Allerlei Hundsköpfige
Ein ergänztes Kapitel aus unserem Buch »Spinnenfuß & Krötenbauch. Genese und Symbolik von Kompositwesen« Hier verfolgen wir eine formale Gestalt, um darzulegen, dass deren alleinige Betrachtung zu wenig trennscharf ist. Das Volk der Kynokephalen darf nicht mit den oft gleich dargestellten Werwölfen und ähnlichen Gestaltungen verwechselt werden. Genealogie muss an die Stelle reiner Morphologie treten. Kynokephalos (griechisch) heisst ›hundsköpfig‹; der Leib und die Seele sind die eines Menschen, einzig das Haupt hat die Gestalt eines Hundskopfes. Herodot (ca. 480 bis ca. 425) berichtet wohl als erster ganz knapp, im östlichen Teil von Libyen gebe es Riesenschlangen, Löwen, Elefanten, Bären, Giftschlangen, Esel mit Hörnern, Leute mit Hundeköpfen und ohne Kopf, Tiere mit den Augen auf der Brust usw. (Historien, 4. Buch § 191). Die Kynokephalen werden also mitten zwischen Tieren genannt. – Auch andere antike Schrifsteller (Ktesias, Strabon, der Alexanderroman u.a.) kennen die Kynokephalen. Solinus (3.Jh. u.Z.) »De mirablibus Mundi«, Kap. 52 schreibt:
Ratramnus von Corbie († um 868) verfasste einen Traktat, in dem er dafür eintritt, die Leute mit Hundeköpfen als Menschen anzusehen (Epistola de Cynocephalis, in: Patrologia Latina 121, Spalten 1153-56). Ratramnus wurde gefragt, ob die Kynokephalen von Adam abstammen oder Tierseelen hätten (utrum de Adae sint stirpe progeniti, an bestiarum habent animas). Aufgrund der äusseren Erscheinung scheint es sich um Tiere zu handeln: sie haben im Gegensatz zum Menschen längliche, zum Boden geneigte Köpfe und sprechen nciht, sondern bellen (et forma capitis et latratus canum, non hominibus sed bestiis similes ostendit. Hominum denique est rotundum vertice coelum aspicere, canum vero oblongo capite rostroque deducto terram intueri. Et homines loquuntur, canes vere latrant.) Nach Ausweis eines ihr Wesen beschreibenden Begleitschreibens scheinen sie dennoch Vernunft zu haben: Sie leben in Gemeinschaft, bestellen das Feld und sammeln Früchte, sie domestizieren Tiere, sie bedecken im Gegensatz zu Tieren ihre Scham. Es scheint also, dass sie einen Gemeinsinn (consensus communis), eine Moral kennen. Der Ackerbau und die Vorratshaltung sowie die Fähigkeit Stoffe zu weben deuten auf ein logisches Vermögen. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass sie Verstand haben (haec enim omnia rationalem quodammodo testificari videntur eis inesse animam ... apud Cenocephalos videri, rationalem eis inesse mentem reipsa testificamini) und mithin eher als Menschen denn als Tiere einzuschätzen sind (Quae, quod videtur inesse his de quibus loquimur, homines potius quam bestiae deputandi videntur). – Es scheine sich bei den Kynokephalen wie auch bei Christophorus um Abkömmlinge des Menschengeschlechts zu handeln, bei denen eine monströse Geburt in der Genaologie vorgekommen sei, wie man das ja öfters lesen könne. Mandeville Auch John de Mandeville – der bei der Verwendung seiner Quellen nicht wählerisch ist – beschreibt Kynokephalen: Die lút in der selben ynsel, wib und man, hond alle hundes höpter, und sie haissent sich dört Canafales, und ist beschaiden volck und wol verstandes. Reisebeschreibung des Sir John Mandeville, in mhd. Übersetzung von Michel Velser, hg. Eric John Morrall, (Deutsche Texte des Mittelalters LXVI), Berlin 1974. Seite 121
Sebastian Brant kennt die Kynokephalen (aus Solin) und stellt sich nebst anderen Monstren dar:
Verschiedene Quellen der griechischen Mythologie berichten von einem gottlosen arkadischen König Lykaon, der durch einen schauerlichen Test herausfinden will, ob der Fremde, den die Leute anbeten, wirklich ein Gott sei: Er tötet einen Menschen und tischt dem Gast das Menschenfleisch auf. Jupiter bemerkt das sofort, zündet das Haus des Lykaon an und verwandelt ihn – dem Namen gemäß – in einen Wolf (griechisch lykos). Die Illustrationen zu Ovids Metamorphosen (I, 198ff.) stellen die Übergangsgestalt dar. Diese Geschichte gab den Werwolfgeschichten immer wieder Nahrung. Text und Übersetzung
Christophorus Von einer ganze anderen Kategorie ist der heilige Christophorus, der in der Ostkirche als hundsköpfig beschrieben und auf Ikonen dargestellt wurde. Die Hundsköpfigkeit des Heiligen wird auf verschiedene Art hergeleitet bzw. weg-erklärt. Wir widmen ihm einen kurzen Passus im Kapitel "Demontage".
AnubisAnubis wird in der ägyptischen Mythologie hundsköpfig dargestellt. Weil er wie der griechische Gott Hermes/Mercur als Seelenführer in das Land der Toten gilt, wird der von den Römern später mit diesem gleichgesetzt (Synkretismus). Apuleius (ca. 123 bis nach 170) beschreibt in einer Schilderung des Isiskults Anubis, laevae caduceum gerens (Anubis, der in der Linken den Heroldsstab hält, d.h. den Caduceus von Mercur; Metamorphosen XI,xi,1). Christoph Arnold erklärt 1663 eine Münze des Kaisers Valentinian [wohl Valentinian II., 4.Jh.] so: Auf deren einen Seite steht Anubis oder Cynocephalus, zu teutsch der Hundskopf/ der ein klinglendes Instrument in der rechten Hand [ein Sistrum, d.i. eine beim Isis-Kult verwendete Handklapper] und in der Linken des Mercurii Schlangenstab hat.
WerwölfeEs gibt nach der Ansicht gewisser Leute Männer, die sich in Wölfe und wieder zurück verwandeln können: Werwölfe. Im Wortbestandteil Wer- steckt das germanische Wort für Mann (verwandt mit lat. vir); die Wortkomposition bildet das Kompositwesen als Mensch und Wolf genau ab. Plinius der Ältere (*ca. 23 bis 79) gibt den Bericht eines älteren Autors (Varro) wieder, wonach durch das Los bestimmte Männer aus Arkadien zu einem bestimmten Teich geführt werden, den sie, nachdem sie die Kleider an eine Eiche gehängt haben, durchschwimmen, sich dann in eine Einöde begeben, wo sie in einen Wolf verwandelt werden, so neun Jahre lang leben und – wenn sie in dieser Zeit kein Menschenfleisch gegessen haben – das frühere Aussehen wieder annehmen und die Kleider wieder anziehen (naturalis historia VIII, xxxiv,81). Während sich Plinius über die Leichtgläubigkeit der Griechen (Graece credulitas) entsetzt, überliefern seine Leser sie später als wahr. Sebastian Brant findet die Geschichte 1501 mitteilenswert, lässt sie aber unkommentiert.
Augustinus
Marie de FranceIn einer ihrer Versnovellen (sog. ›Lai‹) erzählt MARIE DE FRANCE († um 1200) die Geschichte vom Bisclavret (das ist bretonisch für Werwolf):
Auch wenn die Autorin am Schluss des Texts versichert, die Geschichte sei wahr – es handelt sich doch um ein Stück Literatur! Das Werwolf-Dasein ist als Motiv schwach, es dient vor allem dazu, die Frau in eine psychologische Extremposition zu bringen, so dass sich die Zuhörer fragen: Ist der (ehelichen) Liebe alles zumutbar, oder gibt es Grenzen dafür, was man zu ertragen hat? Damit reiht sich der Text in die Motivik der Liebesprobe ein. Geiler von KaysersbergDer wortgewaltige Johann Geiler VON KAYSERSBERG (1445–1510) liebt es, seine Predigten mit Hexen und Unholden zu bevölkern. In seiner Predigtsammlung »Die Eimeis« (erschienen in Straßburg 1517) nimmt er für den Sonntag Oculi (d. i. der vierte Sonntag vor Ostern in der Fastenzeit) die Werwölffe zum Anlass. Er unterscheidet sieben Ursachen, weshalb die Wölfe Kinder und Menschen fressen. Die ersten fünf sind natürliche, dann nennt er übernatürliche:
Am darauf folgenden Montag fragt er, was davon zu halten sei, dass Hexen Menschen in Wölfe, Schweine oder Vögel verwandeln können. Er zitiert die genannte Passage des Augustinus und sagt (zum Leser), das du nüt daruff solt halten/ das kein mensch weder in ein wolff noch in schwein verwandlet würdt/ dan es ist ein gespenst und ein schein vor den augen oder in dem kopf gemacht. – Der Holzschnitt zeigt einen Menschen anfallenden Wolf, nicht zwingend einen Werwolf.
WeyerEs gibt eine reichhaltige Werwolf-Literatur aus dem 16. und 17. Jahrhundert. In diesen Kontext gehört das einflussreiche Buch von Johann WEYER († 1588), »De praestigiis Daemonum«, Basel 1563 (bereits 1575 ins Deutsche übersetzt: »Von den Teuffeln, Zaubrern, Schwartzkünstlern, Teuffels beschwerern, Hexen oder Unholden und Gifftbereitern …«), wo im III. Buch das 10.Kapitel die Verwandlung von Menschen in Tiere behandelt wird. Die Beerwölff, die in Livland herumstreifen, deutet er als ware natürliche Wölff/ zu solchem Spiel von dem Teuffel abgerichtet. Dann bringt er eine interessante psychopathologische Erklärung: er kennt eine kranckheit Lycanthropia (giechisch lykos ›Wolf‹ und anthropos ›Mensch‹) und beschreibt, wie diese Einbildung zustande kommt:
Und so finde man Leute, die sich in Wölfe verwandelt glauben und Kinder zerreissen und Vieh schädigen, von tiefem Schlaf umfangen, denen der alte bößwicht diese Bilder eingegeben habe. BodinDie Prediger wollten mit der Trugbildtheorie den einfachen Leuten den Glauben an die Wolfsverwandlung ausreden. Es ist dies nur ein Irrglauben, ihm anzuhängen ist dumm oder gar eine Sünde. Unter den Theoretikern ist offenbar einzig Jean BODIN († 1596) in seinem Werk »De Magorum Daemonomania« (das Johann Fischart 1586 ins Deutsche übersetzte) der Meinung, es gebe reale Verwandlungen in Wölfe. Im 2. Buch, Cap 6: Von der Lycanthropia oder Wolffssucht / vnd ob der Teuffel die Menschen inn Viech vnnd Thier verwandeln könne führt er eine ganze Reihe von Werwölfen auf. Auch begründet er die Möglichkeit der Verwandlung in einen andere Körper ausführlich, wobei er Biblisches (Nebukadnezar), heidnisch-antike Schriftsteller, Reiseberichte (Olaus Magnus), Gerichtsprotokolle seiner Zeit und Stellen aus Thomas von Aquin munter mischt. Beispiel: ein Urteil über den Zauberer genant Gilles Garnier von Leon aus dem Jahre 1574, der
LaurembergNoch Peter LAUREMBERG (1585–1639) spricht in seiner Sammlung »Acerra philologica« (1637; III, 46) von den Weer-Wölffen.
Dann kommentiert er die naiv aus Bodin entnommene Geschichte ganz im Sinne des Augustinus:
Solches Teuffels-Spiel sei nicht neu – hier hat Lauremberg Gelegenheit, seine Kenntnisse der antiken Literaturgeschichte auszubreiten. Vorsicht vor falschen Werwölfen! Das Titelblatt zur Predigt »Wie man die falschen Propheten erkennen/ ja greiffen mag« des Urbanus RHEGIUS (1489–1541, Anhänger Luthers), Wittenberg 1539, scheint Werwölfe zu zeigen:
Rhegius spricht über die Perikope Matthäus 7,15 Sehet euch fur/ fur den falschen Propheten/ die in Schaffskleidern zu euch komen/ inwendig aber sind sie reissende Wolff. Einen Wolfpriester bildet auch ein antikatholisches Flugblatt aus dem Jahre 1555 ab. Wickiana PAS II 1/4a = Harms VI,66 = Fehr Tafel 70.
HypertrichoseMerkwürdigerweise berichten auch Autoren, die mit ziemlicher Sicherheit ihre Reisen aufgrund von Erfahrungen aufgeschrieben haben, von Hundsköpfigen. Marco Polo beschreibt die Hundsköpfigen im (1298 diktierten) »Divisament dou monde» (Die Vielfalt der Welt; auch »Milione« genannt) als scheussliche Menschenfresser:
Die Illustratoren der Handschiften haben solche Textstellen dann mit blühender Phanstasie und aufgrund der Kenntnis der traditionellen Bilder ausgestaltet.
Odorico da Pordenone († 1331) trifft ebenfalls Hundsköpfige an: "Daselb sind die lewt an dem antlúcz hunden gar geleich, also daz sie nicht gar menschlich noch gar hunttisch amplikch habn" (Zeile 314).
Man fragt sich, ob diese Reisenden nicht Menschen angetroffen haben, die an Hypertrichose litten, einer Erbkrankheit, die zu übermäßiger Behaarung an sonst unbehaarten Stellen führt und familiär gehäuft auftritt. Aus der Neuzeit sind einige Fälle wohlbekannt: Don Pedro Gonzalez (ca. 1537 bis ca. 1618), vollkommen behaart, stammte aus Teneriffa und lebte als Knabe am französischen Hof als Bediensteter, und gründete eine Familie. Vier Portraits des Don Pedro, seiner (normalen) Frau sowie zwei seiner ebenfalls behaarten Kinder gelangten über Herzog Wilhelm V. Bayern in die Ambraser Sammlung, d.h. in die Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. (1529–1595). Ulisse Aldrovandi hat offenbar eine Tochter in Bologna untersuchen können. In seiner postumen »Monstrorum Historia« (1642) kommen die behaarten Menschen dann vor, samt Holzschnitten, die als Bilder zweier Töchter und zweier Söhne ausgegeben werden. Interessant ist der Ort, wo sie untergebracht sind: zwischen den "homines sylvestres" (Waldmenschen) und den Cynocephali.
Der aus Polen stammende Stephan Bibrowsky (1891–1932) bereiste unter dem Markenzeichen »Lionel der Löwenmensch« als Zirkusattraktion die Welt.
Marco Polo, Il Milione – Die Wunder der Welt. Übersetzung aus altfranzösischen und lateinischen Quellen und Nachwort von Elise Guignard, Zürich: Manesse 1983. Der mitteldeutsche Marco Polo. Nach der Admonter Handschrift hg. von Eduard Horst von Tscharner, Berlin 1935 (Deutsche Texte des Mittelalters 40). Marina Münkler, Marco Polo: Leben und Legende, München: C.H.Beck 1998 (Beck’sche Reihe Wissen, Band 2097). Nicole Steidl, Marco Polos »Heydnische Chronik«. Die mitteldeutsche Bearbeitung des »Divisament dou monde« nach der Admonter Handschrift Cod. 504) Aachen: Shaker 2010. Lecouteux (1982), Band II = Dictionnaire, pp. 20–28 und 164f. Wilhelm Hertz, Der Werwolf. Beitrag zur Sagengeschichte, Stuttgart: Kröner 1862 [sehr materialreich, gut dokumentiert, hütet sich vor Spekulationen] Charlotte F. Otten (Ed.), A lycanthropy reader. Werewolves in western culture, Syracuse / N.Y.: Univ. Press 1986. [nicht eingesehen PM] Basil Copper, The Werewolf in Legend Fact & Art, New York: St. Martin's Press 1977. [nicht eingesehen PM] Elmar M. Lorey, Henrich der Werwolf. Eine Geschichte aus der Zeit der Hexenprozesse mit Dokumenten und Analysen, Anabas-Verlag 1998. [nicht eingesehen PM] Elmar M. Lorey, Wie der Werwolf unter die Hexen kam. Zur Genese des Werwolfpozesses online <2004> Theophil Laube, Dialogi und Gespräch, von der Lycanthropia, Oder Der Menschen In Wölff-Verwandlung: ... Mit Beyfügung allerhand dergleichen erschröcklichen und entsetzlichen Geschichte... Vorderist aber... Von einem Wolff in dem Fürstl. Onoltzbachischen Gebiete..., mit sonderm Fleiß beschrieben, ###: Heyl 1686. Rudolf Leubuscher, Über die Wehrwölfe und Thierverwandlungen im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychologie Postscript:Christian Morgenstern, Der Werwolf
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