Tiere in Legenden; Heilige und Tiere

Heilige und Tiere

 

Tiere in Heiligenlegenden sind keine Symbole oder gar Allegorien, auch keine physikotheologisch untersuchenswerte Lebewesen, sondern Mit-Geschöpfe, zu denen die Heiligen eine besondere Beziehung haben.

Androclus — GallusMeinradFranziskusMaria

 

Peter Lauremberg (1585–1639) erzählt in seiner bunten Sammlung »Acerra Philologica« die Geschichte von Androclus und dem Löwen:

36. Grosse Treue zwischen einem Löwen und Androclo.

Zu Rom ist vorzeiten ein Gebrauch gewesen / daß man in einem Circo hat beschlossen etliche Menschen / die den Tod verwircket: Und zu denselben als zu einen Spectacul und Schauspiel hinein gelassen grausame Thiere / als Löwen / Bären / Uhr-Ochsen /Hunde / und dergleichen / mit welchen die Menschen haben streiten und kämpffen müssen: Nun hat es sich zugetragen / daß einer mit Nahmen Androclus, zu den Thieren hinein gebracht worden. Denselben hat ein schrecklicher grosser Löwe angelauffen: Und wie er nahe zu ihm kommen / hat er Androclum scharff angesehen / ist stehen blieben / mit seinem Schwantze ihme geliebkoset / und mit der Zungen ihn gelecket. Androclus, der schon aus Furcht halb todt war / hat ein Hertze wieder gefasset, den Löwen betrachtet /und ihn endlich auch erkannt. Haben hierauf angefangen / der Androclus und der Löwe / sich gegen einander frölich und frolockend zu erzeigen. Hierüber hat sich sowol der Cæsar, als das andere Volck verwundert. Wird derhalben Androclus für den Käyser gebracht / und gefraget / wie dieses zugienge? Da hat Androclus angefangen zu erzehlen / wie er vor etlichen Jahren einen Todtschlag begangen / und in eine Wildniß flüchtig worden / sich in eine Höle verborgen / den Todt erwartende: Da wäre zu ihm hinein getreten dieser Löwe / welcher ihm seinen rechten Forder-Fuß in den Schooß geleget / sehr geseufftzet und gegruntzet. Androclus habe den Fuß besehen / der voll Bluts gewesen / und vermercket / was des Löwens Begehren. Habe ihm derhalben einen grossen Splitter aus dem Fusse gezogen / sey auch viel Jahr daselbst geblieben / und habe ihm der Löwe alle Tage Speise von andern Thieren zugebracht / die habe er an der Sonnen gekocht / und dergestalt sein Leben aufgehalten. Endlich aber sey er in Abwesen des Löwens wieder nach Rom kommen / daselbst ergriffen / und im Spectacul dem Löwen vorgestellet worden; Da habe sich zugetragen / was sie gesehen: Nemlich / daß der Löwe ihn als seinen alten Medicum gekennet / und ihm deßhalben nicht habe wollen Schaden zufügen. Hierauf hat der Käyser und das Volck / beydes den Androclum und den Löwen frey und loß gegeben /mit Blumen auf sie geworffen / zum Zeichen der Freude / und geschrien: Hic est Leo hospes hominis: Hic est homo Medicus Leonis. Hernach hat der Löwe den Androclum nimmer verlassen wollen / sondern ist als ein Hündelein bey ihm hergelauffen / die Zeit seines Lebens.

Siehe / also treu seynd die unvernünfftigen Thiere dem Menschen / da offt ein Mensch des andern Teuffel ist. Lerne auch hieraus / daß viel Thiere danckbarer seyn für erzeigte Gutthaten / als mancher Mensch.


Peter Lauremberg,  Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717 [Erstausgabe 1637], I, 36

Quelle ist Aulus Gellius (2. Jh. u.Z.), Noctes Atticae 5,14: "In circo maximo" inquit [Apion] "venationis amplissimae pugna populo dabatur. Eius rei, Romae cum forte essem, spectator" inquit "fui. Multae ibi saevientes ferae, magnitudines bestiarum excellentes, omniumque invisitata aut forma erat aut ferocia. Sed praeter alia omnia leonum" inquit "immanitas admirationi fuit praeterque omnis ceteros unus. Is unus leo corporis impetu et vastitudine terrificoque fremitu et sonoro, toris comisque cervicum fluctuantibus animos oculosque omnium in sese converterat. Introductus erat inter compluris ceteros ad pugnam bestiarum datus servus viri consularis ; ei servo Androclus nomen fuit. Hunc ille leo ubi vidit procul, repente" inquit "quasi admirans stetit ac deinde sensim atque placide tamquam noscitabundus ad hominem accedit. Tum caudam more atque ritu adulantium canum clementer et blande movet hominisque se corpori adiungit cruraque eius et manus prope iam exanimati metu lingua leniter demulcet. Homo Androclus inter illa tam atrocis ferae blandimenta amissum animum recuperat, paulatim oculos ad contuendum leonem refert. Tum quasi mutua recognitione facta laetos" inquit "et gratulabundos videres hominem et leonem." 

Die Geschichte ist aus überliefert bei Aelian (2. Jh. u.Z.), »Peri zoon idiotētos«, VII,48. Der griechische Text wurde erst 1556 von (niemand geringerem als) Konrad Gessner ins Lateinische übersetzt. Dass auch die Tiere Gedächtnis haben und dass auch dieses eine eigentümliche Gabe sei ohne die Gedächtniskunst [Mnemonik], deren Erfindung einige Gaukler sich rühmen, dies bezeugt auch folgendes: Ein Sklave mit Namen Androkles entlief seinem Herrn. [usw] Erfreut über die Heilung zahlte ihm der Löwe den Lohn, indem er ihn als lieben Gastfreund behandelte und seine Jagdbeute mit ihm teilte. [usw.] Er wurde verurteilt, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden. Indessen war auch jener libysche Löwe gefangen worden und auf dem Theater losgelassen. […] Der Mensch [A.] erkannte das Tier nicht; dieses aber erkannte ihn auf der Stelle, schmeichelte ihm und warf sich ihm zu Füßen. [usw.] Das Gerücht kam unter die Menge, und da das Volk den Vorgang deutlich erfuhr, forderte es die Freilassung des Mannes und des Löwen mit lautem Geschrei. So ist also auch das Gedächtnis den Tieren eigen. (nach: Thiergeschichten, dt. Übersetzung von Friedrich Jacobs, Stuttgart: Metzler 1839/41)

Auch die »Gesta Romanorum« (Ende 13. / Anfang 14.Jh.) kennen die Geschichte (Nr. 104); hier mit einer (überflüssigen) allegorisierenden Moralisation versehen: Carissimi, miles iste, qui venatus est, est homo mundanus […]:
Liebste Freunde, dieser Ritter, der auf die Jagd ging, ist der Mensch der Welt, der sich täglich darum bemüht, wie er die Güter der Welt gewinnen kann. Der hinkende Löwe ist das ganze Menschengeschlecht, das auf Grund der Sünde Adams hinkte, dem der Dorn, d.h. die Ursünde, mittels der Taufe ausgezogen und das mit der Salbe der Tugenden geheilt worden war.
Danach erhebt sich der Ritter gegen den König, den allmächtigen Gott, sooft er nach menschlicher Art sündigt und seine Tugenden verrät, die er durch die Taufe erhielt. Aber der Löwe, d.i. das Menschengeschlecht, gerät in Gefangenschaft, indem es durch die göttlichen Gebote verpflichtet und in die Grube der Buße gestoßen wird. Wenn aber der Ritter, d.h. der Sünder, in diese Grube geworfen wird, dann wird sich ihm das ganze Übel sogar zum Guten wenden können, weil er sich das Heil der Seele verdienen kann. Dazu möge der Herr uns führen usw.


Gesta romanorum, Lat./Dt. Auswahl, Hrsg. u. Übers.: Nickel, Rainer, Stuttgart 1991 (Reclams Universalbibliothek 8717) dankbarereweise abgetippt bei http://www.fabelnundanderes.at/gesta_romanorum.htm <27.12.2013>
Hermann Oesterley bringt in seiner Ausgabe von 1872 (Seite 728) viele weitere Parallelen.

 

Joh. Ludov. Gottfridi Historische Chronica oder Beschreibung der fürnehmsten Geschichten, so sich von Anfang der Welt biss auff das Jahr Christi 1619 zugetragen, nach Ausstheilung der vier Monarchien und beygefügter Jahr-Rechnung, auffs fleissigste in Ordnung gebracht, vermehret, und in acht Theil abgetheilet: mit viel schönen Contrafäcturen und geschichtmässigen Kupffer-Stücken zur Lust und Anweisung der Historien geziehret, Matthaeus Merian, MDCCX. S. 322.
> https://doi.org/10.3931/e-rara-47291


Walahfrid Strabo († 849) schreibt in der Vita des heiligen Gallus (Kap. 11):

 

Gallus und ein Gefährte [Hiltibold] kamen zur Steinach, einem kleinen Fluss, wo Gallus sich niederlassen will. Sie fangen dort Fische, braten sie am Feuer und essen sie. Nachts – Gallus betet, während Hiltibold schläft  – kommt ein Bär vom Berg herab und frisst die Essensreste auf. Gallus sagt zu dem wilden Tier: »Bestie, ich befehle dir im Namen des Herrn: Hole ein Stück Holz und lege es ins Feuer.« Der Bär gehorcht. Gallus gibt ihm daraufhin aus seiner Tasche einen Laib Brot und heisst ihn, das Tal zu verlassen und auf den umliegenden Hügeln zu leben, ohne Vieh und Menschen zu schaden:

Interea descendens ursus de monte micas et fragmenta quae convivantibus deciderant, caute legebat. Hoc factum ut vidit homo Dei, dixit ad feram: »Praecipio tibi, bestia, in nomine Domini, tolle lignum et mitte in ignem«. Ad cuius praeceptum bellua conversa, validissimum lignum attulit, et igni iniecit. At vir benignissimus ad peram accedens, de parvo cellario panem integrum famulanti porrexit, et accipienti ita praecepit: »In nomine Domini mei Iesu Christi ab hac valle discede, et hoc pacto montes et colles circumpositos habeto communes, ut nullum hic hominem, nil de pecoribus laedas.«

Elfenbeintafel des Tuotilo; Rückendeckel des Codex Sangallensis 53 (um 895). http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0053/bindingC

 

Cod. Sangallensis 357 = Missale des Abts Diethelm Blarer (1530–1564)

Der heilige Gallus mit dem Bären auf der Wanderschaft > http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0357/279

Gebet (Bär vor dem heiligen, Engel hinter ihm), Fischfang in der Steinach, Vertreibung der Dämonen, im Hintergrund Gallus auf der Wanderschaft > http://www.e-codices.unifr.ch/en/csg/0357/321

Moderne dt. Übersetzung < http://www.sagen.at/texte/sagen/schweiz/st_gallen/gallus.htm

Vita Sancti Galli / Das Leben des Heiligen Gallus (lateinisch/deutsch), Übersetzung von Franziska Schnoor, Anmerkungen und Nachwort von Ernst Tremp, Stuttgart: Reclam 2012 (RUB 18934).

Christoph Eggenberger, Tierfriede, Tierkampf: Gallus und der Bär, in: Tiersymbolik, (Schriften zur Symbolforschung, Band 7), Bern: Lang 1991, S.91ff.

 

Ein ähnliches Bären-Wunder wird erzählt vom heiligen Korbinian > https://de.wikipedia.org/wiki/Korbinian

 


Der heilige Meinrad und die Raben

Die älteste Meinrads-Legende lateinisch mit dt. Übersetzung in: Sankt Meginrat. Festschrift zur zwölften Zentenarfeier seiner Geburt, hg. von Odo Lang, München: Bayerische Benediktinerakademie 2000 (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige).

Moderne Fassung der Legende von Meinrad Lienert (1865–1933), aus »Schweizer Sagen und Heldengeschichten«, Stuttgart 1915 > http://www.sagen.at/texte/sagen/schweiz/allgemein/raben_meinrad.html

 

Die Mörder erschlagen den hl. Meinrad, darüber die Raben, welche sie dann später identifizieren werden. – Bild aus Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten / Landen vnd Völckeren Chronik wirdiger thaaten beschreybung […] durch Johann Stumpffen beschriben […] Zürich bey Christoffel Froschouer M.D.XLVII. 

Von Sant Meinrat ein hübsch lieplich lesen, was ellend und armut er erlitten hat. vsz der latinisch hystorien gezogen. Getruckt zuo Basel durch Michael Furter [ca. 1502] > http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0003/bsb00038684/images/

 



Franziskus von Assisi

 

Nur als Stellvertreter sei die Geschichte mit dem Wolf zitiert:

Al tempo che santo Francesco dimorava nella città di Agobio, apparì un lupo grandissimo, terribile e feroce, in tanto che tutti i cittadini stavano in gran paura e tutti andavano armati come a combattere, e con tutto ciò che non si poteano difendere da lui. Per la qual cosa santo Francesco, avendo compassione agli uomini della città, prende il cammino in verso il luogo dov’era il lupo e appressandosi a lui gli fa il segno della croce e dicendogli così: »Vieni qua, frate lupo, io ti comando dalla parte di Cristo che tu non faccia male né a me né a persona alcuna. Frate lupo, tu hai fatto grandissimi malifici, gustando e uccidendo  creature di Dio senza sua licenza come ladro e omicida pessimo. E ogni gente grida e mormora di te, ma io voglio, frate lupo, far pace tra te e costoro«.

»I Fioretti«, Cap. 21

> http://www.fratellolupogubbio.it/italiano/sanfrancesco2.html

> http://www.vatican.va/spirit/documents/spirit_20001124_fioretti_it.html

Deutsche Übersetzung in: Franz von Assisi, Legenden und Laude, hg. Otto Karrer, Zürich: Manesse-Verlag 1945; S. 451ff.


Maria und der Papagei

Barthel Beham / Sebald Beham stellen Maria 1549 so dar:

> https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1891-1015-2

Hans Baldung Grien malt 1553 eine das Kind stillende Maria, die von Papageien begleitet wird:

> https://objektkatalog.gnm.de/wisski/navigate/8843/view

Die Bilder sind entstanden in der Epoche des Manierismus mit seiner Lust am Skurrilen. Vielleicht ist Maria deshalb nicht eines der vielen klassischen Attribute beigegeben.

Der Vogel lässt sich auf Maria beziehen mit dem mariologischen Gedicht »Die Goldene Schmiede« von Konrad von Würzburg (Verse 1'850 ff.)

swie gar der wilde siticus [Papagei]
grüen als ein gras erliuhte,
er wirt doch selten fiuhte
[feucht]
von regen noch von touwe:
dem tet geliche, frouwe,
din magetlich gemüete
daz von unkiuscher flüete
nie wart genetzet …

(Anselm Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters, … 1886–1894 kennt keine weiteren einschlägigen Stellen.)

https://www.animaliter.uni-mainz.de/papagei/ ist erst im Aufbau {Juli 23}


Literaturhinweise:

Urs Herzog, Vorschein der "neuen Erde". Der Heilige und die Tiere in der ma. Legende, in , in: Verborum Amor. Festschrift St. Sonderegger, hg. Harald Burger u.a., Berlin 1992, S. 249–262.

August Nitschke, Tiere und Heilige, in: Rudolf Vierhaus; Manfred Botzenhart (Hgg.), Dauer und Wandel der Geschichte – Aspekte europäischer Vergangenheit. Festgabe für Kurt von Raumer zum 15. Dezember 1965 (Neue Münstersche Beiträge zur Geschichtsforschung 9), Münster 1966, S. 62ff.

Achim Masser, Bibel- und Legendenepik des deutschen Mittelalters, (Grundlagen der Germanistik, Bd. 19), Berlin: E.Schmidt-Verlag 1976. 

 


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