»Anfang und Ende«
Arbeitstagung vom 1. Juli 2006Kolloquium vom 24. / 25. August 2007
Quellenangabe: Emblemata D. A. Alciati, denuo ab ipso Autore recognita ac imaginibus locupletata, Lugd[uni Batavorum] apud Rovilium 1551. »Sapientia sedem habet in capite. Proinde biceps Ianus Sapientem signat: cui est præteritorum memoria & futurorum prouidentia.«
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Programm der zweiten Tagung:
Exposés (alphabetisch):Anfang und Ende – allgegenwärtig. Zur Geschichtsphilosophie von Sebastian Franck.Als mystischer Theologe versuchte Sebastian Franck (1499-1542) die Geschichte als eine »ewige Allegorie« zu denken und damit jeden historischen Sinn einer »Heilsgeschichte« zu untergraben. Es geschieht nach seiner Auffassung zu jeder Zeit »alles«, und von Adam bis zum Jüngsten Gericht sind alle Gestalten und »Geschehnisse«, die in den Heiligen Schriften berichtet und prophezeit wurden, nichts als Symbole für das, was in jedem Augenblick überall geschieht. So werden ihm alle Gegensätze hinfällig, die etwa zwischen Altem und Neuem Testament, zwischen Juden, Christen und Muslimen, zwischen Torheit und Weisheit, zwischen Freiheit und Unfreiheit, zwischen Tun und Lassen aufgerichtet scheinen. Nur das »Sündige« nimmt an der göttlichen Gleichmacherei nicht teil. Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte, These IXMein Flügel ist zum Schwung bereit Die sogenannte ›Goethe-Eiche‹ im Konzentrationslager BuchenwaldEs geht um einen Zeitungsartikel von 1945 zur sog. «Goethe-Eiche» im Konzentrationslager Buchenwald, verfasst von einem Häftling 4935 (aus dem Nachlass von Ludwik Fleck). Die Thematik von Anfang und Ende kommt in diesem Text am Symbol der Goethe-Eiche auf eindrückliche Weise zum Ausdruck. Und es gibt vieles, was ich in meinem Kommentar nur antippen oder gar nicht ansprechen konnte. So heisst es etwa im Erfahrungsbericht des Häftlings, der Strunk der Eiche sei nach deren Brand ausgegraben worden. Doch in der Buchenwald-Gedenkstätte kann man diesen Strunk noch immer besichtigen, was mir dann postwendend ein Leserbriefschreiber bestätigte. Wenn für den Häftling, wie er schreibt, Goethe durch Himmler ausgelöscht wurde, so lässt sich offenbar das Symbol der Eiche nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen. Die Frage von Anfang und Ende stellt sich aber auch noch in anderem Zusammenhang: Die Frage der Verfasserschaft des Textes ist ungeklärt. Zwar gibt es vieles, was auf Ludwik Fleck hinweist, doch ein Beweis fehlt, und als Leser ist man mit der Frage konfrontiert, was es überhaupt heisst, bei einem Text, als dessen Verfasser ein Häftling 4935 zeichnet, die Frage nach der Urheberschaft zu stellen. Artikel von J.Fehr mit Übersetzung des Dokuments in der NZZ 4./5. November 2006, NZZ (Download beim Collegium Helveticum ETH) : Wieder- und Weitererzählen in amerikanischen Fernseh-SerienGemäss Umberto Eco ist das Wiederholen bereits bekannter und bewährter dramaturgischer Muster das A und O des seriellen Erzählens in den Massenmedien. Serienhelden sind aus seiner Sicht als notorische "Wiederholungstäter" zu betrachten, die sich von einer Episode zur nächsten im Kreis drehen, um sich dabei – gewissermassen als Gefangene im Kompositionsmodell eines Gustav Freytag – stets aufs neue der Exposition einer Geschichte, ihrem Höhepunkt und der daraus resultierenden Katastrophe inklusive Konfliktlösung zu stellen. Das würde im Einzelfall bedeuten, dass uns einzelne Folgen etwa der unvergänglichen Columbo-Serie gerade aufgrund ihrer Vorhersehbarkeit gefallen: Wir wissen immer schon zum voraus, dass sich zwischen dem arroganten und zumindest scheinbar vom Glück begünstigten Verbrecher und dem bescheidenen und zumindest am Anfang im Dunkeln tappenden Polizeikommissar mit dem abgetragenen Regenmantel ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel entwickeln wird, und wir kennen aufgrund unserer bisherigen Seh-Erfahrungen auch bereits den Ausgang dieses Spiels. Wenn das Ende im Ursprung liegt: Ausgang und Rückkehr in denselben Grund im Neuplatonismus
»Züglete«. Wo das Ende mit dem Anfang ...Vor dem Wohnen kommt das Zügeln, und nach dem Wohnen steht irgendwann ein nächstes Zügeln wieder an. Ende und Anfang liegen bei der ›Züglete‹ (Wohnungswechsel, Umzug) nahe beieinander. Wo das eine aufhört und das andere beginnt, ist nicht immer eindeutig festlegbar – mit fliessenden Übergängen, durchlässigen Grenzen und allerlei Vermischungen ist zu rechnen. Hier setzt der Vortrag ein: Er nimmt sich vor, den Wohnungswechsel aus alltagskultureller Sicht zu thematisieren, das heisst als ›gängiges‹ Erfahrungsmuster zu beschreiben mit dem Ziel, dieses aufschlussreiche Stück Lebenswelterfahrung und -bewältigung auf einer allgemeineren Ebene zu verorten. Es reizt der Versuch, nach möglichen Gründen einer augenfälligen wissenschaftlichen ›Ausklammerung‹ des hier aufgegriffenen Gegenstandsbereichs zu fragen, gerade weil der Wohnungswechsel unter symbolanalytischen und symbolkommunikativen Aspekten äusserst interessante Strukturmerkmale enthüllt. Sie bestimmen einen rite de passage der besonderen Art, indem sie einen liminalen ›Ausnahmezustand‹ zwischen Ende und Anfang konfigurieren. Er gilt temporär für die betroffenen Akteure ebenso wie für eine Vielzahl von (symbolbesetzten) Objekten, die während der Zügeltage einer eigenen Wertedynamik ausgesetzt werden, bevor sie in anderen Ordnungen neu funktionieren. »Aristoteles über den Anfang und das Ende von ›Geschichten‹ (7. Kapitel der Poetik)«Die Aristotelische Bestimmug des Anfangs und des Endes von »Geschichten« im 7. Kapitel seiner Poetik (»Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt«) erweckt den Anschein, als bräche an den Rändern einer Geschichte jegliche Notwendigkeit ab. Demgegenüber soll anhand von Beispielen gezeigt werden, dass vor dem Auftreten und nach dem Aufhören jener Ereignisse, die durch die ›Natur‹ einer literarischen Gestalt oder einer literarisch dargestellten Welt bedingt sind und insofern ›wesensnotwendig‹ genannt werden können, eine ›einfache‹, nicht streng wesensrelevante Kausalität sehr wohl am Werke sein kann. In beiden Fällen erweckt indessen die kausal so oder anders festgefügte Handlung den Eindruck, wie wenn die Geschichte selber sich erzählen, wie wenn sie ihre Grenzen gleichsam selber bestimmen würde. Wenn nun die Hegelsche Bestimmung zu Recht besteht, wonach im Anderen bei Eigenem zu sein das gleiche ist, wie frei sein, wenn des weiteren Schiller mit seiner Definition, Schönheit sei Freiheit in der Erscheinung (wobei in »Erscheinung« sowohl die Versinnlichung als auch die Scheinbarkeit mitschwingt), ebenfalls Recht behielte, dann könnten wir die Aristotelische Bestimmung des Anfangs und des Endes ästhetisch begründen, d. h. verständlich machen, warum Aristoteles (der Sache, nicht notwendig seiner subjektiven Intention nach) Anfang und Ende auf die obige Art bestimmte, warum er überhaupt die Forderung nach Ganzheitlichkeit aufstellte und warum grosse Literatur auch unabhängig von ihm eher zur Ganzheitlichkeit tendiert als zum Gegenteil, warum uns – mit einem Wort – abgerundete Geschichten gefallen. Hier den PDF-File herunterladen (Copy & Paste sowie Ausdruck nicht möglich!) Eingangs- und Schlussformneln und ihre symbolischen und psychologischen Funktionen im Märchen »Das Märchen ist]eine kürzere volksläufig-unterhaltende Prosaerzählung von phantastisch-wunderbaren Begebenheiten und Zuständen aus freier Erfindung ohne zeitlich-räumliche Festlegung.« (Sachwörterbuch der Literatur) Und doch werden Märchen von Vielen als bildhafte Wiedergabe der Wirklichkeit betrachtet. Das heisst u.a. dass von Psychologen und Psychiatern in diesen Erzählungen seelische Wirklichkeiten wahrgenommen werden. Die anthropologisch-literaturwissenschaftliche Forschung erblickt in der Textsorte Märchen auf der anderen Seite eine »existenzerhellende Wesensbestimmung des Menschen« (Max Lüthi). All dies schliesst nicht aus, dass zwischen (Zauber)märchen und Lüge doch immer wieder eine Verbindung wahrgenommen wird. (Vgl. etwa die Redewendung: »Erzähl mir keine Märchen!«). Schöpfung und Apokalypse. Vom Anfang und Ende der Welt in der MusikDie Musik ist im Gegensatz zu den Bildenden Künsten und zur Dichtung ein klingendes Phänomen, das sich im Ablauf von Zeit entfaltet und dessen vollständiges Erscheinungsbild sich erst mit ihrem Ende erschließt. Sie hat Topoi für ihr Beginnen und Enden herausgebildet, über die Hans Meierhofer bei der Arbeitstagung 2006 berichtete. Erzählen: Anfangen, Fortfahren, Beenden, Abbrechen.Die Infinitive heben hervor: Erzählen steht hier zur Debatte als Tätigkeit, sogar als potentiell infinite. Beobachtet wird sie an geräumigen Großkonstruktionen: an Epen wie der Odyssee, an Romanen wie Don Quijote, an Novellen-Zyklen wie dem Decamerone. Dabei fällt allemal ein bemerkenswertes Ungleichgewicht auf zwischen dem poetischen Aufwand des Anfangens und des Endens. Dies wäre ebenso zu erklären wie das Verhältnis von erzählendem Nacheinander und erzählendem (scheinbaren) Nebeneinander. Beides bietet Anhaltspunkte für die Frage nach Anfang und Ende. Von der Realität in die Fiktion und zurückIn einer Sammlung von Interpretationen mündlich vorgetragener Dichtung stellte der schwedische Literaturwissenschafter Lars Lönnroth 1978 fest, dass der Vortragende fast immer eine Brücke baut zwischen der Wirklichkeit, in welcher sich er und sein Publikum befinden, und der Fiktionswelt, die er dem Publikum glaubhaft machen will, und oft erinnert er es auch am Schluss an die Vortragssituation, z.B. indem er sich verabschiedet. Nirgends ist dieses Markieren von Anfang und Ende so institutionalisiert wie in der gesungenen Rimur-Dichtung, die auf Island ein halbes Jahrtausend lang die produktive Form von Epik war. Eine Rima ist ein Vortragsabschnitt, und in den ersten 10-15 Strophen spricht der Dichter/Sänger in eigener Person. Die Bezeichnung dafür, Mansöngur (Liebeslied), deutet auf eine Konvention im Umkreis höfischer Liebesdichtung; ebenso oft rekflektiert der Sänger aber über Gott und die Welt und seine eigene Situation, erinnert das Publikum an das, was in der Geschichte vorangegangen ist, oder nimmt das Kommende voraus. Oder er bietet einen Apparat von poetischen Wörtern und mythologischen Bildern auf, um zu sagen "Ich dichte" und sich so von der Alltagswelt abzugrenzen. Auch der Abschluss einer Rima, meist nur 1-2 Strophen, kleidet die Feststellung "Nun höre ich auf" gern in mythologische Metaphern ein. Der Aufsatz als Internet-Vorauspublikation als PDF-File (Copy&Paste sowie Ausdrucken nicht möglich). C. G. Jungs Wiederbelebung von Freuds »archaischem Rest«. Das Konzept des Seelischen als eines unaufhörlichen Stroms archetypischer BilderAm Anfang von C. G. Jungs psychologischer Arbeit stehen die experimentellen Assoziationsstudien, die Jung in seinen Lehrjahren an der Psychiatrischen Universitätsklinik ›Burghölzli‹ in Zürich durchführte. Beginn ist nicht Anfang. Zum ersten Wort der ToraWeshalb beginnt der Text Genesis 1, der vom Anbeginn kündet, in der Ursprache mit dem zweiten Buchstaben (Bet), und nicht vielmehr mit dem ersten (Alef) des Alefbets? Sowohl der Talmud als auch die Kabbala schenken dem Wort »Bereschit« (»Im Anfang«) allerhöchste Beachtung, und die eingangs gestellte Frage findet ganz verschiedene Antworten und Begründungen, die jedoch alle gleichermaßen dazu dienen, das Wort wirksam zu machen. Im Talmud wird zum Beispiel diskutiert, ob Gott zuerst den Himmel und dann die Erde schuf oder umgekehrt, oder ob er alles auf einmal schuf. In der Kabbala wird davon ausgegangen, dass schon im Anfang eine Zweiteilung bestand und der Vorgang der Schöpfung deshalb an zwei Orten stattfand, einem mystischen oben und einem materiellen unten. Die Argumente für solche Lehrmeinungen stützen sich unter anderem auf die Wortbedeutung der Buchstaben und deren Zahlenwert. Das Referat soll das eigentümliche jüdische Nachdenken über Anfang und Schöpfung näher bringen. Der Mythos vom lauten Anfang und vom leisen EndeIn diesem Beitrag soll vieles von folgenden Themen verhandelt werden: der Urknall, der Wärmetod des Universums und natürlich auch die Ewigkeit. Das alles soll im Rahmen der Textsorte Essay geschehen, wo es darum geht, von Problemen zu erzählen. Dabei soll vermittelt werden, dass auch das Weltbild der Naturwissenschaften eine Große Erzählung von Anfang und Ende aller Dinge ergibt, eine Kosmogonie, die den Vorzug hat, zugleich Kosmologie zu sein und also ohne Nachteil fundamentalistisch gelesen werden zu dürfen, da sie jederzeit revisionsfähig ist und also immer nur den Anspruch einer vorläufigen Wahrheit hat. Wenn neues Wissen erworben worden ist, kann sie, ja muss sie ergänzt, vielleicht sogar grundlegend verändert werden. Dieser fundamentale Unterschied zwischen offenbartem (und damit ewig gültigem) und selbst erworbenem (und damit immer relativem) Wissen führt in unserem Alltagsleben jedoch keineswegs zu einer neuen Praxis im Umgang mit solchen Geschichten. Die Pointe meines Versuchs besteht vielmehr gerade darin zu zeigen (nicht zu erklären), wie wir uns inzwischen in der neuen Großen Erzählung eingerichtet haben als sei sie ein veritabler Mythos. Wir gehen mit ihr nicht wesentlich anders um als beispielsweise die Menschen des Mittelalters mit den Schöpfungsberichten der Genesis. Anfang und Ende in der MusikIntroduktion, Präludium, Ouvertüre – Halbschluss, weiblicher Schluss, Trugschluss: Wie beginnen Musikstücke, wie hören sie auf? Ursprung Ziel des Menschen nach Aristoteles – mit einem epikureischen NachsatzDer Mensch bestimmt sich in verschiedenen Epochen verschieden. Er sieht sich einmal als Maß aller Dinge, dann als Geschöpf Gottes, einmal als Mängelwesen, dann als animal rationale, er hält sich für einen solus ipse, für den Traum eines Schattens, er reduziert sich darauf, Erbringer und Konsument wirtschaftlicher Leistungen zu sein, Vom Huhn und vom Ei. Zum Verhältnis von Anfang und Ende beim SchreibenLiteraturwissenschaft befasst sich in der Regel mit Fertigem. Eine Erzählung liegt vor, sie lässt sich mit anderen vergleichen, zergliedern, auf ihre Varianten hin untersuchen und – hoffentlich – darauf noch mehr geniessen. Für einmal nun soll aber nicht das Fertige im Mittelpunkt stehen, sondern die Vorarbeit. Aus der ursprünglichen Idee zu einer Geschichte muss eine Handlung entstehen, Figuren sollen die Geschichte bevölkern – und eben: an einem Punkt muss die Geschichte einsetzen und an einem anderen Punkt aufhören. Wer eine Geschichte erzählen will, muss vor dem Erzählen Anfang und Ende kennen. Allerdings zeigt sich, dass Anfang und Ende zunächst gar nicht so klar getrennt sind: Der Schluss kann am Anfang stehen, der Anfang in der Mitte und die Mitte in den Sternen. Ein grosser Teil der Arbeit beim Schreiben besteht darin, eine Ordnung herzustellen oder die Gesetze der Geschichte zu entdecken. Anhand eines Beispiels versuche ich zu zeigen, wie aus einer Idee eine Geschichte entsteht, welche Bedeutung dabei Anfang und Ende haben und wie sie aufeinander einwirken. Dabei sollen auch einige anerkannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu Wort kommen und von ihren Erfahrungen berichten. Harry Potter und die endlose Folge der AnfängeDie Harry Potter Serie ist als literarische Reihe ein eher seltenes Phänomen. Es handelt sich nicht (nur) um eine Serie von Büchern, die sich um individuelle und klar voneinander abgrenzbare Abenteuer einer Hauptperson drehen, sondern vielmehr um ein einziges Werk, welches in aufeinander aufbauenden Episoden angeordnet ist: eine sogenannte Cumulative Narrative. : Anfang und Ende im Spiegel des TraumsVon aussen gesehen scheint der Traum Anfang und Ende zu haben, wobei das Ende oft mit dem Erwachen identisch ist. Von innen gesehen aber ist es anders: Wahrend wir träumen, wissen wir in der Regel gar nicht, dass es ein Traum ist. Wir sind in einer wirklichen Welt, in der wir uns irgendwie vorfinden, und die mit einer bestimmten oder unbestimmten Vergangenheit verbunden ist, genau wie die Welt im Wachen. Und das Ende wird dem Traum gleichsam von aussen durch das Erwachen gesetzt. Solange wir noch träumen, steht uns immer noch eine Zukunft bevor, die auch betont sein kann, zum Beispiel in Angstträumen, wo etwas Gefährliches auf uns zu kommt. Aus der wiederum anderen Perspektive der Deutung aber können sich Anfang und Ende symbolisch im Traum spiegeln, zum Beispiel in Geburtsträumen, in denen wir aus Höhlen oder Gängen hervorkriechen. Träume spiegeln unsere Wandlung zwischen Anfang und Ende. Das Weltende kann sich in Anspielungen an das Jüngste Gericht im Traum ankündigen. Aber diese Bedeutungen werden in der Regel erst in der Durchdringung der Welten des Traums und des Wachens sichtbar, die im Erwachen geschieht. Links und rechts der Müeslischüssel. Symbole und Ritualisierungen im SanatoriumsalltagDas Sanatorium »Lebendige Kraft« des Zürcher Naturheilarztes und Müesli-Erfinders Max Bircher-Benner zählte im frühen 20. Jahrhunderten zu den weltweit erfolgreichsten und berühmtesten Einrichtungen seiner Art. Dort praktizierte Bircher-Benner mit seinen Patienten die von ihm so genannte »Ordnungstherapie«. Zur vegetarischen und auf Rohkost ausgerichteten Verpflegung sowie physikalischen Therapien mit Licht und Wasser kam ein recht strenger Tagesablauf mit früher Tagwacht, Spaziergängen, Freiluftübungen und frühem Zubettgehen. Der Patient Thomas Mann nannte das Sanatorium 1909 ein »hygienisches Zuchthaus«. Auch der Anfang und das Ende des Sanatoriumsaufenthalts waren in diesem Sinne streng formalisiert. Insbesondere der Eintritt in die Klinik war ein mit Symbolen angefülltes Ritual: Das eigenhändige Ausfüllen des Dossiers durch den Patienten, das Eingangsphoto, die Eingangsuntersuchung und die symbolische Aufnahme in die Klinikgemeinschaft durch Übergabe des personalisierten Pflichtenheftes mit den »Kurvorschriften«. Der Erfolg der Klinik dürfte nicht zuletzt auf diese Symbolisierungen und Ritualisierungen zurückzuführen sein, die den Patienten einen festen Orientierungs- und Interpretationsrahmen vorgaben.
Auch diese Tagung und ihre spätere Publikation wurde finanziell unterstützt von der SAGW: |