Tiere in der Heraldik

 

Tiere sind auf Wappen als ›gemeine Figuren‹ weit verbreitet. Das älteste überlieferte heraldische Denkmal der Schweiz beispielsweise, der Reiterschild von Seedorf (um 1200/1220) zeigt einen silbernen steigenden Löwen auf blauem Grund.

Bild aus: D. L. Galbreath, Handbüchlein der Heraldik, Lausanne 1930, Tafel I.

Literatur: Hugo Schneider, Neues zum Reiterschild von Seedorf, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 12/2 (1951), S. 116–188 + Tafeln.
> http://dx.doi.org/10.5169/seals-163678

Die Tiere haben verschiedene Herkunft. So entstammt beispielsweise der Bär im Wappen der Stadt und der ehemaligen Fürstabtei St. Gallen der Geschichte des Klostergründers und Schutzpatrons, des hl. Gallus.


Heraldische Tiere mit falscher Genealogie

Einige der Tiere verdanken ihre heraldische Existenz einem Missverständnis.

➔ Die (bis 2010 selbständige) Gemeinde Schwanden im Kanton Glarus hatte einen prächtigen Schwan im Wappen. Der Ortsname ist indessen ein klassischer Rodungsname (von mittelhochdeutsch der swant = ›Stelle, wo der Wald ausgehauen wurde‹, vgl. Idiotikon Band IX, Sp. 1928ff.; zu swenden, d.h. ›zum schwinden bringen, roden, insbes. durch Abschälen der Rinde‹; wie bei Ortsnamen üblicher Lokativ ›zen / bî den swanden‹). Schwäne schwimmen dort in der Linth nicht; aber ein Baumstumpf im Wappen ist touristisch nicht so verlockend...

 (Quelle: Wikipedia)

Johann Jacob Scheuchzer schreibt über seine vierte Bergreise (1705): Von da reißten wir weiters auf Schwanden, Suanda, einem alten schönen vornehmen Flecken, der mitten im Lande Glarus bey dem Zusammenfluß der Lint und Sernft lieget und denen Suantibus (sind gewisse Völcker, derer Plinius Lib. III. cap. 20. gedencket) den Namen gegeben, nach der Mutmassung  Guillimanni Rer. Helvet. Lib. III, cap.6. (Text aus: Johann Jacob Scheuchzers … Natur-Geschichte des Schweitzerlandes, Samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge. Aufs neue herausgegeben von Joh. Georg Sulzern, Zürich: David Gessner 1746; II,62)

Plinius (moderne Zählung III, 52) erwähnt Suanenses; dabei handelt es sich aber um Bewohner eines Orts in Italien.

Franciscus Guillimannus [1565–1612], De Rebvs Helvetiorvm, Sive Antiqvitatvm Libri V,  Ex varijs scriptis, tabulis, monumentis, lapidibus, optimis plurium linguarum auctoribus, Friburgi Aventicorum: ex officina typographica Wilhelmi Maess, 1598, p. 357 sq.: Svantetes fuisse quos Glaronenses dicimus, inde mihi opinio quod eos, non solum in alpinis populis ponit Plinius [Lib. III. cap. xx], sed inter Rheguscos, Brixenses, & Lepontios, quo quidem situ ipsi, & in regionis medio Schuanda vbi adhuc quotannis totius populi fit conuentus, a quo antiquum populi vocabulum, vicus nobilis, baronum eius nominis sedes. > http://doi.org/10.3931/e-rara-26634

Auf dem Siegel des Hochmeisters des Deutschen Ordens, Burchard von Schwanden († 1310) aus Schwanden (Kanton Bern), erscheint bereits 1303ein Schwan:

D. L. Galbreath, Handbüchlein der Heraldik, Lausanne 1930; Abb. 198.

➔ Das Gemeindewappen von Hundwil (Kanton Appenzell) zeigt den Bären des Gallus mit einem Hund.

 

Der Ortsname ist indessen zu erklären als ›Gehöft des Hunto [Personenname]‹ (vgl. Stefan Sonderegger, Die Orts- und Flurnamen des Landes Appenzell, Frauenfeld: Huber 2013; Teilband 2.2, S. 943.) – Aldtdeutsche Personenamen wie Hundo, Hunto, Hunzo und Zusammensetzungen damit (Huntpreht, Hundfrit, Hundwig) gehören zum Wort für den Jäger (vgl. engl. hunt-er).

Es könnte sich auch um einen alten Gerichtsort handeln mit einem sog. ›Huntgericht‹ = Centgericht (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zentgericht), was aber urkundlich nicht belegbar ist. (Hinweis von St.Sonderegger 10.3.2015)

 

➔ Der Ortsname Gruyères wurde immer wieder auf lat. grūs »Kranich« bezogen; so noch auf https://search.ortsnamen.ch/record/14000367. Und das Wappen zeigt ja einen solchen Vogel.

Ein (Mittellatein des 12.Jh.) gruarius ist ein Beamter: »fonctionnaire préposé aux forêts et terres vagues«; »judex causarum ad silvas et venationem attinentium«; gruarium oder gruagium, afrz. gruerie sind »pouvoirs exercés par le gruyer dans les forêts«, d.h. Rechte in einem Waldstück oder – möglicherweise über ›gruaria silva‹ – diese Wälder selbst. Es gibt weitere Toponyme dieser Art. (Etymologisch kommt das Wort möglicherweise von gallo-roman. *grodiarius, abgeleitet von *grôdi ›Grünheit‹, vgl. das althochdeutsche gruotî ›das frisch sprossende Grün‹.)

J.F.Niermeyer, Mediæ Latinitatis Lexicon Minus, Leiden: Brill 1976; Du Cange, Glossarium Ad Scriptores Mediae et Infimae Latinitatis, und andere Wörterbücher. 

Mehr zum Kranich >>> hier.

 

➔ Enten schwimmen auf dem Wappen die Gemeinden Unterentfelden und Oberentfelden:

 

Der Name meint die Lage am Ende des Anbaugebiets. (Anders: Entenhausen bei Donald Duck und Familie).

 

➔ Das Wappen von Sargans (der Ortsname lautete bis ins 14.Jh. Sangans) hat nichts mit einer Gans zu tun. Aber bereits eine Fahne (spätestens) aus dem Jahr 1445 zeigt den Vogel:

Rainald Fischer, Die Appenzeller Beutefahnen, in: Appenzellische Jahrbücher 103 (1975).
> https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=ajb-001:1975:103::9

➔ Ebensowenig hat der Adler (mittelhochdeutsch âr) im Wappen von Aarburg im Berner Seeland etwas mit dem Greifvogel zu tun, sondern mit dem Flussnamen Aare:

Aus: David Herrliberger, Neue und vollständige Topographie der Eydgnoßschaft, Zweyter Theil, Basel 1758; Tafel 158 (1756); der ganze Stich hier — und hier die moderne Fassung.

Der Flussname Aare stammt wohl von einer indogermanischen Wurzel *er- ›fließen‹ ab — der Vogelname Aar (althochdeutsch aro; Adler ist erst hochmittelalterlich) hat eine andere Etymologie.

 

➔ Der Namen Helfenstein (ein bereits im 13. und 14. Jh. bezeugtes Adelsgeschlecht) geht zurück auf einen Burgnamen, der gebildet ist wie Notveststein (von mittelhochdeutsch nôtveste ›Sicherheit im Kampf‹) oder Helfenburg (mhd. hilfe, helfe- auch: ›Beistand in kriegerischen Auseinandersetzungen‹). Helfestein hat sogar biblische Ahnen: Im Kampf gegen die Philister stellt Samuel einen Stein als Denkmal auf und nennt ihn Eben-Eser, übersetzt: ›Stein der Hilfe‹ (1.Sam 7,12 in der Zürcher Bibelübersetzung von 1531: Do nam Samuel einen steyn unnd satzt jn zwüschend Mizpa und Sen/ unnd hieß jn Helffensteyn).

Volksetymologisch wurde der Name auf mhd. helfant ›Elefant‹ bezogen; der im Wappen auf einem Dreiberg steht:

aus: Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten / Landen vnd Völckeren Chronik wirdiger thaaten beschreybung […] durch Johann Stumpffen beschriben […] Zürich bey Christoffel Forschouer M.D.XLVII., Fünfftes buoch, fol. 27v

➔ Die Etymologie des Namens der Stadt Basel ist unklar. In der »Notitia Galliarum« (390-413) ist Basel als Civitas Basiliensium in provincia Maxima Sequanorum genannt. Vielleicht leitet sich der Name vom  römischen Personennamen Basilius ab. Deutungen gibt es viele, z.B.

Peter Ochs, Geschichte der Stadt und Landschaft Basel, Band 1, 1786 > https://books.google.ch/books?id=SSdCAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s

Interessant ist Herleitung Nr. 5: Von einem Basilisken … Das Tier sieht so aus, eine Kreuzung aus Hahn und Giftschlange:

 

Joachim Camerarius (1534–1598), Symbola et emblemata; hier aus: Vierhundert Wahl-Sprüche und Sinnen-Bilder, durch welche beygebracht und außgelegt werden die angeborne Eigenschafften, wie auch lustige Historien und Hochgelährter Männer weiße Sitten-Sprüch. […] Vormahls durch den Hochgelährten Hn. Ioachimum Camerarium In Lateinischer Sprach beschrieben […] zum besten ins ins Teutsch versetzet, Maintz: Bourgeat 1671.

(Der Blick des Basilisks tötet; wenn man ihm einen Spiegel vorhält, bringt er sich selbst um.)

Der Monogrammist D.S. zeichnet einen Basilisk als Wappenhalter in der Druckermarke des Buchs Decretalium Gregorij noni liber accuratissime emendatus, Basileæ: J. Amerbach / J. Petri / J. Froben 1511:

 

Heluetiæ descriptio & Panegyricum in laudatissimum Heluetiorum fœdus / Autore Hen. Glareano [Heinrich Loriti 1488–1563], Excvdebat Basileae Iacobvs Parcvs, Anno 1553.
> http://doi.org/10.3931/e-rara-47472

Im Bischofhof beim Münster sind zwei Basilisken als Wapenhalter aus dem Jahre 1596 zu sehen:

(Foto: P.Michel)

Literaturhinweis: Thomas Hofmeier, Basels Ungeheuer. Eine kleine Basiliskenkunde, Berlin/Basel: Leonhard-Thurneysser-Verlag, 2009.

 

➔ Siegel und Wappen der Stadt Bern zeigen seit dem 13. Jh. einen schräg aufwärts schreitenden Bären mit erhobener Vordertatze:

Der Name der Stadt leitet sich wahrscheinlich vom keltischen Wort bern, berna ›Kluft‹ her, was eine Stelle am Aare-Ufer bezeichnet haben dürfte; vgl. Andres Kristol (Hg.): Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen / Dictionnaire toponymique des communes suisses, Huber/Payot 2005; J. Pokorny, Indogerman. etym. WB, 1959 S. 134.

Der Bär verdankt seine heraldische Existenz einer Sage:

Conrad Justinger († 1438), Cronicka der Stadt Bern (ed. G.Studer, Bern 1871) schrieb:

¶ 9. Daz die stat genempt wart berne.

Und won vil gewildes luff in demselben eichwalde, do wart hertzog Berchtold ze rate mit sinen reten, er wolte die stat nennen nach dem ersten tiere so in dem walde gevangen wurd. Nu wart des ersten ein ber gevangen, darumb wart die stat bern genempt; und gab do den burgeren in der stat ein wappen und schilt, nemlich einen swartzen bern in einem wissen schilt in gender wise … > http://www.digibern.ch/katalog/berner-chronik-conrad-justinger

Darauf beruht das Bild in der Tschachtlan-Chronik (um 1470): Zwei Jäger und ihre Hunde töten oberhalb der Stadt Bern einen Bären. Vgl. das Wappen über dem Stadttor:

https://www.e-manuscripta.ch/zuz/content/wpage/2402273

> https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Stadt_Bern#Name

> https://de.wikipedia.org/wiki/Fahne_und_Wappen_des_Kantons_und_der_Stadt_Bern

Im »BLICK am Abend« vom 9.4.2014 hat der Grafiker Marcel Aerni – an die berüchtigte sympathische Langsamkeit der Berner erinnernd – das Wappentier abgeändert in eine Schnecke:


Die Dogge (?) der Toggenburger

 

Das Wappen der ehem. Grafschaft Toggenburg (verwendet von 1228 bis 1798) zeigt einen Hund mit Stachel-Halsband.

Konrad von Mure blasoniert in seinem Schild- und Wappengedicht »Clipearius Teutonicorum« (wahrscheinlich zwischen den Jahren 1244 und 1247 entstanden): Toggenburg cum torque canis pilosus habetur, Gilvo pro preda qui Semper hyare videtur. Toggenburg führt einen haarigen Hund mit Halsband in gelb, derselbe lechzt immer nach Beute. (F. Gull, Die Grafen von Toggenburg, in: Archives Héraldiques Suisses, février/ mars 1890. > https://archive.org/stream/archivesheraldiq04schw#page/n51)

Der Minnesänger Graf Kraft von Toggenburg führt den Hund als gemeine Figur in seinem Wappen:

 

Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340
> http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg848/0040

In der Zürcher Wappenrolle (um 1340) erscheint das Wappen.

Auf der Fahne des 1436 erbelos verstorbenen Grafen Friedrich VII. erscheint das Wappen.

Hier: graff von dockenburg aus dem Wappenbuch des St. Galler Abtes Ulrich Rösch (1463–1491):

https://www.e-codices.unifr.ch/de/csg/1084/231/0/Sequence-729

In der Stumpff-Chronik (Zürich 1547) :

 

Der älteste Beleg für den Ortsnamen findet sich 1044 im Zürcher Urkundenbuch: Toccanburg; vgl. Gabrielle Schmid, Die Orts- und Flurnamen des Obertoggenburgs (SG), Diss. Neuchâtel 2015, S. 55ff. > https://doc.rero.ch/record/256507/files/00002475.pdf

Casuum S. Galli continuatio secunda (um 1200), Cap.7 (ediert in MGH):

Idem abbas Oudalricus loci sancti Galli eodem tempore famosum castrum nomine Docginburch matura et opere satis munitum in flammas destruxit....
Inter haec mala quidam miles Diethelmus de Dogginburch collectis copiis sancti Galli locum hostiliter invadit.

Der Ortsname geht wohl auf einen Personen-Namen Tokko, Tukko, Tocca und ähnlich zurück, verwandt mit dem ahd. Verb touc- ›tüchtig sein, Kraft haben‹ (Ernst Wilhelm Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, 1856, Spalte 354 > https://archive.org/stream/altdeutschesnam00frgoog#page/n199/mode/1up)

Der (volksetymologische) Anschluss des Hundes als Gemeine Figur im Wappen an das Wort Dogge ist aber seltsam:

  • In Hadamars von Laber (ca. 1300 bis nach 1354) allegorischem Text »Die Jagd« kommt (häufig) nur das Wort hunt vor.
  • David Dalby, Lexicon of the Medieval Hunt, Berlin 1965 (umfasst die Begrifflichkeit von 1050 bis 1500) kennt nur: hunt, wint, bracke.
  • Älteste Belege für das Wort ›Dogge‹ im Deutschen findet man bei Johann Fischart (»Gargantua« 1575): die englische Docken. — Bei G.Henisch, Teütsche Sprach vnd Weißheit (1616) Englisch dogg / groß hund. (Die Schreibung mit gg deutet auf eine junge Entlehnung aus dem Niederdeutschen).— J. G. Schottel in »Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache« (1663) kennt: Dogge; Dokk und übersetzt: molossus, canis Anglicus.
  • Das altenglische Wort dog hat im Englischen erst im 16.Jh. das ältere hund, hound verdrängt. – Old english docga, »a late, rare word used of a powerful breed of canine. The origin remains one of the great mysteries of English etymology.« (Online Etymology Dictionary).

Wann erscheint die Assoziation der Dogge benannten Wappenfigur mit dem Namen für die Grafschaft erstmals? Hat der Hund im Wappen eine besondere Symbolik? (Domestikation der Stärke [bei Conrad von Mure: pro praeda semper hiare] durch das Halsband [torquis]?) Dann wäre Toggenburger Wappen kein sog. ›redendes Wappen‹.


 

Tiere als Schildhalter

Das Wappen der Stadt Zürich wird seit alters von zwei Löwen gehalten. Der Mähne nach handelt es sich um männliche Löwen. Man fragt sich nachgerade, wann hier die Gleichberechtigung Einzug hält:

 

 


Literaturhinweise

Georg Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, (Veröff. des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Band XXIV), Wien-Köln-Graz: Böhlau 1976: 2.ergänzte Auflage 1992.

Heiko Hartmann, Tiere in der historischen und literarischen Heraldik des Mittelalters. Ein Aufriss. In: Sabine Obermaier (Hg.), Tiere und Fabelwesen im Mittelalter, Berlin: de Gruyter, 2009, S. 147–179.

Wolfgang Augustyn, Fingierte Wappen im Mittelalter und früher Neuzeit. Bemerkungen zur Heraldik in den Bildkünsten, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, Dritte Folge, Band 56 2005, S. 41–82.

Heinrich Beck, Das Ebersignum im Germanischen, Ein Beitrag zur Germanischen Tier-Symbolik, (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 140 = Neue Folge 16), Walter de Gruyter & Co. Berlin, 1965.

Gunter Müller, Studien zu den theriophoren Personennamen der Germanen, Köln: Böhlau, 1970 (Niederdeutsche Studien Bd. 17).

 

Mehr zum Thema Heraldik: Schweizerische Heraldische Gesellschaft

 


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