Ernst gemeinte Spiele der Malerei

Alice Thaler

Ernst gemeinte Spiele der Malerei

Vortrag, der am 19.9.2017 anlässlich der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Symbolforschung gehalten wurde.

(Klicken auf das Bild zeigt dieses im Web in oft besserer Auflösung in einem neuen Fenster; letzter Zugriff im Februar 2018.)

Im Laufe dieser Tagung wurden viele Situationen vorgestellt, in denen Spiel in Ernst oder Ernst in Spiel umschlug. Bevor diese Kategorien auch in Bezug auf Bilder, für die sie eigentlich nicht sehr üblich sind, angewendet werden, soll kurz ein Blick auf die Begriffe selbst geworfen werden.

Mit den Begriffen Ernst und Spiel verbinden wir in der Regel ein Urteil. Etwas oder jemand ist ernst oder etwas ist ein Spiel oder wie ein Spiel bzw. jemand ist spielerisch, verspielt oder ein Spielertyp – auf jeden Fall nicht so seriös wie das oder der Ernste. Und wenn etwas ernst ist, ist es immer von existenzieller Bedeutung.

Dass die Künste bzw. die Künstler und Künstlerinnen mit ihren Produkten ernst genommen sein wollen und die Werke in der Regel ernst gemeint sind, versteht sich fast von selbst. Deshalb leuchtet auf Anhieb ein, dass der Ernst eines Gemäldes bereits beim Titel einsetzen kann, sich im Bildgegenstand und dessen Bedeutung abbildet, sich ebenso in kunsttheoretischen Zusammenhängen, in der Komposition oder anderen gestalterischen Elementen manifestiert.

Dass ein Bild aber auch viele Momente des Spiels enthält, wird wird oft übersehen. Dabei kann sich das Spiel in einem Bild grundsätzlich an den gleichen Orten manifestieren, wie der Ernst. Also auch im Bildgegenstand, in der Bedeutung, im Gehalt, in gestalterischen und kunsttheoretischen Zusammenhängen.

Diese Auffassung von Spiel gründet in einem weit gefassten Spielbegriff. Allerdings kann dieser kaum anders als extensiv verstanden werden, da er grundsätzlich nicht zu definieren ist. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1989–1951) formulierte, dass der Begriff Spiel nur über Familienähnlichkeiten zu erfassen sei. So können Spiele zwar sehr wohl gleiche oder ähnliche Elemente aufweisen, jedoch nie in allen ihren Teilen übereinstimmen, so dass kaum über Familien hinausgehende Bestimmungen möglich sind. Damit steht Spiel, als etwas Unbestimmtes dem Ernst gegenüber, ist also etwas Unernstes, anscheinend Nichtexistenzielles. Dabei können Spiel und Spielen sehr wohl auch als eine Seinsweise beschrieben werden, womit es ebenso von existenzieller Bedeutung ist wie der Ernst.

Als Seinsweise

  • ist ein Spiel immer mit innerlicher und/oder äußerlicher Bewegung verbunden.
  • hat jedes Spiel seine eigenen Regeln, die gelernt werden oder angepasst werden können.
  • ist jedes Spiel ergebnisoffen.
  • fordert ein Spiel Präsenz ein, realisiert sich im Jetzt.
  • ist ein Spiel Objekt der Spielenden und zugleich Subjekt, das die Spielenden zu Objekten macht.

Anders formuliert manifestiert sich die Seinsweise des Spiels in der Bereitschaft und Fähigkeit zu innerer oder äusserer Bewegung, Flexibilität, Risikobereitschaft, Präsenz und der Akzeptanz von einseitigen Rollenzuweisungen.

Es sind eben diese Charakteristiken des Spiels, die Hans Georg Gadamer als Voraussetzung für einen Kunstgenuss schlüssig nachgewiesen und fruchtbar gemacht hat. Gadamer zeigte, dass sie für die Betrachtung eines Kunstwerks nicht nur wichtig, sondern deren Voraussetzung sind. (Vgl. H.G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Bd. I, Tübingen 1990, 107–174.)

Das ist allerdings nur der eine Teil der Beziehungen zwischen Kunst und Spiel. Der Andere betrifft die Künstler und Künstlerinnen, denn diese Fähigkeiten oder Bereitschaften, sind, verschieden ausgebildet zwar, Teil ihres geistigen Handwerkzeugs. Auf diesem Hintergrund lässt sich der Spielbegriff auf Kunst und Kunstbetrachtung übertragen. Künstler und Künstlerinnen spielen aber nicht nur mit oder in ihren Produkten, sie spielen eben auch mit uns, dem Publikum. Darauf weisen die folgenden Bilder hin.

Die Auswahl, der chronologisch nicht geordneten Werke wurde auf zwei Kriterien beschränkt: Es sind Bilde, die Spiele zeigen oder Bilder, in denen der Künstler mit seinem Können und unserer Wahrnehmung spielt.

Den Schlüssel zum Aufdecken der zwar antagonistisch wirkenden jedoch gleichzeitig in einem Bild vorhandenen Charaktere von Spiel und Ernst bietet die Ikonik, eine vom Künstler und Kunsthistoriker Max Imdahl (1925–1988) ausgearbeitete Methode der Bildbetrachtung.

Das erste Bild stellt uns eine Spielszene vor, die auf heutigen Straßen oder Plätzen noch immer vorkommt: es ist das Becherspiel, das auf dem Erscheinen und Verschwinden eines Gegenstandes basiert, wobei der Spielführer natürlich weiß, wo sich der Gegenstand befindet, um den es geht. Sieg und Gewinn werden von ihm manipulliert

Hieronymus Bosch, Der Zauberkünstler/Gaukler, um 1502, Öl auf Holz, 53 cm × 65 cm, Musée Municipal, St. Germain-en-Laye. > https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Gaukler_(Bosch)

Hieronymus Boschs Gemälde zeigt eine Szene im Freien, einen Zauberkünstler während seiner Vorstellung, mit der er den Zuschauern Geld aus Tasche ziehen will. Der Gegenstand von hohem Wert, der mit geringem Einsatz gewonnen werden könnte, ist eine Perle, die von einem der Zuschauer denn auch gehörig bestaunt wird. Dem Zauberkünstler vis-à-vis, am linken Bildrand, wird die Absicht des Spiels gerade realisiert: Ein mönchisch gekleideter Mann (mit nichtmönchischer, alltäglicher Mütze) zieht dem gebannten Zuschauer nicht nur etwas Geld sondern den ganzen Geldbeutel aus der Tasche. Als Betrachtende haben wir unserer Freude daran – aber weshalb eigentlich?

Das Spiel, das Bosch mit uns treibt, ist ein doppeltes: Er zeigt uns ein Spiel und die Übertretung eines Gebots (Du sollst nicht stehlen), und wir lachen oder schmunzeln darüber, obwohl wir doch eigentlich dem Gebot entsprechend empört sein sollten. Aber offenbar macht es Spaß als Außenstehende einfach zuzuschauen, wie kriminelle Schlauheit auf Naivität trifft – zumal wenn ein Eingreifen nicht möglich ist.

Falsche Frömmigkeit oder doppelte Moral findet also nicht nur im Bild, sondern auch außerhalb des Bildes, auf unserer Seite, statt. Bosch überführt uns spielerisch. Er überblendet Genremalerei und moralische Betrachtung und bindet das Teuflische, das mit Zauberei und Spiel verbunden wird, in Form von drei Tieren, die alle ambivalente Wertigkeiten ausdrücken, ebenfalls ins Bild ein: Ein Frosch sitzt auf dem Tisch, einer springt dem Bestohlenen in den Mund (er muss die Kröte schlucken). Eine Eule, deren Erscheinen Weisheit bedeutet, deren Ruf aber nichts Gutes verheißt, sitzt im Weidekörbchen, das der Scharlatan an seinem Gürtel befestigt. Ein Hündchen, das sowohl für Treue aber auch für Manipulierbarkeit steht, wartet zu Füssen des Zauberers auf seinen Einsatz.

Das Werk spielt mit unserer Moral, indem es uns ein Spiel zeigt, das sich als ernst und glaubwürdig geriert, jedoch trügerisch ist und in seiner Gesamtbedeutung als Parabel über das Leben verstanden werden kann. Außerdem spielt es auf den grundsätzlichen, seit der Antike immer wieder diskutierten Topos der Mimesis an. Jede mimetische Wiedergabe tritt in ein paradoxes Spiel mit der Wirklichkeit, indem die präzise Abbildung eines Gegenstandes ihn als anwesend vorstellt, obwohl er in Wirklichkeit abwesend ist. Bosch's Gemälde zeigt dies in doppelter Weise: Als Darstellung im Bild, und als (metaphorische) Bedeutung der Darstellung. Beide stellen die Frage nach dem Verhältnis von Trug und Realität ist.

Eine andere Art Gegenüberstellung von Spiel und Ernst findet sich in einem Bild, das zum Tagungsthema natürlich nicht fehlen darf:

Pieter Brueghel d.Ä., Die Kinderspiele, um 1560 Öl auf Holz 118 × 161 cm, Wien, kunsthistorisches Museum. > https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Kinderspiele

Das Werk zeigt verschiedene Arten Familien von Spielen, insgesamt sollen es zwischen 80 und 90 sein. Wie diese Gesamtanzahl, so variieren auch die Interpretationen. Es kann als Bestandesaufnahme aller damals bekannten Spiele gesehen werden. In Ergänzung zu dieser ethnologisch akzentuierten Interpretation ist eine moralisch-theologische zu verstehen, die dieses Bild als Aufforderung deutet, das Leben nicht mit Spielen zu vertun, sondern es ernst zu nehmen. Aber auch im Sinne der gesellschaftlichen Veränderungen, die sich in der frühen Neuzeit realisierten, lässt sich das Bild interpretieren, denn es zeigt eine überaus ausgeprägte Individualisierung.

Es liegt nahe, zu konstatieren, dass jeder sein eigenes Spiel und Gruppen unverbunden nebeneinander ihre je eigenen Spiele spielen. Darüber hinaus ist es auffallend, dass die Kinder, die hier gezeigt werden, wie kleine Erwachsene dargestellt sind. (Zur Zeit der Entstehung des Gemäldes war «die Kindheit» noch nicht erfunden, sie begann sich gemäß dem französischen Historiker (Philipp Ariès, 1914–1984) erst zur Zeit Brueghels Zeit herauszubilden, das Bild wäre dann auch ein Dokument einer gesellschaftlichen Transformation).

Doch dieses Gemälde spielt auch mit uns und unserer Wahrnehmung. Es hat die Maße 118x161, ist also nicht eben klein, so dass man, um eine einzelne Spielsituation zu erkennen, relativ nahe ans Bild herantreten muss. Dabei gerät jedoch das Bild als Ganzes aus dem Blick, so dass die strenge Komposition, die dieses Allover-ähnliche beherrscht, übersehen wird. Die so leicht wirkende Darstellung der Vielfalt an Spielen und Menschen im offenen Raum funktioniert auf einer strengen Anordnung von Linien:  Diagonale, Senkrechte und Waagerechte bestimmen das Gemälde. Das so leicht wirkende Spielerische wird von der ernsten Ordnung der Binnenstruktur getragen, und beide zusammen vermitteln implizit dass es beides braucht: Nähe und Distanz, um dem Ganzen einer Sache gerecht zu werden. Indem der Künstler mit unserer Fokusbeschränkung (unser Blick ist entweder weit oder eng, beides gleichzeitig geht nicht) spielt, stellt er uns mittels des spielerischen Sujets eine ernsthafte Lehre entgegen.

Das nächste Bildstellt uns einen Gegenstand vor, in dem sich Spiel und Ernst direkt begegnen. Es handelt sich um Jasper Johns »Target« (Ziel).

Jasper Johns, Target, 1955, Enkaustik auf Leinwand, (75,5 x 71,9 cm), Privatbesitz. > https://www.artsy.net/artwork/jasper-johns-target-1

Ein Ziel oder eine Zielscheibe ist an sich ein ambivalenter Gegenstand. Was damit gespielt und geübt werden kann, kann in lebensbedrohenden Ernst umschlagen. Das hier abgebildete Kunstobjekt entstand 1955, in der Zeit des sogenannten Kalten Krieges, was die Doppeldeutigkeit Spiel/Ernst unterstreicht. Auf http://uk.phaidon.com/agenda/art/articles/2017/may/15/what-was-the-target-in-jasper-johns-paintings/ wurden anlässlich des 87. Geburtstags des Künstlers in diesem Jahr politisch-kunsthistorische und religiöse Aspekte des Werks hervorgehoben.

Aus kunsttheoretischer Sicht spielt Target zudem mit der Wahrnehmung der Betrachter und Betrachterinnen. Denn es hat einen Titel, der uns sagt, dass wir ein Ziel bzw. eine Zielscheibe sehen oder zu sehen haben, und deshalb sehen wir sie auch.  Das Bild ist demzufolge figurativ, es bildet einen gegebenen Gegenstand ab. Doch was würden wir sehen, wenn der Titel ohne Titel lauten würde? Dann sähen wir konzentrische Kreise, die nicht zwangläufig die Assoziationen zu Ziel oder Zielscheibe auslösen müssten. Target stellt so ein Beispiel dafür dar, dass wir sehen was wir wissen, und darob vergessen oder übergehen, was wir sehen. Der gemalte Gegenstand führt uns die schnell einsetzende Dominanz des Wortes über das Bild, des denkenden Erkennens über das sinnliche Wahrnehmen vor.
Ganz anders sind die Zusammenhänge zwischen Spiel und Ernst im nächsten Bild:

Jean Honoré Fragonard, Die Schaukel, Öl auf Leinwand, 1767-1768, 81 × 64 cm, Wallace Collection, London. > https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Fragonard,_The_Swing.jpg

Es ist ein erotisches Spiel, das der Maler hier zeigt: Eine Dame spielt gleich mit zwei Herren oder wird von diesen bespielt.  Der Eine, rechts im Dunkeln, muss dafür sorgen, dass sie möglichst hoch hinausfliegt, der Andere hat sich so positioniert, dass er ihr unter die Röcke schauen kann.  Dass sie mitspielt beweist sie, indem sie ihr Schühlein gelassen so in die Höhe schleudert – oder dem Voyeur zuwirft? – dass es die Sicht auf ihre Dessous verbessert. Eine spielerische Szene, in der alle mit allen spielen und deren erotischer Charakter von den als Statuen integrierten Amoretten unterstrichen wird (die eine befindet sich am linken Bildrand, zwei unter den sich bauschenden Kleidern rechts). Wo oder wie manifestiert sich der Ernst dieses Werks?

Der Blick auf die Bildkomposition liefert die Antwort. Die Dame auf der Schaukel ist auf dem Kreuzungspunkt der beiden Bilddiagonalen plaziert, auf dem Punkt mit der höchsten dramatischen Spannung. Dass diese Spannung nicht zwingend positiv gelöst wird oder werden muss, suggeriert die Farbverteilung: Nur die Bildmitte ist hell, so dass die Dame auf der Schaukel leuchtet, doch nach außen wird es in allen vier Richtungen immer dunkler. Diese Lichtregie betont das Geheimnisvolle, vielleicht sogar Verbotene der Szene. Doch sie lässt sich auch anders interpretieren. Wird der Lichtverlauf als von der Mitte nach außen führend betrachtet, ist es das Spiel auf der Schaukel, das die Dunkelheit vertrieben hat. Wird das Licht jedoch in anderer Richtung verlaufend gedeutet, dann scheint sich Etwas von außerhalb in das Bild zu schieben, zusammenzuballen. Was immer das sein mag, eine reine Freude vermittelt die Darstellung dieses frivolen Spiels nicht.  So sind das frivole Spiel und der Ernst, die Helle und das Dunkle in jeder Lesart untrennbar miteinander verbunden. Was sich auch historisch verstehen lässt. Denn gut 20 Jahre nach der Entstehung dieses Gemäldes war es vorbei mit den Schäferspielen des Rokoko, erstickte die französische Revolution das Lachen des Adels.

Das nächste Gemälde zeigt auf den ersten Blick eine ganz anders geartete Spieldarstellung.

Francisco de Goya, El Pelele, 1791–1792, Öl auf Leinwand, 267 × 160 cm, Madrid, Museo del Prado.
> https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/el-pelele/a1af2133-ff7b-4f47-a4ac-030cb23cb5b6

Es zeigt uns ein Spiel, das zur Zeit Goyas üblicherweise an Volksfesten gespielt wurde.
Dabei musste eine Strohpuppe (un pelele) durch das plötzliche Spannen eines Tuches in die Höhe fliegt, wieder aufgefangen und erneut in die Luft katapultiert wird. Das Spiel ist in in Bezug auf das Zusammenspiel recht anspruchsvoll und mit viel Gelächter verbunden ist, denn der Gegenstand, der möglichst hoch hinaufgeworfen werden soll, tut dies nur, wenn alle Beteiligten gleichzeitig das Tuch heftig spannen, andernfalls bleibt er liegen oder rutscht schlimmstenfalls auf die Erde.

Doch auch die Darstellung dieses fröhlichen Spiels erhält eine sehr ernste Note, wenn man die vier unterschiedlich gekleideten Frauen als die vier Jahreszeiten und die Strohpuppe stellvertretend für den Menschen versteht, der heftigem Auf und Ab ausgesetzt ist und sich kaum vor dem Sturz auf den Boden zu retten weiß. Wolken, die wie unheimliche Schatten aussehen, unterstreichen diese Interpretation, die zudem von der Mehrdeutigkeit des Begriffs pelele unterstrichen wird.

Sein Bedeutungsspektrum ist weit gefasst, es enthält von Strohpuppe, Hampelmann bis Dummkopf und Trottel eine große Vielfalt. Dass das Spiel am Rande von  abbrüchigem Boden wenn nicht gar am Rande eines Abgrundes gespielt wird, weist ebenfalls auf die Ernsthaftigkeit und ins Politische zielende Absicht des Gemäldes. So wird auch dieses Spiel zur Chiffre für die Condition humaine und zu einer Aussage über die Instabilität der Zeit und das Empfinden der Menschen im Jahr der französischen Revolution.

Die mimetisch anmutende Darstellung in leichter und hochartifizieller Manier Manier transportiert eine ernste Bedeutung. Der Vollständigkeit halber muss noch erwähnt werden, dass eine auf der Webseite des Prado veröffentlichte Interpretation aussagt, dass das Bild die Macht der Frauen über die Männer darstelle. Eine Deutungsvariante, die natürlich ebenfalls unter das Thema "Ernst des Spiels" fällt, auch wenn sie etwas eng zu sein scheint.

Die nächsten zwei Werke sind paradigmatisch dafür, dass Künstler ihren Fähigkeiten nicht nur einsetzen um uns, die Betrachtenden, damit zu verblüffen sondern ebenso, um uns mit ernsten und existenziellen Aussage zu konfrontieren.

Als erstes folgt das berühmte Selbstporträt im Spiegel eines jungen Mannes Das kleine Bildnis – es hat nur 24 cm Durchmesser – entstand 1524.

Francesco Mazzola, Selbstporträt im konvexen Spiegel, Öl auf Holz, Durchmesser 24,4 cm, Wien, kunsthistorisches Museum. > https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstportr%C3%A4t_im_konvexen_Spiegel

Der junge Maler, Francesco Mazzola (Parmigianino), hat mit diesem kleinen Gemälde ziemlich hoch gepokert. Er vertraute darauf, dass sein Publikum verstand, was er in bildhafter Sprache ausdrückte, nämlich: indem er sich, seinen Kopf, sein Gesicht, zeigt, gibt er sich zu erkennen, stellt er sich als Person vor, und indem der seine Hand in den Vordergrund rückt, zeigt er, wie wichtig für den Maler die Hand ist, ja,  dass es beim Maler auf das Zusammenspiel von Hand und Kopf (Sehen, Denken, Übertragen) ankommt und zugleich zeigt er, mit welchen technischen Hilfsmittel das Porträt zustande kommt, mit einem konvexen Spiegel, also wie technisch versiert und künstlerisch begabt er ist.

Dieses Darstellen beinhaltet jedoch noch kein Pokern, nur ein Spielen mit den Fähigkeiten, so etwas wie ein ›Show off‹. Das existentielle Spiel, das der Künstler hier aber spielte, lag nicht im Bild selbst, sondern in der Funktion des Gemäldes. Mazzola, der aus Parma kam, führte sich mit diesem Werk in Rom beim Papst ein. Er wollte, bzw. musste in Rom arrivieren, um als Maler weiter existieren, eine Karriere machen zu können. Sein Einsatz funktionierte, er erhielt  aufgrund dieser Präsentation einige päpstliche Aufträge und wurde in der Folge auch außerhalb Roms anerkannt. Seither ist der jungen Mazzola aus Parma als Parmigianino, der kleine aus Parma, bekannt. Sein existentielles Spiel ging also zu seinen Gunsten auf.

Beim zweiten der Bilder, in denen ein Künstler mit seinen außerordentlichen Fähigkeiten aufspielt, handelt es sich um

Pieter Claesz, Vanitas, Stilleben mit Selbstbildnis, Öl auf Eichenholz, um 1628, 35,9 x 59 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. > https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Claesz,_Pieter_-_Vanitas-Stilleben_mit_Selbstbildnis_-_Germanisches_Nationalmuseum_N%C3%BCrnberg_-_1628.jpg

Die Bildgattung Stilleben stellt an sich schon ein Spiel dar, ein ziemlich freies Spiel mit Gegenständen, die in allen möglichen Anordnungen und allen möglichen Verbindungen dargestellt sind und dann durch ihre symbolische Aufladung eine in der Regel sehr ernste Bedeutung erhalten. Das ist auch hier, in diesem Vanitas-Stilleben von Pieter Claesz der Fall. Das Bild vermittelt, das alles vergangen ist, die Musik verklungen, der Becher geleert, die Lampe ausgelöscht, der Brief geschrieben, die Bücher gelesen - alles bedeutet Vergänglichkeit.

Doch da steht noch eine Glaskugel auf dem Tisch. Es war (und ist) an sich schon eine ganz außerordentliche und spezielle Kunstfertigkeit, Glasobjekte wirklichkeitsgetreu zu malen, und als ob nicht bereits die Spiegelung eines Fensters im Glasbecher ein unerhörtes Können zeigt, toppt der Künstler mit der Glaskugel alles bis dahin Gesehene, denn er spiegelt darin nicht nur das Fenster, durch das das Licht auf das Cello fällt, sondern malt er sich selbst vor der Staffelei, wie er das Stilleben malt, und auch die Gegenstände die über den Tisch ragen, sehen wir im Spiegel dieser Glaskugel. Das bedeutet nichts Anderes, als dass er, der Künstler, der als Mensch zwar selbst auch vergänglich ist, als Maler nicht nur das Vergängliche festhalten, sondern sich bei diesem Festhalten einer Gegenwart auch noch zeigen und damit sich selbst als Person in und mit seiner Kunst der Vergänglichkeit entziehen kann.

Der Ernsthaftigkeit des Stillebens wird die Selbstaussage entgegengesetzt: ›Ich, der Künstler, kann die Zeit anhalten, wenn ich will.‹ Und so ist es ja auch: wir sehen ihn noch immer, diesen Maler, der vor fast 400 Jahren diese Bild mit diesen Gegenständen gemalt hat. Dieses Spiel gegen die Vergänglichkeit hat er gewonnen.

Eine ganz andere Form von ernstem Spiel findet im folgenden Trugbild statt, einem trompe l’oeil.

Samuel van Hoogstraaten, Steckbrett, um 1677, +Ol auf Leinwand, 63 x 79 cm, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle. > http://www.projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/Paragone/stilleben_hoogstraeten.html

Hoogstraatens Werk gaukelt uns vor, die Gegenstände, die wir sehen, seien echt. Kamm, Seife, Papiere, Feder – alles sei wirklich hinter einem Band festgehalten, dabei sind sie alle, fast müsste man sagen ›nur‹ gemalt. So steht das Bild in Konkurrenz zur Wirklichkeit und damit in einem Wettstreit, der schon in der Antike begann und sich sowohl zwischen den Künsten, insbesondere der Malerei und der Bildhauerei als auch zwischen einzelnen Künstlern abspielte, so auch in der Geschichte, die sich vor ca. 400 Jahren v. Chr. zugetragen haben soll. Plinius berichtet von Zeuxis und Parrhasios, die miteinander wetteiferten, wer das realistischere Bild schaffen könne (vgl. ders., Naturalis Historia XXXV, 64). Zu einem verabredeten Zeitpunkt trafen sich die beiden Maler, ihre Bilder sorgfältig mit Tüchern bedeckt. Nachdem Zeuxis nun das Tuch von seinem Bild gezogen hatte dauerte es nicht lange, bis ein Vogel kam und an den von ihm gemalten Trauben picken wollte. Stolz und etwas hämisch wandte er sich an Parrhasios und wollte das Tuch von dessen Bild ziehen. Worauf ihm das Lachen verging, denn das Tuch war der gemalte Wettbewerbsbeitrag von Parrhasios, auf dessen Wirklichkeitsnähe nicht nur ein Vogel, sondern selbst der Maler Zeuxis hereingefallen war.

Hoogstraaten, ein Schüler Rembrandts, galt zwar nur die Historienmalerei als richtige, ernste Malerei, dochmit illusionistischen Bildern wurde er berühmt. Mit seinen trompe l’oeil gewann er nicht nur immateriellen Ruhm, sondern u.a. auch eine Medaille – die er in dieses Bild Steckbrett einbaute. Auch übrigen Gegenstände sind als Anspielungen auf seine Biographie gedacht: Der Kamm z.B. bedeutet die Ordnung der Gedanken, Schreibutensielien verweisen auf ihn als Schriftsteller, die Brille steht für seinen präzisen Blick – so ist das ganze gegenständliche Bild eigentlich ein Selbstporträt, ein raffiniertes Spiel mit Gegenständen und dem Genre des Selbstporträts.

In eine ähnliche Kategorie des Spiels mit der Täuschung des Publikums gehört auch das folgende Werk:

Cornelius Gysbrecht, Rückseite eines Gemäldes, 1670, Öl auf Leinwand, 66,6 × 86,5 cm, Kopenhagen, Staatliches Kunstmuseum. > https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCckseite_eines_Gem%C3%A4ldes

Wir meinen, ein Bild von hinten zu sehen – d.h. die Rückseite eines Gemäldes. Doch wir sehen die Vorderseite eines Gemäldes, auf der eine Rückseite dargestellt ist. Auch hier lassen natürlich Zeuxis und Parrhasios grüssen. Stellen Sie sich vor, diese Bild würde in einem Atelier an einer Wand stehen, wie das so üblich ist. Doch wer das Bild aufhebt und umdreht, um seine Vorderseite zu sehen, trifft auf die richtige Rückseite. Das Gelächter oder mindestens ein Schmunzeln des Künst¬lers kann man sich gut vorstellen. Weiter kann das Spiel mit der Täuschung kaum getrieben werden. Denn Wirklichkeit, Malerei, Täuschung - sie werden zu paradoxen Bezeichnungen, wenn die Rückseite zur Vorderseite wird. Und Skepsis gegenüber den Sinneseindrücken wird Thema.

Damit wird der Ernst dieses Bildes deutlich, das 1670 entstand. Nur wenige Jahrzehnte früher, nämlich11640, veröffentlichte René Descartes seine Meditationen, in denen er eine vollumfängliche Skepsis formulierte, den Sinnen keinen Erkenntniswert zusprach und den Menschen auf sein Denken und eine Rationalität reduzierte, die ihn zur Maschine und uns als Konzept bis heute zu schaffen macht.
Die illusionistischen Gemälde sind somit gleichzeitig als Spiele mit unserer Wahrnehmung und als Ausdruck oder Kommentare zu einer philosophischen Skepsis aufzufassen.

Eine andere Art der Täuschung bzw. der Verwirrung stiftet das folgende Bild von Edouard Vuillard aus den 1890er Jahren:

Edouard Vuillard, Un atelier de couture II, 1892, Öl auf Leinwand, 48,5 x 117 cm, Paris, Collection Desmarais. > https://bjws.blogspot.ch/2015/01/sewing-indoors-by-jean-edouard-vuillard.html

Vuillard gehört zur Malergruppe der Nabis, die, beeinflusst durch japanische Holzschnitte und durch Gauguins Südseefarberfahrungen neue Wege der Bildgestaltung begingen und insgesamt den Impressionisten nahestanden.

Die für die damalige Zeit unübliche Aufstellung der Figuren parallel zum Bildrand und das Spiel mit den alles durchdringenden und überflutenden Mustern ist für die Malerei Vuillards in den Jahren vor der Jahrhundertwende typisch. Diese Bildgestaltung ist dafür verantwortlich, dass weder der Titel des figurativen Gemäldes noch die Anzahl der dargestellten Personen auf Anhieb erkennbar sind.

Vuillards Spiel mit Mustern ist nicht nur in diesem Werk unübersehbar. Wo aber ist der Ernst des Bildes?
Wie in allen Gemälden findet er sich allgemein in der Malerei als solcher und der kunsthistorischen Bedeutung einzelner Werke. Doch wie in anderen hier vorgestellten Werken und insbesondere dem trompe l'oeil  kann er im Zeitbezug aufgefunden werden, einem Zeitbezug, der sich mehr in der Komposition als in den Bildsujets ausdrückt. In Bezug auf Vuillards Werke der 1890er Jahre heißt das, dass die Verunklärungen des Bildraums und der menschlichen Figur der Auflösung der Grenzen zwischen Menschen und Dingen und der Gleichsetzung von Menschen und Sachen entspricht. Räume, Muster, Dinge, Menschen – alles fließt ineinander, geht ineinander über. Der Mensch als Bildzentrum löst sich auf, verschwindet.

Dieses Spielen mit Bildbestandteilen entspricht einem Spielen mit der Wahrnehmung und führt zu eigentlichen Vexierbildern. Darin verschwindet nicht nur der Raum, sondern auch der mimetisch abgebildete, leicht erkennbare Mensch. Er tritt in den Hintergrund und verschwindet in den ihn umgebenden Mustern.

Einige wenige Jahre nach diesem Bild wird die Raumaufhebung von den Kubisten gänzlich realisiert.

Juan Gris, Stilleben mit Guitarre und Klarinette, 1920, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm, Basel, Kunstmuseum. > https://commons.wikimedia.org/wiki/File:JuanGrisGuitarwithClarinetKuntsmuseu.jpg

Ein Stilleben mit Instrumenten von Juan Gris soll dies illustrieren. Natürlich findet darin, wie in allen Stilleben, ein Spiel mit Gegenständen statt, doch Raum, Räumlichkeit und damit Volumen, sind aufgehoben, alles Dargestellte befindet sich auf gleicher Ebene, das Bild tut nicht mehr so, als ob es dreidimensional sei.

Da das Gemälde von Gris sehrt ernst wirkt, kann man zu Recht fragen, wo denn in diesem Bild das Spiel bleibt. Eine mögliche Antwort lautet, dass es zum einen in der Aufhebung des Raumes und der damit verbundenen Aufhebung der Orientierung besteht - damit wird für ein gutes Jahrzehnt wirklich gespielt, der Kubismus suchte auf verschiedenen Wegen nach Darstellungsweisen, die sich nicht mehr an den seit dem 15. Jh. geltenden Perspektivgesetzen orientieren, sondern wiedergeben, was wir sehen bzw. wie wir das Sehen und das Gesehene empfinden.

Vergleicht man die Stilleben Pieter Claesz  und Juan Gris, so wird deutlich, dass Juan Gris aber auch mit der Kunstgeschichte, speziell mit dem Topos Stilleben, spielt. Er nimmt eine Gattung auf, die durch Claesz überhaupt begründet wurde und variiert sie entsprechend seiner künstlerischen Suche und seinem zeitgemäßen Ausdruck. Das Spielerische oder Augenzwinkernde ist hier also zweifellos im Umgang mit Sujet und Tradition zu finden.

Diese Art von Spiel findet sich mehr oder weniger deutlich in allen Gemälden, denn Kunst kommt immer von Kunst. Aber nur in wenigen Fällen spielt der Künstler so bewusst damit, wie wenn er einen Topos aufnimmt und ihn in seine eigene Sprache übersetzt, wie Juan Gris das hier tat.

Jan Vermeer, Mädchen mit den Perlohrringen, 1665, Öl auf Leinwand, 45 x 40 cm, Den Haag, Mauritshuis. > https://de.wikipedia.org/wiki/Das_M%C3%A4dchen_mit_dem_Perlenohrgeh%C3%A4nge

Mit diesem Bild schließen diese Ausführungen. Es eröffnet ein anderes Feld, mit dem die Maler in vielen Varianten spielen: Es ist der Blick aus dem Bild, der bis jetzt hier nicht zur Sprache kam. Denn über den Blick aus dem Bild konnte sich Maler gewissermaßen mit den Betrachtern verständigen und ihnen fast nach Belieben eine Rolle zuweisen: Sie zu Neugierigen, zu Voyeuren oder zu Ausgeschlossenen machen.

Alles das sind weitere Elemente, mit denen wir in das ernst gemeinte Spiel der Malerei hineingezogen werden.