Anatomie, Teratologie der NeuzeitZur Beachtung: Bei dieser Seite handelt es sich um eine Skizze, die noch mit Fehlern behaftet ist. Die gültige (und einzig zitierbare) Version befindet sich im Buch »Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen«
Von den Monstra zur AnatomieMan hat Missgeburten nicht einfach so hingenommen, sondern immer wieder gefragt, woher es denn komme, dass gewisse Kinder oder Tierjunge nicht normal sind. Mit Problem der Entstehung menschlicher Missgeburten haben sich vor allem die Ärzte immer wieder abgemüht. Wir können nur einige wenige Dinge herausgreifen. Zunächst seien einige wichtige frühe Autoren chronologisch anhand der Erstdrucke ihrer Werke aufgelistet:
Zur Teratologie (die Lehre von den Ungeheuern, von griechisch τέρας) gibt es eine reiche wissenschaftsgeschichtliche Literatur. Man muss aufpassen, dass man nicht dem Klischee von einer historischen Entwicklung auf dem Leim geht, das besagt, der Aberglaube des finsteren Mittelalters sie in der Renaissance und in der Aufklärung überwunden worden. Die Berichterstatter, die eine Missgeburt vor Ort sehen konnten, waren an einer empirischen Beschreibung interessiert. So berichtet ein Flugblatt aus dem Jahre 1512: Der muoter ich ein trinckgeld gab/ Gar freuntlich bat ich die frawen/ das sy michs ließ hindten beschawen. Sy want die kinder hyndten umb/ also gesach ichs umbedum. (zitiert bei Ewinkel S. 122) Albrecht Dürer hat 1512 eine zweiköpfige Geburt im Dort Ertingen gezeichnet; er schreibt dazu: … und sy wurden getawft das eine hawbt nant man elspett das ander margrett. (Oxford Asmolean Museum) –. Ärzte waren bestrebt, eine Missgeburt nach dem oft wenige Stunden nach der Geburt erfolgenden Tod zu sezieren. Überlebende Missgeburten waren auch an Jahrmärkten ausgestellt. Aber es war halt nicht immer ein Zeichner dabei, der den Befund im Bild festhalten konnte; und so wurden die Bilder oft aus den Berichten rekonstruiert, wobei die Clichées in den Köpfen den Zeichenstift führten. In den einschlägigen Publikationen gab es trotz gelegentlicher empirischer Anschauung ein langes Neben- und Durcheinander von realistischen und phantastischen Vorstellungen. Dass Conrad Lycosthenes sich aller verfügbaren Materialien bedient hat, um sein Prodigienbuch (1557) zusammenzustellen, ist irgendwie verzeihlich. Wir staunen aber darüber, was erfahrene und praktisch tätige Leute als zusammengehörig empfunden (oder mindestens der Leserschaft zugetraut) haben. So stehen beispielsweise im 1554 erschienenen Hebammen-Lehrbuch des Zürcher Chirurgen Jacob Rueff (1505–1558), der doch einen realitätsnahen Blick auf die Sache gehabt haben muss, natürliche Missgeburten (wie siamesische Zwillinge) unmittelbar neben phantastischen Prodigia (Monstra von Krakau und Ravenna, das Mönchskalb, ein Elefantenhäuptiger) direkt und kritiklos nebeneinander (5. Buch, 3. Kapitel). Die Bilder hat er offensichtlich der illustrierten Ausgabe des Julius Obsequens (Basel 1552) entnommen.
Aber auch andere Erforscher des Monströsen mischen munter realistische und phantastische Wesen, so Pierre Boaistuau 1561, Ambroise Paré 1573, Fortunio Liceti 1619/1665, Ulisse Aldrovandi 1642. Fortunio Liceti (1577–1657) schreibt ein Kapitel (Lib. II, Cap. LVIII), in dem er behauptet, solche Mischwesen gebe es tatsächlich: Monstra multiformia, diversas animalium species in eodem genere proximo referentia, non esse figmenta, sed in rerum natura reperiri. – Die Bildtradtion ist offensichtlich.
Ursachen (teratologische Aitiologie)Im neuzeitlichen Sinne physiologische Überlegungen zur Entstehung der Missgeburten hat zuerst Aristoteles (384–322) in seiner Schrift über die Zeugung der Lebewesen (de generatione animalium IV,3–4) angestellt. Falsche Temperatur oder ein falsches Mengenverhältnis der männlichen und weiblichen Zeugungsstoffe sieht er als Ursachen, die verhindern, dass der entstehende Keim nicht zu seinem Ziel (zu seinem telos) gelangen kann. Spätere Autoren hielten auch eine Vermischung von Arten (beim Menschen also durch Zooerastie) für möglich. Die Schrift des Aristoteles wurde im Mittelalter ins Lateinische übersetzt und fand Eingang in Traktate und Enzyklopädien (z.B. Vinzenz von Beauvais † 1264, »Speculum naturale«, 1624 gedruckt).
Die Ursachen der Missgeburten (Causæ conceptuum monstrosorum) hat der Basler Anatom Caspar Bauhin (1560–1624) in seinem Werk »De Hermaphroditorum monstrosorumque partuum Natura« 1614 taxonomisch klassifiziert:
Interessant ist, dass er die Einwirkung eines Dämons oder das Beiwohnen eines Incubus nicht erwähnt, was etwa bei Ambroise Paré (»Des Monstres«, 1573) eine Rolle spielt. Beim Aufbau des Buches folgt Bauhin nicht seinem Schema. Überhaupt haben sich diese Autoren offenbar auch zurechtgelegt, dass die verschiedenen Ursachen zusammen wirken können, zum Beispiel so: Die spielende Natur bzw. der unergründliche Gott bedient sich irdischer, physiologischer Ursachen, um ihr/sein Werk zu realisieren. Jacob Rueff ist bemüht, übernatürliche (Gottes Strafe), psychische (Schrecken) und physiologische (schwacher Same) Ursachen in Einklang zu bringen:
Wir greifen im folgenden zwei Ursachen heraus: den Einfluss sündhaften Verhaltens und denjenigen psychischer Affekte. SündeDass sündhaftes Verhalten Gebresten beim Sünder selbst oder bei dessen Nachkommen Entstellung bewirkt, ist eine alte Vorstellung (vgl. z.B. Johannesevangelium 9,1f.). Soweit die Monstra in der Flugblattliteratur des 16. Jhs. nicht als Vorzeichen von Gottes Zorn verstanden wurden, wurden sie als Folge von Fehlverhalten gedeutet. Dabei gibt es zwei Varianten: die Schuld wird der ganzen Gemeinschaft zugewiesen oder den Eltern. Die erste ist relativ langweiilig: die Missgeburten werden als Folge der pandemischen Sündhaftigkeit gedeutet: Kirchenspaltung, politischer Aufruhr, übertriebener Luxus, Gotteslästern, Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen, generell Sittenzerfall. Hier zwei Beispiele für den Fall, wo die Schuld direkt bei den Eltern gesucht wird: Dieses Monster ist in Arnheim geboren worden. Es ist die Auswirkung der Gottlosigkeit eines Ehemanns, der seiner Frau Übel und Leid (quaidt = mhd. kât) angewünscht hat (gegen das 6. Gebot »Du sollst nicht schwören« 3.Mose 19,12; 4.Mose 30; Matth 5,33). Das Ereignis soll für alle Leute ein Spiegel sein. — Das Flugblatt ist datiert auf den 20. Juli 1579. – Vgl. Harms/Schilling: Deutsche illustrierte Flugblätter, Tübingen, 1997, VII, 126. Wickiana PAS II 16/7 Hier aus Hans Fehr, Massenkunst im 16.Jahrhundert. Flugblätter aus der Sammlung Wickiana, Berlin 1924, S.24 Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) bringt in einer Anleitung zum Briefeschreiben im Kapitel über »Nachsinnige Juristische Historische und Philosophische Briefe von seltnem Innhalt. Aus der Naturkündigung und Sittenlehre genommen« einen Muster-Brief "Von einer Mißgeburt in Catalonia" (»Der teutsche Secretarius, das ist, Allen Cantzleyen- Studir- und Schreibstuben nützliches fast nohtwendiges und zum vierdten Mal vermehrtes Titular- und Formularbuch, …« Nürnberg: Endter [1.1655; hier zitiert nach der Ausgabe] 1661I.Band, Kapitel X, Nummer 31; Hin und wieder finden sich Berichte von Monstren in abgelegenen Quellen). Der Brief berichtet von einer "Abbildung einer fast unerhörten und scheußlichen Mißgeburt", die 1654 in Catalonien gefunden worden sei. "Dieses Monstrum hat 7. Köpffe/ 13. Augen/ 7. Arme und Hände/ an dem mitlern Kopff nur ein Aug/ rüllet und brüllet mit unvernemlicher Stimme/ ist unterhalb der Brust einem Geisbock nicht ungleich." Der (fingierte) Briefpartner bittet den Schreiber um eine Beurteilung. Dieser antwortet: "Es ist gar vermuthlich ein Spanischer Hirt habe sich mit einer geilen Gemse vermischt/ und […] ist zu glauben/ daß diese Mißgeburt daher eine halbe menschliche und halb viehische Gestalt genommen." Die Pointe ist indessen nicht so sehr eine naturkundliche, sondern eine moralische, es geht um die Zooerastie: "sich mit dem geilen Viehe zubeflecken/ welches GOtt der Herr mit dem Feuer zu straffen befohlen." [vgl. Wer mit einem Tier Verkehr hat, wird mit dem Tod bestraft. 2 Mose 22,18] Dann folgen Auszüge aus vielen Naturwissenschaftler zur Frage der Vermischung der Arten. Die Mehrköpfigkeit wird physiologisch erklärt aus der Beschaffenheit des männlichen Samens. Harsdörffer kann sich zum Schluss eine allegorische Auslegung nicht verklemmen.
VersehzauberLange Zeit war man davon überzeugt, dass heftige Affekte, Phantasien der Frau oder das Sehen bestimmter äusserer Erscheinungen bei der Empfängnis oder während der Schwangerschaft einen Einfluss auf das werdende Kind hätten. Das deutsche Wort ›Versehen, sich versehen‹, vgl. Grimmsches Wörterbuch, Band XII/I, Spalte 1256, meint nicht ›to provide with‹, sondern das Präfix ›ver-‹ drückt wie bei ›sich ver-laufen, sich ver-schreiben‹ aus, dass das vom Verb Gemeinte falsch herauskommt. Das Wort scheint bei Christoph Irenäus, De monstris von seltzamen Wundergeburten (1584) das erste Mal belegt zu sein. Das Phänomen wird im Lateinischen als ›imaginatio gravidarum‹, im Englischen als ›maternal impression‹ bezeichnet. Isidor von Sevilla († 636) – der bedeutende Vermittler antiken Wissens ins Mittelalter – berichtet, dass man, wenn man Stuten deckt, ihnen edle Pferde zeigt, damit sie Ähnliche empfangen und werfen können. Ebenso verordnen Ärzte den Schwangeren,
Fasizinierend an der Idee war einerseits, dass die Eltern eine Erklärung für Missgeburten bekamen, und dass die Intellektuellen einen Beweis für den Einfluss des (hierarchisch höher rangierten) Psychischen auf das (nierigere) Physische hatten. Vor allem im 17.Jahrhundert wruden viele Theorien aufgestellt, wie die Impression über die Körpersäfte einen Einfluss auf das Sperma oder den Fötus haben könne; im 19. Jh. hat der »magnetische Rapport« nochmals ein Deutungsmuster abgegeben. Solche Vorstellungen haben dazu geführt, die Schuld an Missbildungen den Frauen anzulasten, und sie haben die Disziplinierung der Frauen verstärkt, die zur Häuslichkeit angehalten wurden. (Solche gender-bezognene Aspekte beleuchtet Ewinkel im Kapitel 6.1) Conrad Lycosthenes berichtet zum Jahr 1282:
Was die mit dem Papst – damals Martin IV. – verwandte Dame in seinen Gemächern gesucht hat? Ob dessen Vorgänger Nikolaus III., mit bügerlichem Namen Gian Gaetano Orsini, dort hatte Bilder von Bären (italien. ›orsi‹) anbringen lassen, an denen sich die Frau versah? Die Entstehung von Monstres qui se font par imagination kennt auch Ambroise Paré 1573. Man achte darauf, wie sorgfältig er die Beobachtung durch Ortsangaben und Nennung von Personen abstützt:
Die Vorstellung des Versehens wurde von einigen Medizinern aber auch schon früh als Hirngespinst abgelehnt. Ein Beispiel dafür ist die 1727 ertmals erschienene Schrift »The strength of the imagination of pregnant women examined, and the opinion, that marks and deformities are from them, demonstrated to be a vulgar error« von Jacob August Blondel († 1734), deren Argumente dann Albrecht von Haller in seiner Physiologie 1766 wieder aufnehmen wird. In der »Oeconomischen Enzyklopädie« von Johann Georg Krünitz und seinen Nachfolgern findet sich in Band 216 (1853) folgendes zum »Versehen«:
Arthur Schnitzler hat den Versehzauber in »Andreas Thameyers letzter Brief « (1900 entstanden, 1902 erschienen) spöttelnd aufgenommen. Der Briefschreiber rechtfertigt darin, dass das schwarze Kind seiner Frau nicht auf ausserehelichen Beischlaf, sondern eben auf ein Versehen – im Tiergarten, wo Neger ihr Lager aufgeschlagen hatten – zurückzuführen sei. Er zitiert unter anderem Welsenburg – von dessen eben erschienenen Büchlein sich der Arztkollege Schnitzler wohl hat anregen lassen.
Isidore Geoffroy Saint-HilaireIsidore Geoffroy Saint-Hilaire (1805–1861) setzt in seiner umfangreichen »Histoire générale et particulière des anomalies de l’organisation chez l’homme et les animaux« (1832–37) neu an. Er geht davon aus, dass es für jede Art einen Bauplan, ein Organisationsgesetz gibt, von dem Individuen abweichen können. Zur Erklärung dienen ihm Fehlentwicklungen in der Embryogenese.
›Siamesische Zwillinge‹Der damalige Herausgeber der von Johann Georg Krünitz begonnenen »Ökonomisch-technologischen Enzyklopädie«, Heinrich Gustav Flörke, fügt im 101. Theil (1806) im Artikel »Naturspiel« einen Passus über Naturspiele der Menschen ein.
Nach der Einschaltung über die siamesischen Zwillinge fährt das Lexikon dann fort mit dem Artikel »Naturspiele bey Thieren, welche einige Theile zu viel hatten«: eine in Weingeist aufbewahrte Eidechse mit zwey Köpfen, Berichte von Aelian, Aristoteles, Fortunato Liceti u.a.
Seltsame ProblemeBei menschlichen Missgeburten stellten sich Probleme, an die wir heute weniger denken. Sie entstehen, wenn etwas Widernatürliches einem kirchliche Dogma – das auf den Normalfall ausgerichtet ist – in die Quere kommt.. Für einen ausserhalb des Begründungszusammenhang stehenden Beobachter erscheinen diese Probleme oft recht absurd, und fragwürdig erscheint dann eher diese dogmatische Lehre als das (nicht wegzudisputierende) ausser-ordentliche Wesen. Augustinus (354–430) behandelt in seinem »Enchriridion« (das ist ein Handbüchlein des Christentums für einen gebildeten Römer; verfasst um 421) die Auferstehung:
Das andere Problem betrifft die Taufe von zusammengewachsenen Zwillingen. Der in Zürich monatliche erscheinende »Historische und politische Mercurius« berichtet zum 31. August 1698, in Frankreich habe eine Frau ein Kind mit 2 Köpfen/ 4 Aermen/ drey Beinen/ und 2 Männlichen gliedern/ mit einem einigen Leib und einem einigen Bauch geboren. Das Kind sei mittlerweile zwanzig Daumen hoch und werde an der Messe zu S. Lorenz gezeigt. Inzwüschen wird gefraget/ ob dises Kind zwo Seelen habe/ und wann dieses/ ob beyde getauft worden. Dann die Hebamm/ welche selbiges im vorbey gehen getauft [offenbar eine Nottaufe wegen der schwierigen Geburt] / hat vermeint/ sie tauffe nur ein Kind. Übrigens ist die Frage noch 1917 aktuell. Im (bis 1983 gültigen) Codex Iuris Canonici steht Can. 748: Monstra et ostenta semper baptizentur saltem sub conditione; in dubio autem unusne an plures sint homines, unus absolute baptizetur, ceteri sub conditione. – Missgeburten und Missbildungen werden immer getauft, wenigstens sub conditione [unter Vorbehalt, wenn es fraglich ist, ob der Täufling überlebt]; im Zweifel aber, ob es einer oder mehrere Menschen sind, wird einer auf jeden Fall, die andere sub conditione getauft.(Zur Frage des Taufens: Ewinkel S.208–226) Im Supplément zur Encyclopédie (Tome troisième, 1778, p.955 sq.) steht ein Artikel »Monstre (Médecine légale)«, in dem die Frage aufgeworfen wird, Wann Missgeburten als Menschen gelten sollen und dem entsprechende rechtsfähige Personen seien – allerdings ohne dass die Sache klar entschieden würde. Solche Bilder geistern auch heute immer wieder durch die Presse und das World Wide Web und irritieren uns:
Die zusammengewachsenen Zwillinge Abigail und Brittany Hensel (geboren 7. März 1990) erfreuen sich bester Gesundheit, spielen Klavier, treiben Sport, haben die Autofahrprüfung bestanden – wie man sich auf YouTube versichern kann. Das Phänomen berührt uns vielleicht deshalb, weil wir irritiert sind über der Frage, ob hier zwei Menschen zusammengewachsen oder ein Mensch in zwei Köpfe gespalten sei. Hat dieses Wesen einen einzigen Führerschein? Und wer ist schuld, wenn es/sie einen Unfall baut/bauen? Aber jeder der Köpfe hat sicher ein eigenes Cell Phone, oder? Spürt der linke Teil (oder die linke Person?) den Arm des rechten Teils, wenn sie ihn anfasst, als eigen oder fremd? Wie spielen sie Klavier? (Doch wohl so wie normale Menschen vierhändig spielen.) Können sie Meinungsverschiedenheiten bezüglich Zielen haben? Wenn das rechte Hirn demselben Bein befiehlt, es solle sich beugen, aber das linke Hirn, es solle sich strecken, was tut das Bein dann? Was bei einer Affizierung des unteren, gemeinsamen Leibes geschieht, wagt man sich nicht auszudenken: Wer empfindet dann was und dasselbe? Das Phänomen rührt mithin an die Frage, was ein Individuum oder eine Person ausmache. Mit dem Ansatz von John Locke (1632–1704) kommt man da nicht weit: "to find wherein personal identity consists, we must consider what person stands for; which, I think, a thinking intelligent being, that has reason and reflection, and can consider itself as itself, the same thinking thing, in different times and places; which it does only by that consciousness which is inseparable from thinking." (»An Essay Concerning Human Understandig«, Book II, Chapter xxvii, § 9: Of Identity and Diversity)
Erklärungsmuster für Herkunft oder Funktion von MonstraKleine Anthologie der Meinungen im Lauf der Geschichte(Ilias X, 275): Athena (»de partibus animalium«): Monstra werden erklärt als Tatsachen der Natur, ohne dass darin eine göttliche Absicht oder ein Zeichencharakter gesehen wird. Sie entstehen durch Unfähigkeit der Natur auf dem Weg zur Perfektion in Einzelfällen. Das monströs gebildete Wesen hat sein Ziel, seine entelechie verfehlt (etwa wegen falscher Teilung des Keimes oder eines Missverhältnisses der Zeugungsflüssigkeiten) (»de divinatione«): Monstra sind Prodigien, die Götter wenden sich an Menschen mit Mahnungen, Drohungen. (»Historia Naturalium« VII): Monstra, d.h. was anders ist als der normale Lauf der Natur, sind Wunder, sie zeigen die Kraft der Natur (»de civitate dei« XXI, 4-8): Monstra sind Ausdruck der Macht des Schöpfers; sie dienen ihm dazu, den Menschen zum Staunen zu bringen. (Argumentationskontext: ist es denkbar, dass die Höllenstrafen den Leibern der Abgeschiedenen Schmerz zufügen?) (»etymologiae« XI, iii, 4): Quaedam autem portentorum creaciones in significationibus futuris constituta videntur. Vult enim deus interdum ventura significare per aliqua nascentium noxia, sicut et per somnos et per oracula, qua praemoneat et significet quibusdam vel gentibus vel hominibus futuram cladem... Monstra haben eine Zukunftsbedeutung. Beispiele: ein Pferd gebar einen Hasen, das deutet auf die Zerstörung von Xerxes' Reich; Missgeburt (oben toter Mensch, unten lebende Mischung vonTieren) deutet auf den Untergang Alexanders. (»Speculum naturale« 31 [ed. Duaci 1624, t. I., col. 2387-88]): nach Johannes Chrysostomus sind die Monstra Zeichen dafür, dass Gott nicht ein für allemal die Welt geschaffen und dann auser Acht gelassen hat, sondern ständig weiterarbeitet. Vgl. Pia Holenstein Weidmann: Riesen – eine Körperchiffre in der Frühen Neuzeit, in: Die Symbolik des Leibes, hg. P.Michel (Schriften zur Symbolforschung Band 10), Bern 1995, S. 157–190. (»Liber de nymphis«): Riesen, Nymphen und Pygmäen nicht aus Adam geboren(1510-1590) Monstra als Strafe für schuldhaftes Verhalten Das Monstrum entsteht durch ›Versehen‹ (vgl. den entsprechenden Artikel im Hwb d dt Aberglaubens): die Frau denkt z.b. während der Empfängnis an ein Tier oder an einen Mohren. Das Monstrum ist Zeichen für ein geheimes schuldhaftes Verhalten der menschlichen Eltern:
Ganze Gemeinschaften werden als sündhaft angeklagt, was sich in Monstra kundtut. Beispiel dafür: Ein Kind, das mit einer fleischernen ›Halskrause‹ zur Welt kommt, gibt Zeugnis von den Modetorheiten der Zeit. Die Judensau. Flugblatt von Johann Fischart, (Hoff: Mattheus Pfeilschmid, 1575): Ain gewisse Wunderzeitung von ainer Schwangeren Judin zu Binzwangen, vir meil von Augspurg, welche kurzlich den 12. Decembris, des nächstverschinenen Jars, an statt zwaier Kinder zwai leibhafte Schweinlin oder Faerlin gepracht hat. – So wunderlich laut die geschicht, Das, wa ichs nicht wer wolbericht, Würd ich mich scheuen, die zuschreiben, Dan man möcht denken, das wirs treiben / Vilicht den Juden nur zu spott... : Weil sie den Höchstgsalbten entehren, Mögen mit Sauschmär sie sich schmeren.
Literaturhinweise:Bereits 1921 hat Eugen Holländer (1867–1932) eine gute Übersicht zusammengestellt: Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt in Einblattdrucken des fünfzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts; kulturhistorische Studie, Beiträge aus dem Grenzgebiet zwischen Medizingeschichte und Kunst, Kultur, Literatur, Stuttgart 1921. > https://archive.org/details/wunderwundergebu00holluoft Irene Ewinkel, De monstris. Deutung und Funktion von Wundergeburten auf Flugblättern Deutschlands des 16. Jahrhunderts, (Frühe Neuzeit 23), Tübingen: Niemeyer 1995.
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