Rosa Micus: Das Schiff als Symbol der Kirche
EinführungDas Schiff stellt ein uraltes Symbol für ein Gemeinwesen, einen Staat dar, das heil durch die Gefahren der Welt gesteuert sein will, und das mit seiner ganzen Besatzung ans rettende Ufer gelangen möchte. Bereits der Antike ist das symbolisch gemeinte „Staatsschiff“ seit ältester Zeit ein Begriff, ein Bild, das insbesondere in den Schriften des griechischen Philosophen Plato über den idealen Staat seine dauerhafte Verfestigung erfuhr. {1} „Viele Staaten gehen unter wie lecke Schiffe, sind früher untergegangen und werden in Zukunft untergehen, und dies wegen der Schlechtigkeit des Steuermanns und der Schiffsleute, die in den größten Dingen die größte Unwissenheit besitzen.“ {2}
Übersicht▲▲▲ Das Schiff in den Evangelien ▲▲▲ Nicht nur das Schiff Petri
▲▲▲ Exkurs: Die Lepanto-Monstranz in Ingolstadt ▲▲▲ Der Untergang ▲▲▲ Die Rettung Anmerkung zur Schreibweise: Das ‘Kirchenschiff’ meint einen Teil des Kirchenbaus; das ‘Kirchen-Schiff’ die symbolische Darstellung der Kirche oder Gemeinde in Gestalt eines Schiffes. Wohl noch älter ist die mythologische Vorstellung eines Nachen mit seinem Fährmann, Charon (so sein griechischer Name), der die Verstorbenen über einen Fluß in die Unterwelt geleitet. Christliche Grabdenkmäler des 3. und 4. Jahrhunderts wurden häufig mit Schiffsdarstellungen versehen. Noch auf Grabsteinen des 17. und 18. Jahrhunderts auf den Nordseeinseln Amrum und Föhr stellen Totenschiffe dar.{3} Die Verstorbenen fahren hier mit Gottes Hilfe auf den Schiffen, auf denen sie irdische Seefahrten überstanden, in die Ewigkeit.
Bereits die altantike orientalische Mythologie – davon am bekanntesten wohl das Gilgameschepos – kennt die Erzählung einer gottgesandten Flut, die alles Leben auf dem Land verschlingt und der nur wenige Fromme entkommen. Mit dem ersten Buch Mose baut Noah, von Gott gewarnt, eine Arche für sich und seine Familie und für je einem Paar aller Tiere. Nur diese Arche entkommt dem Verderben. Auf diese alttestamentliche Erzählung, tief eingewurzelt im kulturellen Artgedächtnis Europas, geht die Vorstellung von der Arche als dem rettenden Schiff zurück und wirkt nach bis hin zu modernen Begriffsbildungen wie der von der „Archefunktion“, beispielsweise von botanischen Gärten, nach. Bereits im Neuen Testament wird auf die Errettung aus der Sintflut als Typus für die Taufe verwiesen: Das ist ein Vorbild der Taufe, die jetzt auch euch rettet. (1. Petr. 3, 21; erste Satzhälfte: Lutherbibel 2017) Wir befassen uns mit dem Schiff als einem Symbol der Kirche im Sturm der Zeit und einem Meer der Gefahren. Es geht nicht um die Symbolik des Kirchenbaus, die für die geistlichen Schriftsteller des Mittelalters Joseph Sauer in seiner Dissertation {4} in grundlegender Durchdringung dargestellt hat. Es geht um das Schiff der Kirche mit seiner Besatzung auf dem Wasser mit seinen Gefahren; um das rettende Ufer, oder das gefährliche Riff; selten um die ruhige Fahrt.
Gregor von Nazianz (329 – 390) Rhetor und Kirchenvater, dem als Vertreter der antiken mittelmeerischen Kultur die Meerfahrt immer „herrlich und todesgefährlich“ zugleich war {5}, verarbeitet in seinen Reden und Gedichten zunächst die eigene Erfahrung eines Schiffbruchs, den er in seiner Jugend zwischen Alexandria und Rhodos erlebt hatte (or.18,31; carm.11,1,1 v. 307–319; besonders carm.11,1,11 v. 124–174).{6} Bald wird sie ihm, dem Sprachbegabten und Asketen, zum Bild des Lebens im Vertrauen auf Heil (carm.11,1,11 v. 175 f.) {7} nach dem Vorbild des Schiffbruchs des Apostels Paulus auf der Überfahrt des Gefangenen von Palästina nach Rom im Jahre 60 n. Chr. vor der Insel Malta: 21…; da trat Paulus in ihre Mitte und sagte: Männer, man hätte auf mich hören und von Kreta nicht abfahren sollen, dann wären uns diese Gefahr und dieses Ungemach erspart geblieben. 22 Doch jetzt ermahne ich euch: Verliert nicht den Mut! Niemand von euch wird sein Leben verlieren, nur das Schiff wird untergehen. 23 Denn in dieser Nacht ist ein Engel des Gottes, dem ich gehöre, und dem ich diene, zu mir gekommen 24 und hat gesagt: Fürchte dich nicht, Paulus! Du musst vor den Kaiser treten. Und siehe, Gott hat dir alle geschenkt, die mit dir fahren. 25 Habt also Mut, Männer! Denn ich vertraue auf Gott, dass es so kommen wird, wie mir gesagt worden ist. (Apostelgeschichte 27,21–25 – Einheitsübersetzung 2016).
Clemens von Alexandria (um 150 – um 215) griff noch auf die antike Mythologie, auf die Meerfahrt des Odysseus zurück. Er sah als erster diese Meerfahrt als Sinnbild des christlichen Lebens, hinter der das alte heidnische Leben zurückbleibt und vor dem der „Hafen des Himmels, in dem uns das heilige Pneuma einlaufen läßt“ {8} liegt. {9} Als Philosoph und Kirchenschriftsteller (1748 aus dem röm.-kath. Heiligenkalender gestrichen; im Mittelalter nie ins Lateinische übersetzt), in einigen Ostkirchen Kirchenvater, wollte er griechische Philosophie und Christentum zusammenführen. Der „Greis von Itaka“ ist ihm Vorbild für den Christen, der den süßen, todbringenden Gesängen der Sirenen standhält. {10} Damit steht das ‘Schiff’ bei ihm aber noch nicht für eine spezifische christliche Kirche. Noch im hohen Mittelalter sah der Regensburger Benediktiner und spätere Inkluse Honorius Augustodunensis (ca. 1080 – 1150 od. 51) diesen mythologischen Stoff als „geheimnisvoll“ an, „wenn man so will der Feinde Christi halber geschrieben“ (lat. Zitat nach Rahner S. 247 in Anm.); gleichsam ein Gegenbild für die Lebensfahrt der Christen über das Meer der irdischen Welt. Noch ein letzter Nachklang der Erzählung des Homer in christlicher Interpretation findet sich bei Papst Innozenz III. (1161 – 1216) in seiner Rede vom schmerzlich-schönen Trauerlied auf das „böse Meer dieser Welt mit seinen süßen Verlockungen der Sirenen“. {11}
Das Schiff in den EvangelienDas Mittelalter kennt zahlreiche Bibelillustrationen, die die Begebenheiten am See Genezareth bei den Fischern und dem Volk, den Menschen dort, zeigen. Da ist die Errettung der Jünger aus dem Sturm nach biblischem Bericht (Mt 8,23-27; Mk 4,35-41; Lk 8,22-25). Immer ist der Moment des aufkommenden Sturms, während Jesus schläft, dargestellt {12}; fallweise in der ottonischen Buchmalerei, wie in dem um 1000 auf der Reichenau entstandenen Codex Egberti {13} auch in synchronoptischer Darstellung, die in demselben Schiff auch Jesus, wie er den Winden gebietet sich zu legen, zeigt. Bereits in dieser Zeit wird das Motiv – noch als Bibelillustration im Text eingebunden – symbolisch überhöht: Im Liuthar-Evangeliar (auch Aachener Evangeliar Ottos III. gen.) findet sich eine ganzseitige Darstellung dieser Szene mit Jesus schlafend und gebietend, und den vier Evangelisten als Bootsinsassen. {14}
Streng bibelhistorisch zeigt ein modernes Glasgemälde im Chorfenster der reformierten Stadtkirche Aarau von Felix Hoffmann von 1939/ 40 die ganze Verzweiflung der Jünger, die fürchten im Sturm unterzugehen, und mächtig-angstvoll nach dem ruhig Schlafenden greifen. (Mk 4, 37 und 38) Ihre ganze Hoffnung ist auf Jesus gerichtet, darauf, daß nur er den Sturm stillen und die Gefahr bannen kann. In den hochmittelalterlichen Evangeliaren findet sich gelegentlich auch die Darstellung der Errettung des Petrus. {15} Petrus, der ohne Glauben und ohne Zuversicht im Wasser des Sees zu ertrinken droht, und von Jesus, der über dem Wasser schreitet, bei der Hand gefasst wird (Mt 14,31). Im Codex Egberti sind rechts oben über der Szene ähnliche pustende Sturm-Gesichter zu sehen wie bei der Errettung der Jünger aus dem Sturm: der Wind verschärft die Situation des verzagten Simon Petrus. Conrad Witz wird diese Szene der Errettung und des (ersten) wunderbaren Fischzugs für den Hochaltar der Cathédrale St. Pierre in Genf 1444 auf den Genfer See transponieren: Nicht allein auf die christliche Zuversicht deutend, sondern aus politischem Interesse des Auftraggebers heraus, ist dieses Bild entstanden: das Bistum Genf stritt mit dem südlich angrenzenden Herzogtum Savoyen um Territorium und so zeigt Witz in biblisch-symbolischer Überhöhung im Altarbild das von Genf beanspruchte Gebiet bis zum Bergmassiv des Mont Blanc im Hintergrund genau. {16}
Der Codex Egberti, die im Auftrag des Erzbischofs von Trier kurz vor 1000 entstandene Handschrift mit den Ausschnitten der Evangelien für die liturgische Lesung, zeigt auch den zweiten wunderbaren Fischzug nach Joh 21,1-14 mit dem sich der Auferstandene den Fischern Nathanael, Thomas und weiteren, und Petrus zu erkennen gibt; eine Szene, die als Antitypus zum wunderbaren Fischzug nach dem Lukasevangelium zu sehen ist (Lk 5,1-11) und dort mit der Berufung des Petrus verbunden war: Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. (Lk 5,10: zweiter Halbsatz). In der Miniatur stehen die Namen Nathanael, Thomas und Petrus, der gerade das prall gefüllte Netz an Land zieht, über den Köpfen vermerkt; Jesus ist hier, wie bereits in der Darstellung des ersten Fischzugs, als ‘Jesus Christus’ und damit als Erlöser bezeichnet. In der für Herzog Ludwig IX. von Oberbayern-Ingolstadt angefertigten ersten zusammenhängenden Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche {17} finden sich unter den mittelalterlichen Illustrationen neben der Errettung aus dem Sturm (im Matthäus- und im Markusevangelium ill.), Jesus, der übers Wasser geht (nach Markus) {18} und die Errettung des Petrus (Mt 14,31) {19}; ferner der erste wunderbare Fischzug (nach Lukas) {20} in der Ergänzung durch Matthis Gerung um 1530. {21}
Nicht nur das Schiff PetriTertullian hatte erstmals im 2. nachchristlichen Jahrhundert das Schiff mit den Aposteln als das Schiff der Kirche interpretiert: „das Schifflein ist die Kirche, der Seesturm die Verfolgung und Versuchung, der schlafende Herr ist der am Kreuz Entschlafene, die flehenden Apostel sind die im Kirchen-Schiff fürbittenden Heiligen, die Ruhe der See sinnbildet die Ewigkeit.“ {22} Und den Mastbaum des Schiffes mit der Querstange für das Hauptsegel als Symbol für das Kreuz zu verstehen – nicht zuletzt in seiner Ähnlichkeit mit dem griechischen ‘Tau’, dem aus dem Iota-gleichen Grundstrich und dem darüber quergelegten Keraia zusammengesetzte Buchstaben, dem älteren semitischen Taw ähnlich – ist ein bereits in der Zeit der Patristik geprägtes Bild. Gregorios von Nyssa (* um 335/340; † nach 394) sah in der Buchstabenform des Taus das Symbol des Kreuzes {23}, sah Jota und Keraia als Mastbaum und Antenne. Kein Jota und Keraia des Gesetzes sollten (mit Matthäus) vergehen (Mt 5, 18). {24}
Mit der Darstellung Giottos von 1298 über dem Westportal von Alt-St. Peter in Rom im Atrium der Kirche war der ikonographische Typus des navicella, des ‘Schiffleins Petri’ geschaffen. Das Mosaik zeigte Petrus, der beim Versuch Jesus entgegenzugehen, zu versinken droht (Mt 14,19-31) und wurde seit dem Neubau von St. Peter mehrfach transloziert. Es ging 1606 bei einem Unwetter endgültig unter. {25} 1674 im Auftrag Papst Clemens X. durch ein neues Mosaik ersetzt, war das mittelalterliche Bild schon bald im Münster zu Straßburg rezipiert worden. Dort sieht man noch heute groß, an der oberen Hälfte der Westwand von St. Pierre-le-Jeune eine stark überarbeitete Malerei von 1320 mit Bezug auf Giottos Navicella; das Wasser wird bevölkert von vielen Fischen – und kleinen, jagenden Seeungeheuern. {26}
Hugo Rahner, der die sich immer stärker kirchenpolitisch wendende Symbolik des Petrusschiffs von der Patristik bis ins hohe Mittelalter detailreich verfolgt, spricht vom der „Gesamtkirche (als dem) Schifflein des Petrus (…) in Sonderheit von der Römischen Kirche, wo der Petrusnachfolger am Steuerruder sitzt. Wir haben also die Geschichte dieses biblischen Symbols der Kirche aufzuzeigen in seiner langsam werdenden Eingrenzung auf Rom und seinen Primat. Wir umfassen dabei den Zeitraum von tausend Jahren, zwischen Papst Kallist und Papst Innozenz III., von der navicella Petri des Augustinus bis zur ‘Navicella’ des Giotto in der Vorhalle von Sankt Peter, (...).“ {27} Überdeutlich betont wird dieses symbolische Verständnis des Petrus- als Papstsschiff in dem Fresko aus dem Lebenszyklus des Papstes Silvester in der von Papst Innozenz IV. 1246 an der Basilika all’ Sti. Quattri Coronati al Laterano angebaute Silvesterkapelle, wo Petrus direkt als Papst mit dreifacher Krone, dem Ruder in der Rechten und den Schlüsseln in der Linken dargestellt ist. Über dem Hauptmast weht die Siegesfahne des Auferstandenen.
Ganz anders das Schiff des deutschen Mystikers Johannes Tauler O.P. (1300–1361) aus Straßburg: Es kommt ein Schiff geladen, bis an sein’ höchsten Bord Es spricht von der Sendung des Erlösers durch das ewige Wort (den Logos) – und thematisiert keinen Anspruch von Kirche, gar einer „richtigen“ Kirche. {29}
Eine andere Art des ‘Petrusschiffleins’ als der von Giotto geprägte ikonographische Typ findet sich an der Westfassade des Regensburger Domes, dessen Hauptpatron Petrus ist, mit dem darin aufrecht sitzenden Petrus mit einem (einem!) Schlüssel in der Linken (Schlüsselamt) und dem Ruder fest im Griff (er, bzw. sein Nachfolger ist der „Steuermann“ der Kirche). So betonte das mittelalterliche Regensburger Bistum seine Romtreue mit dem Petrusschiff mittig im ersten Obergeschoss der Westfassade des Doms. Möglicherweise ein Werk des Regensburger Dombaumeister Konrad Roritzer (3. V 15. Jh.) {30} steht es in Zusammenhang mit einer riesigen Kreuzigungsgruppe {31}, die die gesamte Fassadenmitte zwischen den Türmen einnimmt und Christus an einem extrem aufragenden Kreuz darstellt. Maria und Johannes stehen auf Höhe des unterhalb vom Kreuzstamm angeordneten Petrusschiffleins zu Seiten mächtiger, von geschwungenen Bögen bekrönter Fensterflächen. Zwei Engel stehen hoch zu Seiten der Kreuzblumen über den Wimpergen der Fenster. {32} Eine derart programmatische, riesige Darstellung dieses zentralen Glaubensmotivs ist in der Kathedralplastik ungewöhnlich, ungewöhnlich auch diese Verbindung mit dem Petrusschifflein: das hoch aufragende Kreuz scheint wie ein übergroßer Mastbaum im Schifflein zu stehen. {33}
Ein älteres Glasgemälde von 1315/ 20 in der nördlichen Fensterbahn des linken Hochchorfensters des Regensburger Doms erinnert noch unmittelbarer an die Begebenheiten um den Fischer Simon Petrus und die Prophezeiung des Menschenfischers nach Lukas: In der Linken hält Petrus hier einen Fisch und in der Rechten einen Schlüssel (Schlüsselamt: Prophezeiung nach Mt 16, 19). Vorne am Boot ist das Ruder gut zu erkennen. Hans Rahner: „wenn die Gesamtkirche das Schifflein des Petrus ist, von dem aus der Herr die Menschen belehrt, dann gilt dies in Sonderheit von der Römischen Kirche, wo der Petrusnachfolger am Steuerruder sitzt“. Seltener ist im Mittelalter die Darstellung Jesu, wie er vom Fischerboot des Simon Petrus aus zu den Menschen spricht (Lk 5,3). – In jedem Falle aber liegt hier ein Verständnis vom Fischerboot Petri als dem „richtigen“ Schiff der Kirche zu Grunde. Zur Zeit des Barock bildet sich in der nachtridentinischen römisch-katholischen Kirche im süddeutschen Raum ein eigener Typ von Schiffskanzeln heraus {35}: Der Priester, der als Geweihter nach offizieller röm.-kath. Lehre (bis heute!) in personam Christi die eucharistische Wandlung vollzieht, steht hier für die Predigt gleichsam wie Jesus im Boot. {36} So steht in der Pfarrkirche von Tautendorf bei Gars (OÖ) im Kanzel-Schiff der Prediger zwischen fast lebensgroßen Figuren von Christus und Petrus. Direkt neben dem als Schiff gestalteten Kanzelkorb steht auf der einen Seite die päpstliche Tiara mit den gekreuzten Petrusschlüsseln auf der einen und auf der anderen Seite ein Kirchenmodell. Das Kanzel-Schiff kann verbunden sein mit dem (ersten) wunderbaren Fischzug, von dem das Lukasevangelium berichtet, wie in der Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt in Weißenregen (heute ein Stadtteil von Bad Kötzting), wo in einem (geknüpften!) Fischernetz zahlreiche (Holz-)Fische zappeln. Gerne spiegelt sich im Wasser in Gestalt von Ungetieren oder Walen die Gefahr: So erhebt sich die Kanzel der St. Petrus-Pfarrkirche im oberösterreichischen Fischlham über einem gewaltigen Wellenberg mit einem mächtigen, Wasserfontänen spritzenden Meerungeheuer, das dem Schiff/ der Kanzel nichts anzuhaben vermag. {37} Der Wal, der unterhalb des Kanzelkorbs in Weißenregen gerade den Propheten Jona aus seiner dreitägigen Gefangenschaft entlässt, gilt als alttestamentliche Präfiguration für die Auferstehung Christi. In der Klosterkirche St. Peter und Paul in Irsee (Landkreis Ostallgäu) ist der Kanzelkorb als Schiffsbug gestaltet und der Schalldeckel als geblähtes Segel. Am Bug agiert der Erzengel Michael mit seinem Flammenschwert; auf der linken Seite hängt gut sichtbar der Anker der Hoffnung; in der Takelage über dem Schalldeckel machen sich Engel schwer zu schaffen. Die Leichenpredigt auf Abt Willibald Grindl, dem Auftraggeber, war überschrieben als: Höchst-beglückte Schiff-Fahrt über das Meer oder Yrsee dieser Welt. Über ein typisch barockes Vexierspiel mit dem Ortsnamen der ehemaligen Benediktinerabtei klingt hier deutlich das Motiv der sicheren Überfahrt in die ewige Seeligkeit im konfessionell „richtigen“ Schiff der Kirche an.{38}
Exkurs: Die Lepanto-Monstranz in IngolstadtSingulär ist die Darstellung einer Seeschlacht an einer Hostienmonstranz, der sog. Lepanto-Monstranz, die der Augsburger Goldschmied Johann Zeckel 1708 für die Kirche der Bürgerkongregation ‘Maria zum Siege’ in Ingolstadt schuf. {39} Sie zeigt, eingebettet in die barocke Form einer von Wolken und Licht umgebenen Strahlenmonstranz, den Untergang der osmanischen Flotte in der Seeschlacht von Lepanto vom 7. Oktober 1571, die von einer Allianz des Kirchenstaats mit Venedig und Spanien unter Papst Pius V. besiegt worden war. Das mächtig aufgetakelte Schiff der christlichen Streitmacht umschließt gleichsam das herzförmige Schau-Fenster (die Lunula), wo der nach römisch-katholischer Lehre realpräsente Leib Christi in der Hostie zur Verehrung ausgestellt wird. „Der in der Eucharistie anwesende Christus (…) steht im Zentrum des christlichen Schiffes, das von Darstellungen Gottvaters und des Heiligen Geistes bekrönt wird. Das er hier im – gemeint ist am – mittleren Mastbaum erscheint, entspricht der Tradition der Darstellung des Gekreuzigten an der navicula petri und veranschaulicht die ständige Erneuerung der Kirche in der Eucharistie, der auch die Bürgerkongregation bei der eucharistischen Andacht [vor der ausgesetzten Monstranz] gedachte.“ {40} Am Heck zeigt ein emailliertes Medaillon den vor dem Kruzifix betenden Papst Pius V. Darunter zerbricht das Schiff der Osmanen in tobender See. Über dem Kampfgeschehen und dem aus der Lunula gleichsam erwachsende Hauptmast schwebt die Taube des Heiligen Geistes in einem Wolkenkranz im Himmel. Etwas unterhalb rechts thront die Muttergottes als Himmelskönigin, mit ihrem Szepter auf die Lunula weisend, während gegenüber der Erzengel Michael mit einem Siegeskranz in der Linken, und mit seinem Namen, seiner Devise, auf einem Schild in seiner Rechten erscheint: Quis ut Deus? Wer ist wie Gott?
Das geschichtliche Ereignis, im Symbol des Schiffs der Kirche als ecclesia militans, zugleich schon in der himmlischen Sphäre als ecclesia triumphans überhöht, erscheint hier zusätzlich eingepasst in die Koordinaten jesuitischer Frömmigkeit (mit dem Erzengel Michael vorne am Bug) und der auch für die Jesuiten bezeichnenden Marienverehrung –– untrennbar verbunden mit der Idee der siegreichen Muttergottes, die in der Schlacht gegen die Ungläubigen hilft {41}, und wie es seit dem der Seeschlacht von Lepanto folgenden Jahr 1572 als das Fest ‘Maria vom Siege’ {42} Aufnahme in den kanonischen Festkalender gefunden hat.
Die Ingolstädter Bürgersaal-Kirche hatte auch eine Kanzel in Gestalt einer Galeere, mit Mastbaum, Strickleitern, schwellenden Segeln, hölzernen Kanonen, die wohl eine gewisse Ähnlichkeit mit der Schiffskanzel in Kloster Irsee gehabt haben muss. {43} Hier steht der Erzengel Michael mit seinem Flammenschwert vor dem Bug, wie er auch an der Lepantomonstranz vorne am Schiff agiert. Die Kanzel stand offenbar in einem gewissen Zusammenhang mit der Monstranz, deren Fuß bis zur Säkularisation aus einem gebeugten Türken bestand, der das Ostensorium zu tragen hatte, und der seinerseits vom Liturgen beim Aufheben der Monstranz gleichsam „im Würgegriff“ gefasst wurde. {44} „(…), die Schlacht von Lepanto in Gestalt einer Monstranz zu verbildlichen und das Thema damit zu sakralisieren, blieb ohne Vorbild und ohne Nachfolge. Die Darstellung dieses historischen Ereignisses bedeutete indes von Anfang an mehr als die Erinnerung an den militärischen Sieg von 1751. Sie war, im Sinne der Gegenreformation, auch Ausdruck des erfolgreichen Kampfs gegen Andersgläubige.“ {45}
Der UntergangDie Übergangszeit des späten Mittelalters zur Frühen Neuzeit mit ihrer angstvollen Endzeiterwartung kennt zahlreiche Schiffsdarstellungen, insbesondere auch Schiffsbruchdarstellungen. So geht 1508 in einer Schrift des Joseph Grünpeck (um 1473 – um 1532), einer düsteren Prophezeiung vom Ende des Reiches und dem Untergang der Kirche {46}, das Kirchen-Schiff mit geblähtem Segel mit dem Bild des Gekreuzigten darauf, mit dem Papst und allen geistlichen Ständen an Deck, in voller Fahrt unter. {47} Im Text beklagt Grünpeck in allen schillernden Farben die Verfehlungen des Klerus als ursächlich für den befürchteten Untergang. {48}
Die weltliche Symbolik ist in dieser Zeit des Übergangs und der Zeitenwende voller Narrenschiffe {49}, die steuer- und segellos dem Verderben entgegentreiben, und von denen das literarische Narrenschiff des Sebastian Brant mit seinen zahlreichen Verbildlichungen – im Erstdruck von 1494 sind es Illustrationen des jungen Albrecht Dürer – keineswegs das einzige Beispiel darstellt. Sie erscheinen gleichsam als Menetekel des aus dem Ruder laufenden Weltgeschehens; Brant spricht vom Schiff des Odysseus und von dem des Bacchus, bemüht den Topos von ‘Staatsschiff’ und von ‘Schiff der Kirche’ {50}: Der Narr ist ihm der Leugner des Heils. Auf den auf Titel- und Titelrückseite der ersten Ausgabe des Ad Narragoniam fahrenden Schiffen {51} ertönt der Gesang aller Narren: Gaudeamus omnes ‘Freuen sollen sich alle …’, dessen mit Noten unterlegtes Incipit rechts oben im Bild zu lesen ist. Es scheint eine Parodie auf die Introitus-Antiphon zu den Heiligenfesten und Allerheiligen Gaudeamus omnes in Domino diem festum celebrantes sub honorem (…) ‘Freuen sollen sich Alle im Herrn auf den zu feiernden Festtag zu Ehren (…)’ zu sein. {52}
Der niederländische Maler Hieronymus Bosch, der bevorzugt für Klerus und hohem Adel Bildnisse und Altargemälde schuf, trieb in seinem nur fragmentarisch erhaltenen Narrenschiff {53} – einem Altarfragment aus der Zeit um 1500 – die Szenerie in fast unheimlicher Weise auf die Spitze, indem er einen der Matrosen anstatt zum Mastkorb, zur höchsten Ausguck, zu einem an dieser Stelle festgebundenen Brathendl klettern lässt. Die ausgelassene Gesellschaft spießt einen Weinkrug auf wie den Kopf eines Hingerichteten; gegenüber speit einer der ausgelassenen Zecher wie von Sinnen über die Reling. Oben in der Krone des von Bosch wörtlich verbildlichten Mast-Baums prangt ein Totenschädel.
Matthis Gerung, der Hofkünstler Ottheinrichs von der Pfalz (1502 – 1559) lässt 1545 eine ganze Flotte mit den geistlichen Vertretern der alten Kirche in stürmischer See untergehen {54}; vorne wird der Papst von oben zusätzlich von einem garstigen Teufel angefaucht. Hier hat der Schiffsbruch eine eindeutig konfessionelle Wendung bekommen. Luther lehnte in seinen Tischreden die Darstellung solcher Kirchen-Schiffe, die ausschließlich mit Vertretern des geistlichen Standes besetzt sind, strikt ab. Ihm ist es, wie seit Beginn seines Rufs nach Reformen in der Kirche um den Ablass, die ewige Seligkeit durch gute Gaben und Geldzahlungen an die Kirche gleichsam zu ‘erwerben’, zu tun, den er ablehnt: „Wie das Schiff wohl anzeiget, in welchem nur allein saßen Mönche, Pfaffen und Nonnen, welche den andern Menschen so im weiten tiefen Meer schwummen, die Stricke und Brete (Bretter/ Planken) zuworfen und die Hände reichten, daß sie könnten heraus zu ihnen ins Schiff kommen, und also erhalten (werden) und selig werden“. {55}
Bereits in einer der drei programmatischen Schriften des Jahres 1520 {56} De captivitate babylonica Ecclesiae praeludium verwahrte sich Luther ausdrücklich gegen die Vorstellung des zu Bruch gegangenen Lebens-Schiffs als dem Sündenfall, aus dem es immer noch eine Planke, das Bußsakrament als ‘Planke des Heils’ als Erlösung gäbe: „Luther sah in dieser Bezeichnung der sakramentalen Buße als einer Planke des Heils eine Bedrohung der Einmaligkeit der Taufe.“ (Hugo Rahner): ein altes, in der Spätscholastik und den Glossen des Petrus Lombardus selbstverständlich gewordenes dictum von der tabula naufragii, das den Rang eines kaum mehr hinterfragten Schulworts erlangt hatte.
Im Großen Katechismus, der sich mit seiner Folge von Predigten an die Vermittler christlicher Lehre (Prediger/ Hausvater) wendet, heißt es:
Das Konzil von Trient wird die Theologie der tabula post naufragium erneut hervorheben {59}; die evangelische Symbol- und Bildwelt kennt sie nicht.
Die RettungDer Straßburger Prediger Geiler von Kaysersberg lässt das schiff deß Heils vnd der Rüw /in das Paradys (…) faren. {60} Es ist ein Gegenbild zu den gleichzeitigen geistlichen und weltlichen Schiffbrüchen, es war möglicherweise eine Anregung für Brant {61}. Als dieses schiff deß Heils vnd der Rüw, {62} ablegt, zeigt es den Baum des Paradieses, um den sich die Schlange windet, um dann den Gekreuzigten am Mastbaum zu tragen. Dieser Baum, der zwar für den Sündenfall steht, bietet dennoch keinen solch schrecklich-visionären Anblick wie der in Boschs Narrenschiff. Der Mastbaum mit dem Gekreuzigten hält beständig das Bild der Heilstat Christ aufrecht. Die Mannschaft stimmt auf ihrer Pilgerfahrt das alte Pilgerlied der Jerusalemfahrer In Gottes Namen fahren wir an. {63} Sie hält den Textanfang auf einem Schild sichtbar vor sich {64}:
In Geilers Text ist beständig von Engeln die Rede, die das Schiff vom Ablegen bis zur Ankunft im Hafen des Himmlischen Jerusalem begleiten: Die in der mittelalterlichen Totenliturgie gesungene Antiphon In paradisum; zu Deutsch Engel mögen dich geleiten „untermalt“ gleichsam die gesamte Fahrt des Pilgerschiffs auf seiner irdischen Reise.
Nach Herausbildung der verschiedenen aus der Reformationszeit entstandenen Konfessionen bedient man sich insbesondere in der röm.-kath. Ikonographie der Darstellung von Schiffen, die mit der „richtigen“ Mannschaft besetzt sind, und denen die Vertreter anderer Lehren wie Meerungeheuer drohen: Bekannt ist ‘Das Schiff der Kirche’, das der durch seine Seestücke berühmten Maler Jacob Gerritz Loef (1605/ 06 – 1683/ 85) um 1645 schuf {66}, gegen welches die Feinde in der aufgewühlten See den Säbel und insbesondere ihre Schriften erheben, und auf das Seeungeheuer schießen. Der siebenköpfige Drachen der Apokalypse ist als ‘Antichrist’ beschriftet; an ihren Schriften sind Donat, Mani, Arius zu erkennen; Luther, Jan Hus, Johannes Calvin und Menno Simons: das Meer ist voller „Ungeheuer“. Den Hauptmast bildet zusammen mit der unteren, kräftigen Querstange für das mittlere, mächtigste Segel das Kreuz Christi. Die geblähten Segel zeigen die theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Ein kleiner Flugteufel bläst mit einem Blasbalg vergeblich dagegen an. In den Mastkörben sitzen die 4 Evangelisten; „die Beflaggung zeigt an, daß (das Schiff) den Alten wie den Neuen Bund trägt: Am Fockmast weht eine schwarze Flagge mit Totenkopf, Zeichen für die durch den Sündenfall dem Tod verfallene Menschheit des Alten Bundes. Am Großmast, der das Kreuz trägt, ist eine Flagge mit den ‘Arma Christi’ (Leidenswerkzeugen) aufgezogen, die für die Erlösung steht. Am Besanmast weht die rot-weiße Salvatorfahne als Hinweis für die Überwindung des Todes im Neuen Bund.“ {67} In seiner überladenen Symbolik ist Christus auf diesem prächtigen Schiff zugleich als fons pietatis dargestellt; aus ihm speisen sich gleichsam die sieben Sakramente der röm.-kath. Kirche.{68} Im Hintergrund links scheint gelb eine mächtige Wolke von Pulverdampf aufzusteigen und fern im Hintergrund sieht man ein weiteres Schiff. Das Schiff der Kirche wird dem Betrachter wie in einer Seeschlacht als die in der Welt kämpfende Kirche, als ecclesia militans vorgestellt. Nur sie wird als die einzig wahre Kirche das stürmische Weltenmeer überstehen, und nur ihr wird die Verherrlichung als ecclesia triumphans zu Teil werden.
Der Nürnberger Kupferstecher Matthias Zündt (1498–1586) schafft 1570 eine aufwendige Allegorie mit einem mächtigen Schiff mit dem Schmerzensmann mit den Leidenswerkzeugen in der Rechten und dem Kreuz, das er mit der linken Hand umfasst, auf einem Podest in der Mitte anstelle des Mastbaums. Es ist als Sinnbild der evangelischen Kirche ein von mehreren Szenen und Figuren begleitetes Schiff; zahlreiche Bibelstellen sind angegeben. Auch diesem Schiff drohen die Häresien der frühen Kirche in Gestalt des Arius, Nestor, Pelagius und andere; es drohen Attila und Herodes, der „Thürck“, und die babylonische Hure (Septembertestament!). Sie alle entsteigen auf unheilvolle Weise den schäumenden Fluten. Dennoch: DiS Apostel Schiflin ist ain fürbildung. der christlichen Kyrchen, das in dem ungestümen Mer, von ainem ort zum andern getriben wirt, Aber der ewige [Rat] Gottes, sin schifflin oder Kirch, von anfang der welt biss Zu unsern Zeyten Genedig erhalten hatt. (…) {69} Die Darstellung folgt mit Luther alter Augustinischer Lehre, die in dem aus der Seitenwunde Jesu austretenden Blut und Wasser die beiden Hauptsakramente (alte Kirche), bzw. (lutherisch) die beiden Sakramente evangelischer Lehre, versinnbildlicht sieht, und so treffen zwei Strahlen aus der Seitenwunde Christi die Spendung der Taufe und des Altarsakraments in beiderlei Gestalt, die gleich links und rechts unterhalb des Auferstandenen dargestellt sind.
Auch die Böhmischen Brüder sehen sich ausweislich der Titelillustration ihres großen deutschsprachigen Gesangbuchs, das in zwei Auflagen 1566 in Eibenschütz / Ivančice und 1580 in Nürnberg gedruckt wurde, im „richtigen“ Boot. Hier ist es ein Schiff mit den Zwölfen und Christus, das die auserwählte Gemeinde der Böhmischen Brüder symbolisiert, und welches in stürmischer See von Ungeheuern angefaucht, und von einem hohen geistlichen Würdenträger und einem säbelschwingenden Sarazenen angegangen wird. Die Auserwählten jedoch fahren einem Lichtschein, dem der Name von Adonai (יהוה) einbeschrieben ist, entgehen. –– Aus diesem Schiff weniger Erwählter spricht das ausgeprägte Selbstbewusstsein einer Minderheiten-Kirche.
Rembrandt, der im Kulturraum des reformierten Protestantismus zunächst in Leiden und dann in der Hafenmetropole der nördlichen Niederlande, Amsterdam, tätige Maler des „Goldenen Zeitalters“, gilt nicht zuletzt wegen der Lichtführung und der Lichtverhältnisse in seinen Gemälden als unerreichter Meister seiner Zeit. Er kehrt – es ist das einzige Seestück von seiner Hand – 1633 zum biblischen Bericht der drei erzählenden Evangelien zurück. {70} Er zeigt das Schiff der Jünger im Sturm im aufgepeitschten Wasser; das Licht scheint die das Boot am Bug packende Gicht geradezu in Szene zu setzen. Rembrandt zeigt die ganze Bandbreite der Reaktionen von Panik, vor-Schreck-erstarrt-Sein, dem verzweifelten Versuch am Segel zu reißen, den sich erbrechenden, vornüber Hängenden. Und zeigt Diejenigen, die Jesus ansprechen, der längst mit wachem Blick aufrecht sitzt. Einer im grünen Gewand, der in einem warmen, von der Seite einfallenden Licht in der Mitte steht, sieht ganz ruhig aus dem Geschehen heraus den Betrachter an {71}: Fast so als wollte er die Frage, ‘Was geht das uns, was geht es mich an?’ an den Betrachter weitergeben. Die Sinnbildlichkeit dieser Darstellung, liegt ganz in der an uns weitergegebenen Frage: Was seid ihr so furchtsam, ihr Kleingläubigen! (Mt 8, 26 Zürcher Bibel). Das Bild wirkt nicht belehrend und symbolisiert keine Kirche; es steht vielmehr für die große Bibelstrenge reformierter Orthodoxie.
Den am Segel reißenden, den verzweifelt die Arme Hochreißenden und einen, der sich nachdenklich über den Bart streicht, zeigt auch das kleine, in stürmischer See gefährlich nah an einen Felsen (rechts vorne) hingetriebene Boot von Conrad Meyer (1618–1689). In einem schlichten Reimpaar darunter wird die Stelle aus Matthäus 8, aus Satz 25 (Zürcher Bibel 2017): Da traten sie zu ihm, weckten ihn und sagten: Herr, rette uns, wir gehen unter! paraphrasiert als (zweiter Versteil): Weck Christum durch s’Gebätt, so offt die not dich truckt. Bild mit Text stammen aus einer Art Bibel im Kurzform, wie sie mit Illustrationen und einzelnen Sätzen, die auch umformuliert sein konnten, erstmalig mit Luthers Passional, das 1529 als zweiter Inhaltsteil seines „Betbüchleins mit einem Kalendar (Gliederung des Kirchenjahrs) und Passional (mit dem Kreuztod Jesu, der Heilstat des Erlösers und seiner Auffahrt)“ erschienen war, und eine lange Folge von Bilderbibeln, so auch diese im Selbstverlag des Zürcher Kupferstechers und Radierers erschienene, begründete. Das Schiff wurde schließlich für manche unter dem Eindruck von Verfolgung und Vertreibung stehende reformierte Gemeinde zum Symbol des eigenen Fortbestands und Überlebens. So schenkten niederländische Glaubensflüchtlinge, die 1660 Zuflucht in Emden gefunden hatten, der Großen Kirche ein Sandsteinrelief, das ein kleines Segelschiff zeigt, mit der Umschrift:
Das Schifflein schaukelt auf Wellenbergen und fand seinen Ort über dem Ostportal der Großen Kirche Emden, wo es sich bis heute befindet. Es wird gemeinhin als „Schepken Christy“ bezeichnet. {72} Die Ev.-ref. Kirche mit Sitz im ostfriesischen Leer erhob es 1951 zu ihrem Signet. Da nach reformiertem Verständnis Gott und die göttlichen Personen im Kirchenraum nicht darstellbar sind, erscheint hier das Segelschiff allein und ohne Besatzung in symbolischer Verdichtung als ‘Schiff des Heils’, als das rettende Schiff Christi – am Außenbau.
Schon länger wurde im Nordwesten an reformierten Kirchen, die in ihrer faszinierenden Kargheit bis heute keinen Bildschmuck im Innenraum kennen, das Schiff als Dachzeichen rezipiert. Dachzeichen zieren über die Jahrhunderte in unterschiedlicher Ausformung die Türme aller Kirchen und zahlreicher Profanbauten. Die Große Kirche in Leer, 1787 als spätbarocker Zentralbau errichtet, trägt eine freie Replik des Emder ‘Schepken Christy’ über dem Turm. (Die lutherische Kirche trägt den in Nordwestdeutschland üblich gewordenen Lutherschwan, während die spät erbaute klassizistische katholische Kirche, die die konfessionelle Sakraltopographie Leers komplettiert, ein filigranes Kreuz trägt.) Kehren wir noch einmal an den Beginn rettender Schiffe, die zum Symbol wurden, zurück, zur Sintflut und zur Arche Noah. Bibelhistorisch wird die Rettung vor der Sintflut für die Schiffsinsassen erst manifest mit der Taube, die Noah einen grünen Zweig von Land bringt (Gen 8,12), nachdem ein zuvor ausgesandter Rabe nichts gefunden hatte. Die mittelalterliche Buchmalerei wie frühe gedruckte Bibelillustrationen zeigen gerne, wie Noah den „Kasten“ baut und mit aller Kreatur die Arche bezieht. Seltener findet sich die Taube, wie sie gerade mit dem Ölzweig im Schnabel angeflogen kommt. Von feiner ikonographischer Nuance ist die Miniatur in der vom böhmischen König Wenzel 1385 in Auftrag gegebenen ersten zusammenhängenden Übersetzung des Alten Testaments ins Deutsche {73}, wie gerade eine weiße Taube mit dem Ölzweig im Schnabel angeflogen kommt, während der schwarze Rabe, der zuvor nichts gebracht hatte, rechts unten auf dem langsam wieder aus dem Wasser aufsteigenden Land hockt: Die weiße Taube erscheint gleichsam als Bote des Lichts.
So etwa begreifen sich französische Glaubensflüchtlinge, die, nachdem ihre Emissäre die nötigen Verhandlungen geführt hatten, seit 1686 in der vom Bayreuther Markgrafen Christian-Ernst begründeten barocken Planstadt Christian-Erlang ansässig wurden und als erstes anfingen, einen temple zu errichteten: Sie begreifen sich als Minderheit, die hier wieder festen Boden unter die Füße bekommt. {74} Die Hugenotten Erlangens wählten die Friedenstaube, die in der Friedensbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem allgemeinpolitischen Signet werden sollte, zum Zeichen ihrer Gemeinde, und setzten sie, nachdem die Gemeinde in den 1730er Jahren einen Turm vor die Kirchenfassade setzen konnte, als Zeichen, als Symbol ihrer Errettung hoch oben, weithin sichtbar auf den Turm.
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