Kritik an der allegorischen Auslegung (Allegorese)

Allegorese

In jeder Schriftreligion, die sich auf altehrwürdige Texte beruft, ergibt sich folgendes Dilemma: Die im Textkorpus (in der Bibel) niedergelegten Texte stammen aus fernen Zeiten, während der Leser sich in einer Epoche befindet, die religionsgeschichtlich weitergeschritten ist, und in der andere lebenspraktische Erfordernisse anstehen. Anderseits hat der heilige Text einen bleibenden normativen ›An-Spruch‹. Es stellt sich immer neu die Aufgabe, das Überkommene behutsam zu aktualisieren. Dabei gilt:

(a) Der Leser will aus dem Text Aufschluss über seine Situation in der Welt, sein Sollen und seine Hoffnungen gewinnen. Er kann diese Auskunft erwarten, denn vom Text gilt als ausgemacht, dass jedes Wort zum Heil der Menschen gesagt ist. (b) Der Leser ist nicht bereit, am Text irgend etwas zu ändern, denn der Text gilt ihm – weil inspiriert – bis in den letzten Buchstaben hinein als sakrosankt.

Es gibt eine Möglichkeit, beide Randbedingungen zu erfüllen: Man nimmt an, der überlieferte Text sei eine Allegorie eines verborgenen Hintersinns. Dieses ›Allegorese‹ genannte Verfahren lässt einerseits den Wortlaut stehen, führt anderseits zu einem zweiten situationsadäquaten Text, von dem gilt, dass im ersten enthalten ist. Für die Christen besteht das Ziel der Auslegung immer in neutestamentlichen Aussagen oder Glaubenswahrheiten.

Das Verfahren funktioniert immer, bei jedem Text, das ist das Problem. Immer wieder haben sich Kritiker zu Wort gemeldet.

Einsichten der Kirchenväter und des Mittelalters

AUGUSTIN, »de civitate Dei« XVI,ii,3: Non sane omnia quae gesta narrantur, aliquid etiam significare putanda sunt …

Nicht als ob alle erzählten Begebenheiten auch schon auf etwas hinzuweisen hätten, […]. Nur durch die Pflugschar wird die Erde aufgerissen; aber um diese Wirkung zu erzielen, sind doch auch die übrigen Teile des Pfluges notwendig; und nur die Saiten von Zithern und ähnlichen Tongeräten dienen zum Hervorbringen von Tönen; aber damit sie das leisten können, schließt das Gefüge der Tongeräte auch sonst noch Bestandteile in sich, die von den Spielern nicht angeschlagen werden; aber was auf Anschlag tönt, steht doch eben in innigem Zusammenhang mit den übrigen Bestandteilen. So wird auch in der prophetischen Geschichte manches erzählt, was keine allegorische Bedeutung hat, womit aber das, was solche Bedeutung hat, in Zusammenhang steht, sozusagen gemeinsam aufgereiht ist.

Einwand des jüdischen Dialogpartners in des GILBERT CRISPIN (ca. 1055–1117) »disputatio Judæi et Christiani«: Ubique vultis, allegorias et figuras posuistis … Non enim sensum vestrum Scripturae subditis, sed sensui vestro Scripturam subponitis.

ALANUS AB INSULIS († 1202): Die Autorität habe eine wächserne Nase, die in verschiedene Richtungen gezogen werden könne: Sed quia auctoritas cereum habet nasum, id est in diversum potest flecti sensum. (De fide cath. I, 30, MPL 2I0, 333 A)

NIKLAUS VON LYRA (ca. 1270–1340): Sciendum enim est, quod sensus litteralis est multum obumbratus propter modum exponendi, communiter traditum ab aliis: qui, licet multa bona dixerint, tamen parum tetigerunt litteralem sensum, et sensus mysticus intantum mulitiplicaverunt, quod sensus litteralis inter tot expositiones mysticas interceptus, partim suffocatur.

Literatur: Henri DE LUBAC, S.J., Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’Ecriture. 4 Bände, Paris: Aubier 1959-1960; v.a. Band II/1, pp. 99–128 “Où est le ‘sens propre’?”

Humanismus

LUTHER, Tischreden, Weimarer Ausgabe Band 5, Nr. 5285: (anno 1540)

Doctor dixit: Ich kan nymmer arbeiten, auch nymmer reden. Weil ich jung war, da war ich gelertt, vnd sonderlich, ehe ich in die theologia kam, da gieng ich mit allegoriis, tropologiis, analogiis [bessere Lesart: anagogiis] vmb vnd machte lauter kunst; wens itzt einer hette, erhilts vor eitell heiltumb. Ich weiß, das ein lauter dreck ist, den nuhn hab ichs faren lassen, vnd diß mein letzte vnd beste kunst: Tradere scripturam simplici sensu, denn literalis sensus, der thuts, da ist leben, trost, krafft, lehr vnd kunst inen. Das ander ist narren werck, wie wol es hoch gleist.

François RABELAIS, »Gargantua und Pantagruel« »Gargantua und Pantagruel«. (Übers. v. Gottlob Regis 1832-1841); hg. mit Anmerkungen von Ludwig Schrader, München: Hanser 1964.

http://fr.wikisource.org/wiki/Gargantua

http://www.zeno.org/nid/2000551651X

Der Prolog enthält diese Passagen, in der man glaubt, der Verf. plädiere für eine tiefgründige Auslegung von Texten:

Rabelais erwähnt die Stelle aus Plato (Symposion 215a ff.°°°), wo Alkibiades Sokrates so charakterisiert: Er gleiche einem Gefäß, das äusserlich hässlich wie ein Silen gebildet ist: von außen bemalet mit allerlei lustigen, schnakischen Bildern, als sind Harpyen, Satyrn, gezäumte Gänslein, gehörnte Hasen, gesattelte Enten, fliegende Böck, Hirschen die an der Deichsel ziehen, und andre derley Schildereyen mehr, zur Kurzweil konterfeyet um einen Menschen zu lachen zu machenAber, so ihr die Büchs nun eröffnet, würdet ihr inwendig funden haben himmlisch unschätzbare Spezereyen: … So sei es auch mit seinem eigenen Buch, dem »Garagntua«, das scheinbar so skurril daherkomme: Man solle das Buch recht aufthun und was drinn ausgeführt sorglich erwägen. Dann werd ihr merken daß die Spezerey drinn wohl von einem andern und höheren Werth ist, als euch die Büchs verhieß: will sagen, daß die hie beregten Materien nicht allerdings so thörigt sind, als es die Ueberschrift vorgeschützt.

°°°Erasmus hat diese Stelle aufgenommen und ausgelegt in den »Adagia« III,iii,1 (2201): Sileni Alcibiadis: quae cum in speciem et prima, quod aiunt, fronte vilis ac ridicula videatur, tamen interius ac propius contemplanti sit admirabilis,…

Dieser Text wurde 1520 ins Deutsche übersetzt: Die Auszlegung dißes Sprichworts Die Sileni Alcibiadis/ durch Hernn Erasmum von von Roterdam im Latein gemacht ... verteutscht, Mainz: Schöffer MDXX.
https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/1627/1

Dann folgt ein weiteres Gleichnis:

Sahet ihr je einen Hund, wann er ein Markbein am Wege fand? Dieß ist, wie Plato Lib. 2 de Rep. schreibt, das philosophischste Thier der Welt. Wenn ihrs gesehen habt, habt ihr wohl merken können wie andächtig er es verschildwachtet, wie eifrig ers wahrt, wie hitzig ers packt, wie schlau ers anbricht, wie brünstig zerschrotet, wie emsig aussaugt. Wer treibt ihn an also zu thun? Was ist die Hoffnung seiner Hundsmüh? Was vermeinet er hieraus guts zu erlangen? Nichts weiter als ein wenig Mark: wenn schon in Wahrheit dieses Wenig weit köstlicher denn alles Viel der anderen Ding ist, in Obacht das Mark eine Nahrung, so zur Vollkommenheit der Natur ist erwirket worden, […].

Nach dessen Fürbild nun ziemet euch Klugheit, daß ihr fein riechen, wittern und schätzen mögt diese edeln Schrifften vom dicken Schmeer, die man zwar leichtlich pürschen [≈ anschleichen] mag, schwer aber treffen: dann mittelst fleißigen Lesens und steter Betrachtung das Bein erbrecht und den substantialischen Mark draus sauget, […], in gewisser Hoffnung daß euch solch Lesen witzigen und erleuchten wird. Denn ihr sollt wohl einen anderen Schmack und tiefverborgenere Lehr drinn finden, die euch höchstüberschwengliche Sacrament und schaudervolle Mysterien offenbaren wird, beydes was unsre Religion, als Welt-und Regentenstand, wie auch die Hauszucht angeht.

Dann aber polemisiert er in brüsker Wendung gegen das allegorische Auslegen heidnisch-antiker und biblischer Texte , wie es insbes. im Mittelalter üblich war:

Glaubt ihr auch wohl, auf euern Eyd, daß Homerus, als er die Ilias und Odyssee schrieb, jemals an die Allegorien gedacht hab die aus ihm ausgedrescht Plutarchus, Eustathius, Phurnuthus, Heraklides Ponticus und was aus ihnen Politian gestohlen hat? Wo ihr es glaubt, kommt ihr weder mit Händen noch Beinen zu meiner Meinung die besagt, daß dem Homero dergleichen so wenig im Traum erschienen als dem Ovid in seinem Metamorphosen die evangelischen Sacrament, wie sie ein Bruder Hans Laff °°°und wahrer Speckschnäppel sich drinn zu erweisen gemartert hat, ob er vielleicht mehr Narren wie Er, und wie man spricht, Deckel auf seinen Topf fänd.

Croiez en vostre foy qu’oncques Homere escrivent l’Iliade & Odyssée, pensast es allegories, lesquelles de luy ont beluté Plutarche, Heraclides Ponticq, Eustatie, & Phornute : & ce que d’iceulx Politian a desrobé ? Si le croiez : vo’n’aprochez ne de pieds ne de mains à mon opinion

°°° im Original Frere Lubin; gemeint ist der »Ovidius moralizatus« von Petrus Berchorius, über den sich 1515 auch der Dunkelmännerbrief Brief I, xxviii lustig macht, vgl. hier unten.

So ihr es aber nicht glaubt, ey was wehret euch mit dieser muntern und neuen Chronik [Rabelais’ eigenes Buch] nicht eben auch also zu thun? Wiewohl Ich, derweil ichs dictirt, so wenig drauf gedacht hab als ihr, die ihr wohl trinkt so gut als ich.

Johann FISCHART, »Geschichtklitterung« (≈ Über- und Fortsetzung des ersten Buches von Rabelais »Gargantua«). Erstdruck: 1575; zwei jeweils erweiterte und veränderte Auflagen 1582 und 1590.

http://www.zeno.org/nid/20004755251

Text der Ausgabe letzter Hand [1590] mit Anmerkungen, hg. Ute Nyssen, Düsseldorf: K.Rauch 1963/64.

Kommentar dazu:
https://wiki.uni-bielefeld.de/kommentieren/index.php/Gkl:kommentar:parat

Ein und Vor-Ritt, oder das Parat unnd Bereytschlag, … (In diesem Vorwort übersetzt und augmentiert Fischart Rabelais.)

Fischart bringt das Gleichnis mit der silengestaltigen Dose ebenfalls:

Ein solcher Grillus und Silenus, sagt Alcibiad, wer sein Preceptor Socrates. Wie so? Da so, Dann gleich wie solche Hanfgebutzte Apoteckergeschir und Weinbüchsen von ausen häßlich und greßlich überaußscheinen, unnd doch zu innerst mit herrlichem schleck und Confect seind geschicket unnd gespicket, von Balsam, Bisam, Latwergen, Sirup, Julep, Treseneien, und anderen kostbaren fantaseien, wie sie ins Reiffen gemusterter Abecedeck zufinden. Also wer auch der Weisest Lerer Socrat euserlichem schein nach von gestalt gering anzusehen, [………] Aber so du ihm hetst sollen in die Hertzbüchs hinein schauen, würdest ein Recht himmlischen unschetzbaren Indianischen geruch von edelem gewürtz gefület haben, ein mehrer dann Menschliche klugheit, ein unüberwindlichen standmut, unermeßliche nüchterkeit, gewißbestimte genügung, vollkommenen trost, …

Sodann das Hundegleichnis:

Nach disem fürbild [der Hund der die Knochen aufbricht, um an das Mark zu gelangen] solt ihr euch weißlich wissen anzustellen, so werden ihr die süsse diser holdseligen Büchlein von innerlicher dicker fette, und mercklichem marckhafftem Schmär viler lehren gespicket, fülen und hoch zilen: Dieweil sie im anfüren und trib wol leichtschäfftig, aber im antrefen, nachtruck und vollführen, sich werden erweisen als hefftig unnd kräfftig. Derwegen erprecht das beyn fleissig durch genau sorgfeltiges lesen, unnd stätem unauffhörlichem nachsinnen, und sauget darauß dz substantzialisch wesenlich Marck,[…]

Jetzt kippt die Argumentation aber um in die Kritik an der Allegorese:

Glaubt ihr auch, sagt mirs auff euern eyd (wiewol er heut theur ist) daß je der blind Homer, da er sein Troi und Niman beschrib, auff die lätze bedeutnussen, gekrümte allegorien, verwänte gleichnussen gesehen habe, wie sie Plutarch, Heraclid, Cornut, Stesichor, Androtion, Amphiloch, Natal, nach ihren köpffen auß ihm gepreßt, gekältert, getrott, gezwungen, und wie ein Bauchwäscherin gerungen haben? Oder was Politian auß ihnen hat gestolen, unnd der Hadermeyer Lorich dörffen holen, oder M. Andres Delitsch de Colonia in literali und Origenischer außlegung super artem amandi molen, und Frater Thomas de Wallei in Concordantzen der H. Schrifft mit den Poetischen Fabeln, und auff Castalionisch der hohen Lieder Salomonis zu der Ars amandi bekolen?

Der Bezug aufs eigene Buch:

Wa ihr dann diß Lichtenbergisch °°° oder Lichtverbergisch traumdeiten nit glaubt, warumb wolten ihr nit eben so vil von diser kurtzweiligen zeitung und neuen Chronich halten, die euch villeicht eben so vil retersch [rätselhaft] als jenes fabuliren kan auffgeben? Wie wol ich, da ich es schrib, gleich so wenig daran gedacht, als ihr, […]

°°° bezieht sich auf den Astrologen Johann Lichtenberger (2. Hälfte des 15.Jhs.)

DUNKELMÄNNERBRIEFE

Zur Entstehung der Satire vgl. hier (PDF-Datei 1 Seite A4)

XXVIII. Bruder Konrad Dollenkopf an Magister Ortuin Gratius.

Schon weiß ich alle Fabeln des Ovid in den Metamorphosen auswendig und kann sie auf vielerlei Weise erklären, nämlich natürlich, wörtlich, geschichtlich und nach dem Geiste, was jene weltlichen Poeten nicht verstehen. Unlängst frug ich einen von ihnen: »Woher kommt der Name Mavors?« Da gab er mir eine Bedeutung an, welche nicht richtig war; ich habe ihn aber auch zurecht gewiesen und gesagt: »Mavors heißt er, weil er gewissermaßen die Männer verschlingt (mares vorat)«; da war er geschlagen. Hierauf frug ich: »Was wird allegorisch durch die neuen Musen bezeichnet?« Auch das wußte er nicht, und ich sagte ihm, die neuen Musen bezeichneten die sieben Chöre der Engel. Drittens frug ich: »Woher kommt der Name Merkurius?« Da er es aber nicht wußte, sagte ich ihm, Merkurius heiße so etwas, wie »Vorsorger für die Kaufleute (mercatorum curius)«, weil er der Gott der Kaufleute ist und Sorge für dieselben trägt. So sehet Ihr denn, daß jene Poeten jetzt in ihrer Kunst nur nach der buchstäblichen Bedeutung studieren und von Allegorien und geistigen Erklärungen keinen Begriff haben, weil sie fleischliche Menschen sind, und, wie der Apostel 1. Korinther im Zweiten schreibt: »Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes.«

Allein Ihr könnet fragen: »Woher habt Ihr jene sinnreiche Erklärungsweise?« Ich antwortete: Kürzlich habe ich mir ein Buch angeschafft, das ein gewisser Magister Angelikus aus unserem Orden, namens Thomas von Walleys, verfaßt hat [1509 gedruckt]; dieses Buch behandelt die Metamorphosen des Ovid und erklärt alle Fabeln allegorisch und der geistigen Bedeutung nach. Der Mann ist so tiefgelehrt in der Theologie, daß Ihr es gar nicht glaubet. Ganz gewiß hat ihm der heilige Geist diese so große Gelehrsamkeit eingegossen. Er verzeichnet nämlich darin vergleichende Stellen der heiligen Schrift mit den Dichterfabeln, wie Ihr aus dem abnehmen könnet, was ich jetzt anführen will.

Ueber den Drachen Phito, welchen Apollo erlegte, schreibt der Psalmist: »Jener Drache, den du gemacht hast, daß er darin scherze«; und wieder: »Auf Ottern und Basilisken wirst du gehen.« Über Saturn, der als alter Mann und Vater der Götter, welcher seine Kinder verschlingt, vorgestellt wird, steht bei Ezechiel geschrieben: »Die Väter werden ihre Kinder in dir fressen. « Diana bezeichnet die allerheiligste Jungfrau Maria, welche mit vielen Jungfrauen hier und dort wandelt, und daher steht von ihr im Psalter geschrieben: »Die Jungfrauen, die ihr nachgehen, führet man zu dir«; und an einer anderen Stelle: »Ziehe mich dir nach, so laufen wir, daß man deine Salbe rieche.« Ebenso heißt es von Jupiter, als er die jungfräuliche Calisto entjungfert hatte und zum Himmel zurückkehrte, bei Matthäus, Kap. 12: »Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin.« Gleichergestalt wird bei der Dienerin Aglauros, welche Merkurius in einen Stein verwandelte, auf jene Versteinerung Hiob 42 hingedeutet: »Ihr Herz ist so hart, wie ein Stein.« Und hinwiederum, als Jupiter sich an der Jungfrau Europa verlustigte, findet sich [hierüber] in der heiligen Schrift eine Stelle, die ich früher nicht kannte; er sagte nämlich zu ihr: »Höre, Tochter, schaue darauf und neige dein Ohr, denn der König hat Lust an deiner Schöne gehabt.« [usw.]

Übersetzung von Wilhelm Binder aus dem Jahr 1876 bei: https://www.projekt-gutenberg.org/anonymus/dunkelm1/chap029.html

Christel Meier, Petrus Berchorius bei den Dunkelmännern. Ein Konflikt um Ovids ›Metamorphosen‹ am Anfang des 16. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien, 57. Band (2023), S. 157–175. https://www.degruyter.com

Vgl. die Satire »Der Tranchierte Kapaun« im Anhang unten

Epoche der Aufklärung

Friedrich Andreas Hallbauers Eloquentiae & Poeseos P. P. O. Anweisung Zur Verbesserten Teutschen Oratorie Nebst einer Vorrede von Den Mängeln Der Schul-Oratorie, (3. Auflage) Jena: J. B. Hartung 1736; bes. Seiten 328–331.

Faksimiledruck: Kronberg Ts.: Scriptor 1974.

https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN667007695

Epoche der Romantik

Karl Philipp MORITZ: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791. > http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/moritz_goetterlehre_1791?p=23

Die Göttergeschichte der Alten durch allerlei Ausdeutungen zu bloßen Allegorien umbilden zu wollen, ist ein eben so thörichtes Unternehmen, als wenn man diese Dichtungen durch allerlei gezwungene Erklärungen in lauter wahre Geschichte zu verwandeln sucht.

Moritz wendet sich mithin gegen die Allegorese ebenso wie gegen die euhemeristische Auslegung, wie sie etwa Hederich im Mythologischen Lexikon (1770) betrieben hat.

Überblick (Verf.: Andreas Hebestreit)

Bemerkenswert ist die Ablehnung der Allegorie in den bürgerlichen Bestrebungen der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Die Allegorie gilt als exemplarisch für den bewusst verbergenden, vortäuschenden oder euphorisierenden Jargon der höfischen Gesellschaft, weshalb Georg Friedrich Meier meinte, die Allegorie behandle den Zuhörer als einen "einfältigen Tropf".

Seit der Mitte des Jahrhunderts zeichnet sich ein scharfer Gegensatz zwischen Metaphern und Allegorien ab. Die Allegorie wird zum Ausdruck von "Willkür" erklärt. Georg Forster sprach von "willkürlichen Versinnlichungen". Zulässig ist für K.Ph. Moritz allenfalls noch, wenn allegorische Vorstellungen das Ganze "umgaukeln", niemals sollten sie aber das "innere Heiligtum der Kunst einnehmen". Winckelmann verteidigt emblematische Darstellungen noch als Allegorien, meint damit aber etwas vollkommen anderes als Lessing, der wiederum seine Fabeln keineswegs als Allegorien verstanden wissen wollte. Für Hegel sind Allegorien "frostig", kahl und leer. Schopenhauer und die Weimarer Klassiker lehnten Allegorien, namentlich in den bildenden Künsten vollkommen ab. Goethe wollte sein "Märchen" nicht allegorisch, sondern "symbolisch" aufgefasst wissen. Und noch Heinrich Heine urteilte über E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Meister Floh", es handle sich dabei um eine Allegorie und das trübe den künstlerischen Eindruck.

Bei den Romantikern Joseph Görres und August W. Schlegel schlägt das Pendel dann wieder zurück, was sich bereits darin bemerkbar macht, dass sie langwierige Unterscheidungen zwischen Symbol und Allegorie als unnötig und nichtssagend erachten.

Literatur:

Peter-André Alt, Begriffsbilder. Studien zur literarischen Allegorie zwischen Opitz und Schiller, Tübingen: Niemeyer 1995 (Studien zur deutschen Literatur 131).

Paul Michel, Vel dic quod Phebus significat dyabolum. Zur Ovid-Auslegung des Petrus Berchorius, in: Hans Weder / P. Michel (Hgg.), Sinnvermittlung. Studien zur Geschichte von Exegese und Hermeneutik I, Zürich und Freiburg/Br.: Pano Verlag 2000, S. 293–353.

Die allegorische Auslegung des Gleichnisses von vielerlei Saat – eine Überinterpretation?

Markus-Evangelium, 4. Kapitel; Parallelstellen: Matth. 13,1–9 und 16–17; Lukas 8,4–8 und 11–15

Vnd er prediget jnen lang durch Gleichnisse / Vnd in seiner predigt sprach er zu jnen / Höret zu. Sihe / es gieng ein Seeman aus zu seen / Vnd es begab sich /in dem er seet / fiel etlichs an den Weg / da kamen die Vogel vnter dem Himel vnd frassens auff. Etlichs fiel in das Steinichte / da es nicht viel erden hatte /vnd gieng bald auff / darumb / das es nicht tieffe erden hatte / Da nu die Sonne auffgieng / verwelcket es / vnd die weil es nicht Wurtzel hatte / verdorret es. Vnd etlichs fiel vnter die Dörnen / vnd die dornen wuchsen empor / vnd ersticktens / vnd es bracht keine Frucht. Vnd etlichs fiel auff ein gut Land / vnd bracht Frucht / die da zunam vnd wuchs / Vnd etlichs trug dreissigfeltig / vnd etlichs sechzigfeltig / vnd etlichs hundertfeltig. Vnd er sprach zu jnen / Wer ohren hat zu hören / der höre. (Luther 1545))

lat./dt. Text zum Download

SignifiantBrückeSignifié
Bauer Prediger
säen sprechen
Same›muss aufgehen‹Wort
Boden Zuhörer
Steinbodenverweigert das ›Aufgehen‹verstockte Zuhörer
Vögel picken Samen weg Teufel verhindert das Hören
Disteln ersticken Samen Sorgen verhindern das Hören
fruchtbarer Boden geneigte Hörer
Samen bringt Frucht Wort bringt Glauben

 

Holzschnitt von Christoph Murer (1558–1614); ursprünglich in: Novae Sacrorum Bibliorum figurae versibus Latinis et Germanicis expositae. Das ist, Newe Biblische Figuren mit Latinischen und Teutschen versen außgelegt ... / Dem gemeinen Mann und der lieben Jugendt zur anreitzung wahrer Gottseligkeit ... an tag gegeben, Durch M. Samuelem Glonerum Poetam Laureatum, Straßburg/ Getruckt bey Christoff von der Heyden. M.DC.XXV. [1625]; hier aus einer Bibel Basel: König 1701.

Ein eifriger Vertreter der These, dass die allegorischen Auslegungen "spätere kirchliche Übermalungen" seien und nicht "ipsissima vox Jesu", war Adolf Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, Tübingen, 2 Bde., 1886/1889. Die These war aber bald vom Tisch, als man die Welt der rabbinischen Gleichnisse wahrnahm. Hans-Josef Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten (Neutestamentliche Abhandlungen, NF 13), Münster/Westf. 1978