Kirke

Die in Tiere verwandelten Gefährten des Odysseus

 

Nach dem Trojanischen Krieg strebt Odysseus (im Lateinischen heisst er Ulixes oder Ulysses) nach Hause zu seiner Frau Peneleope, wird aber von dem ihm zürnenden Meeresgott Poseidon immer wieder vom Weg abgebracht. Auf dieser Irrfahrt gerät er mit seinen Gefährten auf eine Insel. Kundschafter werden ausgeschickt. Auf der Insel begegnen ihnen zahme Wölfe und Löwen; sie werden von einem lieblichen Gesang angelockt, der aus dem Palast ertönt, dem sie folgen und so zur Herrscherin Kirke gelangen. Einzig Eurylochos bleibt, misstrauisch, zurück. Die von Göttern abstammende, schöne Kirke bewirtet die Gäste, doch mischt sie böse Kräuter in den Trank. Dann berührt sie die Männer mit einer Gerte und verwandelt sie: Sie bekommen die Gestalt und Stimme von Schweinen, aber ihr Verstand bleibt menschlich. – Das erzählt Homer in der »Odyssee«, 10. Gesang, insbes. Verse 233ff.

Deutsche Übersetzung von J. H. Voß > http://www.gottwein.de/Grie/hom/od10de.php

Antikes Bild: Schwarzfigurige Kylix,  ca. 560/550 v.u.Z. (Museum of Fine Arts, Boston; Beazley Archive Number: 302569) The witch Kirke turns Odysseus’ men into beasts. They are shown partially transformed, with heads, forelegs and tails of animals http://www.theoi.com/Gallery/T35.6.html

Ovid hat in den »Metamorphosen« Teile der Odyssee für die latenische Lesern aufbreitet. Im 14. Buch (254ff.) lässt er einen der Gefährten, Macareus, die Circe-Geschichte erzählen. Er bescheibt, wie ihm nach der Berührung durch Circe Borsten wachsen und seine Stimme in ein Grunzen entartet, und auch wie er mithilfe Mercurs wieder zurückverwandelt wird.

Holzschnitt des Virgils Solis, aus: PVB. OVIDII NASONIS Metamorphoseon libri XV. In singulas quasque fabulas argumenta, Francofurti ad Moenum MDLXVII.

Circe erscheint auch unter den berühmten Frauen in Govanni Boccaccios (1313–1375) Buch »De claris muleribus«. Er deutet die  antike Geschichte so: In Wirklichkeit soll es sich um eine starke Frau gehandelt haben, die bestrebt war zu bekommen, was sie wollte. Der Übersetzer Heinrich Steinhöwel schmückt den Text in seinem holprigen Frühneuhochdeutsch 1473 aus:Jeder ihrer Verehrer habe Hoffnung gehabt, sie zu erwerben,

"doch stuond allweg ihr gemüet sie am narren sail fieren/ vnd zuobehalten des leibs rainigkeit/ darumb das sy gedacht jre liebhaber mit geboten von ir zuosneden/ das sye nit vberwunden wurde. Verschafft darauff etlich auf das meer zuofaren vnd zuorauben/ deiselben hilet man als ob sie weren inn wölff verendert/ […] Etlich gebot sy Ritterschafft vmb jren willen zuopflegen/ die nun fraidiger vund stercker sich erzaigten wann jn jr eigne natur gegeben het/ darumb sy in Löwen verwandlet gesagt wurden. Den andern gebot sye bey ir zuowonen […] darumb sy in schwein verwandlet gesagt wurden/ wann sy zuo allen zeiten in vberflüssiger wollust trabtenn als die schwein. […] O leser vnd hörer diser geschicht/ vermerckt wieuil noch sollicher Circes vnd zauberin uaff erden sein […]. (zitiert nach der genannten Ausgabe von 1543)

 

BEin Schöne Cronica oder Hystori bůch / von den fürnämlichsten Weybern so von Adams Zeyten an geweszt […]  Erstlich Durch Joannem Boccatium in Latein beschriben / Nachmaln durch Doctorem Henricum Steinhöwel in das Teütsch gebracht […] Mit schönen Figuren durch auß geziert / Gantz nutzlich / lustig vnd kurtweilig zů lesen. Gedruckt zu Augspurg / durch Hainrich Stayner / anno M.D.XXXXIII; fol. xxxi recto. –

Text auch in: Giovanni Boccaccio, De claris mulieribus = Die großen Frauen. Lateinisch / deutsch. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Irene Erfen und Peter Schmitt, Stuttgart: Reclam 1995 (Universal-Bibliothek 9341).

Der Satiriker Plutarch (um 45 bis um 125) hat einen Dialog zwischen Odysseus, Kirke und einem der von ihr in ein Schwein verwandelten Gefährten namens Gryllos ausgesonnen, in dem Kirke Odysseus mahnt, vorher zu fragen, ob die Männer überhaupt zurückverwandelt werden sollen. Sie verleiht ihnen die Gabe zu sprechen. Gryllos argumentiert, das die Seele der Tiere ihrer Natur nach die Tugend hervorbringe und sie überhaupt moralisch besser seien als die Menschen. – Plutarch wurde in der Renaissance wiederentdeckt.

Giambattista Gelli (1498–1563) hat unter dem Titel »La Circe« (1549 publ.) Dialoge geschrieben, in denen folgendes geschildert wird:  Odysseus erhält von der Zauberin die Erlaubnis, den von ihr Verwandelten die menschliche Gestalt wiederzugeben. (Mitzudenken ist hier, dass Circe die Gefährten in  Tiere verschiedener Arten verwandelt hat, nicht nur in Schweine.) Odysseus stößt aber bei fast allen auf Widerstand, weil sie inzwischen überzeugt sind, dass die Natur für die Tiere besser sorge, während der Mensch stets angestrengt sein Dasein führen muss.

Die philosophisch argumentierenden Tiere sind echte Kompositwesen aus menschlichem Geist und tierischem Leib.

Die Idee von Gelli hat Furore gemacht; hier eine deutsche Adaptation:

Peter Lauremberg (1585 – 1639), Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...],, 1. Auflage 1637; hier nach der Ausgabe Frankfurt am Main, Leipzig, 1717

II, 62. Ulyssis Gespräch mit dem Maulwurff.

Als Ulysses ein wenig fortgangen / hat er gesehen /ein kleines Hügelein aufgeworffener Erde vom Maulwurff / darinnen er auch gedachte / es würde einer von seinen Gesellen verborgen seyn / hat derwegen mit lauter Stimm dem Maulwurff geruffen und mit ihm zu reden angefangen.

Ulyss. Mein liebes Thier / mich deucht / du bist auch einer meiner Gefehrten und zuvor ein Mensch gewesen. Nun weil es in meiner Gewalt stehet / dich mit menschlicher Natur wieder zu begaben / so frage ich dich / ob du gesinnet / wieder nach deinem Vaterlande mit mir zu verreisen?

Maulwurff. Mein lieber Ulysses, davon habe ich mein Tage keinen Gedancken gehabt / dann so thäte ich ja thöricht.

U. Ist dann das Thorheit / einen glückseligen Stand annehmen?

M. Gar nicht / sondern mich deucht / das sey Thorheit / wann man das Böse dem Guten fürziehet / ich halte es dafür / daß mein Stand viel glückseliger und ruhiger sey / als der Menschen.

U. Was sind die Ursachen / darum du deinen Stand glückseliger schätzest / als den menschlichen?
[...]

M. Du bekennest selber / Ulysses, daß die Erde mir / wie auch den andern Thieren die Speise gebe / und für uns zusähe / ob gleich der Acker für uns nicht gesäet wird. Dann wann ich essen will / so finde ich meinen Tisch bereit / in meinem verborgenen Pallast der Erden / da mich niemand verstöret / da die Würme mir besser schmecken / als euch die gebratenen Kapaunen. Ihr Menschen / wann ihr euch wolt von der Erde ernähren / so müst ihr durchs gantze Jahr das Erdreich bauen / und pflügen mit grossem Fleiß und Arbeit / welches ich erfahren habe / da ich ein Mensch gewesen.

U. O mein lieber Maulwurff / Acker pflügen /Bäume pflantzen / Wein schneiden / das ist nur eine Lust.

M. Ja eitel Mühe und Arbeit / voller Beschwerlichkeit. O wie offt habe ich mich gefürchtet für dem Regen und Ungewitter! Wie offt habe ich nur Stroh für Korn bekommen? Jetzt bedarff ich solches nicht mehr / habe weder Pflug noch Ochsen / noch was mehr darzu gehörig / vonnöthen. Darff auch dem Gesinde kein Essen noch Trincken geben / oder selbiges um groß Geld zur Arbeit miethen. Jetzund kan ich mit meinen blossen Händen die Erde umpflügen ohne einige Arbeit / und lustige Schlösser darein bauen.

U. Aber / lieber Maulwurff / weist du nicht / daß du des allerherrlichsten Zierraths beraubet bist / nemlich des Gesichts
[d.h. des Sehvermögens] / bist derohalben nicht vollkommen; Dann du wandelst im finstern / kanst auch der Welt Schönheit nicht sehen.

M. O deßhalben bin ich nicht unvollkommen / ich achte das Gesichte nicht: Dann ausgenommen das hab ich alles / was mir von Natur nützlich / was bedarff ich der Augen in der dicken finstern Erde / darinnen ich wohne? die Würme / die ich esse / kommen von sich selber zu mir / ich kan sie auch im finstern finden.
[...] Wir seynd vollkommen ohne das Gesichte / ebener massen als ihr Menschen vollkommen seyd ohne Flügel / ob ihr schon nicht fliegen könnet wie der Adler / habt auch nicht des Pfauen Federn. Auf diese Art seynd wir Maulwürffe vollkommen / ohne das Gesicht / das uns so viel nützet / als euch der Pfauen-Schwantz / begehrens auch nicht. Darum / lieber Ulysses, bemühe dich nur nicht / daß du mich wieder zum menschlichen Stande bringest / dann ich bin vollkommen. Und weil ich keine vernünfftige Gedancken habe / so bekümmere ich mich auch nicht auf der Welt zu leben / darum gehe nur hin und thue / was du zu thun hast / ich will wieder in die Erde kriechen.

 

Weitere Bilder:

Metamorphoseon sive transformationum Ovidianarum libri quindecim, aeneis formis ab Antonio Tempesta florentini incisi et in pictorum antiquistatisque studiosorum gratiam nunc primum exquisitissimis sumptibus a Petro de Iode Antverpiano in lucem editi Aº 1606.

Des vortrefflichen römischen Poëtens Publii Ovidii Nasonis Metamorphoseon, Oder: Funffzehen Bücher Der Verwandlungen, Ehmalen durch den berühmten Wilhelm Bauer in Kupffer gebracht; ... – Ovidii Nasonis Metamorphosis Oder Ovidii Des Poeten Wvnderliche Verendervng Verschidener Gestalden / An Tag Gegeben Vnd Verlegt Dvrch Melchioren Kysell, Avgspvrg: Kysell, 1681. (Ausschnitt)

Literaturhinweis

Edmund Wilhelm Braun, Artikel "Circe", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1953), Sp. 777–788 > http://www.rdklabor.de/w/?oldid=95613

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