nachbildungen des männlichen Zeugungsorgans verwendet wird und für Potenz steht, also gerade für (männliche) Fülle und Macht, nicht aber für Mangel? Diese eigenartige Unangemessenheit des Phallus als Symbol des Mangels hat Lacan denn auch immer wieder enragierte Vorwürfe und vehemente Kritik eingetragen, insbesondere (aber nicht nur) von feministischer Seite. Die Apologeten Lacans verweisen demgenüber auf die geschlechtsneutrale Bedeutung des "phallischen Mangels": "Phallus" sei eben das Symbol für Geschlecht schlechthin und verweise damit stets auf das, was beiden Geschlechtern gegenüber dem je anderen notwendigerweise fehle. (Also: Auch dem Mann fehle der "Phallus".) Aber auch diese Erklärung vermag nicht recht zu überzeugen, denn wie auch immer man die Sache drehen und wenden will, der Begriff des Phallus enthält den Verweis auf das männliche Geschlecht in sich und scheint damit parteiisch zu bleiben und letztlich - wie gehabt - Vollständigkeit mit dem männlichen Geschlecht, Mangel mit dem weiblichen zu assoziieren. Die Frage, ob das Symbol im Falle des Lacanschen "Phallus" seine Funktion verfehlt und vielmehr Missverständnisse statt Klärungen gebracht hat, wird allerdings nicht so leicht zu beantworten sein. Denn es ist anzunehmen, dass der gewiefte Rhetoriker Lacan - der im übrigen nichts mehr fürchtete als allzu leicht verständlich zu sein - mit der Wahl dieses Symbols gerade dies beabsichtigte: nämlich, seine LeserInnen auf die Schiefe des Sinnes zu führen und sie dort ins Rutschen zu bringen. Müsste die Schiefe des Symbols in diesem Falle demnach als intendiert und - gemäss der oben anzitierten Debatte - das Symbol selbst als geglückt verstanden werden? Symbol oder Markenzeichen? Das Rätsel der "Nelkensignaturen" auf spätgotischen Altar- und WandmalereienEine ansehnliche Zahl von im eidgenössischen Raum und der Zeit um 1500 entstandenen sakralen Malereien verbindet ein eigenartiges Merkmal. Statt einer persönlichen Signatur tragen sie an auffälliger Stelle ein gemeinsames Zeichen - zwei Nelken in roter und weisser Farbe. Generationen von Kunsthistorikern haben an der Frage nach der Bedeutung dieser Blumen herumgerätselt. Sind sie das Zeichen einer bruderschaftlich organisierten, städteübergreifenden Malergemeinschaft? Warum fehlen dann alle Schriftquellen zu dieser Verbindung? War das Zeichen damals für jeden Betrachter oder nur für Eingeweihte verständlich? Hat sich seine Bedeutung gar im Laufe seiner rund dreissig Jahre dauernden Verwendung grundlegend verändert? Kann es "schiefe" Sinnbilder, Missgriffe im Symbolgebrauch geben? Überlegungen zum Problem der Kanonisierung und Dekomposition von Deutungsgewohnheiten aus der Sicht der SoziologieDie aktuelle dekonstruktive Praxis, die auch das Verborgene oder Verdrängte nutzbar machen will, steht jedem Versuch, einen symbolischen Modus und ihm etwa zugehörende Interpretationsformen zu umreissen, bedrohlich im Weg. Wenn in einem jeden Symbol - über die jeweils aktualisierte Bedeutung hinaus - ein unndliches Reservoir möglicher und gleichberechtigter Tiefenschichten lauert, die durch Phantasie und Willkür, Ignoranz und Spekulation, Spiel oder Resignation hervorzukehren sind, die aber nicht mehr (aber auch nicht weniger) als die "Tiefe" des interpretierenden Subjekts spiegeln, dann wird ein spezifisches Symbol auf seine Eigenart reduziert, einen Bedeutungsvorrat zu beherbergen, dessen Sinnerst im Augenblick der Deutung entsteht und mit ihr zugleich vergeht. Das Symbolische verliert jede, wie lose auch immer konzipierte Verknüpfungsmöglichkeit mit prädestiniertem Inhalt und jede, wie unbestimmt auch immer gehaltene Codierung mit tradiertem Sinn. Abgelöst und emanzipiert von jeglicher Konvention steht es dem Individuum anscheinend frei, seine jeweilige Intuition zu aktivieren und seine privaten, persönlichen Bedeutungen in die semantisch freigegebenen symbolischen Objekte zu projizieren. Mit dem Bewusstsein dieser Unverbindlichkeit, mit der - nicht selten zähneknirschenden - Akzeptanz virtuell unendlich vieler Beobachtungsstandpunkte (oder Perspektiven) erreicht die Moderne die vorerst letzte Stufe der Befreiung von grundsätzlich zu Unrecht reklamierter seherischer Kompetenz, Dogmatismus, exegetischem Imperialismus und autoritärer Tradition. Das Symbolische, die schöpferische Potenz jedes Individuums, emanzipiert, ohne ein Vermächtnis zu bestärken; es eröffnet ein Auflösungsverfahren, einen Mechanismus der Befreiung vom Korsett gesellschaftsbildender Konvention und konventionsbildender Gesellschaft. Allerdings geschieht der Rückzug der codierenden Gewalten nicht ohne neuerliche gesellschaftliche Inbesitznahme der freigegebenen Territorien: Die Mechanismen der kulturindustriellen Produktion füllen alte Schläuche mit neuem Wein, nutzen die durchaus noch gegenwärtigen tradierten Symbole und imprägnieren sie mit ihren eigenen werbewirksamen, konsumfördernden oder esoterischen Gedankensplittern. Damit verwandelt sich die Perspektive der Symboldeutung unter der Hand - vielleicht "notwendig" - in eine sozialwissenschaftliche. Auf diesem, prekäre Konsequenzen andeutenden Hintergrund, wird die Diskussion der Bedingungen, unter denen sich symboltheoretisch von einem angemessenen oder felgeschlagenen Gebrauch eines Symbols überhaupt sprechen lässt, beinahe unabwendbar. Das Referat soll darauf einige Antworten umreissen. "Vorsicht, nicht voll beweisbar!" Wege und Irrwege bei der Erforschung musikalischer ZahlensymbolikDie Verbindung von Zahl, Proportion, Ordnung und Semantik erfasst Musik und Musikanschauung spätestens seit dem frühen Mittelalter als faszinierendes und zugleich problembeladenes Phänomen. Abstrakte Zahlen und Zahlenfolgen, als Ordnungsfaktoren in einer Komposition erkannt, weisen auch über sich selbst, über einen im Werk vorhandenen Sinn hinaus. Ein ästhetisch begriffloses und ein begrifflich wissendes Verstehen fällt, vom Komponisten beabsichtigt, zusammen. Das symbolische Meinen ist gegenüber dem ästhetischen Bedeuten (Hans Heinrich Eggebrecht) freilich oft mehrdeutig und dient keinem Beweis. Die Forschungen zur Zahlensymbolik in der Musik suchen immer wieder die Grenzen zur Kabbalistik und Allegorie zu überschreiten und führen dadurch bei ihrer Erkundung und Interpretation zu einer wissenschaftlich unzulässigen Verselbständigung. An musikalischen Beispielen, insbesondere von Johann Sebastian Bach, werden anhand biblischer Zahlen, des Zahlenalphabets, der sogenannten Augenmusik und musikalischer Zahlen-Abbildungen konkrete Möglichkeiten barocker Zahlensymbolik vorgestellt, aber auch spekulative Grenzüberschreitungen des Forschens mittels Psalmzahlen, einzelner Psalmverse, Additions- und Quersummenverfahren. Ein einfacher Händedruck ist immer schiefUnter welchen Umständen kommt etwas schief heraus? Wenn ich mit der Äusserung meiner Absicht, mit meiner Regung und erst recht mit meinem Vorstoss keine angemessene Antwort finde. Nicht nur ein Wort, das ohne Antwort bleibt, steht schief in der Landschaft. Erst recht kommt ein Händedruck, bei dem ich keinen Gegendruck verspüre, der also in prekärer Art und Weise einfach bleibt, schief heraus. Ausgangspunkt der Überlegung ist der Begriff des Miteinanderseins, wie ihn Ludwig Binswanger in "Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins" entwickelt hat. Soweit sich das Bild unserer körperlichen Daseins an der Res extensa orientiert, gilt: "ôte-toi que je m'y mette"; denn hart im Raume stossen sich nicht nur die Sachen. Anstössig ist bereits ein Zunahetreten. Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, z.B. in einem Lift, hält jede und jeder an sich, um einander ja nicht zu nahe zu kommen. Andererseits ist bekanntlich nicht nur der Säugling auf Körperkontakt angewiesen. Ein Begrüssungs- und Abschiedskuss auf die Wangen ist auch in unseren spröderen Landen erwünschter geworden. Erst recht wird in der Umarmung der eine der andern, was die andere dem einen, indem ich mich umfangend umfangen sein lasse. Solche Symmetrie entwickelt Binswanger im Blick auf das liebende Miteinanderseins. Das entbehrt nicht des Überschwangs. Die alltgäliche Abschlagszahlung der Umarmung, Zeichen wechselseitiger Anerkennung, ist der Handschlag. Wehe, wenn er nicht erwidert wird und meine Hand in der Hand des andern abgleitet. Schiefer kann nicht leicht etwas herauskommen. Mentale Modelle und ihre Bedeutung: kognitionspsychologische Grundlagen des (Miss)verstehensBetrachtet man die Prozesse des Verstehens bzw. Missverstehens von sprachlichen Äusserungen auf einer grundlegenden kognitionspsychologischen Ebene, so lassen sich diese Prozesse als Passungsverhältnisse von mentalen Modellen der InteraktionspartnerInnen beschreiben. Passen die mentalen Modelle nicht zusammen, entsteht das, was subjektiv als "Missverständnis" wahrgenommen wird. Die Kommunikationsprobleme bei sogenannten Missverständnissen können auf drei Ebenen lokalisiert werden: 1. auf der Ebene der mentalen Modelle selbst, 2. auf der Ebene der diesen Modellen zugrundeliegenden Analogieschlüsse, die häufig in Metaphern ausgedrückt werden, und 3. auf der Ebene der den mentalen Modellen zugeordneten Bedeutungen. Wissen über das Selbst und die Umwelt muss mental repräsentiert und organisiert werden, um als Handlungsgrundlage nutzbar zu sein. Diese Art der organisierten Repräsentation von Wissen wird in der Psychologie im Allgemeinen als mentales Modell bezeichnet Mentale Modelle entstehen entweder aufgrund von Ähnlichkeitsbeziehungen, die zwischen verschiedenen Wissensbeständen hergestellt werden oder aufgrund von Analogie-schlüssen, bei denen die Merkmale eines Erfahrungsbereichs auf einen neuen übertragen werden. Eine der häufigsten Ausdrucksformen von Analogieschlüssen sind Metaphern. Metaphern ermöglichen es uns, Neues zu lernen und insbesondere auch abstrakte Gegenstandsbereiche erfahrbar zu machen. Wie verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, sind Metaphern relativ stabile Wissensbestände, die sich zumindest teilweise auch als kulturübergreifende Wissensbestände beschreiben lassen. Verstehen ist dann möglich, wenn die die mentalen Modelle von zwei oder mehr InteraktionspartnerInnen übereinstimmen oder einander zumindest ähnlich sind und ihnen dieselbe Bedeutung zugemessen wird. Das gilt auch für die Schaffung von Neologismen oder neuen Analogien wie zum Beispiel Metaphern: wir verstehen neue Sprachschöpfungen dann, wenn sie einen klaren Bezug zu bestehenden mentalen Modellen haben oder wenn bereits bekannnte Analogien lediglich in einem neuen Bedeutungskontext verwendet werden. In beiden Fällen ist die Anknüpfung an bestehende Wissensstrukturen gegeben und wird dadurch verhindert, dass die Äusserung missverstanden oder gar als "non-sense" abgetan wird. Während die mentalen Modelle selbst nicht sehr zahlreich, relativ stabil und zu einem beträchlichen Teil kulturübergreifend sind, ist die Bedeutung dieser Modelle kulturell bestimmt und Gegenstand von sozialen Prozessen des ständigen Aushandelns von Bedeutungen. So mag die menschliche Fähigkeit zum aufrechten Gang kulturübergreifend die Grundlage für eines der wichtigsten mentalen Modelle sein, die sich zum Beipiel in einem Metaphernmodell "Erfolg ist ein Weg" ausdrückt. Gleichzeitig ist die Bedeutung des "Fortschritts" als ein Anwendungsbeispiel dieses Metaphernmodells abhängig von historischen und sozialen Entwicklungsprozessen innerhalb eines Kulturraums wie auch in der Auseinandersetzung mit fremden (Sprach)kulturen. Sehr deutlich werden diese Aushandlungsprozesse bei Untersuchungen zur politischen Sprache, die sich auch als Kampf um Bedeutungen auffassen lässt. Scheinbar Schiefes bei Meister Eckhart -Missgeschick oder geschickte Fügung?Meister Eckhart (ca. 1260 - 1328) verwendet zwar Sinnbilder, um auf das Unsagbare, Göttliche hinzuweisen, aber er lässt diese Bilder jeweils nicht stehen. Stets betont er, das Eigentliche liege jenseits aller Bilder. Es gibt nun bei Meister Eckhart Bildreden und Text-Deutungen, die nicht unbedingt auf Anhieb überzeugen ("we question how seriously the preacher wishes us to take his translations and etymologies", Frank Tobin, Meister Eckhart: scholasticism, mysticism, and poetic style. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 16 (1981) S.117). Man ist versucht, Eckhart helfend unter die Arme zu greifen: Er hätte das Bild doch nur ein bisschen anders formulieren müssen, und alles wäre wunderbar aufgegangen! Vielleicht wollte er aber manchmal gar nicht, dass "alles aufgeht"? Vielleicht wollte er, dass ein Rätsel, ein Verborgenes, "Mystisches" bleibt? Ein diffiziles Unterfangen: Ob das schiefe Bild rätselhaft oder einfach nur ungeschickt wirkt, hängt stark von den Rezipienten ab - von ihrer inneren Bereitschaft, die Aussage auch als rätselhafte einfach anzunehmen. Daher ist die Vorbereitung, die Einstimmung der Rezipienten, also der vorangegangene Text, entscheidend für das Gelingen eines solchen "mystischen Sprechaktes". Das Heilige und das Lächerliche liegen nahe beieinander. Solche "schiefen Bildreden" und deren Einbettung in den Gesamttext möchte ich jeweils aus zwei Perspektiven anschauen: Inwiefern könnte man dieses Bild als missglückt ansehen? Inwiefern als gelungen? Das Antlitz des Anderen. Emmanuel Lévinas und die Deutungskraft von SymbolenDie Frage danach, was ein Symbol ist, scheint in sich schon einen symbolhaften Charakter zu haben, vor allem dann, wenn dabei das Sein in seiner Verbalität belassen wird. Deutet ein Symbol nur an, verweist es auf etwas, fügt es gar zusammen oder behaftet es mit Sein oder gar Sinn? Je tiefer, rätselhafter und unerschöpflicher ein Symbol zu sein scheint, umso mehr lockt ein hermeneutischer Streifzug durch die ausgedehnten Zonen des Unbekannten und verspricht mittels Assoziation, Assimilation, Protention, Retention und anderen Strategien des menschlichen Bewusstseins reiche Beute. Gelangt nun aber das Geheimnis eines Symbols auf diese Weise zum Ausdruck, mutiert es dann nicht durch Anschauung und Begriff zur billigen Variation, zum Triumph des sich immer wieder identifizierenden Selben, zum Spielzeug-Anderen? Der Verdacht, dass dieser Vorgang, aber auch schon jegliche Rede über ein Symbol, einen Verrat am Bezeichneten versucht, lässt nach Alternativen im Umgang mit Symbolen suchen. Ist etwa ein Unterbruch des Denkens, ein Abbruch jeglicher Rede, ein actungsvolles Zurückschrecken vor der glatten Neutralität eines möglichen Numinösen angezeigt? Besiegelt gar ein Schweigen am Ende der poetischen Kraft der Sprache und die Niederlage der Vernunft im sinnvollen Umgang mit dem Unaussprechbaren? Jenseits einer solchen Niederlage, aber auch jenseits der totalisierenden Gewalt des vom Ich ausgehenden Denkens besticht die Philosophie Emmanuel Lévinas' durch einen absolut neuen Ansatz. Dass der Wendepunkt seines Denkens, das Antlitz, ein Symbol zu sein scheint, lässt aufhorchen. Wie es Lévinas gelungen ist, das Antlitz eines Anderen in einer beinahe vorphilosophischen Ursprünglichkeit ungemein bedeutungsvoll zur Sprache zu bringen, und inwiefern das Antlitz alles Sagen - auch die Philosophie! - generativ ver-ändert; dies soll mein Referat zeigen. Die Binde der Justitia. Zur Geschichte eines MissverständnissesDie Justitia - also die Gerechtigkeit als das Symbol der staatlichen Gerichtsbarkeit ("Justiz") - trägt eine Binde um die Augen. Soll sie damit al blind dargestellt werden, vielleicht sogar im Sinne der Justizkritik an ungerechten Rihtern? Soll dadurch gar ein Vergleich mit der blinden Narrheit gezogen werden? Offensichtlich nicht, dient doch dieses Symbol der Legitimierung der staatlichen Rechtsprechung. Jedenfalls muss dieses Symbol verwundern. Denn eigentlich würde man sich eine scharf blickende, genau forschende, hellwache Justitia erwarten, die das Rechtsproblem sorgfältig analysiert und in exakter Begründung löst. Nur mit offenen Augen kann sie doch auch ihre anderen Attribute - Schwert, Waage, Gesetzbuch - einsetzen. In der Tat findet sich im Mittelalter und noch in der frühen Neuzeit dieses Attribut der Binde in den Darstellungen der Gerechtigkeit nicht; ganz im Gegenteil wurde ihr häufig der sogar im Schlafen wachsame Kranich an die Seite gestellt. Der Vortrag möchte die Geschichte der "Erfindung" dieses Symbols nachzeichnen und das darin liegende Missverständnis aufdecken. Unterwegs im alltäglichen Zeichendschungel. Beispielanalysen misslungener BeschilderungDas Bedürfnis nach übersichtlichen Räumen ist so grundlegend, dass für die meisten Menschen die offene Savanne mit ihren weithin sichtbaren Landmarken der ästhetisch bevorzugte Landschaftstyp ist. Moderne Ballungsräume hingegen sind architektonisch monoton und bieten daher wenig intrinsische Orientierungshinweise für die alltägliche Fortbewegung in ihnen. Zur Behebung dieses Mangels wurden zwar zahlreiche Schildertypen geschaffen, die über Orte, Richtungen und Entfernungen informieren. Eine Analyse vorhandener Realisierungen zeigt jedoch, dass ihre Gestaltung oft elementaren Bedürfnissen der Zeichenbenutzer widerspricht. Anhand konkreter Beispiele aus dem Berliner Raum wird zunächst gezeigt, dass manche Verkehrszeichen eher zusätzliche Belastung als Hilfe sind. In vielen Fällen könnten semiotische und kognitionspsychologische Kenntnisse die Zeichenhersteller vor den zugrundeliegenden Fehlentscheidungen bewahren. Ein zweiter Themenkreis ist die unbefriedigende Zeichengestaltung in Innenräumen, wo es vor allem unbrauchbare Hinweisschilder an Geräten sind, die ihre Benutzer Zeit und Nerven kosten. Das Pariser Zeichenmassaker an den Armagnaken im Juli 1418Im Pariser Bürgerkrieg zwischen Armagnaken und Burgundern, der von 1410 bis 1418 dauerte, verwendeten die verfeindeten Parteien zahlreiche Ab-, Erkennungs- oder Geheimzeichen, so etwa das Andreaskreuz, das weisse armagnakische Band, weisse Kappen und uniformierende Livreen. Diese Parteizeichen haben unter anderem Eingang in eine der bekanntesten Bilderhandschriften dieser Zeit gefunden, nämlich in die Très Riches Heures du duc de Berry. Die Abzeichen dienten nicht bloss der Uniformierung, sondern sie wurden auch mit einer spezifischen Handlungskompetenz verbunden und als Ausdruck offizieller Autoritätsausübung verstanden - so standen etwa die "chaperons blancs" für das Vorantreiben einer "réformation du royaume" im Namen des Königs, zu der sich aufständische Gruppierungen selber ermächtigt hatten. Diese Bedeutungsaufladung der Parteizeichen führte mit der Zuspitzung des Bürgerkriegs und infolge ständiger Machtwechsel zu einer regelrechten "Zeichenparanoia" in Paris nach 1415: Es wurden zahlreiche Geheimzeichen der jeweils gegnerischen Partei imaginiert, die angeblich über Tod und Leben der Stadtbürger entscheiden sollten. Diese ungeheure Anspannung entlud sich 1418, nach der burgundischen Eroberung der Stadt, in einem blutigen Massaker an den Armagnaken, deren Leichen das eigene Parteizeichen - die schräg getragene "écharpe" - eingeschnitten wurde. Zunge raus! Die Desavouierung des GegenübersFotografieren ist ein Gemeinplatz; Alle tun es. Medienspezifische Verweigerungsstrategien angesichts einer Kamera sind allgemeinverständlich: Zunge raus, V-Zeichen hinter dem Kopf, Stinkefinger und Gesichtsabdeckung durch Hände sind die vier häufigsten populärkulturellen Desavouierungen, um ein gutes Bild zu verhindern. Anhand von Beispielen aus der populären Bildproduktion sollen mit Seitenblick auf andere, ähnliche Verunglimpfungsstrategien Fragen verortert und erörtert werden. - Was hat es damit auf sich? - Was passiert vor und nach der Momentaufnahme? - Wie weit lässt sich ein kommunikativer Kontrakt zwischen Abbildendem und Abgebildetem feststellen? - Ist die subjektive Verschleierung der Identität eine Antwort auf die objektive Bilderflut? - Inwiefern gehört dieses gestische Vokabular zum theatralischen Alltag? - Ist eine Genese dieser Symbole innerhalb der Fotogeschichte eruierbar? - Ist die V-Geste eine Verschmelzung eines semiotischen Bild- mit einem semantischen Sprachzeichen? (Hörneraufsetzen vs. Victory-Abkürzung) Wie Hofrat von Müller das Geheime Ziffernkabinett überlistete. Zur Kunst der Verschlüsselung in erschwerter KommunikationIn der Tat kann man nicht zu dem Schlsus kommen, in einem Text sei keine verschlüsselte Botschaft enthalten - man kann stets nur sagen, man habe sie noch nicht gefunden. (Jan Philipp Reemtsma: Im Keller, 1998) Johannes von Müller, der Geschichtsschreiber der Schweiz und der "Europäischen Menschheit", von 1793 bis 1804 in dienstlicher Stellung am Wiener Hof und in der Hofbibliothek, entwickelte eine hohe Kunst der Metakommunikation. Im Frühwerk der 1770er Jahre diente ihm die "Geschichten"-Erzählung als Vehikel der Gegenwartskritik. In der Zeit der Koalitionskriege unterlief er das Publikationsverbot sowie die Briefzensur mit folgenden Mitteln. Zweckentfremdung der Rezention, Geheimschrift, vorgetäuschtes Zitat, Allegorie, "Bittere Ironie". Seine Verschlüsselungskunst ermöglichte es ihm, unter höchstem Zensurdruck die Verständigung mit Adressaten herzustellen, die, wie er annehmen musste, nicht auf seine Verschlüsselung vorbereitet waren oder die Beziehung zu ihm abgebrochen hatten. Dies wird von beiden Referenten an Beispielen gezeigt. Der Pfeil oder: Missverständnisse beim Zeigen und Navigieren im InternetDer Pfeil zeigt einmal Bewegung, Richtung, Zeit; dann wieder ist er Wegweiser, Wink oder "bloss" Träger von Information. Die erste Frage hinsichtlich dieses alten und vielleicht universellen Symbols lautet denn auch: Was symbolisiert der Pfeil? Beziehungsweise: Was bedeutet "Pfeil"? Im Internet haben sich verschiedene Kommunikationsformen herausgebildet, in welchen der Pfeil Verwendung findet. Besonders wichtig aber ist der Pfeil beim Navigieren oder Surfen im Word Wide Web mittels einer dafür bereitgestellten Software. Die Verhältnisse, in welche der Pfeil hier Eingang findet, sind äusserst komplex: Wir kommunizieren im WWW auf verschiedenen Ebenen, in verschiedene Richtungen, in einer hierarchischen Struktur, die nicht oder nicht gleich durchschaubar ist. Daher sind Missverständnisse, einerseits Fehlcodierungen der Codierer oder dann auch "Fehlnavigationen" der Surfer, an der Tagesordnung. Gibt es überhaupt Standardregeln für die "richtige" Verwendung des Pfeils? Wo liegen die spezifischen Probleme? Inwiefern hat der Pfeil damit zu tun? Besondere Beachtung verlangt die Umsetzung von bislang linear verstandenem Text in eine räumlich konstruierte Ordnung. So heisst die Frage nach der Bedeutung des Pfeils und dem Missverstehen im WWW: Wohin geht es mit dem Pfeil? Oder präziser, vielleicht computergerechter: Wo "lande" ich, wenn ich auf den Pfeil klicke? Wie kann es schief gehen? Strukturgenetische Untersuchungen bei Symbolgenese und -gebrauch |