Die Intelligenz der Tiere

Immer wieder wurde empirisch festgestellt und theoretisch behauptet, dass Tiere vernünftig sind. Und dies wurde dann auch moralisierend oder symbolisch gedeutet.

 

Der in ein Tier Verwandelte möchte nicht wieder Mensch werden

Plutarch (um 45 bis um 125) imaginiert in seinem Dialog »Gryllus, oder daß die unvernünftigen Thiere Vernunft haben« folgendes Szene:

Die Zauberin Kirke hatte Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt (10. Gesang der Odyssee). In Plutarches Phantasie bittet Odysseus sie, diese in Männer zurückzuverwandeln. Kirke verlangt, dass die Betroffenen selbst entscheiden sollen, ob sie das wollen. Dazu verleiht sie einem Schwein namens Gryllos (der Grunzer) die menschliche Sprache. Dieser hat indessen keinerlei Ambitionen, wieder ein Mensch zu werden. Er argumentiert so, dass er die Vorteile des tierischen Lebens herausstreicht und v.a. dass die Tiere von der menschlichen Verdorbenheit frei sind.

J.F.S. Kaltwassers dt. Übersetzung (1797) VII,461ff.
> https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10239278_00475.html

Englische Übersetzung von William Helmbold
> http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Plutarch/Moralia/Gryllus*.html

Deutsche Übers. von Bruno Snell in: Plutarch, Von der Ruhe des Gemüts u.a. Schriften, Zürich 1948, S. 271–296.

Kirke verzaubert die Männer. Holzschnitt von Virgil Solis: zu Ovid, Met. 14, 245ff, und 290ff.

Die Geschichte wird dann wieder erzählt (und aufgegliedert) von Peter Lauremberg (1585–1639) in seiner Sammlung »Acerra philologica« (1637 und Neuauflagen), 2. Hundert, Kapitel 61–68: Ulyses spricht hier mit einer Auster – einem Maulwurf – einer Hindin – einer Nachtigall – einer Schlange – einer Sau – einem Haushahn – einer Maus.

Hier einige Sätze der Maus:

O mein lieber Ulysses, einem jeden gefällt seine Weise / und mir gefällt jetzt die meine auch wohl / ich lebe nun viel besser / als da ich ein Mensch war; da ich Tag und Nacht zu lauffen pflag / unter Freunde und Feinde / ihre Anschläge und was sie fürhatten /zu erforschen / da ich dann immerdar den Tod für Augen gehabt; Spiese / Degen / Pfeile und Bogen laureten auf mich. Die Hunde / Bären und Löwen wolten mich zerreissen; Nun fürchte ich nur die einige Katze / der ich doch wol entlauffen und in ein Loch entkommen kan / und so eins nicht genug / hab ich derer mehr. Du sagest auch von der Mäußfall / O mein Ulysses, eure Schiffe seynd viel ärger und gefährlicher als einige Fallen. Da wird einem ein wenig Geld zugesagt / und wegen der Ehre / und nichts mehr / setzet man sich auf ein Schiff / das kaum vier Finger dick ist / und unterwirfft sich den gefährlichen Wellen und Winden / denen niemand entlauffen kan / wenn er schon so viel Hände und Füsse hätte / als der Briareus, oder so viel Augen als Argus. Was daneben das Gifft anlanget / dessen lebet kein Mensch auf der Erden sicher / ja den Menschen wird öffters mehr mit Giffte nachgestellet / als uns Thieren? Warlich / wenn ich zuvor kein Mensch gewesen / so hätte mir der Circe Gifft nimmermehr geschadet.

Ausgabe Peter Lauremberg, Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig 1717.
> http://www.zeno.org/nid/2000523557X

Bileams Eselin

Numeri (4. Moses) 22: Der moabitische König Balak lässt Bileam holen, damit dieser Israel verfluche. Auf dem Weg stellt sich ihm der Engel des Herrn in den Weg, aber nur sein Reittier, eine Eselin, bemerkt dies und geht vom Weg ab. Bileam schlägt das Tier. Die Szene wiederholt sich. Beim dritten Mal legt sich das Tier hin und versperrt den Weg. Bileam schlägt erneut zu – der HErr verleiht der Eselin Sprache, und sie sagt: »Was habe ich dir getan, dass du mich dreimal geschlagen hast?« Bileam erkennt nun auch den Engel, und er wird den Auftrag Balaks nicht ausführen, im Gegenteil: er segnet Israel.

Der ganze Text nach der Luther-Bibel von 1545 hier > http://www.zeno.org/nid/20005321174

Holzschnitt nach der Zeichnung von Johann Jakob von Sandrart (1655–1698) geschnitten von Elias Porcelius (1662–1722) in: Gantz neue Biblische Bilder-Ergötzung: Dem Alter und Der Jugend Zur Beschauung und Erbauung/ Aus dem alten \ neue[n] Testament angestellet und mitgetheilet: Von Johann Andreæ Endters Seel. Söhnen in Nürnberg [ca. 1700]

Historiae celebriores Veteris (et Novi) Testamenti iconibus repraesentatae et ad excitandas bonas meditationes selectis Epigrammatibus exornatae. 2 Tle. in 1 Band. Nürnberg: Chr. Weigel 1712.

Frosch und Wasserschlange

Aelian (ca. 170/280), poikile historía = Vermischte Nachrichten I,3

Von den Aegyptischen Fröschen

Etwas Kluges ist es doch um eine Art Aegyptischer Frösche, die denn auch vor den übrigen sich sehr auszeichnen. Wenn nämlich ein Frosch einer von den Wasserschlangen, die sich im Nil nähren, begegnet, so beißt er ein Stück Schilf ab, nimmt es quer in den Mund und hält es mit den Zähnen fortwährend so fest als möglich. Der Schlange ist es nun unmöglich, ihn sammt dem Rohre zu verschlingen, denn ihr Mund ist nicht weit genug, um das Rohr in seiner ganzen Ausdehnung zu umfassen. Auf solche Weise siegt die Klugheit der Frösche über die Stärke der Wasserschlangen.

Joachim Camerarius (1534–1598), Symbola et emblemata, IV,72 (Erstausgabe 1604) verwendet diese Geschichte für ein Emblem:

Meinen Feind/ den ich nicht kan mit Gewalt bekriegen/
Kan ich durch Verstand und Witz/ schrecken und besiegen.

(Man beachte die "ägyptische" Landschaft mit Nildelta und die Pyramiden!)

Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, durch welche beygebracht und außgelegt werden die angeborne Eigenschafften, wie auch lustige Historien und Hochgelährter Männer weiße Sitten-Sprüch. Und zwar[…] Im IV. Von Fischen und kriechenden Thieren. […] zum besten ins Teutsch versetzet, Maintz: Bourgeat 1671.
> http://digital.onb.ac.at/OnbViewer/viewer.faces?doc=ABO_%2BZ165646702 (Bild 796)

Etwas anders Juan de Solórzano Pereira (1575–1655):

Schutzwehr der Armen / der Gerechtigkeit

Weil der Frosch einen Zweig quer im Maul trägt, kann ein Krokodil ihn nicht fressen. Ebenso wie der Zweig sich nicht verbiegen läßt und so den Frosch schützt, soll die Gerechtigkeit die Schwachen schützen und für alle gleichermaßen gelten.

D. Ioannis de Solorzano Pereira […] Emblemata centum, regio politica. Aeneis laminis affabre caelata, vividisque, et limatis carminibus explicita, & singularibus commentariis affatim illutrata. Quibus, quicquid ad regum institutionem, et rectam reip. administrationem conducere, & pertinere videtur, summo studio disseritur […] In typographia G. Morras 1653. – S. 533.
> https://archive.org/details/dioannisdesolorz01sol

 

Die schlauen Raben

Aelian (2./3. Jh.) »Über die Eigenschaften der Tiere«, II, 48:

Von den Libyschen Raben erzählt man, daß, wenn die Menschen aus Furcht vor Durst Wasser eintragen, und die Gefäße anfüllen, und diese auf die Dächer an die freie Luft stellen, um das Wasser gegen Fäulniß zu bewahren, die Raben den Schnabel hineinstecken, so weit dieser reicht, und von dem Wasser saufen; wenn das Wasser aber aufhört, bringen sie in dem Schnabel und mit den Krallen Steinchen herbei, und werfen sie in das Gefäß. Die Steine sinken vermittelst ihrer Schwere zu Boden, das Wasser aber steigt; und auf so geschickte Weise trinken die Raben, durch den geheimnißvollen Instinkt der Natur belehrt, daß zwei Körper nicht Einen Raum zugleich einnehmen können. (Übersetzung von Friedrich Jacobs 1839)

Die Intelligenz von Raben ist heute gut erforscht, das WWWeb ist voll von solchen Berichten vgl. z.Bsp.
> https://www.nature.com/articles/s41598-018-33458-z

Die mathematisch begabten Thunfische

Michel de Montaigne (1533–1592) möchte in seiner »Apologie de Raimond de Sebonde« (Essais, Livre II, Chapitre XII) darlegen, dass Alles, was unter dem Himmel ist, […] einerley Gesetze, und gleichem Glücke unterworfen ist. Dazu bringt er über viele Seiten hinweg Beispiel von intelligenten und moralisch integren Tieren. Daraus nur ein einziges Beispiel:

In der Lebensart der Tunnfische bemerket man eine sonderbare Einsicht in drey Theile der Mathematik. Sie lehren dem Menschen die Astrologie: Denn, sie bleiben an demjenigen Orte, wo sie sich den kürzesten Tag im Winter befinden, und gehen nicht eher von dannen, bis wieder Tag und Nacht gleich wird. Anm.* Deswegen gestehet ihnen Aristoteles selbst gerne diese Wissenschaft zu. Anm.** Was die Meß- und Rechenkunst anbetrifft: so ziehen sie beständig in Gestalt eines auf allen Seiten in Vierecke eingeschlossenen Würfels, Anm.*** und machen einen dichten, festen, geschlossenen Haufen aus, der rings herum sechs gleiche Seiten hat. Hernach schwimmen sie in dieser viereckigten Stellung, die hinten eben so breit als forne ist, dergestalt daß derjenige, der ein Glied siehet und zählet, leichtlich den ganzen Haufen berechnen kann, weil die Höhe der Breite, und die Breite der Länge gleich ist.

* Plutarchus de Solertia animalium.
** Aristoteles sagt bloß, diese Fische giengen nicht von dem Orte weg, wo sie der kürzeste Tag im Winter überfällt, bis im Frühlinge, wenn Tag und Nacht gleich werden. Hist. Animal. L. VIII. C. 13. Allein Aelian, der diese Sache auf das Zeugniß des Aristoteles anführet, setzet für sich hinzu, daß diese Fische die Veränderung der Jahreszeiten merken, und sehr wohl wissen, wenn der kürzeste oder längste Tag kömmt, ohne erst die Sternkündiger darum zu befragen: Isasi tropas êliou oxytata, kai deontai tôn ta ourania eidenai poioumenôn oudena. Aelian. de animal. natura. L. IX. C. 42.
*** Plutarchus de Solertia animalium.

Übersetzung von Johann Daniel Tietz, Leipzig 1753
> http://www.zeno.org/nid/20009227466

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