Abraxas

 

Dies ist ein Kapitel aus dem Buch

»Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen«
Schriften zur Symbolforschung, hg. von Paul Michel, Band 16, 472 Seiten mit 291 schwarz-weißen Abbildungen
PANO Verlag, Zürich 2013
ISBN 978-3-290-22021-1

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(Bild aus Macarius 1657)

Das Wort Abrasax oder Abraxas findet sich oft auf spätantiken Gemmen, die Kompositwesen mit Hahnenköpfen, menschlichen Armen und Schlangenfüßen zeigen, welche meist in der rechten Hand eine Peitsche und in der linken einen Schild halten. (Manchmal sind diese Gegenstände entstellt.) Gefunden wurden sie vor allem in Ägypten, Kleinasein und auch in Spanien. Solche Siegelsteine galten als Schaden abweisend und Schutz gewährend.

Als geistiger Vater der Abraxasgemmen wurde Basilides ausgemacht, der um 130–140 in Ägypten lehrte, dessen Lehre wir aber nur aus Polemiken der Kirchenväter gegen ihn kennen. Basilides versuchte offenbar, neuplatonische und gnostische Lehrmeinungen mit der christlichen Lehre zu vereinigen. Diese Idee, nimmt man an, habe er in den Abraxasgemmen visualisieren wollen.

 Bild aus Meyers Lexikon....

Die Schlange galt als klug (vgl. Matthäus 10,16); viele antike Gottheiten werden von Schlangen begleitet, Schlangen wurden in Tempeln verehrt. – Schlangenfüßig – und das passt genau zur Abraxas-Darstellung – sind die Giganten der griechischen Mythologie. Wie diese erdgeborenen, scheuseligen Rächer der Titanen (vgl. Ovid, Fasti V, Verse 35ff.) aber zum verehrungswürdigen Abraxas passen?

Der Hahn bedeutet in der heidnischen wie christlichen Welt die Wachsamkeit. Der Hahnenkopf lässt sich vielleicht auch aus einem hebräischen Wortspiel herleiten: g-b-r bedeutet als Verb gâbar ›stark sein‹; gibor bedeutet ›die Macht‹ Gottes im Achtzehn-Bitten-Gebet (Schmone esre): ata gibor le-olam adonai (Du bist mächtig in Ewigkeit, Herr) – das Substantiv gäbär bedeutet ›der Starke‹, aber auch ›der Hahn‹ …

In Genesis 15,1 bezeichnet sich Gott als Schild Abrahams.

Die Peitsche ist bei göttlichen wie weltlichen Herrschern ein Symbol der Herrschaft, natürlich auch der Macht zu züchtigen. Das nekhekh (Wedel, Geissel, Peitsche) ist ein Emblem des Osiris und gehört zu den charakteristischen Insignien des Pharaos.

 

Soweit das Bild, nun zum Wort.  Über dessen Herkunft ist schon viel gerätselt worden.

Man hat versucht, das Wort als Akronym zu deuten: A für hebräisch Ab = Vater; B für hebräisch Ben = Sohn, R für hebräisch Ruach = Geist; weiter dann griechisch (das hebräische kennt kein X!): "aller Menschen Heil kommt vom Kreuz" (Gottfried Wendelin 1655).

Ein anderer, bereits antiker Erklärungsversuch zeiht die Gematrie bei. Diese beruht darauf, dass man im hebräischen und griechischen Alphabet die Zahlen mit Buchstaben geschrieben hat, und umgekehrt den Buchstaben Zahlenwerte zuordnen – und diese dann zusammenzählen kann. Für das Wort a-b-r-a-s-a-x ergibt dies 365 (Pseudo-Tertullian, Libellus Adversus Omnes Haereses I,1; Augustinus, de haeresibus § 4 = PL 42,26.) Basilides sagt, dass die 365 Himmel, entsprechend der Anzahl der Tage im Sonnenjahr zur Ehre von Abraxas geschaffen worden seien, und das meint: die Welt ist vollkommen wie Gott.

Eine große Studie hat Johann Joachim Bellermann (1754–1842), Semitist und Freimaurer, Direktor des Gymnasium zum Grauen Kloster Berlin 1817–1819 verfasst. Bellermann versucht, das Wort aus zwei bestehenden ägyptischen zusammenzusetzen:aus Abrak = "er soll heilig verehrt sein" und Sadsch (wofür die Griechen Sax schreiben) "Wort", d.h. zusammen: "anbetungswürdig ist der heilige Name", eine Idee, die sich im Alten Testament öfters findet.

Vielleicht steht am Anfang das hebräische Wort für die Vierzahl arba‘ – weil die Hebräer JHWH = Gott – um den Namen nicht auszusprechen  – ›den Vierbuchstabigen‹ nannten oder weil die vier den Thron Gottes flankierenden Tiere (Ezechiel 1,5) gemeint waren.

Wie auch immer: Abrasax / Abraxas steht für das Göttliche. Das Abraxas-Wesen ist also nicht nur aus Schlangenfuß und Hahnenkopf komponiert, sondern auch ein Compositum aus verschiedenen Texten verschiedener Kulturen!

 

Goethe (»West-östlicher Divan«, 1819; Buch des Sängers, Segenspfänder) verabscheute im Gegensatz zu verständlich-klaren Inschriften die Abraxas-Steine:

Doch Abraxas bring ich selten!
Hier soll meist das Fratzenhafte,
Das ein düstrer Wahnsinn schaffte,
Für das Allerhöchste gelten.
Sag’ ich euch absurde Dinge,
Denkt, daß ich Abraxas bringe.

 

Literatur


Ioannis Macarii … Abraxas, seu Apistopistus : quae est antiquaria de gemmis Basilidianis disquisitio, Antverpiae, ex officina Plantiniana Balthasaris Moreti, 1657.

Das Buch von Macarius [Jean L’Heureux 1540–1604] ist mittlerweile mehrfach digitalisiert:
> https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=hvd.32044034169201&view=1up&seq=10
> https://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10221603.html
> https://archive.org/details/macarius-j-abraxas-1657-RTL015003/macarius-j-abraxas-1657-RTL015003-LowRes

Einladung zur dritten hundertjährigen Jubelfeier des Reformationsfestes, welche in dem Berlinisch-Köllnischen Gymnasium zum Grauen Kloster veranstaltet wird; nebst einem Versuch über die Gemmen der Alten mit dem Abraxas-Bilde. Von Johann Joachim Bellermann, Erstes Stück [Berlin]: Dieterici, 1817. – Einladung zur öffentlichen Prüfung, welche in dem Berlinisch-Köllnischen Gymnasium zum Grauen Kloster veranstaltet wird ... Zweites Stück 1818 – Einladung zur öffentlichen Prüfung, welche ..., Drittes Stück 1819. > Digitalisat

A[lphons] A[ugustinus] Barb, Abraxas-Studien, in: Hommages à Waldemar Deonna, Collection Latomus 28 (Bruxelles 1957), S. 67–86.

Peter Zazoff, Die antiken Gemmen, München: C.H.Beck, 1983 (Handbuch der Archäologie, Band 4), bes. S. 349–362.

Simone Michel, Die Magischen Gemmen Zu Bildern und Zauberformeln auf geschnittenen Steinen der Antike und Neuzeit, Band 1, Berlin: Akademie Verlag, 2004 (Studien aus dem Warburg-Haus, Band 7).

Campbell Bonner, Studies in Magical Amulets, Chiefly Graeco-Egyptian, University of Michigan Press, Ann Arbor 1950.