Heraklit und Demokrit

 

 Einführung

Andreae Alciati … Emblemata, cum facili & compendiosa explicatione, per Claudio Minoeum. Leiden: Plantin-Raphelengius, 1599. 

 Montaigne (1533–1592) schreibt in den »Essais«, I, 50:

Democritus et Heraclytus ont esté deux philosophes, desquels le premier, trouvant vaine et ridicule l’humaine condition, ne sortoit en public qu’avec un visage moqueur et riant;Heraclitus, ayant pitié et compassion de cette mesme condition nostre, en portoit le visage continuellement atristé, et les yeux chargez de larmes, ...

> https://www.lib.uchicago.edu/efts/ARTFL/projects/montaigne/

Antike Quellen


Bereits Horaz (65–27) setzt den lachenden Demokrit voraus. (Demokrit hier nicht als der Theoretiker des Atomismus, sondern weil er aus Abdera stammt, dem Ort, der sprichwörtlich bekannt war für die Narrheit seiner Bewohner). In Brief II,1 spricht er über das Verhältnis von Dichter und Publikum, das lieber Zirkusspiele anschaut als gute Komödien. Diese schildert er und sagt dann:

Si foret in terris, rideret Democritus – Weilte Demokrit noch auf Erden, er würde in Lachen ausbrechen, sähe er, wie da ein Tier mit der Doppelnatur von Panther und Kamel [eine Giraffe], ein weißer Elefant die Augen alle plötzlich an sich zieht! Er würde das Volk aufmerksamer betrachten als die Spiele selbst, weil es ihm ein so viel größeres Spektakel bietet.

Seneca (gest. 65. u.Z.) kennt das Philosophenpaar. In »De ira«  II, x, 5 erwähnt er die beiden zur Frage, was die Wut des Weisen zum Verschwinden bringe (Quid tollit iram sapientis?):

Heraclitus quotiens prodierat et tantum circa se male uiuentium, immo male pereuntium uiderat, flebat, miserebatur omnium qui sibi laeti felicesque occurrebant, miti animo, sed nimis inbecillo: et ipse inter deplorandos erat. Democritum contra aiunt numquam sine risu in publico fuisse; adeo nihil illi uidebatur serium eorum quae serio gerebantur. Vbi istic irae locus est? aut ridenda omnia aut flenda sunt. > https://la.wikisource.org/wiki/De_Ira

Sooft Heraklit nach draußen ging und die große Menge derer sah, die rings um ihn schlecht lebten, oder besser gesagt schlecht zugrunde gingen, weinte er und hatte Mitleid mit all den fröhlichen, in ihrem Erfolg sich sonnenden Menschen, die ihm begegneten, – sanft wie er war, aber doch zu weich: Auch er selbst war einer von den Bejammernswerten. Dagegen soll sich Demokrit niemals ohne Lachen unter das Volk gemischt haben. So wenig konnte er irgendetwas von dem ernst nehmen, was mit so großem Ernst betrieben wurde. Ist da noch Raum für Wut? Alles ist entweder zum Lachen oder Weinen. (L. Annaeus Seneca, De ira / Über die Wut, lat./dt., übers. und hg. Jula Wildberger, Stuttgart: Reclam 2007 = RUB 18456).

(Vgl. auch Seneca, de tranquillitate animi 15,2)

Montaigne (wie andere auch) zitiert Juvenal (1./2. Jh.), 10.Satire, Verse 28ff., wo allerdings nur Demokrit namentlich erwähnt ist:

Ist es nicht lobenswert, dass von den Weisen der eine
Lachte, so oft aus dem Hause den Fuß er hatte gesetzet,
Um unter Leute zu gehn? Dass weinte der andere Meister?
Leicht ist indessen für jenen die Rüge des spöttischen Lachens,
Wunderbar ist’s, dass dem andern nicht endlich die Tränen versiegten.
Ständig hat
Demokrit die Lungen vor Lachen geschüttelt,
Nach seiner Art ... – perpetuo risu pulmonem agitare solebat Democritus

(Übersetzung: D. Iunius Juvenalis, »Saturae«, hg. und übertragen von Ulrich Knoche, 2 Bde., München: Hueber 1950/51.)

Montaignes Grund für die Bevorzugung: J’ayme mieux la premiere humeur, non par ce qu’il est plus plaisant de rire que de pleurer, mais parce qu’elle est plus desdaigneuse, et qu’elle nous condamne plus que l’autre […] – (Übersetzung von Hans Stilett: weil sie eine größere Geringschätzung ausdrückt und uns strenger richtet) Essais I,50 (1580)
> https://fr.wikisource.org/wiki/Page:Montaigne_-_Essais,_Éd_de_Bordeaux,_1.djvu/254

Aelian (um 170 – um 220) in den »Bunten Geschichten« (IV,20): Die Abderiten nannten den Demokrit ›die Weltweisheit‹ […]. Demokrit aber verlachte sie alle und behauptete, dass sie nicht wohl klug wären; daher ihn denn auch seine Landsleute den ›Lachmund‹ zu nennen pflegten.

(Deutsche Übersetzung nach: Des Claudius Aelianus Vermischte Erzählungen, übersetzt von J. H. F. Meineke, Quedlinburg 1787 > https://books.google.at/books?id=nHhIAAAAYAAJ&pg=222)

Lukian von Samosata (2. Jh. u.Z.) hat einen Schwank verfasst, in dem Zeus/Jupiter und Hermes/Merkur die prominenten Vertreter verschiedener philosophischer Schulen wie auf einem Sklavenmarkt zum Verkauf anbieten; dabei müssen sie sich gegenüber dem möglichen Käufer charakterisieren:

Jupiter: Lass einen andern kommen, oder vielmehr zwei auf einmal, den Lacher von Abdéra, und den weinenden Ephesier: die beiden will ich mit einander loswerden.

Merkur: Herbei, ihr beide! – Nun kommt zum Verkauf: Ein Paar vortrefflicher Charaktere, die Weisesten von Allen!

Käufer: Welcher Contrast! Der Eine lacht ja unaufhörlich, und der Andere scheint in tiefer Trauer zu seyn; denn er weint an einem fort. Was hast du denn, sonderbarer Kerl? was lachst du so?

Demokritus: Du fragst noch? Weil mir euer ganzes Tun und Treiben, samt euch selbst, lächerlich vorkommt. […]

Käufer: Aber du, mein Guter, mit dir wird sich, denke ich, vernünftiger sprechen lassen: warum weinst du denn?

Heraklitus: O Fremdling, ich finde alle menschlichen Dinge so jämmerlich und beweinenswert. Alles ist einem zerstörenden Verhängnisse unterworfen. Deshalb bemitleide und beklage ich die Sterblichen. […]

(Aus dem Griechischen übersetzt von August Friedrich Pauly 1827 > https://de.wikisource.org/wiki/Die_Versteigerung_der_philosophischen_Orden)

Sidonius Apollinaris (431/432 bis nach 479) erwähnt die beiden in einer knapp gefassten Reihe von Philosophen in einem Brief: Heraclitus fletu oculis clausis, Democritus riso labris apertis (Epistulae, Buch IX, Brief 9, ¶ 14); vgl. die englische Übersetzung > http://www.ccel.org/ccel/pearse/morefathers/files/sidonius_letters_09book9.htm

»Anthologia Graeca« IX, 148 (Mitte des 1. Jhs.? – Endredaktion evtl. im 10.Jh.):

Weine über das Leben noch mehr, Herakleitos, als lebend!
   Heut ist das Leben ja wohl jammererregend wie nie.
Lache über das Leben
Demokritos, mehr als noch früher!
  Heut ist das Leben ja wohl lächerlich-spaßhaft wie nichts.
Ich aber blicke auf euch und frage mich, zwischen euch stehend:
   Soll ich nun weinen mit dir? soll ich wohl lachen mit dir?

Übersetzung von Hermann Beckby, Anthologia Graeca, München: Heimeran (Tusculum-Bücherei) 1957–1958.

Dokumente aus der Renaissance, v.a. zur Ikonographie

Petrarca (1304–1374) kennt das Motiv, dazu unten mehr.

Das älteste (1477) überlieferte Bild ist ein Fresko von Bramante (1444–1514) (Galleria Brera, Milano):

https://en.wikipedia.org/wiki/Heraclitus#/media/File:Bramante_heracleitus_and_democritus.jpeg

Das »Narrenschiff« des Sebastian Brant (1457/1458 bis 1521) wurde von Jakob Locher (1471–1528) 1497  als »Stultifera navis« teilweise ins Lateinische übertragen und um einige Zusätze erweitert, darunter auch um diesen:

Das Kapitel De larvatis fatuis (Von maskierten Narren) polemisiert gegen Kleiderpracht, die Schminke und die Verlarvung an der Fastnacht, der Text ist mit antiken Anspielungen vollgestopft. – In der Mitte des Bilds ist die Weltkugel in der Art einer umgedrehten (pervertierten?) mittelalterlichen T-O-Karte dargestellt; sie wird von den beiden Philosophen gehalten; in der hinteren Reihe zwei Narren mit Schellenkappe. Während der Text nur den lachenden Democritus und einen weinenden Kyniker nennt, schreibt der Holzschneider den letzeren an mit Diogenes.*

*) Das ist kein Irrtum, sondern eine Neben-Tradition; Bernard von Morlas (12.Jh.), »De contemptu mundi« II,391: lugeo, rideo, Diogenes ego, Democritus sum.
 

Stultifera Nauis Narragonice profectionis nunquam satis laudata Nauis: per Sebastianum Brant: vernaculo vulgarique sermone et rhythmo ... nuper fabricata: Atque iampridem per Iacobum Locher ... in latinum traducta ...Basel: Bergman de Olpe 1497. Fol. 126verso
> http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/inc-ii-219

Risit Democritus stultos, et inania mundi
   Gaudia, quod larvis pergeret omnis homo.
Cynicus econtra casus deflevit in omnes,
   Et quia tot fatuis terra repleta foret.

Demokrit lachte über die Narren und der Welt eitle Freuden, da kein Mensch die Maskerade sein lässt. Der Kyniker dagegen weinte über die ganze Misere, weil die Welt nur so von Narren wimmelt.

Literatur: Nina Hartl, Die »Stultifera navis«: Jakob Lochers Übertragung von Brants »Narrenschiff«, Teiledition und Übersetzung. Münster u.a.: Waxmann 2001 (2 Bände) = Nr. 110b bei Hartl; Text und dt. Übersetzung I, 300–305; Kommentar II, 244ff.

 

Antonio Fregoso  (ca. 1444 bis ca. 1530), Opera noua, laqual tratta dei doi Philosophi: cioè Democrito che rideva dele pacie di questo mondo: e Heraclyto che piangeva de le miserie humane. Venetia, Alessandro e Benedetto Bindoni, 1520 – Zusammenfassung bei A.Buck, S. 174–179, Bild: Blankert Abb. 5.

 

1521 übersetzt Petrus Tritonius (Treibnraiff; ca. 1465 bis ca. 1525) den spätantiken fiktionalen Brief des Hippokrates an Damagetus nach der Rückkehr aus Abdera: Von dem leben vnd gelächter Democriti kurtzweilig vnd fast nutzlich zuo lesen, [Augsburg: Silvan Otmar] 1521; darin: Der Sendbrieff Hipocratis zuo Damageto.

Die Bürger von Abdera glauben, weil Demokrit allezeit lacht, er sei von Sinnen. Sie bitten den Arzt Hippokrates, ihn zu heilen. Dieser fährt hin und unterhält sich mit Demokrit. Die Aufzeichnung dieses Gesprächs – in dem Demokrit in einer langen Tirade die Torheit und Verkommenheit der Menschen schildert, was ihn zum Lachen bewegt – sendet er als Brief seinem Freund Damagetus. Fazit: Demokrit ist keineswegs närrisch, sondern der Klügste von allen.
> https://books.google.ch/books?id=W9BUAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

spätere dt.Übersetzung: Zur Moral, aus dem Griechischen übersetzt von Ernestine Christine Reiske, Leipzig: Buchhandlung der Gelehrten 1782, S. 181–198.
> https://books.google.ch/books?id=W7k-AAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

 

Francesco Petrarca (1304–1374) erwähnt das Philosophenpaar in seinem Buch »De remediis utriusque fortunae« II,89. (Zu diesem Buch mehr hier.)

Dolor (die Personifikation der Betrübnis) beklagt sich, er müsse das schlechte Benehmen der Leute ertragen. Die Vernunft entgegnet: Wenn du das sagst, weil du durch die Liebe (caritas) bewegt bist, ist es lobenswert; aber wenn du durch Hass und Entrüstung getrieben wirst, dann nicht. Und dann: Es gehe einen nichts an, wie andere gesittet seien, sondern es gehe darum, sein eigenes Leben zu ordnen. Dann bringt Petrarca die beiden antiken Philosophen ins Spiel (ohne sie namentlich zu nennen); beide hatten ihren Grund, aber der eine reagierte aus Pietät, der andere aus Überheblichkeit:

Fuerunt hae tamen et Philosophis curae, quorum alter in publicum egrediens semper flebat, alter contra mores hominum ridebat; neuter sine causa, sed illud pietati, hoc superbiae propinquabat. 

Die ersten deutschen Übersetzer (Georg Spalatin und Peter Stahel, 1532 erschienen) folgen genau dem lat. Text:

Doch haben die Philosophen die sorgfeltigkeyt auch gehabt/ von wölchen einer/ wenn er vnder dye leut gieng/ alle zeyt der sitten der leut beweynet/ der ander dagegen/ lachet vnd spottet/ vnd dero  beden keyns on vrsach/ aber das erst hat sich zuo der güettikeit/ das ander zu der hoffart genahet.

Der Übersetzer Stephan Vigilius (1539) setzt dann die Namen ein – allerdings falsch:

Die weisen haben sich offt vnderstanden rechtgeschaffne mores vnd sitten die leut zu leren vnd einzuplewen/ Einer mit namen Democritus  hat/ so offt er vnder die leute kommen/ der selben sitten weinende beklagt. Der ander Heraclitus genant/ dargegen gelachet/ vnd verspottet. …

Der Holzschnitt des sog. Petrarcameisters zeigt eine ausgelassene Gesellschaft zu Trommel und Pfeife tanzen; rechts der tadelnde Philosoph im Profil, der sich die Hand vors Gesicht hält, in der Mitte en face der lachende Philosoph.

Franciscus Petrarcha, Von der Artzney bayder Glück / des guten vnd widerwertigen […]. Augspurg: H. Steyner MDXXXII.
> Digitalisat der BSB bei Google Books: https://books.google.ch/books?id=DB14e6OOOIIC

Das Glückbuoch, Beydes deß Guoten und Bösen: Darinn leere und trost, wess sich menigklich hierinn halten soll. Durch Franciscum Petrarcham vorm. im lateinisch beschriben und yetz grüntlich verteutscht und mit schönen Figuren gezieret, Augspurg: H. Steyner MDXXXIX. > http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10140589.html

Pedro Mexía (1496–1552), »Silva de varia lección«, 1540 referiert die antiken Quellen in einem biographischen Modus, ohne Moralisation. Vgl. die deutsche Übersetzung:

Sylva variarum lectionum : Das ist: Historischer Geschicht-, Natur- und Wunder-Wald, allerhand merckwürdiger Erzehlungen, sonderbarer u. seltzamer Begebenheiten, Auflösung unterschiedlicher, dunckler u. subtiler Fragen, … Nürnberg: Endter, 1669, Erster Theil, 36. Capitel.

Kupfer von Wenzel Hollar (1607–1677), ca. 1650:

I laugh at thiss Madd World :    : But I do Weepe
That Brainsick Mortalls   Such a Coyle Shuld Keepe

> http://www.metmuseum.org/art/collection/search/361743

Emblematik

Das Motiv macht in der Emblematik Karriere (vgl. das Bild zuoberst auf dieser Seite):

Andrea Alciato (1492–1550) übersetzt aus der »Anthologia Graeca« ins Lateinische; Erstausgabe 1531.

Clarissimi Viri D. Andreae Alciati Emblematum Libellus, Parisiis apud Ch. Wechelum 1542; die Übersetzung des lat. Texts in Knittelversen von Wolfgang Hunger:

Das wesen dieser welt.

O Heraclite, nehr dan nye
Bewayn yetz die menſchlichen ſach,
In den ſo uil truebſal vnd mhye:
[Mühe]
Democrite du ſpott vnd lach
Der narrheyt, ſo yetz iſt zwifach
Bey allen ſtenden in gemeyn:
Die weyl wil ich im ſinnen nach,
Ob ich mit ewch lach, oder wayn.

Sodann in neuer Übersetzung:

Liber Emblematum D. Andreæ Alciati … Kunstbuch Andree Alciati … verteutscht vnd an tag geben durch Jeremiam Held … , Franckfurt am Main: Sigismund Feyerabend / Georg Raben / Simon Hüters 1567. > http://www.emblems.arts.gla.ac.uk/alciato/books.php?id=A67a

Heraclite du alter greiß
Thu jetzt beweinen mit mehr fleiß
Deß Menschlichen Lebens unglück
Dann es steckt voller böser tück
Du aber widerumb erschell
Democrite dein glechter hell
Dann lecherlicher zu keiner zeit
Gewesen ist als jetzt die geit
Dieweil ich aber dieses sich
Betracht ich bey mir fleissiglich
Ob ichs mit dir beweinen sol
Oder mit dir verlachen wol.

Johann Theodor de Bry (1561–1623) setzt – wie Bramante und Lochers Zeichner – zwischen die beiden Weisen die Erdkugel – hier in der Form des astronomischen Zeichens für die Erde – und bedeckt sie mit einer Narrenkappe:

Omnia Democritus deridet & omnia deflet
Contra
Heracletus; par est sapientia utriqe.

Emblemata Secularia, Mira Et Iucunda Varietate Seculi Huius Mores Ita experimentia, ut Sodalitatum Symbolis Insigniisque conscribendis & depingendis peraccommoda sint […] Weltliche lustige newe Kunststück/ der jetzigen Welt lauff fürbildende/ mit artlichen Lateinischen/ Teutschen/ Frantzösischen und Niderländischen Carminibus und Reimen geziert … Frankfurt 1596. > http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00024751/image_49 oder (Ausgabe 1627)
> https://archive.org/stream/proscenivmvith01bryj#page/n53/mode/2up

Andreas Friedrich (ca. 1560 bis nach 1617) verwendet die beiden Gestalten auf dem Titelblatt seiner Emblemsammlung, gleichsam als Anleitung für zwei Typen von Lesern, wobei der Bezug zu den Frommen und zu den Bösen etwas scharf formuliert ist. (Petrarca sagt immerhin, dass Heraklit aus pietas, Demokrit aus superbia reagiert.)

Emblemata Nova; das ist/ New Bilderbuch: Darinnen durch sonderliche Figuren der jetzigen Welt Lauff und Wesen verdeckter Weise abgemahlet/ und mit zugehörigen Reymen erkläret wirt: Den Ehrliebenden vnd Frommen zu mehrerer Anreitzung der Gottseligkeit vnd Tugend: Den Bösen aber vnd Ruchlosen zu trewer Lehr vnd Warnung. Mit sonderm Fleiß gestellt durch den Wohlgelehrten Andreas Friedrichen. Francoforti: L.Iennis 1617.
> http://diglib.hab.de/drucke/231-noviss-8f/start.htm
 

Moralisches Schrifttum und Satire

Crispijn van de Passe d.Ä. (1564–1637) gestaltet 1599 eine seltsame Kombination von Motiven: An einem Eingangstor sitzen Heraklit und Demokrit zwischen der Fortuna/Occasio.

Das Tor trägt oben und seitlich eine Inschrift. Die obere erklärt dessen Bedeutung als Porta humanae vitae (Tor des menschlichen Lebens) und die seitliche charakterisiert das menschliche Leben: Homo vanitatis et fortunae ludibrium (Der Mensch ist ein Spielzeug der Eitelkeit und des Glücks). Die Fortuna/Occasio, am Hinterkopf kahl, steht auf einer Kugel (die Instabilität bedeutend), hält in der einen Hand ein Zaumzeug, mit der andern wirft sie Wertgegenstände weg. Vgl. die Artikel von Sibylle Appuhn-Radtke im RDK > http://www.rdklabor.de/wiki/Fortuna > http://www.rdklabor.de/wiki/Occasio

Hortvs volvptatvm, qui sua nihilominus etiam producit moralia. in floridae juuentutis gratia editus ac diuulgatus, 1599  (Kupferstichfolge von 33 Blättern; vgl. Friedrich W. H. Hollstein, German engravings, etchings and woodcuts 1400-1700, Ouderkeerk 1954ff.; Band XV, Nr. 851/2)

Die Distichen unter dem Bild:

Quid, faciam: tecumne fleam, Heraclite: cachinno
     Vel cum Democrito res hominum exagitem:
Nam quis continet risum, plena omnia stultis,
     Quis lacrymas, tanto mista dolore, videns.


(Was soll ich tun: Soll ich mit dir, Heraklit, weinen? Oder soll ich mit lautem Gelächter mit Demokrit die Angelegenheiten der Menschen verspotten? | Denn wer hält das Lachen zurück, wenn er sieht, dass alles voll von Narrheiten ist, wer die Tränen, wenn er sieht, dass alles mit so viel Schmerz vermischt ist?)

Das Bild greift Elemente der Kebestafel (Eingangstor zum Leben mit einer Verzweigung von zwei Wegen) auf > http://www.rdklabor.de/wiki/Cebestafel. Zwar wird hier keine der beiden Figuren/Seiten höher bewertet, aber durch die Anspielung auf die Kebestafel wird die Notwendigkeit einer Entscheidung gezeigt, es handelt sich nicht einfach um die Darstellung zweier Auffassungen des menschlichen Lebens. (Danke, Daniel C., für Hinweis, Anregungen zur Deutung und Übersetzung!)

Peter Lauremberg (1585–1639) schreibt in der »Acerra philologica« (1633) I, 75:

Vom Heraclito und Democrito.

Diese zween seyn fürnehme / berühmte Philosophi gewesen / von gantz widerwärtiger Meynung und Natur. Denn Heraclitus hat allezeit geweinet / und Democritus hat allezeit gelachet. Geweinet hat
Heraclitus, so offt er ist aus seinem Hause unter die Leute gegangen: Denn er hat gesehen und in seinem Hertzen betrachtet / daß alles / was an dem Menschen / nur eitel Elend / Jammer / Noth und Unglück sey / von der Geburt des Menschen an / biß er ins Grab geleget wird. Diß menschliche Elend hat Heraclitus bitterlich und allezeit beweinet. Im Gegentheil hat der Democritus allezeit gelachet / wann er auf der Gassen gegangen: Dieweil er gesehen und behertziget die grosse Thorheit und Eitelkeit des Menschen. Er als einer / der nur allein die Weißheit suchete / und dieselbe hoch hielte / hat alles andere / was die Leute gemeiniglich thun / für Unwissenheit und Narrentheidung gehalten / das billich des Auslachens und Verachtens werth wäre. Daher ist das Sprichwort: Risus Democriti, und dieser Vers Juvenalis:

Perpetuo risu pulmonem agitare solebat Democritus.

Wie zwey Dinge / Lachen und Weinen / gehören zwar dem Menschen eigentlich zu / und keinem unvernünfftigen Thiere. Aber man muß nicht allezeit weinen / und nicht allezeit lachen / als diese beyde Männer gethan: Sondern Weinen hat seine Zeit / und Lachen hat auch seine Zeit. Nun ist das Weinen dem Menschen gleichwol mehr angebohren / als das Lachen. Dann nicht allein alle Menschen / wenn sie auf die Welt kommen / weinen: (Man hat nur das einige Exempel des Königs Zoroastris, der / wie er gebohren alsbald gelachet:) Sondern es hat der HErr Christus unser Seligmacher etlichmal geweinet / als nemlich über Jerusalem / über den verstorbenen Lazarum. Aber daß er jemals gelachet / finden wir in der heiligen Schrifft nicht.

Man hat mehr Ursach zu weinen über die Boßheit / als zu lachen über die Thorheit der Menschen. Vornemlich Christen / weil dieselbigen wissen / daß auf die Sünde folgen wird ein ewiges Weinen
.

Acerra philologica: Das ist: Zwey hundert außerlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, zusammen gebracht auß den berühmsten griechischen und lateinischen Scribenten, Rostock: Hallerford 1633.  > http://www.zeno.org/nid/20005233747

Johann Lauremberg (1590–1658):

Dat Ander Schertz-Gedichte.
Van Allemodischer Kleder-Dracht.

Oftmals bin ick in twifel geseten,
Vnd hebbe mi darin nicht kond tho richten weten,
Wen ick bedachte, wo de lüde sick qvelen,
Vnd eine comedie na der andern spelen,
Vp dem groten teater disser welt,
Dar ein jeder de person ageert de em gefelt.
Wen ick solckes seh, wat ick schal menen,
Off ick darüm schal lachen edder wenen,
Als man schrifft von tween wisen narren,
Der de ein plecht altid grinen, de ander blarren.
Heraclitus altyd weende als eine kleine gör,
De sine plünde* bedahn hefft achter und vör.
Democritus lachde, dat he den bueck muste holden,
Als wen em de kallune daruth springen wolden.
Endlick gedacht ick, »wat sind dat vör saken,
Schold ick bewenen wat andre hebben verbraken? […]«


*) gör: kleines Kind – plünde: Lumpen, Fetzen, scherzhaft für Kleidung

Johann Lauremberg: Niederdeutsche Scherzgedichte [1652], hg. J.M. Lappenberg, (Bibliothek des Litt. Vereins Stuttgart, 1861)
> http://www.zeno.org/nid/20005233682

Friedrich von Logau (1605–1655) überbietet das Motiv noch (er toppt den Topos). Die Verkehrung der Welt (siehe unten die umgedrehte Erdkugel!) geht so weit, dass auch Heraklit und Demokrit ihr unterlägen:

Salomons von Golaw Deutscher Sinn⸗Getichte Drei Tausend, Breßlaw: Caspar Kloßmann 1654

Andres Tausend, Zehendes Hundert, 8.
Zeit⸗Wandel
Wann jetzt Heraclitus lebte/ würd er für das weinen/ lachen:
Und Democritus naß Augen für gewohntes lachen machen/
Weil die Welt so gar gewandelt/ Sinnen/ Sitten/ Arten/ Sachen.

Johannes Scheffler (1624–1677)

VI, 223. Die Welt muß belacht und beweint werden.

Fürwahr wer diese Welt recht nihmt in Augenschein/
Muß bald Democritus / bald Heraclitus seyn.

Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann (1675), Kritische Ausgabe hg. Louise Gnädinger, Stuttgart 1984 (Reclams Universalbibliothek 8006).  Vgl. > http://www.zeno.org/nid/20004431529

Crispijn van de Passe d.Ä. (1564–1637) hat 1635 einen großen Kupferstich gestaltet, der unter dem Titel »De omgekeerde wereld« bekannt ist. In der Nachfolge seines Landsmanns de Bry hat er die Weltkugel

auf den Kopf gestellt. Darin werden die Torheiten (vorne links: Duell; rechts: Männer an einem Spieltisch) sichtbar.

https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/RP-P-1911-291

Democritus belacht die Welt | daß sey sich immer narrish stellt.

Heraclitas thut weinen eben | der torheit groß menshliches leben.

Auf der verkehrten Welt kniet der Teufel mit Sanduhr und Geldbeutel; ein Narr greift herein; daneben Frau Welt (?).
Innerhalb der Welt sind erkennbar: Duell; Spieler an einem Tric-trac; ein Buhler #betastet eine Dame; ein Ermordeter wird weggetragen … Die törichten Menschen tragen eine Narrenkappe.
In den Zwickeln oben Putten; die eine mit Totenkopf und Sanduhr; die andre bläst Seifenblasen.

Es gibt weitere, ähnliche Blätter.

Interessant ist z.B. das Kupfer von Dirck Volkertszoon Coornhert 1557 nach Maerten Van Heemskerck (1498–1574)
> http://www.wga.hu/html_m/c/coornher/democrit.html

 

Anders angelegt ist das Bild von Wolfgang Kilian (1581–1662/3) in einer späteren Auflage von Jacob Balde S.J. (1604–1668), Poema de vanitate mundi, Monachii: Wagnerus 1649. Hier brütet unter der sich in Seifenblasen ent-wickelnden Weltkugel ein Mann, der darüber nachsinnt, ob er lachen soll wie Demokrit oder weinen wie Heraklit:

> https://archive.org/stream/bub_gb_VconVOBCeGsC#page/n6/mode/1up

Ein chaotische Narrenwelt

Jan van der Veen (1578–1659):

Ian vander Veens Zinne-Beelden, oft Adams appel. Verciert met seer aerdige Const-Plaeten mitsgaders Syne oude ende nieuwe ongemeene Bruydt-lofs ende Zege-zangen, t'Amsterdam: Everhard Cloppenburgh 1642.
> https://archive.org/details/gri_ianvanderveen00c2v/page/n7/mode/2up

Umkehrung von Lachen und Weinen

Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) übersetzt 1652 die bunte Geschichtensammlung »Heraclite et Démocrite« von Jean Pierre Camus (1584–1652). Hier das Titelbild (Originalgröße 13 x 11,5 cm):

Heraclitus und Democritus: Das ist: C. Fröliche und Traurige Geschichte: gedolmetscht Aus den lehrreichen Schrifften H. P. Camus / Bischoffs zu Belley; benebens angefügten X. Geschichtreden / aus Den Griechischen und Römischen Historien / zu übung der Wolredenheit gesamlet durch Ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft, Nürnberg: Endter 1661.
> https://books.google.ch/books?id=2aJQAAAAcAAJ

In der Zuschrifft bringt Harsdörffer die beiden Philosophen in Bezug mit den in der Sammlung erzählten Geschichten: Sie [Heraklit und Demokrit] weisen beede auf gantz widrige Weise die hinfallenden und gleichsam auf den Rucken deß Todes fortwallenden Eitelkeiten/ welche/ in hundert traurigen und frölichen Begebenheiten gleichsam in einer gläsern Weltkugel ausgebildet/ auf vorgesetztem Titul zu sehen sind. EE[ure] FF[ürstliche] GG[naden] geruhen/ diese beede Alte mit gnädiger Gewogenheit zuzulassen/ ihre Ursachen deß Weinens und Lachens anzuhören und nach dero Hochfürstl. Verstand mit gnädiger Beurtheilung zu verabscheiden.

Die Erklärung deß Titel-Blats ist eine Zwiesprache zwischen D. und H., die verschiedene Laster (Eitelkeit, Geiz, Duellwesen, Buhlerei, Neid, Schleckerei, Gastmähler, Spiel) in ihren Aspekten durchnehmen. Ein Beispiel daraus und dann die letzten Verse, die der Tod spricht:

Democritus:
Lacht ob dem Schleckerfraß/ lacht ob dem dollen Hauffen/
die mit der Frölichkeit die Trauerreu ersauffen.
Heraclitus:
Weint ob dem Gastgesäuff/ da man Gesundheit trinckt/
daß man kranck/ ecklend/ schwach und in Verderben sinckt.

Der Tod:
Die Welt ist schwaches Glas/ das leichtlich kan zerstucken:
sie waltzt und wallet hier auf dieses Beinmanns Rucken/
Der alt’ Heraclitus wird weinen ob dem Leid/
und wird Democritus laut lachen ob der Freud:
Ja der hier zeitlich weint/ wird dorten ewig lachen/
und der hier frölich lacht/ weint in der Höllen Rachen.
Ach leider endet sich in einem Nu die Zeit/
und alsdann fänget an der Seelen Ewigkeit!

Es folgen dann nebst anderem eine Schutzrede für den weinenden Heraclitum, in der das begründete Trauern gerechtfertigt wird, und eine Schutzrede für den lachenden Democritum, in der das angebrachte Fröhlichsein gerechtfertigt wird. Zuletzt steht ein Ausspruch, in dem es heißt: Alles hat seine Zeit/ Weinen hat seine Zeit/ Lachen hat seine Zeit. Mit den Traurigen soll man traurig und mit den Fröhlichen fröhlich seyn. (Prediger 3,4). Und: Wie in allen Sachen die guldene Mittelstelle die rühmlichste/ also soll ein verständiger Mann sich nicht leichtlich zu Threnen/ auch nicht zu Lachen bewegen lassen; beedes aber zu seiner Zeit und Ort nicht gar vermeiden/ damit er noch unempfindlich noch gar zu ernstlich genennet werde.

 

Der Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt (1736–1783) hat zwei Charakterköpfe gemeißelt, die (evtl. nachträglich) mit Heraklit und Demokrit bezeichnet sind:
> https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Xaver_Messerschmidt


Ergänzungen:

 

Mehrere Autoren haben den Namen von Demokrit gelegentlich verwendet, um satirische Texte zu publizieren:

••• Robert Burton, »Anatomy of Melancholy« [1.Aufl. 1621; 6.Aufl. 1651]: Die lange Vorrede ist betitelt: Democritus Junior to the Reader. Burton verwahrt sich dagegen, er schreibe eine Schmähschrift, wie man das unter diesem Titel erwarte.  Im Verlauf der Vorrede freilich geißelt er alle nur erdenklichen Laster und Torheiten und fragt immer wieder, was Demokrit sagen würde, wenn er jetzt lebte; einmal bekennt er sich direkt zu dessen Meinung: I am of Democritus’ opinion for my part …

Deutsche Übersetzung: Robert Burton, Anatomie der Melancholie, aus dem Englischen übertragen von Ulrich Horstmann, Zürich: Artemis 1988.

Daraus eine Passage:  Heraclitus the philosopher, out of a serious meditation of men's lives, fell a weeping, and with continual tears bewailed their misery, madness, and folly. Democritus on the other side, burst out a laughing, their whole life seemed to him so ridiculous, and he was so far carried with this ironical passion, that the citizens of Abdera took him to be mad, and sent therefore ambassadors to Hippocrates, the physician, that he would exercise his skill upon him. – Dann folgt ein Referat des Briefs des Hippokrates an Damagetus.

••• [Johann Peter Lange] Democritus ridens sive Campus Recreationum Honestarum, cum Exorcismo Melancoliae, Köln: A. Bingius 1648. (Sammlung von Apophthegmata; Auflagen bis 1754):

> http://diglib.hab.de/drucke/144-17-eth-1s/start.htm?image=00003

••• Demokrit steht als Personifikation des Lachens hier:

RISUS

Dum rides lepido tanta est tibi gratia risu
Democriti risus ingeniale decus.

Daß Lachen.
Democrytus von ferne lacht,
bewundert waß die Welt jezt macht.

Vorne steigt – neben dem anmutig lächelnden Mann (Hält er selbstverliebt in der Hand einen Spiegel?) – Demokrit aus dem Grab und zeigt auf die Szene in einem akademischen Gebäude mit einem schreibenden Affen (vor dem gefüllten Büchergestell) und einem zeichnenden Esel (vor antiken Skulpturen) und der Personifikation des Neids / der Missgunst (Steht sie für den Paragone: Wettstreit zwischen den Künsten? Vgl. zur Invidia)

Des berühmten Italiänischen Ritters, Cæsaris Ripæ, allerleÿ Künsten, und Wissenschafften, dienlicher Sinnbildern, und Gedancken, Welchen jedesmahlen eine hierzu taugliche Historia oder Gleichnis beÿgefüget. dermahlige Autor, und Verleger, Joh. Georg Hertel, in Augspurg [vor 1761].

> https://archive.org/details/parsidesberuhmte00ripa/page/n150/mode/1up

> https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11416085?page=141

••• [anonym], Der neue Demokrit, oder der lachende Philosoph, Leipzig/Preßburg: In Der Benediktischen Buchhandlung 1784.
> https://books.google.ch/books?id=EraqcnHHLLIC&hl=de&source=gbs_navlinks_s

••• Eduard Maria Schranka [1850–1916], Der neue Demokrit. 2 Bde., Berlin: Lüstenöder, 1891.

1. Kaleidoskop. (Feuilletonistische Studien, Skizzen und Causerien).

2. Satura; mit Themen wie Fußstapfen, Trinkgeld, Frauenflor, Bleistift, Zahnstocher, Gedankenstrich, Hautmalerei, Druckfehler, Taschentuch, Strumpf, Echo, Barfuß, Excremente, Busen, Dichternamen in der naturwissenschaftlichen Nomenclatur, die Musikinstrumente im Sprichwort, nom de plume, Klapphornpoesie, literarhistorische Bäume, moderne Schriftstellerkrankheiten, die Buchform etc.

••• Eine Gegenüberstellung der philosophischen Positionen von Heraklit und Demokrit (anhand von Diels/Kranz, Fragmente der Vorsokratiker u.a.) findet man bei Hans Leisegang, Denkformen, (Leipzig 1928); zweite neu bearbeitete Auflage Berlin: de Gruyter 1951 im Kapitel "Antinomien" S. 317–319. Z.Bsp.

Heraklit: Die Welt ist ein Organismus ein Ganzes;
Die Zeit ist ein in sich geschlossener Kreis;
Die Menschheitsgeschichte verläuft im Kreislauf, absteigend vom Vollkommenen zu Unvollkommenen un da dann wieder aufsteigend...
Der gegenwärtige Mensch steht auf dem tiefsten Punkte der Kreislinie;
Die Grundstimmung ist pessimistisch.

Demokrit: Die Welten sind ein Mechanismus, ein Aggregat von Atomen;
Die Zeit ist eine an einem Punkt beginnende und ins Unendliche führende gerade Linie;
Die Menschheitsgeschichte verläuft in aufsteigender Liinie vom Unvollkommenen zu immer größerer Vollkommenheit;
Der gegenwärtige Mensch steht auf dem zur Zeit höchsten Punkt der Fortschrittslinie;
Die Grundstimmung ist optimistisch.

••• Salvator Rosa (1615–1673) stellt den einst alles verlachenden, am Ende in Melancholie (vgl. den typischen Gestus!) erstarrten Demokrit so dar:

Democritus omnium derisor
in omnium fine defigitur
≈ D., der einst alles verlachte, ist zuletzt regungslos, erstarrt.
> https://www.metmuseum.org/art/collection/search/416110 und anderswo

Seltsamerweise hat ein Illustrator (evtl. Johann Rudolf Schellenberg, 1740–1806) dieses Bild als Vorlage verwendet für das Titelbild des Neujahrsblatts der Gesellschaft der Ärzte in Zürich, das Kinder als Zielpublikum hatte. Hier geht es darum die Anatomie vorzuführen. Die Figur wird beschrieben als einer, der die Weisheit des Schöpfers bewundert, die sich durch die Vollkommenheit des Baus des menschlichen Körpers vorzüglich auszeichnete.

Ihr erblicket, L. Kinder, auf der Kupfertafel einen Aegyptischen Weltweisen (*), der aus der Betrachtung der Ueberbleibsel von verschiedenen Thieren zur Beobachtung und Erkenntniß des thierischen Körpers gelangt […]

(*) In der langen Fußnote wird die Zergliederungskunst als eine Erfindung der Ägypter dargestellt, wo beim Elnbalsamieren notwendigerweise die toten Körper geöffnet wurden; dann folgen weitere Daten zur Geschichte der Anatomie. Deshalb sieht man im Hintergrund einen Obelisk mit Hieroglyphen.

Aber mit Demokrit und Melancholie, auch mit der menschlichen Anatomie hat das nichts zu tun! (Ein Fall von Bildwanderung)

IItes Stük ab dem Schwartzen Garten auf das Jahr 1787


Weiterführende Literatur:

Werner Weisbach, Der sogenannte Geograph von Velazquez und die Darstellungen des Demokrit und Heraklit, in: Jahrbuch der Preuszischen Kunstsammlungen 49, 1928, S. 141–58. > https://www.jstor.org/stable/23349891?seq=1#page_scan_tab_contents — Grundlegend, mit vielen Beispielen aus der niederländ. und italien. Malerei

Lieselotte Möller, Demokrit und Heraklit, in: RDK = Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954), Sp. 1244–1251.  > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=88943

August Buck, Democritus ridens et Heraclitus flens, in: Wort und Text. Festschrift für Fritz Schalk, hg. Harri Meier / Hans Sckommodau, Frankfurt am Main: Klostermann 1963, S. 167–186. — Nennt noch mehr Quellen als die hier zusammengestellten.

A. Blankert, Heraclitus en Democritus bij Marsilio Ficino, in: Simiolus. Netherlands Quarterly for the History of Art, Vol. 1, No. 3 (1966/1967), pp. 128–135  > http://www.jstor.org/stable/3780409

Thomas Rütten, Demokrit, lachender Philosoph und sanguinischer Melancholiker. Eine pseudohippokratische Geschichte, Leiden: Brill 1992 (Mnemosyne. Supplementum 118).

Hartmut Wulfram, Sehen und Gesehen werden: Der lachende Demokrit bei Horaz und Juvenal, in: Wiener Studien, 124 (2011), S. 143–164. > http://www.jstor.org/stable/24752222 — Gute literaturwissenschaftliche Interpretation der antiken Quellen.

 


 

Online im Dezember 2016 PM + Nachträge, zuletzt November 23